Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Theoriebegriff
2.1 Der Theoriebegriff im allgemeinen Sinn
2.2 Der Theoriebegriff im pädagogischen Sinn
3. Der Praxisbegriff
3.1 Der Praxisbegriff im allgemeinen Sinn
3.2 Der Praxisbegriff im pädagogischen Sinn
4. Das Theorie- Praxis-Verhältnis in der Pädagogik
4.1 Das Verhältnis allgemein
4.2 Das Verhältnis im positiven Sinn
4.3 Das Verhältnis im negativen Sinn
4.4 Die theoretischen Aufgaben in Bezug auf die Praxis
5. Schlussbemerkungen
6. Literaturverzeichnis.
1. Einleitung
Eine „klare Einsicht in die Struktur der pädagogischen Arbeit, de[r] Zusammenhang ihrer Begriffe und Methoden […] veredelt diese Arbeit erst zu bewußter und in sich begründender Leistung […] und gibt die Grundlage für eine Gemeinschaft der Arbeit und für einen reinen Stil der pädagogischen Lebensform.“[1] „[D]as Ideal der Theorie erhebt sich aus der Praxis, indem sie diese formuliert, begründet und in ihren Konsequenzen entwickelt.“[2]
Mit diesen Worten spricht Herman Nohl ein Problem an, welches von den Wissenschaftlern häufig diskutiert wird, nämlich das Problem des Verhältnisses zwischen Theorie und Praxis in der Pädagogik. Es stellt sich die Frage, wie denn das wirkliche Verhältnis beider zueinander aussieht. Stehen sich Theorie und Praxis gegenüber und konkurrieren miteinander, oder beeinflussen sie sich wechselseitig? Wenn letzteres der Fall ist, inwiefern beeinflussen sie sich und ist die Praxis dann eher von der Theorie abhängig, oder verhält es sich so, dass die Theorie von der Praxis abhängig ist? In der vorliegenden Arbeit soll dieses Verhältnis besonders hervorgehoben werden.
Im ersten Teil der Arbeit werden die Begriffe Theorie und Praxis, sowie ihr Zusammenhang mit der Pädagogik, untersucht. Dabei wird vor allen Dingen auf die Geschichte und das heutige Verständnis der beiden Begriffe eingegangen. Die zweite Hälfte, welche den Hauptteil der Arbeit darstellen soll, befasst sich mit dem pädagogischen Theorie-Praxis-Verhältnis. Hierbei wird besonders auf das Verhältnis im Allgemeinen, sowie auf positive und negative Seiten eingegangen.
Ich habe dieses Thema gewählt, weil es von Herman Nohl nur sehr kurz angeschnitten wurde und ich mehr darüber erfahren wollte, denn vorher hatte ich mir noch keine Gedanken über ein mögliches pädagogisches Theorie-Praxis-Verhältnis gemacht, obwohl dieses Thema häufig in der Pädagogik, vor allen Dingen in der Erziehungswissenschaft diskutiert wird.
Eine empfehlenswerte Hilfe zu diesem Thema sind die Bücher „Das Verhältnis von Theorie und Praxis in der Pädagogik. Eine systematische Untersuchung.“ von Wilhelmine M. Sayler und „Die Vermittlung zwischen Theorie und Praxis in der Pädagogik.“ von Jürgen Oelkers, da sich diese beiden Autoren ausgiebig mit diesem Thema auseinandergesetzt haben.
2. Der Theoriebegriff
2.1 Der Theoriebegriff im allgemeinen Sinn
Der aus dem Griechischen stammende Begriff theorein, der im deutschen Sprachgebrauch auch als Theorie bezeichnet wird, bedeutet wörtlich übersetzt Schau oder Betrachtung. Anfänglich wurde dieser Begriff vor allem für die Anschauung gewisser heiliger oder auch anderer zeremonieller Festlichkeiten genutzt, nachfolgend fand er nach Platon und Aristoteles auch Bedeutung für die ‚„rein geistige‘ Betrachtung von Ideen, Sachverhalten oder abstrakten Zusammenhängen, die der sinnlichen Wahrnehmung nicht zugänglich sind“[3], sowie die Untersuchung des Weltalls mit all seinen Gesetzen. Die Theorie blickte demnach auf die Erkenntnis der Wahrheit, also nicht auf das, was in der Zukunft sein soll, sondern auf das, was gerade aktuell ist. Gegenwärtig bedeutet der Begriff vor allem die möglichst komplette Darstellung eines Sachgebietes dadurch, dass allgemeine Gesetze formuliert werden. Diese Art der Theorie wird auch als wissenschaftliche Theorie bezeichnet.[4]
Im alltäglichen Gebrauch findet der Begriff Theorie zwei Bedeutungen. Zum einen wird er dazu verwendet, eine Vermutung über eine vorliegende Angelegenheit zu äußern. Diese Theorieform wird auch als alltagsweltliche Theorie betitelt, denn sie befasst sich mit dem alltäglichen Verstehen und Erklären. Eine besondere Form der alltagsweltlichen Theorie ist das kennzeichnende Fachwissen im Berufsleben. Zum anderen wird die Theorie als eine rein wissenschaftliche Betrachtungsweise im Gegensatz zur ausführenden Praxis gesetzt.[5]
2.2 Der Theoriebegriff im pädagogischem Sinn
Im heutigen Sprachgebrauch werden unter pädagogischen Theorien oft nur solche Theorien verstanden, die direkt mit der Erziehung zusammenhängen, die also die Vorstellung erwecken, wie sich ein guter Erzieher zu verhalten habe, was er tun und unterlassen muss. Diese Annahme ist weit verbreitet und hat natürlich auch einen wahren Kern, sie fällt jedoch nicht in den wissenschaftlichen Bereich.[6]
Pädagogische Theorien sind eine Mischform aus alltagsweltlichen und wissenschaftlichen Theorien, da sie „praktisch relevante wissenschaftliche Informationen enthalten und transformativ umsetzten, zugleich aber auch die Funktionen eines professionellen Fachwissens erfüllen können.“[7] Für die Pädagogik ist es wichtig, dass Einblicke in die pädagogischen Handlungen gewonnen werden und diese dann in der Form einer pädagogischen Theorie zusammengefasst und vermittelt werden. Dafür ist es jedoch unumgänglich, dass diese wissenschaftlichen Informationen von erfahrenen, professionellen Fachkräften erarbeitet werden. Die folgende Vermittlung dieser Informationen für die Praxis muss jedoch im Rahmen der gebräuchlichen pädagogischen Methodik bleiben, wenn die Theorie wissenschaftlich sein soll.[8]
Es ist jedoch nicht immer einfach, ein Gleichgewicht zwischen alltagsweltlichen und wissenschaftlichen Theorien zu halten, da keine von Beiden bevorzugt oder benachteiligt werden darf. Deshalb wäre es eine Lösung, Theorien aufzustellen, die sich auf praktische Zustände beziehen „und zwar sowohl was die Bewältigung als auch was die Veränderung solcher Situationen angeht.“[9]
3. Der Praxisbegriff
3.1 Der Praxisbegriff im allgemeinen Sinn
Der Begriff praktik stammt aus dem Griechischen und wörtlich übersetzt hat er mehrere Bedeutungen, wie zum Beispiel Verrichtung, Anwendung, Tätigkeit, Unternehmung oder Ausübung. Im deutschen Sprachgebrauch wird er auch als Praxis bezeichnet. Philosophisch betrachtet gilt die Praxis als „menschliche Lebenstätigkeit im allgemeinen, verstanden als tätige Auseinandersetzung des Menschen mit der ihn umgebenden Wirklichkeit.“[10] Das eigentliche Ziel der Praxis ist die Durchführung der Handlung selbst. Diese Handlung muss jedoch nicht immer positiv sein, sondern kann auch Mühe und Beschwerden mit sich bringen. Somit kann der Praxisbegriff auch für Schwierigkeit stehen.
Auch im alltäglichen Gebrauch findet der Begriff Praxis vielerlei Bedeutungen. So kann praktizieren beispielsweise für die Ausübung der Kunst stehen, sich in der Lehre befinden, um sich für das spätere Leben vorzubereiten oder auch für sämtliche Ausübungen im alltäglichen Leben. Im Sinne von Handlung und Ausübung der Kunst ist die Praxis der Theorie gegenüber zu stellen.
Jedoch entspricht nicht jede Tätigkeit und jede Verhaltensweise der Praxis, sondern nur solche, „welche im Einzelfall oder generell als Befolgung, Mittel zu Erreichung gewisser allgemein vorgestellter Prinzipien des Verfahrens oder gewisser Ziele gemeint werden, bzw. welche eine Missachtung derartiger Prinzipien und Ziele darstellen.“[11]
Jemand, der die Praxis anwendet oder ausführt, wird auch als Praktiker, im Griechischen practicus, betitelt. Damit sind vor allen Dingen Menschen gemeint, die eine Kunst beherrschen und ausüben, wie zum Beispiel ein Arzt oder Notar.[12]
In der Praxis wird immer nur ein Einzelfall betrachtet und somit ist es notwendig, dass immer wieder neue Entscheidungen getroffen werden. Damit soll auch gesagt sein, dass auch eine Vermeidung der Entscheidung selbst eine Entscheidung ist. Weil eine Entscheidung jedoch immer auf freien Willen beruht, hat die Praxis einen unausweichlichen Bezug zur Freiheit.[13]
3.2 Der Praxisbegriff im pädagogischen Sinn
Im pädagogischen Sinn ist der Praxisbegriff auch als pädagogisches Handeln zu bezeichnen. Das Einzigartige an diesem Handeln ist vor allen Dingen die Tatsache, dass Erwachsene und Heranwachsende permanent interagieren und kommunizieren. Die Pädagogen haben die Aufgabe, Vernunft- und Handlungsfähigkeiten zu beweisen, welche sie oft erst mit reichlich sozialer Erfahrung und Aneignungsprozessen erwerben müssen.[14]
In der Pädagogik gibt es drei Arten der Praxis. Die erste Art der Praxis verkörpert die Erziehungswissenschaft selbst, bei der zweiten Art werden die zukünftigen Pädagogen, wie zum Beispiel Erziehungswissenschaftsstudenten, auf ihren zukünftigen Beruf vorbereitet. Die dritte Art der pädagogischen Praxis ist der Beruf selber, nämlich einen Heranwachsenden auf sein späteres Leben vorzubereiten, ihn also zur Selbstständigkeit zu erziehen, sodass er in der Lage ist, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Dabei kommt es jedoch nicht nur auf seine Handlungs-, sondern genauso auf seine Erkenntnisfähigkeiten an. Diese dritte Art stellt ihre Hauptaufgabe dar.[15]
In der pädagogischen Betätigung lässt es sich nicht vermeiden, dass der Erzieher eine Autoritätsperson darstellen muss, auch wenn dies noch so zurückhaltend passiert, da sonst eine einflussreiche Erziehung nicht gewährleistet wäre.[16]
4. Das Theorie- Praxis-Verhältnis in der Pädagogik
4.1 Das Verhältnis allgemein
Wie schon genannt, haben die Pädagogen in der Praxis die Aufgabe, ihre Handlungsfähigkeiten zu beweisen. Sollten sich diese Bewerkstelligungen als empfehlenswert herausstellen, ist es somit möglich, eine allgemeine Theorie aufzustellen. Dennoch ist dabei immer zu beachten, dass jede pädagogische Handlung nur einmalig und individuell ist und somit nicht als Gesetz vorgegeben werden kann.
Für die pädagogische Praxis ist immer auch eine Theorie wesentlich, denn an einen Pädagogen werden stets hohe Ansprüche gestellt, mit denen er sich oft nur mit einem großen Umfang an Wissen erfolgreich auseinanderzusetzen vermag. „Hinzu kommen müssen Wahl und Einsatz jener Mittel, die geeignet erscheinen, gesetzte Zwecke unter gegebenen, zu verändernden oder zu schaffenden Bedingungen vorhersagbar zu erfüllen.“[17] Dafür ist es hingegen wiederum notwendig, eine umfassende Kenntnis darüber zu haben, welche Methoden notwendig erscheinen, diese Absichten mit Erfolg auszuüben. Solche Theorien gibt es zum Beispiel bei dem Ziel des erfolgversprechenden Lernens. Diese Theorien werden auch Lehr- oder Lerntheorien genannt. Weiterhin werden solche Theorien beispielsweise auch dazu aufgestellt, wie der Unterricht am besten funktionieren könnte.[18]
Die Theorie muss sich jedoch für eine Praxis nicht immer als richtig erweisen. Selbst wenn eine Praxis funktioniert, ist es noch kein Beweis dafür, dass die dazugehörige Theorie auch immer gerechtfertigt werden kann. Die Handlung gelingt vielleicht deshalb, weil die Theorie eine gute, brauchbare Anleitung ist, weshalb sie aber noch lange nicht wahr sein muss. Dennoch ändert diese Tatsache nichts daran, dass Pädagogen sich oft erst durch eine Theorie zu einer bestimmten Handlung inspirieren lassen.[19]
Die Praxis ist jedoch nicht in jeder Hinsicht von der Theorie abhängig, denn „Erziehen ist eine Gegebenheit, die nicht erst wissenschaftliche Theorie in die Erziehungspraxis hineingetragen hat.“[20] Beispielsweise schaffen es viele Eltern, hervorragende Erzieher zu sein, ohne dass sie sich jemals zuvor mit einer pädagogischen Theorie auseinandergesetzt haben und es ist auch nicht möglich, dass sich jeder Erzieher in sämtlichen individuellen Situationen auf irgendeine Theoretische Grundlage zu stützen vermag.
Die Theorie kann der Praxis jedoch niemals Entscheidungen abnehmen, oder ihr vorschreiben, was diese zu tun oder zu lassen hat, denn „[d]en pädagogischen Impetus und die pädagogische Produktivität kann keine Wissenschaft geben“[21], sondern sie kann höchstens Vorschläge oder stützende Argumente liefern, denn seine Entscheidungen muss der handelnde Praktiker stets individuell treffen.[22]
[...]
[1] Nohl 1988, S. 153
[2] ebd., S. 155
[3] Mittelstraß 1996b, S. 194
[4] vgl. Sayler 1968, S. 130
[5] vgl. Mittelstraß 1996b, S. 194
[6] vgl. Sayler 1968, S. 67
[7] Oelkers 1976, S. 93
[8] vgl. Oelkers 1976, S. 92 f.
[9] ebd., S. 93
[10] Mittelstraß 1996a, S. 336
[11] Sayler 1968, S. 129
[12] vgl. Sayler 1968, S. 113-116
[13] vgl. Sayler 1968, S. 129
[14] vgl. Oelkers 1976, S. 118 f.
[15] vgl. Oelkers 1976, S. 122
[16] vgl. Oelkers 1976, S. 120
[17] Heid 2001, S. 1090
[18] vgl. Heid 2001, S.1090 f.
[19] ebd., S. 1091
[20] Sayler 1968, S. 149
[21] Nohl 1988, S. 153
[22] vgl. Sayler 1968, S. 208