Reaktionäre Modernität und Medienrevolution im Zusammenhang mit der NS-Bücherverbrennung 1933


Presentación (Redacción), 2002

16 Páginas, Calificación: 1,0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Teil I
I. Der Begriff der reaktionaren Modernitat bei Georg Bollenbeck
Vorbemerkung
1. Einordnung des Ausnahmezustandes Bucherverbrennung in den historischen Kontext
2. Klarung der „Akademikerfrage“
3. Erlauterung des Begriffs der reaktionaren Modernitat

Teil II
II. Die Bucherverbrennung als Medienrevolution bei Thomas Lischeid
1. Theatralische Politik: Die NS-Bucherverbrennung 1933
2. Bucherverbrennung als Medienrevolution

Resumee

Literaturverzeichnis

Teil I

I. Der Begriff der reaktionaren Modernitat bei Georg Bollenbeck Vorbemerkung

Die vorliegende Arbeit stellt die schriftliche Ausarbeitung, des von mir im Sommersemester 2002 gehaltenen, gleichbetitelten Referats dar. Dabei teilt sich diese Ausarbeitung in die beiden Gliederungspunkte I. „Der Begriff der reaktionaren Modernitat bei Georg Bollenbeck“ und II. „Die Bucherverbrennung als Medienrevolution bei Thomas Lischeid“. Ich habe mich bewusst fur diese Vorgehensweise entschieden, um die Moglichkeit einer individuell zuordbaren Kritik zu schaffen.

Um die inhaltliche Konsistenz zwischen mundlicher und schriftlicher Ausarbeitung zu gewahren, habe ich mich des Weiteren dafur entschieden, Perspektive und Herangehensweise an den Themenkomplex bei der vorliegenden Referatsausarbeitung an jene der mundlichen Darstellungsweise moglichst anzunahern. Dort wo es moglich war, habe ich inhaltlich ein wenig variiert und den Schwerpunkte leicht verlagert um mich nicht in die Gefahr einer puren Paraphrasierung zu begeben.

Genau wie bei der Prasentation des Referates, stellt auch diese schriftliche Arbeit das Ergebnis einer themenverbindenden Vorgehensweise dar. Die beiden Teile interdependieren also und munden in einem gemeinsamen Resumee, in dem die vorliegende Ausarbeitung ihren Abschluss findet.

1. Einordnung des Ausnahmezustandes Bucherverbrennung in den historischen Kontext

Der 10. Mai 1933 stellt einen der schwarzesten Tage der deutschen Geschichte dar. Im Zuge des Prozesses der Machtergreifung Hitlers und des kollektiven Abdriftens des deutschen Volkes in den Nationalsozialismus ereignet sich die Bucherverbrennung[1]. In duzenden Stadten quer durch das gesamte Land kommt es zu geplanten und zelebrierten Verbrennungen von Schriftwerken der verschiedensten Autoren. Unter den Buchern, die den Flammen zum Opfer fallen befinden sich uberwiegend kommunistisch, marxistisch und leninistisch gepragte Schriften, sowie solche von Freigeistern, welche die sakulare Macht der Nazis nicht akzeptieren wollen und dagegen ,anschreiben“.

Nun uberrascht es, dass sich fur die Initiierung des besagten Ereignisses nicht etwa - wie man vielleicht vermuten konnte und wie es die verbreitete Meinung ist - allein Goebbels und sein Propagandaapparat verantwortlich zeigen, sondern eine ganzlich andere Gruppierung von Menschen. Initiator der Bucherverbrennung ist seinerzeit die deutsche Studentenschaft. Also eine Vereinigung, die sich aus Akademikern und Intellektuellen zusammensetzt. Selbstverstandlich wurde die Studentenschaft in ihren Bestrebungen tatkraftig von Goebbels und seinen Helfern unterstutzt, die eigentliche Initiative in Bezug auf das ,Event“[2] der Bucherverbrennung lag allerdings unabstreitbar bei besagter Studentenschaft (vgl. Bollenbeck 1999; 292). Beispielsweise wohnen vielerorts Professoren nicht nur billigend den Bucherverbrennungen bei, oder begruBen diese sogar, sondern halten selbst Brandreden.

Im Zuge einer Programmatik, die ihren Ausdruck unter anderem in den ,Zwolf Thesen wider den undeutschen Geist“ findet, werden Ziele verfolgt, die sich gegen die kulturelle Moderne, die Republik und gegen Mentalitaten richten, die „.. dem Radikalnationalismus und den autoritaren Ordnungswunschen widersprechen.“ (ebd.; 290).

Ein personifiziertes Feindbild ist schnell kreiert: Der Jude gilt als Agent der Moderne, der „.. ’den Fortschritt in seiner Destruktivitat symbolisiert’ (Georg L. Mosse) ...“ (ebd.; 291). Die Folge ist ein Antisemitismus, der schlieBlich eine Bekampfung der kulturellen Moderne selbst zur Folge hat.

Der geschilderte Sachverhalt sollte verwundern. Wie begrundet es sich, dass ausgerechnet gebildete Menschen organisiert gegen Autoren und deren Werke vorgehen und Zustimmung, sowie Ruckhalt und Unterstutzung aus den Reihen der Intellektuellen, der Hochschul-Elite und dem Bildungsburgertum erhalten? Der Beantwortung dieser Frage gehe ich im nachsten Kapitel nach.

2. Klarung der „Akademikerfrage“

Es erscheint paradox: Im kulturellen Bereich hat ende des 19. Jahrhunderts das Bildungsburgertum mit seinen, liberal und individualistisch gepragten Idealen von Bildung und Kultur die Vorherrschaft inne. Die Verbrennung von Buchern steht auf den ersten Blick in offenem Widerspruch zu diesen Wertvorstellungen. Doch trotz alledem ist gerade der akademische Nachwuchs ... von einem antiliberalen, antisemitischen und antisozialistischem Denken gepragt ...“ (ebd.; 293). Diese intoleranten und unreflektierten Aversionen richten sich gegen ein Ziel: Die moderne Kunst. Bollenbeck bringt dies noch unmissverstandlicher auf den Punkt, wenn er schreibt: ,pie deutschen Universitaten sind ... ein Bollwerk der Antimoderne.“ (ebd.; 293). Obwohl der akademische Nachwuchs in der Tradition des Bildungsburgertums steht, kommt es aus der Mitte dieser Gruppierung heraus zur Bucherverbrennung. Ein scheinbarer Widerspruch.

Um der Losung der Akademikerfrage naher zu kommen, also aufzuschlusseln, wie und warum es dazu kam, dass die gebildete Schicht gemeinsame Sache mit den Nazis machte, bedarf es einer differenzierten Betrachtung. Denn selbstverstandlich stellte das Bildungsburgertum keine homogene Masse von Menschen dar, in der stets Meinungskonsens herrschte. Und auch das Pochen auf die oben beschriebenen Werte Bildung und Kultur muss nicht unbedingt zu humanen und gerechten Handlungen fuhren. Gerade dieses Beharren auf den alten Wertvorstellungen fuhrte namlich dazu, dass die Bildungsburger eine starke Abneigung gegen die kulturelle Moderne entwickelten. Es fehlten die liberalen und progressiven Denker in den Reihen der Bildungselite und so war man verunsichert ob der neuen Stromungen in der Kultur, die sich abzeichneten. Bald wurde diese Verunsicherung zur Angst und der Wunsch nach Eingriffen des Staates wuchs: Die kulturelle Moderne, die sich in der Weimarer Republik entfalten und begrenzt durchsetzen konnte, sollte gestoppt werden. Sie wurde als Bedrohung der deutschen Kultur und des deutschen Geistes angesehen.

Hieraus lasst sich das ableiten, was Georg Bollenbeck als ,Selbstnazifizierung der Gebildeten“ bezeichnet. Er versteht darunter den Sachverhalt, dass der Nationalsozialismus kein Verfuhrer war, dem die Gebildeten und allem voran die akademische Jugend schutzlos ausgeliefert war, sondern, dass er als willkommenes ,Instrument“ aigesehen wurde um Losungen fur Probleme anzustreben, die im Wesentlichen pekuniarer Art waren. So fuhrt Bollenbeck (ebd.; 294) weiter aus: ,pie Studenten furchten, daB ihnen eine schlechtbezahlte Stelle oder die Arbeitslosigkeit droht.“ Und er wird noch genauer (ebd.): sie haben keine sichere Aussicht auf eine standesgemaBe Alimentierung. Das verbittert, schafft HaB und Wut gegenuber den judischen Intellektuellen’, die vermeintlich alle stellen besetzen.“ Der Hass gegen die judischen Intellektuellen, die als Agenten der kulturellen Moderne angesehen werden, wurzelt also in einer finanziellen Unzufriedenheit und der daraus resultierenden Zukunftsangst. Dabei lehnt der akademische Nachwuchs wie weiter oben schon erwahnt die kulturelle Moderne und die Republik ab, will aber dennoch nicht zuruck ins Kaiserreich und benutz trotz alledem die modernsten Mittel der Propaganda. Diesen kontroversen Zustand erklart Bollenbeck folgender MaBen: „.. sie [Die Studenten; F.K.] verstehen sich als eine Generation des ’Aufbruchs’ ...“ (ebd.). Die Annahme der nationalsozialistischen Kulturauffassung seitens der Akademiker und die emphatische Akzeptanz und Verinnerlichung dieser Aufbruchsstimmung gelingt den Nazis nach Bollenbecks Auffassung deswegen, weil sie in ein Dreistadienmodell, bestehend aus der (1) vergangenen GroBe, dem (2) gegenwartigen Zerfall und der (3) nahenden Rettung des deutschen Vaterlandes passt (vgl. ebd.; 296).

Dies fuhrt zur Beantwortung der immer noch offenen ,Akademikerfrage“. Zur Auflosung dieser Frage gelangt man uber Bollenbecks Terminus der Selbstnazifizierung. Mit diesem klart er eindeutig die Frage nach der Verantwortung fur das Geschehene: Die Studentenschaft, bzw. das Bildungsburgertum hat sich bewusst und willentlich eine pervertierte Ethik aufoktroyiert, um unter dem Schutz einer, durch Selbstgerechtigkeit und Berechnung erzeugten Heteronomie, frei von Skrupel und Gewissenskonflikten, gesetzte Ziele erreichen zu konnen. Bollenbeck schreibt, dass die Akademiker in den Nazis einen Gewahrsmann fur die Durchsetzung und Erlangung ihrer Ziele sahen (vgl. ebd.; 295) und die Nazis daruber hinaus keinen Druck auf die Akademiker ausuben mussten. Diese handelten also aus freien Stucken (vgl. ebd.; 296). Bollenbeck zieht ein vernichtendes Fazit, in dem er feststellt, dass das gesamte Bildungsburgertum mit seinen Wunschen nach der Reinigung der Kunst und einer autoritaren politischen Ordnung, dem Nazitum entgegen arbeitete (vgl. ebd.; 297).

3. Erlauterung des Begriffs der reaktionaren Modernitat

Zentral in Georg Bollenbecks Ausfuhrungen ist der Bergriff der reaktionaren Modernitat. Dieser geht auf den Historiker Jeffrey Herf zuruck, der ihn 1984 mit der Veroffentlichung seines Buches: ,Reactionary Modernism: Technology, Culture and Politics in Weimar and the Third Reich“ in den Diskurs um den Nationalsozialismus im Dritten Reich einbrachte.

Bei Georg Bollenbeck bezeichnet der Terminus der reaktionaren Modernitat im Wesentlichen die damals herrschende Mentalitat der Nazis im Umgang mit Kultur, Kunst und den Medien. Er entwickelt sein Begriffsverstandnis, dieser scheinbar kontradiktorischen Wortverbindung aus zwei Sachverhalten.

Erster Sachverhalt

Die Nazis unterdruckten, verboten und vernichteten alle Stromungen der kulturellen
Moderne. Die Werke von Freidenkern und progressiven Geistern wurden verbrannt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Symbiose dieser analytischen Zweigeteiltheit manifestierte sich im Handeln der Nazis. Diese haben eine diffuse Auffassung von Asthetik: Sie verbinden unter ihrer radikalen, diktatorischen Weisung Restbestande bildungsburgerlicher Kunst mit der Affirmation von Massenkultur[3]. Bollenbeck schreibt dazu: „Wenn es um den Wert- und Identifikationsbegriff deutsche Kunst geht, dann zeigt sich: Die Nationalsozialisten wissen nicht genau, was sie wollen, aber sie wissen ziemlich genau, was sie nicht wollen.“ (ebd.; 299). Obgleich die Nationalsozialisten also auf ein neues, homogenes Verstandnis, der deutschen Kunst und Kultur pochen, liefern sie keines Falls eine angemessene Programmatik dazu ab. Einheitlichkeit zeigt sich allein im organisierten Hass auf die kulturelle Moderne, im Laufe dessen sich die Bucherverbrennung ereignet. Die Faschisten fuhren, unter der philanthropischen Vorgabe, Kunst- und Kulturschaffende zu unterstutzen, die Reichskulturkammer (RKK) ein. In Wirklichkeit realisieren sie allerdings eine Zwangsorganisation ohne Gleichen. Der Kunstler als autonom schaffendes und kreatives Individuum, wird unter dem Einfluss dieser Institution abgeschafft. Ziel ist die Realisierung einer Volkskunst, in der Hohen-, Populare- und Massenkunste, vollig gleichberechtigt ineinander aufgehen. Alle Kunstler und Kunstarten sind auf einmal ganzlich gleichgeschaltet (vgl. ebd.; 302-304). Aber auch hierin kommt es zum absoluten Widerspruch, denn schon bald grenzen die Nazis alle Juden von der Volkskunst aus. Das national sozialistische Regime fuhrt seine vorgetauschten Bemuhungen um Kunst und Kultur offenkundig ad absurdum und praktiziert eine Politik, die zu einer historischen Entwicklung fuhrt, welche sich mit Bollenbecks Satz von der „.. widerspruchlichen Geschichte von langer Dauer“ am besten beschreiben lasst (ebd.; 290). Rund um das ,Projekt“ der RKK kommt es also zu reaktionar modernen Erscheinungen: Einerseits werden die trennscharfen Grenzen zwischen den bestehenden Kunsten aufgelost und ein neuer Kunst und Kulturbegriff angestrebt - beispielsweise wird der Film schon sehr fruh als Kunst angesehen und fur Propaganda Zwecke eingesetzt - (modern), andererseits demonstrieren die Nazis strikte Repression in Bezug auf unerwunschte Personengruppen (reaktionar).

Die Auflosungen der gesunden Spannung zwischen Tradition, Avantgarde, Reaktion und die daraus resultierende Erosion der bildungsburgerlichen Kunstsemantik, konnte erst durch die reaktionare Modernitat des NS-Regimes zustande kommen: Sprache und Bezeichnetes driften auseinander, die Grenzen zwischen Kunst und Leben werden verwischt (vgl. ebd.; 341).

[...]


[1] Ich verstehe diesen Begriff hier nicht als Bezeichnung eines singularen Ereignisses, sondern als eine Art Uberbegriff fur alle stattgefundenen Bucherverbrennungen. Das Phanomen Bucherverbrennung ist also gemeint.

[2] Ich verwende diesen modernen Begriff hier im Sinne von: Geplante, medienwirksame Veranstaltung zur Unterhaltung und Begeisterung einer groBen Menschenmasse mit beabsichtigter Beeinflussung der Letzteren.

[3] Goebbels protegiert den etablierten burgerlich-exklusiven Kunstbetrieb und setzt gleichzeitig auf die neuen Massenmedien (vgl. 1999; 301)

Final del extracto de 16 páginas

Detalles

Título
Reaktionäre Modernität und Medienrevolution im Zusammenhang mit der NS-Bücherverbrennung 1933
Universidad
University of Siegen  (Fachbereich 3 - Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaften)
Curso
Medienmentalitäten
Calificación
1,0
Autor
Año
2002
Páginas
16
No. de catálogo
V18124
ISBN (Ebook)
9783638225335
ISBN (Libro)
9783640179831
Tamaño de fichero
511 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Reaktionäre, Modernität, Medienrevolution, Zusammenhang, NS-Bücherverbrennung, Medienmentalitäten
Citar trabajo
Fabian Kockartz (Autor), 2002, Reaktionäre Modernität und Medienrevolution im Zusammenhang mit der NS-Bücherverbrennung 1933, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18124

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