Die Erzählungen um die großen mythologischen Gestalten der griechisch-römischen Antike haben auch nach Jahrtausenden, in denen sie verschiedensten Wandlungen unterworfen waren, bis in die gegenwärtige Zeit eine unverminderte Aktualität behalten. In den Bereichen Literatur, bildender Kunst, Musik und in neuester Zeit auch im Film führte die Faszination an den griechischen Heroen, Heroinen und Göttern über Epochen- und Kulturgrenzen hinweg zu immer wiederkehrenden Auseinandersetzungen mit denselben überlieferten mythischen Stoffen und damit einem stets erneuten Aufleben der herausragenden antiken Figuren.
Zu diesen mythologischen Geschichten, auf die seit ihrem Aufkommen vornehmlich Schriftsteller verschiedener Zeiten ihr Augenmerk legten, gehört auch die Sage von Phädra und Hippolytos, einem „Paar, das kein Paar war“ . Seit seinem Aufkommen in der Literatur unterlag dieser Mythos wie die zahlreich anderen Erzählungen von berühmten mythischen Gestalten einem ständigen Wandel. Das Motiv der verheirateten Frau, die sich in ihren Stiefsohn verliebt und den jüngeren Mann als Folge der unerwiderten Liebesleidenschaft mit einer Verleumdung bei ihrem Ehemann zugrunde richtet, ist zu einer légende universelle geworden, die im Laufe der Jahrhunderte in den verschiedenen Epochen stets von neuem rezipiert wurde und infolge der unterschiedlichen Weltanschauungen und Anthropologien der jeweiligen Zeiten mannigfaltige literarische Varianten dieser matière mit sich brachte.
Diejenige literarische Gattung, innerhalb welcher die ständigen Neugestaltungen und Umdeutungen des Mythos von Phädra und ihrer unglückseligen Liebe zu ihrem Stiefsohn am deutlichsten von einem kontinuierlichen Interesse an dieser Geschichte zeugen, ist die Tragödie (charakterisiert sich diese im Allgemeinen doch gerade dadurch, dass sie als ihr bevorzugtes Thema antike Mythen behandelt).
Erstmals liegt uns die Bearbeitung des Mythos von Phädra und ihrem Schicksal in Euripides’ Tragödie Hippolytos Stephanephoros (oder stephanías) („der Kranzträger“ oder „der Kranz darbringende Hippolytos“) vor, der ältesten Version der Sage, die in vollständig ausgearbeiteter Form überliefert und uns heute noch erhalten ist. Eine weitere zu diesem Stoff verfasste Version des Euripides, der Hippolytos Kalyptomenos („der sein Haupt verhüllt“), ist nur in wenigen Fragmenten erhalten (...)
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Der Phädra-Hippolytos-Mythos – Eine Légende Universelle
- 3. Das Tragische als Zeit- und Kontextabhängiger Begriff
- 4. Der Phädra-Hippolytos-Mythos bei Euripides
- 4.1. Der Tragische Handlungsstrang
- 4.1.1. Die Enthüllung der verbotenen Leidenschaft (Erste Hauptszene)
- 4.1.2. Das Scheitern des Kuppelversuchs und Phaidras Racheplan (Zweite Hauptszene)
- 4.1.3. Die Bestrafung des Hippolytos (Dritte Hauptszene)
- 4.2. Die Tragischen Figuren
- 4.2.1. Hippolytos
- 4.2.2. Phaidra
- 4.2.3. Theseus
- 4.2.4. Die Amme
- 4.3. Tragik bei Euripides: Die Hamartia des Tragischen Helden
- 4.3.1. Der Begriff der Hamartia
- 4.3.2. Die Hamartia des Hippolytos
- 4.3.3. Die Hamartia der anderen Figuren
- 4.4. Die Schuldfrage bei Euripides
- 4.1. Der Tragische Handlungsstrang
- 5. Der Phädra-Hippolytos-Mythos bei Seneca
- 5.1. Der Tragische Handlungsstrang
- 5.1.1. Die domina-nutrix-Szene
- 5.1.2. Die Hippolytus-nutrix-Szene
- 5.1.3. Die Phaedra-Hippolytus-Szene
- 5.1.4. Verleumdung und Fluch
- 5.1.5. Das tragische Ende: Phaedras Schuldbekenntnis
- 5.2. Die Tragischen Figuren
- 5.2.1. Phaedra
- 5.2.2. Hippolytus
- 5.2.3. Theseus
- 5.2.4. Die Amme
- 5.3. Tragik bei Seneca: Die Verkehrung der Kosmischen Ordnung
- 5.3.1. Seneca und der Stoizismus
- 5.3.1.1. Die antike Stoa und ihre Philosophie der Affekte
- 5.3.1.2. Senecas philosophische Schriften als Interpretationsgrundlage der Tragödien
- 5.3.1.3. Senecas Tragödien: natura versa est
- 5.3.2. Phaedra: vicit ac regnat furor
- 5.3.3. Furor bei den anderen Figuren
- 5.3.1. Seneca und der Stoizismus
- 5.4. Die Schuldfrage bei Seneca
- 5.1. Der Tragische Handlungsstrang
- 6. Der Phädra-Hippolytos-Mythos bei Racine
- 6.1. Racine und die Préface der Phèdre
- 6.2. Der Tragische Handlungsstrang
- 6.2.1. Die Geständnisse vor den Vertrauten (I, 1 und I, 3)
- 6.2.2. Die Geständnisse vor den Geliebten (II, 2 und II, 5)
- 6.2.3. Thésées Rückkehr und der Verleumdungsplan (III,3)
- 6.2.4. Verleumdung und Verfluchung des Hippolyte (IV, 1, 2)
- 6.2.5. Phèdres Eifersucht (IV, 4f.)
- 6.2.6. Phèdres Selbstbestrafung (V, 7)
- 6.3. Die Tragischen Figuren
- 6.3.1. Phèdre
- 6.3.2. Hippolyte
- 6.3.3. Thésée
- 6.3.4. Oeone
- 6.3.5. Aricie
- 6.4. Tragik bei Racine: Die Autonomisierung der Leidenschaft
- 6.4.1. Hintergrund: Das Menschenbild des Jansenismus
- 6.4.1.1. Der Jansenismus: Theologie und Geschichte
- 6.4.1.2. Phèdre als jansenistisches Stück
- 6.4.2. Die Anthropologie der Schwäche im 17. Jh.
- 6.4.2.1. Racine und die Leidenschaften
- 6.4.2.2. Racine und der Durchbruch des Archaischen
- 6.4.3. Phèdre und die autonome Leidenschaft
- 6.4.4. Die faiblesse des Hippolyte
- 6.4.1. Hintergrund: Das Menschenbild des Jansenismus
- 6.5. Die Schuldfrage bei Racine
- 7. Résumé
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Rezeption des Phädra-Hippolytos-Mythos bei Euripides, Seneca und Racine, indem sie die verschiedenen literarischen Bearbeitungen im Hinblick auf die jeweilige Konzeption des Tragischen analysiert. Das Ziel ist es, den Wandel des Mythos über die Jahrhunderte hinweg zu beleuchten und die spezifischen Charakteristika der Entstehungszeit der jeweiligen Werke zu verdeutlichen.
- Der Wandel des Phädra-Hippolytos-Mythos über die Jahrhunderte
- Die unterschiedlichen Konzeptionen des Tragischen bei Euripides, Seneca und Racine
- Die Charakterisierung der tragischen Figuren in den jeweiligen Werken
- Die Rolle der Schuldfrage in den verschiedenen Interpretationen
- Der Einfluss der jeweiligen historischen und philosophischen Kontexte
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik ein und erläutert die kontinuierliche Rezeption des Mythos. Kapitel 4 analysiert Euripides' Version, fokussiert auf den Handlungsverlauf, die tragischen Figuren und den Begriff der Hamartia. Kapitel 5 befasst sich mit Senecas Bearbeitung, unter Berücksichtigung des stoischen Kontextes und der Verkehrung der kosmischen Ordnung. Kapitel 6 untersucht Racines Phèdre, indem es dessen Bezug zum Jansenismus und die Autonomisierung der Leidenschaften beleuchtet. Die Kapitel beschränken sich auf die Darstellung der Handlung und Charaktere, ohne die jeweiligen Schlussfolgerungen vorwegzunehmen.
Schlüsselwörter
Phädra-Hippolytos-Mythos, Euripides, Seneca, Racine, Tragödie, Tragisches, Hamartia, Stoizismus, Jansenismus, Schuldfrage, Rezeption, Antike, Renaissance, Leidenschaft.
- Arbeit zitieren
- Christine Koch (Autor:in), 2009, Zur Rezeption des Phädra-Hippolytos-Mythos bei Euripides, Seneca und Racine, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/181321