Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt im Bereich des emotionalen Erlernens und sozialen Handelns
2.1 Problematik der Begriffsbestimmung
2.2 Lernrelevante Verhaltensmerkmale bei emosoz- Schülern
2.3 Die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz
3. Offener Unterricht
3.1 Begriff und Dimensionen des offenen Unterrichts
3.2 Wochenplanarbeit
3.3 Diskussion und Forschungsstand im Hinblick auf den offenen Unterricht mit emosoz- Schülern
4. Fazit
5. Literatur
Anhang
I Beispiel Wochenplan
II Tabelle Unterrichtsformen
1. Einleitung
In den letzten Jahren sind die Ziele des offenen Unterrichts eine wichtige Größe der Grundschulpädagogik geworden. Zu den Zielen gehören u.a. Ganzheitlichkeit, Selbstständigkeit, Lebensunmittelbarkeit und soziales Lernen.1 Sie sind ein fester Bestandteil in der Didaktik und Methodik des Unterrichts der Grundschule. Ebenso verlangen auch Fachdidaktiker den Unterricht bei Kindern und Jugendlichen mit dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung weiter zu öffnen, da diese Schülergruppe keine spezielle Didaktik bedürfe.2 Auch die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz3 verweisen auf individuelle Förderungen der Schülerinnen und Schüler4 mithilfe öffnender Unterrichtsformen. Herkömmliche Unterrichtskonzepte sind im Unterricht für Schüler mit emotionalen und sozialen Förderbedarf kaum noch durchführbar, wenn die Lehrkräfte den besonderen Bedürfnissen dieser Schülergruppe gerecht werden wollen.5 Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass sich die offenen Unterrichtsformen wie die Arbeit mit dem Wochenplan für die in sich sehr differente Schülerklientel als geeignet erweisen, da immer wieder Autoren betonen, dass dieser Schülergruppe die nötigen Kompetenzen wie z.B. Handlungsplanung und Regelbeachtung fehlen und so klar strukturierte Lernarrangements vorzuziehen seien.6 In der anschließenden Ausarbeitung soll daher erläutert und an empirischen Daten untersucht werden, ob der offene Unterricht und speziell die Arbeit mit dem Wochenplan sich positiv auf das Lernverhalten von Schülern mit emotionalen und sozialen Förderbedarf auswirken kann.
Der entscheidende Ausgangspunkt sind die Adressaten des Unterrichts - die Schüler mit emotionalen und sozialem Förderbedarf - und rücken somit als erstes in den Blickpunkt. Dies bezüglich werden die relevanten Begrifflichkeiten betrachtet, die diese Schülergruppe umschreiben. Allerdings existieren verschiedene Begriffsdefinitionen in der Fachliteratur, daher ist es notwendig zu klären, wer überhaupt gemeint ist, wenn von Schülern mit Emotionalen und sozialem Förderbedarf bzw. „Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten“ bzw. „Verhaltensstörungen“ gesprochen wird.7 Darüber hinaus werden lernrelevante Verhaltensmerkmale dargestellt, da es insbesondere für den Unterricht wichtig ist zu wissen, welche Problembereiche bzgl. des Lernverhaltens die Schüler mit sich bringen, um auf diese eingehen zu können. Daraufhin erfolgt die Darstellung der Empfehlungen der KMK für den Unterricht mit emosoz- Schülern8, um eine Orientierung zu geben, welche Unterrichtskonzepte bzw. Unterrichtsformen bei ihnen angewendet werden sollen.
Das dritte Kapitel beginnt mit dem Problem der Definition von offenem Unterricht und dem Versuch ihn durch das Aufzeigen verschiedener Dimensionen von „Offenheit" deutlicher einzugrenzen. Jedoch kann in dieser Hinsicht - wegen der enormen Vielfalt dieses Themenbereichs und den knapp bemessenden Umfang dieser Arbeit - nur ansatzweise auf die einzelnen Behandlungspunkte eingegangen werden. Danach steht die Vorstellung der offenen Unterrichtsform „Wochenplanarbeit" im Vordergrund. Im Anschluss wird an empirischen Daten untersucht und diskutiert, ob die Wochenplanarbeit im Unterricht mit emosoz- Schülern einsetzbar ist und welche Dinge hierbei möglicherweise berücksichtigt werden sollten. Das vierte Kapitel rundet mit dem zusammenfassenden Fazit diese Ausarbeitung ab.
2. Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt im Bereich des emotionalen Erlernens und sozialen Handelns
2.1 Problematik der Begriffsbestimmung
In der Fachliteratur befinden sich unterschiedliche Bezeichnungen für die thematisierte Schülergruppe. Auch hinsichtlich der Terminologie der inhaltlichen Begriffsbestimmungen bestehen große Kontroversen.9 Anfangs wurden betroffene Kinder als schwer erziehbar, erziehungsgehemmt, entwicklungsgestört oder psychisch krank bezeichnet.10 Seit den 1950er Jahren setzte sich der Begriff „Kinder mit Verhaltensstörung" bzw. ca. 1960 „Kinder mit Verhaltensauffälligkeit" vor dem Hintergrund des „Etikettierungsansatzes" immer mehr durch.11 Hierbei fielen unter Verhaltensstörungen zunächst alle möglichen Auffälligkeiten - die sich hauptsächlich auf das als „gestört" klassifizierte Verhalten der Kinder beziehen - von der Ungehorsamkeit bis hin zur Kriminalität.12 Auf Personen zurückzuführende Ursachen, wie bspw. psychische Krankheiten, wurden nicht berücksichtigt.13 „Verhaltensstörung wird als fixierte seelische Konfliktlage verstanden, die gleichermaßen individuelle wie soziale Aspekte aufweisen kann. Geisteskrankheiten bleiben hierbei ausgeklammert"14. Währenddessen wird von Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten gesprochen, wenn es „jemanden gibt, dem ein Verhalten auffällt bzw. von dessen Erwartungen bzw. Normen [Idealnorm, statistische und funktionale Norm15 ] es abweicht“16. Opp und Unger benutzen darüber hinaus den Begriff der „Gefühls- und Verhaltensstörungen“, und beziehen somit Störungen des emotionalen Verhaltens explizit mit ein.17 Nach den Empfehlungen der KMK von 1994 bzw. der Spezialisierung von 2000 spricht man bei dieser Schülergruppe von „Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung“ bzw. von „Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt im Bereich des emotionalen Erlernens und sozialen Handelns“18. Hierbei wird hervorgehoben, dass diese Beeinträchtigungen „keine feststehenden und situationsunabhängigen Tatsachen dar[stellen], sondern [...] Entwicklungsprozessen [unterliegen], die durch veränderbare außerindividuelle Gegebenheiten beeinflusst werden können. Sie sind nicht auf unveränderliche Eigenschaften der Persönlichkeit zurückzuführen, sondern als Folge einer inneren Erlebnis- und Erfahrungswelt anzusehen, die sich in Interaktionsprozessen im persönlichen, familiären, schulischen und gesellschaftlichen Umfeld herausbildet“19. Jedoch erhalten die Schüler nur sonderpädagogischen Förderbedarf, „wenn sie in ihren Bildungs-, Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten so eingeschränkt sind, dass sie im Unterricht der allgemeinen Schule auch mit Hilfe anderer Dienste nicht hinreichend gefördert werden können“20. Textor (2007) stellt Gemeinsamkeiten von den in der Literatur verwendeten Definitionen heraus. Laut ihr haben „„Verhaltensauffälligkeiten“ bzw. „Verhaltensstörungen“ gemeinsam, dass das Verhalten von institutionalisierten Verhaltenserwartungen abweicht und sich qualitativ und quantitativ von „normalem“ abweichenden Verhalten unterscheidet. Dass bedeutet genauer, dass es
- häufig und über einen längeren Zeitraum hinweg auftritt,
- unter unterschiedlichen Bedingungen in verschiedenen Situationen bzw. in mindestens zwei verschiedenen Settings auftritt,
- ohne Behandlung langfristig negative Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung hat und
- langfristig veränderbar ist, d.h. dass durch Hilfeleistung der Weg wieder frei zu machen ist für die weitere adäquate Sozialisation“21.
Dies verdeutlicht die Schwierigkeit der Begriffsbestimmung, da es in der Literatur keine Einigkeit gibt, wann explizit ein abweichendes Verhalten vorliegt „und in welcher Qualität und Quantität ein solches Verhalten auftreten muss, damit einem Kind Förderbedarf im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung zuerkannt wird“22. Darüber hinaus sind „Verhaltensauffälligkeiten“ u.a. abhängig vom spezifischen Alter der Kinder, ihrem kulturellen Hintergrund, aber auch unter zeitspezifische Erwartungsnormen zu betrachten.23
2.2 Lernrelevante Verhaltensmerkmale bei emosoz-Schülern
Wie bereits in Kap. 2.1 gezeigt, ist es schwer, eine genaue Definition für diese Schülergruppe mit entsprechenden Verhaltensmerkmalen zu geben. Dennoch ist es für den Unterricht notwendig, „die möglicherweise beeinträchtigten Bereiche genauer zu betrachten“, da nur so ein Lernfortschritt erzielt werden kann24. An dieser Stelle kommt erschwerend hinzu, dass der schulische Förderbedarf im Bereich emotionale und soziale Entwicklung auch gemeinsam mit Förderbedarf in anderen Bereichen auftreten kann. Insbesondere werden in der Fachliteratur hier die Bereiche „Lernen“ und „Sprache“ genannt.25
In den KMK- Empfehlungen sind Angaben zum schulischen Verhalten der emosoz- Schüler aufgeführt, die für die Unterrichtsgestaltung und Organisation der Lernwege als relevant angesehen werden können und daher hier zur Hilfe hinzugezogen werden:
- häufige Motivationsarmut und Antriebsarmut
- Konzentrationsprobleme
- hohe Ablenkbarkeit
- zeitweise Übereifer und spontane Arbeitsbereitschaft
- Versuchen sich durch diverse Aktionen in den Mittelpunkt zustellen/ benötigen permanente Aufmerksamkeit
- häufig negative Kontaktaufnahme (z.B. schimpfen, Aggressionen) gegenüber Mitschülern und Lehrkräften
- Leistungs- und Schulverweigerung (Schulschwänzen) aber auch:
- Kontaktarmut, auffallend ruhiges bzw. passives Verhalten
- Ängstlichkeit, Mutlosigkeit, Fehlen von Selbstvertrauen
- Rückzug auf frühere Entwicklungsphasen und Verhaltensmuster26
2.2 Die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz
Bei der Organisation, Gestaltung der Lernwege und Sozialformen des Unterrichts müssen die gegebenen Erschwernisse berücksichtigt werden, um den emosoz- Schülern ein erfolgreiches Lernen zu ermöglichen und sie auf die bevorstehende Berufswelt vorzubereiten. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass zur individuellen Förderung der Schüler nicht nur die Unterrichtsgestaltung anzupassen ist, sondern auch übergreifende Maßnahmen und Hilfen hinzugezogen werden sollten, wie z.B. medizinische Therapien oder/und Jugendhilfemaßnahmen.27 Jedoch bleiben diese Aspekte, sowie eine genaue Untersuchung der Schüler- und Lehrerrolle aufgrund des begrenzten Rahmens unberücksichtigt.
Die Aufgaben und Ziele bei der Unterrichtung von emosoz- Schüler sind sehr komplex.28 Der Unterricht sollte nicht nur zur Vermittlung von Schulwissen und der Entwicklung von Fähigkeiten und Fertigkeiten dienen, sondern auch die Erziehung der Schüler - Vermittlung von Einstellungen und Wertehaltung - spielt hier deutlicher als in anderen Schulen eine besondere Rolle.29 Dabei erfordert „die Lösung der dualen Aufgabenstellung [...] hohe Kompetenzen in Didaktik und Methodik des Unterrichts"30. Zusätzlich kommt für die Lehrkräfte erschwerend hinzu, dass sich die curricularen Vorgaben an den Lehrplänen orientieren, die dem Bildungsgang des Schülers entsprechen (Schulstufen und Schulformen), um eine Rückführung der Schüler theoretisch zu sichern.31 Aufgrund der verstärkten Problematiken der emosoz-Schüler im Lern und Verhaltensbereich kommt den Lehrkräften hinsichtlich der Organisation und Gestaltung der Unterrichtsmethoden und Sozialformen dieser Schülergruppe eine besondere Bedeutung zu.32 Um einen Leitfaden zu haben, welche Maßnahmen für den Unterricht mit emosoz- Schülern als sinnvoll gelten, werden die Empfehlungen der KMK zur Hilfe hinzugezogen, da sie „als normative Präskriptionen Einfluss haben"33. Dennoch weist Hennemann [u.a.] (2009) darauf hin, dass der Projekt- und handlungsorientierte Unterricht wie er hier beschrieben wird, eine Idealform darstellt, die erst noch in die Praxis umgesetzt werden muss.34
Laut den Empfehlungen sollte der Unterricht für emosoz- Schüler praxisnah, von einer handlungsorientierten Didaktik geprägt und gemeinsam mit den Schülern mitgestaltet werden, so dass das „Lernen mit allen Sinnen" ermöglicht werden kann.35 Das gemeinsame Lernen und Gestalten des Unterrichts erfordert eine hohe soziale Kommunikationsbereitschaft, deshalb werden hier entsprechend Sozialformen bevorzugt, die die Kooperation und soziales Lernen mit einschließen.36 Als mögliche Sozialform wird in den Empfehlungen immer wieder Projektarbeit aufgegriffen.
[...]
1 vgl. Peschel 2009, S.1
2 vgl. Hartke 2008, S.797 Dies gilt für Schülerinnen und Schüler die integrativ Unterricht werden, als auch für diejenigen die eine Förderschule besuchen. Darüber hinaus sollte jedoch der Integrationsaspekt im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter berücksichtigt werden.
3 Um den Lesefluss nicht zu hemmen wird die Abkürzung KMK verwendet.
4 Um den Lesefluss nicht zu hemmen, wird durchgehend das männliche Genus verwendet. Gemeint sind aber in diesen Fällen beide Geschlechter.
5 vgl. Vernooij 2008, S.810
6 vgl. Hillenbrand 2003, S.233
7 Eine exakte Definition ist laut Literatur aufgrund der komplexen Problematik, nur annäherungsweise und unvollkommen möglich.
8 In der vorliegenden Arbeit wird der von der KMK benutzte Begriff „Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf im Bereich emotionale und soziale Entwicklung wie folgt abgekürzt „emosoz- Schüler“, um den Lesefluss nicht zu hemmen.
9 vgl. Textor 2007, S.14
10 ebd.
11 vgl. Myschker 2002, S.41; vgl. Textor 2007, S.14
12 vgl. Textor 2007, S.14
13 vgl. Atzesberger [u.a.] 1990, S.12; vgl. Textor 2007, S.14
14 Atzesberger [u.a.] 1990, S.12
15 Nähere Informationen hierzu bei Mutzeck 2000, S.18f.
16 Textor 2007, S.15
17 vgl. ebd., 14f.
18 KMK 2000, S.369
19 ebd., S.345
20 ebd., S.349
21 Textor 2007, S.18f.
22 ebd., S.19
23 vgl. Textor 2007, S.12
24 Scherer 1995, S.21
25 vgl. KMK 2000, S.347; vgl. Myschker 2002, S.62ff.
26 vgl. KMK 2000, S.347f.
27 vgl. KMK 2000, S. 363f.
28 vgl. Hennemann [u.a.] 2009, S.131
29 vgl. KMK 2000, S.352; vgl.Vernooij 2008, S.810
30 Hennemann [u.a.] 2009, S.132
31 vgl. ebd., S.131f.
32 vgl. Hartke 2008, S.798
33 Hennemann [u.a.] 2009, S.132
34 vgl. Hennemann [u.a.] 2009, S.133
35 vgl. KMK 2000, S.353f.
36 vgl. Hennemann [u.a.] 2009, S.133