[...] Nachdem in früherer Zeit - oft aus der Zielsetzung heraus, die "Modernität"
der bürgerlichen Gesellschaft bis in die Städte des Mittelalters
zurückzuverfolgen - manche einseitig behandelten Phänomene wie die Rolle der
Kaufmannschaft oder regionale Erscheinungen auf die Entwicklung des gesamten
deutschen Städtewesens verallgemeinert wurden, setzt sich inzwischen eine
zunehmend differenzierte Sichtweise durch.2 Ein Vergleich der Verfassung verschiedener
Städte sollte sich daher auf Beispiele beschränken, die aufgrund
ähnlicher Strukturen tatsächlich vergleichbar sind. Die allmähliche Herausbildung der
Stadt im Sinne eines Lebensraumes mit besonderen rechtlichen und politischen
Strukturen kann besonders gut aufgezeigt werden am Beispiel der rheinischen Bischofsstädte,
die als "gewachsene" Städte nicht fertige Modelle von außen
übernahmen, sondern sämtliche Entwicklungsschritte eigenständig und in ihren
eigenen Mauern vollzogen. Innerhalb dieser großen Gruppe wiederum seien hier
Worms und Speyer ausgewählt, die durch ihre räumliche Nähe beinahe identische
Ausgangsvoraussetzungen mitbringen.
Die in der Geschichte der beiden Städte deutlich werdenden Entwicklungslinien
überschneiden sich zum Teil, müssen der besseren Übersicht halber in der
folgenden Darstellung aber getrennt behandelt werden. Etwa im Laufe des 10.
Jahrhunderts bildete sich zunächst die Herrschaft der Bischöfe über ihre Städte im
weltlichen Bereich heraus. In der Salierzeit entstand dann die Bürgergemeinde als
eigenständiger, vom Umland getrennter Rechtsbereich; diese Entwicklung kam erst
in der Stauferzeit gegen Ende des 12. Jahrhunderts zum Abschluß. Vor allem aber
war die Stauferzeit die Phase der Entwicklung der städtischen Unabhängigkeit vom
Stadtherrn. Dazu gehörten die Entstehung des Stadtrates, die Übernahme der zuvor
bischöflichen Ämter in der Stadt und schließlich die eigene, städtische
Gesetzgebung. In der späten Stauferzeit endlich kam es zu teilweise schweren
Auseinandersetzungen mit den Bischöfen um die Stadtherrschaft, die nicht zuletzt auch mit den reichspolitischen Kämpfen dieser Zeit zusammenhingen. Dieser Aspekt
städtischer Geschichte in der Stauferzeit, die sich in der ersten Hälfte des 13.
Jahrhunderts vollziehende verfassungsrechtliche und politische Emanzipation der
Stadtgemeinde von ihrem bischöflichen Stadtherrn, ist das zentrale Thema der
vorliegenden Arbeit.
2 Vgl. Opll, Stadt, S. 11-16; Ennen, Stadt, S. 110-144.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Vorgeschichte: Die Entwicklung bis zum 12. Jahrhundert
- Die Herausbildung der bischöflichen Stadtherrschaft
- Die Anfänge der Bürgergemeinde
- Die Entstehung der städtischen Selbstverwaltung
- Der Stadtrat
- Die Ämter
- Ansätze städtischer Gesetzgebung
- Die Städte zwischen Königtum und Bischofsherrschaft
- Erste Spannungen in den Städten
- Worms in der Auseinandersetzung zwischen Friedrich II. und Heinrich (VII.)
- Die Städte im Kampf zwischen den Staufern und dem Papsttum
- Schluß
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die verfassungsrechtliche und politische Emanzipation der Stadtgemeinden Speyer und Worms von ihrem bischöflichen Stadtherrn im Verlauf der Stauferzeit. Sie vergleicht die Entwicklung beider Städte vor dem Hintergrund ihrer ähnlichen Strukturen und Ausgangsvoraussetzungen.
- Herausbildung der bischöflichen Stadtherrschaft im 10. Jahrhundert
- Entstehung der Bürgergemeinde als eigenständiger Rechtsbereich in der Salierzeit
- Entwicklung der städtischen Unabhängigkeit vom Stadtherrn in der Stauferzeit
- Entstehung des Stadtrates und Übernahme bischöflicher Ämter
- Städtische Gesetzgebung und Auseinandersetzungen mit den Bischöfen um die Stadtherrschaft
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung erläutert die Bedeutung der Städte Speyer und Worms für die Erforschung der frühen Stadtentwicklung. Kapitel 2 betrachtet die Vorgeschichte der beiden Städte bis zum 12. Jahrhundert. Es beschreibt die Herausbildung der bischöflichen Stadtherrschaft und die Entstehung der Bürgergemeinde. Kapitel 3 beleuchtet die Entstehung der städtischen Selbstverwaltung, insbesondere den Stadtrat, die Ämter und die Ansätze städtischer Gesetzgebung. Kapitel 4 befasst sich mit den Spannungen zwischen den Städten, dem Königtum und der Bischofsherrschaft. Es beleuchtet die Auseinandersetzung zwischen Friedrich II. und Heinrich (VII.) in Worms sowie die Konflikte zwischen den Staufern und dem Papsttum.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf die Themen der Stadtverfassung, der städtischen Selbstverwaltung, der Beziehungen zwischen Stadt und Stadtherrn, der Rolle der Bürgergemeinde und der Konflikte zwischen Staufern und Papsttum. Die Arbeit analysiert die Entwicklung der beiden Städte Speyer und Worms und stellt sie in einen vergleichenden Kontext.
- Quote paper
- Sabine Schleichert (Author), 1992, Die Stadtverfassung von Speyer und Worms in staufischer Zeit. Ein Vergleich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18209