Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
0. Einleitung
1. Die psychische Störung Depression
1.1 Definition
1.2 Entstehungstheorien
1.3 Risikofaktoren
1.4 Therapie
1.4.1 Medikamentöse Therapie
1.4.2 Psychotherapie
1.4.3 Soziotherapie
1.4.4 Sonstige Therapien
1.5 Verlauf und Prognose
2. Begriff Diagnostik und diagnostischer Prozess
3. Interview/ Erstgespräch
3.1 Grundsätzliches
3.2 Besonderheit Suizidalität
4. Weiterführende Diagnostik
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
0. Einleitung
„Depression - eine Volkskrankheit?“ so und ähnlich titeln SPIEGEL, Bildzeitung und Co., nicht zuletzt, seitdem immer häufiger Fälle bekannt werden, bei denen Personen des öffentlichen Lebens, wie z.B. Nationaltorwart Robert Enke, an Depressionen erkranken und sich, wie in seinem Fall, die gesamte Tragik dieser Erkrankung deutlich macht. Auch wissenschaftliche Studien bestätigen, dass es sich bei der Störungsgruppe der Depressionen um eine häufig auftretende Erkrankung handelt. Das Risiko, im Laufe des Lebens an dieser Störung zu leiden (Lebenszeitprävalenz) liegt bei 7-18% (Mahnkopf, 2005). Verdeutlicht man sich, dass die Punktprävalenzzahlen (Anzahl der zu einem bestimmten Zeitpunkt kranken Personen einer bestimmten Population) für eine akute depressive Episode für Männer bei ca. 3% und für Frauen bei rund 6% liegen, wird klar, dass eine Diskussion und auch öffentliche Betrachtung dieser Thematik, für jeden von uns Relevanz besitzt. Wie im Folgenden gezeigt wird, beste- hen auch enge Zusammenhänge mit anderen psychiatrischen Erkrankungen, wie z.B. Angst- und Persönlichkeitsstörungen, sodass man davon ausgehen kann, dass die Dunkelziffern hö- her liegen. Dies nehme ich zum Anlass, das Krankheitsbild Depression überblicksartig zu er- läutern und werde im Anschluss darauf eingehen, wie und mit welchen Mitteln man, als The- rapeut im Erstgespräch, zu dieser Diagnose kommen kann und welche Kompetenzen dafür unabdingbar sind.
1.Die psychische Störung Depression
1.1. Definition
Die Inhalte im folgenden Abschnitt sind, mit Ausnahme des letzten Absatzes, entnommen aus „ICD-10 Internationale Klassifikation psychischer Störungen“ (Dilling & Mombour & Schmidt, 2005).
Unter Depression wird eine Gruppe von Störungen verstanden, deren Hauptsymp- tome, in einer Veränderung der Stimmung bzw. Affektivität entweder zur Depression (mit oder ohne begleitende Angst), oder zur gehobenen Stimmung bestehen. Meist ist diese Ver- änderung einhergehend mit einem Wechsel im allgemeinen Aktivitätsniveau. Andere auftre- tende Symptome beruhen darauf oder sind im Zusammenhang damit leicht zu verstehen. Im Allgemeinen besteht eine Neigung zu Rückfällen und der Beginn der einzelnen Episoden ist häufig mit belastenden Ereignissen in Zusammenhang zu bringen. (ICD-10, 2005)
Im ICD-10 ist diese Störungsgruppe im Kapitel V, Psychische und Verhaltensstörungen (F00-F99) zu finden. Sie wird in diesem Klassifikationssystem in die Untergruppe der Affektiven Störungen (F30-F39) eingeordnet. Im Folgenden werden die einzelnen Diagnosen genannt und im Anschluss werde ich auf die, für diese Arbeit Wichtigen ausführlicher eingehen. Einem Anspruch auf Vollständigkeit kann in dieser Arbeit nicht Rechnung getragen werden, da der Umfang dies nicht hergibt. Auf die Aufzählung der Diagnosen, die den Zusatz „sonstige“ bzw.“ nicht näher bezeichnet“ tragen, wird verzichtet.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Unter der Ziffer F 32 werden die Depressiven Episoden zusammengefasst. Diese Episoden können durch einen leichten, mittelgradigen oder schweren Verlauf gekennzeichnet sein. Der betroffene Patient leidet unter einer gedrückten Stimmung und ist im Antrieb und der Aktivi- tät vermindert. Weitere Einschränkungen finden sich in der Fähigkeit Freude und Interesse zu zeigen. Die Konzentrationsfähigkeit ist vermindert. Des Weiteren tritt ausgeprägte Müdigkeit, oft schon nach kleinen Anstrengungen auf. Der Schlaf ist in der Regel gestört, der Appetit vermindert. Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind fast immer eingeschränkt. Weitere Symptome sind Schuldgefühle und Gedanken über die eigene Wertlosigkeit, eine deutliche psychomotorische Hemmung, Agitiertheit, Gewichts- und Libidoverlust. Die Folgediagnosen gliedern sich nach der Schwere der Symptomatik, wobei die Diagnosen der schweren depres- siven Episode dadurch ergänzt werden, ob zusätzlich psychotische Symptome bestehen oder nicht. Bei einer leichten Depression ( F32.0 )müssen, laut ICD-10, mindestens zwei oder drei der oben genannten Symptome vorhanden sein. Der betroffene Patient ist durch diese be- einträchtigt, aber oft in der Lage, die meisten Aktivitäten des Alltags fortzusetzen. Eine mittelgradige depressive Episode ( F32.1 ) macht das Vorhandensein von vier oder mehr der vorgenannten Symptome erforderlich. Dies bereitet dem Patienten große Schwierigkeiten bei der Bewältigung seiner alltäglichen Aktivitäten. Die schwere depressive Episode ( F32.2 )ohne psychotische Symptome beinhaltet mehrere oben angegebene, quälende Symptome. Typischerweise tritt ein Verlust von Selbstwertgefühl und Gefühle von Wertlosigkeit und Schuld auf. Suizidgedanken und -Handlungen sind häufig, meist liegen zusätzlich somatische Symptome vor. Unter diesem Punkt zusammengefasst werden auch: einzelne Episode einer agitierten Depression, einzelne Episode einer Majoren Depression ohne psychotische Symp- tome und einzelne Episode einer vitalen Depression ohne psychotische Symptome. Bei der F32.3 handelt es sich um die Diagnose der schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen. Hier wird die Depression durch Halluzinationen, Wahnideen, psychomotorische Hemmung oder ein Stupor ergänzt. Diese sind so stark ausgeprägt, dass alltägliche soziale Ak- tivitäten unmöglich sind und Lebensgefahr durch Suizid und mangelhafte Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme bestehen kann. Halluzination und Wahn können, müssen aber nicht, synthym (mit der gegenwärtigen Stimmung übereinstimmend) sein. Unter der F32.3 summie- ren sich die Majore Depression mit psychotischen Symptomen, die psychogene depressive Psychose, die psychotische Depression und die reaktive depressive Psychose. Bei den bisher beschriebenen Störungen handelt es sich um einzelne, erstmals auftretende Episoden.
Ergänzende Unterteilungen findet man bei anderen Autoren. So wird zum Beispiel ein jahreszeitlich gebundenes Auftreten (z.B. Winterdepression) ebenso aufgeführt, wie das Vorhandensein einer Depression in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Geburt des ersten Kindes („Postpartum Depression“) (Hautzinger, 1998).
1.2 Entstehungstheorien
Dem folgenden Abschnitt liegen die Ausführungen von M. Hautzinger aus dem Buch „Depression“ aus dem Jahr 1998 zugrunde.
Da es sich bei der Depression um ein sehr komplexes, häufig heterogenes Störungsbild handelt, gibt es verschiedene Theorien und Erklärungsmodelle zur Entstehung dieser Erkrankung. Grundsätzlich lässt sich zwischen biologischen und psychologischen Modellvorstellungen unterscheiden.
Eine Theorie sieht die Ursache zur Ausbildung einer Depression in kritischen Lebens- ereignissen und sozialen Einflussfaktoren. Demnach wird angenommen, dass Lebensereignis- se als auslösende Faktoren eine depressive Episode anstoßen. Dies setzt allerdings eine Vul- nerabilität (Anfälligkeit) für Depression voraus. In Studien konnte ein modulierender Einfluss von chronischen Lebensschwierigkeiten, ungünstigen sozialen Lebensbedingungen, vor allem die Zugehörigkeit zu einer ungünstigen sozio-ökonomischen Schicht, mehrfach repliziert werden. Auch Faktoren wie eine fehlende Berufstätigkeit und ein geringer Selbstwert wirken sich ungünstig aus. Gegen diese Erklärung spricht, dass ca. 25% aller Patienten ohne ein aus- lösendes Ereignis klinisch auffällig werden.
Ein anderer Ansatz sieht die Ursache in dem stetigen Erleben mangelnder Kontroll- möglichkeiten und dem Phänomen der erlernten Hilflosigkeit. Aus der Erfahrung der Nicht- kontrolle subjektiv bedeutsamer Ereignisse entwickelt sich die Erwartung, auch zukünftig hilf- los zu sein. Diese Erfahrung wird auf neue Situationen generalisiert. Der Patient lebt in der Folge mit einer ständigen Misserfolgserwartung. Außerdem attribuiert er eigene Erfolge external, variabel und spezifisch, während Misserfolge internal, stabil und global erklärt wer- den. Er befindet sich dadurch in einer Depressionsspirale. Ähnlich argumentieren auch die Anhänger des Ansatzes der dysfunktionalen kognitiven Schemata, wobei die Grenzen flie- ßend sind. Hier wird als Ausgangspunkt eine kognitive Störung infolge früherer belastender, ungünstiger Erfahrungen und Lernprozesse angenommen. Dadurch kommt es zur Realitäts- verzerrung, die mit einer negativen Sicht der Welt, der eigenen Person und der Zukunft ein- hergeht. Es handelt sich dabei um stabile Muster selektiver Wahrnehmung, Kodierung und Bewertung von Reizen. Der Zusammenhang zwischen ungünstigen Attributions- und Denksti- len und Depression gilt als gesichert.
Wie bereits bei den Risikofaktoren erwähnt, gibt es Modelle, die von einer geneti- schen Veranlagung zur Ausbildung einer Depression ausgehen. Untersuchungen anhand von monozygoten und dizygoten Zwillingen ergaben Konkordanzraten von 60% bzw. 14%. Ab- hängig vom Grad der Verwandtschaft besteht ein Morbiditätsrisiko von 4-30%. Bei biologi- schen Geschwistern liegt die Rate psychopathologischer Auffälligkeiten bei 66%, bei Adoptivgeschwistern immerhin noch bei 8%. Das Lebenszeitrisiko an einer Depression zu er- kranken liegt für Angehörige ersten Grades, von Patienten mit einer bipolar affektiven Stö- rung, bei 34% für die Eltern, 35-39% für die Geschwister und bei 50% für leibliche Kinder des Betroffenen.
Eine weitere Erklärungsmöglichkeit setzt auf der Ebene der Neurotransmission an, wobei davon ausgegangen wird, dass diese an einer bestimmten Stelle gestört ist. Dazu gibt es verschiedene Hypothesen, die unterschiedlichen Arten von Transmittern betreffen. Unter Berücksichtigung des Umfangs der Arbeit muss bei einer Nennung der einzelnen Botenstoffe verblieben werden. Transmissionsschleifen die betroffen sein können sind: Katecholamin, Serotonin und das noradrenerg-cholinerge System.
Weitere Störungstheorien stützen sich auf Aspekte der Persönlichkeit, einen Mangel an positiver Verstärkung und negative Interaktionen. Des Weiteren können Störungen im neuroendokrinologischen System als ursächlich angesehen werden. Auch dem Schlaf und der zirkadianen Rhythmik sprechen einige Autoren verursachende Eigenschaften zu. Plausibel erscheinen jedoch vor allem multifaktorielle Erklärungsansätze, die vorgenannte Kausalitäten zusammenfassen und die Verursachung der Krankheitsausbildung in einem Zusammenwirken der verschiedenen Faktoren sehen. Hierbei wird häufig keine Aussage darüber gemacht, in welcher Weise die einzelnen Faktoren gewichtet sind.
1.3 Risikofaktoren
Auch wenn es, wie im nächsten Abschnitt dargestellt wird, verschiedene Erklärungsansätze für die Entstehung einer Depression gibt, können anhand statistischer Erhebungen Risikofaktoren ausgemacht werden, die begünstigend auf die Krankheitsentstehung wirken.
Hautzinger schreibt 1998, dass Frauen ein doppelt so hohes Erkrankungsrisiko für ei- ne unipolare Depression haben wie Männer. Neben dem Geschlecht ist auch das Alter ein entscheidender Faktor. Der Erkrankungsgipfel bei Depressionen liegt zwischen 18 und 25 Jah- ren. Die Wahrscheinlichkeit in einem fortgeschrittenen Alter zu erkranken ist somit deutlich geringer. Des Weiteren bedingen sozio-ökonomische Umstände wie zum Beispiel der Fami- lienstand, die Anzahl und Qualität der vertrauensvollen persönlichen Beziehungen, das Wohnumfeld, der Beruf etc. die Krankheitsentstehung. Auch belastende Lebensereignisse und sozialer Stress können sich negativ auswirken. Zusätzlich ist von einer genetischen Vor-belastung auszugehen, wenn in der Familie des Betroffenen bereits Depressionen oder ande-re psychische Erkrankungen aufgetreten sind.
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