Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das neuplatonische Liebeskonzept der Renaissance
2.1 Die Lehre Platons als Ursprung
2.2 Die Lehre des Marsilio Ficino und der “Accademia Platonica”
2.3 Die Lehre des Leone Hebreo
3. Die Liebeskonzeption in Montemayors Diana
3.1 Neuplatonische Merkmale der Liebe
3.1.1 buen amor und falso amor
3.1.2 Irrationalität der Liebe
3.1.3 Keuschheit und Treue
3.1.4 Liebe und Schönheit
3.1.5 Der Übergang von der sinnlichen in die intelligible Welt
3.2 Nicht-platonische Elemente
4. Liebe im Kontext von Schicksal und Zeit
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
[...] aunque el perfecto amor sea hijo de razón, que no se gobierne por ella, porque no hay cosa que después de nacida menos corresponda al origen de adonde nació. (Montemayor 1991, 298)
Dieses Zitat der Zauberin Felicia aus dem vierten Buch des Schäferromans Los siete libros de la Diana von Jorge de Montemayor beschreibt das im Werk dargestellte Liebeskonzept sehr treffend. Der Textauszug macht deutlich, dass sich die Liebe nicht von der Vernunft beherrschen lässt, obwohl sie aus ihr hervorgeht. Diese These der Irrationalität der Liebe (Pflaum 1926, 95) geht unter anderem auf Leone Hebreo, einen jüdischen Philosophen der Renaissance, zurück. Mit seinem berühmten Werk Dialoghi di Amore aus dem Jahr 1535 beeinflusste er Montemayors Liebesauffassung maßgeblich.
In der vorliegenden Hausarbeit werde ich mich mit der Liebeskonzeption im spanischen Schäferroman am Beispiel der Diana von Montemayor beschäftigen. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf die Umsetzung der neuplatonischen Idee der Liebe gelegt.
Zu Beginn werde ich die Liebestheorie des Neuplatonismus erläutern, die in der Renaissance vor allem durch den Philosophen Marsilio Ficino formuliert wurde und deren Ursprung, wie der Name schon sagt, in der Lehre Platons liegt. Die Liebesphilosophie Leone Hebreos wird von mir näher beleuchtet werden, spielt diese doch in der Diana eine so wichtige Rolle.
Im zweiten Teil der Arbeit möchte ich die Liebeskonstruktion des bedeutendsten spanischen Schäferromans analysieren. Die neuplatonische Liebe im Sinne Leone Hebreos zeigt sich hier zum Bespiel in der Differenzierung zwischen buen und falso amor, der These der Irrationalität der Liebe und der Begründung der Liebe in der Schönheit, dem Ideal der Renaissance. Trotz der eindeutig neuplatonischen Färbung der Diana weicht Montemayor teilweise von der Theorie Hebreos ab oder führt eigene Ideen über die Liebe an.
Das Ziel der Untersuchung besteht darin, das in der Diana vorherrschende Liebeskonzept auf Basis der neuplatonischen Philosophie darzustellen. Des Weiteren habe ich die Absicht, neben der allgemeinen theoretischen Darstellung des Liebeskonzepts der Renaissance einen strukturierten und ausführlichen Überblick über die Liebe in Montemayors Roman zu geben. Zwar wurde dieses Thema schon von vielen Literaturkritikern erörtert1, jedoch liegt meiner Meinung nach bisher noch keine zusammenhängende Darstellung der neuplatonischen Liebe in Los siete libros de la Diana vor.
2. Das neuplatonische Liebeskonzept der Renaissance
2.1 Die Lehre Platons als Ursprung
Das Grundprinzip des platonischen Denkens, der sensus/ratio Dualismus, also die Unterscheidung zwischen der intelligiblen und der sinnlichen Welt2, kann wie folgt beschrieben werden:
The fundamental note of Platonism is the contrast it sees between the things of the senses and the things of the mind, between the body and the spirit. The first are ever-changing, impermanent, transitory; the second immutable, everlasting, eternal. (Darst 1969, 384)
Die Liebestheorie lässt sich anhand dieses Dualismus beschreiben: Das Ziel Platons ist es, eine Verbindung zwischen der materiellen und der immateriellen Welt herzustellen. Der Mensch, der nach den Idealen der Schönheit und Wahrheit strebt, steigt auf der Leiter der geistigen Vervollkommnung zum Göttlichen (dem Schönen und Wahren) auf.3
Demnach verneint Platon die sinnlich sexuelle Liebe, da sie bloß vom Ziel der geistigen Liebe ablenkt. Sie stellt für ihn schlicht ein notwendiges Mittel zur Fortpflanzung dar (Parker 1985, 41). Es wird deutlich, dass Platon somit zwischen zwei verschiedenen Arten von Liebe unterscheidet: die höhere geistige Liebe und die niedere körperliche Liebe. Diesen Kontrast übernehmen die Neuplatoniker unter Marsilio Ficino als eines der wichtigsten Merkmale ihrer Liebesphilosophie.
2.2 Die Lehre des Marsilio Ficino und der “Accademia Platonica”
Die Rezeption der Lehre Platons in der Renaissance beginnt in der Literatur unter Dante Alighieri und Francesco Petrarca. Der so genannte Petrarkismus, der die Liebesdichtung der Zeit maßgeblich prägt, zeichnet sich durch den „Kampf zwischen Sinnlichkeit und Vernunft“ (Pflaum 1926, 4) aus. Liebesbejahung und Liebesverneinung werden in den lyrischen Texten durch Motive wie Sehnsucht, Leidenschaft, Verehrung aber auch Sünde deutlich (Pflaum 1926, 8). Die Liebe ist bei Petrarca also sinnlich und sündhaft, „eben weil sie die Liebe zu einer Frau ist.“ (Pflaum 1926, 6).
Im Jahr 1462 entsteht unter der Schirmherrschaft des Cosimo de Medici in Florenz die Accademia Platonica[4], die sich mit den Ideen Platons über die Liebe auseinandersetzt und somit zum Mittelpunkt der neuplatonischen Philosophie wird. Marsilio Ficino (1433-1499) war schließlich derjenige, der den Liebesentwurf im Sinne der Neuplatoniker erstmals formulierte und zwar mit seinem auf Lateinisch verfassten Kommentar5 zu Platons Werk Symposium. (Solé-Leris 1980, 27-28). Die wichtigsten Charakteristika der Liebes-philosophie Ficinos und seiner Schule lauten wie folgt:
Liebe ist für Ficino das Streben nach Schönheit, welche die Seele des Menschen stufenweise zu Gott führt.6 Dies kann erreicht werden, wenn die wahrhaft Liebenden, die die Schönheit ihrer Seelen erkennen, bestrebt sind, ihren Geist, nicht aber ihre Körper zu vereinen und dadurch zur Kontemplation mit der göttlichen Schönheit und letztendlich mit Gott zu gelangen. Die vollkommene Liebe, nach der alle Liebenden streben, ist also die zu Gott. Die menschliche Liebe zwischen Mann und Frau7 ist in diesem Zusammenhang die Voraussetzung beziehungsweise der erste Schritt auf dem Weg zu Gott und somit zur Vervollkommnung. (Vgl. Solé-Leris 1980, 28-29; Parker 1985, 42-43)
Die Zurückführung der Seelen in das Göttliche spiegelt das Ergebnis der Liebe zu Gott wider. Das Bild der Leiter8, auf der man stufenweise zu Gott gelangt, ist charakteristisch für den Neuplatonismus. Durch diese Brücke können der Mensch, der der sinnlichen Welt entspricht, und Gott, der für die intelligible Welt steht, zusammengeführt werden. (Solé-Leris 1980, 29)
Die Frau, die von Platon noch ignoriert wurde, erhielt durch den Einfluss der höfischen Liebe9 wieder eine größere Bedeutung in der Liebeskonzeption. Die Lehre des Neuplatonismus meint deshalb mit Schönheit meist die des weiblichen Körpers. Der Liebende muss mit Hilfe von Vernunft erkennen, dass der Körper der Frau nur die Schönheit Gottes widerspiegelt und er deshalb die Schönheit der Seele lieben soll (die ihn ja letztendlich zu Gott führt, siehe oben). (Solé-Leris 1980, 29) Die Bejahung der geistigen Liebe und die Verneinung der sinnlichen Begierde kommen durch dieses Ideal besonders zum Ausdruck.[10]
2.3 Die Lehre des Leone Hebreo
Die Liebesauffassung Ficinos hatte einen großen Einfluss auf die Renaissancephilosophie; zunächst in Italien, später in ganz Europa. Seine Werke wurden intensiv rezipiert und deswegen ist es kaum verwunderlich, dass Leone Hebreo (ca. 1460-1521) sich an Ficino orientierte, seine Lehre jedoch erweiterte und modifizierte.
Sein Werk Dialoghi di Amore[11] trug, wie auch Ficinos De amore, zur Konstituierung der neuplatonischen Konzeption der Liebe bei. Die Philosophie Hebreos geht davon aus, dass „alle geschaffenen Dinge […] miteinander durch Liebe verbunden“ sind, „die belebten wie die unbelebten“ (Pflaum 1926, 52). Die Idee der universalen Liebe, die Hebreo vertritt, umfasst den gesamten Kosmos; die Welt sieht er als ein großes Ganzes und er hegt das Ziel eine „Erklärung des ganzen Seienden“ zu geben. (Pflaum 1926, 52-53) Somit bringt Leone Hebreo seine Lehre auf eine spirituelle und religiöse Ebene, die „über den rein menschlich, ethisch gefassten [Liebesbegriff] bei Platon [und bei Ficino] weit hinausging“ (Pflaum 1926, 53).
Leones Liebeskonzeption zielt darauf ab, „eine Vereinigung des Universums wie auch der einzelnen Seele mit Gott“ herzustellen, also die „Einswerdung […] des Universums“, ohne jedoch „die Transzendenz Gottes aufzugeben“ (Pflaum 1926, 106, 53). Die Vereinigung aller Dinge wird dadurch erreicht, dass sich das Höhere - die „spirituellen Intelligenzen“ - (Pflaum 1926, 54) zum Niederen - den materiellen Dingen - in Liebe hinwendet und umgekehrt. Folglich „entsteht eine doppelt gerichtete Bewegung durch das Weltall“ (Pflaum 1926, 54). Die Verbindung zwischen der geistigen und der körperlichen Welt, so Leone, ist die Seele des Menschen; sie „macht das Universum zu e i n e m lebendigen und geistigen Wesen“. Alles zielt demnach letztendlich auf die „Zurückführung der Schöpfung in den Schöpfer“ ab.12 (Pflaum 1926, 54, 107, 137)
Gott ist bei Leone die „Erste Schönheit“ (Pflaum 1926, 54), zu der alles Sein strebt. Daraus ergibt sich, dass Schönheit nicht körperlich, sondern rein geistig ist; sie „herrscht in der Seele“ (Pflaum 1926, 130). Wie auch schon bei Ficino gilt die Schönheit als ein Reiz, der Liebe in der Seele auslöst. Dabei spielen die Augen eine wichtige Rolle: Durch sie dringt die Schönheit in die Seele ein - und somit wird Liebe erzeugt. Leone zufolge ist das endgültige Ziel aller Liebe der Genuss der Vereinigung, denn sowohl das Universum strebt nach Genuss in „der unendlichen Schönheit Gottes und auch Gott genießt in Freude die Vervollkommnung der Schöpfung.“ (Pflaum 1926, 137)
Der jüdische Philosoph differenzierte, wie alle Neuplatoniker, zwischen ehrbarer, wahrer Liebe und sinnlicher Liebe. Sie unterscheiden sich lediglich durch ihre Absicht: „physical satisfaction in the latter, spiritual union in the former.“ (Solé-Leris 1959, 77) Die wahre Liebe zwischen Mann und Frau bedeutet die „Verwandlung des einen Liebenden in den Anderen.“ (Pflaum 1926, 95) Sie entspringt der Vernunft, wird aber gleichzeitig nicht von ihr beherrscht. Somit ist die Liebe irrational und nicht kontrollier- oder steuerbar (These der Irrationalität der Liebe). Folglich ist sie dazu fähig, unendliches Leid und Kummer auszulösen (Pflaum 1926, 95-96):
El verdadero amor a la razón y a la persona que ama hace fuerza con admirable violencia e increíble furor, y más que otro impedimento humano perturba la mente, donde está el juicio, y hace perder la memoria de toda otra cosa. [...] Hácele enemigo de placer y de compañía, amigo de soledad, melancólico, lleno de pasiones, rodeado de penas, [...] que jamás le faltan. (Hebreo 1960, 43-44; entnommen aus Darst 1969, 389)
[...]
1 Allen voran Bruce W. Wardropper, Juan Bautista Avalle-Arce und Amadeu Solé-Leris, auf die sich andere Literaturkritiker immer wieder beziehen.
2 Weiterführende Literatur: Pflaum 1926, 111-112.
3 Weiterführende Literatur: Parker 1985, 41; Pflaum 1926, 27-29.
4 Weiterführende Literatur: Pflaum 1926, 22-25.
5 De amore, erschien 1491.
6 Die Schönheit löst einen Reiz in der Seele des Liebenden aus, der sie dazu bewegt die Seele der verehrten Person zu lieben. (Pflaum 1926, 129).
7 Ficino prägte den Begriff der platonischen Liebe, die in der Renaissance zum Ideal der Liebe zwischen Mann und Frau wurde (Parker 1985, 42).
8 Diese Metapher ist bereits in Platons Lehre zu finden, siehe Seite 4.
9 Die höfische Liebe ist gekennzeichnet durch die Idealisierung der Frau (Parker 1985, 42).
10 Ausführliche Informationen zum Leben des Jehudah Abarbanel (Leones richtiger Name) finden sich in Pflaum 1926, 55-86.
11 Eine sehr detaillierte Analyse der drei Dialoge zwischen Philone (dem Liebenden) und Sophia (der Weisheit) findet sich in Pflaum 1926, 88 ff.
12 Der Mensch gelangt dabei zur „liebenden Erkenntnis Gottes“ („amore intellettuale di Dio“) (Pflaum 1926, 54).