Leseprobe
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung:
2. Problemaufriss und klassische Lösungsansätze:
3. Aktuelle Lösungsansätze:
3. 1. Gläubiger Verzicht auf eine Lösung und Umdeutung des Problems
3. 2. Kritik an der Allmacht Gottes - Die Prozesstheologie
3. 3. „ Free-will-defence “ und „ soul-making-theodicy “
4. Schluss:
5. Literaturverzeichnis:
1. Einleitung:
Woher kommt das Böse - und wie lässt es sich mit dem Glauben an einen guten, allmächtigen Gott in Einklang bringen? Diese Frage stellt sich dem Menschen seit jeher. Eine vollauf befriedigende Antwort jedoch bleiben sowohl Philosophen als auch Theologen bis heute schuldig. Kein Wunder, denn in der Tat scheint es für Katastrophen wie Auschwitz letztlich keine Erklärung zu geben.
Nichtsdestotrotz wurde und wird in der Theologie immer wieder um eine Antwort auf die Theodizee-Frage gerungen. Denn gerade in der aktuellen Religionsphilosophie ist die Frage nach dem Bösen von der Frage nach Gott nicht mehr zu trennen. Anders als früher, als man noch davon ausging, die Existenz Gottes sei schlüssig bewiesen, stellt das Theodizee-Problem heute den Glauben an Gott unmittelbar und aufs Schärfste in Frage. Der Versuch des Philosophen Bernward Gesangs, „vom Leiden in der Welt auf die Wahrheit des Atheismus zu schließen“1 ist hierfür symptomatisch. Die Tatsache, dass es Leid und Unheil in der Welt gibt, widerspricht der Existenz Gottes - so das Credo atheistischer Denker. Die Theodizee-Frage ist somit in der Tat zu einem „Fels des Atheismus“2 geworden - oder, wie Metz schreibt, „zum Schicksalsort der Gottesrede“3.
Eine Theologie, die auch von Nicht-Christen ernst genommen werden will und die bereit ist, sich den kritischen Anfragen der Zeit zu stellen, kommt somit nicht umhin, sich mit der Thematik des Leidens auseinander zu setzen. Gerade in der Fundamentaltheologie, deren ausgewiesener Anspruch es ist, „Rede und Antwort zu stehen“ (1 Petr 3,15), muss daher versucht werden, den scheinbaren Widerspruch zwischen Unheil und Gott zumindest soweit aufzulösen, dass der Glaube an Gott nicht als unvernünftig erscheint.
Inwieweit eine solche „Rechtfertigung Gottes“ überhaupt möglich ist, soll im Folgenden untersucht werden. Dabei soll zunächst das Problem als solches noch einmal genauer umrissen werden, bevor in einem nächsten Schritt zunächst die klassischen -, dann die aktuellen Lösungsansätze vorgestellt werden. Ziel ist es dabei, das scheinbar „unlösbare“ Problem der Theodizee von verschiedenen Seiten zu beleuchten, mögliche Lösungsansätze auf ihre Vor- und Nachteile hin zu überprüfen und, soweit möglich, zumindest „ Teil antworten“ auf die Frage nach dem Bösen zu finden.
2. Problemaufriss und klassische Lösungsansätze:
Der Begriff „Theodizee“, ein aus den griechischen Wörtern für „Gott“ und „Gerechtigkeit“ gebildetes Kunstwort, geht auf den Philosophen Leibniz (1646-1716) zurück und bedeutet soviel wie „Rechtfertigung Gottes“, wobei zu ergänzen ist: angesichts des Leids und Übels in der Welt. Schon bei Epikur (341-270 v.Chr.) heißt es: „Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht, oder er kann es und will es nicht, oder er kann es nicht und will es nicht [...] Wenn er nun will und nicht kann, so ist er schwach, was auf Gott nicht zutrifft. Wenn er kann und nicht will, dann ist er missgünstig, was ebenfalls Gott fremd ist. Wenn er nicht will und nicht kann, dann ist er sowohl missgünstig wie auch schwach und dann auch nicht Gott.“4 Damit ist das Grundproblem der Theodizee klar umrissen: Es handelt sich um ein logisches Widerspruchsproblem. Die Prämissen, Gott sei allmächtig und gütig, lassen sich, wie es scheint, mit der Realität des Leids nicht in Einklang bringen.
Platon (427-347 v. Chr.) versucht dieses Problem zu lösen, indem er das Böse nicht auf Gott, sondern auf die Materie zurückführt. Die Materie, die im ontologischen Sinne gar nicht existiert, sondern durch einen Mangel an Gutem (privatio boni) definiert wird, war Gott bei der Erschaffung der Welt vorgegeben, so der griechische Philosoph. Auf diese Weise löst Platon zwar den gegebenen Widerspruch auf, relativiert dabei aber die Allmacht Gottes erheblich.
Auf Platons Philosophie aufbauend argumentiert rund 800 Jahre später auch der christliche Philosoph Augustinus (354-430 n. Chr.): „das Böse, nach dessen Ursprung ich frage, ist nichts Wesenhaftes (substantia), denn wäre es ein Wesen, wäre es gut.“5, heißt es in seinen „Bekenntnissen“. Auch Augustinus definiert das Böse also als einen Mangel an Gutem und spricht ihm damit jegliche Substanz ab. Anders als Platon verzichtet er jedoch darauf, das Böse einem Gott entgegengesetzten Prinzip, sprich der Materie, zuzuordnen. Stattdessen versucht Augustinus eine biblische Erklärung des Leids. Er erklärt den Mangel an Gutem als eine Folge des Sündenfalls. Dabei unterscheidet er zwischen moralischem (malum morale) und natürlichem Übel (malum physicum). Ersteres, also das vom Menschen selbst verschuldete Übel, führt er auf den freien Willen (liberum arbitrium) zurück, letzteres, z.B. Krankheit und Naturkatastrophen, diene, so Augustinus, den Gerechten als Bewährungsprobe, den Sündern als Strafe. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch die Lehre der „doppelten Prädestination“, der zufolge lediglich ein kleiner Teil der Menschheit zum Heil, der Rest dagegen zu ewiger Verdammnis bestimmt ist.
Zwar bleibt die Allmacht Gottes bei Augustinus gewahrt, der Vorstellung eines gütigen Gottes jedoch wird seine Theorie, insbesondere die Lehre der doppelten Prädestination, keineswegs gerecht. Heißt es doch in Joh 4,8: „Gott ist die Liebe“ - und ein liebender Gott, der derart grausam straft, ist kaum vorstellbar. Was schließlich den privatio-Gedanken betrifft, kann eine solche These heute kaum noch ernsthaft vertreten werden. Zu behaupten, das Böse existiere ja „eigentlich“ gar nicht, erscheint angesichts des real erfahrenen Leids vielmehr zynisch und unmenschlich.
Der Ansatz, den Leibniz in seinen berühmten „Abhandlungen zur Theodizee über die Güte Gottes, die Freiheit des Menschen und den Ursprung des Übels“ (1710) darlegt, erscheint da schon wesentlich plausibler: Anstatt wie Augustinus das Böse zu leugnen, unterstellt Leibniz dem Übel einen guten Zweck. Die Gesamtkomposition der Schöpfung scheint beides zu erfordern: Gutes wie Schlechtes. Demnach ist alles, auch wenn es im Einzelnen schlecht erscheint, im Gesamtkontext gut und richtig. Es dient, auf welche Weise auch immer, der Harmonie des Kosmos und folgt somit einem göttlichen Schöpfungsplan. Letzterer bleibt dem Menschen in seiner beschränkten Sicht natürlich unzugänglich. Erkannt werden kann lediglich, dass Gott die „beste aller möglichen Welten“ erschaffen hat, so die Position von Leibniz.6
Problematisch an diesem Ansatz ist, dass das Leiden darin auf eine Weise funktionalisiert und relativiert wird, die den realen Erfahrungen kaum gerecht werden kann. Nicht umsonst schreibt Voltaire 1756, ein Jahr nach dem großen Erdbeben von Lissabon und knapp 40 Jahre nach Leibniz’ Tod: „ Ihr schreit: Alles ist gut, mit einer jämmerlichen Stimme; das Universum straft euch Lügen, und euer eigenes Herz hat den Irrtum eures Geistes tausendmal widerlegt.“7 In der Tat fällt es schwer, einen höheren Sinn im Leid zu sehen - wohingegen es ein Leichtes ist, sich eine bessere Welt als die unsere vorzustellen.
Nichtsdestotrotz stellt der Lösungsansatz von Leibniz einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der Theodizee dar. Nicht nur, dass das Problem durch ihn im wahrsten Sinne des Wortes auf einen Begriff gebracht wird, erstmals kehrt er das Verhältnis zwischen Gott und Mensch um: Nicht mehr der Mensch wird angeklagt, sondern Gott selbst „vor den Richterstuhl der Vernunft“ gestellt. Es geht darum, die Gerechtigkeit Gottes rational zu erweisen. Die Methode, das Böse zu diesem Zweck zu funktionalisieren und in den Dienst vermeidlich höherer Ziele zu stellen, ist dabei, wie zu zeigen sein wird, auch manchen modernen Theodizee-Versuchen durchaus eigen.
3. Aktuelle Lösungsansätze:
3.1. Gläubiger Verzicht auf eine Lösung und Umdeutung des Problems
Einigen Theologen zufolge ist die Frage, warum Gott uns leiden lässt, schlichtweg vermessen. Der Sinn des Leidens ist laut ihnen Teil des göttlichen Mysteriums („reductio in mysterium“) und kann vom Menschen nicht erkannt werden. Vielmehr muss die Frage der Theodizee als unlösbar anerkannt und in gläubigem Vertrauen ausgehalten werden. Die einzige Hoffnung ist, dass sich das Rätsel nach dem Tod lüftet, dass sich der Sinn des Leidens also in einem eschatologischen Heilszustand offenbart. Diese Sichtweise, die auf den ersten Blick wie eine plumpe Ausrede anmutet, hat eine lange, theologische Tradition. Schon in Röm 9, 20 heißt es: „Wer bist du denn, dass du als Mensch mit Gott rechten willst? Sagt etwa das Werk zu dem, der es geschaffen hat: Warum hast du mich so gemacht?“ Auf Seiten der Philosophie ist es v.a. Immanuel Kant (1724-1804), der die Theodizee als ein von vorneherein zum Scheitern verurteiltes Unternehmen kritisiert. In seiner Schrift „Über das Misslingen aller philosophischen Versuche in der Theodicee“ (1791) betont er, dass es der menschlichen Vernunft schlicht unmöglich sei, Gott, den „Welturheber“, zu rechtfertigen. „Der Ausgang dieses Rechtshandels vor dem Gerichtshofe der Philosophie ist nun: dass alle bisherige Theodizee das nicht leiste, was sie verspricht.“8 Ähnlich argumentieren auch moderne Theologen wie Hans Küng, Karl Rahner oder J. Hessen. „Die Unbegreiflichkeit des Leids ist ein Teil der Unbegreiflichkeit Gottes.“9, schreibt Karl Rahner und bei Hessen heißt es: „Als der schlechthin Unbegreifliche macht Gott alle menschliche Theodizee zuschanden.“10
In der Tat stellt sich die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, die Motive Gottes rational ergründen zu wollen. Nichtsdestotrotz reicht es v.a. im Dialog mit Atheisten keineswegs aus, lediglich auf die Geheimnishaftigkeit Gottes zu verweisen. Anders als früher wird heute die Existenz Gottes selbst hinterfragt. „Was einen Widerspruch hervorruft, beinhaltet einen Fehler“, heißt es hierzu bei Bernward Gesang. „Deshalb kann man sehr wohl [...] über diesen Glauben sagen, [...] dass der Glaube an einen guten und allmächtigen Gott nicht nur schlecht begründet, sondern vielmehr erkennbar falsch ist.“11 Einer solchen Anfechtung ist die „reductio in mysterium“ kaum gewachsen. Auch wenn die Theodizee-Frage letztlich nicht 100%ig gelöst werden kann, muss sich die Fundamentaltheologie zumindest um rationale Antworten bemühen - oder, wie Alexander Loichinger schreibt, den „scheinbaren logischen Widerspruch zumindest soweit [...] brechen, dass eine direkte Falsifikation des Glaubens ausgeschlossen ist.“12
Dieser Anforderung wird auch nicht gerecht, wer die Theodizee auf ein rein praktisches Problem reduziert. So wird u.a. in der Befreiungstheologie der Ansatz vertreten, das Böse könne nicht erklärt, sondern nur bekämpft werden. Die Frage, warum Gott uns leiden lässt, gehe am Thema vorbei. Anstatt das Leid theoretisch zu begründen und damit implizit zu legitimieren, sei es die Aufgabe des Christen, es aktiv zu bewältigen.
Natürlich ist es richtig, dass christliches Engagement gegen das Leid ein wichtiger Aspekt ist, theoretische Durchdringung und praktische Bewältigung des Problems sind jedoch zwei verschiedene Dinge und sollten nicht miteinander vermischt werden. Vielmehr setzt der praktische Umgang mit dem Leid eine theoretische Antwort auf die Frage, warum Gott uns leiden lässt, gleichsam voraus. Stellt doch selbst Jesus, das Vorbild in Sachen Leid- Bewältigung schlechthin, am Kreuz die Frage: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27, 46)
3.2. Kritik an der Allmacht Gottes - Die Prozesstheologie
An die Gedanken Platons anknüpfend, finden sich auch in der modernen Theologie Ansätze, bei denen die Allmacht Gottes zugunsten anderer Faktoren eingeschränkt wird. Religionsgeschichtlich sind solche Ansätze v.a. bei dualistischen Religionen wie dem Mazdaismus oder dem Manchäismus zu finden. In neuerer Zeit wird der Gedanke v.a. von Alfred North Whitehead (1861-1947) und der sogenannten Prozesstheologie aufgegriffen. Dabei unterscheiden die Anhänger dieses Ansatzes genau wie Platon zwischen Gott und Materie. Letzteres wird von Gott schrittweise geordnet, so die These. Dabei ist Gottes Einfluss auf die Materie lediglich von inspirierender bzw. „persuasiver“, d.h. „überredender“, Natur. Die Welt wird von Gott weder aus dem Nichts heraus (ex nihilo) erschaffen, noch ist der Schöpfungsakt ein einmaliger Vorgang. Vielmehr handelt es sich dabei um einen kontinuierlichen Prozess, bei dem, gemäß dem Prinzip der Evolution, immer höhere und komplexere Existenzformen entstehen.
Leid und Übel haben aus dieser Perspektive also eine zweifache Ursache: Zum einen gehen sie auf das Konto der materiellen Strukturen, die Gott vorgegeben sind, und für die er dementsprechend nichts kann. Zum anderen ist Leid die Folge der ständigen Weiterentwicklung von Welt. Je autonomer die Wesen werden, desto eher sind sie auch dazu in der Lage, positive wie negative Dinge hervorzubringen.
[...]
1 Vgl. hierzu: Gesang, Bernward (1997): „Angeklagt: Gott. Über den Versuch, vom Leiden in der Welt auf die Wahrheit des Atheismus zu schließen.“
2 Büchner 1965, S. 40.
3 Metz 1999, S. 179.
4 Epikur 1949, S.80.
5 Augustinus: Conf. VII 18., zitiert nach Böttigheimer, S.254.
6 Vgl. hierzu: Leibniz 1985, insbesondere I § 8.
7 Voltaire: „Gedicht über das Unglück von Lissabon oder Prüfung des Axioms: Alles ist gut“, zitiert nach Kessler 2000, S. 38.
8 Kant 1968, S. 105.
9 Rahner 1985, S. 463.
10 J. Hessen: „Religionsphilosophie“, zitiert nach Böttigheimer 1998, S.253.
11 Gesang 1997, S.105.
12 Loichinger 2001, S.261.