Jeff Wall: Die Inszenierung fotografischer Arbeiten im Horizont der Kunstgeschichte


Seminararbeit, 2002

19 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Hauptteil
2.1 Bezüge zur Malerei Die
„Remakes“
2.1.2 Strukturelle Bezüge
2.1.3 Entstehungstechnische Bezüge und Gattung (Inszenierung und digitale Bearbeitung)
2.1.4 Der Bruch mit kunsthistorischen Regeln

3 Zusammenfassung
3.1 Wall und die Kunstgeschichte
3.2 Warum will sich Wall auf die Kunstgeschichte beziehen?
3.3 Sind die beschriebenen Beziehungen zur Malerei Überinerpretationen und gezielte Aussagen Walls zu einem bestimmten Zweck?

4 Anhang

1 Einleitung

Das Thema meiner Hausarbeit ist die Inszenierung fotografischer Bilder im Horizont der Kunstgeschichte am Beispiel Jeff Walls.

Seit 1978 macht Jeff Wall riesige Fotografien. Er präsentiert sie in Leuchtkästen, die wir aus der Reklame kennen. Dieses Medium nennt er Cibachrom. Schon ihre Größe, teilweise bis zu 230 x 430 cm, erinnert an ein Format, das traditionell der Historienmalerei vorbehalten war. Fotografie war bisher aus technischen Gründen auf eher kleinere Formate festgelegt.

In der Literatur werden die Fotografien Walls fast ausschließlich nach Berührungspunkten mit der Malerei untersucht. Kunsthistoriker sind hier gerade zu auf die Jagd nach Zitaten aus der Malerei gegangen. Aber auch kompositionelle und mit dem Arbeitsprozeß verbundene Parallelen werden in der Literatur beschrieben. Jeff Wall selber bekräftigt diese Interpretation seiner Fotografien. An anderer Stelle negiert er dann wieder jede Bezugnahme auf die Malerei, indem er sagt, er mache bloß Kunst[1].

Im Zuge dieser Hausarbeit werde ich untersuchen, wie weit man die von der Literatur gefundenen Beziehungen zur Malerei an Hand der Bilder Walls nachvollziehen kann. Die Frage ist, ob es sich bei den gefundenen Parallelen zwischen seinen Fotografien und der Malerei um Überinterpretationen kunstgeschichtlich gebildeter Rezepienten handelt oder ob der Künstler diese gefundenen Rückgriffe auf die Malerei intendierte hat. Vielleicht geht es Jeff Wall aber auch nur um eine immerwährende Diskussion um seine Werke, die er in Gang hält, indem er einmal der Literatur zustimmt und ihr ein anderes Mal widerspricht.

Weiter werde ich danach fragen, wie Wall sich von der traditionellen Fotografie abgrenzt.

Die in der Literatur beschriebenen Bezüge zur Malerei teile ich in vier Kategorien ein: Explizite Remakes, Neuinszenierungen von kunsthistorischen Vorstellungen, strukturelle und enstehungstechnische Bezüge.

An Hand von vier Beispielen werde ich dieses nun erläutern. Diese Fotografien stehen exemplarisch für eine ganze Reihe anderer Bilder aus Jeff Walls Werk, die ich hier aber nicht weiter betrachte, da das den Rahmen dieser Hausarbeit sprengen würde. Außerdem werde ich aus dem selben Grund nur auf die Bezüge zur Malerei eingehen, obwohl es bei Wall natürlich auch Bezüge zum Film und zur Literatur gibt.

2 Hauptteil

2.1 Bezüge zur Malerei

Die „Remakes“

Die wohl nachvollziehbarsten Bezüge zur Malerei lassen sich an den von Wall explizit als Remakes von Gemälden bezeichneten Fotografien aufzeigen.

An „Picture for women“, eines seiner ersten Cibachrome, werde ich zeigen, wie er die malerische Tradition neu inszeniert und nach den Gründen für diesen eindeutigen Bezug fragen.

2.1.1.1 Picture for Women ( 1979), Abb. 1

„Picture for women“ ist wie ein Tryptichon aufgebaut. Vertikale Stangen teilen das Bild in drei Teile. Wir sehen den Blick in einen Spiegel. Auf der linken Seite steht frontal zum Betrachter eine Frau, die sich mit ihren Händen auf dem sich vor ihr befindenden Tisch abstützt. Im Mittelteil, den zentralen Fluchtpunkt makierend, steht eine Kamera. Der Mann auf der rechten Seite ist der Künstler selber. Er hält das Auslösekabel der Kamera in der Hand und schaut nach vorne, zu der Frau im Spiegel.

Nach Kerry Brougher erinnert die Frau in ihrer Haltung und in ihrem Blick an die Barfrau aus Manets „Bar in Folies-Bergère“[2] (Abb. 2). Harald Klinke fällt auf, dass auch das Element des Spiegels, das den Betrachter im Bildraum verwirrt, in Manets Gemälde vorkommt. Bei Manet müsste das Spiegelbild der Frau direkt hinter ihr sein, da das Bild perspektivisch aufgebaut ist. Nimmt man jedoch das Spiegelbild für richtig an, so ist dies wiederum nicht mit dem Aufbau der Perspektivenkonstruktion des restlichen Bildes vereinbar. Durch dieses Paradox innerhalb des Bildes entsteht eine Irritation des Betrachters, der sich mit dem Bild auseinander setzen muß, um Bild und Spiegelbild, um Betrachter und Betrachteten voneinander zu unterscheiden. Es ist ein Experiment mit dem Auge des Betrachters.[3] Auch bei „Picture for Women“ ist der Betrachte zunächst verwirrt, da Kamera und Modell in die gleiche Richtung schauen. Hat man aber die Fotografie als Abbild eines Spiegels entschlüsselt, wird das Bild verständlich.

Durch die Erweiterung um Kamera und Künstler, durch die Betonung des Blicks und durch die Aufnahme in den Spiegel, wird der zeitgenössische Zugriff auf ein etabliertes Rollenmuster erkennbar und die Beziehung zur feministischen Kritik deutlich.[4] Es geht um Frauen als Objekt des voyeuristischen Blicks und des Vergnügens der männlichen Betrachter in einer von Männern dominierten Gesellschaft. Sowohl Manets Gemälde als auch Walls Fotografie sprechen den männlichen Blick an. Die männliche und ihre privilegierte Position, ihre Fixierung auf das Weibliche, und die wissende Entgegnung des Weiblichen auf seinen Blick[5].

Wall ist in seinem Bild sowohl Voyeur als auch Objekt. Dadurch, daß die Frau bei Wall am Bildrand platziert ist ,die Kamera den zentralen Ort des Barmädchens von Manet einnimmt und Wall selber die Frau betrachtet, wird das Thema des Betrachtens verdoppelt und die Mechanismen, die den sexuellen Unterschied in der patriarchalischen Gesellschaft durchgesetzt haben, verdeutlicht.[6] Auch bei Manet geht es um eine von einem Mann betrachtete Frau. Dieser Blick steht jedoch im Vergleich mit Wall nicht so sehr im Zentrum. In dem leeren Unterrichtsraum wird Walls Bild zum theoretischen Diagramm der feministischen Kritik.[7] Auch diese thematischen Parallelen halte ich für nachvollziehbar. Es handelt sich bei dieser Fotografie, dies bestätigt auch Jeff Wall[8], um eine Neuinszenierung der Bar in Folies-Bergère, was ich einleuchtend finde. Das verwirrende Spiegelelement, die ähnlichen Haltungen der beiden Frauen und die Thematisierung des männlichen Blicks lassen Bezüge erkennen, wenn auch mehr inhaltlicher als formaler Art.

Wall beschreibt die Beziehung seines Bildes zu Manets „Bar“ folgendermaßen:

Das Werk war auch ein Remake von der Art, wie man alte Filmstoffe wieder aufgreift. Das gleiche Drehbuch wird überarbeitet, und die Widergabe, der Stil, die ganze Semiotik des früheren Films erhalten in der neuen Version eine zeitbezogene Aussage. Diese Dialektik reizt mich. Sie bedeutet ein Urteil darüber, welche Elemente der Vergangenheit heute noch lebendig sind.“[9] Dieser letzte Satz macht auch deutlich, warum Wall ein altes Motiv aufgreift und neu bearbeitet.

Die Bezüge zur Kunstgeschichte in Walls Remakes wurden, wie bei Kerry Brougher, auf der formalen Ebene wie Komposition, Farben und Figuren gesehen. Ich halte Picture for Women aber für ein Remake inhaltlicher Natur, dessen vermeintliche formalen Ähnlichkeiten zu Manet im Zusammenhang mit der Eigenschaft von Kunsthistorikern einhergehen, auch aktuelle Kunst in ein traditionelles Interpretationsschema hineinzupressen.

[...]


[1] Jeff Wall in Frankfurt bei seiner Ausstellung Figures & Places vom September 2000 bis März 2001 im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt/Main

[2] Brougher, Kerry: Jeff Wall, Los Angeles, 1997, S. 22

[3] Klinke, Harald: Jeff Wall, Inszenierte Photographie, www.uni-kahrlsruhe.de/~Harald.Klinke/sa/Wall/WALLXX.htm (27.05.2002), S. 4; im Folgenden als: Klinke: Jeff Wall, 2000

[4] Reiß, Bernd in: Lauter: Figures & Places, 2001, S. 192

[5] Brougher, Kerry: Jeff Wall, Los Angeles, 1997, S. 22

[6] ebenda, S. 23

[7] Zitat von Jeff Wall aus einem Gespräch mit Els Barents, in: Wall, Jeff, Transparencies, Katalog, München, 1986, S. 96

[8] Lauter, Rolf (Hrg.): Jeff Wall: Figures & Places, ausgewählte Werke von 1978 bis 2000 im Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main von September 2001 bis März 2002, Fußnote 17, S. 195, im Folgenden: Lauter: Figures & Places, 2001

[9] ebenda, S. 97

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Jeff Wall: Die Inszenierung fotografischer Arbeiten im Horizont der Kunstgeschichte
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  (Institut für Kunstgeschichte)
Veranstaltung
Wechselwirkungen zwischen Malerei und Fotografie im 19. und 20. Jahrhundert
Note
2,7
Autor
Jahr
2002
Seiten
19
Katalognummer
V18240
ISBN (eBook)
9783638226295
Dateigröße
3139 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Jeff, Wall, Inszenierung, Arbeiten, Horizont, Kunstgeschichte, Wechselwirkungen, Malerei, Fotografie, Jahrhundert
Arbeit zitieren
Annika Höppner (Autor:in), 2002, Jeff Wall: Die Inszenierung fotografischer Arbeiten im Horizont der Kunstgeschichte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18240

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