Politische Sprache - Sprache der Ideologie

Novojaz in den Ostap-Bender-Romanen


Trabajo, 2011

22 Páginas, Calificación: 2,0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Novojaz als Varietät und Verwendung in der Literatur
1.1. Novojaz als Sprache eines totalitären Regimes
1.2. Mittel und Instrumente des novojaz. Novojaz heute

2. Novojaz in den Werken Il’fs und Petrovs
2.1. Satireromane von Il’f und Petrov
2.2. Das politische novojaz in den Werken Il’fs und Petrovs

Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

„Humor ist der Knopf,

der verhindert,

dass uns der Kragen platzt.“ (Joachim Ringelnatz)

Einleitung

Der Wortschatz einer Sprache unterscheidet sich grundlegend von anderen Bestandtei- len der Sprache wie z.B. der Phonetik, Morphologie oder Syntax. Diese Unterscheidung beruht im Wesentlichen auf der Unmittelbarkeit der Lexik einer Sprache zur Wirklich- keit. So werden auch die Änderungen eines Gesellschaftssystems in erster Linie auf die Lexik durchschlagen. Die Sprache ist stets einem Wandel unterworfen und ihre Evolu- tion ist eng an die Kultur und die Geschichte eines Volkes oder eines Staates gebunden. Jede neue Generation bringt etwas Neues ein, seien es neue philosophische oder ästheti- sche Denkmuster, aber eben auch neue Ausdrucksformeln für die Kommunikation. Wörter werden neu entworfen, neu bewertet oder mit neuen Inhalten gefüllt, die die Wirklichkeit wiederspiegeln sollen.

Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus in der ehemaligen UdSSR widmen sich die Linguisten vermehrt der Propagandasprache jenes Staates, die mit ihrer spezifischen Lexik eine neue Sprache hervorgebracht hat. Diese stilistischen Mittel, die Redewendungen, Klischees und Stempel werden „novojaz“ genannt. Dieser Terminus wird für die politisierte Sowjetsprache verwendet, dessen Aufgabe darin bestand, die ideologischen Stereotype des Staates massenwirksam zu verbreiten.1

Das Thema dieser Ausarbeitung widmet sich jener Politsprache der ehemaligen Sowjetunion. In diesem Zusammenhang soll das novojaz ergründet und vorgestellt, seine Instrumente, Funktionen sowie Ziele geliefert werden. Abschließend soll die Sprache in den Werken Il’fs und Petrovs „Dvenadcat‘ stul’ev“ und „Zolotoj telenok“ ausgearbeitet und interpretiert werden.

Die Thematik des novojaz stellt eine bislang wenig erforschte Varietät der russi- schen Sprache dar. Anzumerken ist, dass ein Gros der Literatur erst nach dem Zusam menbruch des Sozialismus entstand. Es wird der Versuch unternommen, für den theore tischen Teil der Arbeit größtenteils aktuelle russische Literatur zu benutzen. Das novo- jaz wurde zwar auch und sogar früher in den westlichen, demokratischen Ländern er- forscht, dennoch soll dieser Forschungsstand hier unberührt bleiben. Zwar liefern diese Forschungen einen großen Teil an Methoden und Konzepten, aber sie verfügen in kei- ner Weise über ein wichtiges Detail: die Beziehung zum novojaz und der Erfahrung im eigenen Lebensverlauf. Dieser Punkt führte nach Meinung Micheevs u.a. dazu, dass das novojaz verfälscht, bzw. aus der Sicht der anderen Ideologie unzureichend oder gar falsch interpretiert wurde.2

Eingeführt wurde der Terminus durch den englischen Schriftsteller George Orwell, der in seinem anti-utopischen Werk „1984“ eine Kunstsprache, das sogenannte „newspeak“, als Sprache des Staatsystems verwendet. Dieses „newspeak“ ist keine Fan- tasie von Orwell gewesen, sondern bereits Realität in der UdSSR und im nazistischen Deutschland geworden.

1. Novojaz als Varietät und Verwendung in der Literatur

1.1. Novojaz als Sprache eines totalitären Regimes

Zwei wesentliche Sozialumbrüche des 20. Jahrhunderts - die Oktoberrevolution und die Zeit der Perestrojka - haben die russische Sprache entscheidend geprägt und viele Änderungen in die russische Lexik eingebracht. Da die Sprache ein machtvolles Instrument zur Bewusstseinserziehung darstellt, wurde diese systematisch von der Partei für ihre Zwecke eingesetzt.

Die Sprache wurde in der sowjetischen Epoche bürokratisiert, in Ketten der Zensur gelegt und diente zur Manipulation der Gesellschaft. In dieser Zeit herrschte eine Situation vor, die als Diglossie oder Zwiesprachigkeit bezeichnet werden kann. Darunter soll verstanden werden, dass parallel zwei Formen einer Sprache verwendet wurden, die sich auf verschiedene Verwendungssphären aufteilen lässt.

Micheev schrieb hierzu in seinem Aufsatz „Jazyk totalitarnogo obš estva“ folgendes:

Что представляет собой язык тоталитарного общества? Задумываясь над этим, мы прежде всего вспоминаем емкий художественный образ, созданный Дж. Оруэллом: ,новояз* из романа ,1984*. У всех нас еще на слуху и тот вариант ,нового языка*, который бьиі реализован в СССР — передовицы ценгральных газет, речи партийных руководителей, семантически пустые лозунги и призывы ,шире развернем соревнование*, ,пятилетка эффективности и качества*, »чувство глубокого удовлетворения* и т.п. Советский ,новояз* был часіъю нашей повседневности, и весь политический дискурс воспринимался как привычный фон, как псевдоинформационная среда.3

In der sowjetischen Gesellschaft existierten noch weitere Sprachvarietäten: prostore ie, slang, jargon usw., die von verschiedenen Gesellschaftsschichten bedient und situationsbedingt angewandt wurden. Das novojaz beherrschte die Festreden und Parteireden, Zeitungsartikel und Fernsehansprachen, Paraden sowie Massenveranstal- tungen etc., während sich der Bürger in der alltäglichen Kommunikation der normalen Sprache, also des russischen prostore ie oder des literaturnyj jazyk, bediente.

Von George Orwell kam das Zitat:

Политический язык создан, чтобы заставить ложь выглядеть правдоподобно, и вынуждает нас, позабыв обо всех приличиях, признать непоколебимой истиной то, что является чистейшим вздором.4

In seinen antitotalitären Werken zeigte Orwell anhand einer Anti-Utopie eine mögliche Gesellschaftsform auf, die durch Hass, Freiheitsraub, Denunziantentum und Angst geprägt ist. Hierbei verwendete Orwell auch erstmalig die später durch Linguisten verwendeten Termini der Diglossie, novojaz und Zwiedenken.

In der zeitgenössischen Forschung wird das novojaz durch verschiedene Termini charakterisiert, deren Aussagen sich jedoch stark ähneln. Michajlin benennt es als „osobennoj kodovoj sistemoj ‚sovetskogo‘ govorenija, polu ivšij postfaktum s legkoj ruki Oru*lla nazvanie ‚novojaz‘“5.

Markštajn schreibt über das Erkennungsmerkmal des totalitären Sprachstils in der Sowjetunion:

При определении тоталитарного характера советского языка следует выделить два аспекта: притязание на тотальность охвата действительности и тотального контроля над обществом, с одной стороны, и агрессивность самого его внедрения в тоталитарном государстве - с другой [...] А репрессивный характер не позволяет ставить этот язык в один ряд с политическим языком демократий, тем более что в силу своей идеологичности он посягает и на быт, и на спорт, и на семейную жизнь [...].6

Nach Meinung Chan-Piras, wie im Aufsatz „Totalitarizm i jazyk“ zu lesen ist, ist:

советский , новояз‘ - [...] не самостоятельный язык, а жаргон: официальный, партийно-государственный, являющийся, по суги, вариантом русского языка, сознательноискаженного для достижения определенных идеологических целей.7

Das novojaz sollte nicht als eine ausschließlich russische Erscheinung betrach- tet werden. Nicht weniger wurde die Sprache auch unter der Herrschaft Hitlers miss- braucht. Auch Italien unter Mussolini und Spanien unter Franco erfuhren ähnliche Tendenzen. Ebenso die Staaten des sog. „Sozialistischen Lagers“[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] - haben einen Wandel erlebt. Aber das russische no vojaz wies eine Reihe spezifischer Besonderheiten auf: Markštajn bemerkt hierzu:

[...] тоталитарный язык в русском варианте господствовал гораздо дольше всех иных своих разновидностей, был гораздо прочней структурирован и, как мне кажется, был единственным, который в качестве художественного приема использовался писателями [...].8

So kann man die Verwendung des novojaz bereits bei Majakovskij sehen, dessen Gedichte wie Losungen erscheinen und erste Stereotype liefern. Auch wird das novojaz durch Bulgakov, Zoš enko, Platonova und zahlreichen anderen sowjetischen Schriftstellern verwendet, um die Wirklichkeit wiederzugeben. Das novojaz existierte in vielen Werken der Sowjetzeit, verwendet wurde es jedoch aus verschiedenen Gründen, mit unterschiedlichen Intentionen und Einfärbungen, welche von der Loyalität des Schriftstellers zum System abhängig waren.

Insbesondere gelungen ist die satirische Verwendung des novojaz in den Werken des Autorenduos Il’f und Petrov „Dvenadcat‘ stul’ev“ und „Zolotoj te- lenok“, die auf eine spielerische Art die einzelnen Gegebenheiten der sowjetischen N,P-Zeit verlachen. Bevor jedoch eine Textanalyse gemacht wird, sollen die grund- legenden Merkmale, Funktionen, Ziele und Instrumente des novojaz geliefert wer- den.

1.2. Mittel und Instrumente des novojaz. Novojaz heute

Ungeachtet dessen, dass Orwell das newspeak als eine Kunstsprache kreiert hat, dienten ihm dabei Prototypen der Bürokratiesprachen totalitärer Regime wie des Hitler-Deutschlands und des stalinistischen Sowjetrusslands. Orwell bediente sich gemeinsamer Merkmale dieser Sprachen, die im Wesentlichen das novojaz prägen:

1. Teilung der Lexik in drei Gebiete in Abhängigkeit der Verwendung

Lexik A: Wörter, die im allgemeinen, täglichen Gebrauch vorkommen.
Lexik B: Wörter, die speziell konstruiert wurden, um ethische oder politische Gegebenheiten auszudrücken, also novojaz
Lexik C: Behelfs- und Lehnwörter sowie Fachtermini die nur von Spezialisten bedient wurden

2. Liquidierung von Mehrfachsemantik und Kürzung des Wortschatzes

Orwell formulierte das Ziel des newspeak als die maximale Begrenzung der menschlichen Gedankenwelt. Die Sprache spiegelt die Gedanken wieder und kann diese kontrollieren - und umgekehrt. So ist es für ein totalitäres Regime unerlässlich, diese Gedankenfreiheit einer Kontrolle zu unterwerfen, um so Widerstände zu minimieren oder gar auszuschalten.

3. Restriktive und eindeutige Semantik

Das novojaz sollte jegliche Abweichung in der Wortmeinung verhindern. Die Ideologie und die politische Position der jeweiligen Macht sind nie zweideu- tig.

4. Verwendung von Abbreviaturen und Zusammenfügung mehrerer feststehen- der Begriffe

Die Erbauung dieser neuen Sprache sollte das System als total herrschend definieren. So entstanden unzählige, für den Menschenverstand nicht nachvollziehbare Wortkonstrukte.9

Manchmal führten diese Konstrukte bis hin zur Absurdität. Majakovskij kritisierte solche Deformationen der Sprache, wie folgendes Gedicht aufzeigen soll:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


1 Vgl.: Mokienko, V.M., Nikitina, T.G, „Vmesto predislovija“, in: Ders. (Hrsg.): Tolkovyj slovar ‘ jasyka Sovdepii, Sankt-Peterburg 1998. S. 5.

2 Vgl.: Micheev. V.A., „Jazyk totalitarnogo obš estva”, in: Vestnik Akademii nauk SSSR, 1991, Nr. 8, S. 130. Im Folgenden zitiert als „Jazyk obš estva“.

3 Micheev, A.V., „Jazyk obš estva“, S. 130.

4 Zitiert nach: Bartov, A., „Novojaz“ v literature i v žizni. K 60-letiju vychoda romana Džordža Oru*lla “1984”, in: Neva. E.l. ž, 2009. Nr. 3, S. 159.

5 Michajlin, Ju. V., „Drugie jazyki“, in: Novoe literaturnoe obozrenie, 2000, Nr. 3, S. 384.

6 Markštajn, ,., “Problemy i razmyšlenija. Sovetskij jazyk i russkie pisateli”, in: Voprosy Literatury, 1995, Nr. 1, S. 98.

7 Micheev, A.V., “Jazyk obš estva”, S. 133.

8 Markštajn, “Problemy i razmyšlenija. Sovetskij jazyk i russkie pisateli”, in: Voprosy Literatury, 1995, Nr. 1, S. 97f.

9 Vgl.: Gusejnov, G. “Lož‘ kak sostojanija soznanija”, in: Voprosy filosofii, 1989, Nr. 11, S. 66.

Final del extracto de 22 páginas

Detalles

Título
Politische Sprache - Sprache der Ideologie
Subtítulo
Novojaz in den Ostap-Bender-Romanen
Universidad
Christian-Albrechts-University of Kiel  (Slavistik)
Curso
Il'fs und Ev. Petrovs Ostap-Bender-Romane als satirische Gesellschaftsdiagnose
Calificación
2,0
Autor
Año
2011
Páginas
22
No. de catálogo
V182533
ISBN (Ebook)
9783656065791
Tamaño de fichero
481 KB
Idioma
Alemán
Notas
Zitate sind größtenteils auf Russisch.
Palabras clave
novojaz, Ostap Bender, Ilf Petrov, Politische Ideologie, Satire
Citar trabajo
Vitalij Baisel (Autor), 2011, Politische Sprache - Sprache der Ideologie, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/182533

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