Leseprobe
1 Entwicklungen im Kaiserreich
Es soll nun auf die antisemitischen Entwicklungen im Kaiserreich eingegangen werden. Begonnen werden soll mit der zu Beginn judenfreundlichen Einstellung, die die Gleichberechtigung der jüdischen Bevölkerung fordert.
Anschließend sollen die Veränderungen während der Gründerkrise, die den Antisemitismus in Deutschland radikalisierten, angesprochen werden. Eine Auswahl antisemitischer Bilder und Texte verdeutlich diesen Zustand, hier wurde eine Geschichte Wilhelm Buschs als Bildquelle gewählt.
1.1 Gleichberechtigung der jüdischen Bevölkerung
„Die in Deutschland seit der Revolution von 1848/49 immer stärker geforderte Gleichberechtigung des jüdischen Bevölkerungsteils war in der Reichsverfassung von 1871 verankert. Damit war die Emanzipation der etwa 512.000 Juden im Deutschen Reich (1,25 Prozent der Gesamtbevölkerung) formal abgeschlossen.“ (Deutsches Historisches Museum) Trotz dieser formalen Gleichberechtigung kam es schon sehr bald verstärkt zu antisemitischen Tendenzen, deren Höhepunkt sich in der Gründerkrise finden lässt.
1.2 Auslöser Gründerkrise
Schon im Verlauf der Industriellen Revolution kam es verstärkt zur Judenfeindschaft, die, im Gegensatz zu früher, nun stärker politisch geprägt war: Juden wurden für lange Ar- beitstage und schlechte Entlohnung verantwortlich gemacht, bekleideten sie doch viel- mals hohe Position im Bankwesen. Willms bezeichnet die Juden diesen Anschuldigungen entsprechend als „‚traditionelle Sündenböcke in Zeiten wirtschaftlicher Mise- ren‘“ (Willms, 1983, S. 73, in: Keim, 2001, S. 9).
Als es 1873 zur Gründerkrise kam, wurden die Juden auch hierfür verantwortlich ge- macht. So nahm etwa der Journalist Otto Glagau an, dass unlautere Geschäftspraktiken und Börsenspekulationen die Ursache der Krise gewesen seien (Deutsches Historisches Museum).
Aber auch bekannte Persönlichkeiten wie der Historiker Heinrich Treitschke sprachen 1879 von einer „‚schweren Mitschuld‘“(Deutsches Historisches Museum), die Juden am „‚Lug und Trug, an der frechen Gier des Gründer-Unwesens‘“ (Deutsches Historisches Museum) gehabt hätten. Insgesamt erschienen zur Problematik zwischen 1873 und 1890 mehr als 500 Schriften. (Deutsches Historisches Museum) Viele Bürger unterzeichneten, ganz im Widerspruch zur 1871 verankerten Gleichberechtigung von Juden, eine Petition gegen die rechtliche und soziale Gleichstellung der Juden in Deutschland. Besonders antisemitisch eingestellt waren Handwerker, Kleinhändler und Bauern, aber auch Angehörige der Führungs- und Bildungsschicht, die um ihre Existenz fürchteten. (Deutsches Historisches Museum)
1.3 Beispiele zeitgenössischer antisemitischer Bilder und Texte
Die folgende Abbildung soll stichpunktartig analysiert werden, um die Hauptmerkmale identifizieren zu können.
1.3.1 Wilhelm Busch: „Plisch und Plum“
Am Ende abgebildet ist ein Ausschnitt der 1882 erschienenen Bildergeschichte „Plisch und Plum“ von Wilhelm Busch. Diese Art der antisemitischen Darstellung wurde bewusst gewählt, um auf die verschiedenen „Merkmale“ eines Juden eingehen zu können. Durch offensichtliche Darstellung - sowohl bildlich als auch textlich - wird es leicht fallen, zum einen „Merkmale“ wie beispielsweise die große Nase und das Geldeintreiben, zum anderen antisemitische Textstellen unter anderem zur „grauen Seele“, zur Hässlichkeit und zum Verhalten eines Juden zu finden.
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