Entgegen dieser klassischen Dichotomie von Politik und Verwaltung bestimmen heute Schlagworte wie „politische Verwaltung“ oder „verwaltete Politik“ die Diskussion. Während der Verwaltung traditionell der Nimbus des neutralen Staatsdieners anhaftet, zitiert man diesen Neutralitätsanspruch heute nicht nur als „,Lebenslüge des Obrigkeitsstaates’“ und hebt insbesondere den politischen Charakter der Bürokratie hervor.3 Dieser Wandel des ministeriellen Bewusstseins muss folglich nicht nur unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten kritisch hinterdacht werden, sondern impliziert auch, dass die ohnehin schwer zu trennenden Bereiche Politik und Verwaltung funktional ineinander greifen und die Verwaltung in Bereiche einzudringen vermag, die sich nach der klassischen Trennung die politische Führung vorbehalten hatte (z.B. Politikformulierung). Vor allem wird hier, angesichts der Befürworter und Gegner der ausschließlichen Verwaltungsführung durch die Politik, die Frage aufgeworfen, ob die funktionale Verschränkung von Politik und Verwaltung ein Strukturdefizit oder eine akzeptable Folge des parlamentarischen Regierungssystems der Bundesrepublik sei. Um diese Frage zu klären, wartet insbesondere die Politikformulierungstätigkeit in der Ministerialverwaltung als interessanter Untersuchungsgegenstand auf. Während klassische Vorstellungen dem Parlament den Primat der Programmaufstellung unterstellen, und dem Verwaltungsapparat ausschließlich die Programmausführung zuweisen, belegen empirische Daten, dass der unpolitische Vollzug von Programmen als prädominante Aufgabe der Verwaltung längst der Fiktion anheim fällt. Am Beispiel der Politikformulierungsfähigkeit der Ministerialverwaltung lässt sich somit vor allem auch veranschaulichen, wie und unter welchen Bedingungen die Verwaltung zusammen mit der politischen Führung keine strikt hierarchische, sondern eine kooperative Beziehung zu pflegen weiß. Diesen Ansatz will die vorliegende Hausarbeit aufgreifen und weitergehend untersuchen, inwiefern die Politikformulierungsfähigkeit der Ministerialbürokratie auf Bundesebene ein Defizit oder eine logische Folge des parlamentarischen Regierungssystems ist.
Inhaltsverzeichnis
- Die Ministerialverwaltung zwischen Politikdurchführung und Politikformulierung
- Normative Perspektive: Ansätze zur ministeriellen Politikformulierung als Strukturdefizit
- Max Weber: Bürokratische Herrschaft
- Rolf-Richard Grauhan: Das Modell der legislatorischen Programmsteuerung
- Ansätze zur ministeriellen Politikformulierung als Folge der Funktionslogik parlamentarischer Regierungssysteme
- Empirische Identifikation: Die Programmentwicklungstätigkeit der Ministerialverwaltung
- Ursachen für die vermehrte Programmentwicklungstätigkeit der Ministerialverwaltung
- Erfordernisse des parlamentarischen Regierungssystems
- Politische Einstellungen der Ministerialbeamten
- Fazit: Die Ministerialverwaltung zwischen organisatorischer Kontinuität und Aufgabenwandel
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit untersucht die Politikformulierungsfähigkeit der Ministerialverwaltung in der Bundesrepublik Deutschland. Sie analysiert, ob diese Fähigkeit ein Defizit oder eine logische Folge des parlamentarischen Regierungssystems darstellt. Die Arbeit greift die klassische Perspektive des Rollenverständnisses von Politik und Verwaltung auf, die eine ministerielle Politikformulierung als Strukturdefizit betrachtet, und untersucht im Anschluss die Politikformulierungstendenz der Ministerialverwaltung im Kontext des parlamentarischen Regierungssystems. Die Arbeit zeigt, ob und inwiefern die Politikformulierungstätigkeit der Ministerialverwaltung einer Logik entspricht, oder ob eine Rückkehr zur klassischen Dichotomie von Politik und Verwaltung einen effizienteren Output für Politik und Verwaltung versprechen würde.
- Die Rolle der Ministerialverwaltung im parlamentarischen Regierungssystem
- Das Spannungsverhältnis zwischen Politikformulierung und Politikdurchführung
- Die Auswirkungen der modernen Funktionslogik des parlamentarischen Regierungssystems auf die Ministerialverwaltung
- Die Frage der Kompetenzverteilung zwischen Politik und Verwaltung
- Die Bedeutung der klassischen und modernen Ansätze zur Organisation der Verwaltung
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet die historische Entwicklung des Verhältnisses zwischen Politik und Verwaltung. Es zeigt, wie der Aufbau des parlamentarischen Regierungssystems nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Wandel des Rollenverständnisses geführt hat. Während die Verwaltung früher vornehmlich als ausführende Macht gesehen wurde, gewinnen heute politische Aspekte der Verwaltung an Bedeutung.
Kapitel zwei analysiert zwei normative Ansätze, die die ministerielle Politikformulierung als Strukturdefizit betrachten. Zuerst wird die Theorie der Bürokratischen Herrschaft von Max Weber vorgestellt, die die Verwaltung als ein neutraler Apparat zur Ausführung politischer Entscheidungen sieht. Anschließend wird das Modell der legislatorischen Programmsteuerung von Rolf-Richard Grauhan diskutiert, das die Programmplanung als Aufgabe der Legislative betrachtet und die Verwaltung auf die reine Ausführung beschränkt.
Kapitel drei untersucht, wie die ministerielle Politikformulierung als Folge der Funktionslogik parlamentarischer Regierungssysteme verstanden werden kann. Es werden empirische Daten analysiert, die zeigen, dass die Verwaltung zunehmend an der Programmentwicklung beteiligt ist. Dieses Phänomen wird als Folge der Erfordernisse des parlamentarischen Regierungssystems und der politischen Einstellungen von Ministerialbeamten erklärt.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter der Arbeit sind: Politikformulierung, Politikdurchführung, Ministerialverwaltung, parlamentarische Regierungssysteme, Bürokratische Herrschaft, Max Weber, Rolf-Richard Grauhan, Programmsteuerung, Funktionslogik, Strukturdefizit.
- Citar trabajo
- Sascha Walther (Autor), 2003, Die Politikformulierungsfähigkeit der Ministerialverwaltung: Strukturdefizit oder Folge der Funktionslogik des parlamentarischen Regierungssystems?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18280