Variationen über den Körper

Eine filmwissenschaftliche Untersuchung der Kopf- und Körperdeformationen in David Lynchs "Eraserhead", "The Elephant Man" und "Lost Highway" im Kontext philosophischer und kunstwissenschaftlicher Bildtheorie


Thesis (M.A.), 2011

121 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. David Lynch: Film und Kunst
2.1 Der Weg von der bildenden Kunst zum Film
2.1.1 Der modifizierte Körper in der Fotografie: André Kertész
2.1.2 Der entstellte Körper in der Malerei: Francis Bacon
2.2 Das Problem der Interpretation: die Mystifizierung des Autors
2.3 Abstraktion und Postmoderne im Film
2.3.1 Die Wahrnehmung der Abstraktion im Bildraum
2.3.2 Die postmoderne Mehrfachkodierung von Zeichen

3. Die Fremdheit des Körpers und der Dinge
3.1 Kopf- und Körperdeformation
3.1.1 Die Masken des Menschen
3.1.2 Der Körper als Skulptur
3.2 Das Fremde Selbst
3.2.1 Entfremdung und Entäußerung
3.2.2 Die Faszination für den fremden Körper und das Abjekt
3.2.3 Die Wahrnehmung des Unheimlichen

4. Eraserhead: die Fremdheit einer Welt
4.1 Eraserhead
4.2 Die Verkörperung des Fremden
4.2.1 Das Baby: eine Figur außerhalb der symbolischen Ordnung
4.2.2 Bipolare Figuren der metaphysischen Sphäre
4.2.3 Henry Spencer: der Träumer zwischen Illusion und Wirklichkeit
4.3 Ästhetik des Surrealismus

5. The Elephant Man: Der Mensch als unzivilisiertes Tier
5.1 John Merrick: die tragische Ironie der Natur
5.1.1 Die Kunst, einen kranke Körper darzustellen
5.1.2 Die Sprache als Ausgleich zur Immanenz des Bildes
5.2 Der mystifizierte Blick: religiöse Konnotation als Abstraktion

6. Lost Highway: Die Destruktion einer vertrauten Welt
6.1 Fred Madison: Identitätsverlust zwischen Realität und Wahnsinn
6.2 Eine Kopfdeformation in 720 Einzelbildern

7. Fazit

8. Anhang
8.1 Literaturverzeichnis
8.2 Quellen- und Abbildungsverzeichnis
8.3 Abbildungen

Lebenslauf

Eidesstattliche Erklärung

1. Einleitung

„ The body is a sheet of plain glass through which the soul looks straight and clear, and, save for one of two passions such as desire and greed, is null, and negligible and non-existent. On the contrary, the very opposite is true. All day, all night the body intervenes; blunts or sharpens, colours or discolours, turns to wax in the warmth of June, hardens to talloiw in the murk of February. The creature within can only gaze through the pane - smudged or rosy; it cannot separate off from the body like the sheath of a knife or the pod of a pea for a single instant “ Virginia Woolf, On Being Ill1

Der Körper, der die Kreatur beherbergt, der wandelbar und schwach ist, kommuniziert mit dem Außen. Er ist Medium zwischen Innen und Außen, zwischen der äußeren Realität und dem Ich, ist Spiegel der Seele und doch führt er ein Eigenleben. Was Virginia Woolf in On Being Ill formuliert, beschreibt eine Problematik, die im Folgenden mit Blick auf das filmische Schaffen David Lynchs untersucht werden soll. In literarischer Wortgewandtheit zu Papier gebracht, scheint es sich mit dem zu decken, was der amerikanische Regisseur, dessen Werk im folgenden Text film- und kunstwissenschaftlich analysiert werden soll, in Bildern, Tonspuren und Stimmungen einzufangen versucht. Für ihn ist der Körper zentraler Gesichtspunkt einer Suche nach dem Dazwischen, dem Nicht-Greifbaren und dem Fremden.

Die vorliegende Arbeit soll einen Versuch darstellen, die Motivation Lynchs zu ergründen, die hinter dieser Suche steht. Woher kommen die Motive, die in beinahe allen denkbaren Variationen in seinem mittlerweile umfassenden Œuvre auftauchen? Die Stabilität und Ganzheit des menschlichen Körpers, der im Bildraum sowohl das Fleisch wie auch den Hüter oder das fremde Außen der Seele repräsentiert, wird in einer konkreten Strategie von allen Seiten aus infrage gestellt.

David Lynch ist seit den späten 70er und frühen 80er Jahren eine stete Größe des amerikanischen Independentfilms. Generell lassen sich seine Filme jedoch nicht einem bestimmten Genre oder einer konkreten Kategorie zuweisen und stellen mehr eine Methodik avantgardistischer Formauflösung dar, „da sie sich mit allen Schwächen und Krankheiten unserer Kultur auseinandersetzen.“2 Die Kategorisierung Independentfilm ist also austauschbar mit einem Begriff wie arthouse -Film und dient lediglich der Vereinfachung von Einordnung und Verständnis. Die konkreten Merkmale der Filmästhetik David Lynchs sollen in Kapitel 2.2 im Vordergrund stehen.

Nach dem Kunststudium an der Pennsylvania Academy of the Fine Arts in Philadelphia, das er bereits unter anderem mit einem experimentellen Trickfilm (Six Figures Getting Sick, 1966) erfolgreich abschloss, studierte Lynch als Stipendiat in Los Angeles am American Film Institute (AFI) und realisierte dort mit Studienkollegen und Freunden über mehrere Jahre hinweg sein erstes Spielfilmprojekt Eraserhead (1977). Mit diesem unter schwierigen finanziellen und organisatorischen Produktionsbedingungen entstandenen Werk machte er sich bei Kritikern und dem Publikum der Midnight Movies - Filmen, die wegen ihres potenziellen Kultcharakters und mangelnder Massentauglichkeit in kleinen Kinos zur Mitternachtsvorführung um Anerkennung rangen - schnell einen Namen. Bis heute hat sich Eraserhead als Kultfilm gehalten und grenzt sich von den späteren Spielfilmen Lynchs noch immer ab. Inwieweit die Ästhetik der Filmbilder und der Stil der Erzählung sich vom restlichen Werk Lynchs unterscheiden und welche die Einflüsse, Ideen und Hintergründe des Erstlingswerkes sind wird im Verlaufe der folgenden Argumentation erörtert werden. Außer Frage steht jedoch, dass Eraserhead für die Untersuchung des Motivs Körper, Fremdheit und Deformation im Werk eine zentrale Rolle spielt und ein klassisches und gleichzeitig eigenständiges Exemplar eines Traumkinos darstellt. Wie beim surrealistischen Film und dem Avantgardekino findet auf inhaltlicher und visueller Ebene eine Auseinandersetzung mit dem Unbewussten, dem Verdrängten, dem Unheimlichen und ganz im Besonderen mit dem menschlichen Körper und dem Surrealen statt.

Da die Filme David Lynchs sich trotz eines wiederkehrenden Motivs nicht auf ein Paradebeispiel konzentrieren lassen und sich jeder Genrezuweisung widersetzen, ist es von Nöten, die herausragenden Exemplare dieser Infragestellung und Untersuchung des menschlichen Körpers nebeneinander zu stellen, um ein breiteres Bild herstellen zu können und somit eine Heranführung an die Ideen und Visionen dieses Filmautors zu ermöglichen. Hierfür werden zwei weitere Filme im Zentrum der Argumentation stehen.

Im Anschluss an Eraserhead soll The Elephant Man (1980) auf Spuren der Körperlichkeit hin untersucht werden, die dort so offensichtlich wie in keinem anderen Spielfilm des Regisseurs im Zentrum der Handlung stehen. Hier ist es jedoch nicht der Fokus der Argumentation, die Art der körperlichen Entstellung und die Dimension der visuellen Fremdheit zu ergründen. Im Falle der historisch belegten Existenz des Elefantenmenschen John Merrick, dessen Lebensgeschichte in Zügen durch seinen Arzt zu Ende des 19. Jahrhunderts aufgezeichnet wurde, führt Lynch eine filmische Abhandlung über die Folgen einer eklatanten körperlichen Deformation vor. Im Zuge dessen sollen die Aspekte gesellschaftlicher Strukturen, voyeuristischer Tendenzen und christlicher Ikonographie im Zusammenhang mit medizinischen und soziokulturellen Konflikten ins Zentrum der Betrachtungen gerückt werden, mit dem Ziel, eine weitere Facette des Faszinosums Körper im Werke Lynchs vorzustellen.

Jener dritte Film, der sich als späteres Exemplar der Lynch’schen Filmästhetik mit Mulholland Drive (2001), Wild at Heart (1990) und Blue Velvet (1986) vergleichen lässt, ist Lost Highway (1997), worin zwei Aspekte der Körperlichkeit eine entscheidende Rolle spielen. Zum einen ist der menschliche Körper als Einheit mit der Seele des Individuums, das durch psychische Konditionen oder innere Konflikte diese nicht (mehr) als solche erfährt, als Ganzes infrage gestellt. Zum anderen steht der Kopf mit dem Gesicht als präziseste und direkteste Projektionsfläche des Seelenzustandes des Individuums als Höhepunkt der körperlichen Entfremdung vor allem anderen. Die höchste Konzentration an Konflikten zwischen der inneren und äußeren Realität eines Subjektes steht in Lost Highway im Mittelpunkt des filmischen Umgangs mit dem Körper und seiner Instabilität.

Eine grundlegende theoretische Annäherung an die philosophische, psychologische und filmwissenschaftliche Bedeutung der Körperdarstellung und - wahrnehmung ist Ausgangspunkt der Analyse des deformierten Körpers, mit einem Fokus auf den Kopf, in den drei oben vorgestellten Filmen. Diese theoretischen Erläuterungen sollen einem Weitblick dienen, der erst eine detaillierte Betrachtung der Filme von David Lynch ermöglicht. Anders als beim klassischen Hollywoodfilm, bei dem eine kausa]llogische Narration, eine aristotelische Dramaturgie und klare Figurenpsychologie dominieren, sind die filmischen Werke Lynchs nicht auf oberflächlicher Ebene einer filmwissenschaftliche Analyse greifbar. Sie verlangen nach einer intensiven Beschäftigung mit dem Prozess der Wahrnehmung, die den Zuschauer in individueller Weise fordert. Demzufolge kann hier nicht eine allgemeine Wirkungsanalyse der Filme gegeben, sondern lediglich ein Versuch gestartet werden, die einzelnen Elemente herauszuarbeiten und sie im Kontext einer konkreten Motivik zu untersuchen.

Der Argumentation vorangestellt ist eine allgemeine Zusammenfassung der Merkmale des „Universum Lynch,“ wobei nicht seine Biografie von Bedeutung sein soll, sondern die grundlegende Ästhetik, die sowohl sein Werk als bildender Künstler als auch sein filmisches Schaffen dominiert. Im Zuge dessen soll auch das Problem des Autors und seine eigene Mystifizierung infrage gestellt werden. So sind sowohl die Dementierung von weit reichenden kunst- und filmhistorischen Einflüssen als auch die Verweigerung jeder Intention oder Interpretation des Künstlers nur zwei Hauptmerkmale des Mythos, den David Lynch um sich geschaffen hat. Inwieweit jedoch ein Bezug oder Einfluss vorhanden sein könnte (oder beziehungsweise offensichtlich zu sein scheint), soll untersucht werden. Des Weiteren ist eine Auseinandersetzung mit der filmischen Abstraktion und einer postmodernen Ästhetik grundlegend insofern, als neben der Abkehr von klassischer Narration und eindeutiger Semiologie die Dominanz eines konkreten Motivs sowohl die Grundstruktur des filmischen Arbeitens wie auch das individuelle Wirkungspotenzial beim Zuschauer verändert.

Woraus sich nun aber ein konkretes Motiv, das in den drei zu analysierenden Filmen Eraserhead, The Elephant Man und Lost Highway durchgängig zentral ist, zusammensetzt und inwieweit man dieses durch die Annäherung von wahrnehmungspsychologischer, kunsthistorischer oder filmwissenschaftlicher Position aus greifbar machen kann, wird im theoretischen Teil über nachfolgend erläuterte Aspekte geführt. Dem Phänomen des deformierten Kopfes in David Lynchs Arbeit soll sich in drei sowohl inhaltlich wie visuell motivisch geleiteten Ansätzen genähert werden.

An erster Stelle steht hierbei die Erörterung, inwieweit die Deformationen der Körper, insbesondere des Kopfes, dem Grotesken, der Karikatur oder dem Horror- Genre zugeordnet werden können. Im Anschluss daran wird der Fokus auf der historischen und kunstwissenschaftlichen Bedeutung der Maske liegen: in jeder Bedeutung, die der Begriff im Film haben kann, ob traditionelle Theatermaske, die Maske des Gesichts als Fassade eines Menschen oder die filmische Maske zwischen Schminke, prothetischem Make-up und special effect - die anstatt des natürlichen Gesichts existiert und der visuellen Kopf-/Körperdeformation, die als skulpturales Erlebnis fungiert.

Daran anschließend wird der Wirkungseffekt, den die filmischen Körper beinahe ausnahmslos auf den Zuschauer haben, auf seine Ursache hin untersucht. Hierbei ist das Fremde und Unheimliche zentral, das mit Kristevas Abjekt- Theorie und Freuds Abhandlungen zum Unheimlichen ergründet werden soll. Als letzter wichtiger Punkt der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Motiv des filmischen, deformierten Körpers steht der bei Lynch durchgängig vorhandene Konflikt der Figuren mit ihrer eigenen inneren und äußeren Realität. Hierbei ist vor allem die Diskrepanz zwischen Empfindung und Erwartung, Selbstentäußerung und Diskriminierung, Entfremdung und Selbstmord primär von Bedeutung, um sich der physischen Veränderung der Figur zu nähern, da die Lynch’schen Filmfiguren nie ohne dieses Phänomen eine veränderte äußere Gestalt annehmen. Inwieweit diese Entfremdung und Veräußerlichung des Konfliktes positiv oder negativ konnotiert ist und ob die innerdiegetische physische Veränderung eine eindeutige Reaktion beim Zuschauer hervorrufen kann oder ob auch diese divergent sind, ist in diesem Kapitel zu erörtern.

Die im Text erwähnten Filmbilder werden nicht mit Zeitangabe dokumentiert, sondern lediglich als Abbildungen im Anhang eingefügt und das filmische Material wird nicht beigefügt, da weder der Handlungsverlauf noch die Abfolge von laufenden Filmbildern für die Argumentation relevant sind. Die Screenshots, die zur Veranschaulichung und Nachvollziehbarkeit der Erläuterungen dienen sollen, werden von der deutschen Original-DVD des jeweiligen Filmes bezogen. Jedes weitere erwähnte bildliche Zeugnis, das für die Argumentation wichtig ist, wird ebenfalls im Anhang eingefügt, wobei Screenshots und sonstige bildliche Darstellungen nicht getrennt voneinander, sondern dem Verlauf des Textes folgend geordnet sind.

2. David Lynch: Film und Kunst

David Keith Lynch wurde 1946 in Missoula, Montana, geboren. Als Sohn eines Naturwissenschaftlers und einer Hausfrau wuchs er mit zwei Geschwistern in geregelten kleinbürgerlichen Verhältnissen auf. Er selbst sah sich in Kindertagen als Außenseiter mit einem regen Interesse an der Natur. Dieses Interesse besteht bis heute. Neben seiner Begeisterung für Käfer, Fliegen und ähnliches Getier, das in jedem Garten zu finden ist, hatte Lynch als Kind schon den Hang dazu, ihn umgebende Eindrücke aller Art in Bildern auszudrücken3. Das Umsetzen von Gefühl in Visualität, was die stete Präsenz und die Faszination von Atmosphäre in seinen Werken ausmacht, war ein fester Bestandteil seiner Kindheit. Die USA der 1950er Jahre sind ein zentrales ästhetisches Motiv in einem Großteil seiner Spielfilme (wie Wild at Heart, Lost Highway, Blue Velvet); doch das glatte Image dieser Zeit steht bei David Lynch immer im krassen Gegensatz zu der Angst, die ihn schon als Kind ständig umgab. Er beschreibt den Zustand, den er empfand als „ troubled, more than living in fear. Really troubled . I would think, ‚ This is not the way it is supposed to be ’ , and it would trouble me. It was a suspicion on my part, but almost a knowing. “4 Diese Form der Infragestellung, der Verunsicherung und Form der Vorahnung begegnet dem Zuschauer in jedem Werk Lynchs, von der Fotografie über die Rauminstallationen und Malereien bis hin zum filmischen Kunstwerk.

2.1 Der Weg von der bildenden Kunst zum Film

David Lynch kam - trotz seiner steten Begeisterung und Liebe zur Malerei und dem Hang zur ständigen Produktion von Zeichnungen immergleicher Motive - erst 1960/61 auf die Idee, sein Leben der Kunst zu widmen. Anfängliche Pläne, seinem Vater zu folgen und Naturwissenschaftler zu werden, verwarf er nach und nach5. 1964 begann er eine Ausbildung an der Boston Museum School, die er jedoch nach einem Jahr abbrach, um 1965 sein Kunststudium an der Pennsylvania Academy of Fine Arts (PAFA) in Philadelphia fortzuführen6. Philadelphia scheint Lynch tief greifend beeinflusst und verunsichert zu haben - wann immer in seinen Filmen die brutale Industrie und kalte, unbewohnte Baracken mit einem intensiven Angstgefühl auftreten, bezieht er diese auf seine Erfahrungen in Philadelphia7. Doch die Stadt als Solche hatte ihn schon zu seiner Kindheit beängstigt. New York beschreibt er nicht als faszinierenden, multiethnischen und bunten Pool, vielmehr erlebte er das Laute, Düstere und Schnelle als Kind vom Land als große Bedrohung8. Dass beinahe alle seine späteren Spielfilme in Idyllen und Kleinstädten spielen mag da kein Zufall sein. Wenn die Stadt auftaucht ist sie geprägt von schwerer Industrie, „toten Kreisläufen,“ Gestank und mechanischen Geräuschen, sie ist immer pejorativ9. Die Natur stellt hier stets einen Gegenpol dar, den er - als immerwährenden Gegenspieler zur vom Menschen gemachten modernen Realität - bewusst einsetzt.

Die ersten filmischen Exkurse seiner künstlerischen Arbeit fanden an der PAFA in Six Figures Getting Sick (1967) und The Alphabet (1968) ihre Realisierung10. Darauf folgten zwei weitere Kurzfilme, The Grandmother (1970) und The Amputee (1973). Stilistisch lassen sich die vier frühen Exemplare - (es folgten in späteren Jahren noch zwei weitere Kurzfilme, The Cowboy and the Frenchman, 1988, und Lumiere, 1995, die sich jedoch stilistisch und thematisch stark von den anfänglichen Filmen abgrenzen) - in ihrer Entwicklung als aufeinander aufbauende Experimente sehen: kann Six Figures Getting Sick noch deutlich als Versuch angesehen werden, die bemalte Leinwand im Kontext einer Idee in Bewegung zu bringen und eine visuelle Veränderung des statischen Gemäldes zu erzielen11, verbindet The Alphabet bereits Elemente des narrativen Trickfilms mit realen Personen, die - wenn auch stark stilisiert und parallel zum Trickgeschehen fungierend - gleichwertiger Teil des Films sind. Das Kinderlied „ABC“, auch in deutschen Kindergärten und Grundschulen gerne zum Erlernen des ABCs gesungen, wird hier in ein albtraumartiges Geschehen transformiert, wobei Sexualität und Sprache stark miteinander verknüpft sind12.

„He didn’t talk the way a lot of artists do. He would make noises, open his arms wide and make a sound like the wind. The Alphabet was a way of expressing his frustration with the need to be verbal. This film talks about the hell of a person with a non-verbal nature“13

In einem ähnlichen Kontext steht The Grandmother, ebenfalls eine Mischform aus (Zeichen-)Trickfilm und realen Personen. Hier stehen jedoch eine konkrete Narration und eine durchgängige Atmosphäre der offenen Dramaturgie von The Alphabet gegenüber. Es wird die Geschichte eines etwa 10-jährigen Jungen erzählt, der von seinen Eltern missachtet und unterdrückt wird und sich in seiner Dachkammer aus einem Sack Samen eine liebevolle, wenn auch für den Zuschauer unheimlich anmutende Großmutter züchtet14. Hier tritt ein wichtiges Motiv der Lynsch’schen Ästhetik zum ersten Mal deutlich hervor: die Faszination für das Organische, für natürliche und doch abstoßende textures, die in Kapitel 3.2 im Kontext der Abjekt-Theorie von Kristeva näher betrachtet werden sollen. Was hier innerdiegetisch als Erlösung, als das ersehnte liebende Subjekt hervortritt, wirkt extradiegetisch auf den Zuschauer als Ekel erregendes, abstoßendes Objekt, das nicht mit dem stereotypen Bild der Großmutter als tendenziell eher positiv konnotierte Filmfigur kongruent ist. Ein Merkmal, das in Bezug auf die Angst und das Unheimliche zutage kommt, ist die Tatsache, dass das Fremde (die Eltern) in der Kernfamilie stattfindet und nicht von Außen in das Vertraute eindringt15. So potenziert sich der Angstzustand, den der Betrachter mit dem Jungen erlebt, erheblich.

In The Amputee tritt ein weiteres wichtiges Motiv hervor, das durch das filmische Werk David Lynchs hindurch stets präsent ist: der versehrte, nicht- vollkommene menschliche Körper. Der 5-minütige Film fokussiert eine Frau, deren Unterschenkel amputiert sind16. Sie sitzt in einem Sessel, raucht Zigarette und schreibt einen Brief. Ihre Stimme erzählt im Voice-Over den irrelevanten und beinahe inhaltsfreien, von Floskeln getragenen Text des Briefes, während eine Pflegeperson ihre linke Amputationswunde zu versorgen versucht. Dieser Vorgang, nüchtern und fast voyeuristisch angelegt, kippt aus einer kontemplativen Stimmung heraus ins Grotesk-Komische: der offensichtlich künstlich hergestellte Film-Stumpf des Beines nässt, es läuft eine Flüssigkeit heraus und die Pflegeperson verlässt fluchtartig den Raum. Die grotesk-komisch erscheinende Wendung ist hier jedoch nicht von zentraler Bedeutung, sondern die generell erzielte Wirkung einer Faszination für das Körperliche. In The Amputee manifestiert sich mehr als in The Grandmother eine reine Ausstellung von versehrter Körperlichkeit, die wertungsneutral gezeigt wird. Auch hier scheint die Wirkabsicht so zu sein, dass der Zuschauer mit einem Bild konfrontiert wird, das eine große Kluft zwischen Gesehenem, Empfundenem und Dargestelltem aufreißen lässt. Verzerrungen und Monstrositäten, die nichts anderes sind als „imaginierte organische Konstrukte,“ konstituieren, in Verbindung mit einer dem Zuschauer bekannten Realität eine „expressive Realität,“ die mit einer offen gelegten Manipulation spielt17. Was sich später in Lynchs Spielfilmen an dominanten Motiven wahrnehmen lässt, zeigt sich somit bereits in den ersten filmischen Experimenten zu Studienzeiten.

Neben den filmischen Arbeiten produzierte David Lynch Kunstwerke, die sich der künstlerischen Mittel aus Fotografie und Malerei, gelegentlich auch der Raum- und Klanginstallation bedienen. Ein Großteil seiner Werke wurde mittlerweile ausgestellt und brachte ihm viel Lob und Anerkennung. Dass er vor seiner Arbeit mit dem Medium Film bereits seinen Hang zum Unheimlichen und Verstörenden auf Papier und Leinwand auszudrücken vermochte, wird hier ganz offensichtlich. Für den filmkundigen Betrachter seiner Fotografien und Zeichnungen wird jedoch schnell klar, dass die Einflüsse, die ihn in seiner Ästhetik leiten, einheitlich sind und sich die bewegten und starren Bilder zu einem großen Ganzen fügen.

2.1.1 Der modifizierte Körper in der Fotografie: André Kertész

Die nähere Betrachtung einer Serie von Lynchs Fotoarbeiten soll als ergänzende Grundlage zur Hinführung an die Faszination des entstellten Körpers dienen. Die Serie Distorted Nudes (2004)18 stellt eine Serie von bearbeiteten schwarz-weiß Aktfotografien der 1920er Jahre dar, die nach einer intensiven Bearbeitung kaum mehr wieder zu erkennen sind. Was Lynch hier an den fotografischen Körpern vollzog oszilliert zwischen chirurgischer Experimentierfreude und voyeuristischer Perversion. Die Frauenkörper sind verstümmelt, zu neuen Körpern transformiert und gewinnen nur selten grotesk-komische Züge. Der Anblick bleibt tendenziell horribel und verstörend, wobei jegliche sexuelle Attraktion (und gerade die Anmut, die das Modell in den 1920er Jahren noch ausstrahlt), die das Aktbild von Natur aus besitzt, in sein krasses Gegenteil gewendet wird: man könnte fast von einer Angst vor dem nackten, ausgestellten Körper sprechen, der nur noch in seinen Einzelteilen existiert.

Die Distorted Nudes scheinen durch Picassos Entstellungen und Überzeichnungen von Fotografien und Drucksachen der 1940er Jahre beeinflusst19, zumindest ist das Verfahren den Mitteln der heutigen digitalen Fotobearbeitung angepasst. Was jedoch bei näherer Betrachtung der Fotoarbeiten zusätzlich ins Auge sticht ist die nahe Verwandtschaft zu André Kertész’ experimentellen Avantgarde-Fotografien. Kertész (1894 in Ungarn geboren) veröffentlichte 1976 in Amerika und Frankreich ein Buch mit dem Titel Distortions, das unter anderem eine Serie von fotografischen Verzerrungen von weiblichen Aktbildern20 enthält, die 1933 entstanden und als anstößige Antifotografien zurückgehalten, damit erstmals den heutigen Bekanntheitsgrad erlangten21. Die 155 erhaltenen Fotografien zeigen Experimente, bei denen die Kameralinse in gekrümmten Spiegeln und reflektierenden Gegenständen (wie versilberten Kugeln, Lampen, Gehäusen und so weiter) die so entstehenden Verzerrungen festhält. In aufwendiger Nachbearbeitung vergrößerte Kertész einzelne Details so, dass die Bildergebnisse eine kaum nachvollziehbare und mal komische, mal verstörende Wirkung erzielten. Hierbei standen in anfänglichen Experimenten die Augen und der Kopf, jedoch auch später immer der Körper, vornehmlich der nackte Frauenkörper, im Mittelpunkt22.

„Unübersehbar schöpfte Kertész alle formalen Möglichkeiten aus, die ihm die Spiegel boten, und ließ sich zu den verschiedensten Variationen inspirieren, vom einfachen Dehnen eines Körperteils [...] bis zur vollständigen Auflösung der Kontinuität des Körpers, der immer weniger zu erkennen ist und schließlich eine fast unkenntliche Monstrosität annimmt“23

Eine Anerkennung für seine künstlerischen Experimente als Avantgarde-Fotograf kam ihm erst später zuteil - doch bis heute ist André Kertész ein wichtiger Stellvertreter des politischen Realismus. Inwieweit man behaupten kann und darf, ob David Lynch die Distortions von Kertész oder die Fotografie-Entstellungen von Picasso jemals gesehen hat, ist nicht klar. Sicher ist, - und das soll das vorangegangene Beispiel deutlich machen, - dass durchaus Bezüge zur Kunst des 20. Jahrhunderts zu ziehen sind, die von Lynch selbst jedoch großflächig negiert werden. Die Bildung eines Künstlermythos, was in Kapitel 2.2 noch weiter konkretisiert werden soll, muss demnach in seiner Komplexität aufgebrochen werden, um eine Deutung oder formale Analyse seiner Werke zu ermöglichen.

2.1.2 Der entstellte Körper in der Malerei: Francis Bacon

Ein weiterer bildender Künstler des 20. Jahrhunderts, Francis Bacon, ist in jeder Hinsicht ein großes Vorbild für Lynch, zu dem er sich bewusst bekennt ohne jedoch konkrete Bezüge zu seinem eigenen Werk herzustellen. Es scheint für ihn eine weit reichende ästhetische Faszination und Beeinflussung durch Bacons Gemälde zu bestehen, die mit einem entsprechenden Auge auf das filmische Werk Lynchs nicht schwer zu finden sind.

Das Œuvre des 1909 in Dublin geborenen Malers konstituiert sich durch zwei Hauptmotive: das (Selbst)Porträt24 und den geöffneten, verstellten Körper. Der Gegenstand, der im Gemälde letztlich als Vorbild, als Ausgangsmotiv dient, muss dabei nicht zwangsläufig menschlicher Natur sein. Allen Darstellungen gemein ist die Entstellung und Verfremdung, der „metonymisch zerstückelte Leib.“25 Der Fokus in der nachfolgenden Betrachtung soll zunächst auf dem Porträt liegen; denn in der Konzentration der Darstellung des menschlichen Kopfes und Gesichts liegt der spannende Moment einer offensichtlichen Diskrepanz zwischen Darstellung und Dargestelltem.

„Bacon had always been obsessed by the way people looked. He was fascinated by the way an unhappy love affair, a trick of the light or a sudden surge of anger could transform the features even of close friends whom he thought he knew through and through“26

Dies trifft wohl auch auf die Faszination für Selbstporträts zu, die Selbstergründung des äußeren und inneren Selbst war stets eine Obsession des sich andauernd selbst fotografierenden und malenden Bacon. Das signifikante, malerische Ereignis der Porträts ist jedoch die ausgestellte Abstraktion im Moment der persönlichsten Darstellung: das Gesicht des Porträtierten wird entstellt, bietet dennoch bei aller Deformation einen Wiedererkennungswert und die Identifizierbarkeit der Person27.

Gilles Deleuze beschreibt in einem Kapitel über die Nahaufnahme des Gesichts das Phänomen der Abstraktion des menschlichen Gesichtes in Korrelation zu seinem Ausdruck28. So sei ein Gesicht, dessen Mimik sich immer weiter von einer anatomisch richtigen oder neutralen Weise entfernt automatisch eines, das an Ausdruck gewinnt und in seinen Funktionen der Individualisierung, Sozialisierung und Kommunikation eindrücklicher und präsenter wird: „Unter dem einen oder anderen Aspekt verdichtet das expressionistische Gesicht die Intensitätsreihe, die seine Konturen durchbricht und ihm die Zeichnung nimmt.“29

Carolin Meister betont, dass es nicht um die Übersetzung eines Gesichts in Farbe geht, sondern um die malerische Transfiguration des Modells, also des Menschen, in ein Farbereignis:

„Bacons Unternehmen der Ähnlichkeit unterliegt in diesem Sinne einer Athletik der Entstellung. Es ist die radikale Unähnlichkeit des Menschen im inkarnierten Zeichen des Symptoms, die ihm den Weg in Richtung Porträt weist“30

Jenseits der objektiven Deutbarkeit jener Entstellung und Verwischung schlägt Deleuze eine sehr philosophische Motivation vor, die sich von der Rationalität der malerischen und haptisch begreifbaren Bildgenese auf eine Metaebene verlagert. Die Unruhe der Köpfe entstehe eben nicht durch aktive Bewegung des Menschen, sondern durch unsichtbare Kräfte (Isolation, Deformations- und Auflösungskräfte in Form von Druck, Ausdehnung, Kontraktion, Abplattung und/oder Streckung), die auf den Körper einwirken und auf der Leinwand sichtbar wiedergegeben werden31. Am Beispiel des Schreis, den Francis Bacon zeitlebens darzustellen versuchte, kann diese Theorie veranschaulicht werden:

„Nun lassen sich aber die Kräfte, die den Schrei ausmachen und den Körper verkrampfen, um bis zum Mund als verwischter Zone zu gelangen, keineswegs mit dem sichtbaren Schauspiel verwechseln, angesichts dessen man schreit, und ebenso wenig mit den zuschreibbaren Sinnesobjekten, deren Einwirkung unseren Schmerz dekomponiert und rekomponiert. Wenn man schreit, so stets heimgesucht von unsichtbaren und unspürbaren Kräften, die jedes Schauspiel stören und sogar den Schmerz und die Sensation übersteigen“32

Bacon tut, laut Deleuze, also nichts anderes, als diese Kräfte, von denen der Mensch heimgesucht wird, zu visualisieren und so - gemeinsam mit der Motivation, Bewegungsabläufe gleichzeitig (und zuweilen als nebeneinander existierende Momentaufnahmen im Triptychon als noch komplexerem Konstrukt)33 erscheinen zu lassen - ein ganzheitliches Bild des Porträtierten zu erzeugen. Hierbei korrespondieren das Innen und das Außen in ihrer jeweiligen Beschaffenheit so miteinander, dass daraus eine eigene bildliche Dynamik entsteht.

Die Beeinflussung David Lynchs durch die Ästhetik Bacons, die ideologische und philosophische Annäherung an den Körper, an die Machtlosigkeit des Individuums gegenüber der Natur und der in jedem Menschen vorhandenen triebhaften, unbewussten Kraft, ist nur allzu deutlich. Das Kino ist hier die „Schaltstelle zwischen inneren und äußeren Bildern, als Vermittler zwischen individuellen und kollektiven Bildern, die im sozialen Raum zirkulieren.“34 Was bei Francis Bacon die malerische Transfiguration, die Übersetzung einer Seele in ein Farbereignis ist, das stellt bei Lynch die Übersetzung einer noch körperlosen Filmfigur in ein skulpturales und unheimliches Ereignis das, das ein ähnliches Gefühl im Zuschauer oder Betrachter auslöst, wie es Bacons Figurengebilde tun35. Das Ergebnis der Demontierung und Zerstörung von Körpern und Mythen in Lynchs Filmen ist neben der visuellen Destruktion vor allem eins: Die Fragmentierung einer Kongruenz von Innen und Außen36.

2.2 Das Problem der Interpretation: die Mystifizierung des Autors

Die oben erläuterten Beispiele für offensichtliche wie tendenzielle Einflüsse auf die Lynch’sche Ästhetik beschränkt sich auf zwei vereinzelte Beispiele unter vielen möglichen - doch steht dem etwas gegenüber, das mit der Mystifizierung des Autors einhergeht. David Lynch ist ein klassisches Beispiel für den Filmregisseur, Autor und Produzent von filmischen Werken, die sich zwar einerseits der klaren Genrezuweisung verweigern, dennoch unter dem Deckmantel des Autorenfilms zu kategorisieren sind. Im Folgenden soll nicht die Autortheorie als grundlegendes filmwissenschaftliches Mittel zur Analyse erläutert werden, sondern die Problematik des Umgangs von Regisseur und Œuvre in Hinblick auf die Interpretation desselben.

Denn: die sogenannte Autorschaft im Sinne des auteur konstituiert sich aus der Wechselbeziehung zwischen dem jeweiligen Einzelwerk und dem gesamten Œuvre eines Regisseurs - der Stil, der „innere Sinn“ dessen wiederum ergibt sich aus der Spannung zwischen Materialität (also technischer Kompetenz) und Persönlichkeit (einem bestimmten Stil) der Filme37.

„Filme von David Lynch, Jean-Luc Godard oder Alfred Hitchcock betrachten wir heute ganz selbstverständlich als Kunstwerke und ihren Regisseur als Autor, ob er nun das Drehbuch geschrieben hat oder nicht. Wir sprechen vom ‚Genie’ eines Filmemachers und analysieren sein ‚filmisches Universum,’ forschen nach seinem ‚persönlichen Stil’ und seiner ‚vision du monde.’ Wir unterscheiden zwischen ‚auteur’ und ‚réalisateur’ und würdigen den einen als ‚Filmkünstler’, degradieren den anderen zum ‚Handwerker’ oder gar zum bloßen ‚Dekorateur’ eines vorgegebenen Drehbuchs. Noch immer stehen wir also in der Tradition jener ‚politique des auteurs,’ die Truffaut & Co. in den 50er Jahren initiiert haben. [...] Das Attribut ‚Autor/Auteur’ verleiht einem Film seine ‚Signatur,’ wie bei einem Gemälde oder Roman, und hebt ihn aus der Masse der ‚namenlosen’ Produktionen heraus. Selbst wenn wir uns bewusst sind, dass der Auteur eine Konstruktion darstellt und als mediales ‚Kulturprodukt’ keineswegs mit der realen Person des Filmemachers identisch ist38 [...], so perspektiviert die Kategorie ‚Autorenkino’ dennoch unsere Wahrnehmung und Wertung von Filmen, darin vergleichbar der Funktion von Genres oder Gattungen“39

Die Problematik der Autorschaft zielt im Falle David Lynchs darauf ab, dass diese sich in erster Linie durch eine Mystifizierung seines eigenen Werkes konstituiert: er inszeniert sich selbst als Autor, „als derjenige, der souverän und mit künstlerisch kontrollierendem Blick seine oft wilden Phantasien orchestriert.“40 Hierbei verweigert er jedoch mit einer Vehemenz jegliche Intention, Interpretation und jeden Einfluss. Ein Attribut wie ‚Genie’ mag ihm insofern häufig zugeschrieben werden, da es dem Zuschauer gänzlich unbekannt ist, was die Bedeutung der einzelnen Filme sei, durch welchen Hintergrund Lynch dazu bewegt wurde, den Film auf diese oder jene Weise zu realisieren und so weiter. Im Zweifelsfalle würde das beim Zuschauer dazu führen, den Filmemacher als uninteressant und verschwiegen zu akzeptieren. doch David Lynch macht aus seiner Verschwiegenheit ein Mysterium, indem er Dinge andeutet, anderes jedoch auslässt. Die Art, wie er sein Schaffen nach Außen kommuniziert, erwirkt eine Faszination für die Motivation, die ihn zu der Ästhetik seiner Kunstwerke und Filme treibt:

„I strictly go by ideas that come to me. And I really feel that ideas when you catch them has a tremendous amount of power. Maybe it’s a fuzzy sort of glimpse of it, but if you start writing you realize that you actually saw a lot more at first than you thought you did and these things start unfolding“41

Die Ideen, die Lynch als Ideen-Schnipsel bezeichnet, die sich assoziativ vergrößern und schließlich wie mehrere passende Puzzleteile ein fertiges Bild ergeben, implizieren eben jene ‚Eingebung,’ von der man vorsichtig sprechen kann. Dass die Ästhetik seiner Filme sich aus diversen vorhandenen Bildern und Ideen bildet, darf hier trotzdem nicht außer Acht gelassen werden. Lynchs Filmbilder jenseits von Zeit und Raum wirken immer wie bewusst konstruierte Bilder eines Künstlers42, dessen Ideen nicht als solches, sondern zunächst als unbewusst wahrgenommene und dann in veränderter Form wiedergegebene Bilder bezeichnet werden können.

Der Autor, der darin zum Vorschein kommt ist die Stimme im Filmtext, die als dessen ‚Universum’ empfunden wird und all das, was signifikant für einen ‚typischen Lynch’ erscheint, markiert. Darunter aber „ist nicht notwendigerweise ein Satz von Vorstellungen oder Ideen, eine Moral oder die Moral der Geschichte zu verstehen,“43 sondern vielmehr die Elemente, die perpetuierend in dessen Filmen auftauchen. Der Zuschauer findet inter- und intratextuelle Verweise, die er bewusst oder unbewusst als einen Teil dieses Universums versteht und akzeptiert so die Autorschaft des Filmemachers.

„Wenn Filme als Kunst und Kunstwerke als Manifestation individueller Kreativität oder gar originärer Genialität analysiert und kanonisiert werden, so rückt das auch den Interpreten in ein entsprechendes Licht“44. Die hier implizierte Sonderstellung des Interpreten, der die Autorschaft des Regisseurs akzeptiert und sich auf eine Analyse des Kunstwerkes einlässt, eröffnet folgende Fragen: in welcher Weise muss der Autor des Films Teil der hermeneutischen Interpretation sein, um dem Werk in diesem Sinne gerecht zu werden? Gerhard Schneider erläutert Zugangswege zur psychoanalytischen Interpretation von Filmen45: zum einen den künstlerorientierten und zum anderen einen werkorientierten Ansatz, an den sich ein rezeptionsorientierter Ansatz anschließt. Ersterer orientiert sich am psycho-biographischen Wissen über den Autor, das bei der Interpretation im Film Dinge sichtbar macht, die den Autor selbst betreffen.

Das Problem hierbei ist jedoch, dass in diesem Falle der Autor mehr im Fokus der Analyse steht als das Werk selbst und Elemente der Autor-Psyche herangezogen werden, selbst wenn sie im Kontext des Filmes nur bedingt relevant sind. Allgemeingültige Kriterien können also die Spezifität des Werkes überdecken, das trotz Autorschaft und umfassender Beteiligung des Regisseurs (im Falle Lynch umfasst dies meist mehr als die Regieführung, sondern auch das Drehbuch, die Setgestaltung und so weiter) mehr als eine Person an der Produktion des Films beteiligt sind. Um diesen Ansatz tatsächlich anwenden zu können, muss der Film ein extrem individuelles Kunstwerk darstellen46.

Der werkorientierte Ansatz hingegen geht bei der Analyse des Films vom Film selbst aus - der Zugang wird also über die Form, das heißt den Inhalt und die Faktur gegeben. Der Symbolgehalt der Bildgestalt und die Objektbeziehung ohne Rekurs auf die Biografie des Autors stehen hierbei im Vordergrund. Die Faktur beinhaltet im Falle des Films sowohl Elemente der Raumgestaltung, der Szenenabfolge und der Eingangssequenz sowie die Art, wie die Darsteller formal auftreten. Die Gesamtform wird in psychologische Inhalte übersetzt, um Vorgänge sichtbar und erfahrbar zu machen. So werden die Bilder in Text aufgelöst, der im Zuge dessen inhaltlich analysiert werden kann47. Dieser Ansatz scheint im Falle David Lynchs insofern fruchtbarer zu sein, da er sich seiner Autorfunktion nur allzu bewusst ist und das Recht auf einen kreativen Schöpfungsprozess beansprucht, der jede Intention und Motivation hinter der filmischen Arbeit mystifiziert. Der Zuschauer ist, und dieser Punkt ist von Lynch bewusst gewollt, mit der Betrachtung des fertigen Films in seiner Wahrnehmung alleine gelassen48:

„It’s impossible to say how certain things happen. And then another problem is talking something to death. You start thinking about articulating a certain thing, and then you suddenly see it for what it is and the magic goes away a little bit. It’s tricky. When you talk about things - unless you’re a poet - a big thing becomes smaller. [...] And also it’s so limiting to say what something is. It becomes nothing more than that. And I like things that can be more than that. It’s like an author who’s dead: you read his book, he’s not around to question, and you get tons of stuff out of the book - still. [...] What I would be able to tell you about my intentions in my films is irrelevant“49

Da Lynchs Filme sich alle, bis auf wenige Ausnahmen, der kausallogischen Narration und aristotelischen Dramaturgie verweigern, muss eine Analyse über die Form und Faktur des jeweiligen Films stattfinden. Hier steht offensichtlich der unbewusste Wahrnehmungsprozess im Vordergrund, da der Zuschauer die Filmbilder automatisch und individuell unbewusst aufnimmt50. Dieser rezeptionsorientierte Ansatz konzentriert sich auf den Vorgang des filmischen Erlebens, auf das Wechselspiel von emotional-kognitiver Reaktionen auf Form und Inhalt des Gesehenen und Gehörten51. Dem Zuschauer werden z. B. „Verstehensräume“ geöffnet, die reflexiver Art sind, oder der Film bemächtigt sich des Betrachters und überwältigt ihn52.

Der letztere, rezeptionsorientierte Ansatz wird neben dem werkorientierten, formalen Ansatz sowohl in der nachfolgenden theoretischen Herleitung zu den drei Filmbeispielen aus Lynchs Œuvre als auch bei deren anschließender Analyse von größter Wichtigkeit sein, da sich die komplexen Motive der Kopf- und Körperdeformationen nicht aus ausschließlich einer Perspektive lesen lassen53. Dem künstlerorientierten Ansatz soll im Folgenden keine weitere Beachtung geschenkt werden, da dieser im Falle David Lynchs in die Irre führt und bereits in vielen vergeblichen Versuchen scheitern musste.

2.3 Abstraktion und Postmoderne im Film

„Das Kameraauge erschließt die sichtbare Welt neu, bringt ihre Bewegtheit, ihr Ephemeres, Momenthaftes, Augenblickhaftes zur Geltung, stiftet neue Relationen und Ordnungen des Sichtbaren vor aller Semantisierung; Relationen und Ordnungen des Sichtbaren, die uns nicht selten rätselhaft anmuten und für uns doch einen verborgenen Sinn zu enthalten scheinen“54

Die Verstehensräume, die dem Zuschauer in David Lynchs Filmen eröffnet werden, konstituieren sich aus diversen Faktoren, die im Folgenden vorgestellt werden sollen. Zum einen ist die Abstraktion, die sich im Bildraum vollzieht, primär ausschlaggebend für eine veränderte Wahrnehmung des Gesamteindrucks. Zum anderen stehen Elemente des postmodernen Kunstwerkes, das sich hier über die Doppelexponierung und Ausgestelltheit der filmischen Mittel und Motive erschließt, im Fokus der filmwissenschaftlichen Annäherung an Eraserhead, The Elephant Man und Lost Highway.

2.3.1 Die Wahrnehmung der Abstraktion im Bildraum

In seiner Bildsprache entwickelt der Film bei Lynch eine „autonome visuelle Wirklichkeit.“55 Diese lässt sich in erster Linie über die Faktur des Bildraumes herleiten:

„Bildraum, das meint zunächst nichts anderes als die bildhafte Dimension kinematographischer Darstellung im formalistischen Sinne: der Raum der Farbe, der Formen, des Lichts, der Raum der fotografischen Gestaltung des filmischen Bewegungsbildes. Als solcher bezeichnet er das Gegenstück zum narratologischen Konzept des Erzähl- und des Handlungsraums. Der Begriff Bildraum umfasst aber auch jene Dimension des fiktionalen Zusammenhangs, der nicht auf den Analogien zu alltagsweltlichen Wahrnehmungsbezügen gründet: etwa die Topographie einer parabolischen Landschaft, die architektonische Gefügtheit eines Hauses, in der sich das Prinzip einer poetischen Welt vergegenständlicht. [...] Es sind so oder so von Bewusstsein durchwirkte, hermetische Bildräume, die gegen die Alltagswahrnehmung abgedichtet sind“56

Was Kappelhoff hier über den Bildraum schreibt ist der Ausgangspunkt für die detaillierte Betrachtung der Lynch’schen Bildästhetik. Denn die Filmbilder folgen einer Form der Abstraktion, in der nicht die Sprache und der Diskurs ausschlaggebend sind57, sondern die Bilder selbst im Spannungsfeld zwischen Darstellbarem und Wahrnehmbaren stehen58. Die Oberfläche des Bildraumes ist der Ort, an dem der Zuschauer Dinge wahrnimmt, die entweder in ihrer extradiegetischen Realität nicht erfahrbar oder darstellbar wären, im Film jedoch punktuell einer Form folgen, die diese Dinge sichtbar und wahrnehmbar macht. Die Bedeutung des Dargestellten konstituiert sich an der Oberfläche des Films59. Der Bildraum eröffnet das Paradoxon, dass hier eine Wirklichkeit physisch vergegenwärtigt wird, die keine Wirklichkeit ist und dennoch „durch das Bild neu gestaltet, konstruiert, perspektiviert“ eine höhere Wirkung dessen erzielt60. Die Dinge im Bildraum bekommen eine neue Dimension der Wirklichkeit und neue Signifikanz, „die stumme Sprache der Dinge [...] selbst,“61 die in ihrer Deutbarkeit jedoch nur bedingt transparent bleiben. Trotz suggerierter Wirklichkeit gewinnt die Oberfläche der Dinge an Abstraktion62, sie verkörpert eine eigene Idee. Durch die Modulation einzelner Bilder, die durch die Narration miteinander zu einer „signifikanten Kette“ verknüpft werden, wird so eine Welt konstituiert, die einer vermeintlichen Logik folgt und den Filmfiguren die Möglichkeit eröffnet, sich in dieser Welt selbstverständlich zu bewegen63.

Diese neue Signifikanz der Dinge konstituiert das mitunter wichtigste Element der Filme David Lynchs: die Funktion des Zuschauers lässt sich nicht allein auf die passive Rezeption eines Lichtspiels beschränken, sondern muss als weiteres, formvollendendes Mittel des filmischen Erlebens anerkannt werden. Denn die Zuschauerfunktion gleicht hier mehr einer aktiven Beteiligung, hier erlebt jeder einzelne Zuschauer seinen eigenen Film. Die suggestive Wirkung des Bildraumes, der mit der oben erläuterten neuen Signifikanz und mangelnden Transparenz der Dinge spielt, setzt eine eigentümliche Bildarbeit frei: der Zuschauer wird „konstitutiver Bestandteil des Films“64 und vollendet somit das Kunstwerk durch seinen individuellen Zugang:

„Lynch radikalisiert das Vorgehen an diesem implizit zum Schauspieler/Regisseur/Toningenieur gewordenen Zuschauer durch eine drangvolle Filmbildaufladung ohne inhaltlich-plausible Motive und logisch-lineare Abfolge von Aktion und Reaktion. Er innoviert das Vorgehen [...] vor allem durch die Anwendung der künstlerischen Arbeitsmethoden des Surrealismus, der Abstraktion, des Kubismus und der Collage. [...] Hinzuzufügen ist der entscheidende, weil folgenreiche Gesichtspunkt, dass mit solchen Methoden der bildenden Kunst in diesen so und nicht anders gewordenen Filmbildern die Arbeit der Filmspule zerlegt wird in die Arbeit ihrer verschiedenen Bedeutungsträger: Was erzählt der Plot? Was erzählt der Dialog? Was erzählt das Bild? Was erzählt die Farbe? Was erzählt die Form? Was erzählt die Tonspur? Was erzählt das Sounddesign? Durch diese Zerlegung können ihre Teile von den projektiven Arbeiten der Bilder des Zuschauer ergriffen werden, mit ihnen zusammenwirken, Reaktion eingehen und interagieren“65

Das Bild als eigenständige Einheit steht somit in seiner Wirkart über der Narration, verlangt nach einer Vervollständigung durch den Zuschauer. An diesem Punkt greift die für die nachfolgende Argumentation wichtige Kategorie der Bedeutungszuweisung, die im Falle der Körperdeformationen von höchster Wichtigkeit ist. Was gezeigt wird, ist in seiner Dinglichkeit meist nicht mehr als reales Objekt entschlüsselbar66, ihm wohnt eine neue Signifikanz inne, die jedoch nicht allgemeingültig lösbar und verständlich ist, sondern nur im jeweiligen unbewussten Verständnis des Zuschauers als ein konkretes Objekt mit bestimmter Bedeutung oder Wirkung verstanden werden kann. Insofern liegt in diesem Punkt der Kern der Abstraktion in den Filmen David Lynchs; denn die Schwierigkeit der Deutung, Interpretation oder gar der Beschreibung von Form und Inhalt seiner Filme fußen auf der rein individuell erfahrbaren Wirklichkeit des Bild- und Erzählraumes.

[...]


1 Woolf, Virginia: On Being Ill, In: Bowlby, Rachel: The Crowded Dance of Modern Life, Harmondsworth 1993, S. 43-54, hier S. 43ff.

2 Jerslev, Anne: David Lynch. Mentale Landschaften, Wien 1996, S. 13

3 Rodley, Chris: Lynch on Lynch, rev. Ed., New York 2005, S. 1-5

4 ebd. S. 6

5 ebd. S. 8f.

6 ebd. S. 31ff.

7 ebd. S. 56

8 ebd. S. 7f.

9 Seeßlen, Georg: Ein postmodernes Welt-Bild aus den USA. David Lynch und das amerikanische Mittelalter, In: Felix, Jürgen: Die Postmoderne im Kino. Ein Reader, Marburg 2002, S. 215

10 Rodley, S. 38f.

11 s. Abb. 1

12 s. Abb. 2

13 Peggy Reavey über The Alphabet, In: Rodley, S. 32

14 s. Abb. 3-5

15 „Pointierung der heiligen ödipalen Familie als Wurzel der Tragödie,“ Jerslev, S. 16

16 s. Abb. 6, 7

17 Spies, Werner: Dark Splendor. David der Maler, In: Kat. Ausst. David Lynch. Dark Splendor 2009, S. 42

18 s. Abb. 8-10

19 Spies, S. 43

20 s. Abb. 11, 12

21 Frizot, Michel: Die Verzerrungen, In: Kat. Ausst. André Kertész 2010, S. 157

22 ebd. S. 157f.

23 ebd. S. 158

24 hierzu: Peppiat, Michel: Francis Bacon. Studies for a Portrait. Essays and Interviews, New Haven u.a. 2008, S. 180 f.

25 Kremer, Detlef: Deformierte Körper. Gewalt und Groteske bei David Lynch und Francis Bacon, In: Grimminger, Rolf (Hrsg.): Kunst Macht Gewalt. Der ästhetische Ort der Aggressivität, München 2000, S. 216

26 Peppiat, S. 181

27 Peppiat, S. 182; s. Abb. 13, 14

28 Deleuze, Gilles: Das Bewegungs-Bild. Kino I, Frankfurt am Main 1989, S. 126 ff.

29 ebd. S. 130

30 Meister, Carolin: Athletik der Entstellung. Zum symptomalen Realismus bei Francis Bacon und Georges Bataille, In: Fischer-Lichte, Erika (u.a.) (Hrsg.): Verklärte Körper. Ästhetiken der Transfiguration, München 2006, S. 252

31 Deleuze, Gilles: Francis Bacon. Logik der Sensation, München 1995, S. 40

32 ebd. S. 41

33 s. Abb. 15, 16

34 Jackob, Alexander; Röttger, Kati: Bilder einer unendlichen Fahrt. David Lynchs

Mulholland Drive in bildwissenschaftlicher Perspektive, In: Koebner, Thomas; Liptay, Fabienne; Meder, Thomas (Hrsg.): Bildtheorie und Film, München 2006, S. 577

35 „All diese Formerweiterungen gehören zur biomorphen Verzerrung, die der Maler David Lynch anstrebt. Er geht in seinen Bildern und in seinen Fotoarbeiten über die Auswüchse eines Bacon noch hinaus“, Spies S. 42

36 Seeßlen: Ein postmodernes Welt-Bild, S. 213

37 Jerslev, S. 21

38 Vgl. Distelmeyer, Jan: Vom auteur zum Kulturprodukt. Entwurf einer kontextorientierten

Werkgeschichtsschreibung, in: Andrea Nolte (Hrsg.): Mediale Wirklichkeiten, Marburg 2003, S. 86-97

39 Felix, Jürgen: Autorenkino, In: ders. (Hrsg.): Moderne Film Theorie, Mainz 2003, S. 13-57, hier 13ff.

40 Jerslev, S. 26

41 David Lynch über Ideenfindung in Biga, Tracey: Blue Velvet, In: Film Quarterly XLI/1 1987, S. 44-49

42 Jerslev, S. 25

43 Jerslev, S. 22

44 Felix: Autorenkino, S. 18

45 Schneider, Gerhard: Filmpsychoanalyse. Zugangswege zur psychoanalytischen Interpretation von Filmen, In: Laszig, Parfen; Schneider, Gerhard (Hrsg.): Film und Psychoanalyse. Kinofilme als kulturelle Symptome, Gießen 2008, S. 19-38

46 ebd. S. 27

47 ebd. S. 29ff.

48 Die Inszeniertheit von Zeichen und Bedeutung erlaubt dennoch keine kritische Distanz: die suggestive Wirkung derselben involviert den Zuschauer so, dass die Zeichenhaftigkeit und die scheinbar klare Absicht der signifikanten Elemente den Zuschauer in die Irre führen. Die Erwartungshaltung wird nicht erfüllt, da eben jene Zeichen in ihrer „ästhetischen Kunstwelt,“ d.h. der von Lynch geschaffenen künstlichen Umgebung, anderen Gesetzen folgen und mit der Bedeutung innerhalb der ‚Realität’ des Zuschauers nicht kongruent sind. Vgl. Felix, Jürgen: Ironie und Identifikation. Die Postmoderne im Kino, In: ders. (Hrsg.): Die Postmoderne im Kino. Ein Reader, Marburg 2002, S. 153-179, hier S. 170f.

49 David Lynch über die Verweigerung von Intentionen, In: Rodley, S. 27f.

50 Schneider, S. 26f.

51 ebd. S. 20

52 ebd. S. 21

53 Die einzig authentische Annäherung an die Kunst geschehe über den Dualismus von Form und Inhalt, als „schöpferische Elektrolyse zwischen der Anode des Geistes und der Kathode der Materie, zwischen der Anode des Inhalts und der Kathode der Form“, Vgl. Muhovič, Jožef: Über das Geistige und Körperliche in der Kunst. Fünf Etüden über die Psychosomatik der postmodernen Kunstpraxis, In: Agazzi, Elena; Kocziszky, Eva (Hrsg.): Der fragile Körper. Zwischen Fragmentierung und Ganzheitsanspruch, Göttingen 2005, S. 159-175, hier S. 162

54 Heller, Heinz-B.: Rätselhafte (Sinn-)Bilder im westeuropäischen Avantgardefilm der 1920er Jahre, In: Bauer, Matthias; Liptay, Fabienne; Marschall, Susanne (Hrsg.): Kunst und Kognition, München 2008, S. 131-146, hier S. 136

55 ebd. S. 144

56 Kappelhoff, Hermann: Apriorische Gegenstände des Gefühls. Literarische Recherchen zum kinematographischen Bild, In: Koebner, Thomas; Liptay, Fabienne; Meder, Thomas (Hrsg.): Bildtheorie und Film, München 2006, S. 404-421, hier S. 404f.

57 entgegen dem allgemeinen Spielfilmkanon, bei dem sich der Stil der Narration unterordnet. Ist das nicht der Fall, herrscht „Stilüberschuss,“ das Filmische wird theoretisiert. Vgl. Christen, Thomas: Filmischer Exzess. Annäherung an ein vermeintlich oberflächliches Phänomen, In: von Arburg, Hans-Georg (Hrsg.): Mehr als Schein. Ästhetik der Oberfläche in Film, Kunst, Literatur und Theater, Zürich/Berlin 2008, S. 269-282, hier S. 269

58 Tröhler, Margit: Vom Schauwert zur Abstraktion. Filmische Bewegung des Denkens im

Sichtbaren, In: von Arburg, Hans-Georg (Hrsg.): Mehr als Schein. Ästhetik der Oberfläche in Film, Kunst, Literatur und Theater, Zürich/Berlin 2008, S. 151-166, hier S. 155

59 ebd. S. 151, 157

60 ebd. S. 154

61 ebd. S. 156

62 ebd. S. 157

63 ebd. S. 156

64 Danckwardt, Joachim F.: Mulholland Drive und Inland Empire. Werden oder Nichtwerden bei David Lynch, In: Laszig, Parfen; Schneider, Gerhard (Hrsg.): Film und Psychoanalyse. Kinofilme als kulturelle Symptome, Gießen 2008, S. 125-145, hier S. 137

65 ebd. S. 136f.

66 Margit Tröhler vergleicht die Wirkung der Filmbilder hier mit dem Entwurf des „Denkbildes“ von Walter Benjamin: „In der Verbindung von Körperlichem und Gedanklichem, von Wahrnehmung und intellektueller Einsicht werden im Kino durch das Plastische neue konzeptuelle Zusammenhänge erfahrbar: Leine ‚reinen Ideen’ vor oder hinter den Bildern, sondern ‚Denkbilder’ im Sinne von Walter Benjamin“, Tröhler, S. 158; Vgl. auch Benjamin, Walter: Kleine Kunst- Stücke, Hg. v. Noack, Klaus-Peter, Leipzig 1989, S. 111

Excerpt out of 121 pages

Details

Title
Variationen über den Körper
Subtitle
Eine filmwissenschaftliche Untersuchung der Kopf- und Körperdeformationen in David Lynchs "Eraserhead", "The Elephant Man" und "Lost Highway" im Kontext philosophischer und kunstwissenschaftlicher Bildtheorie
College
LMU Munich  (Institut für Theaterwissenschaft)
Grade
1,3
Author
Year
2011
Pages
121
Catalog Number
V183054
ISBN (eBook)
9783656076056
ISBN (Book)
9783656075806
File size
3373 KB
Language
German
Keywords
David Lynch, Lynch, Film, Körper, Alien, Eraserhead, Lost Highway, Elephant Man, Abject, Abjekt, Maske, Skulptur, Deformation, Kopf, Analyse, Philosophie, Kunstwissenschaft, Bildtheorie
Quote paper
Aurelia Vowinckel (Author), 2011, Variationen über den Körper, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/183054

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