Leseprobe
INHALT
1. Einleitung
1.1. Unsere Erfahrung und Motivation
1.2. Ziele unserer Arbeit
1.3. Die Diplomarbeit: Gliederung und Arbeitsschritte
1.4. Lizenz, Download und Verbreitung unserer Arbeit
2. Begriffsbestimmungen
2.1. Begriff Offene Jugendarbeit
2.2. Begriff Jugend
2.3. Begriff JugendarbeiterInnen
3. Einzelgespräche und Beratung in der Offenen Jugendarbeit
3.1. Die Möglichkeiten von Einzelgesprächen und Jugendberatung in der Offenen Jugendarbeit
3.1.1. Einzelgespräche und Jugendberatung als zentrale Begriffe
3.1.1.1. Einzelgespräche
3.1.1.2. Jugendberatung
3.2. Einzelgespräche und Beratungen aus der Situation heraus - von unseren Forschungsergebnissen zu einem Phasenmodell
3.2.1. PHASE EINS: Die Vorarbeit (Besonderheiten und Voraussetzungen - Einzelgespräche und Jugendberatung in der Offenen Arbeit)
3.2.1.1. Jugendberatung als Trend in Offenen Jugendeinrichtungen?
3.2.1.2. Jugendberatung in den Konzeptionen Offener Jugendeinrichtungen
3.2.1.3. Anforderungen an beratende Fachkräfte
3.2.2. PHASE ZWEI: Der Einstieg in Einzelgespräche
3.2.2.1. Informationsbeschaffung als Aufhänger, Leidensdruck als Ansporn
3.2.2.2. Gelegenheiten schaffen und nutzen
3.2.3. PHASE DREI: Vom Einzelgespräch zur Beratung
3.2.3.1. Rahmenbedingungen für Beratungsgespräche
3.2.3.1.1. Die Notwendigkeit geeigneter Räume für Beratungen
3.2.3.1.2. Die Anspannung vor und während den Gesprächen
3.2.3.1.3. Ruhe und Zeit für und in Beratungen
3.2.3.2. Themen von Beratungen in der Offenen Jugendarbeit
3.2.3.3. Ziele von Beratungen in der Offenen Jugendarbeit
3.2.4. PHASE VIER: Beraten (Hilfreiche Ansätze, Konzepte und Methoden für die Praxis von Beratungen - eine Auswahl)
3.2.4.1. Der Kommunikationsprozess - Grundlegendes und Beachtenswertes in Beratungskontexten
3.2.4.2. Die Beratungshaltung der Fachkräfte
3.2.4.3. Gesprächstechniken und Beratungskonzepte
3.2.4.3.1. Klientenzentrierte Gesprächsführung nach Carl Rogers
3.2.4.3.2. Motivierende Gesprächsführung
3.2.4.3.3. Das Transtheoretische Modell - Sensibilisierung für die Stadien der Veränderung
3.2.4.3.3.1. Widerstand als Zeichen
3.2.4.3.3.2. Die Stadien der Veränderung
3.2.4.3.3.3. Bestimmung der Stadien
3.2.4.3.3.4. Ein ‚Rückfall’ als möglicher Bestandteil der Veränderung
3.2.4.3.3.5. Dokumentation und Wirksamkeitsdialog
3.2.4.3.4. Techniken der Systemischen Beratung
3.2.5. PHASE FÜNF: Abschluss&Fortsetzen von Beratungsgesprächen
3.2.5.1. Der Abschluss eines Gespräches
3.2.5.2. Entwicklungsbegleitende Gespräche
3.2.5.3. Weitervermittlung, Begleitung und Kooperation
3.2.6. PHASE SECHS: Nach der Beratung (Selbsteinschätzung, Erkenntnisverwertung und Dokumentation)
3.2.6.1. Rückblick auf die Beratung und Erkenntnisverwertung
3.2.6.2. Schutz von Sozialdaten in Offenen Jugendeinrichtungen
3.2.6.3. Dokumentation
3.3. Das Willkommensgespräch
3.3.0. Ablauf eines Willkommensgespräches
3.3.1. Vor dem Gespräch
3.3.2. Der Gesprächseinstieg
3.3.3. Einrichtung, Angebote, Projekte, Fachkräfte und BesucherInnen
3.3.4. Hobbys, Stärken, Interessen, Partizipation
3.3.5. Unterstützungs- und Beratungsangebote, aktuelle Probleme, Beispiel- Themen
3.3.6. Der Abschluss des Willkommensgespräches
3.3.7. Rückmeldungen aus der Praxis
4. Evaluation Offener Jugendeinrichtungen unter Beteiligung der Besucher/innen - Ein Erhebungsbogen als Partizipationsinstrument
4.1. Warum das Ganze?
4.2. Zentrale Begriffe
4.2.1. Evaluation
4.2.2. Partizipation
4.2.3. Qualitätsentwicklung
4.3. Qualitätsstandards einer Evaluation
4.4. Der Erhebungsbogen
4.4.1. Die Begleitschrift zum Erhebungsbogen
4.4.1.1. Instrument einsehen, überprüfen und ggf. anpassen
4.4.1.2. Einführung des Bogens
4.4.1.3. Durchführung
4.4.1.4. Auswertung und Nutzung der Ergebnisse
4.4.1.5. Neue Möglichkeiten
4.5. Rückmeldungen aus der Praxis
4.5.1. Rückmeldungen zum Evaluationsprozess
4.5.2. Rückmeldungen zum Erhebungsbogen
4.5.3. Fazit
5. SCHLUSSBETRACHTUNG
ANHANG
Kopiervorlage: Gliederung des Willkommensgesprächs (Anhang A)
Kopiervorlage: Erhebungsbogen zur Evaluation Offener Jugend- einrichtungen unter Beteiligung der BesucherInnen (Anhang B)
Forschungsbericht (Anhang F1a)
I. Einleitung und Forschungsgegenstand
II. Forschungsstand
II.I. Forschungsprojekt WANJA -
Wirkungsanalysen in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit
II.II. Das Offene Kinder- und Jugendzentrum in der Lebenswelt seiner NutzerInnen - eine Evaluationsstudie aus der Perspektive der
BesucherInnen
II.III. Explorative Studie zur Perspektive der potenziellen NutzerInnen
in der Offenen Jugendarbeit in Wolfsburg
II.IV. Jugendfreizeitstätten in den neuen Bundesländern
aus der Sicht Jugendlicher - ein Datenreport
II.V. Resümee
III. Methodische Anlage
III.I. Wahl des Forschungsinstrumentes
III.II. Konstruktion des Fragebogens
III.III. Fragebogen-Pretest
III.IV. Datenerhebung und Feldzugang
III.V. Auswertung der Ergebnisse
IV. Beschreibung der Stichprobe
V. Auswertung der Ergebnisse
V.I. Erhebung harter Daten - Zu den Fachkräften der Offenen Kinder- und Jugendarbeit
V.II. Angebote und Themen der Offenen Jugendarbeit
V.II.I. Allgemeines zu den Angeboten
V.II.II. Aktuelle Lebenssituation der BesucherInnen
V.II.III. Freizeit der BesucherInnen
V.II.IV. Probleme und Schwierigkeiten der BesucherInnen
V.II.V. Bildung, Berufs- und Zukunftsorientierung der BesucherInnen. 158 V.II.VI. Weitere Themen und Angebote in der Offenen Jugendarbeit..
V.II.VII. Zwischenbilanz
V.III. Einzelgespräche
V.III.I. Einzelgespräche im Alltag der Offenen Kinder- und Jugendarbeit
V.III.II. Rahmenbedingungen für Einzelgespräche
V.III.III. Abläufe von Einzelgesprächen
V.III.III.I. Anlässe zu Einzelgesprächen
V.III.III.II. Handlungsleitende Prinzipien
V.III.III.III. Methoden und Konzepte in Einzelgesprächen
V.III.III.IV. Dokumentation in und von Gesprächen
V.III.III.V. Phasen in Einzelgesprächen
V.III.IV. Formulierungen und Wahl von Fragen an BesucherInnen
V.III.V. Zwischenbilanz
V.IV. Gesprächsleitfäden
V.IV.I. Bereits angewandte Gesprächsleitfäden
V.IV.II. Gründe gegen die Verwendung von Leitfäden
V.IV.III. Zum entstehenden Fragenkatalog
V.IV.IV. Zwischenbilanz
V.V. Partizipation der BesucherInnen, auch an Selbstevaluationen der Einrichtungen
V.V.I. Erfragen von Verbesserungsvorschlägen und Wünschen der BesucherInnen
V.V.II. Ungenügende BesucherInnenzahlen im Zusammenhang mit der Partizipation junger Menschen
V.V.III. Verwendung von Evaluationsbögen
V.V.IV. Nutzungsinteresse an unserem entstehenden Evaluationsbogen
V.V.V. Nutzen die BesucherInnen noch andere Freizeit- und Hilfeangebote?
V.V.VI. Zwischenbilanz
VI. Zusammenfassung der Ergebnisse
Abbildungsverzeichnis (Anhang VA)
Literaturverzeichnis (Anhang VL)
Weitere Anlagen zu unserer Arbeit
Fragebögen zu unseren Umfragen (Anhänge F1c & F2a)
Grafikverzeichnis zum Forschungsbericht (Anhang F1b)
Komplette Ergebnisse unserer Umfragen im Word- oder SPSS- Format
(Anhänge F1d/e & F2b/c)
Übersicht zum Mailverkehr bezüglich unserer Umfragen
(Anhänge F1f & F2d)
1. EINLEITUNG
(von Jakob Barton)
Guten Morgen. Als Studierende des Studiengangs Soziale Arbeit an der Hochschule Zittau/Görlitz haben wir uns entschieden, eine gemeinsame Diplomarbeit zu den Themen „Einzelgespräche, Jugendberatung und Evaluation in der Offenen Jugendarbeit“ zu verfassen. In dieser Einleitung möchten wir unsere Motivation und unsere Arbeitsschritte erläutern, aber auch auf Gliederung, Ziele, sowie die kostenlose Verfügbarkeit und Vervielfältigung unserer Arbeit eingehen.
1.1. Unsere Erfahrung und Motivation
Als wir vor und während unseres Studiums in Offenen Jugendeinrichtungen lernten und halfen, viel uns auf, dass Einzelgespräche und Jugendberatung eher spontan erfolgten, ohne dass es in den Einrichtungen Regelungen oder geeignete Orientierungsgrundlagen gab. Selbige hätten uns jedoch bei der Einarbeitung in diese Themenbereiche sehr geholfen.
Ähnlich stand es um die B]eteiligung der BesucherInnen bei neuen Anschaffungen, der konkreten Angebotsgestaltung und der Weiterentwicklung bzw. Ausrichtung der Einrichtungen. Besonders in Phasen, in denen BesucherInnenzahlen und NutzerInnenakzeptanz sanken, wurde die Meinung der BesucherInnen zu selten gezielt erfragt.
Diese Erfahrungen motivierten uns zu der vorliegenden Ausarbeitung. Wir haben Beratung und Evaluation in der Offenen Jugendarbeit ins Zentrum gerückt und konkrete Orientierungshilfen erarbeitet. Alles was wir zusammengestellt haben, ist durch eine eigene quantitative Erhebung und gezielte Literaturrecherchen fundiert. Die Ergebnisse der Forschung und die Erkenntnisse aus der Fachliteratur haben wir um eigene Ideen und Vorschläge ergänzt.
Folgende Ziele haben wir bei der Erstellung unserer Diplomarbeit verfolgt:
1.2. Ziele unserer Arbeit
Unsere Diplomarbeit soll…
- …einen Einblick geben, wie Einzelgespräche, Beratung und Evaluation in Offenen Jugendeinrichtungen derzeit praktiziert werden.
- …Wissenswertes und Anregendes zu Einzelgesprächen, Beratung und Evaluation in Offenen Jugendeinrichtung zusammenfassen und dabei Möglichkeiten und Potentiale aufzeigen.
- …Phasen von Beratung und Evaluation herausarbeiten und konkrete Vorschläge unterbreiten, wie ein Willkommensgespräch und ein Erhebungsbogen aufgebaut sein können.
- …dazu beitragen, die Bekanntheit der Angebote Offener Jugendeinrichtungen unter den BesucherInnen zu erhöhen, NutzerInnen in Angebotsgestaltung und Einrichtungsevaluation einzubeziehen und gezielt Beziehungsarbeit zu fördern.
- …für Fachkräfte der Offenen Jugendarbeit nützlich sein. Unsere Ausführungen sollen es geübten Fachkräften ermöglichen, ihre Handlungspraxis zu überprüfen, als auch NeueinsteigerInnen bei der Einarbeitung behilflich sein.
- …über weiterführende Literaturempfehlungen eine tiefere Einarbeitung in die Materie erleichtern.
- …praxisnah, praxisrelevant und umsetzbar sein.
Ob wir unsere Ziele mit der vorliegenden Arbeit erreicht haben, möchten wir an dieser Stelle den LeserInnen überlassen.
1.3. Die Diplomarbeit: Gliederung und Arbeitsschritte
Zu Beginn unserer Arbeit stand eine umfangreiche Recherche nach geeigneter Literatur, dem aktuellen Forschungsstand und Offenen Jugendeinrichtungen, welche uns bei unserem Vorhaben unterstützen wollten. Anschließend begannen wir Inhalte, Gliederung und Design unserer quantitativen Erhebung zu erarbeiten und unseren Fragebogen einem Pretest (s. Anhang F1a III.II.) in Offenen Jugendeinrichtungen zu unterziehen. Die hierbei gesammelten Veränderungsvorschläge wurden in den Onlinefragebogen (s. Anhang F1c) eingearbeitet. Unsere Online-Befragung richtete sich an die Fachkräfte der Offenen Jugendarbeit. Ca. 300 Fragebögen wurden vollständig beantwortet. Die Auswertung der Ergebnisse ist im Anhang F1a zu finden.
Auf Grundlage der Ergebnisse aus unserer Umfrage und den Erkenntnissen aus den Literaturrecherchen verfassten wir schließlich den Hauptteil der vorliegenden Diplomarbeit und untergliederten ihn wie folgt:
- In den Kapiteln 2. - 3.2. werden die begrifflichen, gesetzlichen und fachlichen Grundlagen, sowie die verschiedenen Phasen, Ziele, Themen und Ansätze von Einzelgesprächen und Beratung in der Offenen Arbeit herausgearbeitet.
- Im Kapitel 3.3. schlagen wir einen Ablauf eines Willkommensgesprächs mit neuen NutzerInnen der Einrichtung vor. Es soll dem gegenseitigen Kennenlernen, dem Erfragen von Hobbys, Wünschen und Problemen der BesucherInnen sowie der Bewerbung aller Angebote der jeweiligen Einrichtung dienen können.
- Das Kapitel 4. widmet sich der Evaluation Offener Jugendeinrichtungen und empfiehlt eine jährliche Umfrage unter den BesucherInnen, zu welcher ein Erhebungsbogen (s. Anhang B) von uns vorgefertigt wurde. Es geht darum, BesucherInnen bei der Entwicklung der Einrichtung aktiv partizipieren zu lassen, ihre Meinungen zu erfahren und die Einrichtung auf die BesucherInneninteressen abzustimmen.
Es kann sich hierbei um keine vollständige oder lückenlose Aufarbeitung der Themen „Einzelgespräche“, „Beratung“ und „Evaluation“ in der Offenen Jugendarbeit handeln.
Im Rahmen unserer Möglichkeiten haben wir jedoch versucht, eine interessante Fakten-, Literatur- und Ideensammlung entstehen zu lassen, aus der Fachkräfte einzelne Aspekte in ihre Arbeit integrieren können.
Das Fachkräfte mit unseren Vorschlägen ganz individuell umgehen und unsere Anregungen ganz unterschiedlich einschätzen, kann man den Kapiteln 3.2.7., 3.3.7. und 4.5. entnehmen. Mittels einer kleinen Umfrage (s. Anhang F2) hatten wir den Fachkräften vor der Fertigstellung unserer Ausarbeitung die Möglichkeit gegeben, einen Großteil der Diplomarbeit gegenzulesen, zu kommentieren, zu kritisieren und Veränderungen anzuregen. Einige dieser Vorschläge haben wir direkt einarbeiten können.
Nun ist unsere Diplomarbeit fertig - und für jedermann zugänglich:
1.4. Lizenz, Download und Verbreitung unserer Arbeit
Diese Diplomarbeit ist unter Creative Commons1 lizensiert. Sie darf kopiert und unter den gleichen Bedingungen verbreitet und veröffentlicht werden. Dabei müssen die Namen der AutorInnen immer genannt und die Lizenz „(cc) by nc sa“ angegeben werden. Eine kommerzielle Verwendung ist nicht gestattet.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der GRIN-Verlag hat eine Ausnahmegenehmigung und darf unsere Arbeit kommerziell vertreiben. Wir erhoffen uns davon, dass die Publikation über entsprechende Vertriebswege weitere InteressentInnen und Fachkräfte erreicht und damit bekannter wird. Die Diplomarbeit ist nur als eBook bzw. in digitaler Form und nicht als Buch erhältlich, kann aber jederzeit gern für den privaten Gebrauch (ganz oder in Teilen) ausgedruckt werden.
2. BEGRIFFSBESTIMMUNGEN
(von Franziska Schuster)
Da unsere Arbeit das sozialpädagogische Handlungsfeld der Offenen Jugendarbeit zum Gegenstand hat, möchten wir die Begriffe Offene Jugendarbeit, Jugend und JugendarbeiterInnen an dieser Stelle kurz umreißen und definieren. Weitere Begriffe werden im Verlauf der Arbeit dort erläutert, wo sie relevant werden.
2.1. Begriff Offene Jugendarbeit
Praktiziert wird Offene Kinder- und Jugendarbeit in Offenen Jugendeinrichtungen (Jugendhäuser, -clubs oder -zentren). Als soziale Räume für Begegnungen, Erfahrungen und Bildung werden sie von Kindern und Jugendlichen besucht. Offene Arbeit basiert auf einer ‚Komm-Struktur’ - die Einrichtungen warten, bis die jungen Menschen sie freiwillig aufsuchen. Die Offenen Jugendeinrichtungen bieten ihren BesucherInnen mit verschiedensten niedrigschwelligen Angeboten vornehmlich Möglichkeiten zu einer sinnvollen Freizeitgestaltung. Die Angebote zielen u.a. darauf ab, dass Kinder und Jugendliche Möglichkeiten einer positiven Entwicklung bekommen, erkennen und nutzen können.
2.2. Begriff Jugend
In unseren Ausarbeitungen beziehen wir uns ausschließlich auf Jugendliche. Sie machen einen Großteil der BesucherInnen und NutzerInnen Offener Einrichtungen aus.2
Jugend bezeichnet die Lebensphase zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Sie beginnt - mit dem Eintritt der Pubertät - zwischen 9 und 13 Jahren. Das Ende der Jugend kann mit 18, aber auch erst mit 27 Jahren erreicht sein.3 Im SGB VIII (Sozialgesetzbuch) werden Jugendliche durch eine konkrete Alterseingrenzung definiert: laut § 7 ist Jugendliche/r, wer 14, aber noch keine 18 Jahre ist.4
Die Jugendlichen befinden sich in einer Zeit der Verselbständigung und Neuorientierung. Die Phase des Erwachsenwerdens stellt an die jungen Menschen viele Anforderungen.
2.3. Begriff JugendarbeiterInnen
Auf dem schwierigen Weg zum Erwachsensein stehen die MitarbeiterInnen der Offenen Jugendeinrichtungen den Jugendlichen begleitend, unterstützend und beratend zur Seite. Die MitarbeiterInnen Offener Einrichtungen werden wir in unseren Ausarbeitungen auch als JugendarbeiterInnen, Fachkräfte oder ggf. BeraterInnen bezeichnen.
3. EINZELGESPRÄCHE UND BERATUNG IN DER OFFENEN JUGENDARBEIT
In den folgenden Kapiteln werden wir Einzelgespräche und Beratung im Kontext Offener Jugendarbeit unter die Lupe nehmen und auf das Willkommensgespräch als Sonderform des Einzelgespräches näher eingehen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 02
3.1. DIE MÖGLICHKEITEN VON EINZELGESPRÄCHEN UND JUGENDBERATUNG IN DER OFFENEN JUGENDARBEIT (von Franziska Schuster)
Familie, Schule und Freizeitindustrie prägen den Alltag der Jugendlichen. Als Bildungseinrichtung hat die Schule die Aufgabe, den Jugendlichen Wissen und Können zu vermitteln. Der Auftrag der Freizeitindustrie ist es, zu unterhalten - so besuchen Jugendliche bspw. Kinos, Schwimmbäder und verschiedene Freizeitveranstaltungen. Sowohl Schule als auch Freizeitindustrie haben eins gemeinsam: sie können die Jugendlichen nur bedingt in ihrer Individualität berücksichtigen. LehrerInnen haben wenig zeitliche Ressourcen, um sich - über das Bildungsangebot hinaus - den Jugendlichen zu widmen. Die Freizeitindustrie muss sich an der Allgemeinheit orientieren, um auf dem Markt bestehen zu können. Doch in einer Zeit, in der die Jugendlichen stetig mit Herausforderungen konfrontiert werden, brauchen sie individuelle Begleitung und Unterstützung. An wen können sich junge Menschen wenden, wenn sie Schwierigkeiten in der Schule, mit Freunden oder mit ihren Eltern haben? Wohin, wenn sie Fragen zur Berufswahl und Zukunftsorientierung haben?
Die Jugendlichen können die Fachkräfte der Offenen Jugendarbeit um Rat fragen. JugendarbeiterInnen können sich - durch subjektorientiertes Arbeiten - der Individualität ihrer BesucherInnen annehmen. Sie berücksichtigen die Jugendlichen und ihre Lebenslagen, Bedürfnisse, Interessen, Potentiale und Probleme.5 Die jungen Menschen stehen im Mittelpunkt der Arbeit und werden in ihrer persönlichen Eigenart wertgeschätzt.6 Diese subjektorientierte Haltung ermöglicht es den Fachkräften, z.B. während Einzelgesprächen und Beratungen, ganz auf die/den Jugendliche/n einzugehen. Michael Schumann konstatierte im ‚Handbuch Offene Kinder- und Jugendarbeit‘ den steigenden Bedarf an subjektorientierten Hilfen und Beratungen: immer mehr junge Menschen seien mit der Bewältigung des Erwachsenwerdens stark gefordert, wenn nicht überfordert. Den Jugendlichen müssen Beratungsangebote zur Verfügung stehen. Jugendberatung sollte daher als ein ernstzunehmendes Angebot Offener Jugendarbeit verstanden werden.
Als integraler Bestandteil der Offenen Jugendarbeit ist Jugendberatung im § 11 SGB VIII7 festgeschrieben. Fast alle Jugendeinrichtungen halten - laut unserer Umfrage - Beratungsangebote und Hilfen bei persönlichen Problemen, Schwierigkeiten, Hilfewünschen sowie bei Fragen zum Bildungsweg, zur Berufs- und Zukunftsorientierung für ihre BesucherInnen bereit.8 Das zeigt, dass Angebote der Jugendberatung aus Offenen Jugendeinrichtungen nicht mehr wegzudenken sind.
3.1.1. Einzelgespräche und Jugendberatung als zentrale Begriffe
(von Franziska Schuster)
In diesem Abschnitt beschäftigen wir uns mit den Begriffen Einzelgespräche und Beratung im Kontext der Offenen Jugendarbeit.
3.1.1.1. Einzelgespräche
Ein Einzelgespräch beschreibt Willi Klawe u.a. als eine Unterhaltung, in der sich die Fachkraft mit einem/einer Jugendlichen auseinandersetzt. Die Fachkräfte seien in Einzelgesprächen stärker (als in anderen Situationen des Alltags der Offenen Jugendarbeit) gefordert, professionell zu handeln und sich selbst einzubringen.9
Für unsere Ausarbeitungen ist es unabdingbar, den Begriff des Einzelgespräches noch näher zu differenzieren. Daher möchten wir an dieser Stelle unser Verständnis eines solchen Gespräches formulieren: Unter einem Einzelgespräch verstehen wir eine Kommunikation, die zwischen einer Fachkraft und jeweils einem/einer BesucherIn stattfindet. Nach unserem Verständnis werden Einzelgespräche geführt, um bspw. Beziehungsarbeit voranzutreiben und/oder Beratungswünschen der BesucherInnen zu entsprechen.
Hierbei meinen wir jedoch keine Konfliktgespräche, in denen es um Regelverstöße und das Aussprechen von Sanktionen geht.10 Mit derartigen Gesprächen befassen wir uns in dieser Arbeit nicht.
Unsere Umfrage kam zu dem Ergebnis, dass die Initiative zu einem Einzelgespräch sowohl von den Fachkräften als auch von den BesucherInnen ausgeht - das ist, nach Meinung der Fachkräfte, überwiegend ausgeglichen. Die Mehrzahl der befragten MitarbeiterInnen Offener Einrichtungen führen nach eigenen Angaben durchschnittlich ein- oder mehrmals pro Woche Einzelgespräche mit den BesucherInnen.11
3.1.1.2. Jugendberatung
Klawe beschrieb, dass ein Einzelgespräch in ein Beratungsgespräch münden kann, wenn aktuelle Probleme des/der Jugendlichen erörtert werden und wenn er/sie gemeinsam mit der Fachkraft nach Lösungen sucht.12 Dieses Verständnis von Beratung möchten wir für unsere Arbeit gern etwas erweitern und differenzieren:
Unter Jugendberatung verstehen wir Einzelgespräche, bei denen aktuelle Bedürfnisse, Fragestellungen und Probleme des/der Jugendlichen im Mittelpunkt stehen. Der/die BeraterIn achtet als Vertrauensperson den/die Jugendliche/n als ExpertIn seines/ihres eigenen Lebens. Auf Augenhöhe sucht der/die BeraterIn mit dem/der Jugendlichen nach Möglichkeiten und Lösungen. In unserer Arbeit konzentrieren wir uns nicht auf Beratungen, welche in Gruppenkontexten oder sozialer Gruppenarbeit stattfinden.13 Wir gehen auch nicht auf Jugendberatungen ein, die über das Jugendamt erfolgen.
3.1.2. Qualitätsstandards der Jugendberatung nach WANJA
(von Franziska Schuster)
Die Projektgruppe WANJA führte von 1997 bis 1999 eine bedeutende Forschung für die Offene Kinder- und Jugendarbeit durch. Mit einer qualitativen Arbeitsfeldstudie und der Auswertung entsprechender Fachliteratur verfolgte die Forschungsgruppe das Ziel, Instrumente zur Selbstevaluation und Berichterstattung zu entwickeln. Diese Instrumente sollten im Rahmen des kommunalen Wirksamkeitsdialoges zur Offenen Kinder- und Jugendarbeit in Nordrhein-Westfalen eingesetzt werden. WANJA erstellte für die wichtigsten konzeptionellen Schwerpunkte der Offenen Jugendarbeit Checklisten mit fachlichen Standards bzw. Qualitätskriterien, die als Parameter für die Einschätzung qualitativ guter Jugendarbeit herangezogen werden können. Die Fachkräfte können anhand der Standards ihre eigene Handlungspraxis - z.B. in der Jugendberatung - überprüfen (näheres zu WANJA im Anhang F1a II.I.).14 Für unsere Ausarbeitung zum Kapitel 3.2. waren die Standards für den Schwerpunktbereich ‚Beratung, biographische Begleitung und Einzelhilfe’ von Bedeutung - aus diesem Grund werden sie dort fortlaufend Erwähnung finden.
Literaturtipp:
Die WANJA-Projektgruppe dokumentierte ihre Forschungsergebnisse in einem Handbuch. Der erste Teil des Handbuches präsentiert Qualitätskriterien und Checklisten für eine fachlich gute Arbeit für folgende Schwerpunktbereiche: freizeitpädagogische Arbeit; Offene Kinderarbeit; Mädchenarbeit; Jugendkulturarbeit; cliquenorientierte und mobile Jugendarbeit; schulbezogene Arbeit; arbeitsweltbezogene Angebote; interkulturelle Kinder- und Jugendarbeit; medienpädagogische Arbeit; Beratung, biographische Begleitung und Einzelhilfe sowie partizipative Kinder- und Jugendarbeit. Im zweiten Teil des Buches werden die Instrumente und Verfahren des kommunalen Wirksamkeitsdialoges vorgestellt. Der dritte Teil des Handbuches widmet sich fallgeschichtlicher Analysen, anhand derer die Entwicklung der fachlichen Gütekriterien vorgenommen wurde.
Projektgruppe WANJA: Handbuch zum Wirksamkeitsdialog in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Qualität sichern, entwickeln und verhandeln. Münster 2000.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 02
3.2. EINZELGESPRÄCHE UND BERATUNGEN AUS DER SITUATION HERAUS - VON UNSEREN FORSCHUNGSERGEBNISSEN ZU EINEM PHASENMODELL
(von Jakob Barton)
In diesem Kapitel werden wir den Versuch unternehmen, aus den gewonnenen Ergebnissen unserer Forschung15 und auf Grundlage gezielter Literaturrecherchen ein Phasenmodell zu Einzelgesprächen und Beratungen in der Offenen Jugendarbeit abzuleiten. Wir beschreiben den Weg von einem situativen Einzelgespräch über eine Beratung unter ungestörten Rahmenbedingungen bis hin zu entwicklungsbegleitenden Folgegesprächen. Wie beginnt man ein Gespräch? Wann ist es Zeit, sich in eine Räumlichkeit zu begeben, in der Beratung ungestört möglich ist? Wie kann man günstige Rahmenbedingungen für Beratungen schaffen? Welche Theorieansätze sind für Beratungen in der Offenen Arbeit besonders interessant? Welche Rolle spielt Verweisung und Vernetzung? Zu diesen und weiteren Fragen haben wir Literatur, Forschungsergebnisse und Stimmen aus der Praxis zusammengetragen.
3.2.1. PHASE EINS: Die Vorarbeit
(Besonderheiten und Voraussetzungen - Einzelgespräche und Jugendberatung in der Offenen Arbeit)
(von Jakob Barton)
Seit einigen Jahren weisen mehrere AutorInnen auf die Grenzen institutioneller Beratungsangebote für Jugendliche hin. Nicht nur, dass jungen Menschen derartige Beratungsstellen selten bekannt sind, es kostet sie Überwindung eine Beratungsstelle mit unbekannten Fachkräften aufzusuchen.16 Kann das Anliegen nicht gleich besprochen werden, da Termine vereinbart werden müssen, besteht die Gefahr, dass Jugendliche nicht wiederkommen oder zum Zeitpunkt des Termins bereits ganz andere Sorgen haben. Auch die Spezialisierung einiger Beratungseinrichtungen hat, Cornelia Hofmann zufolge, Grenzen:
„Die weithin fehlende Akzeptanz der ‚Fachberatungsstellen’ bei den Jugendlichen und die Mängel spezialisierter Jugendberatungsstellen haben deutlich gemacht, daß eine Beschränkung der Beratungsarbeit auf bestimmte Problembereiche nicht sinnvoll ist, ja sich angesichts der Komplexität und Parallelität der Problemlagen im Jugendalter geradezu verbietet.“17
Vor diesem Hintergrund macht es Sinn, das Potential funktionaler Jugendberatung in Offenen Jugendeinrichtungen in den Blick zu nehmen. Ohne Frage kann sie bei schwerwiegenden Problemen junger Menschen ggf. nur eine erste Anlaufstelle sein und ist daher auf Kooperation mit anderen Beratungs-, Unterstützungs- und Hilfeangeboten angewiesen. Dafür verfügt sie über einen „lebensweltlichen Zugang und erreicht Jugendliche, die sich an andere Institutionen noch nicht oder nicht mehr wenden.“18.
3.2.1.1. Jugendberatung als Trend in Offenen Jugendeinrichtungen?
Willi Klawe schrieb 1996, dass Einzelgespräche „im Rahmen der Jugendarbeit immer Intervention in Ausnahmefällen, keinesfalls aber Regel und ‚Standardinstrument’ der pädagogischen Arbeit sein“ können. Er begründet seine Aussage damit, dass Einzelgespräche zeitintensiv, spannungsgeladen und oft nicht geeignet seien, wenn es bspw. um gruppendynamische Aspekte gehe. Allerdings machten Einzelgespräche dann Sinn, wenn es darum gehe, „Jugendliche (besser) kennenzulernen und eine befriedigende Beziehung aufzubauen“. Wenn Jugendliche bei persönlichen Problemen Beratung benötigten oder gar selbst um ein Gespräch mit den Fachkräften bitten, sei dem „selbst dann stattzugeben, wenn das zunächst vordergründig formulierte Gesprächsanliegen banal erscheint“.19
Beratung in Offenen Jugendeinrichtungen ist heute jedoch kein Einzelfall mehr. Unsere Umfrage zeigt, dass nahezu alle Offenen Jugendeinrichtungen Beratungsleistungen bei Problemen bzw. Hilfewünschen anbieten und auch in Punkto Bildungsweg oder Zukunftsorientierung jungen Menschen unterstützend zur Seite stehen.20 Die Forschungsgruppe WANJA konstatiert hierzu:
„Ausnahmslos alle Einrichtungen bestätigen die Tendenz des zunehmenden Bedarfes an Beratungen und Hilfen […]. Einrichtungen, die diese veränderte Bedarfslage wenig offensiv bearbeiten, leiden häufig darunter, daß sich die situative Beratung und Begleitung ausweitet, diese aber an ihre Grenzen stößt, weil der ‚offene Betrieb’ die Aufmerksamkeitshaltung einschränkt und Arbeitsbündnisse fragil bleiben.“21
3.2.1.2. Jugendberatung in den Konzeptionen Offener Jugendeinrichtungen
In den Ausführungen der Forschungsgruppe WANJA wird deutlich, dass Jugendberatung in den Einrichtungskonzeptionen nicht nur erwähnt, sondern auch mit ihren speziellen Erfordernissen ausreichend berücksichtigt werden muss. Es gilt, eine angemessene und durchdachte Arbeit zu gewährleisten und gleichzeitig einer Überforderung der Fachkräfte vorzubeugen.
„Die Schwerpunktsetzung ‚Beratung und Biografische Begleitung’ kann sehr weitreichende Konsequenzen für das Profil des Hauses haben. Deshalb muß im Rahmen der Konzeptentwicklung/-fortschreibung sorgfältig bestimmt werden, welche Formen sie annehmen soll, welche Zielgruppe besonders angesprochen ist und wie dieser Schwerpunkt ins Gesamtkonzept optimal eingepasst werden kann.“22
Neben einer Bedarfserhebung und Absprachen mit Träger, Kommune und ggf. anderen Einrichtungen im Sozialraum, sollten weder die Verhandlung eines ausreichenden Zeitbudgets noch Überlegungen zu terminlichen und räumlichen Fragen zu kurz kommen. Grenzen der Beratung und Gründe für Weitervermittlung und Begleitung zu Kooperationspartnern müssen abgesprochen werden. Gleiches gilt für die Koordination im Team. Hier ist sicher zu stellen, dass spontan entstehende Beratungsgespräche durch andere MitarbeiterInnen abgesichert werden. Die MitarbeiterInnen, die nicht in die jeweilige Beratung involviert sind, können dafür sorgen, dass die Beratung nicht gestört wird und der offene Betrieb reibungslos weiter laufen kann.
Im Sinne einer vertrauensvollen biografischen Begleitung und der Vermeidung eines häufigen Weiterreichens von BesucherInnen ist es günstig, wenn Beratungen von MitarbeiterInnen durchgeführt werden, die langfristig angestellt sind und ihre zeitlichen Ressourcen flexibel einsetzen können.23 An dieser Stelle wäre auch zu klären, ob eine Fachkraft oder alle MitarbeiterInnen für Beratungen zur Verfügung stehen und sich entsprechend weiterbilden.
3.2.1.3. Anforderungen an beratende Fachkräfte
Wie bereits erwähnt, hat Jugendberatung in Offenen Einrichtungen viele Vorteile. Da Jugendliche die Einrichtung und deren MitarbeiterInnen bereits kennen, fällt es Jugendlichen verhältnismäßig leicht, ihre Belange anzusprechen. Fachkräfte erleben die Jugendlichen zudem in ihren Handlungen und Alltagsbezügen, was sich für die Beratung als vorteilhaft erweisen kann. Eigenständige Jugendberatungsstellen haben in der Regel mit höheren Schwellenängsten der Jugendlichen zu kämpfen. Ein direkter Einblick in das Leben der KlientInnen (außerhalb der Beratungsräume) bleibt ihnen verwehrt.24
Trotz der Niedrigschwelligkeit Offener Arbeit ergeben sich für Jugendliche viele mögliche Stolpersteine, die den Weg zur Beratung für sie erschweren können. Nach Einschätzung von Elke von der Haar möchten sich Jugendliche beispielsweise nicht gern als Hilflose verstanden wissen und nehmen Beratungen nicht in Anspruch, wenn sie noch keine positiven Erfahrungen gemacht haben. „Zum einen glauben sie oft nicht, dass jemand, der ihre Probleme kennt, ihnen ernsthaft beistehen würde. Zum anderen empfinden sie ihr eigenes Verhalten keinesfalls als problematisch, solange sie nicht massiv an Grenzen stoßen oder solange sie diese noch nicht übertreten haben“25.
Für junge BesucherInnen ist es nicht immer leicht, sich Fachkräften zu öffnen, da sie die VertreterInnen der Erwachsenenwelt sonst auch als fordernd und sanktionierend erleben oder andere negative Erfahrungen gesammelt haben können. Die bisherigen Erlebnisse mit der jeweiligen Fachkraft spielen eine besonders große Rolle. Gab es Konflikte? Wie wurden sie beigelegt? Auf der kommunikativen Ebene fühlen sich junge BesucherInnen oftmals nicht so sicher wie die geübten Fachkräfte. Jugendliche wollen sich ungern unterlegen fühlen und könnten aus diesem Grund Gespräche umgehen. Außerdem kann der Anlass für die Beratung als so belastend empfunden werden, dass sich Jugendliche scheuen, Details preiszugeben.26
Um dem zu entgegnen, sollte eine Zielsetzung von Beratung darin bestehen, dass sich beide Parteien als gleichwertige GesprächspartnerInnen begegnen und akzeptieren. Das setzt voraus, dass Jugendliche „mit ihren Fragen, Problemen und Schwierigkeiten ernst genommen werden“27. Hilfesuchende Jugendliche und junge Erwachsene sollen spüren, dass es bei der Beratung um sie geht - und nicht darum, was die BeraterInnen wollen. Daher ist wichtig, dass „pädagogische Aufgaben und Zielsetzungen hinter parteilichen Orientierungshilfen in den Hintergrund“28 treten. Letztlich sind es nicht „die BeraterInnen […] die wissen, was für die Jugendlichen gut ist“29. Nach Meinung von Elke von der Haar, liegt es bei den Jugendlichen, Perspektiven und Ziele herauszuarbeiten. Die Fachkräfte können die Jugendlichen allerdings dabei unterstützen.
Grundlegend für tiefer gehende Einzelgespräche in der Offenen Jugendarbeit sind laut unserer Forschung Beziehungsarbeit und Vertrauen. Viele Fachkräfte benannten diese Aspekte als unabdingbar. Beziehungen werden demnach sowohl im Offenen Betrieb als auch in sozialen Netzwerken, wie z.B. Facebook, gepflegt.30 Folgt man der Forschungsgruppe WANJA, dann erfolgt Beziehungsarbeit und Vertrauensbildung nicht nur über Gespräche, sondern auch in freizeit- und gruppenpädagogischen Maßnahmen. Jugendliche sollen die Möglichkeit bekommen, Vertrauensbeziehungen aufzubauen. Sie sollen auch außerhalb von Beratungen angeregt werden, Verantwortung zu übernehmen, Konflikte zu bearbeiten und Ereignisse zu reflektieren.31
Willi Klawe und Elke von der Haar sehen in ihren Publikationen Beziehungsarbeit ebenfalls als Grundvoraussetzung für eine Beratung. Man müsse sich füreinander ehrlich interessieren. Vertrauen entsteht, ihnen zu Folge, durch Verschwiegenheit, eine menschliche, anteilnehmende Ausstrahlung, einer herzlichen Sprache und ein kompetentes, sicheres Auftreten der Fachkräfte. Letzteres sei von großer Bedeutung, da BesucherInnen etwaige Unsicherheiten der Fachkräfte in Beratungen stärker wahrnehmen, als in anderen Alltagssituationen.32
Schon deshalb setzen Beratung und biografische Begleitung spezifische fachliche Ressourcen voraus. Dazu zählen Fachkenntnisse zu Jugendbiografien und Entwicklungskrisen ebenso wie entsprechende Beratungskompetenzen.33 Fachkräfte sind daher gefordert, sich beständig selbst zu informieren, fortzubilden und das eigene Handeln zu reflektieren.34 Folgt man Werner Thole, sollten hauptamtliche JugendarbeiterInnen Kenntnisse in den folgenden Bereichen mitbringen und regelmäßig auffrischen:
„Kenntnisse über Lebenslagen und -verhältnisse von Kindern und Jugendlichen […] und […] damit verbundenen Risiken und besonderen Problemlagen […] Kenntnisse über institutionelle Strukturen […] die rechtliche Kodifizierung der Kinder und Jugendarbeit […] subjekt- milieu- und lebenswelt- sowie gesellschaftsbezogene, soziologische und psychologische Wissensbestände […] das Netzwerk sozialpädagogischer Hilfs- und Beratungsangebote […] die Reproduktionsmechanismen gesellschaftlicher Ungleichheit […] und Kommunikationsformen“35.
Außerdem werden ihm zufolge den MitarbeiterInnen der Offenen Jugendarbeit kommunikative und rhetorische Fähigkeiten, Authentizität, situationsangemessene Spontaneität, empathische, biographie- wie ethnographieorientierte Wahrnehmungs-, Verstehens- und Beratungskompetenzen abverlangt.36
Literaturtipp:
Andreas Kirchner hat seine Erfahrungen zu Jugendberatung in der Offenen Arbeit in einer gelungenen Studienarbeit mit Literaturrecherchen untermauert und veröffentlicht. Trotz einiger Überschneidungen zu unseren Ausführungen möchten wir diese Arbeit hier zur Lektüre empfehlen:
Kirchner, Andreas: Beratung für Jugendliche. Studienarbeit. Norderstedt 2005.
3.2.2. PHASE ZWEI: Der Einstieg in Einzelgespräche
(von Jakob Barton)
Offene Jugendeinrichtungen werden von Jugendlichen sicherlich vornehmlich zum Zweck der Freizeitgestaltung aufgesucht. Allerdings sind sie auch ein niederschwelliger Anlaufpunkt, um sich Hilfe zu holen. Dabei sind „Freiwilligkeit und Eigenmotivation der Jugendlichen […] Kontaktgrundlage“37. Nach einer Berliner Befragung kommen 90% der Jugendlichen mit Problemen aus dem Themenbereich Bildung/Ausbildung/Beruf in die Jugendberatung.38 Unsere Forschung kommt zu dem Ergebnis, dass dieses Themenfeld auch in Beratungen der Offenen Einrichtungen das präsenteste ist (siehe 3.2.4.).
3.2.2.1. Informationsbeschaffung als Aufhänger, Leidensdruck als Ansporn
„Besonders am Anfang einer Beratung neigen Ratsuchende dazu, reine Informationsfragen in den Vordergrund zu stellen.“39 Dahinter kann, so Elke von der Haar, eine eingegrenzte Erwartungshaltung stecken, die dadurch begründet sein mag, dass noch kein (ausreichendes) Vertrauensverhältnis zwischen BeraterInnen und Ratsuchenden zu Stande gekommen ist. Signalisieren die Fachkräfte, dass sie mehr bieten als nur Informationen, kann das vertrauensbildend wirken.40 Obwohl Beratung weit mehr leisten kann als das bloße Herausgeben von Informationen, ist es nach Meinung von Willi Klawe dennoch wichtig, dass den BesucherInnen „alle relevanten verfügbaren Informationen über Zusammenhänge, Handlungsmöglichkeiten und rechtliche Bedingungen zur Verfügung gestellt werden“41.
Häufig ist es ein gewisser Leidensdruck, der Jugendliche dazu motiviert, eigene Ängste zu überwinden und eine Fachkraft anzusprechen.42 Dennoch halten wir es für anstrebenswert, dass bereits bei der Entstehung von Schwierigkeiten oder Problemen Gespräche zu Stande kommen.
„Das bedeutet für die praktische Arbeit, daß nicht gewartet werden darf, bis die aktuelle Situation und individueller Leidensdruck so bedrohlich sind, daß der Jugendliche […] Artikulationsschwierigkeiten von selbst überwindet. Vielmehr müssen Situationen geschaffen werden, die dem Jugendlichen ermöglichen, auch diffuses Unbehagen einzubringen.“43
3.2.2.2. Gelegenheiten schaffen und nutzen
Eine solche bewusst geschaffene Situation kann unser Ansatz des Willkommensgespräches sein. Bei Selbigem soll es möglich sein, das Beratungsangebot nachdrücklich zu bewerben und ggf. gezielt nach aktuellen Schwierigkeiten zu fragen.
In der Praxis werden BesucherInnen von drei Viertel der Fachkräfte auf ihre Probleme, Schwierigkeiten und Hilfewünsche („häufig“ oder „immer“) angesprochen.44 Im Jugendhausalltag kann anregendes Material (Film, Fotos, Zeitungsartikel etc.) oder gezielte Gesprächsführung die jugendlichen BesucherInnen ermuntern über ihre Lebenswelt zu erzählen.45 Um die Hemmschwelle herabzusenken, die mit der Thematisierung individueller Belange und Problemlagen verbunden sein kann, macht es Sinn, einzelne Themen zu verallgemeinern.46
Wichtig scheint ebenfalls das beständige, spontane Nutzen von potentiellen Gesprächsanlässen - und zwar dort wo sie entstehen und dann wenn sie zur Sprache kommen. In den Antworten auf die Frage 25 unserer Forschung äußerten die Fachkräfte der Offenen Einrichtungen, dass sich solche Anlässe z.B. bei Gruppengesprächen, spielerischen und sportlichen Aktivitäten oder zu Club- bzw. Hausversammlungen bieten. Die Situationen, in denen es zu Gesprächen komme, seien so vielfältig wie die Anlässe selbst, welche zu Gesprächen führten.47 Daher sollten, laut der Projektgruppe WANJA, „Beratungsgespräche mit einzelnen Jugendlichen […] situationsflexibel angegangen und in den Alltag des Jugendhauses eingebettet“48 werden. Es gilt in der Alltagskommunikation biografische Themen aufzuspüren und diese sensibel zur Sprache zu bringen.49 Nicht für alle jungen Menschen ist es selbstverständlich, dass ihnen ernsthaft interessiert zugehört wird - gerade wenn die Situation in Elternhaus und Schule nicht die Beste ist und im Freundeskreis Probleme und Befindlichkeiten kaum Thema sind.
Lesetipp:
Das beschriebene Aufspüren, Anregen und Nutzen von Gesprächsgelegenheiten erfolgt in der Praxis auf ganz unterschiedliche Weise. In der Auswertung unserer Forschung haben wir konkrete Herangehensweisen und Beispielformulierungen hierzu zusammengetragen. Wie beginnt man Gespräche mit neuen BesucherInnen? Wie können „aktualisierende Fragen“ an bekannte BesucherInnen gestellt werden? Wie fragen Fachkräfte in der Praxis nach Befindlichkeiten, Freizeit, Beziehung, Schule, Beruf, Lebenskonzept oder Familie?
Im Kapitel V.III.IV. Formulierungen und Wahl von Fragen an BesucherInnen der Forschung im Anhang F1a finden Sie die Antworten auf diese Fragen.
Besonders in der Anfangsphase von Gesprächen oder Beratungssituationen ist es wichtig, dass Fachkräfte sich in die Lage der BesucherInnen versetzen. Laut Elke von der Haar ist zunächst
„bei dem Ratsuchenden nur eine hypothetische Hoffnung vorhanden, die sich erst noch erweisen muss. […] Sich jemandem anvertrauen bedeutet auch, sich einem anderen in gewisser Weise auszuliefern, der Einblick in problematische Aspekte seiner Lebensbewältigung nimmt. […] Ist es noch akzeptiert, Fragen der Ausbildungsstellensuche zu formulieren, so werden persönliche Themen oft tabuisiert. […] Probleme werden […] eher beiläufig in informellen Kommunikationszusammenhängen eingebracht. Die betreffenden Jugendlichen warten erst vorsichtig ab, nehmen sehr genau die Reaktionen der anderen Jugendlichen und MitarbeiterInnen wahr. Sie vermeiden es, alle Probleme zu offenbaren und sichern sich jederzeit die Chance, sich zurückzuziehen - mitunter mit einem Scherz, mit Themenwechsel u.a.“50
Daher müssen beratende Fachkräfte auch in unvermuteten Zusammenhängen irritierende, verdeckte und verschlüsselte Äußerungen der BesucherInnen ernst nehmen.51
Ergeben sich tiefer gehende Gespräche, die einer gewissen Ruhe und Störungsfreiheit bedürfen, kann es ratsam sein, ein ungestörtes Setting innerhalb der Einrichtung aufzusuchen.
3.2.3. PHASE DREI: Vom Einzelgespräch zur Beratung
(von Franziska Schuster und Jakob Barton)
3.2.3.1. Rahmenbedingungen für Beratungsgespräche
(von Franziska Schuster)
Wie schon in 3.2.2. kurz angedeutet, benötigen manche Gespräche Ruhe- und Störungsfreiheit. Doch das heißt nicht nur, einen Beratungsraum aufzusuchen. Um beratende Gespräche vertiefend führen zu können, muss die Atmosphäre stimmen und Ruhe sowie Zeit gegeben sein.
3.2.3.1.1. Die Notwendigkeit geeigneter Räume für Beratungen
Laut Elke von der Haar scheuen sich viele Jugendliche davor, ihre Probleme in der Gruppe zu äußern:52
„In der Gleichaltrigengruppe ist es nicht »in«, Probleme zu haben. Die Bereitschaft und Fähigkeit, Schwierigkeiten zu benennen, hängt von der Rolle, die Jugendliche in ihrer Bezugsgruppe einnehmen und den gruppenspezifischen Normen, ab. So brechen häufig Gespräche schlagartig ab, wenn andere Mitglieder der Peergroup hinzu kommen.“53
Elke von der Haar verdeutlicht an dieser Stelle wiederholt, dass sich manche Gesprächsanliegen leichter ‚unter vier Augen’ vertiefen lassen. Vor allem bei heiklen Themen kann es sein, dass man den offenen Bereich verlassen und einen ruhigen Raum aufsuchen muss. Die Fachkraft und der/die Jugendliche sollten zusammen über die Notwendigkeit eines Raumwechsels entscheiden. Doch in wie vielen Einrichtungen stehen überhaupt Räume für ungestörte Einzelgespräche zur Verfügung? In unserer Umfrage ermittelten wir, dass über 80% der befragten Einrichtungen dazu die Möglichkeit haben.54
Doch nicht nur das Vorhandensein eines Raumes für Beratungen ist sehr wichtig, sondern auch seine Gestaltung. In einem Raum, in dem sich die Jugendlichen oder die Fachkräfte nicht wohl fühlen, kann eine Beratung nur schwer erfolgreich sein. Damit sich Fachkräfte und Jugendliche gern im Raum aufhalten, kann dieser umgestaltet werden. Die Umgestaltung kann auch Thema eines Projektes sein, an dem sich Jugendliche und Fachkräfte gemeinsam beteiligen.
3.2.3.1.2. Die Anspannung vor und während den Gesprächen
Es ist wichtig, dass der Wechsel in einem anderen Raum behutsam gestaltet wird. Die Fachkraft sollte versuchen, locker und entspannt zu bleiben. Der/die Jugendliche darf nicht verunsichert werden. Durch die Herauslösung aus den gewohnten Gruppengefügen kann er/sie ohnehin schon angespannt sein.55 Vorab vereinbarte Gesprächstermine können ohne Ablösung aus der Gruppe stattfinden. Das heißt allerdings nicht, dass sich Gefühle der Spannung erübrigen. Im Gegenteil - dadurch, dass der/die Jugendliche mehr Zeit hat, um sich auf das anstehende Gespräch einzustellen, kann sich eine hohe Anspannung aufbauen. Die Fachkraft profitiert indes davon, dass er/sie sich auf vereinbarte Gespräche vorbereiten kann. Der/die BeraterIn kann sich mit den erwarteten Themen bzw. Problemen vertraut machen und sicherer in den Beratungsprozess gehen.
3.2.3.1.3. Ruhe und Zeit für und in Beratungen
Auch wenn in einem Moment alle Rahmenbedingungen für ein Einzelgespräch günstig erscheinen, kann sich das im nächsten Augenblick ändern. Störungen können unentwegt auftreten und die Beratung behindern. So z.B. wenn die Fachkraft zum Telefon muss oder der Lärm von außen zu hoch ist. Um zu vermeiden, dass Unbeteiligte ins Zimmer kommen und das Gespräch unterbrechen, können die Fachkräfte ein Schild „Bitte nicht stören!“ an die Tür anbringen. Störfaktoren können dazu führen, dass sich der/die Jugendliche mit seinem/ihrem Anliegen nicht ernst genommen fühlt.56 Dadurch kann er/sie wichtige Details verschweigen, die Beratung abbrechen und sich weiterer Bemühungen seitens der Fachkraft entziehen. Das Abbruchrisiko von Gesprächen muss so gering wie möglich gehalten werden. Aus den Umfrageergebnissen lässt sich vermuten, dass dieses Risiko außerhalb der Öffnungszeiten in den Einrichtungen am geringsten sein könnte. Weit über die Hälfte der Fachkräfte führen innerhalb und außerhalb der Einrichtungsöffnungszeiten Einzelgespräche. Lediglich ein gutes Viertel der Fachkräfte führt Einzelgespräche nur zu den regulären Zeiten.57 Wir nehmen an, dass sich BeraterInnen gezielt mit den BesucherInnen verabreden, wenn bspw. die Bedingungen, zu denen ein Gesprächsthema aufkam, nicht optimal waren.
Ruhe und Zeit sind unabdingbar für das Führen von Gesprächen. In der Offenen Jugendarbeit sind günstige Rahmenbedingungen in keiner konstanten Form gegeben. Störungen und Unterbrechungen von Gesprächen gehören zum Alltag der Offenen Arbeit. Zwischen Chaos und Hektik haben die Fachkräfte die beschwerliche Aufgabe, Ruhe und Zeit für Gespräche zu finden.
3.2.3.2. Themen von Beratungen in der Offenen Jugendarbeit
(von Jakob Barton)
Folgt man der 16. Shell Studie, dann blicken knapp zwei Drittel der Jugendlichen zwischen 12 und 25 Jahren zuversichtlich in die Zukunft. Fast drei Viertel sind zufrieden mit ihrem Leben. Schaut man sich die Ergebnisse genauer an, wird ersichtlich, dass die Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien bzw. unterprivilegierten Verhältnissen weitaus weniger zuversichtlich und zufrieden sind, als die jugendlichen Vergleichsgruppen aus besser gestellten Schichten.58 Daran wird deutlich, dass Zuversicht und Zufriedenheit aber auch Chancen und Risiken stark von Milieu, Herkunftsfamilie, Bildungsweg - sprich von der Qualität der Förderung und Unterstützung durch die verschiedenen Sozialisationsinstanzen - beeinflusst wird.59
Unabhängig von der sozialen Herkunft haben alle Jugendlichen alterstypische Entwicklungsaufgaben zu bewältigen. Laut Willi Klawe sehen sie sich mit der Pubertät konfrontiert, durchlaufen Reifungsprozesse, lösen sich vom Elternhaus ab (oder streben danach), suchen nach Statussicherheit, einem Berufseinstieg und einer gefestigten Identität.60 Auf all diesen Gebieten kann es zu Konflikten, Misserfolgen und Problemen kommen. Derartige Problemlagen sind häufig vielfältig miteinander verknüpft und werden von den Jugendlichen selten als voneinander trennbar erlebt. Gelingt es Jugendlichen nicht, die Zusammenhänge zwischen Problemen, eigenem Tun und Umfeldbedingungen zu erfassen, aus den Erkenntnissen konkrete Handlungsschritte abzuleiten und damit ihren Problemen zu begegnen, können Selbstzweifel, Versagensängste und Resignation die Folge sein. „Die Unfähigkeit, die Probleme selbst zu analysieren und Kausalzusammenhänge zu entwirren, wird verstärkt durch die Schwierigkeiten, Probleme zu benennen und zu artikulieren.“61
Hier muss die Beratung in Offenen Einrichtungen ansetzen. Probleme außerhalb aber auch innerhalb der Einrichtungen sollten von den BesucherInnen erkannt, benannt und diskutiert werden können. Cornelia Hofmann differenziert das mit den Worten: „Es müssen alle Probleme der Jugendlichen zur Diskussion stehen, vor allem auch ihre materiellen und sozialen Nöte sowie Probleme der alltäglichen Lebensbewältigung.“62
Um konkreter werden zu können, haben wir die Fachkräfte Offener Jugendeinrichtungen gefragt, welche Probleme der jugendlichen BesucherInnen für sie besonders augenfällig sind.
Am weitaus häufigsten wurden Probleme aus dem Bereich Bildung und Zukunftsplanung angegeben. Vier von zehn Fachkräften berichteten von Problemen in den Herkunftsfamilien der BesucherInnen. Fast ein Drittel der Fachkräfte erklärten Drogengebrauch, -missbrauch und Sucht zum Problem der BesucherInnen. Außerdem wurden Gewalt und Kriminalität, Entwicklung und Verhalten, Gemeinwesen und Gesellschaft, Mangelsituationen und Finanzen, Migrationshintergrund, Liebe und Partnerschaft sowie Freundeskreis bzw. Peergroup als Problemfelder benannt. Vereinzelt war von mangelhafter Gesundheit, bedenklichem Freizeitverhalten, unreflektiertem Umgang mit Medien oder gefährlichen Problemlösungsstrategien die Rede.
Lesetipp:
In unserer Forschung gehen wir zu den hier aufgeführten Problemgruppen näher ins Detail. Wir haben die verschiedenen Aussagen der Fachkräfte zusammengefasst, sodass ein differenziertes Bild von dem entsteht, was Fachkräften auffällt und Jugendliche beschäftigt.
Anhang F1a im Kapitel V.II.IV. Probleme und Schwierigkeiten der BesucherInnen.
Grundsätzlich sollte von den Fachkräften eindeutig kommuniziert werden, dass jedes Problem, jede Schwierigkeit und jeder Gedanke in Gesprächen und Beratungen Thema sein kann. (Was nicht als Defizitorientierung missverstanden werden darf.) Auch wenn es, wie beschrieben, wichtig ist, unterschiedliche Problembereiche voneinander zu trennen und Wechselbeziehungen in den Blick zu nehmen, so muss der/die Jugendliche nach Cornelia Hofmann dennoch „als Gesamtpersönlichkeit behandelt werden und darf nicht auf ein Problemsymptom reduziert werden“63.
Wie die 16. Shell Studie herausgefunden hat, ist die bevorzugte Methode, um Problemen beizukommen, sich mit einer/einem FreundIn zu treffen und das Problem gemeinsam zu lösen. Weitaus seltener kommt es vor, dass Jugendliche Probleme selbstständig und allein bearbeiten, sich ablenken, resignieren, mehr Alkohol trinken, mehr rauchen oder gar aggressiv werden.64 Für die Offene Jugendarbeit bedeutet das einmal mehr, dass eine gelingende Beziehungsarbeit oberste Priorität haben muss. Nur wenn ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Fachkraft und BesucherInnen aufgebaut werden konnte, wenn Fachkräfte von BesucherInnen als „FreundInnen“ zu Rate gezogen werden, kann Jugendberatung in Offenen Einrichtungen ihr Potential voll ausschöpfen.
3.2.3.3. Ziele von Beratungen in der Offenen Jugendarbeit
(von Jakob Barton)
Fachkräfte müssen sich der Ziele bewusst sein, die sie mit der Beratungsleistung verfolgen. Diese pädagogischen Ziele sollten in der Konzeption festgeschrieben und ggf. fortwährend verändert, ergänzt oder angepasst werden. Wenngleich wir hier nicht umfassend auf mögliche Ziele eingehen können, möchten wir zumindest einige Beispielziele anführen, die von der Forschungsgruppe WANJA vorgeschlagen werden. Demnach sollen Beratungen das Ziel verfolgen,
„eine Vertrauensbeziehung aufzubauen, die Fähigkeit zur Selbstthematisierung zu fördern, aktuelle Krisen zu bearbeiten, persönliche, familiäre und Berufliche Perspektiven entwickeln zu helfen, Verantwortungsübernahme zu fördern, biographische Optionen und Entwürfe entwickeln zu helfen, das Selbstbewusstsein zu stabilisieren.“65
Diese Bestrebungen können als Arbeitsziele gemeinsam mit den BesucherInnen entwickelt werden. Besonders wichtig ist die Operationalisierung der Ziele, damit diese überprüft und mit den Jugendlichen verhandelt werden können. Wie erkennt man, dass eine Vertrauensbasis gewachsen ist, dass die BesucherInnen sich selbst thematisieren, dass sie Verantwortung übernehmen oder selbstbewusst und eigenständig handeln? Auch hier hält die Projektgruppe WANJA Beispielindikatoren parat, wie sie zur Überprüfung der Arbeitsziele herangezogen werden können:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten66
Beratung ist ein Stück weit biografische Arbeit, bei der „Vergewisserung über eigene Fähigkeiten, Ausarbeitung und Explizierung von Lebensplänen, Einordnung von biografischen ‚Großereignissen’, Reflexion der förderlichen und hinderlichen Einflüsse, Vorbereitung von wichtigen Entscheidungen, Bearbeitung familiärer Konflikte, Bewältigung von Konflikten in Schule, Ausbildung und Liebesbeziehungen, Bewältigung von Arbeitslosigkeit etc.“67 Themen und Ziele zugleich sein können. Beratung von Jugendlichen kann und soll „Klarheit über ihre belastenden Probleme verschaffen, zur emotionalen und sozialen Stabilisierung beitragen“ und „bestehende Angebote und Möglichkeiten zur Unterstützung unterbreiten“68. Laut Elke von der Haar können so Hilfen zur Selbstfindung geleistet, Entscheidungs- und Handlungskompetenzen gestärkt und Konfliktlösungen erzielt werden.69
Die genannten pädagogischen Zielsetzungen und die mit den BesucherInnen (explizit oder implizit) verhandelten Arbeitsziele sind dabei nicht zu verwechseln mit den Handlungszielen, die am Ende einer Beratung gemeinsam mit den BesucherInnen ausgehandelt werden können und konkrete weitere Handlungsschritte beinhalten. Diese werden im Kapitel 3.2.5. näher beschrieben.
Letztendlich geht es bei Beratungen und biografischer Begleitung auch um Hilfe zur Selbsthilfe. Es muss das Ziel sein, Jugendliche erfahren zu lassen, dass sie aus eigener Kraft und durch das gezielte Hinzuziehen von Vertrauenspersonen (wenn nötig auch von weiteren Hilfe- und Unterstützungsangeboten) eigene Probleme (auch in Zukunft) lösen können.
3.2.4. PHASE VIER: Beraten
(Hilfreiche Ansätze, Konzepte und Methoden für die Praxis von Beratungen - eine Auswahl)
(von Franziska Schuster und Jakob Barton)
Die folgenden Ausführungen verstehen wir als Ideengeber - wir wollen Impulse setzen und veranschaulichen, was in der Praxis weiterhelfen könnte. Unsere Forschungsergebnisse und gezielte Literaturrecherchen ermöglichten es uns, eine Auswahl hilfreicher Ansätze, Konzepte und Methoden zu erstellen. Nachfolgend werden wir uns mit dem Kommunikationsprozess beschäftigen und auf die Ebenen der Kommunikation sowie auf das Vier-Seiten- Kommunikationsmodell nach Friedemann Schulz von Thun eingehen. Daraufhin widmen wir uns der Beratungshaltung der Fachkräfte und werden verschiedene Gesprächstechniken und Beratungskonzepte aufzeigen: die Klientenzentrierte Gesprächsführung nach Carl Rogers, die Motivierende Gesprächsführung nach William Miller und Stephen Rollnick, das Transtheoretische Modell und die Techniken der Systemischen Beratung.
[...]
1 Nähere Informationen zu Creative Commens: http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/
2 Vgl. Pollmer, Käthe: Jugendfreizeitstatten in den neuen Bundesländern aus der Sicht
Jugendlicher. Ein Datenreport. Potsdam 2002. In: Arbeitskreis G 5 c/o Landesjugendring NRW e.V. (Hg.), Buschmann, Mirja: Das Wissen zur Kinder- und Jugendarbeit. Die empirische Forschung 1998-2008. Ein kommentierter Überblick für die Praxis. Aachen 2009, S. 49
3 Vgl. Schröder, Achim: Jugendliche. In: Deinet, Ulrich / Sturzenhecker, Benedikt (Hg.): Handbuch der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Wiesbaden 32005, S. 90
4 Vgl. Münder, Johannes: Frankfurter Kommentar zum SGB VIII: Kinder- und Jugendhilfe. Weinheim / München 52006, S. 157
5 Vgl. Scherr, Albert: Subjektorientierung - eine Antwort auf die Identitätsdiffusion der
Jugendarbeit? In: Rauschenbach, Thomas / Düx, Wiebken / Sass, Erich (Hg.). Kinder und Jugendarbeit - Wege in die Zukunft. Gesellschaftliche Entwicklungen und fachliche Herausforderungen. Weinheim / München 2003, S. 148
6 Vgl. Scherr, Albert: Subjektorientierte Offene Jugendarbeit. In: Deinet, Ulrich / Sturzenhecker, Benedikt (Hg.): Handbuch Offene Kinder- und Jugendarbeit. Wiesbaden 32005, S. 207-209
7 Vgl. Bundesministerium der Justiz: §11 Jugendarbeit. URL: http://www.gesetze-im- internet.de/sgb_8/__11.html, letzter Stand: 16.09.2011
8 Vgl. Anhang F1a: V.III.I. Einzelgespräche im Alltag der Offenen Kinder- und Jugendarbeit und V.II.V. Bildung, Berufs- und Zukunftsorientierung der BesucherInnen
9 Vgl. Klawe, Willi: Arbeit mit Jugendlichen. Einführung in Bedingungen, Ziele, Methoden und Sozialformen der Jugendarbeit. Weinheim 1996, S. 161
10 Vgl. Klawe 1996, S. 159-160
11 Vgl. Anhang F1a: V.III.I. Einzelgespräche im Alltag der Offenen Kinder- und Jugendarbeit
12 Vgl. Klawe 1996, S. 159
13 Vgl. Projektgruppe WANJA 2000: Handbuch zum Wirksamkeitsdialog in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Qualität sichern, entwickeln und verhandeln. Münster 2000, S. 189-190
14 Vgl. Projektgruppe WANJA 2000, S. 10-11
15 Vgl. Anhang F1a: V.III.III. Abläufe von Einzelgesprächen
16 Vgl. Haar, Elke von der: Jugendberatung. Leitfaden für die Praxis in der Jugendarbeit, Ausbildung und Schule. München / Unterschleißheim 2004, S. 6-7
17 Hofmann, S. 194
18 Projektgruppe WANJA 2000, S. 182-183
19 Klawe 1996, S. 161
20 Vgl. Anhang F1a: V.II. Angebote und Themen der Offenen Jugendarbeit
21 Projektgruppe WANJA 2000, S. 138
22 Projektgruppe WANJA 2000, S. 189
23 Vgl. Projektgruppe WANJA 2000, S. 188-195
24 Vgl. Haar 2004, S. 2
25 Haar 2004, S. 6-7
26 Vgl. Klawe 1996, S. 160
27 Haar 2004, S. 9
28 Haar, Elke von der: Leitfaden Jugendberatung. Fortbildungsprojekt Jugendberatung. Ein Handbuch für die Praxis der Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Schule und Ausbildung. Berlin, 51992, S. 20
29 Haar 2004, S. 9
30 Vgl. Anhang F1a: V.III. Einzelgespräche
31 Vgl. Projektgruppe WANJA 2000, S. 190-191
32 Vgl. Klawe 1996, S. 161-165 und Haar 2004, S. 8
33 Vgl. Projektgruppe WANJA 2000, S. 187
34 Thole, Werner: Kinder- und Jugendarbeit. Eine Einführung. Weinheim und München 2000, S. 285
35 Thole 2000, S. 282-284
36 Weitere Informationen zu den Anforderungen an beratende Fachkräfte finden sich sowohl in den Qualitätsstandards von WANJA (Vgl. Projektgruppe WANJA 2000, S. 187-197) als auch in den Ausführungen von Elke von der Haar (Vgl. Haar 2004, S. 6, 11).
37 Projektgruppe WANJA 2000, S. 191
38 Vgl. Haar, Elke von der / Unger, Dorothée: Jugendberatung konkret. Fortbildungsprojekt Jugendberatung. "Möglichst sofort! Möglichst schon gestern!". Ergebnisse einer Befragung von Jugendberaterinnen. Berlin 11993 , S. 30
39 Haar 1992, S. 15
40 Vgl. Haar 1992, S. 15
41 Klawe1996, S. 164
42 Vgl. Haar 1992, S. 18
43 Klawe 1996, S. 163
44 Vgl. Anhang F1a: V.II.IV. Probleme und Schwierigkeiten der BesucherInnen
45 Vgl. Projektgruppe WANJA 2000, S. 188-189
46 Vgl. Haar 2004, S. 15
47 Vgl. Anhang F1a: V.III. Einzelgespräche
48 Projektgruppe WANJA 2000, S. 193
49 Vgl. Projektgruppe WANJA 2000, S. 187
50 Haar 2004, S. 14-15
51 Vgl. Projektgruppe WANJA 2000, S. 188-189
52 Vgl. Haar 2004, S. 15
53 Haar 2004, S. 15
54 Vgl. Anhang F1a: V.III.II. Rahmenbedingungen für Einzelgespräche
55 Vgl. Haar 2004, S. 160
56 Vgl. Haar 2004, S. 161-162
57 Vgl. Anhang F1a: V.III.I. Einzelgespräche im Alltag der Offenen Kinder- und Jugendarbeit
58 Vgl. Leven, Ingo / Quenzel, Gudrun / Hurrelmann, Klaus: Famile, Schule, Freizeit: Kontinuitäten im Wandel; sowie Gensicke, Thomas: Wertorientierungen, Befinden und Problembewältigung. In: Deutsche Shell Holding GmbH (Hg.): Jugend 2010. 16. Shell Jugendstudie. Eine pragmatische Generation behauptet sich. Frankfurt am Main 2010, S. 125-126; sowie 191-194
59 Vgl. siehe auch: Leven, Ingo / Quenzel, Gudrun / Hurrelmann, Klaus: Famile, Schule, Freizeit: Kontinuitäten im Wandel; In: Deutsche Shell Holding GmbH (Hg.): Jugend 2010. 16. Shell Jugendstudie. Eine pragmatische Generation behauptet sich. Frankfurt am Main 2010, S. 70- 73
60 Vgl. Klawe 1996, S. 28-34
61 Klawe 1996, S. 163
62 Hofmann 1990, S. 95
63 Hofmann 1990, S. 208
64 Vgl. Gensicke, Thomas: Wertorientierungen, Befinden und Problembewältigung. In: Deutsche Shell Holding GmbH (Hg.): Jugend 2010. 16. Shell Jugendstudie. Eine pragmatische Generation behauptet sich. Frankfurt am Main 2010, S. 228
65 Projektgruppe WANJA 2000, S. 192
66 Verkürzt zitiert nach: Projektgruppe WANJA 2000, S. 193
67 Projektgruppe WANJA 2000, S. 182-183
68 Haar 2004, S. 4-5
69 Vgl. Haar 2004, S. 4-5