Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Was ist interkulturelle Pädagogik?
3 Geschichte der interkulturellen Pädagogik
3.1 Phase eins
3.2 Das Fremde
3.3 Nationalcharakter
3.4 Phase zwei
3.5 Phase drei
3.6 Phase vier
3.7 Phase fünf
3.8 Phase sechs
4 Schlussbemerkung
1 Einleitung
Die voranschreitende Globalisierung führt zu einer zunehmenden Verflechtung der Bereiche Wirtschaft, Politik und sogar Kultur. In einer Zeit, in der globale Kommunikation selbstverständlich ist, können sich somit menschliche Lebensäußerungen in kürzester Zeit verbreiten. Verbesserte Transportmittel sorgen dafür, dass auch die entferntesten Länder erreicht werden können. Es kommt zu einer verstärkten Auseinandersetzung der Kulturen untereinander. Die politische Entscheidung zur Liberalisierung des Welthandels hat des Weiteren dazu geführt, dass die Interdependenzen der Akteure des Arbeitsmarktes intensiver und weitreichender geworden sind. Daher stehen diese Akteure offenbar in Konkurrenz zu einander und zwar bei unterschiedlichen sozialpolitischen und bildungspolitischen Voraussetzungen. Somit wird das Humankapital jedes Menschen, der am globalen Handel teilnimmt, in die Waagschale gelegt. Dies beinhaltet nicht nur Berufstätige in den Bereichen der Exportindustrie. Bereits der Einkaufsbummel mit Freunden oder der kurze Sprung in den Supermarkt beinhaltet die Teilnahme am globalen Marktgeschehen, denn hier werden global gehandelte Waren konsumiert, wie die Jeans aus der Türkei, das T-Shirt aus Indien oder Weintrauben aus Südafrika. In diesen Ländern findet die Produktion der Waren unter anderen Standards als in den großen Industrienationen statt. Auch die Entlohnung für diese Arbeit hat einen anderen Maßstab und ermöglicht den Akteuren oftmals nur ein hartes Leben. Die Gegensätze führen dazu, dass sich diejenigen, welche die Möglichkeit haben, sich auf die Suche machen, um ein besseres Leben zu finden. Bestimmte Länder haben dabei ein reges Interesse an günstigen oder gut qualifizierten Arbeitskräften aus dem Ausland. Die Auseinandersetzung der Kulturen untereinander wird also in Zukunft noch lange nicht abnehmen, wie es scheint. Multikulturalität ist ein neues Schlüsselwort geworden und stellt sowohl die Staaten, als auch die Individuen vor neue Aufgaben. Mit den Folgen der Globalisierung und mit der Multikulturalität beschäftigen sich prinzipiell viele verschiedene Disziplinen, aber gerade der Pädagogik, die sich mit Bildung und Erziehung in Gesellschaften beschäftigt, kommt unter Bezug auf die bereits angesprochenen Aspekte eine besondere Bedeutung zu, denn sie ist maßgeblich an der Entwicklung der Individuen beteiligt. Somit ist sie eine wichtige Instanz für die Herausbildung multikultureller Kompetenzen, die notwendig sind, um sich in einer globalisierten und multikulturellen Gesellschaft zurechtzufinden. Die Interkulturelle Pädagogik hat sich im Laufe von Fachdiskussionen über Multikulturalität als eigenständige Fachrichtung etabliert. In diesem Aufsatz soll die Interkulturelle Pädagogik in ihrem historischen Zeitverlauf dargestellt werden. Als Grundgerüst für diesen Aufsatz wird das Sechs-Phasen-Modell von Wolfgang Nieke herangezogen. Es dient dazu, einen allgemeinen Überblick über die Geschichte der Interkulturellen Pädagogik zu erhalten. Blinde Flecken, die dieses Phasenmodell hat und zu ihm konträrer stehende Theorien werden im Verlaufe dieses Aufsatzes besprochen. Dies hat nicht den Zweck, die Schwächen des Phasenmodells zu betonen, sondern einen Einblick in die Fachdiskussion zu geben, um einen möglichst vollständigen Überblick zu erhalten. Im Folgenden Abschnitt wird zu aller erst eine Definition der Interkulturellen Pädagogik gegeben und auf ihr Forschungsinteresse verwiesen.
2 Was ist Interkulturelle Pädagogik?
Laut Mariane Krüger Potratz ist die Interkulturelle Pädagogik eine gängige Bezeichnung für ein interdisziplinär und international ausgerichtetes Forschungslehrgebiet, welches sich ab Ende der 60‘er Jahre herausgebildet hat. Innerhalb der Fachdiskussion gibt es bezüglich der Bezeichnung dieses Forschungsgebietes Uneinigkeit. Daher spricht man beispielsweise auch von Migrationspädagogik oder Pädagogik der Vielfalt. Das Forschungsinteresse innerhalb der Interkulturellen Pädagogik besteht in der Analyse von Bildung und Erziehung in Einwanderungsgesellschaften, deshalb sind einschlägige Publikationen des Forschungsgebiets der Interkulturellen Pädagogik auch unter den Titeln Interkulturelle Bildung und Interkulturelle Erziehung zu finden. Zusammengefasst besteht das Leitziel von Interkultureller Bildung und Erziehung darin, Hilfe für Kinder, Jugendliche und Erwachsene bereitzustellen, um das Zusammenleben in sprachlich, ethnisch und kulturell ausdifferenzierten Gesellschaften zu erleichtern (vgl. Krüger-Potratz 2010, S. 151). So definiert Krüger-Potratz die Interkulturelle Pädagogik. Es wurde an dieser Stelle von einem Leitziel gesprochen, da es unterschiedliche Professionen gibt, die direkt oder indirekt auf die Interkulturellen Pädagogik Einfluss üben. Aus ihrer spezifischen Logik und ihrem Tätigkeits-feld ergeben sich entsprechende Subziele, die sich von einander unterschneiden können. Beispiele für verschiedene Professionsbereiche, die auf die Interkulturelle Pädagogik einwirken, sind die Wissenschaft, die Politik, und die praktische Anwendung in der Jugendarbeit. Man kann aber nicht nur hinsichtlich der verschiedenen Professionen und ihren Subzielen differenzieren, sondern auch innerhalb der Interkulturellen Pädagogik selbst Differenzierungen feststellen. Diesbezüglich kann auf Hohmann (1987) verwiesen werden. Er definierte auf Basis der Erkenntnis, dass kulturelle Heterogenität eine „Grundtatsache“ moderner, komplexer Gesellschaften sei, zwei Typen für die Interkulturelle Bildungs-forschung. Dies kann allerdings im Rahmen dieser Arbeit nicht näher ausgeführt werden. Recht deutlich ergibt sich daher das Bild eines komplexen Forschungslehrgebietes für die Interkulturelle Pädagogik.
3 Geschichte der Interkulturellen Pädagogik
Innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses besteht Uneinigkeit über den historischen Prozess der Entstehung der Interkulturellen Pädagogik. Daher gibt es eine Vielzahl von Rekonstruktionsmodellen zu diesem Thema. Von diesen hat sich innerhalb des Diskurses das Phasen Modell von Wolfgang Nieke durchgesetzt. Im Folgenden wird sowohl das Phasen Modell, als auch die Kritik an diesem vorgestellt.
3.1 Phase eins
Die erste Phase wird von Wolfgang Nieke folgendermaßen betitelt „Gastarbeiterkinder an deutschen Schulen: „Ausländerpädagogik“ als Nothilfe“. Er beschreibt hier die Situation von ausländischen Kindern in deutschen Schulen. Diese sah so aus, dass sie nur geringe Deutschkenntnisse hatten und dem Schulunterricht daher nur bedingt folgen konnten. Auf Basis dieser Bedingungen sah sich die Schule, laut Nieke, einer neuartigen Verpflichtung ausgesetzt. Darauf reagierte sie, indem sie sich zunächst an Konzepten der Didaktik des Deutschen als Fremdsprache orientierte. Man fasste ausländische Schüler in spezielle Lerngruppen zusammen, die das Ziel hatten, den Kindern so viel Deutsch beizubringen, dass sie den regulären Unterricht folgen konnten. Der gemeinsame Unterricht mit ausländischen und deutschen Schülern und die speziellen Lerngruppen erforderten eine besondere didaktische Thematisierung. Aus dieser neuen Aufgabenkonstellation entwickelte sich die Ausländerpädagogik (vgl. Nieke 2008, S. 14). Nieke lässt somit die Geschichte der Interkulturellen Pädagogik mit der gezielten Anwerbung von Arbeitsimmigranten beginnen. Der historische Kontext, der von Nieke angesprochenen Anwerbung von Arbeitsimmigranten, ist der, dass es am Ende des zweiten Weltkrieges zu einem völligen Zusammenbruch von Wirtschaft und Industrie gekommen ist. Dies konnte aber innerhalb von einem Jahrzehnt überwunden werden. In den folgenden Jahren ergab sich sogar ein starker wirtschaftlicher Aufschwung, der zu einem höheren Bedarf an Arbeitskräften führte. Dieser konnte nicht durch die Zuwanderung aus den Ostgebieten, welche unter polnischer Verwaltung standen, gedeckt werden. Da absehbar war, dass die inländischen Arbeitskraftreserven den Bedarf nicht decken konnten, war es eine logische Konsequenz, im Ausland nach diesen zu suchen. Der damalige deutsche Wirtschaftsminister Ludwig Erhard hatte sich bereits im November 1954 öffentlich für eine Anwerbung aus Italien ausgesprochen, was letztendlich mit dem deutsch-italienischen Anwerbeabkommen von 1955 zwischen der Regierung der Bundesrepublik und Italien verwirklicht wurde. Dieses Abkommen bildete den Auftakt zu einer Reihe von anderen Abkommen, die die Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften regeln sollten (vgl. Hubrich 2009, S. 48f.). Somit kam es von 1955 bis 1973 zu der Anwerbung von ausländischen Arbeitern. Die Abkommen, welche die Anwerbung regelten, wurden mit folgenden Ländern geschlossen:
1. „1955 mit Italien
2. 1960 mit Spanien und Griechenland
3. 1961 mit der Türkei
4. 1964 mit Portugal
5. 1965 mit Tunesien und Marokko
6. 1968 mit Jugoslawien“ (Auenheimer 2007, S. 18)
Niekes Darstellung, dass die Geschichte der Interkulturellen Pädagogik erst mit der Anwerbung von Arbeitsimmigranten beginnt, ist umstritten, denn andere Autoren lassen die Geschichte der Interkulturellen Pädagogik früher beginnen. Beispielsweise stellt Helga Marburger Niekes Ausführungen eine „überschriftslose Vorphase“ voran. In dieser Phase soll es bereits Regelungen und Erlasse zum Unterricht ausländischer Kinder und Jugendlicher gegeben haben, aber das Thema der Ausländerbeschulung stellt noch keine zentrale Frage dar, denn ihre Anzahl war relativ gering (vgl. Marburger 1991, S. 23). Bei Betrachtung der Publikationen, in denen die Geschichte der Interkulturellen Pädagogik in chronologischer Weise nachgezeichnet wird, fällt auf, dass es auch keinen einheitlichen Konsens in Bezug auf die Länge der Phasen gibt (vgl. Krüger-Potratz 2005, S. 47). Bezüglich Niekes Formulierung, dass die Schule einer neuartigen Verpflichtung ausgesetzt gewesen sein soll, findet man auch kritische Anmerkungen. Diesbezüglich sind die Ausführungen von Krüger-Potratz zu nennen. Ihr zur Folge ist Niekes Darstellung der Geschichte der Interkulturellen Pädagogik nur eine Verkürzung der Entwicklung. Problematisch ist aus Sicht von Frau Krüger-Potratz, dass Nieke einen Nullpunkt setzt, wenn er von einer neuartigen Aufgabe spricht, der sich die Schule bis dahin nicht stellen musste. Dies ist insofern nicht korrekt, da die Leitfrage der Ausländerpädagogik, unter welchen Bedingungen Kinder ausländischer Staatsangehöriger oder mit einer anderen Sprache eine öffentliche Schule besuchen sollten, bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zurückverfolgt werden kann. Daher ist der von Nieke angesprochene Zeitabschnitt nicht der absolute Nullpunkt der Zeitzählung für die Interkulturelle Pädagogik, sondern vielmehr eine Phase, die auch eine Vorgeschichte hat. Wie bereits erwähnt, gibt es unterschiedliche Darstellungen der Geschichte der Interkulturellen Pädagogik und einer der Kritikpunkte am Phasenmodel von Nieke ist der, dass er diese zu spät beginnen lässt. Krüger Protratz hat mit Recht darauf hingewiesen, dass in Bezug auf das Unterrichten von Schülern mit Sprachbarrieren nicht gänzlich von einer absolut neuartigen Situation gesprochen werden kann. Sie führt an, dass es bereits vor den 60’er Jahren innerstaatliche Regelungen für sprachliche Minderheiten gab. Das Neue im eigentlichen Sinn war, dass in der zweiten Hälfte der 60’er Jahre passfremde Kinder in allen Bundesländern in die Schulpflicht einbezogen wurden. (vgl. ebd., S. 55f.). Aber generell sind Modelle, welche die Entwicklungsgeschichte in einer Chronologie darstellen problematisch, denn eine chronologische Darstellung suggeriert, dass sich diese spezifische Form der Pädagogik in Phasen entwickelt hat. Dies stellt insofern ein Problem dar, da der Eindruck erweckt wird, dass bestimmte Denk-, Handlungs- und Entscheidungsmuster in einer Phase vorhanden gewesen sind und diese zu Beginn der nächsten Phase überwunden wurden (vgl. ebd., S. 43). Eine historische Rekonstruktion der Geschichte der Interkulturellen Pädagogik ist nur schwierig, bis gar nicht in Phasen aufzuteilen, denn die Bereiche Bildungspolitik, wissenschaftliche Diskussion und pädagogische Praxis, an denen die Phasen festgemacht werden, folgen unterschiedlichen Rhythmen. Dies ist darin begründet, dass beispielsweise die Umsetzung einer politischen Entscheidung nach ihrer Bekanntmachung oftmals einen größeren Zeitrahmen erfordert. Bezogen auf den wissenschaftlichen Diskurs kann es zu einer zeitlichen Überschneidung von verschiedenen Ansätzen kommen, d.h. innerhalb einer Zeitperiode können mehrere, sich gegenseitig auch ausschließende Paradigmen parallel zueinander existieren. Somit kann es nicht immer ganz genaue Phasenaufteilungen geben (vgl. ebd., S. 52f.). Wie bereits erwähnt, lässt Nieke die Geschichte der Interkulturellen Pädagogik erst mit der Anwerbung von ausländischen Arbeitern beginnen. Krüger-Potratz sieht hier eine Verkürzung der Geschichte der Interkulturellen Pädagogik, d.h. letztendlich muss bei einer Darlegung der Geschichte der Interkulturellen Pädagogik weitaus früher begonnen werden. Beispielsweise könnte man bei der historischen Entwicklung der zentralen Begriffe der Interkulturellen Pädagogik ansetzen. Im Folgenden wird dies exemplarisch am Begriff des Fremden ausgeführt.
3.2 Das Fremde
Man kann die Geschichte der Interkulturellen Pädagogik mit der Entwicklung des Begriffs des Fremden beginnen lassen, denn wie bereits erwähnt wurde, ist es die Aufgabe der Interkulturellen Pädagogik, eine Hilfestellung für ein besseres Zusammenleben in multikulturellen Gesellschaften zu geben und dies soll durch die Überwindung dessen erreicht werden, was einem fremd am anderen erscheint. Dementsprechend geht auch Georg Auernheimer in „Einführung in die Interkulturelle Pädagogik“ (2007) vor. Seine Ausführungen zur Entwicklung des Begriffs des Fremden leitet er mit Verweis auf die Tatsache ein, dass komplexe Gesellschaften immer schon multikulturell gewesen sind. Hierin stimmt er mit Hohmann (1987) überein, der ebenfalls von einer kulturellen Heterogenität moderner Gesellschaften ausgeht. Aber zur direkten Konfrontation der Kulturen untereinander kam es nicht, denn die ethnischen Milieus waren, wie die Stände klar voneinander getrennt. Somit ergab sich weder Konfliktstoff, noch kulturelle Differenz. Mit Bezug auf Bauman verweist Auenheimer drauf, dass es den Begriff des Fremden nicht gab. In der Vormoderne gab es nur Freund oder Feind und den wenigen Fremden konnte ihr sozialer Ort zugewiesen werden.
„Wenn man von den Ketzerbewegungen des Mittelalters, die von Papst und Kaiser mit allen Mitteln bekämpft und fast alle ausgelöscht wurden, und von der Vertreibung der Mauren und Juden aus der iberischen Halbinsel absieht, dann ist mit der Reformation zum ersten Mal die Konfession zu einem Unterscheidungsmerkmal und Konfliktstoff geworden.“ (Auenheimer 2007, S. 10)
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