Vereinseigene Fitness-Studios am Beispiel des OSC-Bremerhaven - Ein Beitrag über Mitglieder, Motive und ihr Nutzen in einer modernen Bewegungskultur


Epreuve d'examen, 2001

78 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

0. Vorwort

1. Die Untersuchung und ihre Bedeutung

2. Einführung in die Geschichte des Sports und der Vereine
2.1 Die Gesellschaft und der Sport von den Anfängen bis zur Gegenwart
2.1.1 Die Zeit der Aufklärung
2.1.2 Idealismus und nationale Bewegung
2.1.3 Das Turnen und das politische Spannungsfeld des 19. Jahrhunderts
2.1.4 Gründung und Entwicklung des Sports im 18. und 19. Jahrhunderts
2.1.5 Jahrhundertwechsel vom 19. zum 20. Jahrhundert
2.1.6 Die Zeit zwischen dem 1. und 2. Weltkrieg
2.1.7 Gesellschaft und Sport nach 1945
2.2 Die Entwicklung der Sportorganistation und seine derzeitige Bedeutung
2.2.1 Die Anfänge
2.2.2 Die Bildung und Gründung der Turnvereine
2.2.3 Weiterentwicklung und Fortschritte der Vereine
2.2.3.1 Krise des Turnens und der „moderne Körperkult“
2.2.3.2 Entstehung der ersten Sportvereine
2.2.3.3 Die Anfänge des „Betriebssports“
2.2.3.4 Vereinsstruktur in der NS-Zeit
2.2.3.5 Neuordnung nach Ende des 2. Weltkriegs
2.3 Fitness-Studio-Entwicklung – die „Wiederkehr des Körpers“

3. Grundlagen zum Thema Sport, Verein und Fitness der Gegenwart
3.1 Definition Sport
3.2 Definition Fitness
3.3 Definition Verein

4. Informationen zur Untersuchung
4.1 Probleme und Aufgabenstellung
4.1.1 Der Untersuchungsgegenstand
4.1.2 Die Fragestellung
4.2 Das Fitnessstudio
4.3 Beschreibung des Fragebogens
4.4 Methode/Durchführung der Befragung und Gewinnung einer Stichprobe
4.5 Verarbeitung des Fragebogen und Auswertung der Daten

5. Darstellung der Untersuchung im allgemein
5.1 Demographisches Profil der Befragten
5.1.1 Lebensgewohnheiten
5.2 Vereinswesen
5.3 Sportliche Aktivitäten
5.3.1 Trainingseffekte und Trainingserfahrungen
5.4 Gesundheit und Ernährung
5.5 Motive, Überlegungen und Ansichten zur Studiomitgliedschaft und des Beitrittes
5.6 Studionutzung, Gerätebeurteilung und Angebotspalette

6. Analyse der Ergebnisse
6.1 Zusammenfassung
6.1.1 Demographisches Profil
6.1.2 Vereinswesen
6.1.3 Sportliche Aktivitäten
6.1.4 Gesundheit und Ernährung
6.1.5 Motive, Überlegungen und Ansichten zur Studiomitgliedschaft und des Beitrittes
6.1.6 Studionutzung, Gerätebeurteilung und Angebotspalette
6.2 Vergleich
6.2.1 Erläuterung der signifikanten Unterschiede
6.3 Ausblick

7. Literaturliste

8. Anhang

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildung 1: Geschlechtsstruktur

Abbildung 2: Altersstruktur

Abbildung 3: Studioentfernung

Abbildung 4: Wohnort

Abbildung 5: Arbeitsverhältnis

Abbildung 6: Sporthäufigkeit vor dem Studiobeitritt

Abbildung 7: BMI-Index

Abbildung 8: Eigeninitiative zur Gesundheitsverbesserung

Abbildung 9: Training und Gesundheit

Abbildung 10: Mitgliedsdauer

Abbildung 11: Erfolg bei Motiven und Zielen

Abbildung 12: Preis-Leistungsverhältnis

Abbildung 13: Trainingsdauer

Tabellen:

Tabelle 1: Stellenwert verschiedener Ansichten und Aktivitäten

Tabelle 2: Weitere Mitgliedschaft in einem Sportverein

Tabelle 3: Derzeitiges Mitglied im OSC-Bremerhaven

Tabelle 4: Frühere Mitgliedschaft in einem Sportverein

Tabelle 5: Trainingserfolg

Tabelle 6: Trainingserfolg 2

Tabelle 7: Zusätzliche Trainingserfahrungen

Tabelle 8: Körpermaße

Tabelle 9: Motive zur Mitgliedschaft

Tabelle 10: Gründe auftretender Mitgliederfluktuationen

Tabelle 11: Nutzung des Sportangebotes

Tabelle 12: Trainingsbereiche und Trainingsgeräte

Tabelle 13: Trainingsgeräte und Serviceleistung

0. Vorwort

Eine Theorie des Sportvereins und des Sportverbandes existiert bis heute ebenso wenig wie eine umfassende theoretische Analyse der Sportpolitik. Letztere nimmt in der Diskussion zur Gegenstandsbestimmung der Sportwissenschaft bis heute sogar so gut wie keinen Platz ein[1]. Entsprechend selten findet sportpolitische Forschung und Lehre an deutschen Universitäten bis heute statt. Die politische Unsicherheit jener Personen, die in der Bundesrepublik die Institution Sportwissenschaft ausmachen, scheint nachhaltige Auswirkungen zu haben. Der weitgehend affirmative Charakter der sportwissenschaftlichen Forschung in den letzten 30 Jahren könnte u.a. eine Folge davon sein. So muß sehr viel mehr überraschen, daß von Sportwissenschaftlern lange Zeit der Sportverein und der Sportverband nur am Rande als wichtiges sportwissenschaftliches Forschungsthema behandelt wurde. Das Phänomen der Sportvereine – immerhin gibt es mehr als 60.000 davon – und der neu entstandenen Fitness-Studios – die Anzahl hat die 6000[2] bereits überschritten – ist ebenso wenig übersehbar wie die sich dort stellenden Fragen und Probleme. Wenn Vereine, Verbände oder Sportcenter zusätzlich ihren eigentlichen Aufgaben oder gar alternativ zu den traditionellen Vereinszwecken andere Ziele und Aufgaben verfolgen, wenn Mitgliederinteressen und Vereinszweck immer weniger identische sind, wenn neben ehrenamtlicher Führung und Mitarbeit neben- oder gar hauptamtliches Management und fachliche Betreuung treten, dann scheint das Nichtwissen und das Desinteresse an politischen, organisatorischen, ökonomischen und ethischen Fragen dieses Sports problematisch zu sein. In gewisser Hinsicht könnte sogar auf diese Weise eine besondere Gefahr für den organisierten Sport im Verein und im Center entstehen[3].Seit einigen Jahren ist ein Wandel in der Ziel- und Aufgabenstellung des organisierten Sports unübersehbar. Dieser kann von den Mitgliedern über einen Vergleich ihres Vereins oder Center im Abstand von mehreren Jahren selbst beobachtet werden. Der organisierte Sport hat teilweise gewollt, teilweise ungewollt, immer mehr öffentliche, vor allem auch sozial-politische Aufgaben übernommen[4]. Im Leistungssport wird von ihm staatliche Repräsentation und Außendarstellung abverlangt, wobei der Staat, vertreten durch die Regierungen und seinen parlamentarischen Vertretern dieses Interesse immer vehementer artikuliert und bei entsprechender Enttäuschung im Spitzensport mit finanziellen Drohgesten einklagt[5]. Als Anbieter des „Sports für alle“ soll der Sportverein oder das Fitness-Center immer umfassender sowohl präventiv als auch rehabilitativ der Volksgesundheit unserer Gesellschaft dienen. Darüber hinaus sollen Sportvereine und Verbände wichtige sozialpolitische Funktionen erfüllen, so z.B. die der Integration einer heterogenen Bevölkerung. Zur Integration von Ausländern sollen sie dabei ebenso einen Beitrag leisten, wie zur Reintegration von Straffälligen, Drogensüchtigen und Obdachlosen[6]. Freizeitsport wie Spitzensport sollen darüber hinaus unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nutzbar sein. So wird dem von Soziologen, Philosophen, Pädagogen und vor allem Politikern dem Sport sozio-emotionale Funktion, Sozialisationsfunktion, sozial-integrative Funktion, politische Funktion, Funktion sozialer Mobilität und biologische Funktion zugeschrieben. Der in verschiedensten Organisationsformen zu findende Sport, ist auf diese Weise zu einem höchst komplexen Kommunikationsmedium unserer Gesellschaft angewachsen. Über eine Anhäufung von Funktionszuweisungen ist ein Sportsystem entstanden, in dem nur noch mit Mühe ein Zentrum zu erkennen ist. Heterogene Funktionen, die teilweise bereits sich im Gegensatz zu einander befinden, heterogene Führungsinteressen und nicht zuletzt die höchst verschiedenartigen Mitgliederinteressen machen deutlich, daß ein solches System, das auch an seinen Rändern nach außen immer diffuser wird, für alle Personen, die in diesem System Führungsaufgaben übernommen haben, erhebliche Steuerungsschwierigkeiten aufweisen muß. Befindet sich der organisierte Sport in einer derartigen Situation, so scheint ein vertieftes Wissen über die Entstehung und Entwicklung des Sports, über die aktuelle Verfaßtheit des organisierten Sports, über die spezifischen Probleme, welche heute im organisierten Sport anzutreffen sind, über Gesellschaftsstrukturen in den Sportinstitutionen und über Lösungsmöglichkeiten zu diesen Problemen eine geeignete Voraussetzung zur Beseitigung der angenommenen Steuerungsschwierigkeiten zu sein.

Die folgende Arbeit soll dazu einen Beitrag leisten. Sie gliedert sich in einen theoretischen und praktischen Teil. Der theoretische Teil soll den Sport als Teilerscheinung gesamtgesellschaftlicher Prozesse zeigen. Weiter werden hier wichtige Begriffsdefinitionen vorgenommen um die einzelnen Abhängigkeiten zu verdeutlichen. Im Anschluss an den Theorieteil wird eine praktische Untersuchung und deren Auswertung angeführt. Hier soll die hochkomplexe Gesellschaftsstruktur eines vereinseigenen Fitness-Studios dargestellt und anschließend mit einem kommerziell ausgerichteten Studio verglichen werden.

1. Die Untersuchung und ihre Bedeutung

Sport treiben ist für viele Menschen ein Weg seinen Körper gesund und leistungsfähig zu halten. Gesundheit und Leistungsfähigkeit sind in unserer heutigen Gesellschaft Begriffe, die für den Menschen an erster Stelle stehen. Diese Tatsache und die ständig steigende „Körperkultur“[7] haben auch den kommerziellen Fitness-Studios in den letzten Jahren einen immensen Boom verzeichnen lassen. Sie werben mit dem Erreichen eines gesunden, leistungsfähigen und attraktiven Körpers und mit dem Vorhanden sein von fachlich gut ausgebildeten Trainern, Physiotherapeuten, Übungsleitern etc.. Sie sollen den Trainierenden anweisen und ihm möglichst schnell die Erreichung seines Ziels ermöglichen. Hierzu stehen dem Trainer Wissen und Erfahrung über sportliche Belastungen, Trainingstheorien, Anatomie des Menschen etc. zur Verfügung.

Auf der anderen Seite stehen die traditionellen Vereine. Die Institution Sportverein – und mit ihr das Ehrenamt – ist im Gesellschaftsgefüge der Bundesrepublik Deutschland ein wichtiger sozialer und gesellschaftspolitischer Faktor. Vereine ermöglichen ihren Mitgliedern die Gestaltung ihres Sports in eigener Verantwortung. Der Verein ist unabhängig von Dritten. Seine Entscheidungsstruktur ist demokratisch. Seine wichtigste Ressource ist die Ehrenamtlichkeit, d.h. freiwillige und unentgeltlich erbrachte Mitarbeit der Mitglieder. Gerade für junge Menschen ist der Verein eine wichtige Instanz zur Vermittlung von Werten und zum Erlernen sozialer Kompetenzen. Laut der FISAS (Finanz- und Strukturanalyse)[8] waren 1996 26 Millionen Bundesbürger in den 86.000 Turn- und Sportvereinen des Deutschen Sportbundes aktiv, davon 2,15 Millionen auch ehrenamtlich. Die Mitgliederzahl stieg allein 1996 um 5%. Auch die vergangenen Jahre kennzeichnete ein Aufwärtstrend. Im Jahr 1999 waren knapp 27 Millionen Mitglieder in über 87.000 Vereinen unter dem Dach des Deutschen Sportbundes vereint. Damit ist, statistisch gesehen, jeder dritte Bundesbürger Mitglied in einem Sportverein. Eine beeindruckende Zahl – von“ Vereinsmüdigkeit“ also keine Spur. Ein wichtiger Grund hierfür ist der in den letzten Jahren sich abzeichnende Wandel. So eröffnen immer mehr Vereine eigene Studios, die dem Verein angegliedert sind; sogenannte „Vereinseigene Studios“. Die Ergebnisse von Untersuchungen zum Thema „Sportverein“ finden bisher jedoch nur geringen Widerhall in der öffentlichen Meinung.

Gerade die Medien widmen den Trend- und Funsportarten sowie kommerziell ausgerichteten Sportanbietern mehr Aufmerksamkeit als den klassischen Verein und den in ihm angebotenen Sportmöglichkeiten, die von viel mehr Menschen tagtäglich betrieben und von vielen ehrenamtlichen Helfern begleitet werden. Hier setzt die Untersuchung an:

Durch das vermehrte Auftreten kommerzieller Sportstätten findet eine Art des Gesellschaftssplittings statt. Diese Untersuchung soll eine Stichprobenanalyse über die Gesellschaftsstruktur und die Trainings- u. Motivationsgründe von Trainierenden im vereinseigenen Studio des OSC-Brhv. liefern. Die dazu nötigen Daten werden mittels eines Fragebogens erlangt und mit den Statistikprogramm SPSS ausgewertet.

2. Einführung in die Geschichte des Sports und der Vereine

Vor 200 Jahren gab es weder Industrie noch Weltwirtschaft, weder tariflich geregelte Arbeitszeit noch einen Anspruch auf Freizeit und Erholungsurlaub, weder Massenverkehrsmittel noch Massenmedien, weder Alltagskomfort noch Alltagshygiene nach dem heute selbstverständlichen Standard, weder Technik noch Bürokratie in der heutigen gewohnten Perfektion, weder riesige städtische Ballungszentren noch ein straff organisiertes öffentliches Bildungssystem, weder Nationalstaaten noch politische Parteien. Und es gab noch keinen Sport im herkömmlichen Sinne. Doch die Grundlagen, auf denen unsere moderne Welt erbaut wurde, waren schon gelegt. Die Denker der Aufklärung hatten eine Gesellschaftsordnung entworfen, in der Freiheit und Gleichheit aller Bürger verwirklicht werden sollten. James Watt hatte verschiedene Typen leistungsfähiger Dampfmaschinen entwickelt, die der Güterproduktion und dem Transport von Waren und Personen ungeahnte Perspektiven eröffneten. Der Sieg der Vereinigten Staaten von Amerika gegen die englische Kolonialmacht hatte die Voraussetzungen für die Entwicklung eines freien wirtschaftlichen Unternehmertums geschaffen, das heute der ganzen Welt den American Way of Life aufdrängt. In der Französischen Revolution von 1789 und der sich etwa gleichzeitig in England entfaltenden industriellen Revolution kamen die modernen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Tendenzen zum Durchbruch, die seither auf viele Teile der Erde übergegriffen haben, wenn sie aufgrund unterschiedlicher vorgefundener Bedingungen (nationale Traditionen, politische Machtverhältnisse, gesellschaftliche Strukturen und Mentalitäten, wirtschaftlicher Entwicklungsstand, Rohstoffreserven, Klima u.a.) auch heute noch nicht zur völligen Angleichung der „unterentwickelten“ Gebiete an die hochindustrialisiert Regionen geführt haben.

Im Gefolge dieses Modernisierungsprozesses hat sich auch der Sport über alle Kontinente verbreitet und im 20. Jahrhundert zunehmend gesellschaftliche und politische Bedeutung gewonnen[9].

Sport, Turnen und Vereinsgründungen sind im Dienste nationaler Bestrebungen entstanden und gewachsen. Diese stellten sich von Anfang an als eine Erscheinung dar, die in vielfältiger Weise mit dem politischen und kulturellen Geschehen im weitesten Sinne verbunden war und ist. Die Entwicklung und deren Gründe kann nur verstehen, wer diese drei Bereiche vor dem Hintergrund der soziokulturellen Verhältnisse und den Ideen der Zeit sieht

Im folgenden historischen Rückblick werden alle Formen mehr oder weniger vorgeprägter (d.h. durch das gesellschaftliche Umfeld beeinflußter) menschlicher Bewegungen und Haltungen, deren Ausführung körperliche Kraft, Ausdauer, Gewandtheit oder/und Schnelligkeit beanspruchen, aber zugleich auch fördern (beabsichtigter Übungseffekt; daher „Leibesübungen“) berücksichtigt. Es wird also ein sehr weit gefaßter „Sport“begriff in der vorliegenden Arbeit angewandt, um die entscheidenden Entwicklungstendenzen auch miterfassen zu können.

2.1 Die Gesellschaft und der Sport von den Anfängen bis zur Gegenwart

2.1.1 Die Zeit der Aufklärung

Das Jahrhundert vor der Französischen Revolution wird als Zeitalter der Aufklärung bezeichnet, in der das zentrale Anliegen, die Erziehung des Menschen zu einem vernünftigen Wesen (Rationalismus) ist. So wurden u.a. die folgenden wichtigen gesellschaftlichen Veränderungen ausgelöst:

- Mit den Ideen der Volkssouveränität und Gewaltenteilung entsteht das moderne Staatsdenken.
- Gesellschaftliche Nivellierung und Frauenemanzipation werden eingeleitet.
- Die Wirtschaft wird liberalisiert. Leistungsdenken und Wettbewerbsverhalten setzen sich durch.
- Das Bürgertum übernimmt schrittweise die Führung.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird die Reformbewegung der Philanthropen (Menschenfreunde)[10] zur wichtigsten Erscheinung der Aufklärungspädagogik.

Ihre Breitenwirkung beruht auf zahlreiche Schriften (Basedow, Salzmann, Campe) sowie auf der Einrichtung von Musterschulen (Philanthropinen)[11]. Die wichtigsten Prinzipen dieser philantropischen Erziehung sind Kindergemäßheit, Selbsttätigkeit, Erziehung zur Ordnung, Vermittlung lebenspraktischer Fertigkeiten und nützliches Wesen.

Die Pädagogik der Philanthropen orientiert sich an der Lehre des Sensualismus (Alle Erkenntnisse werden über die Sinne erworben, Voraussetzung ist die Funktionsfähigkeit der körperlichen Mechanismen)[12]. Damit bekommt die Leibeserziehung eine Schlüsselfunktion (Graphik 1 Anhang), so daß die Philanthropen ein qualitativ und quantitativ anspruchsvolles System der körperlichen Bildung (Gymnastik) entwickeln[13]. Somit leiten die Philanthropen die moderne Leibeserziehung ein (GutsMuths), die durch Intensität, Methodisierung, Nützlichkeitsprinzip, Leistungssteigerung und Leistungskontrolle (Uhr, Waage, Metermaß), Bewegungszergliederung sowie Ästhetisierung strukturell gekennzeichnet ist[14]. Der Übungskatalog beinhaltet Formen der aristokratischen Standeserziehung, Elemente der griechischen Gymnastik und Formen aus dem bürgerlichen Alltag (z. B. Tragen, Heben, Ziehen, Hangeln, Klettern, Springen, Schwimmen). Diese moderne Leibeserziehung findet jedoch keine Anwendung bei dem weiblichen Geschlecht. Hier begnügen sich die Philanthropen mit bescheidensten Anforderungen.

Die Philanthropen gelten als die Begründer einer planmäßigen schulischen Leibeserziehung. Sie haben alle großen Leibeserzieher des 19. Jahrhunderts maßgeblich beeinflußt. Die Hilfsfunktion der Gymnastik im Gesamtsystem der philanthropischen Pädagogik ist jedoch nicht zu übersehen.

2.1.2 Idealismus und nationale Bewegung

Im ausgehenden 18. Jahrhundert entsteht nun ein neues, idealistisches Menschenbild, welches seine Wurzeln (Graphik 2 Anhang)

- im Protest gegen die Herrschaft der Vernunft (Rousseau),
- in der Rezeption antiken Geistes (Neuhumanismus) u.
- im Volksdenken (Herder) hat.

Die nun auch veränderte geistige Situation bewirkt eine Entwicklung zu einem neuen Bildungsideal das zwei primäre Ziele aufweist:

1. Die harmonische Entfaltung des ganzen Menschen. Dieses schließt die Entfaltung der körperlichen Anlagen mit ein.
2. Die Einbindung des Einzelnen in die Gesamtheit seines Volkes.

Diese Bildungsziele hat J. H. Pestalozzi in seinen Schulheim verwirklicht. In diesem Konzept spielt die Gymnastik eine wichtige Rolle und steht gleichwertig neben der verstandesmäßigen und sittlich-sozialen Erziehung[15]. So findet das Erziehungsdenken Pestalozzis eine rasche Verbreitung und wirkt mit großem Einfluß auf die preußische Bildungsreform.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts und unter dem Einfluß der französischen Revolution (1789) entwickelt sich der Volkstumsgedanke zum politischen Nationalismus. In diesem Zusammenhang kommt es als Reaktion auf die franz. Fremdherrschaft in Deutschland (primär Preußen) zu einer Bildungsreform, deren Ziel es ist, die Rettung der deutschen Nation durch Erziehung der Bürger zu einem allseitig gebildeten, der Nation verbundenen Menschen[16].

Die führenden Persönlichkeiten der Reformbewegung sind G. Fichte und W. v. Humboldt. Aus dieser Reformbewegung gründet auch F. L. Jahn 1811 sein Turnen und verbindet pädagogische Ziele mit nationalpolitischen Zielen[17]. Dieses Turnen orientiert sich formal an den Philanthropen und an Pestalozzi. Es ist vielseitig und natürlich und umfaßt u. a. leichtathletische Übungen, Turnen an Geräten, Schwimmen, Fechten, Spiele und Wandern. In der Organisation geht Jahn jedoch neue Wege. So ist das Turnen öffentlich und in „Turngesellschaften“ straff organisiert; die Uniforme Turnkleidung und die Riegeneinteilung stärken den Zusammenhalt und der Übungsbetrieb wird von einem patriotischen Rahmen geprägt. Jahn befürworte zudem im Grundsatz auch Turnen für die weibliche Jugend. Dass dieses in seinem Konzept dennoch unberücksichtigt bleibt, erklärt sich aus der engen Bindung des Turnens an die Wehrertüchtigung und aus dem Rollendenken dieser Zeit.

2.1.3 Das Turnen und das politischen Spannungsfeld des 19. Jahrhunderts

Nach den Befreiungskriegen findet auf dem Wiener Kongreß (1814/1815) eine Neuordnung der europäischen Staatenwelt statt. Die Enttäuschung in national- und liberalgesinnter Kreise ist groß und so entwickelt sich daraus eine radikale Opposition (1817), derer sich die Turnerschaft bald anschließt. Zwei Jahre später, 1819, greifen die Regierungen mit den Karlsbader Beschlüssen zu Gegenmaßnahmen. In diesem Zusammenhang kommt es 1820 in fast allen deutschen Staaten zum Turnverbot[18]. (Graphik 3 Anhang). Durch dieses Verbot wird die Entwicklung einer volkstümlichen Form der Leibesübungen unterbrochen und der Aufbau einer schulischen Leibesübung stagniert. Als 1842 die Turnsperre aufgehoben wird, beginnt, ausgehend von Preußen, eine Neuordnung des Turnwesens.

Die Leibeserziehung wird endgültig in die Schule integriert und das öffentliche Turnen entwickelt sich zum Vereinsturnen. Auch in die revolutionären Vorgänge von 1848/1849 wird die Turnbewegung verwickelt und nach dem Scheitern der Revolution kommt es in den 50er Jahren zu restriktiven Maßnahmen gegen die Turnvereine. Während dieser Zeit verbündet sich zunehmend die staatliche Macht mit dem liberalen Bürgertum, um eine Stabilisierung ihres Systems zu erlangen. Die Ergebnisse dieser Kooperation sind die Verwirklichung der nationalen Vorstellungen des Bürgertums (nationales Kaiserreich 1871) und die verstärkte Liberalisierung des Wirtschaftswesens (volle Entfaltung der Industrialisierung). Der nun folgende Aufstieg des Bürgertums ab den 60er Jahren bestimmt auch die Entwicklung des Turnwesens[19]: (Graphik 4 Anhang)

- An den Schulen wird das Turnen als Unterrichtsfach (Spieß) weiter ausgebaut; ab 1860 auch schrittweise an Volks- und Mädchenschulen.
- Die Turnvereine nehmen einen großen Aufschwung (1868 Gründung der DT) wahr. Sie verstehen sich als Zentren völkisch-nationaler-Gesinnung und stellen sich in den Dienst der Wehrhaftmachung.
- Damit identifiziert sich die DT voll mit der bestehenden Herrschaftsordnung und ihren politischen Zielen (Imperialismus, Sozialistenverfolgung).

In diesem Zusammenhang kommt es zur Abspaltung der Arbeiterturner und es entstehen eigene Vereine und ein eigener Dachverband (ATB 1893)[20].

Zudem erschließt die seit 1850 verstärkt einsetzende Frauenemanzipation dem weiblichen Geschlecht endgültig den Zugang zu den Leibesübungen (Schulturnen, Vereinsturnen)[21].

2.1.4 Gründung und Entwicklung des Sports im 18. und 19. Jahrhundert

Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelt sich in England eine auf dem Kontinent bislang unbekannte Form der Leibesübungen: der Sport. Seine wichtigsten Merkmale sind Leistungsdisziplin, Konkurrenzprinzip und Rekordprinzip[22]. Wie die Industrialisierung, so hat auch der Sport seine geistigen Wurzeln im Rationalismus und Liberalismus des Aufklärungsdenkens (Graphik 5 Anhang). Daraus erklären sich sowohl die zeitliche als auch die geographische Parallelität von Industrialisierung und Sportentwicklung als auch die Identität der Strukturen.

Für die Entstehung des Sports sind in England besondere Voraussetzungen gegeben:

- England ist das Mutterland der Aufklärung. Diese hat sich dort besonders intensiv entwickelt.
- Der Puritanismus hat den Leistungsgedanken gefördert.
- Das Wettwesen hatte bereits in den vorausgegangenen Jahrhunderten die Ausbildung von Wettkampfstrukturen ausgelöst.
- Die parlamentarische Routine erleichtert die Ausbildung einer sportiven Regelementierung.
- Clubs und Public Schools erwiesen sich als wichtige institutionelle Hilfen.

Die Ausbildung eines charakteristischen Erscheinungsbildes des Sports beginnt um die Wende vom 18. Zum 19. Jahrhundert (Meisterschaften, Regelwerk, Institutionalisierung, Öffentlichkeitsinteresse, Medieneinsatz).

Schließlich greift ab Mitte des 19. Jahrhunderts die „Versportlichung“ auf alle Erscheinungsformen der Leibesübungen über und es entsteht der sportive Alpinismus. Auch die neuen technischen Erfindungen (Fahrrad, Motorrad, Automobil) werden in die „Versportlichung“ miteinbezogen. Auf dem Kontinent beginnt sich die Sportbewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchzusetzen. Hierbei werden neue, oder nur in Vergessenheit geratene Sportarten eingeführt (Fußball, Boxen, Rudern, Tennis, Hockey, Golf).

Im Bezug auf Deutschland findet der entscheidende Durchbruch in den 80er und 90er Jahren statt. Zu dieser Zeit entstehen Vereine, Verbände, Meisterschaften, deren Vorbild die englischen Sportkulturen sind[23]. Auch die Frauen werden – aufgrund der fortschreitenden Emanzipation – von Anfang an in die Sportbewegung mit einbezogen. Die beliebtesten Frauensportarten sind Rudern, Tennis, Eislauf, Schwimmen und Fechten. Einzig und allein die Turner leisten der Sportbewegung Widerstand und qualifizieren sie als „undeutsch“ ab[24]. Dennoch kommt es in einigen Turnvereinen zeitweise zur Einrichtung von Sportabteilungen. Die „Reinliche Scheidung“ erfolgt erst 1922.

2.1.5 Der Jahrhundertwechsel vom 19. Zum 20. Jahrhundert

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hat sich die industrielle Revolution in allen europäischen Ländern durchgesetzt. Diese hat auch die geistige Situation verändert, deren Kennzeichen Rationalismus, Intellektualismus, Zweckmäßigkeits- und Erfolgsdenken, Vermassung, Normierung und Naturentfremdung ist. Aus der zur Jahrhundertwende aufkommenden Kritik der Werteordnung der Industriegesellschaft entwickelt sich nun ein neues Lebensgefühl, dass durch Irrationalismus, Gefühlsbetonung, Spontanität, Individualismus und Naturbegeisterung geprägt wird. (Graphik 6 Anhang)

Der philosophische Ausdruck dieses neuen Lebensgefühls ist die Lebensphilosophie[25]. Auch das gesellschaftliche Leben erfährt eine Veränderung durch das neue Lebensgefühl, zudem entsteht ein neues Leibverständnis, eine Umorientierung der Jugendbewegung und eine neue Reformpädagogik, welche alle in einem Zusammenhang mit der Sportgeschichte stehen. So wird auch eine Neuorientierung der Leibeskultur ausgelöst, dessen grundlegende Strukturänderungen sind:

- Im Rahmen der Frauenemanzipation weiten sich das Frauenturnen und der Frauensport immer weiter aus.
- Die Reformpädagogik bewirkt eine Neugestaltung der schulischen Leibeserziehung. Das Spießsche Schulturnen wird schrittweise zugunsten eines natürlichen Turnens abgebaut und der Fächerkatalog erweitert (Spiele, Schwimmen, Leichtathletik, Gymnastik, Wandern).
- Aus dem Ganzheitsdenken der Lebensphilosophie entwickelt sich – von den USA ausgehend – die Gymnastikbewegung (Delsarte). Diese zeigt sich in vier Richtungen: Ausdrucksgymnastik, funktionelle Gymnastik, rhythmische Gymnastik, tänzerische Gymnastik.
- Naturenthusiasmus und Erholungsbedürfnis bewirken einen großen Aufschwung der naturorientierten Sportarten. Somit wird die Entstehung unseres modernen (nicht wettkampfgebundenen) Freizeitsports eingeleitet. In diesem Zusammenhang entwickeln sich auch Bergsteigen und Skilaufen zu Formen des Breitensports.

Zu dieser Zeit entsteht auch der moderne Olympismus (Pierre de Coubertin). Er beruht auf den Grundlagen[26]:

- das irrationale Leibverständnis der Lebensphilosophie.
- die weltweite Ausbreitung der englischen Sportauffassung.
- die archäologischen Ausgrabungen in Olympia
- die politischen Gegebenheiten (nationales Prestige und Friedenssehnsucht).

1894 wird bereits das Internationale Olympische Komitee (IOC) gegründet. So finden schließlich seit 1896 (Athen) die Olympischen Spiele in einen vierjährigen Turnus regelmäßig statt[27].

2.1.6 Die Zeit zwischen dem 1. und 2. Weltkrieg

Nach dem Ende des ersten Weltkrieges (1918) wird Deutschland zu einer parlamentarisch-demokratischen Republik (Weimarer Republik), die jedoch durch wirtschaftliche Not und Links- und Rechtsradikalismus von Beginn an gefährdet und unter Druck gesetzt wird[28]. Bezeichnend für die geistige Situation der Weimarer Zeit sind die Tendenzen zur Vermassung (neue Medien), die Politisierung des gesamten öffentlichen Lebens und die Auswirkungen der geistigen Strömungen der Jahrhundertwende. Diese veränderte geistige Situation beeinflußt nun auch maßgeblich die Leibeskultur der Weimarer Zeit.

So sind jetzt die Entwicklung des Sports zur Massenbewegung, die fortschreitende Organisation und Institutionalisierung des Sports sowie die Politisierung der Turn- und Sportorganisationen die neuen Kennzeichen für eine neue Situation[29] (Graphik 7 Anhang). Das Ende der Weimarer Republik wird mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler (Januar 1933) besiegelt und es entsteht ein totalitärer nationalistischer Staat („Machtergreifung“). Nach der Machtübernahme durch Hitler, versucht dieser seine neuen politischen Ziele durchzusetzen. Hierdurch verändert er ebenfalls die Weltanschauliche Grundlage, die nun auf dem Sozialdarwinismus beruht und deren Doktrin die Überlegenheit der nordischen Rasse ist[30]. Im Rahmen dieser „überarbeiteten“ Weltanschauung und der Eingliederung des gesamten Öffentlichen Lebens in den nationalsozialistischen Machtapparat kommt es auch zur „Gleichschaltung“ der Turn- und Sportorganisationen[31].

Die Arbeitsportverbände und die konfessionellen Einrichtungen werden aufgelöst und durch die völkisch-nationale Einstellung der Turnerschaft und der Sportverbände findet eine reibungslose Eingliederung derselben statt. Die Neuorganisation des Sports beginnt bereits 1933 (v. Tschammer und Osten), wobei das Sportwesen zu einer zentralistischen Organisation ausgebaut und schrittweise in den NS-Staat eingegliedert wird[32]. So wird der Sport in den Dienst der nationalsozialistischen Rassenideologie gestellt. Hierdurch bekommt der Sport im Erziehungskonzept eine Schlüsselfunktion (Erziehung des Menschen vom Leib her), deren Grund- und Erziehungsziele Gesundheit, Wehrhaftigkeit und kampforientierte Charaktereigenschaften (politische Leibeserziehung) sind. Doch diese Ziele fordern auch eine Umstrukturierung des Sports, so daß diese jetzt ausgerichtet auf Massenertüchtigung, Bevorzugung der kampf- und gemeinschaftsorientierten Sportarten, Erweiterung des Sportunterrichts an Schulen, Pflichtsport an Universitäten und einem autoritären Unterrichtsstil sind[33].

2.1.7 Gesellschaft und Sport nach 1945

Mit dem 2. Weltkrieg endet auch die Herrschaft des Nationalsozialismus und Deutschland wird in 4 Besatzungszonen aufgeteilt. Die Siegermächte (USA, England, Frankreich, Sowjetunion) übernehmen in diesen Besatzungszonen die Regierungsgewalt.

In den von den alliierten regierten Zonen wird eine Deutschlandpolitik der Entnazifizierung, Entmilitarisierung, Dezentralisierung und Demokratisierung von Volk und Staat betrieben, die ebenfalls durch Auflösung und kontrollierte Neugründung Einfluß auf die Sportorganisationen und deren Arbeit hat.

Durch das Spannungsfeld zwischen den USA und der Sowjetunion entstehen 1949 zwei von einander unabhängige deutsche Staaten (BRD und DDR) mit unterschiedliche politischen wie sportlichen Systemen[34]. Aus der Änderung des sportlichen System entstehen zwei selbständige zentrale Sportorganisationen; der Deutsche Sportbund in der BRD (1950) und der Deutsche Sportausschuß (1948) in der DDR (später Deutscher Turn- und Sportbund). Bis zu den 60er Jahren gelingt der westdeutschen Wirtschaft der Anschluß an die Weltspitze. Durch dieses „Wirtschaftswunder“ wird auch die geistige Situation bestimmt und es entsteht eine leistungsorientierte und materialistische Wertordnung[35]. Gleichzeitig schafft im Rahmen der wirtschaftlichen Konsolidierung auch der bundesdeutsche Sport den Aufstieg. Ebenfalls dominieren hier Leistungsverhalten und Konkurrenzprinzip, so dass die 50er Jahre zu einem Zeitalter des Leistungssports werden. Noch im Laufe der 60er Jahre entwickelt sich in der Bundesrepublik eine bürgerliche Wohlstandsgesellschaft, deren Merkmale ein hoher Lebensstandard, Materialismus, Konsumbereitschaft und Konservatismus sind. Doch gleichzeitig werden geistige Gegenkräfte mobilisiert. Ihr Spektrum reicht von einer aggressiven Zivilisationskritik bis zur gesundheitsorientierten Lebensweise.

Die rasante technologisch-ökonomische Entwicklung, das bürgerliche Wohlstandsdenken und die sich daraus entwickelnden geistigen Gegenkräfte prägen auch die Struktur unseres modernen Sports. Die wichtigsten Kennzeichen sind: (Graphik 8 Anhang)

- Der Sport erfaßt immer mehr die Massen.
- Es entsteht das System des modernen Hochleistungssports.
- Der Breitensport löst seine Bindung an den Leistungssport; er wird zu einer selbständigen Erscheinung und bestimmt zunehmend das Freizeitverhalten des Bundesbürgers.
- Es entsteht die Sportwissenschaft.

2.2 Die Entwicklung der Sportorganistation und seine derzeitige Bedeutung

2.2.1 Die Anfänge

Der Beginn des organisierten Sports war die Turnanstalt. Begonnen hatte alles 1811 auf der Hasenheide vor den Toren Berlins, wo Fr. L. Jahn, der spätere „Turnvater“, mit einer Handvoll Schüler und Studenten herumtobte, um sie für den Kampf gegen die Franzosen tauglich zu machen. Was zunächst nur eine Sehenswürdigkeit für Ausflügler war, wurde von Jahn publikumswirksam als Keimzelle deutscher Größe gepriesen, nach 1815 zum Vorbild für die Einrichtung von Turnplätzen in etwa 150 deutschen Städten und Städtchen und an einigen (protestantischen) Universitäten[36]. Als das Turnen nach 1819 wegen seiner Verbindung mit umstürzlerischen nationalistischen Ideen in den meisten deutschen Staaten verboten wurde, fanden die von diesem ideologischen Beiwerk „gereinigten“ Übungsformen mit behördlicher Genehmigung und unter polizeilicher Überwachung in privaten Instituten und an einigen höheren Schulen Aufnahme[37]. Die wichtigsten Voraussetzung für das Turnen, das während des Verbotes offiziell „Gymnastik“ genannt werden mußte, war ein mit Geräten, Bahnen und Markierungen ausgerüsteter Turnplatz bzw. Turngarten und zumindest bei den gewerblich betriebenen Gymnastik- und Turnanstalten, die an einem ganzjährigen Betrieb interessiert waren, ein (meist bescheidener, z.B. auch mit heilgymnastischen Apparaten ausgestatteter) Turnsaal[38]. Sowohl in den wenigen Jahren bis 1818, als sich das Turnen ungehindert in aller Öffentlichkeit ausbreiten konnte, als auch nach dem Verbot, das zu strafrechtlicher Verfolgung, zu strenger Reglementierung und zum Ausschluß der Öffentlichkeit, aber nicht zur völligen Unterdrückung des Übungsbetriebes führte, war die „Sportanlage“ – „Turnplatz“ oder umfassender als städtische oder private Einrichtung „Turnanstalt“ genannt – das Charakteristikum der jungen Bewegung[39].

Für eine Saison zahlte der einzelne Turner seinen Unkostenbeitrag, hatte aber keine Mitgliederverpflichtungen, wenn man davon absieht, daß er sich anständig, d.h. nach bürgerlichen und christlichen Grundsätzen moralisch einwandfrei und gut deutsch zu benehmen hatte.

2.2.2 Die Bildung und Gründung der Turnvereine

Von etwa 1840 bis in die Mitte der 60er Jahre, die in Deutschland den Höhepunkt des politischen und wirtschaftlichen Liberalismus und die erste Industrialisierungswelle sah, war durch die Herausbildung der Organisationsform des traditionellen Turnvereins richtungsweisend[40]. Solange die Forderung des liberalen Bürgertums nach einer Verfassung, die auch die Vereinigungsfreiheit garantierte, noch nicht durchgesetzt hatte, wurden die restriktiven Gesetze durch die Gründung „unverdächtiger“ Vereine allmählich ausgehöhlt[41]. Hierzu gehörten neben Geselligkeits-, Wohltätigkeits-, Lese- und Gesangvereinen nun auch Turnvereine, die die gleichen Mentalität wie andere ihre Entstehung verdankten; einer Mischung aus Selbstgefälligkeit, kleinstädtischen Engagement und Bildungsbeflissenheit. Das Politisieren am Stammtisch und die geselligen Veranstaltungen, Honoratiorendenken und Ehrbarkeit der kleinen Leute, aber auch fortschrittliches Verbesserungsstreben und soziales Verantwortungsbewußtsein prägen auch in den Turnvereinen das Leben. Die Satzung verbürgt allen Mitgliedern gleiche Rechte. Doch selbstverständlich werden in das Leitungsgremium, den Turnrat, die Männer mit Sachverstand, Einfluß und Geld gewählt. Mitglieder können nur erwachsene Männer werden. Aber nicht alle. Über die Aufnahme Beitrittswilliger entscheidet die Generalversammlung durch „Ballontage“, d.h. eine bestimmte Anzahl schwarzer Kugeln (Nein-Stimmen) kann unerwünschte Personen fernhalten. Dadurch wird allerdings nicht eine gesellschaftliche Exklusivität (denn Mitglieder auswärtiger Turnvereine genießen i.a. ungeprüfte gleiche Rechte), sondern eher der Charakter einer Gesinnungsgemeinschaft in Jahnscher Tradition begründet, die natürlich leicht ein parteipolitische Ausrichtung annehmen kann, wie das z.B. 1848 eintrat, als viele Turnvereine (im Gegensatz zu Jahns Einstellung) demokratische Ziele verfochten[42]. Die Mehrzahl erwies sich jedoch als gemäßigt-konservativ und königstreu. Dennoch wurden nach der Niederwerfung der Revolution alle Verein als verdächtig eingestuft und überwacht, so daß kaum ein Drittel von ihnen diese Jahre überlebte[43].

Erst das Erstarken der Nationalbewegung Anfang der 60er Jahre führte zu einer neuen Welle von Turnvereinsgründungen mit ausgesprochen patriotischer Zielsetzung. Die Entstehungsgeschichte des Turnvereins erklärt das Überwiegen seines symbolischen Charakters gegenüber dem funktionalen. Vaterländische, staatsbürgerliche Gesinnung, ein kulturelles Sendungsbewußtsein, das in der Pflege der Turnvereinskultur bei Turnfesten, öffentlichen Auftritten, Gesang und bildenden Vorträgen zum Ausdruck kam, soziales Engagement für die Verbreitung des Turnens in den unteren Volkskreisen (in Volksschulen, Militär, Arbeiterbildungsvereinen u.ä.) sowie aktiver Einsatz für das öffentliche Wohl durch Bildung einer Turner-Feuerwehr wiesen die Turner überall als vorbildliche Mitbürger aus[44]. Die Organisationsform der von einem Kleinunternehmer nach kommerziellen Grundsätzen geleiteten Turnanstalt erwies sich immer deutlicher als überholt. Sie war als Gewerbebetrieb ohnehin nur in Ausnahmefällen ohne städtische Zuschüsse rentabel gewesen. Solange sie aushilfsweise die Funktion einer Turnschule für die öffentlichen und privaten Lehranstalten hatten übernehmen können, hatten ihnen diese Dienstleistungen ein meist bescheidenes Basiseinkommen garantiert. Manchmal hatten sie auch mit dem öffentlichen Turnverein noch ein ähnliches Nutzungsabkommen getroffen. Für den vom Turnanstaltsleiter erteilten Unterricht zu zahlen, waren die Vereinsturner jedoch i.a. nicht gewillt. Als nun die Städte begannen, für die Schulen neben den Turnplätzen auch Turnhallen einzurichten, blieb den ruinierten Kleinunternehmern meist nichts übrig, als ihre Räumlichkeiten mit Inventar der Stadt zu verkaufen und sich selbst als Turnlehrer anzubieten. Für ein Unternehmertum in diesem Freizeitbereich gab es noch keinen Markt.

2.2.3 Weiterentwicklung und Fortschritte der Vereine

Bereits vor der eigentlichen Geburtsstunde des deutschen Turnens, das sich ab 1868 in der nach Vereinen, Kreisen und Gauen gegliederten Deutschen Turnerschaft organisierte, hatte F.L. Jahn am 11.6.1811 den ersten Turnplatz auf der Berliner Hasenheide eröffnet. Kurz darauf wurden die ersten Turnvereine gegründet (Hamburger Turnerschaft 1816). Nach den Befreiungskriegen gab es keine ruhige Entwicklung für die Deutsche Turnbewegung. Mit der Aufhebung der Turnsperre gründeten sich zwar viele Turnvereine, alle Versuche aber, zu einem gesamtdeutschen Turnerbund zu kommen, litten unter den politischen Gegensätzen dieser Jahre[45].

Der Deutsche Turnerbund und der Demokratische Turnerbund wurden 1848 gegründet. Beide Verbände konnten sich aber nicht darüber einigen, ob die Turnbewegung zukünftig auch eine politische Bewegung sein sollte oder nicht[46]. Das Schulturnen dieser Zeit wurde maßgeblich von Adolph Spieß und Hugo Rothstein beeinflußt. Auf dem 4. Allgemeinen Deutschen Turntag am 20.07.1868 wurde in Weimar die Deutsche Turnerschaft konstituiert.

2.2.3.1 Krise des Turnens und der „moderne Körperkult“

Als bald drohte der Turnverein zu einem Stammtisch altmodischer Kleinbürger und eingebildeter, aber harmloser Kraftprotze zu verkommen. Die lebendige Verbindung zur sich modernisierenden Welt schien abzureißen. Die Pädagogisierung des Turnens griff auf die Vereine über und führte zur Rechtfertigung des Rückzugs in die meist von den Städten für die Schulen erbauten Hallen[47]. An der Organisationsstruktur der Turnvereine änderte sich nichts. Der vierköpfige Turnrat blieb als kollektives Führungsorgan erhalten, aber die Funktion des Sprechers scheint sich zu der eines 1. Vorsitzenden gewandelt zu haben. War eine solche Honorationsfigur einmal gefunden, so verpflichtete man dies sich möglichst durch ständige Wiederwahl auf Jahrzehnte hinaus.

Während das Turnen durch das mittlere Bürgertum der Kleinstädte sowie einiger alter Handels- und Residenzstädte geprägt wurden, begannen sich in einigen modernen Großstädten neue Moden der Körperkultur auszubreiten, die auf englische Vorbilder zurückgingen[48]. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts trat neben die bürgerlichen Turnbewegungen in Deutschland der moderne Sport. Erste Sportvereine gründeten sich ab 1836 (Hamburger Ruder-Club). Um 1877 entstanden selbständige Spitzenvereine. Der primäre Zweck dieser frühen Sportverbände, die z.T. die Aufgaben lokaler und regionaler Regattavereine auf höherer Ebene fortsetzten, war jedoch die Festlegung einheitlicher Wettkampfbestimmungen und die Organisation Deutscher Meisterschaften sowie das Aushandeln finanzieller Vergünstigungen für ihre touristisch aktiven Mitglieder[49] (Bahnfahrten, Übernachtungen, Versicherungen, Hafen-, Kanal- und Schleusengebühren u.ä.)[50]. Charakteristisch für diese früh übernommenen „Sports“ war es,

- dass Geld eine wichtige Rolle spielte: Professionalismus hatte oft eine Vorreiterfunktion; Funktionäre verbanden mit ihrem Amt nicht selten geschäftliche Interessen; die vermögenden „sportsmen“ sorgten durch Ausgrenzungsregeln dafür, daß sie unter sich blieben.
- dass die Mehrzahl der Mitglieder, sofern sie überhaupt am sportlichen Teil des Clublebens teilnehmen wollten, nicht wettkampf-, sondern wandersportliche Interessen hatten.
- dass der ideale Zweck der Deutschen Turnerschaft und ihre Vereine (pädagogische und soziale Verantwortung, Bürgersinn, Vaterlandsliebe) in den Sportorganisationen keine Entsprechung fand; diese eher mittelständischen Radsport- und Schwimmvereine hatten teils das kapitalistische Leistungsprinzip so verinnerlicht, daß der reale Zweck klar dominierte, teils sich der Pflege standesgemäßer Geselligkeit verschrieb; die großbürgerlichen Segel- und Ruderclubs kultivierten das elitäre gentleman-Ideal.

[...]


[1] Vgl. 23.

[3] Siehe 2.

[4] Vgl. 12.

[5] Vgl. 13.

[6] Vgl. 20, S. 208-221

[7] vgl. 1., S. 256-259

[8] Untersuchung im Auftrag des Deutschen Sportbundes, der Landessportbünde und des Bundesinstituts für Sportwissenschaft

[9] Vgl. 29, S. 215-229

[10] Philanthrop von griech. Philein = lieben und anthropos = Mensch

[11] Siehe: 29, S 165-166

[12] Vgl.: 29, S. 173-174

[13] Siehe 6, S. 99ff

[14] Vgl. 29 S. 165-215

[15] Siehe 27 , 114-118

[16] Vgl.: 29, S. 215-228

[17] Vgl. 29, S. 257-259

[18] Vgl. 6, S. 117-118

[19] Vgl. 29, S. 271-275

[20] Siehe 29, S. 448-449

[21] Siehe 29, S. 485ff

[22] Siehe 6. S. 127

[23] Vgl. 29, S. 314-319 u. S. 389-401

[24] Siehe 27, S. 187

[25] Vgl. 6, S. 135

[26] Vgl. 29, S. 522ff und 27, S. 203ff

[27] Vgl. 29, S. 526-529 und 27, S. 204ff

[28] Vgl. 30, S. 623-633

[29] Siehe 30, S. 657-678

[30] Siehe 30, S. 708ff

[31] Vgl. 5

[32] Vgl. 30, S. 706-707

[33] Vgl. 30, S. 702-711 u. S. 732-733

[34] Vgl. 6, S. 156

[35] Siehe 30, S 745-754

[36] Vgl. 29, S. 235ff

[37] Vgl. 29,S. 264–265

[38] Siehe 29, S. 264-265

[39] Vgl. 3, S. 160-168

[40] Siehe 29, S. 265

[41] Vgl. 29, S. 265-268

[42] Siehe 27, S. 178ff

[43] Siehe 29, S. 272

[44] Vgl. 29, S. 268ff

[45] Siehe 29, S. 268-274

[46] Siehe 27; S. 178-179

[47] Vgl. 29, S. 325-330

[48] Vgl. 3

[49] Vgl. 30, S. 370-372

[50] Vgl. 27, S. 189-192

Fin de l'extrait de 78 pages

Résumé des informations

Titre
Vereinseigene Fitness-Studios am Beispiel des OSC-Bremerhaven - Ein Beitrag über Mitglieder, Motive und ihr Nutzen in einer modernen Bewegungskultur
Université
University of Bremen  (Sport)
Note
1,0
Auteur
Année
2001
Pages
78
N° de catalogue
V18350
ISBN (ebook)
9783638227186
Taille d'un fichier
1136 KB
Langue
allemand
Mots clés
Vereinseigene, Fitness-Studios, Beispiel, OSC-Bremerhaven, Beitrag, Mitglieder, Motive, Nutzen, Bewegungskultur
Citation du texte
Nils Becker (Auteur), 2001, Vereinseigene Fitness-Studios am Beispiel des OSC-Bremerhaven - Ein Beitrag über Mitglieder, Motive und ihr Nutzen in einer modernen Bewegungskultur, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18350

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