Zielgruppenspezifische Behandlungsstrategien zur Modifikation des Rauchverhaltens bei suchtmittelabhängigen Patienten in der Adaptionsphase


Masterarbeit, 2004

91 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Theoretische Grundlagen
2.1 Historischer Abriss zum Thema Rauchen
2.2 Epidemiologie des Tabakkonsums
2.3 Gesellschaftliche und wirtschaftliche Aspekte des Tabakkonsums
2.4 Pharmakologische Aspekte des Rauchens
2.5 Tabakassoziierte gesundheitliche Schäden
2.6 Entstehung und Aufrechterhaltung der Tabak- / Nikotinabhängigkeit
2.6.1 Das Trias-Modell
2.6.2 Das kognitiv-verhaltenstherapeutische Störungskonzept
2.6.3 Verlauf der Tabak- / Nikotinabhängigkeit
2.7 Klassifikation der Tabak- / Nikotinabhängigkeit
2.7.1 Definition der Abhängigkeit
2.7.2 Das dimensionale Konzept der Abhängigkeit
2.8 Stages of Change: Das Transtheoretische Modell der Verhaltensänderung
2.8.1 Grundlagen des Modells
2.8.2 Stufen der Verhaltensänderung („Stages of Change“)
2.8.3 Charakteristika der einzelnen Stufen
2.8.4 Kritik am Stufenmodell
2.9 Erkenntnisse zum Rauchverhalten von suchtmittel- abhängigen Patienten
2.10 Tabakreduktion als Alternativziel?
2.10.1 Überlegungen zu Zielalternativen
2.10.2 Diskussion des Alternativziels Tabakreduktion

3 Empirischer Teil
3.1 Untersuchungsziel und Fragestellungen
3.2. Methode
3.2.1 Stichprobenbeschreibung
3.2.2 Das Untersuchungsinstrument
3.2.3 Durchführung der Untersuchung
3.3 Ergebnisse
3.3.1 Stichprobenbezogene Charakteristika
3.3.2 Aktueller Rauchstatus
3.3.3 Tabakabstinenzversuche / Versuche der Konsumreduktion
3.3.4 Änderungsmotivation
3.3.5 Selbstwirksamkeitserwartung
3.3.6 Interesse an einem Programm zur Modifikation des Rauchverhaltens
3.3.7 Zusammenhänge des Teilnahmeinteresses zu möglichen moderierenden Variabeln
3.3.7.1 Teilnahmeinteresse und soziodemographische Daten/ Behandlungsdaten
3.3.7.2 Teilnahmeinteresse und Änderungsmotivation
3.3.7.3 Teilnahmeinteresse und Selbstwirksamkeitserwartung

4 Diskussion und Ausblick
4.1 Diskussion der Ergebnisse
4.2 Ausblick

5 Literaturverzeichnis

6 Zusammenfassung

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildung 1: Häufigkeitsverteilung des Probandenalters

Abbildung 2: Absolute Häufigkeit des Nikotinabhängigkeitsgrades nach Fagerström

Tabelle 1: Kumulierte Häufigkeit (in Prozent) der Angaben zum Familienstand

Tabelle 2: Kumulierte Häufigkeit (in Prozent) der Angaben zum Behandlungsgrund

Tabelle 3: Kumulierte Häufigkeit in Prozent der Angaben zum Hauptsuchtmittel

Tabelle 4: Häufigkeit der Einstufung der Änderungsmotivation (Ziel: Tabakabstinenz) nach dem „Stages of Change- Modell“

Tabelle 5: Häufigkeit der Einstufung der Änderungsmotivation (Ziel: Tabakreduktion) nach dem „Stages of Change- Modell“

Tabelle 6: Häufigkeit der Einstufung der Selbstwirksamkeits- erwartung (Ziel: Tabakabstinenz)

Tabelle 7: Häufigkeit der Einstufung der Selbstwirksamkeits- erwartung (Ziel: Tabakreduktion)

Tabelle 8: Häufigkeit der Angabe des Teilnahmeinteresse an einem Modifikationsprogramm

Tabelle 9: Teilnahmeinteresse in Abhängigkeit von der Änderungsmotivation (Ziel: Tabakabstinenz)

Tabelle 10: Teilnahmeinteresse in Abhängigkeit von der Änderungsmotivation (Ziel: Tabakreduktion)

Tabelle 11: Teilnahmeinteresse in Abhängigkeit von der Selbstwirksamkeitserwartung (Ziel: Tabakabstinenz)

Tabelle 12: Teilnahmeinteresse in Abhängigkeit von der Selbstwirksamkeitserwartung (Ziel: Tabakreduktion)

1 Einleitung

Ausgangspunkt für diese Arbeit waren Beobachtungen und Erfah- rungswerte an meinem Arbeitsplatz im Adaptionshaus Koblenz. Dort fiel mir einerseits auf, dass die überwiegende Anzahl der Patienten rau- chen, andererseits werden externe Tabakentwöhnungskurse der Kran- kenkassen oder der Volkshochschule von dieser Zielgruppe nicht wahr- genommen.

Patienten in der Adaptionsphase haben ihre stationäre Entwöhnungsbehandlung erfolgreich abgeschlossen und leben in der Regel seit drei bis sechs Monaten suchtmittelabstinent - ausgenommen der Konsum von Tabak. Daraus resultierten mehrere Fragen:

- Sind die Patienten motiviert, nun auch an ihrem Tabakkonsum etwas zu verändern?
- Wenn dies der Fall sein sollte, zu welcher Art von Änderung sind sie motiviert (Tabakreduktion oder Tabakabstinenz)?
- Was müssen zielgruppenspezifische Interventionen besonders berücksichtigen, um diese Gruppe zu erreichen und um möglichst effektiv zu sein?

Ziel dieser Arbeit ist es, auf Grundlage theoretischer Erkenntnisse und anhand einer empirischen Untersuchung, zielgruppenspezifische Be- handlungsstrategien zur Modifikation des Rauchverhaltens für sucht- mittelabhängige Patienten in der Adaptionsphase zu entwickeln.

Im ersten Teil der Arbeit werden die theoretischen Grundlagen erläutert. Es wird auf die Geschichte, die Epidemiologie, die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und pharmakologischen Aspekte sowie auf die tabak- assoziierten gesundheitlichen Schäden des Rauchens eingegangen. Hiernach wird die Entstehung und Aufrechterhaltung der Tabakabhän- gigkeit unter Berücksichtigung des Trias-Modells und des kognitiv-ver- haltenstherapeutischen Störungskonzeptes veranschaulicht.

In den nächsten Punkten wird auf die Klassifikation der Tabak-/ Nikotin- abhängigkeit nach dem ICD-10 und dem DSM-IV und auf das dimensi- onale Konzept der Tabakabhängigkeit eingegangen. Hiernach wird das Transtheoretische Modell der Verhaltensänderung mit seinen „Stages of Change“ vorgestellt und einer kritischen Betrachtung unterzogen. Im weiteren werden bisherige Erkenntnisse zum Rauchverhalten von suchtmittelabhängigen Menschen aufgezeigt und damit die Frage auf- gegriffen, worin sich die Gruppe der suchtmittelabhängigen Raucher von der rauchenden Allgemeinbevölkerung unterscheidet. Darauffol- gend wird das Alternativziel „Tabakreduktion“ diskutiert. Es stellt sich hier insbesondere die Frage, ob dieses Ziel als „niederschwelliges“ Ziel für die Zielgruppe angeboten werden soll.

Im zweiten Teil der Arbeit wird eine eigene Erhebung zum Rauchver- halten, zur Änderungsmotivation, zur Selbstwirksamkeitserwartung und zum Interesse an der Teilnahme an einem Kurs zur Modifizierung des Rauchverhaltens bei suchtmittelabhängigen Patienten in der Adapti- onsphase vorgestellt. Zunächst werden die Untersuchungsfragestel- lungen und -ziele sowie das Untersuchungsdesign und die dazugehö- rige Konzeption eines Fragebogens vorgestellt. Anschließend werden die Ergebnisse erläutert und im Hinblick auf zielgruppenspezifische the- rapeutische Interventionen diskutiert sowie ein Ausblick auf die Gestal- tung eines entsprechenden Angebotes im Rahmen einer Adaptionsbe- handlung gegeben.

2 Theoretische Grundlagen

2.1 Historischer Abriss zum Thema Rauchen

Tabak (Nicotiana tabacum) in Form von Pfeifentabak war ursprünglich ein Utensil religiöser und ritueller Handlungen. Bereits vor 10.000 Jah- ren wurde die Tabakpflanze für kultische Zwecke bei nord- und mittel- amerikanischen Völkern genutzt. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurde die Tabakpflanze dann aus der Neuen Welt nach Europa impor- tiert. Die Pflanze wurde benannt nach Jean Nicot, der sie in Frankreich einführte. Die erste deutschsprachige Erwähnung ist bereits 1579 in Schriften über den Tabakanbau zu finden. In Europa erfuhr der Tabak- gebrauch eine Wandlung: während er bei den Einwohnern Amerikas auf religiöse oder rituelle Zeremonien beschränkt war, wurde er in Eu- ropa zu Genuss- und Rauschzwecken genutzt. Die berauschende Wir- kung des Tabaks fand in den zeitgenössischen Formulierungen: „Sau- ferei des Nebels“ ihren Niederschlag. Das Rauchen verbreitete sich nach seiner Einführung rasch: bereits 1614 gab es in London über 7000 Verkaufsstellen für Tabak. Durch die umfangreichen Handelsbeziehun- gen der Portugiesen und Spanier kam die Tabakpflanze auf die Philip- pinen, nach Südost- und Ostasien, nach Afrika und zu Beginn des 17. Jahrhunderts auch nach Japan, Korea sowie China. Von dort aus ging die Verbreitung der Tabakpflanze weiter über Tibet, die Mongolei nach Sibirien (vgl. Haustein, 2001; Batra & Buchkremer, 1999).

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war der Tabak in allen Teilen der Welt anzutreffen und hatte dadurch zunehmend wirtschaftliche Bedeutung erlangt.

Während der letzten Jahrhunderte wurde Nutzen und Schaden des Rauchens kontrovers diskutiert: Während der Tabakkonsum in immer mehr Gesellschaftsschichten Einzug erhielt, verboten Machthaber und Kirchen ihn zeitweise. Es wurden Zölle erhoben, Gesetze gegen das Rauchen formuliert und das Rauchen sogar mit Strafen belegt. Auf diese Weise verband sich der Freiheitskampf der Bürger gegen die Obrigkeit in der Mitte des 19. Jahrhunderts auch mit der Freiheit, rauchen zu dürfen (vgl. Batra & Buchkremer, 1999).

Den größten Aufschwung erlebte das Rauchen mit der Entwicklung der Zigarette. Die erste maschinelle Zigarettenherstellung wurde 1867 auf der Pariser Weltausstellung vorgeführt. Diese Maschine hatte eine Stundenleistung von 3.600 Zigaretten. In der Folgezeit sanken die Her- stellungskosten für Zigaretten dramatisch, und es wurden neue Märkte erobert. Auch das Rauchverhalten und die Rauchintension veränderten sich: im Gegensatz zu einer Zigarre oder einer Pfeife wird eine Ziga- rette innerhalb von 3-5 min geraucht. Das Rauchen als Beschäftigung der Muße wechselte zum Rauchen mit kurzen Zeitabständen. Hierdurch wurde Rauchen nicht mehr zur Entspannung, sondern vorwiegend zur Stressbewältigung eingesetzt. Mit der Zunahme des Zigarettenverkaufs stieg auch die wirtschaftliche Bedeutung des Tabaks, sodass die Ziga- rettenindustrie innerhalb von 100 Jahren zu einem führenden Industrie- zweig wurde (vgl. Haustein, 2001).

2.2 Epidemiologie des Tabakkonsums

Die veröffentlichten Zahlen zum Rauchen in Deutschland schwanken je nach Datenquelle. Dies ist durch die Art der Fragestellungen und durch die Wahl unterschiedlicher Bezugsgruppen und Alterskategorien, die in den entsprechenden Statistiken Verwendung finden, begründet. Nach Junge (2001) liegt die Raucherprävalenz der über 15-jährigen Bevölke- rung in Deutschland bei etwa 28% (Männer 34,7%, Frauen 22,2%). Der Anteil der rauchenden Bevölkerung lag in einer Repräsentativerhebung im Jahr 2000 durchgeführt von Kraus, Augustin und Müller-Kalthoff (2002) bei fast 34 Prozent (39% der Männer, 31% der Frauen) der er- wachsenen deutschen Bevölkerung (18-59-jährige). Die meisten Raucher bevorzugen Zigaretten und nur ein geringer Anteil raucht Zigarren oder Pfeife. Laut Haustein (2001) konsumieren in Deutschland 97 Prozent der Raucher Zigaretten. Nach Unland (1999) konsumieren 95 Prozent der Raucher Zigaretten, sodass das Rauchen von Zigarren, Zigarillos und Pfeifen quantitativ kaum eine Rolle spielt. Der höchste Raucheranteil ist nach Kröger (2000) in der Gruppe der 30 bis 40jährigen zu finden. In den jüngeren Altersgruppen steigt der Rau- cheranteil kontinuierlich mit der Alterszunahme. Nach der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (2003a) gab es in den letzten 12 Jah- ren eine deutliche Zunahme der Raucherquote unter den 12 bis 15jährigen (19%). In den älteren Altersgruppen (über 40jährige) nimmt der Raucheranteil mit dem steigenden Alter ab. Die im Erwachsenen- alter festzustellenden geschlechtsspezifischen Unterschiede im Rauch- verhalten sind heute unter den Jugendlichen kaum noch feststellbar. Unterschiede im Rauchverhalten zeigen sich in Abhängigkeit von der Schichtzugehörigkeit und dem Bildungsniveau. So sind Männer mit Volks- oder Hauptschulabschluss fast doppelt so häufig Raucher, wie jene mit höherer Schulbildung. Ferner rauchen nach Unland (1999) Verheiratete am wenigsten. Etwas mehr rauchen Ledige, und am mei- sten rauchen getrennt lebende oder geschiedene Menschen.

2.3 Gesellschaftliche und wirtschaftliche Aspekte des Tabakkonsums

Die Gesundheitsschädlichkeit des Rauchens ist inzwischen hinreichend nachgewiesen worden. Dennoch wird die Prävention in Deutschland nur halbherzig betrieben: sowohl die gesetzgeberischen Maßnahmen als auch die Aufklärung über die Folgen des Rauchens, insbesondere in den relevanten Zielgruppen (Kinder und Jugendliche), werden unzureichend praktiziert (vgl. Batra, 2001).

So konstatiert Haustein (2001): „Die Politiker der Bundesrepublik Deutschland haben ebenso wie die der vorübergehend existierenden DDR keine wirksamen Maßnahmen zum Schutz der Mehrheit der nicht rauchenden Bevölkerung eingeleitet “ (S. 427).

Der Autor führt weiter aus, dass Deutschland bezüglich der gesund- heitspolitischen Konsequenzen gegenüber dem Rauchen als ein „Ent- wicklungsland“ zu bezeichnen sei. Ferner bemängelt er, dass das Wer- beverbot für Zigaretten, welches die EU initiierte, durch die deutsche Regierung beklagt wurde. Ihm zufolge sind staatliche Institutionen wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zwar vorbildlich tätig, sie hätten aber bei ihrem geringen Etat kaum eine Chance gegenüber dem 100 mal höheren Etat der Tabakwerbung anzukommen. Die Politik sei künftig in viel stärkerem Maße als bisher gefordert, auf dem Gebiet des Schutzes der Bevölkerung vor Tabakschäden aktiver zu werden. Auch John et al. (2002) bemängeln, dass in Deutschland vielfältige Projekte und Aktionen der Prävention bei gleichzeitig unzureichenden finanziellen Ressourcen stattfinden.

Mit den folgenden Zahlen wird die wirtschaftliche Bedeutung des Ta- baks in Deutschland und Europa deutlich: Deutschland ist der größte Absatzmarkt für Zigaretten in Europa. Die Tabaksteuer, die ca. 60 bis 70 Prozent des Preises für Zigaretten ausmacht, ist nach der Mineral- ölsteuer die wichtigste Verbrauchssteuer und auf Rang sieben der wichtigsten „Einnahmequellen“ des deutschen Staates. Die Steuerein- nahmen betrugen 1999 22,8 Milliarden DM. Im Jahre 2001 sind die Steuereinnahmen nochmals auf fast 12,1 Milliarden Euro gestiegen. Der Umfang der Tabakexporteinnahmen betrug für Deutschland 1993 1,04 Milliarden US-Dollar (vgl. Batra, Jork & Watzl, 2000; DHS, 2003; Batra & Buchkremer, 2004). Dies bedeutet nicht zuletzt auch die Si- cherstellung von Arbeitsplätzen. So gab es in der Tabakindustrie im Jahre 1996 13.794 Beschäftigte (vgl. Haustein, 2001).

Die Kosten des Rauchens beliefen sich laut der WHO (2003) in Deutschland im Jahre 1993 auf insgesamt 33,8 Milliarden DM. Davon entfielen 9,3 Milliarden DM auf die Kosten der medizinischen Versor- gung der durch das Rauchen bedingten Erkrankungen und 24,5 Milliar- den DM entfielen auf die Kosten des Arbeitsausfalls als Folge dieser Erkrankungen und vorzeitiger Todesfälle. Die Auswirkungen des Rauchens auf die Sozialversicherungen werden oft wechselseitig diskutiert. Einerseits könnten die Krankenkassen über 9 Milliarden DM sparen, andererseits entlastet die kürzere Lebenserwartung von Rauchern auch die Rentenversicherung. Eine Prävention des Rauchens könnte zwar insgesamt zu höheren Ausgaben der Sozialversicherungen führen, gleichzeitig würden aber in Deutschland pro Jahr sehr viel vorzeitige Todesfälle vermieden werden. Dieser Aspekt darf bei einer Gesund- heitspolitik, die auf eine Reduzierung von Krankheitsentwicklungen und -risiken ausgerichtet ist, nicht übersehen werden.

Die Europäische Union gab 1995 21 Millionen DM für die Förderung des Nichtrauchens aus. Im gleichen Zeitraum wurde der Tabakanbau mit 2,5 Milliarden DM subventioniert. Damit ergibt sich die paradoxe Situation, dass einige der europäischen Industriestaaten mit einem ausgebauten Gesundheitssystem auf der einen Seite Maßnahmen ge- gen den Tabakkonsum initiieren, gleichzeitig aber zu den führenden Exportnationen für Tabakprodukte gehören (vgl. Batra, Jork & Watzl, 2000; Haustein, 2001).

Aufgrund der Gesundheitsgefährdung und den zahlreichen Gesund- heitsschäden durch den Tabak sind Maßnahmen zur Beeinflussung des Rauchens notwendig. Als Vorschläge nennen Batra, Jork und Watzl (2000) ein gesetzliches Werbeverbot für Zigaretten, die Erhöhung der Tabaksteuer, Medienaktionen und vermehrte Aufklärung in Schulen. Ferner seien vermehrt Anstrengungen zu unternehmen, weitere Ange- bote zur Raucherentwöhnung in ärztlichen und psychologischen Praxen zu installieren. Noch bestehende Informationsdefizite in den Gesund- heitsberufen bezüglich der Möglichkeiten von Raucherentwöhnungs- maßnahmen sollten durch gezielte Fort- und Weiterbildung abgebaut werden. Zusätzlich sollten neue effektivere und wirtschaftlich einzuset- zende Methoden schneller verbreitet werden.

Die Deutsche Krebshilfe e.V. (2003) fordert von den politischen Entscheidungsträgern bezüglich des Tabaks:

- keine Beeinflussung der Politik durch die Tabakindustrie,
- die Abschaffung von Zigarettenautomaten,
- eine deutliche Erhöhung der Tabaksteuer,
- die Abschaffung der Subventionen für den Tabakanbau,
- wirksamere Maßnahmen gegen den Tabakschmuggel,
- eindeutigere Maßnahmen zur Kontrolle des Tabakgebrauchs.

In den letzten Jahren wurde der Bedeutung der Tabakprävention und der Raucherentwöhnung national und international eine höhere Be- deutung zugemessen. Im März 2002 fand die vierte Verhandlungsrunde zur Weiterentwicklung der Tabakrahmenkonventionen der WHO statt. In Deutschland wurde unter Federführung der Gesellschaft für Versi- cherungswissenschaft und -gestaltung e.V. im Rahmen der Entwicklung von Gesundheitszielen eine Arbeitsgruppe zum Thema „Tabakkonsum reduzieren“ eingerichtet. Zielsetzung ist es, die vorhandenen Aktivitäten zu bündeln und weiterzuentwickeln (vgl. Weissinger, 2002). Das Euro- pabüro der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat am 01.01.1999 im Rahmen seines „dritten Aktionsplan für ein tabakfreies Europa“ das eu- ropäische WHO Tabakprojekt ins Leben gerufen. Der Aktionsplan sieht fünf Strategien vor, um die Gesundheitsgefährdung durch den Tabak- konsum zu reduzieren (vgl. Goecke, 2002):

1. Verbesserung der Tabakkontrolle durch Maßnahmen der Markt- regulierung, wie Tabaksteuererhöhung, Abgabeverbot an Kinder und Jugendliche, Tabakwerbeverbot, Bekämpfung des Schmuggels sowie verbesserte Produktkontrolle (Produktkennzeichnung und Produktinformation),
2. Schadenersatzklagen auf Basis der Produkthaftung,
3. gesetzliche Regelungen zum Nichtraucherschutz in der Öffentlich- keit und am Arbeitsplatz,
4. Förderung von Raucherentwöhnungshilfen,
5. Schulung und Aufklärung der Öffentlichkeit über die Gesundheits- gefahren des Rauchens und Motivation zum Rauchstopp.

Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS, 2003a), ein Zusammenschluss von 26 bundesweit in der Suchtprävention und Suchtkrankenhilfe tätigen Verbänden, gab im Jahr 2003 den „Aktionsplan Tabak“ heraus. Hierin werden für eine wirksame Tabakkontrollpolitik ebenfalls ein breites Bündel von Maßnahmen gefordert:

- Erhöhung der Tabaksteuer und eine Präventionsabgabe auf Tabak- produkte,
- umfassende Verbote von Tabakwerbung und Sponsoring,
- Verkaufsbeschränkungen für Tabakprodukte,
- verbesserte Produktkontrolle und Verbraucherinformation,
- Ausweitung des Nichtraucherschutzes,
- intensive Bekämpfung des Zigarettenschmuggels,
- flächendeckende Angebote wirksamer Tabakentwöhnungsmaß- nahmen,
- kontinuierliche Angebote präventiver Maßnahmen für Schulen, Betriebe etc.,
- regelmäßige massenmediale Kampagnen.

In ihrem Aufsatz „Perspektiven der Drogen- und Suchtpolitik aus Sicht der Bundesregierung“ schreibt die Drogenbeauftragte (Caspers-Merk, 2003):

Die Prävention des Tabakkonsums ist ein wichtiges gesundheitspolitisches Ziel. In Deutschland gibt es zu viele starke Raucher. Das Einstiegsalter für das Rauchen ist mit 13,6 Jahren deutlich zu niedrig. An den Folgen des Ta- bakkonsums sterben in Deutschland zu viele Menschen. Gerade die Zu- nahme bei jugendlichen Rauchern, vor allem jungen Mädchen, gibt Anlass zur Sorge. (S. 10)

An Maßnahmen soll neben verschiedenen Präventionsmaßnahmen auch die Tabakindustrie in die Verantwortung für den Jugendschutz genommen worden: Diese soll der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in den nächsten fünf Jahren insgesamt 11,8 Mio. Euro für Tabakpräventionsprojekte für Kinder und Jugendliche zur Verfügung stellen. Auf den Inhalt habe die Tabakindustrie keinen Einfluss. Ferner sei geplant, dass Präventionsprogramme in den Schulen nicht mehr zeitlich befristete „Sondermaßnahmen“ seien, sondern regelmäßig stattfinden und so zur Normalität werden. Zudem sei vorgesehen, die Umsetzung des gesetzlichen Jugendschutzes, das Abgabeverbot von Tabakwaren an Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren und das Wer- beverbot für Tabakwaren in Kinos bis 18 Uhr auch wirksam vor Ort zu kontrollieren.

Einige der aufgestellten Anregungen und Forderungen der WHO, der DHS und der Deutschen Krebshilfe wie bessere Information über die schädlichen Wirkungen (Aufdrucke auf Zigarettenpackungen) oder die Verteuerung des Zigarettenpreises (letzte Preisanhebung am 01.03.04, zwei weitere zu jeweils 30 Cent sind für 2005 und 2006 geplant) sind inzwischen umgesetzt worden. Ferner hat sich inzwischen der Nicht- raucherschutz in den Betrieben verbessert. Weitere Maßnahmen, wie Zigarettenautomaten, die nur mit Chipkarten funktionieren, um Kindern und Jugendlichen den Zugang zu Zigaretten zu erschweren, sind durch ein entsprechendes Gesetz bis zum Jahr 2007 umzusetzen. Ein weite- rer Punkt, der in der letzten Zeit beobachtbar war ist, dass sich auch Tageszeitungen und Zeitschriften verstärkt dem Thema annehmen. So hat dieses Jahr der Wettbewerb „Rauchfrei 2004“ des Deutschen Krebsforschungszentrums (2004) im Auftrag der BzgA und unterstützt durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wieder große Aufmerk- samkeit durch die Presse erfahren. Als weiterer Fortschritt ist zu ver- zeichnen, dass auch die Krankenkassen wieder ein verstärktes Enga- gement bei der (Mit-) Finanzierung von Raucherentwöhnungskursen zeigen. Insgesamt gesehen sollten jedoch die Bemühungen, das Rau- chen zu reduzieren, weiter verstärkt und finanziell besser unterstützt werden.

2.4 Pharmakologische Aspekte des Rauchens

Nikotin ist im Reinzustand eine gelblich-ölige Flüssigkeit und gilt als der Hauptwirkstoff des Tabaks. Es ist das Hauptalkaloid der Tabakpflanze und wirkt psychotrop, was bedeutet, dass es auf das seelische Befin- den einwirkt und so eine psychische wie auch physische Abhängigkeit verursachen kann. Beim inhalieren durchdringt das Nikotin rasch die Blut-Hirnschranke und wird in einigen Hirnteilen, wie dem Stammhirn, Hypothalamus, Hippocampus, Septum und Cortex aktiv aufgenommen. Kleine Dosen von Nikotin erregen, während große zu hemmenden Ef- fekten führen. Das Nikotin führt zu Veränderungen im gesamten Ner- vensystem (vgl. Haustein, 2001; Kröger, 2001; DHS, 2003):

- Es bewirkt die Freisetzung der Transmitter Adrenalin, Noradrenalin, Vasopressin, Serotonin, beta-Endorphin, ACTH, Cortisol, Prolactin sowie von Dopamin im mesolimbischen Sytstem.
- Es führt zum Anstieg der Katecholamine im strömenden Blut mit der Beeinflussung des Blutdrucks, der Herzfrequenz und von Blutgerin- nungsfaktoren.
- Es bewirkt die unterschiedliche Steigerung der Magensäuresekre- tion bei ulzerogener Wirkung über die verminderte Durchblutung der Schleimhaut.
- Es führt (in niedrigen Dosen) zu einer erregenden Wirkung auf das Zentralnervensystem (Tremor, Dämpfung von Emotionen, Steige- rung des Konzentrationsvermögens).
- Es hat (in niedrigen Dosen) eine atemstimulierende Wirkung.

Raucher erlangen rasch eine Toleranz gegenüber den anfänglich aver- siven Effekten des Nikotins und gewinnen an Sensitivität bezüglich der stimulierenden Effekte. Die unmittelbare Wirkung, die wenige Sekunden nach der Inhalation am Wirkort angenehme psychotrope Effekte entfal- tet, erklärt die hohe Suchtpotenz dieser Substanz (vgl. Batra, 2000).

Der Raucher selbst empfindet als (unmittelbar) positive Folgen des Rauchens (vgl. Haustein, 2001; Schoberberger & Kunze, 1999; Unland, 1995):

- eine anregende oder beruhigende Wirkung (abhängig von der Dosis und der Ausgangslage des Organismus),
- ein erhöhtes Genussempfinden,
- eine Stimmungsaufhellung,
- Gefühl der reduzierten Langeweile,
- erhöhte Aufmerksamkeit und Gedächtnissteigerung,
- erhöhte Leistungen bei sich wiederholenden Aufgaben,
- ein Nachlassen von Schmerz- und Hungergefühlen,
- ein beschleunigter Stoffwechsel und eine Gewichtsreduktion,
- eine Erleichterung des Stuhlganges.

Die zerebrale Halbwertzeit des Nikotins beträgt etwa 15 Minuten. Bei der Reduktion oder dem Absetzten des Zigarettenkonsums können je nach Schwere der Abhängigkeit folgende Entzugserscheinungen für einen Zeitraum von in der Regel ein bis vier Wochen auftreten (vgl. Haustein, 2001; Kröger, 2001; Batra & Buchkremer, 2004):

- heftiges Verlangen nach Zigaretten („craving“),
- leichte Erregbarkeit und Ruhelosigkeit,
- Reizbarkeit und Aggressivität,
- depressive Verstimmungen,
- verminderte Herzfrequenz,
- Konzentrationsstörungen,
- Angstgefühle,
- Hungergefühl und Gewichtszunahme,
- Verdauungsstörungen,
- Müdigkeit,
- Schlafstörungen und Schläfrigkeit.

Nikotin als Giftstoff kann bei Überdosierung für den Menschen sehr gefährliche Folgen haben. Sie reichen von unangenehmen Wirkungen wie Schwindelgefühl, Hyperthermie, Hautblässe, Brechreiz, Schweißsekretion, Anorexie, Tremor, Blutdruckabfall bis hin zur zentralen Erregung, zur Atemlähmung sowie zum Kreislaufkollaps. Für einen nicht an Nikotin gewöhnten Menschen kann die einmalige Gabe von 60 mg tödlich wirken (vgl. Unland, 1995; Haustein, 2001).

2.5 Tabakassoziierte gesundheitliche Schäden

Krankheiten, die bei Rauchern sehr viel häufiger als bei Nichtrauchern auftreten, nennt man „tabakassoziierte Krankheiten“. Zunächst scheint das Rauchen kaum gefährlich zu sein. Die akuten Wirkungen sind rela- tiv gering und harmlos. Es entsteht auch kein Rausch wie nach dem Trinken von Alkohol oder dem Konsum von illegalen Suchtmitteln. Die gravierenden Folgeschäden treten im Allgemeinen erst nach langer Zeit auf. Daher kann der Raucher das Gesundheitsrisiko lange Zeit verleug- nen. Die gesundheitlichen Schäden, die durch das Rauchen entstehen, sind in vielen wissenschaftlichen Studien eindeutig bewiesen worden. Alleine in Deutschland sterben jedes Jahr zwischen 90000 und 140000 Menschen an den Folgen ihres Zigarettenkonsums. Zum Vergleich: Die Zahl der alkoholbedingten Todesfällen liegt bei ca. 42000 Menschen und bei sogenannten Drogentoten bei ca. 2000 Menschen jährlich (vgl. DHS, 2003).

Jede gerauchte Zigarette verkürzt die Lebenserwartung des Rauchers um durchschnittlich fünf Minuten. Ein Raucher inhaliert beim Rauchen ein Gemisch von etwa 4000 mehr oder weniger toxischen Stoffen. Es handelt sich um Kanzerogene, verschiedene organische Verbindungen, Lösungsmittel, Schwermetalle sowie gasförmige Stoffe, die ebenfalls gesundheitsschädigende Eigenschaften besitzen, vor allem das Koh- lenmonoxid. Die Wirkungen des Nikotins auf das Herz und den Kreis lauf (Zunahme der Herzschlagfrequenz, Blutdruckanstieg, Abnahme der Hautdurchblutung und der Hauttemperatur) und seine psychotropen Wirkungen wurden bereits beschrieben. Das Kohlenmonoxid führt zu einer verminderten Versorgung des Gewebes mit Sauerstoff und zu Gefäßschädigungen. Die negativen Folgen sind eine Erhöhung der Er- krankungsrate an koronaren Herzkrankheiten, Ateriosklerose und Schlaganfall. Noch unzureichend erforscht ist nach Kröger (2000), wel- che der mehr als 40 identifizierten karzinogenen Substanzen des Ziga- rettenrauchs für die verschiedenen Krebserkrankungen verantwortlich sind (vgl. auch Haustein, 2001).

Schoberberger und Kunze (1999) ordnen die bekannten tabaksassoziierten Gesundheitsstörungen nach Organsystemen wie folgt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Kröger (2000) konstatiert, dass Raucher mit sehr viel größerer Wahrscheinlichkeit als Nichtraucher an folgenden Erkrankungen leiden:

- Krebserkrankungen (Lunge, Mundhöhle, Kehlkopf, Speiseröhre, Nieren, Blase, Magen, Darm, Haut),
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen,
- Arterienverkalkung,
- Durchblutungsstörungen (Raucherbein, Herzinfarkt, Schlaganfall, Impotenz),
- Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre,
- Lungenentzündung, Bronchitis, Lungenemphysem,
- Genschäden, Veränderungen im Erbgut die für die Krebsabwehr wichtig sind,
- Erblindung (Rauchen schädigt die Netzhaut, starke Raucher erblin- den doppelt so häufig wie Nichtraucher).

Ferner können schon bestehende gesundheitliche Störungen, wie Asthma oder Diabetes, durch das Rauchen verstärkt werden.

Außer gesundheitlichen Schäden für den Raucher selbst und für den Embryo bei einer rauchenden schwangeren Mutter, ergeben sich zu- sätzlich gesundheitliche Gefahren für Personen, die den Rauch des Tabaks einatmen (Passivrauchen). Nur ca. ein Viertel des Tabakrauchs wird von dem Raucher selbst eingeatmet (Hauptrauchstrom). Der restli- che Rauch (sogenannter Nebenstrom), der 50% mehr karzinogene und toxische Stoffe als der direkt eingeatmete Rauch enthält, gelangt unge- filtert in die Luft. Passivraucher haben, wenn sie über einen langen Zeit- raum regelmäßig Tabakrauch aufgenommen haben, ein erhöhtes Ri- siko für Lungenkrebs und Herzinfarkt. Für Allergiker und Asthmatiker erhöht sich das Risiko einer Krankheitsverschlimmerung. Für Kinder als Passivraucher erhöht sich das Risiko des plötzlichen Kindstod, einer Atemwegserkrankung, von Asthma, sowie Mittelohrinfektionen und Al- lergien (vgl. Kröger, 2000).

Ein besonderes gesundheitliches Risiko ist bei einer kombinierten Abhängigkeit gegeben. Nach Haustein (2001) kommt es bei einer Alkoholabhängigkeit und Rauchen zu einem gehäuften Auftreten von Tumoren im Kopf- und Halsbereich. Hierbei ist hervorzuheben, dass das Erkrankungsrisiko bei dem Konsum beider Substanzen höher ist, als es mit einer Addition zu erwarten wäre.

2.6 Entstehung und Aufrechterhaltung der Tabak- / Nikotinabhängigkeit

2.6.1 Das Trias-Modell

In dem in den 70ern Jahren von Kielholz und Ladewig (1972) entwikkelten Trias-Modell geht es um ein Wechselspiel der Hauptfaktoren Individuum (Persönlichkeit), Umwelt und Droge als Entstehungsursache von Abhängigkeit. Sie tragen zu unterschiedlichen Anteilen an der Entstehung und Aufrechterhaltung von süchtigem Verhalten bei. Grundsätzlich wird von biologischen, psychologischen und soziologischen Ursachen der Suchtentstehung gesprochen. Die Faktoren beeinflussen sich gegenseitig und können somit nur einzeln betrachtet nicht das Entstehen einer Sucht erklären (vgl. Laux, 2001).

Das Triasmodell beschreibt kein Ursachen- und Bedingungsgefüge, sondern ein Rahmenmodell, in das eine Vielzahl von Ansätzen eingeordnet werden kann. Auf die einzelnen Faktoren des Modells werde ich im Folgenden kurz eingehen:

a) Der Faktor Individuum (Persönlichkeit)

Der Faktor Person umfasst Variablen, welche als die individuellen Glie- der in der Entstehungskette süchtigen Verhaltens definiert werden kön- nen. Dazu zählen die körperliche und psychische Disposition, Persön- lichkeitseigenschaften, Risikobereitschaft, Gegenwartsorientierung, Erwartungshaltung, Persönlichkeitsentwicklung / Biographie, aktuelle Stresssituation etc. (vgl. Laux, 2001; Niebaum, 2001).

Folgende charakteristische Eigenschaften machen Menschen oft besonders anfällig für Suchtstörungen und sind somit Risikofaktoren (vgl. Beck et al., 1997):

- allgemein hohe Sensibilität für unangenehme Gefühle,
- geringe Motivation, Kontrolle über sich auszuüben,
- starke Impulsivität,
- Suche nach Erregung und geringe Toleranz gegenüber Reizmangel (z.B. Langeweile),
- geringe Frustrationstoleranz,
- unzureichende Strategien zum Lustgewinn und ein Gefühl der Hoff- nungslosigkeit, persönlich wichtige Ziele zu erreichen.

b) Der Faktor Umwelt

Hierzu gehört das soziale Umfeld (die mikrosoziologische Perspektive) und die gesellschaftlichen Bedingungen (makrosoziologische Perspektive). Zu den Umweltmerkmalen, die ihrerseits in einer Wechselbeziehung zu den Persönlichkeitsmerkmalen und der Droge stehen, werden Störungen aus dem Nah- und Fernbereich gezählt.

Zu den umweltbedingten Risikofaktoren zählen nach Laux (2001):

- „Broken home“,
- elterliches Vorbild (Konsum der Eltern),
- schlechtes Familienklima,
- „Erziehungsfehler“,
- Gruppenzwänge in der Peergroup,
- Freizeitvakuum,
- enge Freunde konsumieren Suchtmittel,
- Konfliktsituationen (Schule, Partnerschaft etc.).

Ferner können gesellschaftliche Faktoren, wie die Struktur der Gesell- schaft, Phänomene des sozialen Wandels, allgemein vorherrschende Konsumgewohnheiten und -sitten, Werbung und Modeeinflüsse, Bildungs- und Berufssituation, Verfügbarkeit u.a. zusätzliche Risikofaktoren darstellen (vgl. Niebaum, 2001).

c) Der Faktor Droge

Zum Faktor Droge gehören die spezifischen Eigenschaften (Suchtpo- tenz) und Wirkungen der psychotropen Substanzen sowie die Art und Intensität des Drogengebrauchs. Ferner gehören zu diesem Faktor die Verfügbarkeit (Griffnähe) und das Angebot. Tabakwaren zählen in Deutschland zu den sogenannten legalen Suchtmitteln. Sie sind zur Zeit noch sehr leicht verfügbar und auch für Kinder durch öffentlich auf- gestellte Zigarettenautomaten leicht zugänglich. Zu der Suchtpotenz konstatiert Haustein (2001): „Nikotin verfügt über eine abhängigkeits- fördernde Wirkung, die mit der von Heroin, Kokain und Alkohol zu vergleichen ist, psychotoxische Wirkungen fehlen jedoch weitgehend“ (S. 446).

Die unmittelbare Wirkung, die wenige Sekunden nach der Inhalation am Wirkort angenehme psychotrope Effekte entfaltet, erklärt die hohe Suchtpotenz dieser Substanz.

Nach dem Triasmodell der Suchtentstehung entwickelt sich Sucht / Abhängigkeit über den Gebrauch und den Missbrauch einer Substanz. Die Übergänge sind hierbei fließend. Im nächsten Punkt wird näher auf Ansätze des kognitiv-verhaltenstherapeutischen Störungskonzeptes der Abhängigkeit eingegangen.

2.6.2 Das kognitiv-verhaltenstherapeutische Störungskonzept

In den westlichen Industrienationen und damit auch in Deutschland kann davon ausgegangen werden, dass die gesundheitsschädlichen Folgen des Rauchens den potentiellen Konsumenten bewusst sind. Trotz dieses Wissens beginnen junge Menschen mit dem Rauchen. Diemeisten Raucher beginnen ihre Karrieren vor dem 20. Lebensjahr, also noch im Jugendalter. In den letzten Jahren sank das Einstiegsalter für den Zigarettenkonsum immer weiter ab. Viele Kinder im Alter von 10 bis 15 Jahren haben bereits Erfahrungen mit der Zigarette gesammelt (vgl. DHS, 2003).

Weshalb Menschen trotz der bekannten gesundheitsschädlichen Folgen mit dem Rauchen anfangen und warum sie es trotz der bekannten Risiken beibehalten, kann mit dem kognitiv-verhaltenstherapeutischen Störungskonzept erklärt werden. Hiernach wird niemand als Raucher geboren, sondern Rauchen stellt ein erlerntes Verhalten dar und Lernprozesse sind auch für die Aufrechterhaltung des Rauchens verantwortlich (vgl. Bühringer, 1999; Unland, 1999). Im Folgenden werden die lerntheoretischen Ansätze vorgestellt.

a) Soziales Lernen / Lernen am Modell

In Form von sozialem Lernen bzw. auch Modelllernen wird das Rauch- verhalten der Umgebung (Vorbilder, Freunde, Eltern, Geschwister etc.) übernommen, wenn es positiv attribuiert wird. Lernen am Modell spielt vor allem bei dem Einstieg ins Rauchen eine große Rolle. Bei der Auf- rechterhaltung der Sucht kommt ihm ebenfalls eine Bedeutung zu. So ist es z.B. im Alltag beobachtbar, dass Raucher automatisch zur Ziga- rette greifen, wenn sie mit anderen Rauchern am Tisch sitzen und diese zur Zigarette greifen (vgl. Batra & Buchkremer, 2004; Vollmar, 2000).

b) Suchtspezifische Grundannahmen und Überzeugungen

Erwartungen an die Wirkungen des Rauchens spielen eine wichtige Rolle für die Entwicklung und die Manifestierung der Abhängigkeit. Fer- ner sind es auch die Erwartungen an die Folgen der Abstinenz, die viele Raucher daran hindern, das Rauchen zu beenden, und die so zur Auf- rechterhaltung des Verhaltens beitragen. Die Einstellung der Raucher zur Tabakabstinenz sind teilweise geprägt durch Katastrophisierungen, absolutistisches Denken und geringe Frustrationstoleranz. Bei einem Abstinenzversuch werden furchtbare Folgen erwartet („Dann drehe ich durch“, „Ohne Zigarette kann ich mein Leben nicht mehr genießen“ etc.), die offensichtlich unrealistisch sind. Realistisch ist, dass die Ta- bakentwöhnung für einige Tage, Wochen oder Monate unangenehm, anstrengend und lästig ist. Ferner existieren bei Rauchern absolute Forderungen, wie z.B. „Es darf mir nicht schwer fallen“, „Ich darf nicht gereizt sein“ oder „Ich darf nicht an Gewicht zunehmen“. Realistisch ist, dass die Entwöhnung unterschiedlich schwer fällt und es normal ist, wenn der ehemalige Raucher zu Beginn der Abstinenz gereizt ist und die meisten während der Entwöhnung an Gewicht zunehmen. Ein wei- teres Problem besteht in einer geringen Frustrationstoleranz, die sich in Einstellungen wie „Ich habe es eh schon schwer im Leben, da kann ich mir eine Tabakentwöhnung nicht auch noch zumuten“, „Wenn es mir schlecht geht, dann brauche ich einfach eine Zigarette“ oder „Ich kann gewisse Situationen ohne Zigarette nicht aushalten“ widerspiegelt (vgl. Unland, 1999).

[...]

Ende der Leseprobe aus 91 Seiten

Details

Titel
Zielgruppenspezifische Behandlungsstrategien zur Modifikation des Rauchverhaltens bei suchtmittelabhängigen Patienten in der Adaptionsphase
Hochschule
Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen
Veranstaltung
Suchthilfe
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
91
Katalognummer
V183669
ISBN (eBook)
9783668314580
ISBN (Buch)
9783668314597
Dateigröße
798 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
zielgruppenspezifische, behandlungsstrategien, modifikation, rauchverhaltens, patienten, adaptionsphase
Arbeit zitieren
Joachim Finking (Autor:in), 2004, Zielgruppenspezifische Behandlungsstrategien zur Modifikation des Rauchverhaltens bei suchtmittelabhängigen Patienten in der Adaptionsphase, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/183669

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