Lebenslauf- und Biographieverläufe aus soziologischer Perspektive. Auf welchen Grundlagen entscheiden Menschen zwischen Familie und Beruf?


Elaboration, 2011

17 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
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2. Verknüpfung von Familiengründung und Erwerbsarbeit
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3. Umgang mit Unsicherheit
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4. Handeln und Entscheiden im Lebenslauf - Elternschaft als rationale
Entscheidung?
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5. Ankerthese: Individualisierungsthese
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6. Resümee
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Literaturangaben
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1. Einleitung
Die systematische Untersuchung von Lebensläufen ist seit den 70er Jahren auch in
Deutschland präsent. Dies liegt neben dem beschleunigten sozial-gesellschaftlichen
Wandel, der steigenden Erwerbstätigkeit von Frauen, der Zunahme der
Lebenserwartungen vor allem auch an der Krisenanfälligkeit des Beschäftigungs- und
Familiensystems. Diese Veränderungen haben in der modernen Gesellschaft insgesamt
zu einer Veränderung der Struktur des Lebenslaufes geführt. Aus soziologischer
Perspektive gibt es zwei wesentliche Merkmale, die bei der Betrachtung des Lebenslaufes
zu berücksichtigen sind. Erfahrungen, die den Lebenslauf von Menschen nachzeichnen,
beziehen sich zum einen auf herausragende historische Ereignisse, aber auch auf
institutionelle und kulturelle Kontextbedingungen. Eine zentrale Frage ist dabei die nach
der Beeinflussung der Gestaltung des Lebenslaufes durch soziale Ungleichheit und
Geschlechterdifferenz. Der moderne Lebenslauf kann somit als Koprodukt
sozialstruktureller Bedingungen und individueller Handlungen im Zeitablauf gesehen
werden (vgl. Settersten 2003). Interessant ist dabei die Betrachtung der Zusammenhänge
zwischen Institutionen, StatusübergaÅNngen sowie den damit verknüpften Biographien. In
Deutschland prägen die Erwerbsarbeit und wohlfahrtsstaatliche Sicherungssysteme die
Struktur des Lebenslaufes maßgeblich. Gleichzeitig haben jedoch an den Übergängen
zwischen den Lebensphasen die individuellen Wahlmöglichkeiten und Risiken
zugenommen. Die damit verbundene Individualisierung ist nicht unabhängig von der
sozialstaatlichen abgefederten Arbeitsgesellschaft zu denken. Es drängt sich die Frage
nach der Ursache für diese Entwicklungen auf. Wie hat sich die Unsicherheit in
Statusübergängen entwickeln können? Wie gehen junge Erwachsene mit der Planung von
Karriere und Familie um? Auf welche Erfahrungen, Ansichten oder Muster greifen sie
dabei zurück? Und wie hat sich diese Unsicherheit überhaupt entwickeln können? Auf die
zusammenfassende Leitfrage: ,,Warum ist es so schwierig ein nicht festgelegtes
Lebenslaufmuster zu durchfahren?" soll im Rahmen dieser Examensklausur näher
eingegangen werden. Dazu werde ich in einem ersten Schritt auf die Verknüpfung von
Familiengründung und Erwerbstätigkeit näher eingehen, um die Unsicherheit zwischen
Erwerbsarbeit und Familienplanung- bzw. gründung junger Erwachsener näher zu
beleuchten. In einem weiteren Schritt werde ich ein von Zinn/Esser entwickeltes Modell
von Sicherungskonstruktionen vorstellen, wonach sich Begründungs- und
Handlungsmuster von Individuuen klassifizieren lassen. Weiterhin soll diskutiert werden,
inwieweit über Familiengründung rational entscheiden werden kann, bevor in einem
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letzten Schritt die historische Grundlage, auf der diese Entwicklung beruhen, in ihren
Grundlagen skizziert wird.
2. Verknüpfung von Familiengründung und Erwerbsarbeit
Bevor es um die Darstellung der empirischen Ergebnisse zum Zusammenspiel von
Familiengründung und Erwerbsarbeit/ Karriere geht, muss im Vorfeld geklärt werden, wie
es zu einem möglichen Konflikt zwischen diesen beiden Teilbereichen des Lebens
kommen konnte. Dazu lässt sich die Chronologisierung des Lebenslaufes nach Kohli
(1989) anführen, nach der das Leben in drei wesentliche Bereiche gegliedert werden
kann. Dazu gehören Bildungs-, Erwerbstätigkeits-, und Ruhestandsphase. Diese historisch
neuere Entwicklung gliedert die Bevölkerung nach Alterskritierien, welche sich mit den
jeweiligen Mitgliedsschafts- und Beteiligungschancen an den verschiedenen
gesellschaftlichen Institutionen verbindet. Das Alter ist also ein wesentliches Merkmal,
dass die Passagen von Menschen in und aus sozialen Rollen und Statuspositionen formt.
Die Gesellschaft errichtet also einen Zeitplan, der die Altersbereiche für die zentralen
Lebensereignisse definiert. Währenddessen Altersnormen innerhalb schulischer
Statuspassagen noch einzuhalten sind, sieht dies bei nachschulischen Statuspassagen
(Erwerbstätigkeit und Familiengründung) anders aus. Durch die Verweildauer an
Hochschulen, sowie die Verschlechterung der Arbeitsmarktchancen von Akademikern,
werden Bildungsverläufe länger und erscheinen notwendig, um auf dem Arbeitsmarkt
bestehen zu können. Das Resultat ist die zunehmend wichtigere Lebensphase, die als
verlängerte Phase des Übergangs von der Jugend in das Erwachsenenalter zu
beschrieben ist. Es bleibt bis hier hin festzuhalten, dass mit Veränderungen in der
Bildungsbeteiligung und in der Dauer der Berufs- und Hochschulausbildung sich auch die
Normen für das zeitangemessene Alter für zentrale Lebensereignisse wandelt (bspw.
Familiengründung). Der Prozess der Verlängerung der Bildungs- und Ausbildungsdauer ist
aus zeitlicher Sicht seit den 60er Jahren zu beobachten. Hinter dieser ,,Post-Adoleszenz"
steckt ein ambivalentes Lebensmuster. Viele kulturelle und materielle Erwartungen
signalisieren einen zügigen Übergang; die fehlenden Chancen und damit verbundenen
Risiken auf dem Arbeitsmarkt machen es jedoch zunehmend schwierig, die Erwartungen
an eine unabhängige erwachsene Lebensführung zu erfüllen. Mehrere Studien zeigen
( v g l . B u c h m a n n 1 9 8 9 / Wa l t h e r 2 0 0 0 / S h e l l - J u g e n d s t u d i e ) , d a s s h ö h e r e
Bildungsabschlüsse, Heirat und Geburt des ersten Kindes im Vergleich zu den 60er
Jahren in einer späteren Altersspanne stattfinden. Dies bedeutet, dass es eine
zunehmende Variation im Zeitpunkt und Ablauf von Übergängen ins Erwachsenenalter
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gibt. Buchmann (1989) spricht in diesem Kontext auch von einer partiellen
Destandardisierung des Übergangs ins Erwachsenenleben. Dis ginge nach ihm mit einer
stärkeren Individualisierung der Biographien in den jungen Generationen einher.
Interessant ist dabei, dass trotz der Pluralisierung von Lebensformen und
Biographieverläufen nach wie vor soziale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern
herrscht. Man könnte meinen, dass diese Prozesse in gleicher Weise auf Frauen wie
Männer zutreffen. Krüger/Levy (2000) zeigen aber, dass es trotz sozialer
Wandlungsprozesse im Geschlechterverhältnis und der damit zunehmenden
Berufstätigkeit der Frau, die Aufgabenverteilung innerhalb einer Partnerschaft nur in einem
beschränkten Maße verändert hat. Geschlechtsspezifische Unterschiede bzgl. Des
Einkommens sowie des beruflichen Status bestehen weiterhin, sodass auch der
Arbeitsmarkt in jeglicher Hinsicht durch Geschlechterungleichheit geprägt ist (vgl. Becker-
Schmidt/Knapp 1995). Diese Prozesse auf dem Arbeitsmarkt stehen in Zusammenhang
mit geschlechtsspezifischen Handeln in der Elternschaft, sodass auch heutzutage die
Mutter meistens die Hauptverantwortung für die Kinderbetreuung trägt und dazu teilweise
aus dem Berufsleben aussteigt. Die Statuspassage in die Familie stellt somit für Frauen
und Männer die Weichen anders und führt zu einer ungleichen Verteilung von Chancen
und Risiken im Erwerbsleben (Krüger 1995). Die steigende ,,Pluralisierung" von
Lebensformen und Übergangswege in die Elternschaft und in den Beruf ist an der
steigende Heterogenität von Biographieverläufen durch viele Studien belegt (Birkelbach
1998). Diese gestiegene Optionalität des individuellen Handelns führt zunehmend zu der
Anforderung des ,,Biographiemanagements", d.h. berufsübergreifende Entscheidungen zu
treffen und Planungen auszuarbeiten. Für junge Erwachsene bedeutet dies konkret; sich
im Berufsleben zu etablieren, einen geeigneten Partner zu finden, familiale Lebensformen
zu antizipieren und mit beruflichen Überlegungen zu kombinieren. Hinzu kommt eine
historische Entwicklung die alles andere als unterstützend ist. Die verbindliche Sicherheit
für die Gestaltung des Übergangs in die Familie und Beruf hat im historischen Trend eher
abgenommen.
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Die Shell-Jugendforschungsstudie greift diese Thematik auf und kommt zu
dem Ergebnis, dass beide Geschlechter Beruf und Familie als ein zentrales
Lebenskonzept darstellen. In der Altersgruppe von 22-24jährigen jungen Erwachsenen, für
die die Kinderfrage allmählich konkreter wird, zeigt sich, dass bei Jungen im Altersverlauf
kaum Änderungen ihrer Einstellungen wieder zu finden sind, währenddessen bei Mädchen
hingegen schon Tendenzen in Richtung Familie erkennbar sind (also weg vom Beruf). Das
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Auf die verschiedenen Möglichkeiten von Sicherungskonstruktionen wird im kommenden Kapitel näher
eingegangen

Forscherteam Witzel und Kühn beziehen sich in ihrer empirischen Untersuchung genau
auf diese Ergebnisse. Die diskutieren, ob diese Bewertung der Ergebnisse einer
differenzierten Analyse standhält. Dazu haben sie ihrer Empirie ein Handlungskonzept
zugrunde gelegt, dass Konstanz sowie Veränderung von Orientierungs- und
Handlungsmustern bzgl. Beruf und Familie als Entwicklungsprozess im Rahmen von
Sozialstrukturerfahrungen auffasst. Ihr Datenmaterial entnehmen beide einem eigenen
Forschungsprojekt (,,Statuspassagen in die Erwerbsarbeit"), welches einer langen Laufzeit
im Forschungskontext der Stadt Bremen verpflichtet ist. Innerhalb dieses Datenmaterials
unterschieden sie zwei Subgruppen. Die erste Gruppe bestand aus Befragten, die im
Beobachtungszeitraum von ca. 8 Jahren nach Abschluss ihrer Berufsausbildung eine
Familie gegründet haben (im Sinne von Kinder bekommen). Bei der zweiten Gruppe
dagegen existierte bei der Befragung (noch) kein Kinderwunsch bzw. wurde noch nicht
realisiert. Ebenfalls muss die Zielgruppe der Befragten betrachtet werden. Es handelt sich
bei Befragtengruppe nicht um Akademiker, sondern um junge Erwachsene beiden
Geschlechts in unterschiedlichen Berufen (bspw. KFZ-Mechaniker, Schlosser,
Einzelhandelskauffrau, Friseurin etc.), die ihre duale Ausbildung Anfang der 90er Jahre
abgeschlossen hatten.
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Um zu sehen, wie sich Erwerbseinstiege vollziehen haben die
Forscher des Bremer Sonderforschungsbereiches quantitative als auch qualitative
Erhebungsmethoden in ihrer Längsschnittstudie verknüpft. Das quantitative Panel bestand
d a b e i a u s m e h r f a c h e n U n t e r s u c h u n g e n d e r e r h o b e n e n D a t e n s ä t z e
(Fragebogenerhebung). Das qualitative Panel zeichnete sich durch die Erhebung von
problemzentrierten Interviews aus, welche sich vor allem auf die Gestaltung der
Berufsbiographie und der Entwicklung von Überlegungen zur Familiengründung
konzentrierten. Die Daten wurden in insgesamt 4 Erhebungswellen gesammelt. Witzel und
Kühn konnten ihre quantitativ gewonnen Ergebnisse der vierten Erhebungswelle unter
dem Begriff ,,große Planungsunsicherheit" zusammenfassen. Von 1000 Befragten
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waren
von den 675 kinderlosen Befragten sich 23% unabhängig vom Geschlecht unsicher, ob sie
überhaupt Kinder haben möchten. 11% der Befragten wollten explizit kein Kind, 50%
formulierten einen Kinderwunsch, jedoch ohne genaue zeitliche Vorstellung und 15%
gaben an, einen konkreten Zeitpunkt für die Familiengründung für sich gesetzt zu haben.
Das bedeutet, dass insgesamt 1/4 der Befragten (die zum Zeitpunkt der Befragung noch
kinderlos waren) angaben, sich nicht sicher zu sein überhaupt Kinder zu bekommen.
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Geschlechtsspezifik und unterschiedliche, auch regionale Arbeitsmarktchancen wurden bei der Auswahl
beachtet
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zu dieser Zeit im Alter bis Ende 20
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Details

Title
Lebenslauf- und Biographieverläufe aus soziologischer Perspektive. Auf welchen Grundlagen entscheiden Menschen zwischen Familie und Beruf?
College
University of Duisburg-Essen  (Soziologie)
Course
Lebenslauf- & Biographieforschung
Grade
1,3
Author
Year
2011
Pages
17
Catalog Number
V183734
ISBN (eBook)
9783668743540
ISBN (Book)
9783668743557
File size
449 KB
Language
German
Keywords
Ulrich Beck, Manfred Kohli, Lebenslauf, Biografie, Biographie, Biographieverlauf, Lebensplanung, Individualisierung, Beck, Kohli, Settersen, Beck-Gemsheim, Familiengründung, Familie, Arbeit, Beruf, Elternschaft, Kinderlosigkeit
Quote paper
Kevin Niehaus (Author), 2011, Lebenslauf- und Biographieverläufe aus soziologischer Perspektive. Auf welchen Grundlagen entscheiden Menschen zwischen Familie und Beruf?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/183734

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