Comics2Games - Wie sich die Bilder steuern lernen


Master's Thesis, 2011

100 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1 EINLEITUNG

2 BEGRIFFE
2.1 COMIC
2.2 GRAPHIC NOVEL
2.3 DIGITALER COMIC
2.4 GAME
2.5 COMPUTER GAME
2.6 COMIC GAME

3 DIE AUSGEWÄHLTEN ANALYSEBEISPIELE
3.1 METAL GEAR SOLID: DIGITAL GRAPHIC NOVEL
3.2 ANOTHER CODE UND HOTEL DUSK
3.3 KAMI
3.4 COMIX ZONE

4 SEMIOTIK
4.1 COMIC-SEMIOTIK
4.2 GAME-SEMIOTIK
4.3 COMIC-GAME-SEMIOTIK
4.4 STIL-SEMIOTIK

5 STIL
5.1 STILANALYSE
5.2 MEIERS STIL-ANSATZ
5.3 AUSWAHL
5.3.1 Auswahl bei Metal Gear Solid: Digital Graphic Novel
5.3.2 Auswahl bei Another Code und Hotel Dusk
5.3.3 Auswahl bei kami
5.4 FORMUNG
5.4.1 Formung bei Metal Gear Solid: Digital Graphic Novel
5.4.2 Formung bei Another Code und Hotel Dusk
5.4.3 Formung bei kami
5.4.4 Text - Textblasen - Textfelder - Textrahmung
5.5 VERKNÜPFUNG
5.5.1 Verknüpfung bei Metal Gear Solid: Digital Graphic Novel
5.5.2 Verknüpfung bei Another Code und Hotel Dusk
5.5.2.1 Gleichzeitigkeit
5.5.2.2 Dialoge
5.5.3 Verknüpfung bei kami
5.5.4 Verknüpfung bei Comix Zone

6 SCHLUSSBEMERKUNGEN UND AUSBLICK

7 ANHANG
7.1 QUELLEN
7.1.1 Offline
7.1.2 Online
7.1.2.1 Videos
7.2 ABBILDUNGSVERZEICHNIS
7.3 TABELLENVERZEICHNIS

„Die Bilder und Bildfolgen lassen sich beschreiben, aber keine absoluten Bedingungen für andere Bildergeschichten daraus ableiten.“ (Dittmar 2008, S. 139).

1 Einleitung

Comics verfügen über ein immenses semiotisches Potential. Ihre Analyse wurde innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses bis dato größtenteils peripher bzw. nicht als Phänomen im Ganzen, sondern mittels Fokussierungen auf Einzelelemente durchgeführt, was einer nur schlaglichthaften Betrachtungsweise entspricht. Scott McCloud und Jakob F. Dittmar verfolgten mit ihren Werken entgegengesetzt dazu einen universellen Ansatz und sind auch Anhaltspunkte für die Analysen in der vorliegenden Arbeit. Wie die Comicforschung stellen auch die Game Studies einen relativ jungen Wissenschaftszweig dar, der quasi erst in den letzten Jahren zur Geltung kam: „es wird fast 30 Jahre dauern [ca. bis 2000], bis die Spielforschung neuen Wind bekommt“ (Furtwängler 2008, S. 547). Die Kombination dieser beiden akademischen Bereiche - das ‚Comic Game’ - kann gar als ‚unbeackertes’ wissenschaftliches Feld angesehen werden, wohl weil die als solche bezeichenbaren Spiele nur weinig ökonomische Tragweite hatten oder als einzeln zu betrachtende Produkte von geringerer Importanz erschienen.

Als Basis dieser Arbeit und dessen inhaltlicher Strukturierung dient Stefan Meiers Aufsatz „Wie die Helden laufen lernen“, an dessen Orientierung sich angeschlossen werden soll: „Im Fokus dieses Beitrags stehen visuelle Stilmittel, so dass ich weniger auf die sprachlichen Bildinhalte sowie deren inhaltliche Korrespondenzen mit den Bildern eingehe.“ (Meier 2009, S. 13).

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, Meiers Kategorisierung stilistischer Gesichtspunkte im Hinblick auf den Medienwechsel vom Comic zum Film hinsichtlich des ‚Transfers’ vom Comic zum Computerspiel anhand konkreter, ausgewählter Beispiele zu betrachten. Es sollen also Produktanalysen stattfinden und mögliche Besonderheiten herausgearbeitet werden. Mittel dazu ist der Vergleich, wie in Kapitel 5.1 erläutert.

Zu den einzelnen Kapiteln: Einleitend werden im zweiten Kapitel grundlegende Begriffsdefinitionen vorgenommen bzw. deren relevante Bedeutungsaspekte für die vorliegende Arbeit umrissen. Dazu abschließend sei der Begriff ‚Comic Game’ anhand diverser Kriterien entworfen. Im nächsten Schritt werden die zu betrachtenden Beispiele im dritten Kapitel vorgestellt. Es handelt sich konkret um: Metal Gear Solid: Digital Graphic Novel (im Folgenden abgekürzt mit MGSDGN), Another Code, Hotel Dusk, kami und Comix Zone. Dabei wird überprüft, inwieweit die Beispiele zum definierten Comic-Game-Begriff passen. Im Anschluss folgen im vierten Kapitel semiotische Betrachtungen, da das Verständnis semiotischer Aspekte für die im fünften Kapitel stattfindende Stilanalyse mit Bezug zu oben erwähntem Ansatz von Meier sinnvoll und hilfreich erscheint.

Insgesamt kann der ‚Stil’ der vorliegenden Arbeit als explorativ bezeichnet werden, was darin begründet liegt, dass hier eine Annäherung an ein spekulatives, schwer zu fassendes Phänomen versucht wird. Der Anspruch der Arbeit kann nur sein, einen ersten Einstieg in das ‚neue’ Themenfeld zu bieten, weswegen sich an dieser Stelle Julian Kücklichs Maxime seiner Betrachtungen zur Computerspielphilologie weitgehend angeschlossen werden soll:

„Wenn Computerspiele als Texte betrachtet werden, ist es daher angezeigt, sich auf die ‚Oberflächenphänomene’ zu konzentrieren und jegliche Spekulation über die zu Grunde liegende Struktur von vornherein auszuschalten.“ (Kücklich 2002, S. 60).

Es geht also um eine vordergründig phänomenologische Perspektive, allerdings auch mit Blick auf die Interaktion des Spielers mit den Bildschirm-Zeichen, quasi der Semiose beim Spielen, welche durchaus als nicht-oberflächlich bezeichnet werden kann (vgl. Kücklich 2002, S. 60).

2 Begriffe

Im Folgenden sollen, wie in der Einleitung bereits angedeutet, einige für diese Arbeit relevante Begriffe im Zusammenhang mit Comics beleuchtet und deren Skopus für die weitere Analyse ausgelotet werden. Die Termini werden im Weiteren auch für eine Definition des Comic Game Bedeutung erlangen.

2.1 Comic

Es war der Comicautor und -zeichner Will Eisner, der den Terminus der sequentiellen Kunst für Bilderzählungen prägte (vgl. Eisner 1994). Daran angelehnt existiert eine neuere und mittlerweile die vielleicht am weitesten verbreitete Definition des Comic von Scott McCloud, welche eine Vielzahl von Arten des Comic inkludiert: „Zu räumlichen Sequenzen angeordnete, bildliche oder andere Zeichen, die Informationen vermitteln und/oder eine ästhetische Wirkung beim Betrachter erzeugen sollen.“ (McCloud 1997, S.17).

Dies impliziert einen zentralen Aspekt des Comic: Die „Gleichzeitigkeit der Bilder“ (Dittmar 2008, S. 47). Scott McCloud weist an anderer Stelle ebenfalls nochmals explizit darauf hin, dass „die Bilder im Comic räumlich aufeinanderfolgen [sic]“ und „verschiedene Flächen einnehmen“ (McCloud 1997, S. 15). Es entsteht eine Art Meta-Bild bzw. -Panel oder auch Überbild (Dittmar S. 48/58; vgl. Eisner 2004, S. 63). Jakob F. Dittmar betont diesbezüglich den Zusammenhangscharakter dieser archetypischen Comic-Gestaltung: „Auch sind die Bilder des Comics nicht bewegt, sondern eine Reihung von statischen Einzelbildern. Die einzelnen Bilder sind jeweils der Kontext der anderen“ (Dittmar 2008, S. 44).

In dem Zitat steckt ein weiteres Charakteristikum, auf welches Dittmar hinweist: „Comics zeigen Bilder von Bewegungen, die rein illusorisch sind, da sich in den Bildern selbst nichts bewegen kann.“ (Dittmar 2008, S. 49).

Eine andere Beschreibung des Comics präsentiert Straßner, der die Definition von Dolle-Weinkauff aufgreift, nach der folgende Kriterien zu berücksichtigen seien:

„1) das gleichzeitige Auftreten von visuellen und verbalen Zeichensystemen sowie die Integration unterschiedlicher Textformen (z.B. Inserttext, Blockkommentar, Sprechblasen, lautmalerische Grafik) in den Gesamtkontext der Darstellung;
2) das Vorhandensein einer Handlung in einer Folge von Einzelbildern und
3) die Serialität.“

(Straßner 2002, S. 53; vgl. Dolle-Weinkauff 1990, S. 15).

Hier findet sich also im letzten Punkt erneut das Merkmal der Sequenzialität. Insgesamt interpretiert Straßner anhand dieser Begriffsbestimmung den Comic nicht als unabhängiges Medium sondern als Literatur-Derivat. Eine ähnliche Sichtweise vertritt Sackmann:

„Der Comic ist eine literarisch-künstlerische Erzählform, bei der die Erzählung vorwiegend über das Bild transportiert wird. Die Verwendung von Text ist fakultativ, erhöht aber, wenn Text und Bild in enger Beziehung zueinander stehen, die Komplexität der Erzählstruktur. Obwohl das Bild dem Text übergeordnet ist, ist der Comic primär als Form der Literatur zu begreifen, denn anders als in der Bildenden Kunst ist die grafische Seite des Comic nie Selbstzweck, sondern immer zuerst Träger von Handlung.“ (Sackmann 2007, S. 1)

Lässt sich über eine derartige Gewichtung des Verhältnisses von Bild und Text im Comic streiten, bleibt doch hier auch die Grundsätzlichkeit deren Relation festzuhalten, wie sie auch Meier akzentuiert: „Der Comic lässt sich als Kommunikationsform definieren, bei der sprachliche, bildliche sowie grafische Zeichenmodalitäten zusammenwirkend Bedeutung konstruieren.“ (Meier 2009, S. 4). Der Kommunikations- und Medienwissenschaftler pointiert die Multimodalität des Comics und deklariert diesen Begriff als „Terminus zur Benennung von Korrespondenzen unterschiedlicher Zeichentypen“ (Meier 2009, S. 4). Dieser beschränkt sich nicht auf das Zusammenwirken von Sprache und Bild, wenngleich diese Kombination sicherlich primär in Erscheinung tritt, sondern schließt auch Onomatopoetika, typografische Gestaltung, Panelformen, Sprech- und Denkblasenformen, Bewegungszeichen etc. mit ein (vgl. Meier 2009, S. 7). Meier charakterisiert den Comic des Weiteren durch dessen Ausrichtung an ein disperses Publikum und die typische Produktions- und Rezeptionsweise: Monologisch und asynchron (vgl. Meier 2009, S. 4).

Kennzeichnend für die sog. „Neunte Kunst“ (Leinen/Rings 2007) ist außerdem ein Phänomen, welches Pascal Lefèvre mit „richness of drawings“ (Lefèvre 2007, S. 8) umschreibt. Gemeint ist die der Zeichnung im Allgemeinen postulierte inhärente „capacity for grasping the essential“ (Lefèvre 2007, S. 8). Lefèvre skizziert diesbezüglich auch eine interessante Begründung und Schlussfolgerung: „Comics approximate the ways in which people think of the visual world, which would be an explanation for their popularity.“ (Lefèvre 2007, S. 8). Scott McCloud formuliert einen ähnlichen Gedankengang, in dem er den Terminus „Cartoon“ als „Form der bildlichen Darstellung“ bzw. „Stil“ betrachtet (McCloud 1997, S. 29) und dessen Faszination auf die „Betonung durch Vereinfachung“ (McCloud 1997, S. 38) zurückführt. Der Comic-Experte argumentiert, der Cartoon würde durch seinen reduktionistischen Charakter die Aufmerksamkeit auf eine Idee lenken (vgl. McCloud 1997, S. 39).

Sicherlich wären noch zahlreiche weitere Gesichtspunkte zu erwähnen. Für den Rahmen dieser Arbeit soll aber die Definition des Comic von McCloud im Vordergrund stehen, da sie alle relevanten Aspekte für die weiteren Betrachtungen beinhaltet.

2.2 Graphic Novel

Wie schon beim Terminus „Comic“ war es wiederum der Comic-Pionier Will Eisner, der auch als Urheber der Graphic Novel angesehen werden kann: „Der Comiczeichner und -theoretiker (…) prägte (…) die Bezeichnung ‚Graphic Novel’ (grafische Literatur), die den literarischen Gehalt vieler Comics hervor hebt und den Aspekt des Komischen nicht unmittelbar impliziert.“ (Horn 2007, S. 4). Das 1978 publizierte Werk A CONTRACT WITH GOD war der erste Comic, auf dessen Cover die Bezeichnung abgedruckt wurde (siehe Abb. 1; vgl. Dittmar 2008, S. 24).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1 - Cover Will Eisners A CONTRACT WITH GOD

Dittmar beschreibt die Gattung als Roman, der auch mit Bildern erzählt und im Vergleich zum Comic anspruchsvoller sei, wobei derlei Distinktion zwischen Graphic Novel und Comic vage und nicht generalisierbar ist (vgl. Dittmar 2008, S. 24f.): „Das Kriterium für (…) Graphic Novel ist im Unterschied zum profanen Comic entsprechend die Länge und Komplexität der Erzählung, die spezifische Qualität des Textes“ (Dittmar 2008, S. 49). Die Bezeichnung ‚Novel’ wird sich in Kapitel 3.1 und 3.2 wieder finden.

2.3 Digitaler Comic

Landläufig kursiert die Beschreibung digitaler Comics als die „nicht primär für das Internet gedachten, aber trotzdem dafür aufbereiteten Comics (…) - wobei in letzter Zeit auch Comics für elektronische Lesegeräte so bezeichnet werden.“ (Pfeiffer 2010, online).

Der auffälligste Unterschied zwischen Comic und digitalem Comic offenbart sich hinsichtlich das Trägermediums: „Digitale Comics (…) sind Teil der tertiären Medien, da man auch zu ihrer Rezeption technischer Mittel bedarf (…). Bei spezifisch computergestützter Form sind sie ggf. als Teil der quartiären Medien zu sehen.“ (Dittmar 2008, S. 19).

Trotz vieler Differenzen wie einer natürlich anderen Haptik (vgl. Dittmar 2008, S. 20) gestaltet sich beispielsweise auch beim digitalen Comic die Rezeption individuell (vgl. Dittmar 2008, S. 27) und digitale Comics „bauen auf den im Comic etablierten Darstellungsgewohnheiten auf“ (Dittmar 2008, S. 26).

2001 orakelte Scott McCloud in seinem Buch Reinventing Comics (dt . Comics neu erfinden) über die Möglichkeiten des digitalen Comic: „Comic-Geschichten müssten nicht mehr in einzelnen Seiten erzählt werden, zwischen denen der Leser blättert, sondern hätten praktisch eine ‚unendliche Leinwand’ zur Verfügung. Auch das Prinzip des ‚Links’, der den Leser von einem Punkt zum nächsten trägt, könnte auf kreative Weise genutzt werden.“ (Pfeiffer 2010, online) Der im Zitat erwähnte Punkt des Formats sei aufgrund seiner besonderen Relevanz der Schilderung von Unterschieden zum Comic an dieser Stelle aufgegriffen und weiter ausgeführt, da neben der rein visuell veränderten Präsentation und ihrer Wirkung auf den Rezipienten auch ein Wandel der Dramaturgie beobachtbar ist, denn das „Format der Seiten [ist] eine Rahmenbedingung für die Darstellung der Narration.“ (Dittmar 2008, S. 21). Bedingt im Comic das „Papierformat[s] (…) den Spannungsaufbau zu den jeweiligen Seitenwechseln hin“ (Dittmar 2008, S. 20) existiert im digitalen Medium keine derartige spezifische Erzählstruktur des Aufbaus von Spannungskurven zum Seitenende mehr - im digitalen Comic wird anders erzählt, es entsteht am Bildschirm ein anderes Medienerlebnis (vgl. Dittmar 2008, S. 26). Auch laut Scott McCloud fehlt die „narrative Struktur, die Comics bisher hatten, da Bilder auf virtuellen Ebenen in beliebigen Richtungen nebeneinander gesetzt werden können.“, er spricht von der „Aufgabe der bisherigen Erzählkonventionen“ (Dittmar 2008, S. 25; vgl. McCloud 1997).

Neben dieser veränderten Möglichkeit der Narration verweist Dittmar auch auf die „zusätzliche[n] Erzählebenen (…) wie zum Beispiel Hörmaterial oder animierte Szenen“ (Dittmar 2008, S. 26), aber gibt zu bedenken, dass die „Erzählvorgaben der Audioteile so weitreichend [sind], dass diese Mischformen nicht als Comic - und sei er digital - bezeichnet werden können.“ (Dittmar 2008, S. 27). Der Medienwissenschaftler wandelt hier die Begrifflichkeit vom Comic zum „Multimedia-Produkt“, also de facto einem anderen Medium (vgl. Dittmar 2008, S. 26).

Als Beispiel für einen digitalen Comic lässt sich „Kindergeschichten“ von Christoph Heuer anführen, der sein Werk als „nonlineare Novelle“ bezeichnet (Kindergeschichten Webseite 2010, online). Heuer arbeitet mit Begleitmusik und in gewissem, begrenztem Umfang mit Animationen, Sprechblasen werden durch gesprochene Texte ersetzt, „[V]erknüpfte Module ermöglichen die Wahl zwischen Haupt- und Seitensträngen der Handlung.“ (Sackmann 2004, online). Außerdem ist jederzeit ein Inhaltsverzeichnis in Form einer Mindmap aufrufbar, welche den Lesefortschritt des Rezipienten dokumentiert. Eine Speicherfunktion für Zwischenstände ist ebenfalls integriert (vgl. Sackmann 2004, online).

„Wie im Comic, arbeitet Heuer mit feststehenden, aufeinander folgenden Bildern. Bewegung erreicht er durch Schwenks, Zoom, Farbwechsel und Überblendungen. Doch das starre Bild überwiegt. Es lässt dem Betrachter die Zeit, die er braucht; ein Mausklick führt in die nächste Szene. Dauer ist durch die Sprechtexte vorgegeben, die jedoch auch verkürzt werden können.“ (Sackmann 2004, online).

Anhand dieses Beispiels ließe sich der digitale Comic als mit elektronischen Hilfsmitteln um eine auditive und interaktive Ebene sowie dynamischen Darstellungsmöglichkeiten erweiterten Comic verstehen. Der Begriff ‚digitaler Comic’ soll an dieser Stelle aber auch allgemein Werke umfassen, die nicht alle diese Eigenschaften aufweisen. In jedem Falle eint alle digitalen Comic- Produkte die Angewiesenheit auf ein elektronisches Lesegerät bei der Rezeption (vgl. Pfeiffer 2010, online).

Ein dem digitalen Comic vergleichbarer und häufig anzutreffender Terminus ist der des „Motion-Comics“. Dahinter verbergen sich „teilanimierte und mit Ton unterlegte Comics, die quasi auf halbem Weg zwischen dem ‚richtigen’ Comic und einem Zeichentrickfilm stehen.“ (Pfeiffer 2010, online). Oder anders: „A motion comic is a form of comics combining elements of print comic books and animation.“ (Wikipedia Webseite, Motion comic: 2010, online). Bei der Recherche zu den diesem Begriff zugeordneten Beispielen ließ sich im Vergleich zu obigen Betrachtungen zum digitalen Comic primär festhalten, dass Motion Comics ohne nennenswerte interaktive Bedienmöglichkeiten auskommen, wo hingegen beim digitalen Comic in der Regel ein zumindest begrenzter Interaktivitätsgrad attestiert werden kann.

Der Terminus des digitalen Comics wird des Weiteren noch für die Kategorisierung des Beispiels MGSDGN im Kapitel 3.1 von Bedeutung sein.

2.4 Game

„A game is a rule-based system with a variable and quantifiable outcome where different outcomes are assigned different values, the player exerts efforts in order to influence the outcome, the player feels emotionally attached to the outcome, and the consequences of the activity are negotiable.“ (Juul 2005, S. 36). Aus dieser Definition von Jesper Juul lassen sich also sechs, das Spiel konstituierende, Elemente destillieren:

1. Regeln;
2. unterschiedliche, quantifizierbare (messbare) Ergebnisse;
3. Wertigkeit der Ergebnisse;
4. Leistung/Aufwand des Spielers;
5. Verbindung zwischen Spieler und Ergebnis;
6. Verhandelbare Konsequenzen;

(vgl. Juul 2005, S. 36).

Ergo muss es in einem Spiel verbindliche Regeln geben, die ein Verlieren oder Gewinnen des Spielers in seinem Bemühen um ein für ihn wie auch immer konkret gestaltetes, positives Ergebnis ermöglichen.

In Verbindung mit dem Begriff ‚Game’ steht auch das Konzept ‚Play’: „Play is free movement within a more rigid structure“ (Salen/Zimmerman 2004, S. 304). Dieses umfasst neben dem regelbasierten Spielen auch eher ludische, spielerische Aktivitäten, die nicht unbedingt mit dem Gewinnen des Spiels hinsichtlich des eigentlichen intendierten Ziels in Zusammenhang gebracht werden können, aber dennoch häufig auftreten. Innerhalb der vorliegenden Arbeit findet das Konzept etwas abgewandelt als Komponente des Comic Game Eingang, dass die Interaktion des Spielers mit dem Comic Game beschreibt, die über eine Interaktion, wie sie im digitalen Comic anzutreffen ist, hinausgeht (siehe Kapitel 2.6).

Für die folgenden Analysen bleibt die Definition des Game nach Juul festzuhalten und auf die Wichtigkeit einer häufig damit verknüpften spielerischen Komponente im Sinne Salens und Zimmermans hingewiesen.

2.5 Computer Game

Der definitorische Sprung vom ‚Game’ zum ‚Computer Game’ ist nicht groß und erfordert zunächst lediglich die Ergänzung der für das Computerspiel notwendigen technischen Vorraussetzungen: „[A]ny forms of computer-based entertainment software, either textual or image-based, using any electronic platform such as personal computers or consoles and involving one or multiple players in a physical or networked environment.“ (Frasca 2001, S. 4).

Eine im Bereich der Game Studies verbreitete Begriffsbestimmung liefert Christoph Klimmt: “Computer- und Videospiele sind interaktive Medienangebote, die zum Zweck der Unterhaltung hergestellt und genutzt werden.“ (Klimmt 2004, S. 696). Über diesen von Klimmt fokussierten Terminus der Interaktivität lässt sich trefflich streiten (vgl. Mertens 2004; vgl. Rumbke 2006, S. 11), dennoch sei er als zentraler Aspekt der Beschreibung von Computer Games an dieser Stelle betont, zumal er als differenzierendes Kennzeichen von derartigen digitalen Spielen angesehen werden kann. Interaktivität im Computerspiel kann als sofortige, aber begrenzte Interaktivität verstanden werden. Das Computersystem bzw. die Spieleplattform besitzt gewisse vorprogrammierte Reaktionen, wodurch Aktions-Reaktions-Zyklen zwischen Spieler und Spiel ausgelöst werden - es handelt sich um sog. „explizite Interaktivität“ (Salen/Zimmerman 2004, S. 60). Es entsteht also kein Dialog im eigentlichen Sine, wie in diesem Zusammenhang häufig angenommen, sondern lediglich ein Abrufen vordefinierter Reaktions-Schemata.

Aus der medienpsychologischen Einteilung von Computerspielen nach Klimmt (Klimmt 2004, S. 698f.), der die Komponenten „Narrativer Kontext“, „Darstellungsform“ und „Art der Aufgaben“ aufwirft, wird das letztgenannte Merkmal noch für weitere Ausführungen im nächsten Kapitel interessant.

Generell sei noch auf folgendes hingewiesen:

„In dieser Arbeit werden unter dem Begriff der Computerspiele die Termini der Computer- und Videospiele subsumiert. Diese in der wissenschaftlichen Literatur, in zahlreichen Fachzeitschriften und im allgemeinen Diskurs häufig anzutreffende Unterscheidung entbehrt nach Empfinden des Autors für diese Hausarbeit jeglicher sinnvoller Grundlage, zumal man der Argumentation folgen kann, dass beide Arten von Spielen auf technisch vergleichbaren Systemen zum Einsatz kommen: Eine Spielkonsole wie beispielsweise die Playstation (Sony) besteht im Grunde aus ebensolcher Hardware wie ein Personalcomputer.“ (Weber 2009, S. 2).

2.6 Comic Game

Ziel dieser Arbeit soll es auch sein, den Versuch einer eigenen Definition des an dieser Stelle eingeführten Terminus des ‚Comic Game’ zu unternehmen. Das Comic Game vereint Gesichtspunkte der vorangegangenen Begriffsbestimmungen, ist also in gewisser Weise Comic, digitaler Comic, Game und Computer Game in einem.

Mit dem Comic verbindet das Comic Game, dass auch hier teilweise eine Gleichzeitigkeit der Bilder vorhanden sein kann (siehe Kapitel 5.5.2.1). Medienkulturwissenschaftler Stephan Packard beschreibt dies als primäre Hybridisierung zu einem Meta-Panel, ergo eine „Zusammenfassung verschiedener einzelner ‚Bilder’ oder Panels zu einer Panelfolge mit einem Anfang und einem Ende, also zu einer Makrostruktur.“ (Fricke 2007, online; Packard 2006, S. 67ff.). Diese Gleichzeitigkeit soll in die Begriffsbestimmung des Comic Games einfließen, auch wenn die in der vorliegenden Arbeit ausgewählten Spiele diese teilweise nur sporadisch aufweisen (MGSDGN), gar nicht beinhalten (kami) oder in nicht gänzlich zum Comic vergleichbaren, beschränkten Weise innehaben (Hotel Dusk, Another Code).

In Comic und Comic Game ist außerdem eine Kopräsenz von Bild und Text vorherrschend. Um erneut Packard aufzugreifen, spricht dieser diesbezüglich von einer sekundären Hybridisierung, von einer „Zusammenfassung von Bild und Schrift zu einer Proposition.“ (Fricke 2007, online; Packard 2006, S. 67ff.). Eine Proposition ist hier quasi als eine Aussage zu verstehen (Fricke 2007, online).

In direktem Zusammenhang mit dem Verhältnis von Bild und Text steht die Sprechblase als wichtiges, differenzierendes Merkmal des Comic. Aus diesem Grund soll dieser Aspekt ebenfalls in die Definition des Comic Game einfließen und somit nur solche Spiele als Comic Game klassifizieren, die Sprechblasen oder ähnliches enthalten, welche vom Spieler gelesen werden müssen. Das heißt, Comic Games enthalten keine Sprachausgabe.

Die augenscheinlichste aber bei weitem nicht einzige Parallele zwischen Comic Game und digitalem Comic ist zunächst das für die Rezeption notwenige elektronische Gerät oder im Bezug zum Comic Game konkreter die Spielplattform. Wie im Kapitel 2.3 Digitaler Comic bereits geschildert, fehlt auch im Comic Game in der Regel der für den Comic charakteristische Aufbau einer Spannungskurve zum Ende einer Seite bzw. eines Meta-Bildes. Für eine gelungene Erzeugung einer solchen Spannungskurve muss laut Dittmar die „Reihenfolge der Abbildungen leicht zu erschließen sein“ (Dittmar 2008, S. 73). Vereinfachend geschlussfolgert lässt sich auch formulieren, dass der Lesefluss also nicht durch unübersichtliche oder ungewöhnliche Panel- Anordnungen behindert werden darf. Diese Voraussetzung ist in Comic Games wie MGSDGN in besonderer Weise erfüllt, da sich hier die Vorgaben in puncto Rezeptionslenkung strikt und eindimensional gestalten. An Stelle dieser Restriktionen treten aber andere dramaturgische Mittel bzw. lässt sich hier formatbedingt von einer alternativen Dramaturgie sprechen, da oft nur ein bis zwei ‚Panels’ auf dem Bildschirm zu sehen sind.

McCloud weist darauf hin, dass der Comic eine Möglichkeit der Interaktion bietet, indem unterschiedliche Leserichtungen unterschiedliche Geschichten erzählen könnten und formuliert in diesem Kontext: „Noch gehören diese Fragen ins Reich der Spiele“ (McCloud 1997, S. 113). Doch auch in Comic Games, will man den relativ konstruierten Zusammenhang mit diesem letzten Zitatteil herstellen, deren tragendes Element sicherlich auch die Interaktivität ist, wird die Linearität der Gesamt-Narration nicht gebrochen, wie beispielsweise im als solchen oft bezeichneten „interaktiven Thriller“Heavy Rain (4players Webseite, Heavy Rain: 2010, online). Interaktive Handlungen dienen in den für diese Arbeit ausgewählten Beispielen nur zum Vorankommen in einer wenn auch möglicherweise verzweigten bzw. bei unwichtigeren Teilen der Geschichte in unterschiedlicher Reihenfolge entfaltbaren Story, aber nicht zur wirklichen Veränderung dieser. Ebenso verhält es sich mit digitalen Comics wie Dead On Arrival oder Kindergeschichten. Ersteres nennt sich „Interactive Comic“ (Dead On Arrival Webseite: 2010, online), wobei sich „interactive“ auf das bloße Weiterklicken der Comic-Seiten beschränkt. Zweiteres ist lediglich um eine nonlineare Navigation erweitert. Dennoch lässt sich der Interaktionsgrad von Comic Games insgesamt höher einstufen als im digitalen Comic, zumal auch ein gewisses Ausmaß an „Play“ (siehe Kapitel 2.4) konstatiert werden kann. Im Vergleich zwischen digitalem Comic und Comic bleibt aber allgemein festzuhalten, dass durch die wenn auch geringen Möglichkeiten der Interaktion eine definitorische Problematik entsteht, wie sie Hertrampf bezüglich des Comic-Photo-Romans beschreibt: Denn das Medium Comic „überschreitet somit weitere mediale Grenzen und präsentiert sich als multimediales Mischgenre.“ (Hertrampf 2007, S. 301).

Ein weiterer wesentlicher Betrachtungspunkt ist die auditive Ebene: Im Comic werden die „Variationen in der Lautstärke der Geräusche (…) nur aus dem Zusammenhang der Geschichte deutlich“ (Dittmar 2008, S. 109). Im digitalen Comic und Comic Game jedoch ergibt sich diese Möglichkeit und darüber hinaus auch alle anderen akustischen Variationen.

Als zentraler Aspekt muss auch die Thematik der dynamisierenden Darstellung in die Betrachtungen zur Definition des Comics Eingang finden: „Comics zeigen Bilder von Bewegungen, die rein illusorisch sind, da sich in den Bildern selbst nichts bewegen kann.“ (Dittmar 2008, S. 49). Im digitalen Comic und Comic Game stellt sich die Situation anders dar.

Hier existieren diverse Varianten kinetischer Präsentation. Im digitalen Comic sind Animationen in begrenzter Art und Weise anzutreffen, wie sie vor allem im dem digitalen Comic ähnlichen MGSDGN aber auch in Another Code und Hotel Dusk (vornehmlich im oberen Screen der Spielkonsole Ninendo DS) eingesetzt werden. Im vierten in dieser Arbeit thematisierten Spiel

kami finden sich im Vergleich schon durchgängig mehr als nur derartige ‚Teil-Animationen’, wenngleich diese durch diverse Effekte wiederum den Anschein von ‚Teil-Animationen’ erwecken und aus stilistischen Gründen erwecken sollen. Dennoch finden sich auch in kami, wie auch in den anderen Spielen, statische Bilder, die einen Bezug zum Comic herstellen lassen. Zusammenfassend soll der Aspekt der Darstellung von Bewegung in Comic Games als ‚terminierte Dynamik’ umschrieben werden. Das bedeutet, dass die Bewegungen und Animationen zeitlich begrenzt sind und man sie als kürzere oder längere Sequenzen interpretieren kann. Den Bildern der Comic Games wohnt ein, zumindest latenter, statischer Charakter inne.

Das Comic Game soll an dieser Stelle um wichtige Gesichtspunkte der Definitionen von Game und Computer Game ergänzt werden. In allen Beispielen muss bzw. kann (MGSDGN) der Spieler spielerisch (siehe Konzept „Play“ in Kapitel 2.4 und oben) agieren und muss respektive kann (MGSDGN) Aufgaben bewältigen, um zu ‚gewinnen’, sprich: In der Story voranzukommen bzw. sie zu erweitern (MGSDGN). Mehr und konkreter dazu in den einzelnen Beschreibungen der ausgewählten Comic-Game-Beispiele (siehe Kapitel 3).

Zur Abgrenzung des Comic Games zu ähnlichen Medienprodukten sei im Folgenden auf Beispiele eingegangen, die nicht als Comic Games bezeichnet werden sollen. In Dante ’ s Inferno (siehe Abb. 2) wurden par exemple Sequenzen mit statischen Bildern in einem visuellen Stil eingefügt, die an den Comic erinnern. Diese Darstellungsform spiegelt sich aber weder an irgendeiner anderen Stelle im Spiel wieder, noch macht sie inhaltlich erkennbaren Sinn: „Die gezeichneten Filme wirken (…) wie ein Stilbruch.“ (4players Webseite, Dante’s Inferno: Video- Fazit: 2010, online).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2 - Dante ’ s Inferno

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3 - Monkey Island 3

Anders verhält es sich in vielen klassischen und in deren Tradition stehenden Computerspielen des Genre Adventure wie beispielsweise die Monkey Island -Reihe (siehe Abb. 3) oder Edna bricht aus (siehe Abb. 4). Auch hier lässt sich ein comic-ähnlicher Stil der grafischen Darstellung erkennen, die Comic-Zeichnungen reminisziert und auch durchgängig beibehalten wird. Darüber hinaus sind keine weiteren Relationen zum Comic enthalten, weswegen auch hier keine Zuordnung zum Comic Game erfolgen soll.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4 - Edna bricht aus

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Abbildung 5 - XIII

Der Ego-Shooter XIII bspw. geht noch einen Schritt weiter im Aufgreifen von comic- spezifischen Charakteristika, indem hier neben dem grafischen Stil auch „grafisch inszenierte Onomatopoetika“ (Meier 2009, S. 7) und Bildfolgen auftreten, die spielhandlungs-sensitiv eingeblendet werden, z.B. bei Kopftreffern aus größerer Entfernung (vgl. Wikipedia Webseite, XIII (Computerspiel): 2010, online; siehe Abb. 5). Von einem Comic Game lässt sich dennoch nicht sprechen, weil zum einen Sprachausgaben existieren und zu wenig Text gezeigt wird und zum anderen keinerlei als statisch interpretierbare Bilder existieren.

Für eine zusammenfassende Definition des Comic Games im sollen folgende Kriterien zur Klassifizierung aufgestellt werden:

1. Gleichzeitigkeit (Meta-Panel)
2. Notwendigkeit eines elektronischen Gerätes zur Rezeption
3. Kopräsenz von Bild und Text
4. Sprechblasen und keine Sprachausgabe
5. Sound
6. höherer Interaktionsgrad
7. Dynamik (terminiert)/ Darstellung von Bewegung
8. Play
9. Aufgabenbewältigung und Gewinnorientierung

Um die Frage, inwiefern die für diese Arbeit ausgewählten Beispiele als Comic Games kategorisiert werden können, soll es im Folgenden unter anderem bei den Betrachtungen zu den einzelnen Spielen gehen.

3 Die ausgewählten Analysebeispiele

Die Selektion der zu analysierenden Spiele erfolgte im Vorfeld bei den Vorbereitungen zu dieser Arbeit relativ unspezifisch und ungerichtet, hauptsächlich mit Hilfe von Literatur aus Online- Quellen, später ergänzt durch die persönlichen Erfahrungen mit den jeweiligen Games. Parallel zu diesem Prozess kristallisierten sich die ersten Überlegungen zum Begriff Comic Game und der möglichen Einbeziehung des ein oder anderen in Frage kommenden Spiels heraus, wodurch die Selektion der diversen Games strukturierter wurde. Am Ende blieben die folgenden Spiele übrig aus der Überzeugung, dass sie dem, auch mit ihrer Hilfe definierten, Begriff des Comic Games gerecht werden.

3.1 Metal Gear Solid: Digital Graphic Novel

Der japanische Unterhaltungselektronikkonzern Sony bzw. dessen Tochtergesellschaft Sony Computer Entertainment kündigte vor zwei Jahren einen neuen Service für seine Handheld- Konsole PlayStation Portable (PSP) an: Digital Comics. Versprochen wurde ein Angebot, welches „revolutioniert, wie Comics gelesen werden: auf (…) ganz persönliche Art und Weise nämlich.“ (PlayStation Network Services Webseite: 2010, online). Hinter diesen als revolutionär angepriesenen Möglichkeiten verbergen sich eine automatische oder wahlweise manuelle Anzeige der einzelnen Panels des Comic sowie eine Zoomfunktion (vgl. PlayStation Network Services Webseite: 2010, online). Stern-Redakteur Gerd Blank merkt dazu kritisch an:

„Allerdings ist der Bildschirm recht klein, was den Darstellungen der häufig bis ins Detail durchkomponierten Seiten nicht gerecht wird. Einzelne Bilder lassen sich zwar vergrößern, doch genügt dieses Feature nicht, um aus den digitalen Comics ein echten Lesespaß zu machen.“ (Blank 2010, online).

Im ersten für diese Arbeit ausgewählten Spiel MGSDGN (siehe Titelbild dieser Arbeit) wurde die Struktur der Comic-Seite durchbrochen, wie sie in den digitalen Comics für die PSP wohl noch vom Comic erhalten bleiben soll (YouTube Webseite, Digital Comic Review for PSP Part 1: 2011, online). Davon abgesehen, ergeben sich aber einige Parallelen zu MGSDGN: Die PSP ist ebenfalls Abspielgerät und der Bildwechsel lässt sich ähnlich steuern. Der Nutzer kann sich entscheiden, ob die Abbildungen automatisch erfolgen oder er per Knopfdruck manuell „umblättern“ möchte, wenn ihm beispielsweise die vordefinierte Geschwindigkeit der Bildfolgen

im automatischen Modus zu schnell von statten gehen und er sich mehr Zeit zum Lesen oder Betrachten der einzelnen Darstellungen nehmen will (vgl. Krosta 2006, online). Diese Interaktionsmöglichkeit beschreibt auch Hertrampf im Hinblick auf den „Comic-Photo-Roman“: „Allerdings folgen die Einzelbilder nicht automatisch, sondern der Rezipient legt [die] Geschwindigkeit (…) der Abfolge der Einzelbilder (…) selbst fest“ (Hertrampf 2007, S. 301).

Daneben hat der Nutzer in MGSDGN, wie später in diesem Kapitel noch dargelegt, aber noch weitere Möglichkeiten der Interaktion, was den Titel bereits vom Begriff des digitalen Comic in Richtung Comic Game rückt, wenngleich die Produzenten im Arbeitstitel noch „Digital Comic“ wählten (4players Webseite, MGS Novel: Teaser: 2010, online) und später sogar mit folgendem Spruch warben: „The birth of the digital graphic novel genre!“ (4players Webseite, MGS Novel: Trailer 1: 2010, online).

MGSDGN basiert inhaltlich auf dem Spiel Metal Gear Solid für die Playstation aus dem Jahr 1998 (Moby Games Webseite, Metal Gear Solid: 2010, online) und der daraus entstandenen Comic-Serie aus dem Hause IDW Publications (vgl. Wikipedia Webseite Englisch, Metal Gear Solid: 2010, online). Die gezeichneten Bilder wurden aus diesen Comic-Büchern übernommen, „aber zusätzlich mit Soundeffekten, Musik und kleinen Animationen aufgewertet.“ (Krosta 2006, online).

Der letzte im Zitat erwähnte Aspekt der Animationen wurde bereits im Kapitel 2.6 Comic Game behandelt und der Begriff ‚Teil-Animationen’ zur Beschreibung dynamischer Darstellungspraktiken in MGSDGN verwendet. Der Hersteller bewirbt das Produkt auf der Verpackungshülle diesbezüglich mit „stilisierter Animation“. Eine treffende Beschreibung liefert Frank Magdans für Spiegel Online: „Der Stoff vom Papier wird einfach mit gängigen Kameraeffekten wie Fahrt oder Zoom aufgepeppt.“ (Magdans 2010, online). Dementsprechend schildert Magdans MGSDGN als „Zwitter aus digitalisierten Zeichnungen und filmischen Elementen“ (Magdans 2010, online). Eine prägnante Formulierung für das Phänomen stellt auch „visual enhancements“ dar (Wikipedia Webseite Englisch, Metal Gear Solid: 2010, online).

Wie bereits angedeutet, gibt es in MGSDGN einige interaktive Möglichkeiten, genauer: „two interactive modes designed to give further insight into the publication. (vgl. Wikipedia Webseite Englisch, Metal Gear Solid: 2010, online). Zum einen existiert ein sog. „Mentaler Suchmodus“ in den sich in vielen Szenen wechseln und mittels dem sich jede Abbildung nach so genannten „Erinnerungselementen“ absuchen lässt. Diese „Erinnerungselemente“ finden sich nach ihrem Entdecken in einer Art dreidimensionalen Matrix, genannt „Simulationsmodus für Erinnerunsbildung“, wieder und können durch den User zu einem semantischen Netzwerk miteinander verknüpft werden. Es entsteht so eine visuelle Gedächtnis-Struktur. Die Relation dieses „Simulationsmodus für Erinnerungsbildung“ zum VR-Simulationsmodus, dem Hauptmodus in dem der Comic präsentiert wird (also das eigentliche Spiel), gestaltet sich bidirektional. Werden gewisse Erinnerungselemente im „Simulationsmodus für Erinnerungsbildung“ verbunden, kann es dazu kommen, dass ein neues Erinnerungselement in den VR-Simulationsmodus integriert wird. Dies erfolgt allerdings an für den Nutzer unbekannter Stelle, wodurch ein „Wiederspiel-Faktor“ (Metal Gear Wikia Webseite , Metal Gear Solid Digital Graphic Novel: 2010, online) generiert wird.

MGSDGN kann nach Definition aus Kapitel 2.6 als Comic Game klassifiziert werden, weil im Vergleich zum digitalen Comic, wie aufgezeigt, ein höhere Interaktionsgrad implementiert wurde. Zudem erfüllt das Spiel auch alle anderen Kriterien hinsichtlich der auditiven Ebene, der Darstellung von Bewegungen, der spielerischen Komponente (Play) sowie in geringem Umfang der Möglichkeit, Aufgaben zu bewältigen und eine Gewinnorientierung des Spielers in dem Sinne zu fördern oder auslebbar zu machen, in dem dieser Erinnerungselemente suchen und kombinieren kann, um möglichst viel der angebotenen Informationen der Story freizulegen. Zudem wurde die Nähe zum Comic in der Hinsicht erhalten, dass Bild und Text nebeneinander stehen und Sprechblasen statt Sprachausgabe verwendet wurden.

3.2 Another Code und Hotel Dusk

Another Code (genauer: Another Code: Doppelte Erinnerung) und Hotel Dusk sind zwei Spiele des Entwicklerstudios CING und erschienen 2005 bzw. 2007 für die Handheld-Konsole Nintendo DS. Die Veröffentlichung von Hotel Dusk wurde hinsichtlich einer GenreKlassifikation beispielsweise wie folgt kommentiert: „the second coming of the point-and-click adventure games of old“ (Morier 2007, online).

Im öffentlichen Diskurs taucht mit Verweis auf die Präsentationsweise des Spiels und dessen Nähe zum Buch auch der Begriff „interactive novel“ auf: „the story unfolds much like an interactive novel (and in keeping with that, you play the game by tilting your DS sideways like a book)“ (Morier 2007, online). Die Darstellung des Games auf den beiden Screen des Nintendo DS, welches man bei Hotel Dusk senkrecht wie ein Buch hält, drängt tatsächlich den Vergleich zum alten Medium auf (vgl. Wikipedia Webseite, Hotel Dusk: Room 215: 2010, online; siehe Abb. 6). Auch die offizielle Webseite des Spiels (http://hoteldusk.com) ist in Buchform gestaltet.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6 - Szene aus Intro von Hotel Dusk

Doch eine Beschreibung, die man als ‚interactive comic book’ zusammenfassen könnte, greift zu kurz, wenngleich auch die Nähe zum Comic durch die im Entwicklungsprozess des Spiels nötigen gezeichneten Vorlagen und Storyboards konstruierbar wäre. Hotel Dusk ist wie Another Code wohl besser als Comic Game kategorisiert, wie die folgenden Argumentationen belegen sollen.

Zunächst lässt sich festhalten, dass bei beiden für diese Arbeit selektierten Beispielen Bild und Text, wie in den Kriterien für das Comic Game beschrieben, nebeneinander stehen. Eine Gleichzeitigkeit der Bilder lässt sich ebenfalls attestieren, werden doch selbstverständlich beide Bildschirme des Nintendo DS (DS für Dual Screen) genutzt. Weiterhin existieren in beiden Produktionen Sprechblasen und Textfelder. Auf Sprachausgabe wurde verzichtet, nonverbale Reaktionen der Charaktere werden visuell dargestellt, wie beispielsweise in Another Code bezüglich der Protagonistin von Computerspiel-Redakteur Jörg Luibl geschildert: „wenn sie sauer ist, erkennt man das z.B. an ihrem giftigen Blick oder an der erhöhten Geschwindigkeit des Wortaufbaus.“ (Luibl 2005, online). Auch in Hotel Dusk findet sich letztgenanntes Gestaltungsmittel der Beschleunigung der Anzeige von Dialogtexten (vgl. Luibl 2007, online).

Akustisch gleichen sich beide Machwerke ebenfalls: Die musikalische Untermalung ändert sich gemäß dem Spielgeschehen. In Hotel Dusk gibt es „einen Gegensatz zwischen der Freundlichkeit der dahin plätschernden Musik und den plötzlichen Molltönen, wenn man in den Dialogen etwas erfährt.“ (Luibl 2007, online). In Another Code verhält es sich ähnlich. Es dominieren freundliche Melodien, aber „wenn es irgendwo brenzlig wird, trumpft die Akustik mit schrillen Einspielungen oder Verzerrungen auf.“ (Luibl 2005, online).

Begreift man die einzelnen konkreten Optionen zum Interagieren im Spielgeschehen als eben separat, ergibt sich ein breites Spektrum der Interaktionsmöglichkeiten. So lassen sich in Hotel Dusk an spezifischen Stellen im Spiel beispielsweise an bestimmte Objekte wie Malereien heranzoomen oder auch in der Nahansicht auf Schränke und Schreibtische p.e. Schubladen öffnen (vgl. Luibl 2007, online). Die Liste ließe sich so auch bezüglich Another Code noch deutlich erweitern: „Während des Spielens benutzt man hauptsächlich den Touchscreen, um Gegenstände zu untersuchen, zu werfen oder zu verschieben, Puzzleteile zu verrücken, Dreck wegzuwischen und ähnliches.“ (Wikipedia Webseite, Another Code: Doppelte Erinnerung: 2010, online). In Another Code und Hotel Dusk existiert neben der hier angedeuteten intuitiven Steuerungsmöglichkeiten über den Tochscreen mittels des zum Nintendo DS gehörendem Sift auch die Option der ‚Eingabe’ über das in die Handheld-Konsole eingebaute Mikrofon. In zwei Szenen des Spiels lässt sich hiermit beispielsweise virtueller Staub wegpusten und an anderer Stelle eine Scheibe anhauchen, um eine Botschaft lesbar zu machen (vgl. Wikipedia Webseite, Another Code: Doppelte Erinnerung: 2010, online).

Die innovative Nutzung interaktiver Möglichkeiten des „more interactive screen.“ (Morier 2007, online) zur Lösung von gestellten Rätseln („You’ll be required to solve several puzzles“ (Morier 2007, online); siehe Abb. 7) beinhaltet den Aspekt des Play als auch die Komponente der Aufgabe und Gewinnorientierung: „Yes, you can lose the game if you ask the wrong questions or make the wrong accusations.“ (Morier 2007, online).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7 - Rätsel in Hotel Dusk

Darstellungen von Bewegung sind in Another Code relativ selten und beschränken sich weitestgehend auf Visualisierungen von bspw. „wehende[n] Gardinen und flackernde[n] Lampen.“ (Luibl 2005, online). Gleiches gilt für Hotel Dusk, dessen Animationen „run on loops of only a handful of sequences, but they do a very good job of indicating the mood and reactions of the characters.“ (Morier 2007, online). Dieses visuell deutlich wahrnehmbare Prinzip der Sequenzierung oder ‚terminierten Dynamik’, welche auch in Another Code v.a. im oberen Bildschirm des Nintendo DS Verwendung findet, wird außerdem in Hotel Dusk speziell in der Darstellung eines rotoskopischen Effekts gegenwärtig. Rotoskopie beschreibt ursprünglich ein wie folgt beschriebenes technisches Verfahren: „Erst werden reale Szenen aufgenommen, danach werden sie verfremdet und von Zeichnern so überarbeitet, dass sich nur noch Konturen bewegen.“ (Luibl 2007, online). Popkulturelle Bekanntheit erlangte das Phänomen nach seiner Erfindung 1914 wieder verstärkt durch ein Musikvideo der Gruppe A-ha aus dem Jahre 1985 („Take On Me“).

Alles in allem dürfen Another Code und Hotel Dusk aufgrund der Erfüllung der entworfenen Kriterien als Comic Games bezeichnet werden.

[...]

Excerpt out of 100 pages

Details

Title
Comics2Games - Wie sich die Bilder steuern lernen
College
Technical University of Chemnitz  (Institut für Medienforschung)
Grade
1,3
Author
Year
2011
Pages
100
Catalog Number
V184014
ISBN (eBook)
9783656086055
ISBN (Book)
9783656086284
File size
1889 KB
Language
German
Keywords
Comic, Game, Computerspiel, Videospiel, Videogame, Computergame, Semiotik, Zeichentheorie, Stil, Stilanalyse, Graphic Novel, Digitaler Comic, Computer Game, Comic Game, Metal Gear Solid: Digital Graphic Novel, Ōkami, Comix Zone
Quote paper
Matthias Weber (Author), 2011, Comics2Games - Wie sich die Bilder steuern lernen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/184014

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