Derzeit sich häufende Schlagworte wie „Wissensexplosion“ und „abnehmende Halbwertszeit von Wissensbeständen“ lassen die Frage aufkommen, wie die Schule auf diese Neuerungen reagieren soll. Über welche Art von Wissen, Kompetenzen und über welche Fähig- und Fertigkeiten müssen die Heranwachsenden von heute verfügen, um sich in unserer heutigen Informationsgesellschaft „als autonome und kommunikationsfähige Individuen behaupten“ zu können? Die Befähigung, sich in einem bestimmten Umfang selber Wissen anzueignen, sich der dazu notwenigen Hilfsmittel zu bedienen und letztlich selbständig einen Lernprozess durchführen zu können, gehört außerdem zu den zentralen Schlüsselqualifikationen in Bezug auf das schulische Lernen.
(...)
So stellt sich dann auch die Frage, ob der Einsatz Neuer Medien in der Schule dabei helfen kann den Schüler bei seinen Lernprozessen zu unterstützen, ihn zu motivieren und ihm dabei Hilfe sein kann neue Informationen und Wissensbestände besser behalten und bei Gebrauch wieder abrufen zu können. (...)
In dieser Arbeit wird nun zunächst herausgearbeitet werden, was unter dem Lernbegriff und vor allem unter dem Konzept des selbständigen Lernens genau zu verstehen ist. Hierbei werden dann unter anderem die Ursprünge, Begründungen und Methoden des selbständigen Lernens herausgestellt werden und vor allem die Voraussetzungen, die notwendigerweise für eine erfolgreiche Durchführung von selbständigen Arbeitsphasen in der Schule gegeben sein müssen, konstatiert werden. Daran anschließend wird der Einsatz Neuer Medien im schulischen Kontext im Hinblick auf eine mögliche Unterstützung des selbständigen Lernens thematisiert werden. Hierbei wird dann eine Auseinadersetzung mit den Vor- und Nachteilen des Einsatzes Neuer Medien im schulischen Kontext, sowie den dafür erforderlichen Voraussetzungen folgen. Hieran wird sich dann mit der Vorstellung des Modellprojekts SelGO des Landes NRW ein Beispiel aus der Schulpraxis anschließen, das die Zielsetzung verfolgt das selbständige Lernen der Schüler in der gymnasialen Oberstufe durch den Einsatz Neuer Medien zu stärken. Zusammenfassend sollen diese theoretischen und praktischen Aspekte Auskunft darüber geben, ob es tatsächlich möglich ist, das selbständige Lernen der Schüler durch den Einsatz Neuer Medien zu bestärken und welche Bedingungen und Voraussetzungen hieran geknüpft sind.
Inhalt
1. Einleitung
2. Der Lernbegriff und die drei klassischen lerntheoretischen Grundlagen: Behaviorismus, Kognitivismus und Konstruktivismus
2.1 Begriffsklärung: Lernen
2.2 Die drei klassischen Lerntheorien
2.2.1 Behaviorismus - Lernen als Verhaltensänderung
2.2.2 Kognitivismus - Lernen durch Einsicht
2.2.3 Konstruktivismus - Lernen durch Interpretation
2.3 Auswirkungen dieser Theorien auf schulisches Lernen
3. Begriff und Konzeption des selbständigen Lernens
3.1 Begriffsklärung und Definitionen
3.2 Wegbereiter (reformpädagogische Ansätze)
3.3 Begründungen und Ziele
3.3.1 gesellschaftlich
3.3.2 bildungstheoretisch
3.3.3 lerntheoretisch
3.3.4 sozialerzieherisch
3.4Methoden
3.4.1 Die Projektmethode
3.4.2 Freiarbeit
3.4.3 Wochenplanarbeit
3.4.4 Wahldifferenzierter Unterricht
3.5 Voraussetzungen
3.5.1 Motivation
3.5.2 Lernstrategien
3.5.3 Metakognition
3.5.4 Leistungsbeurteilung
3.5.5 Situative Aspekte
3.6. Die Rolle der Lernenden und Lehrenden
3.6.1 Die Gruppe der Lernenden
3.6.2 Die Lehrpersonen
4.Der Einsatz Neuer Medien im schulischen Bereich sowie die Rolle der Neuen Medien im Rahmen des selbständigen Lernens
4.1 Begriffsklärung: Neue Medien
4.2 Der Einsatz Neuer Medien im schulischen Bereich(zur Unterstützung von Lernprozessen)
4.2.1 Begründungen für den Einsatz Neuer Medien im schulischen Bereich
4.2.2 Vorteile beim Einsatz Neuer Medien im schulischen Bereich
4.2.3 Nachteile und kritische Aspekte beim Einsatz Neuer Medien im schulischen Bereich
4.3 Konsequenzen der Vor- und Nachteile Neuer Medien im schulischen Bereich - besonders im Hinblick auf die Rolle der Neuen Medien im Rahmen des selbständigen Lernens
4.3.1 Allgemeine Voraussetzungen für den Einsatz Neuer Medien im schulischen Bereich
4.3.2 Medienkompetenz
4.3.3 Lernsoftware
5. Das Modellprojekt SelGO (Selbstständiges Lernen mit digitalen Medien in der gymnasialen Oberstufe) des Landes NRW
5.1 Das Rahmenkonzept von SelGO
5.2 Konzeption des selbständigen Lernens mit Neuen Medien im SelGO-Projekt
5.2.1 Selbständiges Lernen
5.2.2 Der Einsatz Neuer (digitaler) Medien
5.3 Die SelGO-Materialien und Lernarrangements
5.3.1 Die SelGO-Lehr- und Lernplattform
5.3.2 Die SelGO-Fachmodule
5.4 Voraussetzungen für SelGO
5.5 Erste Evaluationen zu SelGO
5.5.1 Eine Schulleiter- und Lehrerberfragung zu SelGO von
a.) Ausgewählte Ergebnisse der Schulleiterbefragung
b.) Ausgewählte Ergebnisse der Lehrerbefragung
5.5.2 Eine qualitative Studie zu den Erfahrungen mit SelGO von
5.5.3 Fazit dieser ersten Evaluationen zu SelGO
6.Schluss
7.Literaturverzeichnis
8.Appendix
8.1 Erläuterungen
8.2 Eine eigene Befragung
8.2.1 Teilnehmer, Vorgehensweise und Ziele dieser Befragung
8.2.2 Der Fragebogen
8.2.3 Die Auswertung der Umfrageergebnisse
1. Einleitung
Derzeit sich häufende Schlagworte wie „Wissensexplosion“ und „abnehmende Halbwertszeit von Wissensbeständen“ lassen die Frage aufkommen, wie die Schule auf diese Neuerungen reagieren soll. Über welche Art von Wissen, Kompetenzen und über welche Fähig- und Fertigkeiten müssen die Heranwachsenden von heute verfügen, um sich in unserer heutigen Informationsgesellschaft „als autonome und kommunikationsfähige Individuen behaupten“[1] zu können? Die Befähigung sich in einem bestimmten Umfang selber Wissen anzueignen, sich der dazu notwenigen Hilfsmittel zu bedienen und letztlich selbständig einen Lernprozess durchführen zu können, gehört außerdem zu den zentralen Schlüsselqualifikationen in Bezug auf das schulische Lernen. Dies gilt insbesondere für die gymnasiale Oberstufe, welche die Schüler auf das Studium und somit auf selbständiges Arbeiten vorbereiten soll.
Die Tatsache, dass die Gesellschaft für deutsche Sprache bereits im Jahre 1995 den Begriff Multimedia zum „Wort des Jahres“ gekürt hat[2], zeigt darüber hinaus deutlich, dass die Neuen Medien bereits seit über zehn Jahren in einer großen öffentlichen Diskussion stehen und somit sicherlich auch für den schulischen Bereich relevant sind. So stellt sich dann auch die Frage, ob der Einsatz Neuer Medien in der Schule dabei helfen kann den Schüler bei seinen Lernprozessen zu unterstützen, ihn zu motivieren und ihm dabei Hilfe sein kann neue Informationen und Wissensbestände besser behalten und bei Gebrauch wieder abrufen zu können.
Oftmals wird propagiert, dass nur selbständig denkende und handelnde Menschen, die darüber hinaus medienkompetent im Umgang mit den Neuen Medien sind, gerüstet seien, um den Problemfeldern unserer heutigen Zeit begegnen und mit diesen umgehen zu können. Daraus resultierend ist dann auch im Schulgesetz des Landes NRW als Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule vermerkt, dass die Schüler lernen sollen „selbstständig und eigenverantwortlich zu handeln...[und] mit Medien verantwortungsbewusst und sicher umzugehen“[3]. Hiermit verbunden ist demnach die Vorstellung, den Schüler bestmöglichst auf sein Leben vorzubereiten, indem er in der Lage ist, selbständig zu lernen und Neue Medien gezielt und bewusst einsetzen kann. Des Weiteren verbirgt sich hinter den Bemühungen die Schüler zur Selbständigkeit anzuleiten sicherlich auch die Hoffnung, dass dadurch eine Entlastung der Lehrpersonen entstehen könnte.
In dieser Arbeit wird nun zunächst herausgearbeitet werden, was unter dem Lernbegriff und vor allem unter dem Konzept des selbständigen Lernens genau zu verstehen ist. Hierbei werden dann unter anderem die Ursprünge, Begründungen und Methoden des selbständigen Lernens herausgestellt werden und vor allem die Voraussetzungen, die notwendigerweise für eine erfolgreiche Durchführung von selbständigen Arbeitsphasen in der Schule gegeben sein müssen, konstatiert werden. Daran anschließend wird der Einsatz Neuer Medien im schulischen Kontext im Hinblick auf eine mögliche Unterstützung des selbständigen Lernens thematisiert werden. Hierbei wird dann eine Auseinadersetzung mit den Vor- und Nachteilen des Einsatzes Neuer Medien im schulischen Kontext, sowie den dafür erforderlichen Voraussetzungen folgen. Hieran wird sich dann mit der Vorstellung des Modellprojekts SelGO des Landes NRW ein Beispiel aus der Schulpraxis anschließen, das die Zielsetzung verfolgt das selbständige Lernen der Schüler in der gymnasialen Oberstufe durch den Einsatz Neuer Medien zu stärken. Zusammenfassend sollen diese theoretischen und praktischen Aspekte Auskunft darüber geben, ob es tatsächlich möglich ist, das selbständige Lernen der Schüler durch den Einsatz Neuer Medien zu bestärken und welche Bedingungen und Voraussetzungen hieran geknüpft sind.
2. Der Lernbegriff und die drei klassischen lerntheoretischen Grundlagen: Behaviorismus, Kognitivismus und Konstruktivismus
2.1 Begriffsklärung: Lernen
Oftmals wird der Begriff Lernen im alltäglichen Sprachgebrauch direkt mit der Schule in Verbindung gebracht. In wissenschaftlichen Disziplinen wie Pädagogik und Psychologie fasst man den Lernbegriff jedoch viel weiter. Lernen kann nämlich sehr viele verschiedene Zielsetzungen implizieren, so zum Beispiel Behalten und Repräsentieren, Problemlösen, den Aufbau einer Gesinnung, das Erlernen motorischer Fähigkeiten oder das Können und Festigen bestimmter Fertigkeiten. Gemeinsam ist diesen verschiedenen Lernzielen, dass Lernen einen Prozess beschreibt, der manchmal bewusst und gezielt, oft aber auch beiläufig abläuft und den jeder Mensch ständig durchlebt. Im Hinblick auf pädagogische Unterrichtszwecke ist hierbei allerdings eher von funktionalem (beiläufigem) und intentionalem (planmäßigem) Lernen die Rede[4]. Es geht hierbei um Verhaltensweisen, die nicht aufgrund von angeborenen Instinkten oder als Ergebnis der menschlichen Reife zur Verfügung stehen, „sondern aufgrund eines spezifischen Vorgangs zu Stande kommen“[5], nämlich dem Vorgang des Lernens. Lernen kann deshalb als der relativ dauerhafte Erwerb von neuen Fähig- oder Fertigkeiten begriffen werden. Somit ist Lernen eigentlich ein wertneutraler Begriff, da es erst einmal nur um die Kennzeichnung von menschlichen Verhaltensänderungen, und nicht um eine Bewertung dieser Veränderungen geht.
Darüber hinaus ist es sehr schwer eine feste, allgemeingültige Definition von Lernen zu geben, da jeder Lernprozess bei jedem Individuum anders verläuft. Für den Prozess des erfolgreichen Lernens als Veränderung unseres Wissens sind nämlich die verschiedensten Faktoren von Bedeutung. Vor allem aber das Lebensalter und die bisherige „Lerngeschichte“ haben hiefür eine große Relevanz[6], und auch die Interaktion zwischen Mensch und Umwelt spielt beinahe immer eine wesentliche Rolle, wenn es um Lernprozesse geht. Die Gewichtung dieser beiden Faktoren kann allerdings sehr unterschiedlich ausfallen, entweder kommt es zu einer starken Anpassung an die Umwelt oder zu einer aktiven Gestaltung der Umwelt. Durch diese Auseinandersetzung mit der Umwelt gelangt der Mensch dann zu bestimmen Erfahrungen, die zukünftig seine weiteren Aktivitäten beeinflussen, und genau dieser Prozess macht dann das Hauptmerkmal des Lernens aus[7].
2.2 Die drei klassischen Lerntheorien
2.2.1 Behaviorismus - Lernen als Verhaltensänderung
Da das Lernen beziehungsweise der Lernprozess den Menschen dabei helfen kann sich an spezifische Anforderungen des Lebens anzupassen, kann Lernen einerseits als Verhaltensänderung verstanden werden. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts haben die Vertreter des Behaviorismus lange Zeit den Schwerpunkt ihrer Forschungen lediglich auf beobachtbare, das heißt direkt wahrnehmbare Verhaltensweisen gelegt. Durch die Forschungsmethode des sogenannten Klassischen Konditionierens konnte gezeigt werden, dass durch Reiz-Reaktions-Verbindungen, die unter bestimmten Bedingungen erhalten bleiben und unter anderen eben wieder gelöscht werden, neue Verhaltensweisen erlernt (und auch wieder verlernt) werden können. Wichtig für diese Auffassung ist also, dass sich Lernen durch bestimmte Reize von außen steuern lässt und der Mensch somit unter die Kontrolle der Umwelt gestellt wird. Lernen wird hierbei sozusagen als konditionierter Reflex angesehen, der nur durch Adaption erworben werden kann[8].
Nach Meinung der Behavioristen ereignet sich Lernen aufgrund allgemeiner und jederzeit gültiger Lerngesetze. Es wird bei dieser Lern- und Lehrstrategie davon ausgegangen, dass die „Lehrenden wissen, was und wie die Lernenden zu lernen haben“[9]. Die Schüler für das Erreichen von festegelegten Normen kompetent zu machen, ist demzufolge die (Haupt-) Aufgabe der Schule[10]. Als Lernziel können dann hierbei „richtige“ Verhaltensweisen und Antworten bestimmt werden, die der Schüler vom Lehrer als Autorität angelernt bekommt. Die im Gehirn ablaufenden Prozesse haben dabei keinerlei Bedeutung für die Behavioristen, da das Gehirn als „black box“ aufgefasst wird, das einen Input erhält und darauf deterministisch reagiert.
Weiterhin haben die Behavioristen herausgefunden, dass ein ursprünglich unbedeutendes Spontanverhalten beispielsweise durch einen positiven Verstärker (z. B. eine Belohnung) verstärkt werden kann und der Organismus zudem aktiv beteiligt ist, wenn es um die Ausbildung von bestimmten Verhaltensweisen geht. Bei diesem operanten Konditionieren ist somit nicht mehr der Reiz das Entscheidende, sondern die Verstärkung. Demnach reagiert die Umwelt positiv oder negativ auf bestimmte Verhaltensweisen und beeinflusst somit den Organismus in seinem zukünftigen Handeln. Lernen oder ein erfolgreicher Lernprozess sind demnach dann erkennbar, wenn sich ein ganz bestimmtes Verhalten häufiger einstellt als vorher.
Aufgrund moderner Forschungen kann heute zu den Forschungsansätzen und Einstellungen der Behavioristen jedoch einiges kritisch angemerkt werden. So zum Beispiel die Überbetonung des reaktiven und die Vernachlässigung des aktiven Moments im menschlichen Verhalten, denn das Verhalten des Menschen muss nicht zwingend durch einen äußeren Reiz ausgelöst worden sein. Selbst gesetzte Ziele oder Motive des Menschen können auch für bestimmte Verhaltensweisen verantwortlich sein. Daher erscheint es nahezu fatal den Sinn und Willen „als handlungsbegründende Eigenschaften des Menschen“[11] zu bestreiten oder zumindest nicht zu beachten. Hinzu kommt, dass es bei dieser Art von Lernen fraglich ist, ob das Wissen hierbei tatsächlich verstanden oder nur eingepaukt ist.
2.2.2 Kognitivismus - Lernen durch Einsicht
In den 60-er Jahren ist die Vorherrschaft der behavioristischen Theorien durch die sogenannte Kognitive Wende zurückdrängen worden. Seit dieser Zeit richtet sich nun das Augenmerk der Lernforschung auf die Innensteuerung, also die internalen und psychischen Prozesse des Lernens. Zur Erklärung von menschlichen Verhaltensweisen sind seitdem also nicht mehr (nur) die Umweltbedingungen und äußeren Reize verantwortlich gemacht worden, sondern auch kognitive Prozesse, wie beispielsweise wahrnehmen, denken, urteilen, erinnern und verstehen. Kognitivisten schließen von direkt wahrnehmbarem Verhalten darauf, welche internen Prozesse der Informationsverarbeitung im Gedächtnis eines Menschen ablaufen. Das Gehirn wird nun jedoch nicht mehr als „black box“ verstanden, bei der In- und Output das Wesentliche sind, vielmehr sind die dazwischenliegenden geistigen Prozesse von Interesse.
Lernen meint in diesem Zusammenhang eine Strukturierung des Wissens durch Vernunft und Einsicht, man spricht auch von einer aktiven Aneignung der Umwelt[12]. Oftmals geht es hierbei gar nicht darum etwas Neues zu lernen, sondern vielmehr „umzulernen“. Demzufolge kann Lernen auch als Informationsverarbeitung begriffen werden, wobei es um den Erwerb von Wissen über uns selber und über die Welt geht. Die Enkodierung, also die Umwandlung von physikalischen Reizen in Bedeutungen für einen selber ist das Ziel dieses Lernprozesses. Für diesen Informationsverarbeitungsprozess müssen dann erstens von uns Menschen Signale aus der Umwelt aufgenommen, uns transformiert werden und diese dann zweitens mit bereits verfügbaren Informationen verknüpft werden. Im dritten Schritt geht es dann noch um die „Organisation von Einzelinformationen zu neuen komplexen Informationseinheiten“[13].
Der Auffassung von Lernen als Wissenserwerb liegt die Annahme zugrunde, dass Lernen „als Aufbau und fortlaufende Modifikation von Wissensrepräsentation definiert“[14] werden kann. Es geht sozusagen um das Konstruieren oder zumindest um die Modifizierung von bereits vorhandenem Wissen; man setzt also beim aktivierten Vorwissen an. Wichtig hierbei ist allerdings, dass es nicht um die bloße Integration von neuen Informationen in bestehende Wissensstrukturen, sondern um eine wirkliche „Modifikation dieser Strukturen aufgrund der Verarbeitung der neuen Informationen“[15] geht. Auch hierbei wird von einer Adaption an situative Gegebenheiten ausgegangen, da letztendlich alles, was gelernt wird, im Hinblick auf seinen Gebrauch gelernt wird.
Lernen ist somit nach kognitivistischer Auffassung ein aktiver interner Verarbeitungsprozess, bei dem der Lernende äußere Reize selbständig verarbeitet. Dem Lehrer kommt hierbei lediglich die Rolle eines Tutors zu, der die Lernenden unterstützt, in dem er diese beobachtet und ihnen hilft sich zweckmäßige Methoden zur Antwortfindung anzueignen. Zudem ist kognitives Lernen „ein Merkmal intelligenten Verhaltens“[16], da es den Menschen dazu befähigt auf einer höheren und bewussteren Stufe neuartige Aufgaben erfolgreich zu bearbeiten. Dies steht dann wiederum in engem Zusammenhang mit der kumulativen Seite des Lernens, da neues Wissen immer in das Vorwissen verankert wird. Aus dieser Ansicht resultiert dann natürlich, dass auch unterschiedliche Verfahren zu optimalen Ergebnissen führen können. Für die Kognitivisten kommt es demnach darauf an, richtige Methoden zur Problemlösung zu erlernen, „deren Anwendung dann erst die (eine oder mehrere) richtige Antworten ergeben“[17]. Als Zweck des Wissenserwerbs kann folglich festgehalten werden das neu erworbene Wissen in alltäglichen Situationen wieder abrufen zu können; zum Beispiel zur Lösung theoretischer oder praktischer Probleme.
Ähnlich wie beim Behaviorismus wird mittlerweile auch oft an den kognitivistischen Ansätzen kritisiert, dass seine Vertreter von einer einzigen, objektiv wahren und erkennbaren Realität ausgehen. Hinzu kommt, dass Probleme oftmals eben nicht einfach objektivistisch vorliegen und ihrer Lösung harren, vielmehr müssen Probleme häufig „erst einmal gesehen (konstruiert oder erfunden) werden, damit sie gelöst werden können“[18].
2.2.3 Konstruktivismus - Lernen durch Interpretation
Die Vertreter des Konstruktivismus sprechen im Hinblick auf den Wissensaufbau von einem individuellen Aufbauprozess. Zudem lehnen sie die Annahme einer „objektiven“ Beschreibung und Erklärung der Realität ab[19], da sich ihrer Meinung nach jedes Individuum seine Erkenntnisse und seine subjektive Wirklichkeit aufgrund eigener Erfahrungen selber kreiert. Es geht folglich darum neue Informationen in bereits vorhandene kognitive Strukturen einzuordnen, sie zu strukturieren und letztendlich alles in einen kohärenten Zusammenhang zu bringen[20]. Demzufolge gehören einerseits exakte Fakten, an die angeknüpft werden kann, zu den Voraussetzungen für einen erfolgreichen Lernprozess. Andererseits sind aber auch entsprechende Denkfähigkeiten von großer Bedeutung.
Mittlerweile ist aufgrund neurobiologischer Forschungen mehrfach empirisch bewiesen, dass das menschliche Gehirn Informationen nicht als separate „Abteilungen“ abspeichert, sondern diese zu komplexen Netzen ordnet und verbindet. Lernen ist konstruktivistisch betrachtet nicht nur eine Anpassung an die Umwelt oder das Ergebnis von Belehrungen und Instruktionen[21]. Vielmehr beinhaltet Lernen die permanente Konstruktion und Dekonstruktion von Wirklichkeiten. Durch die Kooperation mit anderen Menschen und mit seiner Umwelt muss sich der Lerner selber dazu befähigen, mit komplexen Situationen operieren zu können. Wichtig hierfür ist, dass das Lernen strukturdeterminiert abläuft, da die biografisch gewachsenen sensorischen, emotionalen und kognitiven Strukturen den Rahmen für den Lernprozess vorgeben beziehungsweise abstecken. Wie der Mensch neue Informationen aufnimmt und verarbeitet, hängt demnach „weniger von der Qualität der Mitteilung ab als von dem internen kognitiv-emotionalen System“[22] und seiner derzeitigen Verfassung. Demnach spielen auch emotionale, personale und motivationale Faktoren eine äußerst wichtige und ernst zu nehmende Rolle, da neben den Informationen auch deren Kontexte (unter welchen Umständen die neuen Informationen aufgenommen worden sind) gespeichert werden. Aus diesem Grunde ist es im Hinblick auf den Lernerfolg von Bedeutung wo, wann und mit wem gelernt wird.
Bei den konstruktivistischen Konzepten stehen somit nicht mehr der Lehrer, sondern der Lerner und seine eigenen persönlichen Erfahrungen ganz klar im Mittelpunkt. Dem Lehrer kommt hierbei die Aufgabe zu mit den Schülern zu kooperieren, deren Lernprozesse zu begleiten und sie zur Überprüfung des neu erlernten Wissens zu ermutigen. Wichtig ist dann hierbei vor allem, dass der Lerner aktiv ist und das Lerngeschehen selbständig steuert (soweit er dazu in der Lage ist). Um dies zu ermöglichen, sind folgende Voraussetzungen erforderlich: erstens muss die Lernsituation möglichst authentisch sein, damit der Lerner später sein neu erlerntes Wissen auf die reale Welt übertragen kann. Schließlich stehen beim Konstruktivismus nicht der Erwerb von Fachwissen, sondern der Transfer und der Anwendungsbezug von Wissen im Vordergrund[23]. Zudem sollte die Lernumgebung anregend auf die Lerner wirken und des Weiteren so gestaltet sein, dass ein soziales Miteinander der Lerner möglich ist, und mit- und voneinander gelernt werden kann. Des Weiteren sollten die zu bewältigenden Aufgaben den Interessen des Lernenden angepasst sein beziehungsweise relevant für ihn sein, denn das menschliche Gehirn als selbstreferenzielles System lernt zielgerichtet. Zweckmäßige Filter für diese Art von Lernen sind beispielsweise Motivation und Interesse des Lerners. Hierbei ist zu bedenken, dass das bereitgestellte Lernmaterial möglichst unterschiedliche Lernkanäle ansprechen sollte. Eine abstrakte oder symbolische Vermittlung von Wissen halten die Konstruktivisten für absolut unmöglich. Als Lernziel kann für die konstruktivistischen Ansätze sicherlich die Differenzwahrnehmung konstatiert werden, da es für dieses Lernverständnis maßgeblich ist, sich bewusst zu machen, „dass die eigene Perspektive nie die einzig Mögliche ist“[24], auch wenn eine Handlungs- oder Denkweise unter ganz bestimmten Umständen sehr brauchbar ist.
Doch auch ein konstruktivistisches Lernverständnis stößt in einigen Bereichen an gewisse Grenzen, so beispielsweise bei Lernprozessen, die auf ein größtenteils automatisiertes Verhalten abzielen. Genau an dieser Stelle wird dann erneut deutlich, dass es auch heute noch viele Lernstoffe und Fertigkeiten gibt, die eben nicht von den Schülern selber entdeckt werden können, sondern lediglich durch ein wiederholtes Einüben erworben werden können. Darüber hinaus kann eine zu stark isolierte und individuelle Betrachtungsweise während des Lernprozesses auch dazu führen, dass die sozialen Komponenten des Lernens zu wenig Betrachtung finden oder gar gänzlich wegfallen. Zudem benötigen gerade schwächere Schüler oftmals umfassende Hilfestellungen in Sachen Strukturierung und Vorgehensweise[25].
Zusammenfassend kann aber festgehalten werden, dass sich die heutigen Lernforscher (gleichgültig auf welchen theoretischen Ansätzen ihre Forschungen basieren) einig darüber sind, dass Lernen ein aktiver Prozess ist, der von einem Subjekt realisiert wird, „das sich Ziele setzt, denen Bedürfnisse und Motive zugrunde liegen“[26]. Darüber hinaus beruht Lernen auf der Wechselbeziehung zwischen Subjekten (z. B. Schüler und Lehrer) im Hinblick auf bestimmte Objekte (Lerngegenstände). Wenn vom Lernen gesprochen wird sind damit Veränderungen gemeint, die von Beobachtern als Lernergebnisse gedeutet werden.
2.3 Auswirkung dieser Theorien auf schulisches Lernen
Als Grundproblem der zuvor kurz dargestellten Lehr- und Lernansätze kann erst einmal festgehalten werden, dass diese alle von einseitigen Annahmen ausgehen, sozusagen von einem „Entweder-Oder-Prinzip“. Gerade schulisches Lernen ist jedoch zu komplex, um es durch einen Ansatz, der von ganz bestimmten Prinzipien und Abläufen ausgeht, ausreichend erklären zu können[27]. Aufgrund der modernen Lehr-Lernforschungen kann jedoch sicher davon ausgegangen werden, dass sowohl das Ergebnis, als auch der Verlauf von Lehr-Lernprozessen maßgeblich von den kognitiven, volitiven und emotional-motivationalen Verarbeitungsprozessen der Lernenden abhängt. Denn erst durch diese Prozesse wird eine tatsächliche Wechselwirkung zwischen dem Subjekt und der Welt ermöglicht[28].
Die traditionellen Unterrichtsphilosophien sind allerdings teilweise auch noch für das heutige schulische Lernen von Bedeutung, da es beispielsweise aus Zeitgründen sehr effektiv sein kann, wenn die Lernprozesse in der Schule strukturiert und systematisch ablaufen. Um das „Endziel“ des Unterrichts zu erreichen, nämlich die Schüler zu selbständigem und eigenverantwortlichem Lernen zu befähigen, ist es zudem erst einmal notwendig, dass die Schüler sich Informationsverarbeitungsprozesse und auch Faktenwissen, an das später angeknüpft werden kann, aneignen. Hierfür können dann Instruktionen des Lehrers sicherlich als hilfreich betrachtet werden. Bei Lernverläufen, in denen es hauptsächlich um Verhaltenstraining geht, werden auch heute noch sehr häufig Konzepte, die auf behavioristischen Ansätzen basieren, eingesetzt. Dies kann sowohl im familiären, als auch im schulischen Bereich sein, wenn es zum Beispiel darum geht „gewünschtes Verhalten zu stärken, unerwünschtes zu eliminieren, aber auch um die Lernmotivation zu beeinflussen“[29]. Allerdings ist hierbei zu beachten, dass diesen Konzepten ein Menschenbild zugrunde liegt, in denen der Individualität und Selbständigkeit des Menschen keinerlei Bedeutung beigemessen wird.
Dagegen bieten die kognitiven und konstruktivistischen Lerntheorien im Hinblick auf selbständiges Lernen im heutigen Schulalltag viel mehr Anknüpfungspunkte, als noch die behavioristischen Ansätze. Denn wie bereits zuvor ausgeführt, wird Lernen hierbei nun als ein Prozess aufgefasst, bei dem der Lerner selber aktiv beteiligt ist. Die dabei gebildeten kognitiven Strukturen befähigen den Lerner dann dazu sein künftiges Verhalten bewusst und durch Einsicht auszuführen.
3. Begriff und Konzeption des selbständigen Lernens
3.1 Begriffsklärung und Definitionen
Bevor eine Annäherung an den Begriff des Selbständigen Lernens erfolgt, muss jedoch deutlich darauf hingewiesen werden, dass nahezu alle Arten des Lernens sowohl Elemente der Fremdsteuerung, als auch der Selbststeuerung beinhalten. Beinahe niemand ist absolut frei bei der Ausübung und Steuerung eines Lernprozesses. Das heißt jeder Mensch braucht einerseits eine gewisse kognitive Fähigkeit, um den Lernprozess zu kontrollieren (z.B. zum Zuhören oder Ausführen von Anweisungen) und andererseits sind wir Menschen beim Lernen auch fast immer auf den Rückgriff auf andere Instanzen (z. B. Personen, Lehrtexte) angewiesen. Hinzu kommt, dass gerade beim schulischen Lernen oftmals die Eigenaktivität für einen erfolgreichen Lernprozess alleine nicht ausreicht, da viele Lerner häufig zu wenige Kenntnisse über die geeigneten Strategien und Wege, die zum Ziel führen, wissen[30]. Somit kann Unterricht immer nur Hilfe und Anleitung zum Lernen sein. Allerdings darf es keinesfalls zu dem fatalen Denkfehler kommen das Lehren des Lehrers automatisch mit dem Lernen des Schülers gleichzusetzen[31]. Eine strikte Trennung zwischen Lernen und selbständigem Lernen erscheint daher auch nicht als sinnvoll, vielmehr gelten die bereits zuvor in Kapitel 2.1 ausgeführten Annäherungen bezüglich des allgemeinen Lernbegriffs auch für das selbständige Lernen, sie erfahren hier nun lediglich noch eine Erweiterung.
Der US-amerikanische Erwachsenenpädagoge Malcolm Knowles hat als einer der ersten den Begriff des self-directed learning verwendet und versteht darunter einen Lernprozess, bei dem die Individuen selber eine Lerninitiative ergreifen, dabei ihre Lernziele formulieren, ihre Lernfortschritte diagnostizieren und sich dazu der passenden Strategien und Methoden bedienen können[32]. Heutzutage ist es beinahe unmöglich eine allgemeingültige Definition von selbständigem Lernen zu geben, da sich aufgrund der unterschiedlichen Blickwinkel der verschiedenen Forschungslager in der heutigen Forschungsliteratur eine Fülle von Begriffen, die teilweise sehr ähnliches darstellen, sich oftmals aber auch in Teilaspekten unterscheiden, finden lassen. Exemplarisch zu nennen wären Selbststeuerung, Selbstorganisation oder auch Selbsttätigkeit. Darüber hinaus gestalten sich die Formen des selbständigen Lernens situationsspezifisch und sind somit nur schwer zu standardisieren[33] (vgl. Kapitel 3.4). Zusammenfassend kann selbständiges Lernen im schulischen Bereich aber grob als ein Lernprozess angesehen werden, in dem Schüler durch eigene Initiativen tätig werden und dabei ihren Lern- und Arbeitsprozess eigenständig vorbereiten, gliedern, sich entsprechender Lernstrategien bedienen und schlussendlich ihr Lernziel überprüfen. Meistens werden die globalen Lernziele durch Rahmenrichtlinien oder ähnliches vorgegeben, im Idealfall sollten Schüler jedoch in der Lage sein, sich selber Ziele zu setzen und dann auch Verantwortung für ihr Verhalten übernehmen. Ziel des Unterrichts ist es hierbei also, dass die Schüler wirklich selbständig arbeiten und ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie sie aufgrund der Reflexion über verschiedene Lernmethoden und einem größeren Problembewusstsein ihren eigenen Lernprozess vorantreiben können. Dass die Schüler ihre methodischen Kompetenzen, die eigene Ich-Stärke (d. h. das Erkennen der eigenen Möglichkeiten und Grenzen) und das kritische Denken ausbauen[34], ist somit unbedingt notwendig. Gerade deswegen ist es für selbständiges Lernen absolut erforderlich den Schülern die notwendigen Freiräume für selbständiges und selbstverantwortliches Lernen und Handeln zu geben, „sie aber nicht sich selbst zu überlassen“[35].
Dem selbständigen Lernen können somit folgende Merkmale zugeschrieben werden. Die Lernenden sollten den Lernprozess selber aktiv beeinflussen, sei es in kognitiver, verhaltensbezogener oder motivationaler Hinsicht. Auf das schulische Lernen bezogen bedeutet dies, dass die Schüler weitgehend selbständig, ohne eine direkte Anleitung des Lehrers lernen. Um dies praktikabel zu machen, ist es allerdings notwenig, dass die Schüler aus mehreren Lernangeboten auswählen können und sich daraufhin bewusst für einen Lernbereich entscheiden können. Folglich sollten die Lernaufgaben interessen- und leistungsdifferenziert sein. Daraus resultierend sieht selbständiges Lernen oftmals so aus, dass die Schüler in einer Klasse oder einem Kurs gleichzeitig an unterschiedlichen Aufgaben arbeiten. Darüber hinaus kommt den Lernern auch die Aufgabe zu, ihren Lernprozess selbständig zu überwachen und ihre weiteren Lernaktivitäten aufgrund dieser Selbstevaluationen auszurichten. In welchem Ausmaß, das heißt in welcher Intensität eine Person selbständig agiert, hängt auch sehr stark mit der Motivation des Lernenden zusammen. Da ein selbständiger Lerner natürlich auch selber für die eigene Motivation (mit)verantwortlich ist, sollte deswegen auch die Entscheidung, ob lieber und effektiver alleine, in Partnerarbeit oder in Kleingruppen gearbeitet werden soll, den Schülern selber überlassen werden. Am Ende einer Unterrichtsreihe, in der selbständig gearbeitet worden ist, sollten die verschiedenen Ergebnisse präsentiert und gemeinsam kommentiert und gegebenenfalls verbessert werden.
Selbständiges Lernen steht zudem auch sehr eng mit der allgemeinen Lernfähigkeit eines Menschen zusammen, die sich auf unterschiedliche Weise darstellen kann. Bei einem effektiven Unterrichtsangebot beispielsweise zeigt sich eine gute Lernfähigkeit der Lernenden dadurch, dass diese aktiv und zielorientiert mitarbeiten. In einer weniger gut gestalteten Unterrichtsstunde dagegen muss der Lernende aufgrund seiner Lernfähigkeit in der Lage sein, diese Defizite durch eigene Aktivität zu kompensieren.[36] Selbständigkeit ist demnach nur durch Selbsttätigkeit der Lernenden zu erreichen. Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass selbständiges Lernen sowohl ein Ziel von Unterricht, „als auch den Weg zu diesem Ziel“[37] darstellen kann.
3.2 Wegbereiter (reformpädagogische Ansätze)
Selbständiges Lernen stellt keineswegs eine neue Entwicklung, Methode oder dergleichen der pädagogischen Theorie und Praxis dar. So schreibt beispielsweise bereits Comenius auf dem Titelblatt seiner noch heute recht populären „Didactica magna“:
„ERSTES UND LETZTES ZIEL UNSERER DIDAKTIK SOLL ES SEIN,die Unterrichtsweise aufzuspüren und zu erkunden, bei welcher die Lehrer weniger zu lehren brauchen, die Schüler dennoch mehr lernen...“[38].
Und auch Kants berühmte Aussage:
„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten
Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen“[39],lässt zudem daran erinnern, dass natürlich bereits zur Zeit der Aufklärung die Selbständigkeit[40] schon im Zentrum des Interesses gestanden hat. Die Entstehungsgeschichte des selbständigen Lernens findet ihren wirklichen Anfang jedoch in etwa zur Zeit des „Richtungsstreits“ der Weimarer Volksbildung. Bei der „alten Richtung“ ist Bildung noch als extensive Wissensvermittlung, wobei es um die Verbreitung und Popularisierung der Kenntnisse und des wissenschaftlichen und kulturellen Wissens durch Instruktion geht, verstanden worden. Die Vertreter der „neuen Richtung“ dagegen haben Bildung als Selbstbildung definiert, wobei die intensive Auseinandersetzung mit der Welt und somit die Aneignung von Wissen durch eigene Konstruktionen im Vordergrund steht[41].
Vor allem jedoch in der Reformpädagogik der 20er und 30er Jahre, die den Blick für die „Mängel einer stofforientierten »Paukschule«“[42] geschärft hat, finden sich unzählige lerntheoretische Ansätze, deren Inhalte sehr viele Gemeinsamkeiten mit dem heutigen Verständnis von selbständigem Lernen aufweisen. Gemeinsam ist diesen unterschiedlichen Ansätzen, dass sie alle große Kritik an der überkommenen Bildung üben und demgegenüber eine Pädagogik vom Kinde aus und somit auch die Förderung der kindlichen Aktivität, Spontanität und individuellen Freiheit fordern[43]. Bedeutend sind hierbei vor allem die Arbeiten von Montessori, Petersen und Freinet, denen allen in besonders großem Maße die Leitidee einer Pädagogik vom Kinde aus zugrunde liegt, und die von Gaudig, bei denen bereits der Persönlichkeitsentwicklung eine sehr große Relevanz zugekommen ist.
Vor allem Maria Montessori ist der Ansicht gewesen, dass die Reife eines Kindes nach inneren Gesetzmäßigkeiten abläuft, und daher hat diese Reformpädagogin auch bereits zur damaligen Zeit schon entwicklungsfördernde Umgebungen sowie entsprechende Bildungsangebote für jedes einzelne Kind postuliert. Das heißt den Kindern muss die Möglichkeit geboten werden ihre Sinne in einer speziell für sie vorbereiteten und auf sie abgestimmten Lernumgebung frei entfalten zu können[44]. Für diese Auffassung von Lernen ist es bedeutsam das Kind und seine ganz persönliche Individualität in den Mittelpunkt zu stellen, sodass das Kind im Idealfall seinen Entwicklungsimpulsen folgen kann und die dafür nötige „geistige Nahrung“ in der Umgebung vorfinden kann[45]. Denn nur auf diese Art und Weise kann man laut Montessori den Kindern wirklich gerecht werden und sie zu selbständigen Menschen erziehen beziehungsweise sich entwickeln lassen.
In der Freinet-Pädagogik wird Lernen als aktiver und ganzheitlicher Prozess aufgefasst, wobei als Ziele insbesondere die Erziehung zur Kritikfähigkeit, Kooperation und Mitverantwortung, die Beachtung der Bedürfnisse und Rechte der Kinder sowie die Beachtung deren Eigenarten und Individualität festgehalten werden können[46]. Hierbei wird Erziehung auch schon ganz klar „als Emanzipation und als Einübung in ein selbstbestimmtes Leben“[47] verstanden. Zur Ausbildung und Umsetzung dieser Aspekte wird hierbei besonders viel Wert darauf gelegt, dass die Lerninhalte einen eindeutigen Bezug zum Leben erkennen lassen und darüber hinaus Lernumgebungen geschaffen werden, die motivierend auf die Schüler wirken sollen. Denkbar wären hierfür beispielsweise Arbeitsecken in den Klassenräumen mit unterschiedlichen Ausstattungen und Materialien zu verschiedenen Lernbereichen[48], sodass den Schülern aufgrund ihres eigenen Interesses eine gewisse Wahlfreiheit bei der Bearbeitung spezieller Unterrichtsinhalte gegeben werden kann. Hierzu gehören auch sogenannte Ateliers, die sich inner- oder auch außerhalb des Klassenraumes befinden können und für verschiedene künstlerische, geistige oder manuelle Aktivitäten (z. B. Schreinerei) ausgestattet sind.
Peter Petersen gilt nun als Begründer des sogenannten Jena-Plans. Bei diesem Schulentwicklungskonzept ist ganz besonders selbständigem Arbeiten und Handeln, einer großen Mitverantwortung der Schüler und Eltern sowie fächerübergreifenden Projekten eine große Relevanz zugekommen, da hierbei der Gemeinschaftsgedanke ganz deutlich im Vordergrund steht. Ein wichtiges Ziel dieses reformpädagogischen Ansatzes ist es nämlich die Persönlichkeit der Kinder als gemeinschaftsfähige Individualität aufzufassen. In Anlehnung an Montessori sollen auch bei diesem Konzept die „Grundkräfte“ der Kinder, nämlich der Bewegungs- und Tätigkeitsdrang sowie der Gesellungs- und Lerntrieb berücksichtigt und in den Unterricht mit eingebaut werden.[49] Darüber hinaus haben auch der Gruppenunterricht und die Wochenplanarbeit durch Petersen wichtige Impulse erhalten[50].
Um die für Gaudig als so wichtig erachtete Persönlichkeitsentwicklung der Kinder voranzutreiben, empfiehlt er nach dem Leitmotiv „Erregung der Eigentätigkeit des Schülers“[51] vor allem arbeitsteilige Lernphasen, in denen die Schüler aufgrund ihres eigenen Interesses unterschiedliche thematische Schwerpunkte eines gemeinsamen Arbeitsvorgangs bearbeiten. Die Aussage:
„[w]enn die Schule ihre Aufgabe als Mitarbeit an der werdenden Persönlichkeit bestimmt, [...] muß sie eben bei dieser Zielsetzung ihr Zöglinge und da mit sich selbst im Zusammenhang mit dem allgemeinen Kulturleben denken“[52],verdeutlicht zudem sehr anschaulich, für wie wichtig bereits Gaudig einen erkennbaren Zusammenhang der Arbeitsaufgaben zu den Lebensumständen der Schüler empfunden hat. Darüber hinaus ist hierbei vor allem auch die Förderung der Selbsttätigkeit im Sinne der freien geistigen Arbeit, also das Handeln „aus eigenem Antrieb, mit eigenen Kräften, auf selbstgewählten Bahnen, zu freigewählten Zielen“[53] ein ganz zentrales Ziel für Gaudigs Verständnis von Bildung. Weiterhin konstatiert Gaudig auch schon damals, dass der Mensch ein selbsttätiges und somit aktives Wesen ist, das zudem über eine einmalige und somit individuelle Persönlichkeit verfügt und ein handelndes Subjekt ist, wenn es darum geht, das eigene Leben zu gestalten. Aus diesem letzten Punkt resultiert dann auch, dass das Individuum selber die Verantwortung für sein Handeln übernehmen muss[54]. Seit den 70er Jahren, etwa zur Zeit der Studentenbewegung, wird das Konzept des selbständigen Lernens auch im schulischen Bereich verstärkt diskutiert, und der Selbständigkeitsbegriff ist vor allem seit den 90er Jahren durch „konstruktivistisch integrierte Theorieansätze“[55] erneut aufgegriffen worden. Den Vertretern dieser Ansätze ist es hauptsächlich darum gegangen, dass Lernen eben immer von dem jeweiligen Standpunkt des Subjektes aus betrachten werden muss.
Somit existieren also bereits seit geraumer Zeit diverse Konzepte und Werke, welche die Thematik der Selbständigkeit diskutieren und behandeln und daher gibt es auch die verschiedensten Intentionen des selbständigen Lernens. Zusammenfassend kann aber festgestellt werden, dass in den humanistischen Ansätzen beispielsweise sehr viel Wert auf die Förderung der persönlichen Autonomie, die Herausbildung der Kritikfähigkeit, Mündigkeit und Selbständigkeit sowie die Schaffung der Voraussetzung für lebenslanges Lernen gelegt worden ist. Den Vertretern der bildungsökonomischen Ansätze dagegen ging es vor dem Hintergrund der neuen Qualifikationsanforderungen vor allem um die Selbstlernfähigkeit, kostengünstige Weiterbildungsformen und um die kompetente Vorbereitung für komplexe Arbeitsanforderungen[56]. Diese unterschiedlichen Ansätze unterstreichen damit nur noch einmal zusätzlich, dass die aktuellen Diskussionen um den „Selbständigkeitsbegriff“ lediglich ein Thema neu aufgreifen, das bereits seit mittlerweile mehreren Jahrhunderten existent ist.
3.3 Begründungen und Ziele
3.3.1 gesellschaftlich
Unsere Gesellschaft ist derzeit in einem stetigen Wandel, was sich unter anderem in einem starken Wertewandel, Halbwertzeiten von Wissen und nicht zuletzt in Wandlungen des familiären Gefüges deutlich zeigt. Sehr viele Menschen (gerade auch Jugendliche) verfügen heute über eine Unmenge von Informationen, die allerdings kaum Relevanz für sie haben und beklagen demgegenüber einen Mangel an Informationen, die für ihre persönliche Lebensgestaltung sehr hilfreich sein könnten[57]. Durch die sich immer häufiger wandelnden und wegfallenden klassischen Rollenverhältnisse von Mann, Frau und Familie fallen gleichzeitig für die Heranwachsenden Stütz- und Leitlinien weg, wodurch eine Orientierung schwerer fällt. Des weiteren trägt die verringerte Geburtenrate in den letzten Jahren dazu bei, dass immer mehr Kinder ohne oder nur mit einem Geschwisterkind aufwachsen. Dies führt jedoch auch dazu, dass viele Schüler heutzutage eine recht große Ich-Bezogenheit sowie einen Mangel an den nötigen Sozialkompetenzen aufweisen und zudem wird den Heranwachsenden ein viel größerer Individualismus, als beispielsweise noch vor 30 Jahren zugeschrieben[58]. Jürgens spricht in diesem Zusammenhang von einer „asoziale[n] Individualisierung“[59]. Hinzu kommen ein verändertes Freizeitverhalten und eine zunehmende Konsumorientierung der Jugendlichen. Da die Schüler von diesen Aspekten in unterschiedlichem Maße betroffen sind, führt dies dann auch zu unterschiedlichen Voraussetzungen bei den Schülern und daraus resultierend zu einer stetig wachsenden Heterogenität in vielen heutigen Schulklassen. Selbständiges Lernen kann an dieser Stelle als sinnvolle Möglichkeit erachtet werden, den Schulkindern von heute besser gerecht zu werden und ihnen Möglichkeiten zum selbständigen Wissenserwerb zu eröffnen. Zugleich ist damit aber auch jedes Individuum gefordert seine Lebensplanung stärker selbst in die Hand zu nehmen und eigene Lebensentwürfe zu kreieren und konstruieren.
Durch die immer schneller voranschreitenden Technologisierungen kommt es zu einer Beschleunigung der „Verfallszeit des konkreten beruflichen Wissens und Könnens“[60]. Folglich wird heute dem Wissen über Strategien zur Aneignung neuen Wissens viel mehr Bedeutung beigemessen, als reinem Faktenwissen. Die starke Zunahme der Bedeutung der Medien, sowohl im privaten, als auch im öffentlichen Bereich, gehört sicherlich ebenfalls zu dieser Technologisierung dazu. Dies hat dann wiederum zur Folge, dass viele Menschen (vor allem Jugendliche) große Teile ihres Wissens und ihrer Erfahrungen lediglich aus zweiter Hand erfahren. Sinnliche Erfahrungen, die den Lernprozess aus lernpsychologischer Sicht eindeutig begünstigen, treten somit ganz klar in den Hintergrund. Diese gesellschaftlichen Aspekte verstärken die Forderungen nach mehr Phasen des selbständigen Lernens in der Schule.
Vor allem auf dem heutigen Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft werden in zunehmendem Maße sogenannte Schlüsselqualifikationen gefordert. Bei diesen Kompetenzen geht es beispielsweise darum, dass die Heranwachsenden in der Lage sein sollen selbständig kompetente Fragen zu stellen anstatt nur Fragen zu beantworten, erfolgreich mit Anderen zu kooperieren und sich eben nicht nur als Einzelkämpfer durchsetzen zu wollen oder auch den Mut haben sich mit neuen und fremden Bereichen auseinanderzusetzen und dabei ruhig auch einmal Fehler zu machen[61]. Selbständige Lernphasen in der Schule bieten eine sehr gute Möglichkeit gerade diese Schlüsselqualifikationen auszubilden und einzuüben.
3.3.2 bildungstheoretisch
Bereits Wilhelm von Humboldt weist in seiner Bildungstheorie darauf hin, „dass der Mensch in einer Mannigfaltigkeit kultureller und sozialer Beziehungen lebt“[62] und demnach immer wieder Situationen ausgesetzt ist, in denen er sich entscheiden muss. Laut Humboldt besitzt der Mensch nämlich eine innewohnende Kraft, die sich in der Auseinandersetzung mit der Welt entwickelt und ihn somit befähigt bewusst und reflektiert Entscheidungen treffen zu können[63]. Somit ist hierbei die Dialektik zwischen dem Individuum und der Welt von großer Relevanz, um tatsächlich selbständig handeln zu können. Damit diese Wechselbeziehung zwischen Mensch und Welt allerdings letztendlich bildsam sein kann, bedarf es eines recht hohen Maßes an Freiheit und Vielfalt. Denn erst auf diese Art und Weise kann der Mensch seine eigene Individualität entwickeln, die als Grundvoraussetzung für „eine selbst verantwortete Mitwirkung an der menschlichen Gesamtpraxis“[64] angesehen wird.
Die Bildungstheorie Humboldts hat dann im 20. Jahrhundert mit dem Konzept einer allgemeinen Bildung von Wolfgang Klafki ihre Fortführung gefunden. Klafki prägt hierbei den Begriff der „kategorialen Bildung“, der eine grundlegende Bildung impliziert, wobei sich Formen des Verstehens und Erkennens herausbilden. Daraufhin bildet der Mensch dann wiederum Kategorien, die es ihm ermöglichen sich selbst, die Welt und deren gegenseitiges Verhältnis zu interpretieren und somit dann auch begründet handeln zu können. Für schulisches Lernen lässt sich hieraus ableiten, dass die kategoriale Bildung Arbeitsformen, wie beispielsweise die eigene Auseinandersetzung und Beschäftigung mit Inhalten und auch die Aneignung von ganz bestimmten Methoden und Fähigkeiten beinhaltet. Diese Aspekte behandeln also die Zielsetzungen, die auch in selbständigen Lernphasen angestrebt werden, um die Schüler zu befähigen „sich in der Welt zurechtzufinden und verantwortlich darin handeln zu können und eigene Entscheidungen zu treffen“[65].
Solange die Schule als Bildungsinstitution aufgefasst wird, muss es auch weiterhin das Ziel von Schule sein Lernprozesse zu initiieren, die es den Schülern ermöglichen „ein aufgeklärtes und handlungsorientiertes Verhältnis zu gewinnen und gleichzeitig sich die Welt in ihren wichtigsten Aspekten und Problemen aufzuschließen“[66]. Eine demokratische Gesellschaft verlangt geradezu nach selbständigen Menschen, die sich „an das im demokratischen Prozess als richtig Erkannte“[67] anpassen können und zudem zum kritischen Denken in der Lage sind. Daher müssen die Schüler lernen sich selber (weiter)bilden zu können, denn erst die Bildung ermöglicht es ihnen sich die Welt bewusst zu machen und sich auch darin zurechtzufinden. In selbständigen Lernphasen wird es den Lernenden ermöglicht sich selber bewusst begründete Ziele und auch vernünftige Normen zu setzen. Daher sollte die Schule den Schülern genügend Gelegenheiten bieten und bereitstellen, in denen die lernenden Individuen eigene Interessen entwickeln und diesen nachgehen können, um somit das Lernen (zumindest teilweise) selbst in die Hand zu nehmen.
3.3.3 lerntheoretisch
Oftmals wird beklagt, dass Lernende in der Vergangenheit in der Institution Schule zu einseitig und als passive Individuen behandelt worden sind und eine zu starke Ausrichtung auf die Lehrperson sogar die Ausbildung sozialer Kompetenzen und Teamfähigkeit verhindert hat. Die Absicht, sich „von den als negativ beurteilten Aspekten und Folgen des Schul-Lernens als eines verschulten Lernens abzusetzen“[68], gehört auf jeden Fall zu dem tradierten Selbstverständnis selbständigen Lernens. Die Vorstellung von einem Frontalunterricht, der von der Annahme ausgeht, dass etwa 25 Schüler synchron einen Lernweg einschlagen, diesen konsequent verfolgen und so letztendlich zu einem gemeinsamen Ziel gelangen, kann schlichtweg als Utopie verstanden werden. Hinzu kommt, dass sich das Lerntempo solch eines Frontalunterrichts an einem „Durchschnittsschüler“ orientiert, individuelle Lernprozesse und Lerntypen hingegen keinerlei Berücksichtigung finden. Dies kann dann zur Folge haben, dass schwache Schüler überfordert, leistungsstarke Schüler gelangweilt werden und letztendlich viele Schüler keine Chance bekommen das für sie passende und notwendige Lerntempo zu finden. Unter Umständen kann dies dann sogar dazu führen, dass genau diesen Schülern, aufgrund des nicht gefundenen Lerntempos, Lernschwierigkeiten attestiert werden. Des Weiteren vertreten heutzutage viele Lernforscher die Auffassung, dass Lernen eben nicht linear verläuft und häufig gerade „Umwege“ dem Lerner einen bestimmten Sachverhalt erst richtig deutlich machen und er auf diese Art und Weise viel effektiver zum Ziel gelangen kann. Daraus resultiert dann, dass Unterricht im Idealfall keinem festgelegten Schema folgt, sondern ein vielseitiges und abwechslungsreiches Lernfeld darstellt[69]. Es müssen also einfallsreiche und anregende Lernarrangements geschaffen werden, die tatsächlich bei der Realisation von Lernen helfen.
Seitdem es durch wissenschaftliche Erkenntnisse der Lerntheoretiker mittlerweile nun eher zu einer Abkehr vom Behaviorismus hin zum Kognitivismus und Konstruktivismus gekommen ist und Lernen demnach als ein „aktiver, konstruktiver, kumulativer, selbstregulierter und zielorientierter Prozess“[70] verstanden wird, spricht dies auch deutlich für die Ausbildung zum selbständigen Lernen als Bildungsziel. Gerade auch die Tatsache, dass Lernen im Kern ein individueller Prozess ist, macht es notwendig oder zumindest wünschenswert die Schüler zu eigenen Lernprozessen zu befähigen. Denn besonders im schulischen Bereich ist es enorm wichtig, dass der Schüler bei möglichen auftretenden Schwierigkeiten in der Lage ist, den unterrichtlichen Lernprozess selber „nachsteuern“ zu können. Die Vermittlung anwendbaren Wissens im Gegensatz zu sogenanntem „trägen Wissen“ kann somit als Ziel dieser neuen Lernkultur konstatiert werden[71]. Um den für sich bestgeeignetsten Lernweg herausfinden zu können, müssen den Schülern daher Zeit, Raum und Möglichkeiten dafür geschaffen und gegeben werden. Dies bedeutet allerdings auch gleichzeitig, dass sich die Lehrer in Sachen Auswahl der Unterrichtsthemen, Sozialformen und Lernziele zurücknehmen und demgegenüber zumindest einen großen Teil der Verantwortung für den Lernprozess auf die Schüler selber übertragen müssen.
Darüber hinaus muss an dieser Stelle auch einmal bedacht werden, dass Schule und Unterricht „eine scheinbar selbstverständliche Existenzberechtigung“[72] haben. Dies hat dann besonders in der Vergangenheit dazu geführt, dass der Schulalltag sehr oft nach festen Ritualen abgelaufen ist und daher auch nur sehr selten (oder gar nicht) nach dem eigentlichen Sinn gefragt worden ist. Daraus resultiert dann, dass es im schulischen Bereich sehr lange Zeit vor allem zu einer sehr geringen Berücksichtigung lebensbedeutsamer Inhalte gekommen ist und die Lerninhalte recht künstlich und lebensfern vermittelt worden sind. Allerdings liegt es in der Natur des Menschen etwas als wichtig und bedeutsam zu erachten, sobald bestimmten Handlungen ein Sinn zuzuordnen ist. Übertragen auf den schulischen Bereich bedeutet dies, dass es für die Lernenden enorm wichtig ist, in den verschiedenen Lernprozessen einen Sinn erkennen zu können. Dies weckt nämlich zugleich Interesse und Motivation bei den Schülern. Gerade selbständige Lernphasen bieten den Schülern in viel höherem Maße als beispielsweise der Frontalunterricht die Möglichkeit sich selber bewusst für spezielle Lerninhalte zu entscheiden und damit auch für sich selber einen Sinn ihrer Lernprozesse zu konstituieren. Gerade für die Persönlichkeitsentwicklung der Heranwachsenden ist es bedeutsam „für das Lernen und die damit verbundenen Anstrengungen hier und heute Sinn zu sehen“[73].
3.3.4 sozialerzieherisch
Unterrichtskonzepte, die auf selbständigem Lernen basieren, unterstützen vor allem auch das soziale Miteinander der Schüler. Solidarität, Kooperationsbereitschaft und Empathie sind nur einige Bereiche mit denen die Schüler während Phasen des selbständigen Lernens in Berührung kommen. Darüber hinaus können die Schüler voneinander lernen, in dem sie beobachten, welche Lern- und Arbeitsstrategien andere Schüler verwenden, welche unterschiedlichen Zielsetzungen verfolgt werden können und wie mit Fehlern umgegangen werden kann. Bei nahezu allen Wissensbereichen gibt es nämlich Schüler, die aufgrund ihres Vorwissens in ihrem Lernprozess bereits einige Schritte weiter als ihre Mitschüler sind. Diese Schüler können dann für den Rest der Klasse als „Experten“ dienen und den anderen Schülern helfen, sie unterstützen und deren Lernprozesse (mit)vorantreiben. Dadurch erhalten die ständig wechselnden Experten Selbstvertrauen und fühlen sich zugleich kompetent und motiviert für weitere Lernprozesse. Viele Schüler greifen auch lieber auf die Hilfe und Unterstützung „Gleichgesinnter“ zurück, als auf die des Lehrers und hierfür bietet dieses kooperative Miteinander sehr gute Möglichkeiten.
[...]
[1] Mandl. H./ Friedrich, H.: Lern- und Denkstrategien- ein Problemaufriß. In: Mandl, H./ Friedrich, H. (Hrsg.): Lern- und Denkstrategien. Analyse und Intervention. Göttingen: Hogrefe 1992. S. 3.
[2] Vgl. Gesellschaft für deutsche Sprache: Wörter des Jahres. URL: http://www.gfds.de/index.php?id=11 (15.04.2007)
[3] Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen: Schulgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. Juni 2006. In: Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Neues Schulgesetz. Sonderausgabe zum Amtsblatt des Ministeriums für Schule und Weiterbildung. Düsseldorf: 2006. §2 (5). S. 19.
[4] Vgl. Hoffmann, B.: Medienpädagogik. Eine Einführung in Theorie und Praxis. Paderborn:Schöningh 2003. S. 346.
[5] Kaiser, A./ Kaiser, R.: Studienbuch Pädagogik. Grund- und Prüfungswissen. Berlin: Cornelsen 2001. S. 102.
[6] Vgl. Baumgart, F.: Vorbemerkungen. In: Baumgart, F. (Hrsg.): Entwicklungs- und Lerntheo- rien. Erläuterungen, Texte, Arbeitsaufgaben. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2001. S. 11.
[7] Vgl. Edelmann, W.: Lernen. In: Wenninger, G. (Hrsg.): Lexikon der Psychologie. Bd. F- L. Heidelberg: Spektrum 2001. S. 451.
[8] Vgl. Baumgartner, P./ Payr, S.: Lernen mit Software. München: Studien 1999. S. 101.
[9] Baumgartner, P. u.a.: Handlungsstrategien von LehrerInnen – ein heuristisches Modell. In: Metzger, C. u.a. (Hrsg.): Impulse für die Wirtschaftspädagogik. Festschrift zum 65. Geburtstag von Prof. Dr. Rolf Dubs. St. Gallen: Verlag des schweizerischen kaufmännischen Verbandes 2000. S. 247.
[10] Vgl. Wellenreuther, M.: Lehren und Lernen- aber wie? Empirisch-experimentelle Forschungen zum Lehren und Lernen im Unterricht. Baltmannsweiler: Schneider 2005. S. 62.
[11] Kaiser, A./ Kaiser, R.: Studienbuch Pädagogik. 2001. S. 114.
[12] Vgl. Gudjons, H.: Pädagogisches Grundwissen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2003. S. 214.
[13] Kaiser, A./ Kaiser, R.: Studienbuch Pädagogik. 2001. S. 131.
[14] Steiner, G.: Lernen und Wissenserwerb. In: Krapp, A./ Weidenmann, B.: (Hrsg.): Pädagogi- sche Psychologie. Ein Lehrbuch. Weinheim: Beltz 2006. S. 163.
[15] Ebd. S. 201.
[16] Seel, N.: Psychologie des Lernens. München: Reinhardt 2003. S. 22.
[17] Baumgartner, P./ Payr, S.: Lernen mit Software. 1999. S. 105.
[18] Baumgartner, P. u.a.: Handlungsstrategien von LehrerInnen – ein heuristisches Modell. In: Metzger, C. u.a. (Hrsg.): Impulse für die Wirtschaftspädagogik. 2000. S. 249.
[19] Baumgartner, P./ Payr, S.: Lernen mit Software. 1999. S. 107.
[20] Vgl. Wellenreuther, M.: Lehren und Lernen- aber wie? 2005. S. 65.
[21] Vgl. Siebert, H.: Die Wirklichkeit als Konstruktion. Einführung in konstruktivistisches Denken. Frankfurt: VAS 2005. S. 35.
[22] Siebert, H.: Pädagogischer Konstruktivismus. Lernen als Konstrukt von Wirklichkeit. Neuwied: Luchterhand 2003. S. 16.
[23] Vgl. Edelmann, W.: Lernpsychologie. Weinheim: Beltz 2000. S. 287.
[24] Siebert, H.: Pädagogischer Konstruktivismus. 2003. S.85.
[25] Vgl. Reiter, A.: Neue Medien- ein Garant für neues Lernen? In: Schwetz, H. (Hrsg.): Konstruktives Lernen mit neuen Medien. München: Studien 2001. S. 27-28.
[26] Lompscher, J.: Lernstrategien- Relevanz, Zugänge, Ergebnisse. In: Schnaitmann, G. W. (Hrsg.): Theorie und Praxis der Unterrichtsforschung. Methodologische und praktische Ansät- ze zur Erforschung von Lernprozessen. Donauwörth: Auer 1996. S. 111.
[27] Vgl. Wellenreuther, M.: Lehren und Lernen- aber wie? 2005. S. 75.
[28] Vgl. Lompscher, J.: Lernstrategien- Relevanz, Zugänge, Ergebnisse. In: Schnaitmann, G. W. (Hrsg.): Theorie und Praxis der Unterrichtsforschung. 1996. S. 112.
[29] Bräu, K.: Selbstständiges Lernen in der gymnasialen Oberstufe. Hohengehren: Schneider 2002. S. 32.
[30] Simons, J.: Lernen, selbständig zu lernen- ein Rahmenmodell. In: Mandl, H./ Friedrich, H. (Hrsg.): Lern- und Denkstrategien. Analyse und Intervention. Göttingen: Hogrefe 1992. S. 252.
[31] Vgl. Gudjons, H.: Frontalunterricht- neu entdeckt. Integration in offene Unterrichtsformen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2003. S. 27.
[32] Vgl. Knowles, M. S.: Self-directed learning. Englewood Cliffs, NJ: Prentice Hall Regents 1975. S. 18.
[33] Vgl. Terhart, E.: Lehr-Lern-Methoden. Eine Einführung in Probleme der methodischen Organisation von Lehren und Lernen. München: Juventa 2005. S. 130.
[34] Vgl. Bräu, K.: Selbstständiges Lernen in der gymnasialen Oberstufe. S. 38-40.
[35] Jürgens, E.: Die `neue´ Reformpädagogik und die Bewegung Offener Unterricht. Theorie, Praxis und Forschungslage. St. Augustin: Academia 2004. S. 50.
[36] Simons, J.: Lernen, selbständig zu lernen- ein Rahmenmodell. In: Mandl, H./ Friedrich, H. (Hrsg.): Lern- und Denkstrategien. 1992. S. 253.
[37] Konrad, K./ Traub, S.: Selbstgesteuertes Lernen in Theorie und Praxis. München: Schulbuch 1999. S. 50.
[38] Comenius, J. A.: Grosse Didaktik. München: Küpper 1954. S. 9.
[39] Kant, I.: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Biester, J. E./ Gedike, F. (Hrsg.): Berlinische Monatsschrift. Bd 4. 1784. S. 481.
[40] Zur Zeit der Aufklärung ist es allerdings noch zu der traditionsreichen Verwendung des Begrif- fes Mündigkeit gekommen, da der Terminus Selbständigkeit damals noch nicht sehr geläufig gewesen ist.
[41] Vgl. Siebert, H.: Selbstgesteuertes Lernen und Lernberatung. Neue Lernkulturen in Zeiten der Postmoderne. Neuwied: Luchterhand 2001. S. 10-13.
[42] Ebd. S. 10.
[43] Vgl. Aschersleben: Frontalunterricht- klassisch und modern. Neuwied: Luchterhand 1999. S. 54.
[44] Vgl. Schulz-Benesch, G.: Maria Montessori. In: Hellmich, A./ Teigeler, P. (Hrsg.): Montesso- ri-, Freinet-, Waldorfpädagogik. Weinheim: Beltz 1999. S. 35.
[45] Vgl. Skiera, E.: Reformpädagogik in Geschichte und Gegenwart. Eine kritische Einführung. München: Oldenbourg 2003. S. 232.
[46] Vgl. Jörg, H.: Meine Begegnung mit Freinet und der Freinet-Pädagogik. In: Hellmich, A./ Teigeler, P. (Hrsg.): Montessori-, Freinet-; Waldorfpädagogik. Weinheim: Beltz 1999. S. 98-101.
[47] Skiera, E.: Reformpädagogik in Geschichte und Gegenwart. 2003. S. 311.
[48] Vgl. Jörg, H.: Meine Begegnung mit Freinet und der Freinet-Pädagogik. In: Hellmich, A./ Teigeler, P. (Hrsg.): Montessori-, Freinet-; Waldorfpädagogik. 1999. S. 102.
[49] Vgl. Skiera, E.: Reformpädagogik in Geschichte und Gegenwart. 2003. S. 297.
[50] Vgl. Aschersleben: Frontalunterricht- klassisch und modern. 1999. S. 60.
[51] Scheibner, O.: Zwanzig Jahre Arbeitsschule in Idee und Gestaltung. Leipzig: Quelle & Meyer 1930. S. 237.
[52] Gaudig, H.: Die Schule im Dienste der werdenden Persönlichkeit. Leipzig: Quelle & Meyer 1922. S. 230.
[53] Gaudig, H.: Das Grundprinzip der freien geistigen Arbeit (1922). In: Hansen-Schaberg, I. (Hrsg.): Die Praxis der Reformpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2005. S. 36.
[54] Bönsch, M.: Begründung und Konzipierung einer Didaktik selbstverantworteten und selbstbe- stimmten Lernens. In: Bönsch, M. (Hrsg.): Selbstgesteuertes Lernen in der Schule. Praxisbei- spiele aus unterschiedlichen Schulformen. Neuwied: Westermann 2006. S. 17.
[55] Arnold, R./ Schüssler, I.: Wandel der Lernkulturen. Ideen und Bausteine für ein lebendiges Lernen. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1998. S. 84.
[56] Vgl. Arnold, R./ Schüssler, I.: Wandel der Lernkulturen. Ideen und Bausteine für ein lebendi- ges Lernen. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1998. S. 87.
[57] Vgl. Lattinger, H.: Neues Lernen für die Informationsgesellschaft. In: Schwetz, H. (Hrsg.): Konstruktives Lernen mit neuen Medien. München: Studien 2001. S. 20.
[58] Vgl. Edel, N.: Offener Unterricht. In: Bovet, G./ Huwendiek, V. (Hrsg.): Leitfaden Schulpra- xis. Pädagogik und Psychologie für den Lehrberuf. Berlin: Cornelsen 2004. S. 105.
[59] Jürgens, E.: Die `neue´ Reformpädagogik und die Bewegung Offener Unterricht. 2004. S. 28.
[60] Konrad, K./ Traub, S.: Selbstgesteuertes Lernen in Theorie und Praxis. 1999. S. 23.
[61] Vgl. Unruh, T./ Petersen, S.: Guter Unterricht. http://www.guterunterricht.de/Seiten/Unterricht/ selbststaendiglernen.htm (14. 02. 2007)
[62] Konrad, K./ Traub, S.: Selbstgesteuertes Lernen in Theorie und Praxis. 1999. S. 25.
[63] Vgl. Benner, D.: Wilhelm von Humboldts Bildungstheorie. Eine problemgeschichtliche Studie zum Begründungszusammenhang neuzeitlicher Bildungsreform. Weinheim: Juventa 2003. S. 51-52.
[64] Konrad, K./ Traub, S.: Selbstgesteuertes Lernen in Theorie und Praxis. 1999. S. 26.
[65] Konrad, K./ Traub, S.: Selbstgesteuertes Lernen in Theorie und Praxis. 1999. S. 27.
[66] Bönsch, M.: Begründung und Konzipierung einer Didaktik selbstverantworteten und selbstbe- stimmten Lernens. In: Bönsch, M. (Hrsg.): Selbstgesteuertes Lernen in der Schule. 2006. S. 7.
[67] Bräu, K.: Selbstständiges Lernen in der gymnasialen Oberstufe. 2002. S. 111.
[68] Terhart, E.: Lehr-Lern-Methoden. 2005. S. 126.
[69] Vgl. Konrad, K./ Traub, S.: Selbstgesteuertes Lernen in Theorie und Praxis. 1999. S. 15.
[70] Nuesch, Ch.: Selbständiges Lernen und Lernstrategieeinsatz. Eine empirische Studie zur Bedeutung der Lern- und Prüfungskonstellation. Paderborn: Eusl 2001. S. 4.
[71] Vgl. Mandl, H./ Winkler, K.: Auf dem Weg zu einer neuen Lehr-Lern-Kultur. Der Beitrag der neuen Medien. In: Deubel, V./ Kiefer, K. H. (Hrsg.): MedienBildung im Umbruch. Lehren und Lernen im Kontext der Neuen Medien. Bielefeld: Aisthesis 2003. S.77.
[72] Bönsch, M.: Begründung und Konzipierung einer Didaktik selbstverantworteten und selbstbe- stimmten Lernens. In: Bönsch, M. (Hrsg.): Selbstgesteuertes Lernen in der Schule. 2006. S. 16.
[73] Bönsch, M.: Begründung und Konzipierung einer Didaktik selbstverantworteten und selbstbe- stimmten Lernens. In: Bönsch, M. (Hrsg.): Selbstgesteuertes Lernen in der Schule. 2006. S. 20.
- Arbeit zitieren
- Stephanie Reuter (Autor:in), 2008, Wie kann selbständiges Lernen in der Schule durch den Einsatz (Neuer) Medien bestärkt werden?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/184490
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