Jesus spricht über Mord, Zorn und Versöhnung: Exegese zu Mt 5,21-26


Quellenexegese, 2008

43 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Hinführung

2. Historische Analyse
2.1 Quellen- und Redaktionskritik
2.2 Der Historische Kontext und Religionsgeschichtliche Vergleich

3. Sprachliche Analyse
3.1 Gliederung und Struktur
3.2 Syntaktisch - Stilistische Analyse
3.3 Semantische Analyse zentraler Begriffe
3.4 Formkritik (Gattungsanalyse)
3.5 Pragmatik/Funktion und Intention des Textes

4. Rezeptionsästhetische Analyse: Unterrichtliche Impulse zum Text

5. Zusammenfassende Exegese

6. Anhang
Der verwendete Bibeltext Mt 5,21-26
Synoptischer Vergleich
Mt 5,21-26 als Erklärungstext
Mt 5,21-26 als Teil von Jesu „Schulhofpredigt“
1. Exkurs: Die Textzeugen und die abweichende
Lesart „ohne Ursache“
2. Exkurs: Die Diskussion über Vers 22
3. Exkurs: Die Antithese

7. Literaturverzeichnis

1. Hinführung

Der Textabschnitt Mt 5,21-261 erscheint relativ am Anfang der Jesusgeschichte des Mat- thäusevangeliums. In Mt 1-2 berichtet der Autor von Jesu Abstammung und Kindheit. In Mt 3,1-12 erscheint Johannes der Täufer und in 3,13-17 tauft er den erwachsenen Jesus, woraufhin dieser von Gott hörbar als Sein „geliebter Sohn“ identifiziert wird. Etwas spä- ter widersteht Jesus erfolgreich den Versuchungen des Teufels (4,1-11), und ab 4,17 be- ginnt Jesus, öffentlich in Galiläa zu wirken, indem er, wie vor ihm Johannes der Täufer, predigt: „Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen“ (Mt 4,17). Vier Fischer schließen sich ihm als seine ersten Jünger an (4,18-22) und er predigt und heilt in Galiläa (4,23-25), woraufhin ihm „große Volksmengen“ aus Galiläa und der weiteren Umgebung folgen.

In Anbetracht der vielen Menschen steigt Jesus nun auf einen Berg in Galiläa und hält seine erste Rede (Mt 5,1f), die so genannte Bergpredigt (Mt 5-7). Sie beginnt mit den Seligpreisungen (5,1-12), auf die eine Ansprache folgt, in der die Jünger als „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“ bezeichnet werden (5,13-16). Darauf hin erklärt Jesus sein Verhältnis zum Gesetz und zu den Propheten (5,17-20) indem er sagt, er sei nicht gekommen, sie aufzulösen, sondern sie zu erfüllen; eindringlich warnt er davor, sie aufzulösen und fordert in Vers 20 von seinen Zuhörern eine bessere Gerechtigkeit2 als die der Schriftgelehrten und Pharisäer. Diese Verse (17-20) sind die programmatische Einleitung3 und Vers 20 insbesondere ist die zusammenfassende Überschrift4 für das nun folgende in Mt 5,21ff: Hier entfaltet Jesus nun in sechs so genannten Antithesen5 das, was er unter der besseren Gerechtigkeit versteht.6 Der Inhalt des Abschnitts, der das The- ma dieser Hausarbeit ist, besteht aus dreimal zwei Versen: In der ersten Antithese spricht Jesus in Mt 5,21f über sein Verständnis des Gebotes „Du sollst nicht töten“ und sagt in 23f, man solle sich zuerst mit dem Bruder versöhnen, bevor man eine Opfergabe dar- bringt. In 25f mahnt er zur Einigung mit dem Prozessgegner. Fünf weitere Antithesen folgen, in denen Jesus sein Verständnis des Gesetzes erläutert und über Ehebruch (5,27- 30) und Ehescheidung (31f), das Schwören eines Eides (33-37), die Vergeltung (38-42) und die Feindesliebe (43-47) spricht. Schließlich fordert er seine Zuhörer auf, „voll- kommen“ [zu] sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“ (Vers 48).

In den nächsten beiden Kapiteln (6+7) setzt Jesus seine Bergpredigt fort; danach berichtet der Autor weiter von Heilungen, Wundern und anderen Taten Jesu, der ab Ka- pitel 19 auch in Judäa wirkt; auf die Bergpredigt folgen noch vier weitere Reden an ver- schiedenen Stellen des Evangeliums,7 das schließlich mit Jesu Passion und Auferstehung endet (Mt 26-28).

Ich habe den Textabschnitt Mt 5,21-26 als Thema dieser Hausarbeit gewählt, weil sich für mich beim ersten Lesen im Vergleich zu den anderen möglichen Texten die meisten Fragen ergaben, vor allem in Vers 21f. Beispielsweise fragte ich mich: Was ist unter den Strafen genau zu verstehen und welche Unterschiede liegen in der Bedeutung der Schimpfwörter? Bestehen hier Widersprüche zum Alten Testament? Ist Vers 23f nach der Zerstörung des Tempels und für Christen noch relevant? So erschien mir der Textabschnitt Mt 5,21-26 am interessantesten, um ihn in einer Exegese einmal gründlich zu untersuchen.

Im Aufbau folgt die Arbeit im Wesentlichen den Vorgaben zur inhaltlichen Kon- zeption. Bedauerlicherweise überschreitet sie jedoch das vorgeschriebene Seitenlimit. Um den Umfang des Hauptteils nicht noch mehr zu vergrößern, argumentiere ich an einigen Stellen im Hauptteil mit zusammenfassenden Ergebnissen. Die für diese Ergeb- nisse zu Grunde liegende und umfangreichere „Beweisführung’ findet zum Nachvollzie- hen derselben im Anhang statt. Ich habe versucht, Doppelungen zu vermeiden, aber an einigen Stellen ergeben sie sich trotzdem, etwa wenn ein Begriff zum einen in seinem historisch-religionsgeschichtlichen Kontext und zum anderen in seiner Semantik erläu- tert wird. Im Teil „Rezeptionsästhetische Analyse“ habe ich statt eines möglichen Zu- gangs unterrichtliche Impulse zum Text herausgearbeitet. Dies sind Ideen und Ziele zu einer möglichen Beschäftigung mit Mt 5,21-26 im Unterricht; es handelt sich dabei kei- neswegs um einen perfekten pädagogisch-didaktischer Unterrichtsentwurf. Als Bibel- übersetzung habe ich die revidierte Elberfelder Bibel verwendet, da ich sie auch sonst gebrauche und sie als besonders texttreu gilt.

2. Historische Analyse

2.1 Quellen- und Redaktionskritik

Für die Verse 21-24 finden sich weder in den anderen synoptischen Evangelien noch im Johannesevangelium Parallelen.8 Die Verse 25+26 hingegen stehen in sehr ähnlicher Weise auch im Lukasevangelium (Lk 12,58-59). Nach der Zwei-Quellen-Theorie käme also zumindest für die beiden Verse 25f ein Ursprung in der hypothetischen Logienquel- le Q in Betracht. Diese Vermutung ist auch die Ansicht der modernen Forschung, die für die entsprechenden Verse den Ursprung in der Logienquelle in Q 12,58-599 bzw. dem „Saying 60“10 sieht.

Ein synoptischer Vergleich zwischen Lk 12,58-59 und Mt 5,25-26 zeigt, dass zwischen den beiden Texten einige Unterschiede bestehen.11 So verbindet Lukas den Abschnitt Lk 12,54-56 (entsprechend der Vorlage in Q 12,54-56) durch den folgenden Vers 57 mit dem Abschnitt 12,58-59 zu einem Gesamtkomplex12 und behält so die Rei- henfolge und den Sinn aus der Logienqelle bei, während sich Q 12,54-56 im MtEv. an anderer Stelle, nämlich in Mt 16,2-3, wieder findet.13 Der einleitende Vers Lk 12,57 „Warum richtet ihr aber auch von euch selbst aus nicht, was recht ist?“ fehlt im MtEv. Hier beginnt Jesus in 5,25 sogleich mit der Aufforderung, dem Gegner schnell entgegen zu kommen bzw. ihm schnell wohlgesinnt zu sein, während man sich auf dem Weg be- findet. Lk 12,58 dagegen schließt sinngemäß an Vers 57 an: „Denn wenn du mit deinem Gegner vor die Obrigkeit gehst…“. Dann erst folgt die Aufforderung zur Einigung mit dem Gegner auf dem Weg, die bei Lukas und in Q jedoch anders, dem Gegner gegen- über eher juristisch und distanzierter, formuliert ist: Man soll sich Mühe geben, vom Gegner los zu kommen! „Schnell“ fehlt hier bei Lk und in Q und ist demnach eine Einfü- gung von Matthäus. Der Sinn der Einigung ist laut Mt 5,25 der, dass der Gegner den von Jesus mit „Du“ Adressierten nicht dem Richter überliefert; Lukas formuliert den Sinn der Einigung präziser14 und anders als Mt und Q: „[…] damit er [sc. der Gegner] dich nicht etwa zu dem Richter hinschleppe [Hervorhebung. v. Verf.]“ und verwendet dann im Verlauf des Prozesses wie Mt und Q das Verb „überliefern“. Des Weiteren ist der „Diener“ des „Richters“ in Mt 5,25 und Q 12,58 bei Lukas (12,58) mit „Gerichtsdiener“ genauer bezeichnet. Ansonsten wird der zu vermeidende Prozess im LkEv und im MtEv fast gleich beschrieben.

Jesu „Ich sage dir…“-Drohung beginnt in Mt 5,26 mit „Wahrlich“ [Hervorhebung vom Verf.], was in Lk 12,59 und Q 12,59 nicht der Fall ist. Der „letzte Pfennig“, der zurück zu zahlen ist, ist in Mt 5,26 und in Q 12,59 ein Quadrans, in Lk 12,59 hingegen ein Lepton.15 Für die bei Mt 5,25-26 und Lk 12,58-59 parallelen Texte gibt es also eine gemeinsame Vorlage in Q 12,58-59, die jedoch in beiden Evangelien redaktionell bearbeitet wurde; daher weisen die Evangelien jeweils Eigenarten auf.

Über den Ursprung der Verse Mt 5,21-24 ist man sich nicht einig. Einige zählen sie zum Sondergut des Matthäus16, andere sagen, dass sie auch aus der Logienquelle Q stammen, die jedoch schon in verschiedenen Fassungen vorlag17, als die Evangelisten sie verwendeten. Udo Schnelle bezeichnet die von Matthäus in diesem Fall und für sein Evangelium verwendete Quelle mit QMt18.

Die Antithesenformulierung in Vers 21f mit „Ihr habt gehört (…) Ich aber sage euch…“ geht nach Ansicht von G. Barth19 und anderen20 direkt auf Jesus zurück. Formu- lierungen wie „Ich aber sage euch“ haben zwar formale Parallelen im zeitgenössischen Judentum Jesu, etwa wenn ein Rabbi seine Meinung der eines Anderen entgegensetzt, aber es findet sich keine sachliche Parallele; denn Jesus stelle sich, so G. Barth, neben und über Moses Gesetz21. Unerhört für die Pharisäer und Sadduzäer sei dieser Umgang Jesu mit dem Gesetz,22 und so kommt auch Wrege zu dem Schluss, dass die „unge- schützte Radikalität der ersten Antithese und vor allem ihrer Bezugsworte (V. 21f.) […] die Vermutung nahe [legt], daß [sic] wir hier die Stimme Jesu hören.“23

Der Evangelist fand also die antithetische Formulierung in V. 21f. schon vor24. Die Zusammenstellung mit den folgenden Versen 23f. und 25f. geht aber wahrscheinlich auf ihn zurück. Für Wrege etwa bleibt fraglich, „ob V.23f. zuerst mit der Antithese V. 21ff. oder aber mit […] Mt. 5,25f. […] zusammengewachsen ist.“25 Und auch Dietzfel- binger ist der Ansicht, dass Mt 5,23f. und Mt 5,25f. von Jesus nicht im selben Moment wie Mt 5,21f. gesprochen wurden26 und sie auch nicht ursprünglich in derselben Quelle mit 5,21f. überliefert wurden.27 G. Barth hält die Verse 23f. und 25f. für redaktionell angefügte Interpretationen der Antithese in 21f.28 Die Verse 23f. müssen auf jeden Fall aus der Zeit vor der Zerstörung des Tempels 70 n. Chr. stammen, „da sie das Bestehen des Kultus (sc. des Opferkultus) voraussetzen.“29

Über die Überlieferungen, die der Evangelist verwendet hat, lässt sich nicht viel sagen. Man weiß nicht, wann und wo sie mündlich fixiert wurden.30 Dass sie schriftlich fixiert wurden und in dieser Form dem Evangelisten vorlagen, ist wahrscheinlich, doch auch hier sind Zeitpunkt und Ort nicht bekannt.31 Insofern es sich bei den Quellen um die Logienquelle Q handelt, lässt sich ihre Entstehungszeit und damit auch die der aus ihr im MtEv verwendeten Worte „auf die Jahre zwischen 40 bis 50 n. Chr. eingrenzen“32. Wie ich aufgezeigt habe, hat jedoch eine redaktionelle Bearbeitung durch den Autoren des MtEv stattgefunden; die Echtheit der Worte als Worte Jesu hingegen scheint sicher33. Verfasst wurde das MtEv in Syrien34. In der alten Kirche sah man den Jünger Matthäus als Verfasser an,35 was heute viele Theologen ablehnen;36 die Identität des Verfassers ist demnach unbekannt, doch war er ein „in der LXX verwurzelter judenchristlicher Lehrer, der innerjüdisch dem nichtpharisäischen „Volk des Landes“ zuzurechnen ist“37. Theißen hält es für denkbar, „dass eine seiner (sc. der Evangelist) Quellen, Q, auf Matthäus zu- rückgeführt wurde - und dass der Evangelist dessen Name auf das ganze Evangelium übertragen hat.“38 Die Entstehungszeit des MtEv liegt zwischen 80 und 100 n. Chr.39, wobei einige Theologen innerhalb dieses Zeitraums frühere, spätere oder präzisere An- gaben machen40.

Der Textabschnitt Mt 5,21-25 ist durch gute und verlässliche Textzeugen aus der Zeit um 200 n. Chr. bzw. dem 4. Jh. vollständig bezeugt. In Bibelausgaben, die auf dem Textus Receptus beruhen, heißt es in Vers 22: „Jeder, der seinem Bruder ohne Ursache (Hervorhebung vom Verf.) zürnt, wird dem Gericht verfallen sein.“41 In Bibelausgaben, die hingegen auf der textkritischen Edition Nestle-Aland beruhen, bei der ältere Hand- schriften als beim Textus Receptus in Betracht gezogen wurden, nämlich die o.g. Textzeugen, fehlt die Lesart „ohne Ursache“.42

2.2 Der Historische Kontext und Religionsgeschichtliche Vergleich

Verse 21f. Der Text beginnt mit: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist: […]“. Die „Alten“ sind die Sinaigeneration43, die unter der Führung Moses aus Ägypten ausgezogen ist. Gott hat am Sinai zu ihnen „gesagt“44, was im Dekalog und weiteren Vorschriften des Pentateuchs überliefert ist. Diese Tradition45 haben die jüdischen Zeitgenossen Jesu „gehört“, d. h. sie haben diese Tradition in der Synagoge empfangen46 und die Gebote und Vorschriften sind ihnen vertraut.47

Weiter geht es mit: „Du sollst nicht töten“. Hier zitiert Jesus wörtlich das Gebot aus dem Dekalog (Ex 21,12 bzw. Dtn 5,17). Nun folgt „wer aber töten wird, der wird dem Gericht verfallen sein“. Dies ist kein wörtliches Zitat, sondern „gewissermaßen ein Extrakt“48 oder eine „freie Wiedergabe“49 verschiedener Rechtsordnungen im Penta- teuch, die sich mit Strafen für das Töten beschäftigen.50 Für die vorsätzliche Tötung, also Totschlag und Mord (Num 35,16ff), ist hier entsprechend der Talionsformel (Ex 21,23- 25) „Leben um Leben“ die Todesstrafe51 vorgesehen. Das „Gericht“ ist demnach die Ausführung der Todesstrafe.52 Für Menschen, die versehentlich einen anderen Menschen getötet haben, waren Zufluchtsstädte vorgesehen, in die sie vor der Blutrache der Ver- wandten des Getöteten fliehen konnten (Num 35,11ff.). Auf die Parallelen der so ge- nannten Antithesenformulierungen Jesu53 im Judentum seiner Zeit, aber auch den unter- scheidenden Charakter wurde bereits in 2.1 hingewiesen.

Der Text lautet weiter: „Jeder, der […] zürnt“. Schon das Alte Testament stellt den menschlichen Zorn als eine negative Eigenschaft dar54 und beschreibt, wie zerstöre- risch er sich auswirken kann.55 Neben unzähligen Warnungen vor Zorn im Alten Testa- ment warnt auch das rabbinische Judentum zur Zeit Jesu vor dem Zorn als etwas schäd- lichem und verwerflichem.56 Die Aussage Eliezer ben Hyrkans „Wer seinen Nächsten haßt [sic], siehe, der gehört zu den Blutvergießern!“57 kommt sogar Jesu Aussage sehr nahe.58 Die Qumrangemeinschaft schließlich kannte für „Zornausbrüche gegenüber […] [ihren Mitgliedern] genau definierte Strafen“59.

Jesus fährt fort mit: „Wer aber […] sagt: Raka […] wer aber sagt: Du Narr!“. Das Alte Testament verbietet es unter Strafe, den Eltern oder einem Fürsten zu fluchen (Ex 21,17 und Ex 22,27), und ermahnt dazu, die „Zunge vor Bösem“ zu bewahren (Ps 34,14). In Talmud und Midrasch wird die Benutzung von Schimpfwörtern gerügt60 und es sind sogar diesseitige und jenseitige Strafen für einige Beleidigungen vorgesehen,61 was erneut eindrucksvoll die Parallelen zwischen Jesu Aussagen und dem Judentum seiner Zeit verdeutlicht.

Jesus nennt als Konsequenz von „Raka“ die Strafe, dass der Beleidiger „dem Hohen Rat verfallen sein wird“. Bei diesem „Hohen Rat“ handelt es sich um das Syn- hedrium bzw. den Sanhedrin (hebr.), der das oberste jüdische Entscheidungsorgan mit Sitz am Tempel in Jerusalem war. Er bestand aus 72 Mitgliedern mit dem Hohenpriester an seiner Spitze und fällte politische, zumeist aber religiöse Entscheidungen.62 „Daneben gab es in kleineren Städten und in der Diaspora auch einen Sanhedrin mit 23 Mitglie- dern“63. Zur Zeit der römischen Vorherrschaft war der Sanhedrin in Jerusalem der obers- te Gerichtshof, der aber keine Todesurteile fällen oder vollstrecken durfte.64 Nach dem Neuen Testament wurden Jesus, Petrus und Johannes sowie Paulus vor dem Sanhedrin verhört65. Mit einem Schimpfwort hingegen würde sich ein Sanhedrin nie befassen.66

Als Strafe für die Beleidigung „Du Narr“ sagt Jesus, dass der Beleidiger „der Hölle des Feuers verfallen sein wird“. Jerusalem ist im Süden und Westen vom so ge- nannten Hinnomtal umgeben67, wo „sich in spätvorexilischer Zeit das Tofet […] [be- fand], eine Kultstätte, an der man Kinder für den Gott Moloch verbrannte, weshalb der und lebte, plündern bzw. auslöschen und so ihren Vater Jakob bei den Kanaanitern in Verruf bringen (Vgl. Gen 34,1-31)

Name […] später eine Bezeichnung für den Ort der endgerichtlichen Strafe wurde.“68 In Jesu Zeit diente das Hinnomtal als eine Mülldeponie, auf der ständig Feuer brannte.69 In der griechischen Transkription wird dieses Tal „Gehenna“ genannt.70 Angaben aus Jesaja über einen Ort in der Nähe Jerusalems, an dem Gott mit einem unauslöschlichen Feuer straft (Jes 31,9 und 66,24), werden im Neuen Testament mit „Gehenna“ identifiziert,71 und es bezeichnet mit „Gehenna“ einen „ewigen Strafort der Gottlosen“72, was in vielen Bibeln mit „Hölle“ übersetzt wird. Bereits seit dem 2. Jh. v. Chr. galt „Gehenna“ als der „Aufbewahrungsort der Frevler“73 vor dem Endgericht.

Verse 23f. Jesus beginnt hier mit: „Wenn du nun deine Gabe darbringst zu dem Altar“. Das Opfer spielte im Alten Testament eine große Rolle für das Verhältnis zwischen Gott und Mensch. Schon Kain und Abel opferten (Gen 4,3ff), ebenso wie Noah (Gen 8,20ff), Abraham (Gen 22,1ff), Jakob (Gen 31,54) bzw. Israel (Gen 46,1) und Hiob (Hiob 42,7ff). Im Judentum war das Opfer dann ein exakt verankerter und vorgeschriebener religiöser Opferdienst (insbesondere Lev 1-7), der durch Priester zuerst in der Stifthütte und dann im (ersten) Jerusalemer Tempel stattfand, „der seit der Josianischen Reform im Jahr 622 v. Chr. das einzige legitime Heiligtum Israels war“74. Zur Zeit Jesu war dieses Heiligtum der so genannte zweite Tempel; der Erste wurde 587 v. Chr. durch die Baby- lonier zerstört und die Israeliten bauten ihn nach ihrer Rückkehr aus dem Exil als zwei- ten Tempel wieder auf.75 Im Tempel bzw. im Priestervorhof gab es einen Räucheropfer- altar, einen Schaubrottisch und einen Brandopferaltar76. Auf diesen Altären wurden Gott durch Priester täglich, zu bestimmten Festen und zu besonderen Anlässen verschiedene Opfer dargebracht.77 Neben den regulären und den Priestern von Gott vorgeschriebenen Opfern konnten alle Israeliten Opfergaben zum Tempel bringen, beispielsweise zur Süh- nung einer begangenen Schuld oder wenn ein Fest der Anlass war.78 Der eigentliche Akt des Opferns hingegen fand auch hier durch die Priester statt und auch nur die Priester durften die Bereiche des Tempels betreten, an denen geopfert wurde.79

Nun fährt Jesus mit seiner Aussage fort: „…und [du] dich dort erinnerst, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar und geh vorher hin, versöhne dich mit deinem Bruder“. Auch das Alte Testament schreibt vor, dass wenn jemand Gott ein Schuldopfer für begangene Schuld gegenüber seinem Nächsten bringen möchte, er vorher für Wiedergutmachung sorgen soll (Lev 5,20ff.). Gott hat mehr Gefallen an Güte, Gnade, Liebe und Bundestreue (Hos 6,6) und daran, dass man Gerechtigkeit und Recht übt (Sprüche 21,3), als dass man ihm Opfer bringt. Das Opfer eines Gottlosen hingegen ist Gott ein Greuel (Sprüche 15,8 und 21,27). So finden sich im AT Parallelen zu Jesu Prinzip, dass man sich erst versöhnen soll, bevor man Gott eine Opfergabe bringt; es kommt also auf das richtige Verhältnis dem Nächsten gegenüber an und nicht allein auf das Darbringen eines Opfers. Eine Unterbrechung des Opfers war im Judentum zur Zeit Jesu zwar bekannt, jedoch nur aus kultischen Gründen, nicht um sich zuvor zu versöhnen.80 Für einen Jerusalemer Bürger erschien diese Unterbrechung des Opfers zwecks Versöhnung noch relativ einfach möglich. In den Ohren eines Galiläers hingegen muss diese Forderung sehr schroff geklungen haben, da sie „in der Regel eine mehrtägige Rückreise nach Galiläa bedeutete“81, um sich dort zu versöhnen und dann wieder zurück zum Tempel nach Jerusalem zu gehen, um dort zu opfern.82

Verse 25f. Hier fallen die Begriffe „Gegner“, „Richter“, „Diener“ und „Gefängnis“. Es handelt sich in diesem Fall nicht um ein jüdisches, sondern um ein römisches Rechtsver- fahren.83 Der „Richter“ ist der Präfekt,84 also ein vom Römischen Kaiser oder Magistrat eingesetzter Aufseher,85 der mit einer bestimmten Aufgabe betraut ist. Es kann sich bei diesem „Richter“ aber auch um einen vom Präfekten als Richter ernannten Beamten handeln.86 Der „Diener“ ist der Vollstreckungsbeamte des Richters.87 Bei der Streitsache handelt es sich entweder um Diebstahl, oder aber, und das ist wahrscheinlicher, um nicht getilgte Schulden.88 Als Strafe droht eine Gefängnisstrafe, wobei man hier nicht an eine Justizvollzugsanstalt im modernen Sinne denken sollte, sondern an einen Kerker oder an eine Zisterne oder eine andere Lokalität, in der die Gefangenen beispielsweise mit Ket- ten gefesselt waren.89 Der Schuldner muss hier in einer Art Beuge-90 oder Schuldhaft, die im jüdischen Recht unbekannt war,91 solange einsitzen, bis seine Schuld beglichen ist. In solchen Prozessen waren „die Gläubiger [sc. der „Gegner“] mit ihren Rechten in deutli- chem [sic] Vorteil gegenüber den Schuldnern [sc. der von Jesus mit „du“ Angerede- te]“92. Es ist also für den Schuldner ein aussichtsloser Prozess und auch die Zurückerstat- tung durch das Absitzen der Haftstrafe erscheint unrealistisch und unmöglich.93 So er- weist sich in diesem Fall eine „außergerichtliche Einigung mit einem möglichen Ver- gleich grundsätzlich als vorteilhaft“94, wozu auch Jesus in Vers 25 ermahnt.

Für eine solche Vorgehensweise finden sich im Alten Testament ähnliche Paral- lelen, auch wenn hier nicht das römische, sondern das jüdische Recht zugrunde liegt. Das Alte Testament warnt davor, einen Streit und einen daraus resultierenden Rechts- streit anzufangen (Spr 17,14), und es ermahnt dazu, nicht zu schnell vor Gericht zu zie- hen, damit man nicht etwa den Prozess verliert und dadurch beschämt wird (Spr 25,7f).

Der „Pfennig“ ist der letzte zu klärende Begriff. In Israel waren zur Zeit Jesu römische und griechische Münzen im Umlauf.95 Ein römischer Denar war der Lohn eines Tagelöhners, mit dem eine Tagesration Weizen gekauft werden konnte.96 Bei dem „Pfennig“ in Mt 5,26 handelt es sich um den Quadrans, eine Kupfermünze,97 welche die kleinste römische Geldeinheit war, die einem Vierundsechzigstel eines Denars (also eines Tagelohns) entsprach und somit nur einen sehr geringen Wert hatte.98 Der Lepton in der Parallelstelle in Lk 12,59 war eine griechische Münze und im Wert noch geringer als der Quadrans: zwei Lepta entsprachen einem Quadrans.99

3. Sprachliche Analyse

3.1 Gliederung und Struktur

Der Text in Mt 5,21-26 gliedert sich in jeweils drei größere Sinnabschnitte. Diese Gliede-rung wurde bereits in 2.2 verwendet und wird auch größtenteils im nun folgenden Teil der Arbeit beibehalten werden.

[...]


1 Text siehe Anhang.

2 Vgl. Betz, 2003, S. 173.

3 Vgl. Luz, 1998, S. 1310.

4 Vgl. Barth, 1980, S. 606.

5 Vgl. Luz, 1998, S. 1310.

6 Vgl. Dietzfelbinger, 1975, S. 9.

7 Vgl. Theißen, 2004, S. 70.

8 Manche sehen in Mk 11,25 eine Markusparallele zu Mt 5,23f (Vgl. Eichholz, 1965, S. 75), doch liegt hier m.E. eher eine thematische Verwandtschaft vor, kein gemeinsamer Ursprung (so auch Luz, 1985, S. 252).

9 Vgl. Robinson, 2000, S. 394-399.

10 Vgl. Valantasis, 2005, S. 33.

11 Siehe Anhang

12 Vgl. Labahn, 2007, S. 184.

13 Vgl. Valantasis, 2005, S. 33.

14 Vgl. Labahn, 2007, S. 184.

15 Näheres zu den Münzen siehe 2.2.

16 Vgl. Barth, 1980, S. 606; Eichholz, 1965, S. 69f.; Weder, 1985, S. 99 & Wrege, 1991, S. 37ff.

17 Vgl. Dietzfelbinger, 1975, S. 12f.; Barth, 1980, S.604 & Schnelle, 2005, S. 201.

18 Vgl. Schnelle, 2005, S. 201.

19 Vgl. Barth, 1980, S. 606f.

20 Vgl. Dietzfelbinger, 1975, S. 54f. & Wrege, 1991, S. 38f.

21 Vgl. Barth, 1980, S. 606 & Dietzfelbinger, 1975, S. 10f.

22 Vgl. Wrege, 1991, S. 38f.

23 Wrege, 1991, S. 39.

24 Vgl. Barth, 1980, S. 606.

25 Wrege, 1991, S. 40.

26 Vgl. Dietzfelbinger, 1975, S. 14.

27 Vgl. Dietzfelbinger, 1975, S. 13.

28 Vgl. Barth, 1980, S. 607.

29 Luz, 1985, S. 252.

30 Vgl. Dietzfelbinger, 1975, S. 54.

31 Vgl. Dietzfelbinger, 1975, S. 54.

32 Börst, 2003, S. 842.

33 Vgl. Dietzfelbinger, 1975, S. 54f.

34 Vgl. Theißen, 2004, S. 69 & Luz, 2002, S. 918.

35 Vgl. Genfer Studienbibel, S. 1509.

36 Vgl. Theißen, 2004, S. 69; Müller, 2003, S. 887; Luz, 2002, S. 918 & Schnelle, 2005, S. 263.

37 Luz, 2002, S. 918.

38 Theißen, 2004, S.69.;

39 Vgl. Theißen, 2004, S. 69;

40 Vgl. Müller, 2003, S. 889; Luz, 2002, S. 918 & Schnelle, 2005, S. 266. Ein früherer Zeitraum (nämlich vor 70 n. Chr.) und die hierfür vorgebrachten Gründe 40 sollen an dieser Stelle nicht diskutiert werden, Vgl. dazu: Genfer Studienbibel, S. 1509 & Maier, 1996, S. 9.

41 Schlachterübersetzung 2000, Ausgabe in: Genfer Studienbibel.

42 Z.B. in der Rev. Elberfelder; Näheres zu den Textzeugen und der Lesart siehe Anhang.

43 Vgl. Luz, 1985, S. 249; Dietzfelbinger, 1975, S. 9. & Grundmann, 1968, S. 154.

44 Vgl. Grundmann, 1968, S. 154.

45 Vgl. Strack & Billerbeck, 1922, S. 253.

46 Vgl. Rienecker, 1994, S. 57.

47 Vgl. Dietzfelbinger, 1975, S. 10.

48 Maier, 1996, S. 152.

49 Luz, 1985, S. 252.

50 Ex 21,12ff, aber auch Gen 9,5f, Lev 24,17ff, Num 35,16ff und Dtn 17,8ff.

51 Vgl. Dietzfelbinger, 1975, S. 14f.

52 Ibid.

53 Formulierung mit „Ihr habt gehört […] Ich aber sage euch“.

54 z.B. Spr 27,4 und 29,8.22; Pred 7,9)

55 Beispielsweise in der Geschichte der Söhne Jakobs, die die Vergewaltigung ihrer Schwester Dina maßlos rächen, indem sie den Täter Sichem und seine Familie töten und die Stadt, in der Sichems Familie herrschte

56 Vgl. Strack und Billerbeck, 1922, S. 276ff.

57 Zit. nach Luz, 1985, S. 254.

58 Vgl. Grundmann, 1968, S. 155f.

59 Luz, 1985, S. 254.

60 Vgl Strack und Billerbeck, 1922, S. 280ff.

61 Vgl Strack und Billerbeck, 1922, S. 280ff. & Grundmann, 1968, S. 153.

62 Vgl Majer, 2003, S. 1171.

63 Nägele, 2003, S. 586.

64 Vgl. Nägele, 2003, S. 586.

65 Vgl. Majer, 2003, S. 1171.

66 Vgl. Grundmann, 1968, S. 155.

67 Vgl. Nägele, 2003, S. 587.

68 Zwickel, 2003, S. 571.

69 Vgl. Genfer Studienbibel, S. 1519.

70 Vgl. Nägele, 2003, S. 587.

71 Ibid.

72 Nägele, 2003, S. 587.

73 Ibid.

74 Ego, 2003, S. 1327.

75 Vgl. Ego, 2003, S. 1328.

76 Vgl. Zwickel, 2003, S. 69.

77 Vgl. Zwickel, 2003, 990ff.

78 Ibid.

79 Vgl. Ego, 2003, S. 1327ff.

80 Vgl. Grundmann, 1968, S. 157.

81 Luz, 1985, S. 259.

82 Vgl. Luz, 1985, S. 259.

83 Vgl. Labahn, 2007, S. 181.

84 Ibid.

85 Vgl. Hau & Ender, 2003, S. 703.

86 Vgl. Labahn, 2007, S. 181.

87 Ibid.

88 Vgl. Labahn, 2007, S. 180f.

89 Vgl. Bültmann, 2003, S. 405

90 Vgl. Labahn, 2007, S. 181.

91 Vgl. Luz, 1985, S. 260.

92 Labahn, 2007, S. 181.

93 Vgl. Labahn, 2007, S. 179ff.

94 Labahn, 2007, S.181.

95 Vgl. Kegler, 2003, S. 412.

96 Ibid.

97 Vgl. Labahn, 2007, S. 181f.

98 Vgl. Kegler, 203, S. 412.

99 Vgl. Kegler, 203, S. 412 und Labahn, 2007, S. 184.

Ende der Leseprobe aus 43 Seiten

Details

Titel
Jesus spricht über Mord, Zorn und Versöhnung: Exegese zu Mt 5,21-26
Hochschule
Universität Bielefeld
Veranstaltung
Grundkurs Neues Testament
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
43
Katalognummer
V184669
ISBN (eBook)
9783656095576
ISBN (Buch)
9783656095330
Dateigröße
783 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese exegetische Hausarbeit entstand im Anschluss an die Veranstaltung "Grundkurs Neues Testament" bei Herrn Prof. Dr. Ruben Zimmermann und wurde auch von ihm betreut und benotet. In der üblichen wissenschaftlichen Vorgehensweise wird hier ein Abschnitt (Mt 5,21-26) aus der Bergpredigt untersucht. darüber hinaus enthält die Arbeit auch einige Überlegungen zur didaktischen Verwendbarkeit des Bibeltextes im Religionsunterricht.
Schlagworte
exegetische Hausarbeit, Mt 5:21-26, Bergpredigt
Arbeit zitieren
Holger Meier (Autor:in), 2008, Jesus spricht über Mord, Zorn und Versöhnung: Exegese zu Mt 5,21-26, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/184669

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Jesus spricht über Mord, Zorn und Versöhnung: Exegese zu Mt 5,21-26



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden