SIMPREX. Verfahren zur variablen Druckwellenabtrennung


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2012

19 Seiten

Dipl.-Ing. Michael Dienst (Autor:in)


Leseprobe


SIMPREX. Verfahren zur variablen Druckwellenabtrennung.

Vorbemerkungen zu diesem Aufsatz.

In den Jahren 2000 und folgende fand ich gelegentlich die Zeit, längst vergessene Ansätze der Beeinflussung des Druckwellengeschehens in Abgas- und Ansaugleitungen von Verbrennungskraftmaschinen erneut aufzugreifen. Es geschah dies mit einem - in gewisser Weise wehmütigen - Blick auf meine schon damals weit zurückliegende Tätigkeit am Institut für Verbrennungskraftmaschinen der Technischen Universität Berlin und meiner noch weiter zurückreichenden Zeit als Mitarbeiter der Firma König Motorenbau in Berlin. Um die Jahrhundertwende 2000, hatte ich mich in meiner beruflichen Entwicklung und auch thematisch schon recht weit vom Motorenbau entfernt, und jeder der die in dieser Zeit wogende und aufgewühlte Szene der Motorenbauer kannte weiß, dass schon ein etwas zu langer Urlaub in den Sommerferien eine Wissens- und Präsenzlücke produzierte, die nur mit besonderer Anstrengung nachträglich wieder geschlossen werden konnte. Die Entwicklung war damals dermaßen schnelllebig, dass ein Pausieren oder Verharren einem unmittelbaren Ausschluss aus der ehrwürdigen Szene gleichkam. Gleichsam stellte ich damals fest, dass die rasende Entwicklung der CFD-Simulationsverfahren zur Beschreibung der Strömungen in den Einlass- und Auslassorganen von Verbrennungskraftmaschinen die Errungenschaften der so genannten eindimen- sionalen instationären Gasdynamik und der daraus abgeleiteten instationären Ladungswechselrechnung, mit welcher ich in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts vertraut wurde, ignorierten. Offensichtlich waren die Hürden der dreidimensionalen Formulierung der Ein- und Auslassorgan-Geometrien von VKM sehr hoch und zogen damit die Aufmerksamkeit der (Simulations-) Ingenieure derart auf sich, dass die Beantwortung der in den 80er Jahren gestellten Fragen für eine gewisse Zeit aufgeschoben werden musste. Für die eindimensionale instationäre Ladungswechselrechnung interessierte sich - so hatte ich nunmehr 20 Jahre später den Eindruck - kein aufstrebender Forscher mehr. Es wäre - aus meiner heutigen Sicht - die Aufgabe der im vergangenen Jahrhundert verharrenden Forscher gewesen, die große Umwälzung und Erneuerung in Methode und Verfahren jener Zeit zu ignorieren, den Verheißungen neuer Programmiersprachen (alles wurde von den Compilersprachen FORTRAN und PASCAL auf C++ und die Interpretersprache MATLAB umgestellt) zu widerstehen und auf die alten Karten zu setzen. Dazu fehlte auch mir damals der erforderliche Mut, die entsprechende forscherische Weitsicht und leider auch die notwendige Zeit. Ein paar Jahre später musste ich feststellen, dass mir letztendlich auch der Zugriff auf (meine eigenen) alten Codes verwehrt war; in digitaler Form existierten sie einfach nicht mehr. Ziehen wir heute, im Frühjahr des Jahres 2012 Bilanz, bleibt festzustellen, dass Teile der ehemals am Institut für Verbrennungskraftmaschinen entwickelten Prozesssimulations-Software in Pro- dukten der Firma AVL in Graz gute Dienste leisten, für Privatpersonen aber unerschwinglich sind, der Leiter des Instituts und Initiator der Verfahren und Instrumente, Prof. Dr.-Ing. Pucher in den verdienten Ruhestand gegangen ist, die theoretische und analytische Forschung an den Verfahren der eindimensionalen, instationären Strömungsmechanik und Ladungswechselrechnung eingestellt und die Laufzeit einiger Gebrauchsmusterpatente zum Thema beendet ist. Da die Rechte Letzterer in meinen Händen lagen und liegen möchte ich diese einer interessierten Leserschaft mit diesem Aufsatz zur freien Verfügung (und zum Spielen) übergeben.

Michael Dienst, Berlin im Frühjahr 2012

SIMPREX / Intro. Der Ladungswechsel bei Viertaktmotoren erfolgt über die Einlass- und Auslassorgane, also einlassseitig über die Einlassventile und den angeschlossenen Ansaugrohrleitungen Vergaser, Einspritzdüsen etc. und abgasseitig über die Auslassventile, die angeschlossenen Auslassrohleitungen und üblicherweise einem Schalldämpfertopf. Die Qualität des Ladungswechsels ist maßgeblich von dem Druckwellengeschehen in den Einlass- und Auslassorganen der Verbrennungskraftmaschine abhängig. Die Optimierung der Ladungswechselorgane ist Gegenstand aktueller Forschung und Entwicklung. Der Betriebszyklus von Fahrzeugmotoren ist in hohem Maße nichtstationär. Stand der Technik ist eine an unterschiedliche Betriebszustände der Verbrennungskraftmaschine angepasste konstruktive, d.h. in erster Linie geometrische Auslegung der Einlass- und Auslassorgane, insbesondere des Abgastraktes.

Bei der Konstruktion der Auslassorgane taucht das Problem auf, dass das Konzept einer optimalen Auslegung hinsichtlich Strömungsmechanik (Gasmassenstrom) einerseits und Strömungsakustik (instationäre Gasdynamik) andererseits einen Zielkonflikt darstellt und somit die zur Ausführung kommende Konstruktion in der Regel ein Kompromiss ist. Das SIMPREX- Verfahren setzt genau hier an.

Verringerung des Kontrollaufwandes. In Diskussionen mit Ingenieuren und Motorentunern wird nicht selten darüber geklagt, dass eine unüberschaubar große Zahl unterschiedlichster Einflussparameter existiere und die Kompliziertheit der Aufgabe einer optimalen Abstimmung der Ladungswechselorgane zu einem Nerven verzehrenden Geschäft mache, wenn nicht sogar dieser vollends im Wege stünde. Realistische Auswege aus dem Dilemma böten dann am ehesten weitere Kennfelder der Maschine, elektronische Regler in Verein mit intelligenter Software.

In der Tat sind die Geschehnisse komplex, die optimale Abstimmung der Auspuffanlage eines Rennmotors eine Kunst, der Einzug umfassender Elektronik eine Tatsache und die Zukunft des Motortunings liegt sehr wahrscheinlich in einer komplexen Regelung und Steuerung und dem adaptiven Zusammenwirken von Abgastrakt und Maschine, nach der Leitidee: stecke die Komplexität in die Software.

Ein gutes Motto. Dennoch suchen wir nach Lösungen, die den Kontrollaufwand an einem Abgassystem verringern können. Es klingt zunächst paradox: SIMPREX arbeitet mit einem zusätzlichen Steuerorgan, aber - ähnlich der Geschichte des 12ten Kamels - kann die Einführung einer weiteren, in unserem Falle sehr simplen, Reflektionsrandbedingung, das komplexe Problem der optimalen Abstimmung von Maschine und Abgastrakt vereinfachen und in eine lösbare Gestaltungsaufgabe überführen.

Die Idee des SIMPREX-Verfahrens ist die Konditionierung des motorischen Ladungswechsels durch eine gezielte Manipulation des Abgasmassenstroms mittels Druckwellen. Diese treten insbesondere bei Hochleistungsmotoren mit einer solchen Intensität auf, dass nicht wenige Tuningstrategien auf einer Homogenisierung des Druckwellengeschehens basieren und erst in einem zweiten, nachgeordneten Schritt damit beginnen, mit diesem Geschenk an Energie spielen. Das hier vorgestellte SIMPREX-Verfahren nutzt Druckwellen primär. Durch eine zusätzliche, zeitlich veränderliche Reflektionsbedingung im Abgasrohrsystem und im Zusammenwirken mit einem sekundären Kesselvolumen wird auf das Druckwellengeschehen im Abgastrakt der Verbrennungskraftmaschine Einfluss genommen. Dies geschieht in Gestalt eines sehr simplen, mit der Motordrehzahl synchronisierten, Drehschieberventils im Abgastrakt.

Die Beeinflussung des Druckwellengeschehens im Abgastrakt und die Nutzung der Druckwellenenergie der Verbrennungsgase führen zu einer Verbesserung des motorischen Ladungswechsels und leisten einen Beitrag zur Optimierung der Verbrennungskraftmaschine hinsichtlich Leistungsentfaltung und Kraftstoffverbrauch.

Aufbau, Wirkungsweise und Ausführung. SIMPREX wurde am Modell einer idealen Einzylindermaschine entwickelt. Von Beginn an standen dabei Motorradmotoren im Vordergrund. Es ist zu erwarten, dass das Verfahren am einzelnen Zylinder am wirkungsvollsten angewandt werden kann. Bei Mehrzylindermotoren sind es (einzeln beauspuffte) Paralleltwins, die mit ihrer 360° - Zündfolge besonders attraktiv erscheinen.

Das Kernelement des SIMPREX- Verfahrens ist ein mit der Motordrehzahl synchronisiertes Drehschieberventil das mit einem sekundären Abgastrakt in Verbindung steht. Eine der Grundanforderungen bei der Entwicklung des Verfahrens war die ergänzenden Montage im Abgastrakt des Motors.

Rufen wir uns noch einmal kurz den motorischen Viertaktprozesses in Erinnerung: Zur Beschreibung der Druckwellenprozesse und zur Erläuterung der schematischen Skizzen werden nachfolgend die Arbeitsphasen und der obere und der untere Totpunkt des motorischen Zyklus abgekürzt wie folgt benannt: „OT, Frischgas ansaugen, UT, Frischgas verdichten, OT, Expandieren/ Arbeiten, UT, Verbrennungsgas ausschieben, OT“.

Zum Aufbau . Figur 1 zeigt eine schematische Darstellung des Aufbaus eines Abgastraktes einer herkömmlichen Viertaktmaschine VKM mit angeschlossenem Drehschieberventil S und dem Expansionsvolumen (Schalldämpfer) K1. Das Drehschieberventil S ist über eine flexible Welle W mit dem mechanischen Abtrieb der Verbrennungskraftmaschine VKM verbunden. In Figur 1 sind die Ladungswechselorgane der Verbrennungskraftmaschine, das Einlassventil E und das Auslassventil A schematisch dargestellt. Mit dem Drehschieberventil S ist das sekundäre Kesselvolumen K2 verbunden, das wie das Expansionsvolumen (Schalldämpfer) K1 einen Ausgang zur atmosphärischen Umgebung des Motors besitzt.

Zur Wirkungsweise. In einem herkömmlichen Motorarbeitsprozess wird mit dem Öffnen des Auslassventils A und damit zu Beginn der Arbeitsphase „Verbrennungsgas ausschieben“, am Auslassventil eine Druckwelle entfacht, die nach den Gesetzen der Strömungsakustik mit der Schallgeschwindigkeit des heißen Abgases, durch das Abgasrohrsystem eilt. Das Drehschieberventil S ist geschlossen. Auf ihrem Weg durch Abgasrohr und Schalldämpfer K1 zur atmosphärischen Umgebung der Verbrennungskraftmaschine wird die Druckwelle geschwächt, verformt und teilreflektiert. Während dessen beginnt das Verbrennungsgas aus dem Zylinderraum der Verbrennungskraftmaschine VKM zu strömen. Im gesamten Abgastrakt herrscht während der Arbeitsphase „Verbrennungsgas ausschieben“ ein Druckniveau, das höher ist, als das der atmosphärischen Umgebung der Verbrennungskraftmaschine VKM.

Kennzeichen eines motorischen Arbeitsprozesses ist, dass Seitens der Steuerzeiten des Einlassventils E und Auslassventils A eine Ventilüberschneidungsphase existiert, in der beide Ventile geöffnet sind. Im sekundären Volumen K2 herrscht zu diesem Zeitpunkt der atmosphärische Umgebungsdruck. Nach den Gesetzen der Strömungsakustik führt das Herstellen einer raschen (schlagartigen) Verbindung eines druckbeaufschlagten Gasvolumens zu einer Umgebung mit niedrigerem Druck am Ort dieser Verbindung zum Anfachen einer Druckwelle mit negativem Vorzeichen, die sich mit Schallgeschwindigkeit ausbreitet. Beim SIMPREX - Verfahren wird eine derartige Verbindung zwischen dem Abgasrohrsystem des Motors und dem sekundärem Volumen K2 durch das Drehschieberventil S während der Ventilüberschneidungsphase kurzzeitig hergestellt. Eine Druckwelle mit negativem Vorzeichen breitet sich bis in die Einlassorgane der Verbrennungskraftmaschine VKM fort, es kommt zu einem Nachladeeffekt, der sich positiv hinsichtlich Leistung und Kraftstoffverbrauch der Verbrennungskraftmaschine auswirkt.

Die Öffnung des Drehschieberventils S dient demnach nicht dem Gasmassenfluss, sondern lediglich dem schlagartigen Herstellen einer akustischen Kopplung des Abgastraktes mit dem Volumen K2. Derzeit richtet sich das Augenmerk unserer Forschung der analytischen Beschreibung eines verallgemeinerten, skaleninvarianten Drehschieberöffnungsgesetzes um damit eine Option zu gewinnen die Konditionierung des Systems mit den Mitteln der Simulation der instationären Gasdynamik in einem Computermodell zu bertreiben.

Zur Ausführung. Die Idealvorstellung kurzer Gaswege und der Montage des Drehschieberventils S möglichst nahe an das Expansionsvolumen K1, ist in der Praxis nicht immer gegeben, aber anzustreben. Ebenso eine möglichst kurze Verbindung vom Ventil zum Volumen K2.

Das Drehschieberventil ist konstruktiv ausgeführt wie folgt: Im Drehschiebergehäuse aus Leichtmetallguss befindet sich die Lagerung für eine Drehschieberwelle, die den Plattendrehschieber. Der eigentliche Drehschieber ist ein Stahlplättchen möglichst geringer masse. Die fliegende Lagerung der Drehschieberwelle wird in den äußeren Bereich des Ventils verlegt. Der Antrieb und die zeitliche Synchronisation des Drehschiebers erfolgt über eine mechanische Kopplung mit der Kurbelwelle des Motors in Form einer flexiblen Welle W. Diese Lösung erscheint auf den ersten Blick ungewöhnlich und wenn nicht sogar kritisch. Unten werde ich das konstruktive Konzept des Drehschiebers darlegen. Die im Betrieb auftretenden Momente sind dabei dermaßen gering, dass ein Antrieb des Ventils über die Drehzahlmesserwelle des Motors erfolgen kann. Auf diese Weise erhält man eine sehr elegante, preiswerte und vor allem weitestgehend ortunabhängige mechanische Kopplung mit dem Abtrieb der Maschine.

Dauer und Verlauf der Öffnung des Drehschieberventils S werden über die konstruktive Ausgestaltung der Paarung Drehschiebergehäuse und Drehschieberplatte festgelegt. Dabei kommt der Antriebsdrehzahl des Drehschiebers und die zeitliche Synchronisation (Phase) mit der Verbrennungskraftmaschine eine entscheidende Rolle zu. Figur 2 zeigt schematisch einen asymmetrischen Plattendrehschieber, der mit der halben Kurbelwellendrehzahl der Verbrennungskraftmaschine betrieben wird. Der signifikante Öffnungsmaß-Winkel αsz, bestimmt die Steuerzeiten des Drehschieberventils.

Die Kunst des Drehschiebers

Plattendrehschieber haben in der Motorradtechnik keinen guten Ruf. Es sei mir an dieser Stelle erlaubt, meine Sympathie für dieses Bauteil auszudrücken. Die Entwicklung der Drehschieber und ihr Einsatz in Arbeitsmaschinen ist zeitlich und inhaltlich mit der nun fast hundert Jahre währenden Optimierung von Zweitaktmotoren verknüpft. Kein anderer Name ist im deutschsprachigen Raum so eng verbunden mit dem Begriff Zweitakt, wie jener der Firma König-Bootsmotoren, die von 1932 bis in die 90er Jahre in Berlin Rennmotorengeschichte schrieb. Der Sohn des Firmengründers wurde 1964 in der Motorbootklasse bis 700 ccm selbst Weltmeister, König-Motoren waren auch auf der Strasse erfolgreich.

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Details

Titel
SIMPREX. Verfahren zur variablen Druckwellenabtrennung
Autor
Jahr
2012
Seiten
19
Katalognummer
V184945
ISBN (eBook)
9783656100478
ISBN (Buch)
9783656100751
Dateigröße
677 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Verbrennungskraftmaschinen, Auslaßorgane, Einlaßorgane
Arbeit zitieren
Dipl.-Ing. Michael Dienst (Autor:in), 2012, SIMPREX. Verfahren zur variablen Druckwellenabtrennung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/184945

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