Die Diskussion um die Einführung von Lohnsubventionen zur Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit ostdeutscher Unternehmen steht im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit. Dazu werden drei alternative Modellvorschläge, die alle im Jahr 1991 entwickelt wurden, nacheinander dargestellt und diskutiert. Das erste ausgearbeitete Lohnsubventionskonzept, das sozusagen der "Stein des Anstoßes" war, stammte von einer Gruppe amerikanischer Ökonomen der Universität Berkeley. Sie forderten den Einsatz allgemeiner Lohnsubventio¬nen, die degressiv und zeitlich begrenzt sein sollten. Nur so könne die verheerende Kosten-Erlös-Relation ostdeutscher Betriebe, speziell derjenigen im Besitz der Treuhandanstalt, auf ein wettbewerbsfähiges Niveau gebracht werden. Das Berkeley-Modell ist Gegenstand des nächsten Kapitels. Ein aus der Kritik am Berkeley-Modell heraus entstandenes Alternativmodell, das Schwachpunkte des Vorschlags der amerikanischen Ökonomen umgehen sollte, steht im Anschluß daran zur Debatte. Es wurde von Autoren des Frankfurter Instituts für wirtschaftspolitische Forschung entwickelt und ähnelt in gewisser Weise dem Berkeley-Konzept. Der große Unterschied besteht darin, daß es sich hier um die Gewährung selektiver Lohnsubventionen zugunsten von Unternehmen handelt, die in überregionalem Wettbewerb stehen. Die Subventionshöhe solle an der Wertschöpfung des Betriebes bemessen werden. Das 'Frankfurter Modell' wird in Kapitel 3 vorgestellt und die Wertigkeit seiner Argumente in einer ausführlichen Diskussion erörtert. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat noch im Jahr 1991 in Anbetracht der in den beiden vorgenannten Modellen fehlenden oder nicht überzeugenden Anreize zur Umstrukturierung des ostdeutschen Kapitalstocks ein Konzept veröffentlicht, das aus einer Kombination von Lohn- und Kapitalsubventionen bestand. Begünstigte des Programms sollten nach dem Willen der Autoren lediglich die noch in Treuhandbesitz befindlichen Industrieunternehmen sein. Das DIW-Modell wird im Kapitel 4 auf seine Tauglichkeit zur Rettung der prekären gesamtwirtschaftlichen Lage in Ostdeutschland hin untersucht. Im letzten Abschnitt der vorliegenden Arbeit werden die bis dahin gewonnenen Ergebnisse zusammengefaßt und einem Gesamturteil unterzogen. Die daraus eruierte wirtschaftspolitische Implikation schließt die Diskussion um Lohnsubventionen im Falle der neuen Bundesländer ab.
INHALTSVERZEICHNIS
Abkürzungsverzeichnis
1 Einführung
1.1 Überblick
1.2 Die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion als Ursache für die
schockartige Veränderung der gesamtwirtschaftlichen Situation in
Ostdeutschland
1.2.1 Produktions- und Beschäftigungseinbruch
1.2.2 Entwicklung von Produktivität und Löhnen
1.2.3 Die Preis-Kosten-Schere
1.3 Lohnsubventionen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit ost- deutscher Unternehmen
1.3.1 Typisierung von Lohnsubventionen
1.3.2 Ökonomische Effekte temporärer Lohnsubventionen in funktionierenden Marktwirtschaften
1.3.3 Lohnsubventionen im Falle der neuen Bundesländer
2 Das Berkeley-Modell allgemeiner Lohnsubventionen
2.1 Hintergrund
2.2 Das Self-Eliminating Flexible Employment Bonus Program (kurz
SFEBP) und dessen Effekte im Falle Ostdeutschlands
2.2.1 Budget- und Beschäftigungswirkungen 19
2.2.2 Budgetwirkungen aufgrund der Subventionierung neugeschaffener Arbeits- plätze
2.2.3 Wirkungen des SFEBP auf die Lohnentwicklung
2.3 Diskussion des Berkeley-Modells
2.3.1 Wertsteigerung ostdeutscher Unternehmen
2.3.2 Erhalt und Neuschaffung von Arbeitsplätzen
2.3.3 Budgetneutralität des Programms
2.3.4 Disziplinierung der Tarifparteien 33
2.3.5 Verringerung politisch unerwünschter Migration
2.3.6 Fehlende Kompensation des Produktionsrückgangs aufgrund des Nachfrageaus falls nach ostdeutschen Erzeugnissen
2.3.7 Pragmatische Schwierigkeiten
2.4 Zusammenfassung
3 Das 'Frankfurter Modell'
3.1 Darstellung
3.1.1 Hintergrund
3.1.2 Ausgestaltung des Modells
3.2 Diskussion
3.2.1 Selektive Förderung in überregionalem Wettbewerb stehender Unternehmen
3.2.2 Geringe Belastung öffentlicher Haushalte
3.2.3 Motivationsfördernde Lohnhöhe
3.2.4 Außerordentlich großer Beschäftigungseffekt
3.2.5 Trennung von Tarif- und Referenzlohn als Voraussetzung zur Vermeidung von Moral-Hazard-Effekten
3.2.6 Weitere kritische Aspekte
3.3 Zusammenfassung
4 Das Modell des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) kombinierter Lohn- und Kapitalsubventionen
4.1 Darstellung des Modells
4.1.1 Grundlagen
4.1.2 Ausgestaltung
4.2 Diskussion
4.2.1 Beschleunigung der Privatisierung
4.2.2 Gewährleistung eines adäquaten Übergangs in Richtung einer relativ kapitalintensiven Produktionsstruktur
4.2.3 Verhinderung übermäßiger Lohnsteigerungen
4.2.4 Verhältnismäßig geringe Kosten des Programms
4.2.5 Transparenz des Subventionskonzepts
4.2.6 Fehlende Kompensation nachfragebedingter Produktions- und Beschäfti gungsausfälle
4.3 Zusammenfassung
5 Zusammenfassende Beurteilung und wirtschaftspolitische Implikation
Literaturverzeichnis
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einführung
1.1 Überblick
Angesichts starker Produktions- und Beschäftigungseinbußen im Zuge der deutschen Einheit wurde der Ruf nach effizienten wirtschaftspolitischen Maßnahmen zur Überwindung der Anpassungskrise ehemals planwirtschaftlicher an marktwirtschaftliche Strukturen in Ostdeutschland immer lauter. Die Bestrebungen der Tarifparteien in Richtung einer möglichst schnellen Angleichung ostdeutscher an westdeutsche Verdienstniveaus manövrierten nach Ansicht vieler Ökonomen die meisten Unternehmen in den neuen Bundesländern in den wirtschaftlichen Ruin.
Um das bald nach Bekanntwerden dieser Mißstände geforderte wirtschaftspolitische Instrument der Lohnkostensubventionierung entstand eine z.T. sehr heftig geführte Diskussion. Die Meinungen reichten von völliger Zustimmung bis zu kompromißloser Ablehnung der verschiedenen Konzeptionen. So warnte z.B. Ludwig Erhard, der sich bereits im Jahre 1953 zum wirtschaftspolitischen Vorgehen im Falle einer Wiedervereinigung äußerte, davor, die Probleme der Angleichung der beiden Teile Deutschlands mit Schutzmaßnahmen und Subventionen lösen zu wollen. Ihm drängte sich der Gedanke auf, daß die Arbeits- oder Arbeitsplatzförderung zu einer undifferenzierten Dauersubventionierung mißbraucht werden könnte (vgl. Peche (1991)). In die gleiche Richtung argumentierten auch viele der 'aktuellen' Lohnsubventionskritiker.
Die Diskussion um die Einführung von Lohnsubventionen zur Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit ostdeutscher Unternehmen steht im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit. Dazu werden drei alternative Modellvorschläge, die alle im Jahr 1991 entwickelt wurden, nacheinander dargestellt und diskutiert.
Das erste ausgearbeitete Lohnsubventionskonzept, das sozusagen der "Stein des Anstoßes" war, stammte von einer Gruppe amerikanischer Ökonomen der Universität Berkeley. Sie forderten den Einsatz allgemeiner Lohnsubventionen, die degressiv und zeitlich begrenzt sein sollten. Nur so könne die verheerende Kosten-Erlös-Relation ostdeutscher Betriebe, speziell derjenigen im Besitz der Treuhandanstalt, auf ein wettbewerbsfähiges Niveau gebracht werden. Das Berkeley-Modell ist Gegenstand des nächsten Kapitels.
Ein aus der Kritik am Berkeley-Modell heraus entstandenes Alternativmodell, das Schwachpunkte des Vorschlags der amerikanischen Ökonomen umgehen sollte, steht im Anschluß daran zur Debatte. Es wurde von Autoren des Frankfurter Instituts für wirtschaftspolitische Forschung entwickelt und ähnelt in gewisser Weise dem Berkeley-Konzept. Der große Unterschied besteht darin, daß es sich hier um die Gewährung selektiver Lohnsubventionen zugunsten von Unternehmen handelt, die in überregionalem Wettbewerb stehen. Die Subventionshöhe solle an der Wertschöpfung des Betriebes bemessen werden. Das 'Frankfurter Modell' wird in Kapitel 3 vorgestellt und die Wertigkeit seiner Argumente in einer ausführlichen Diskussion erörtert.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat noch im Jahr 1991 in Anbetracht der in den beiden vorgenannten Modellen fehlenden oder nicht überzeugenden Anreize zur Umstrukturierung des ostdeutschen Kapitalstocks ein Konzept veröffentlicht, das aus einer Kombination von Lohn- und Kapitalsubventionen bestand. Begünstigte des Programms sollten nach dem Willen der Autoren lediglich die noch in Treuhandbesitz befindlichen Industrieunternehmen sein. Das DIW-Modell wird im Kapitel 4 auf seine Tauglichkeit zur Rettung der prekären gesamtwirtschaftlichen Lage in Ostdeutschland hin untersucht.
Im letzten Abschnitt der vorliegenden Arbeit werden die bis dahin gewonnenen Ergebnisse zusammengefaßt und einem Gesamturteil unterzogen. Die daraus eruierte wirtschaftspolitische Implikation schließt die Diskussion um Lohnsubventionen im Falle der neuen Bundesländer ab.
1.2 Die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion als Ursache für die schockartige Veränderung der gesamtwirtschaftlichen Situation in Ostdeutschland
Mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion vom 1. Juli 1990 wurde das gesamte westdeutsche Konzept der sozialen Marktwirtschaft auf Ostdeutschland übertragen. Die wichtigsten Grundlagen einer marktwirtschaftlichen Ordnung sind privatwirtschaftliche Organisation und Wettbewerb, Vertragsfreiheit, Gewerbefreiheit, freie Preisbildung, Tarifautonomie sowie Privateigentum an Grund und Boden und an Produktionsmitteln (vgl. Weidenfeld und Korte (1992)). Eine solch radikale Umstellung des Wirtschaftssystems war im Falle Ostdeutschlands nach Ansicht vieler Ökonomen einerseits notwendig, um die Fehlentwicklungen weicher Systemtransformationen, wie sie gegenwärtig am Beispiel Rußlands studiert werden können, zu vermeiden (vgl. Franke (1990)), andererseits aber mit gravierenden Einbußen in Produktion und Beschäftigung verbunden. Der Übergang zur Marktwirtschaft hatte den ostdeutschen Unternehmen den Zugang zum westdeutschen und zum Weltmarkt geöffnet. Diese totale Öffnung des Binnenmarktes der ehemaligen DDR offenbarte jedoch das vorhandene Leistungs- und Wohlstandsgefälle gerade gegenüber der alten Bundesrepublik. Der freie Fluß von Gütern, Kapital und Arbeit über die ehemalige innerdeutsche Grenze löste einen Angebotsschock aus, von dem sich die ostdeutsche Wirtschaft nur langsam erholte (vgl. Fleissner und Ludwig (1992)).
1.2.1 Produktions- und Beschäftigungseinbruch
Die ostdeutsche Industrieproduktion war bereits im Monat nach der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion (August 1990) im Vergleich zum Vorjahresmonat um 50% gefallen (vgl. Mayer und Thumann (1990)). Im weiteren Verlauf schrumpfte sie bis ins Jahr 1993 auf etwa ein Drittel ihres Ausgangsniveaus. Aber auch im Handel, im Verkehrsbereich, in der Landwirtschaft sowie im Baugewerbe gab es kräftige Einbußen[1] (zumindest in den Jahren 1990 und 1991). Der industriellen Warenproduktion und der Agrarerzeugung wurde in der ehemaligen DDR - wohl auch aus einem gewissen Autarkiestreben heraus - Vorrang vor privaten Dienstleistungen eingeräumt. Infolgedessen waren Industrie und Landwirtschaft, gemessen an den Verhältnissen westlicher Industrienationen, personell überbesetzt. Das gleiche galt für die aufgeblähte Bürokratie, wodurch der Faktor Arbeit vielerorts einer ineffizienten Verwendung zugeführt wurde (vgl. Franz (1991a)). Die Folge des hohen Produktionsrückgangs und der Überbesetzung der Betriebe und staatlicher Institutionen mit Personal war ein massiver Beschäftigungseinbruch, der zu einem sprunghaften Anstieg der Arbeitslosenzahlen führte.
Die Arbeitsmarktlage in Ostdeutschland war also (und ist immer noch) durch 'Arbeitsplatzmangel' gekennzeichnet, wie das die Bundesregierung auszudrücken pflegte (vgl. Gröbner (1992)). Die offizielle Arbeitslosenquote stieg von praktisch Null zu Beginn des Jahres 1990 über 10,4% im Frühjahr 1991 auf 15,7% im Frühjahr 1992 (vgl. Statistisches Bundesamt (1992)). Bis Juli 1993 stieg sie nochmals leicht an, und zwar auf 16,1%. Zählt man die verdeckt Arbeitslosen (Erwerbslose, die in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Umschulungsprogrammen aufgefangen wurden, zu Vollzeitarbeitslosen äquivalente Kurzarbeiter sowie Bezieher von Vorruhestandsleistungen) dazu, dann gelangt man zu einer effektiven Arbeitslosenrate, die auch noch Mitte 1993 jenseits der 30%-Marke lag (vgl. Bundesanstalt für Arbeit (1993)). Spiegelbildlich dazu verlief die Beschäftigungsentwicklung. Nachdem 1991 ein Rückgang von fast 20% zu verzeichnen war, sank die Erwerbstätigenzahl auch 1992 um 14%. Für 1993 wird ein weiterer Abfall erwartet (vgl. Franz (1992a)).
Eine der Hauptursachen des Produktions- und mit ihm Beschäftigungseinbruchs im Zuge des Vereinigungsprozesses und darüber hinaus war die Verlagerung der Nachfrage (insbesondere auf dem Konsumgütersektor) hin zu westlichen (speziell westdeutschen) Produkten sowie, etwas zeitverzögert, der Zusammenbruch des Exports vorwiegend in die ehemaligen RGW-Staaten[2]. Diese Länder hatten 1989 noch weit über 60% der Gesamtexporte der damaligen DDR aufgenommen.
Die für viele Ökonomen weitaus wichtigere, wenn nicht die entscheidende Ursache des Produktions- und Beschäftigungseinbruchs sind die hohen Lohnkosten, denen sich die ostdeutschen Unternehmen nach dem 1.7.1990 ausgesetzt sahen. Der hohe Umstellungskurs der DDR-Mark für die laufenden Verpflichtungen (also auch die laufenden Arbeitsverträge) bei Schaffung der deutschen Währungsunion und die großen Lohnzuwächse, die seitdem durchgesetzt wurden, trugen maßgeblich zur Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in den neuen Bundesländern bei (vgl. Kantzenbach (1991)).
1.2.2 Entwicklung von Produktivität und Löhnen
Das gemessen an der Produktivität zu hohe Lohnniveau stellt bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt das Hauptproblem der ostdeutschen Wirtschaft dar. Trotz zunächst respektablen Zuwächsen bei der Arbeitsproduktivität[3], die in der Hauptsache auf massiven Beschäftigungsabbau zurückzuführen waren, erreichte das ostdeutsche Produktivitätsniveau bis Mitte 1993 gerade 38% des Westniveaus (vgl. Nerb u.a. (1993)). Die Lohnentwicklung in den neuen Bundesländern erfolgte demgegenüber völlig losgelöst von der Veränderung der Arbeitsproduktivität (sowie von allen anderen relevanten Indikatoren zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft); ungeachtet des großen Produktivitätsunterschiedes zwischen den alten und neuen Bundesländern nahmen die Tarifparteien bereits unmittelbar nach Inkrafttreten der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion die schrittweise Heranführung des ostdeutschen an das westdeutsche Tariflohnniveau in Angriff (vgl. Härtel (1991)). Im Ergebnis stiegen die Löhne im Osten ausgehend von einem nach Meinung vieler Ökonomen ohnehin zu hohen Ausgangsniveau[4] exorbitant an: Ende 1992 lagen die durchschnittlichen Bruttomonatsverdienste in der Industrie (einschließlich Hoch- und Tiefbau mit Handwerk) bei 58,2% des Westniveaus, nachdem sie allein im Jahr 1992 um 30,4% gegenüber 1991 gestiegen waren. Im Groß- und Einzelhandel, bei den Kreditinstituten und im Versicherungsgewerbe erreichten die Löhne Ende 1992 60% des Westniveaus, woraus sich ein jahresdurchschnittlicher Lohnzuwachs von 37,9% gegenüber dem Vorjahr errechnen läßt (vgl. Statistisches Bundesamt (1993)). Die damit einhergehende hohe Lohnkostenbelastung[5] ist ursächlich für die desolate Ertragssituation vieler ostdeutscher Unternehmen (vgl. z.B. DIW (1990)). Im ersten Quartal 1993 waren die Lohnstückkosten der ostdeutschen Industrie im Durchschnitt immer noch doppelt so hoch wie im Westen, und das, obwohl die Anpassung der Tariflöhne in einigen Branchen hinausgezögert werden konnte[6]. Das gesamtwirtschaftliche Niveau der Lohnstückkosten lag Anfang 1993 bei ca. 185% des westdeutschen Niveaus (vgl. Arbeitsgemeinschaft Deutscher Wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute (1993)).
1.2.3 Die Preis-Kosten-Schere
In der ökonomischen Diskussion werden demzufolge die hohen Lohnkosten als wichtigste Ursache des Beschäftigungseinbruchs und der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit ostdeutscher Betriebe genannt. Begleitet wurde die Lohnentwicklung von einem deutlichen Rückgang der Outputpreise, wodurch der sog. Produzentenreallohn anstieg. Die ökonomische Analyse der Wirkungen von Lohnerhöhungen bedarf bekanntlich der Unterscheidung zwischen Konsumenten(real)lohn und Produzenten(real)lohn (vgl. Franz (1991b)). Letzterer wuchs allein im Juli 1990 um das Doppelte aufgrund der Umstellung der Tariflöhne- und gehälter im Verhältnis 1:1, der Beibehaltung bereits abgeschlossener Tarifverträge in Nominalgrößen sowie dem gleichzeitigen Rückgang der Produzentenpreise um fast 50% (vgl. Akerlof u.a. (1991)). Es öffnete sich eine Preise-Kosten-Schere, die es den meisten ostdeutschen Betrieben unmöglich machte, ihre kurzfristigen variablen Kosten durch Absatzerlöse zu decken. Die Forschergruppe um George A. Akerlof schätzte auf der Basis eigener Berechnungen, daß im Oktober 1990 zum damaligem Lohnniveau nur 8,2% der industriellen Arbeitsplätze auf dem Gebiet der neuen Bundesländer überlebensfähig gewesen wären[7]. Kriterium für Überlebensfähigkeit war eine Kosten-Erlös-Relation von kleiner als 1 (vgl. Akerlof u.a.(1991)). Anders ausgedrückt waren im betrachteten Zeitpunkt gerade 8,2% der industriellen Arbeitnehmer in Betrieben beschäftigt, die ihre Produkte zu Preisen absetzen konnten, die hoch genug waren, um die laufenden Kosten zu decken.
1.3 Lohnsubventionen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit ostdeutscher Betriebe
Angesichts der nach wie vor erschreckend schlechten Kosten-Erlös-Relation vieler Unternehmen in Ostdeutschland und der bedrückenden Lage am Arbeitsmarkt haben einige Ökonomen vorgeschlagen, den Preis des Produktionsfaktors Arbeit staatlicherseits soweit herabzusubventionieren, daß die Beschäftigung aufgrund der dann verbesserten Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen (Arbeitsnachfrager) auf einem akzeptablen Niveau stabilisiert bzw. die Arbeitslosigkeit spürbar verringert werden könnte.
Ziel der Lohnsubventionen ist die Reduzierung der Arbeitskosten, um so das Ausscheiden jener Unternehmen zu verhindern, die ansonsten vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Lohnentwicklung in den neuen Bundesländern keine Marktchance mehr hätten, deren Wettbewerbsfähigkeit bei niedrigeren Löhnen aber wahrscheinlicher würde.
Der Gedanke, statt traditioneller Nachfragestimulation den Faktoreinsatz mittels wirtschaftspolitischer Maßnahmen zu beeinflussen, ist keineswegs neu. Bereits im Jahre 1936 empfahl Kaldor zur Verringerung der Arbeitslosigkeit die Zahlung direkter Lohnkostenzuschüsse. Die Diskussion um die Lohnsubventionierung entflammte erneut in den 70er Jahren angesichts persistenter Arbeitslosigkeit und ausufernder Inflationsraten. Gerade in Stagflationsphasen, so die Überlegung, eignet sich eine solche Politik, um die Beschäftigung schnell wieder anzuregen, ohne die Wirtschaft unnötig zu überhitzen (vgl. Kopits (1978)).
Angesichts der Finanznot, in der sich der Fiskus als Folge der Vereinigung Deutschlands befindet, rückt jedoch die Frage der politischen Durchsetzbarkeit staatlicher Lohnzuschüsse in den Vordergrund. Subventionen, also Zahlungen, Steuervergünstigungen und geldwerte Leistungen der öffentlichen Hand für wirtschaftliche Unternehmen ohne marktliche Gegenleistung, sollen nämlich gemäß § 12 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes auf ein Mindestmaß reduziert werden. Außerdem verlangt der Artikel 92 des EWG-Vertrages die eingehende Überprüfung nationaler "Beihilfen" hinsichtlich der Verfälschung des Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt bzw. der Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten (vgl. Hamm (1993)). Nun haben aber bereits etablierte Subventionsprogramme zur Restrukturierung der ostdeutschen Wirtschaft ein Volumen erreicht, das aus allen Nähten zu platzen droht. Beispielsweise unterstützte die Treuhandanstalt die noch in ihrem Besitz befindlichen Unternehmen allein im Jahr 1992 mit insgesamt 14 Milliarden DM. Alle staatlichen Unterstützungszahlungen (inkl. ERP- und EG-Subventionen) zusammengenommen erreichten im Jahr 1992 eine Höhe von 41,5 Milliarden DM und die Tendenz ist nach wie vor steigend (vgl. Stille und Teichmann (1993)). Langjährige Erfahrungen bestätigen zudem die Mißerfolge beim Subventionsabbau, was das Gewicht der Argumente gegen die Einführung umfangreicher Lohnsubventionen potenziert.
1.3.1 Typisierung von Lohnsubventionen
Die Ausgestaltung der Lohnsubventionen hängt vom zugrunde gelegten Modell ab. Als generelle Lohnsubventionen finden sie Anwendung auf alle Beschäftigungsverhältnisse, denkbar ist aber auch, sie selektiv für einen Teil der Unternehmen einzuführen (vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim BMWi (1991b)). George F. Kopits (1978) differenziert zwischen marginalen und generellen sowie kategorialen und universalen Lohnsubventionen. Mittels marginaler Lohnsubventionen sollen Arbeitgeber von einem Teil der Lohnkosten entlastet werden, die ihnen für die Beschäftigung ansonsten Arbeitsloser entstehen. Im Gegensatz dazu sollen generelle Lohnsubventionen die gesamten Lohnkosten eines Arbeitgebers reduzieren. Kategoriale Lohnsubventionen sind in irgendeiner Weise beschränkt auf Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, die nach bestimmten industriellen, regionalen, demographischen oder anderen Kriterien charakterisiert werden können; universale Lohnsubventionen werden ungeachtet solcher Charakteristika gewährt (vgl. Kopits (1978)). Unverkennbar ist die Analogie zur Unterscheidung selektiver und allgemeiner Lohnsubventionen. Daneben existieren weitere Varianten, wie z.B. die Beschränkung der Lohnsubventionen auf bestimmte Lohngruppen oder Lohnkomponenten (Lohnnebenkosten) (vgl. dazu z.B. Winters (1991)), die hier jedoch nur der Vollständigkeit halber genannt sein sollen, da sie in der fachwissenschaftlichen Diskussion keine große Rolle spielen.
Arbeitskostenzuschüsse können gemäß der bereits weiter oben im Text angesprochenen Definition einer Subvention im Falle der Lohnsubvention entweder direkte Zuzahlungen des Staates zu den Lohnkosten der Unternehmen sein oder in Form einer Senkung des Lohn- und Einkommensteuertarifs wirksam werden (vgl. Frankfurter Institut für wirtschaftspolitische Forschung (1990)). Da die allermeisten Lohnsubventionsmodelle (natürlich auch die in der vorliegenden Arbeit untersuchten) implizit die direkte Zahlung der Subvention unterstellen, erübrigt sich eine eingehendere Analyse der Steuernachlaßvariante.
1.3.2 Ökonomische Effekte temporärer Lohnsubventionen in funktionierenden Marktwirtschaften
George F. Kopits untersuchte in einer Studie aus dem Jahre 1978 die Erfahrungen, die mit temporären Lohnsubventionsprogrammen, angewandt zu verschiedenen Zeitpunkten in einigen bedeutenden Industrienationen, gesammelt werden konnten. Im allgemeinen identifizierte er dabei[8] insgesamt vier Haupttypen ökonomischer Effekte infolge einer Lohnsubventionierung. Der Faktorsubstitutionseffekt und der Skaleneffekt bilden die Gruppe der Primäreffekte mikroökonomischer Natur, interindustrielle und Multiplikatoreffekte sind Sekundär- oder indirekte Effekte makroökonomischer Natur[9].
Der Faktorsubstitutionseffekt äußert sich in einem Anstieg der Beschäftigung (innerhalb einer Unternehmung) und einem gleichzeitig rückläufigen Einsatz anderer Inputfaktoren als Folge der im Umfang der Subvention reduzierten Lohnkosten.
Der Skaleneffekt indiziert den Beschäftigungsanstieg, der sozusagen Begleiterscheinung der Outputausweitung aufgrund geringerer Lohnkostenbelastung ist. Die Überlegung dabei ist folgende: In dem Umfang, in dem das Unternehmen die Subvention in Form niedrigerer Produktpreise auf die Konsumenten überträgt, wird auch die Outputnachfrage steigen; das wiederum erhöht die Faktornachfrage nach allen Inputfaktoren, also auch nach dem Faktor Arbeit.
Interindustrielle Effekte messen Veränderungen von Relativpreisen und von Faktoreinsatz- und Outputmengen in verschiedenen Industriezweigen, die Resultat der Skalen- und Substitutionseffekte sind. Obwohl im Gegensatz zu den direkten Substitutions- und Skaleneffekten die interindustriellen Effekte auf Output und Faktoreinsatz sowie ihre Relativpreise nur sehr schwer abzuschätzen sind, kann im Falle des Faktors Arbeit gesagt werden, daß sie den Beschäftigungsanstieg (wie auch den Lohnanstieg) verstärken.
Neben den angebotsseitigen Effekten existieren auch nachfrageseitige Multiplikatoreffekte. Die makroökonomische Konsequenz der Subvention besteht in der sukzessiven, sich wiederholenden Nachfrageausweitung aufgrund höherer verfügbarer Einkommen der Haushalte, gestiegener nachsteuerlicher Unternehmensgewinne und eines größeren öffentlichen Haushaltsdefizits. Die daraus letztlich resultierenden Multiplikatoreffekte in bezug auf Output, Beschäftigung, Investition und Preise werden von tech- nologischen Bedingungen, Angebotsrestriktionen, Präferenzen der Konsumenten einerseits und den Grenzzahlungsbereitschaften in den verschiedenen Sektoren sowie built-in-flexibilities des Steuer- und Arbeitslosenversicherungssystems andererseits beeinflußt (vgl. Kopits (1978)).
1.3.3 Lohnsubventionen im Falle der neuen Bundesländer
Die allgemeinen ökonomischen Wirkungen von Lohnsubventionen sind jedoch keineswegs immer so eindeutig zu isolieren wie oben geschehen. Die Analyse der ökonomischen Effekte von Lohnsubventionen wird ungleich schwieriger, wenn man unterstellt, daß es sich wie im Falle Ostdeutschlands um eine systemtransformierte Volkswirtschaft handelt. Gerade in einer solchen Situation ist es durchaus verständlich, wenn die Meinungen über wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Linderung der miserablen Wirtschaftslage in den neuen Bundesländern in Fachkreisen teilweise sehr weit auseinander- liegen.
Die erste, gründlich ausgearbeitete Studie, die als Therapie für die neuen Bundesländer eine allgemeine kompensatorische Lohnsubvention empfahl, stammte von der bereits erwähnten amerikanischen Forschergruppe um George A. Akerlof und wurde im Frühjahr 1991 veröffentlicht. Die darin vorgeschlagene Lohnsubvention im Rahmen des sog. 'Self-Eliminating Flexible Employment Bonus Program (SFEBP)' steht im Mittelpunkt des nächsten Kapitels und wird dort eingehend analysiert und diskutiert.
Wissenschaftler des Frankfurter Instituts für wirtschaftspolitische Forschung haben alternativ dazu ein Modell selektiver Lohnsubventionen entwickelt, das zwar dem Modell der Akerlof-Gruppe ähnelt, nach Meinung der Frankfurter Autoren jedoch entscheidende Nachteile des Akerlof-Modells eliminiert. Das 'Frankfurter Modell' ist Basis eines weiteren Hauptteils der vorliegenden Arbeit.
Ob die offene Kritik des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin an der einseitigen Investitionsförderung der Bundesregierung ihre Berechtigung hat und durch einen kombinierten Ansatz, der die Vorteile von Lohn- und Kapitalsubventionen miteinander verbinden soll, konkretisiert werden könnte, wird im darauffolgenden Kapitel erörtert.
Im letzten Kapitel werden die wichtigsten Ergebnisse der Diskussion um die Tauglichkeit von Lohnsubventionsprogrammen im Falle der neuen Bundesländer zusammengefaßt und einer abschließenden Beurteilung unterzogen.
2 Das Berkeley-Modell allgemeiner Lohnsubventionen
2.1 Hintergrund
Wie bereits erwähnt, erachten George A. Akerlof und seine Mitarbeiter von der Berkeley Universität in Kalifornien die Löhne in Ostdeutschland als viel zu weit über markträumendem Niveau, wodurch die Wettbewerbsfähigkeit bzw. die Rentabilität der Unternehmen untergraben wird und infolgedessen die gesamtwirtschaftliche Produktion und Beschäftigung in bedrohlichem Maße absinken. Zwar könne mit deutlichen Produktivitätssteigerungen gerechnet werden[10], gleichwohl blieben sie bei weitem hinter den programmierten Lohnerhöhungen zurück. Das bedeute wiederum, daß die Zahl der überlebensfähigen Betriebe weiter sinke und die Beschäftigungslosigkeit ansteige. In der Tat war das 'Heer' der offen und verdeckt Arbeitslosen in den neuen Bundesländern auch im August 1993 mit weit über 2,7 Millionen (vgl. Der Spiegel (1993)) immer noch enorm groß. Die Schärfe des Beschäftigungseinbruchs widerlegte die Einschätzung, die noch vor und während des Vereinigungsprozesses gehegt wurde, daß die zunehmende Arbeitslosigkeit rasch aufgefangen werden könnte durch die Umstrukturierung der Erwerbstätigkeit; d.h. viele der vom Arbeitsplatzverlust Betroffenen im Verarbeitenden Gewerbe könnten im unterentwickelten Dienstleistungsbereich Ersatz finden (vgl. IWH (1992)).
Die verheerende Beschäftigungsentwicklung hätte der Berkeley-Gruppe zufolge durch den massiven Einsatz von Lohnsubventionen abgemildert werden können, viele Arbeitsplätze wären erhalten geblieben, ja es wäre sogar die dringend erforderliche Investitionstätigkeit angeregt worden und dadurch hätten viele neue Arbeitsplätze entstehen können (vgl. FAZ (1991)). Angesichts der erschreckenden Arbeitsmarktbilanz und der bereits weit fortgeschrittenen Privatisierungsarbeit der Berliner Treuhandanstalt (Mitte September 1993 befanden sich von ehemals 12.000 Unternehmen und Unternehmensteilen noch etwa 500 Betriebe in deren Angebot (vgl. SZ (1993a))), stellt sich unweigerlich die Frage, ob der von der Bundesregierung eingeschlagene wirtschaftspolitische Weg einseitiger Investitionsförderung der richtige war[11], oder ob Lohnsubventionen nicht doch die bessere Strategie gewesen wären bzw. immer noch sind.
2.2 Das Self-Eliminating Flexible Employment Bonus Program (kurz SFEBP)und dessen Effekte im Falle Ostdeutschlands
Der Vorschlag von Akerlof u.a. (1991) umfaßt die Gewährung umfangreicher Lohnsubventionen für alle Erwerbspersonen in Ostdeutschland mit Ausnahme der beim Staat und in der Landwirtschaft Beschäftigten. Die Lohnkosten aller Unternehmen sollten zunächst um 75% gesenkt werden, die Subventionshöhe könnte anhand eines bestimmten Ausgangslohnniveaus ermittelt werden. Ferner soll die Lohnsubvention linear abhängig von der Differenz zwischen ost- und westdeutschem Lohnniveau sein; d.h. sie entfällt automatisch, wenn es keinen Lohnunterschied zwischen den alten und neuen Bun- desländern mehr gibt (Self-Eliminating Flexible Employment Bonus Program, kurz SFEBP). Über folgende Formel läßt sich der Zuschuß zum Zeitpunkt t (bt) berechnen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
wt bezeichnet den ostdeutschen Lohn pro Arbeitnehmer zum Zeitpunkt t, w0 steht für das Ausgangslohnniveau, wt* repräsentiert das westdeutsche Lohnniveau zum Zeitpunkt t und r ist die erwünschte prozentuale Lohnkostenreduktion (vgl. Akerlof u.a. (1991)).
2.2.1 Budget- und Beschäftigungswirkungen
Trotz der einerseits hohen Kosten eines solchen Lohnsubventionsprogramms erzeugt es andererseits erhebliche Mehreinnahmen bzw. Minderausgaben auf Seiten des Staates[12]. Ein aufgrund der beschäftigungspolitischen Maßnahme in Lohn und Brot stehender Arbeitnehmer zahlt Steuern und Sozialabgaben anstatt Arbeitslosengeld zu beziehen, was im doppelten Sinne positive Auswirkungen auf den öffentlichen Haushalt hat. Dazu kommen die Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber, die die staatliche Einnahmenseite zusätzlich verbessern (vgl. Akerlof u.a. (1991)). Die Treuhandanstalt wird in die Lage versetzt, ihre durch die Subvention profitabler und für Investoren attraktiver gewordenen Betriebe an den meistbietenden Interessenten verkaufen zu können. Es könnten auch Firmen verkauft werden, deren Gesamtwert an sich negativ ist, mittels Lohnsubventionen jedoch positiv wird. Außerdem entfiele die zeitaufwendige und kostspielige Prüfung der Beschäftigungs- und Investitionspläne aller Kaufinteressenten. Die neuen Besitzer - und nicht die Treuhandanstalt - übernähmen die Sanierung[13] ; Betriebe, die selbst mit Lohnsubventionen nicht verkauft werden könnten, sollten stillgelegt werden.
Die folgende Abbildung verdeutlicht die Budget- und Beschäftigungseffekte des Akerlof'schen Lohnsubventionsprogramms bezogen auf Arbeitsplätze in Betrieben, die sich noch im Besitz der Treuhandanstalt befinden.
Abbildung 1:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
*) Fiskalische Kosten der Arbeitslosigkeit
Quelle: Akerlof u.a. (1991), S. 73.
Der Erfolg von Lohnsubventionen beruht auf folgenden grundlegenden Zusammenhängen: Je höher der Lohn (Senkrechte von O bis M), um so geringer die Beschäftigung (Waagrechte von O bis D). Diese Beziehung verdeutlicht - in vereinfachter Form - die Linie DD, die als Arbeitsnachfragekurve aggregiert über alle Treuhandfirmen aufgefaßt werden kann. Bei einer Lohnhöhe von w0 beispielsweise werden Arbeitnehmer im Umfang OA beschäftigt. Führt man nun eine Lohnsubvention in Höhe der Strecke JC ein, dann sinken die Lohnkosten auf C und die Beschäftigung steigt auf B. Die direkten Kosten dieses Zuschußprogramms ergeben sich als Produkt aus Lohnsubvention JC und Gesamtzahl der Arbeiter, für die sie gezahlt wird (CF). Die Kosten werden also begrenzt von der rechteckigen Fläche CFLJ. Gleichzeitig läßt sich ein zweiter Effekt aus der Graphik ablesen: Durch die Beschäftigung ansonsten Arbeitsloser spart der Staat Arbeitslosengeld und erzielt höhere Einnahmen in Form von Lohn- und Einkommensteuer und Sozialbeiträgen. Die Ersparnisse bzw. Mehreinnahmen für die öffentlichen Haushalte belaufen sich auf 79,1% der Bruttolohnsumme der zusätzlich Beschäftigten, in der geometrischen Darstellung erkennbar als Rechteck ABIG; letzteres ist das Produkt aus zusätzlich beschäftigten Arbeitnehmern (AB) und staatsbudgetären Kosten pro Arbeitslosem (BI). Der dritte Effekt, auf den Akerlof u.a. (1991) großen Wert legten, hat bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt vor dem Hintergrund einer weitgehend abgeschlos- senen Privatisierung durch die Treuhandanstalt zwar an empirischer Relevanz eingebüßt, soll aber zunächst ebenbürtig zu den ersten beiden Effekten dargestellt werden. Akerlof u.a. (1991) gingen davon aus, daß der überwiegende Teil der Unternehmen in Ostdeutschland im Besitz der Treuhandanstalt war, was für den Zeitpunkt Oktober 1990 eine durchaus realistische Annahme war, da hier die Privatisierung eigentlich "erst richtig begann" (Cornelsen (1992), S. 112). Werden die Lohnkosten subventioniert, dann erhöht sich der Verkaufswert der Unternehmen um nahezu denselben Betrag wie die Subvention, und zwar um die Fläche CFKJ. In Abwesenheit des Subventionsprogramms umfaßt der Wert der Firmen die Fläche JKM, mit Lohnzuschuß steigt er auf CFM. Die Nettobelastung der öffentlichen Haushalte erhält man durch Subtraktion der Fläche ABFHG von der Fläche KHIL. Da letztere wesentlich kleiner ist als erstere, ergibt sich im Endeffekt sogar ein Nettoertrag für den Staat.
Zu den Bedingungen im Oktober 1990 hätten sowohl der Staat als auch die Arbeitnehmer von der Einführung eines Lohnsubventionsprogramms profitiert, zumindest, was das Modell der Berkeley-Gruppe betrifft. Unterstellt, Freizeit besäße keinen Wert, dann erzielten die Arbeitnehmer einen höheren Nettolohn im Vergleich zur Höhe der Arbeitslosenunterstützung und gewännen GKLI hinzu. Der gesamte soziale Ertrag der Lohnsubvention umfaßt die Summe der Vorteile, die sich für Staat und Arbeitnehmer ergeben; in der Abbildung 1 ist das die Fläche AKFB.
Akerlof u.a. (1991) schätzten die budgetären Einsparungen einer 50%igen Lohnsubvention für industrielle Arbeitsplätze in Treuhandbetrieben auf 11,9 Milliarden DM pro Jahr unter der Voraussetzung, daß die Arbeitnehmer sämtlich in überlebensfähigen Firmen beschäftigt sind. Die Beschäftigung, die sich im Falle 50%iger Lohnsubventionen auf 36,6% erhöhte, stiege im Falle 75%iger Lohnsubventionen sogar auf 77,2% an und die Einsparungen im Staatshaushalt beliefen sich auf 22,3 Milliarden DM pro Jahr.
Daß in diesem Modell für die Unternehmenskäufer kein Gewinn abfällt, ist nicht ungewöhnlich, da es sich hier um das theoretische Analogon einer Auktion handelt, bei der nur wenige Bieter existieren und der höhere Auktionspreis eines Gutes (höhere Unternehmenswerte durch das Lohnsubventionsprogramm) gleichermaßen für alle Bieter gilt.
2.2.2 Budgetwirkungen aufgrund der Subventionierung neugeschaffener Arbeitsplätze
In der Zahlung von Lohnsubventionen im Falle neu geschaffener Arbeitsplätze sehen Akerlof u.a. (1991) zweierlei Positives:
Zum einen verändert sich der optimale Quotient aus Arbeit und Kapital und beeinflußt damit die Investitionsentscheidungen in Ostdeutschland zugunsten arbeitsintensiver Produktionen. Das kostenminimale Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital ist bei zugrundegelegter Cobb-Douglas-Produktionsfunktion invers proportional zum Effektivlohn. Mit einer weitreichenden Lohnsubvention von 75% wächst dieser Quotient mit einem Faktor von 4 und beschleunigt damit die Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Zum anderen erhöht sich das Investitionsvolumen aufgrund gestiegener Rentabilität der Investitionen; wenn die Effektivlöhne gesenkt werden, dann fallen auch die Lohnstückkosten und die Rendite einer Neuinvestition steigt. Formal lassen sich die erwarteten Rückflüsse aus einer Neuinvestition darstellen als (q - wl), wobei q der Quotient aus den erwarteten abdiskontierten Erträgen dieser Neuinvestition und den Kapitalkosten (Tobins q (vgl. z.B. Jarchow (1990))), w der Reallohn und l der Arbeitseinsatz in bezug auf das neue Kapital (die Investition) sind. Das Tobinsche q steigt ebenso wie die optimale Investitionsquote.
Um beurteilen zu können, welche staatshaushalterischen Implikationen das Lohnsubventionsprogramm insgesamt hat, müssen die Budgeteffekte des Programms im Falle neuen und existierenden Kapitals aggregiert werden. Da die privaten Investitionen trotz massiver Investitionsförderprogramme[14] nur sehr schleppend in Gang kommen[15], könnten umfangreiche Lohnsubventionen wesentliche Investitionsanreize bieten und gleichzeitig Grund dafür sein, den Einsatz des Faktors Arbeit zu intensivieren, sprich die Beschäftigung zu erhöhen. Alles in allem ist das Lohnsubventionsprogramm also auch im Falle neu geschaffener Arbeitsplätze nutzenstiftend für den Fiskus, da hier ebenfalls Einsparungen bzw. Einnahmen erzeugt werden. Selbst wenn die Kosten für neu entstandene Arbeitsplätze erheblich sein sollten, so könnten sie vollständig oder zumindest zum großen Teil aufgewogen werden durch die Einsparungen, die infolge der Subventionierung der Treuhandarbeitsplätze erzielt werden (vgl. Akerlof (1991)).
2.2.3 Wirkungen des SFEBP auf die Lohnentwicklung
Abbildung 2:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
*) Fiskalische Kosten der Arbeitslosigkeit
Quelle: Akerlof u.a. (1991), S. 79
Münden die Lohnsubventionen in höhere Lohnsteigerungen, dann sinkt der Nutzen, den die öffentlichen Haushalte aus der Beschäftigung der Arbeitnehmer in Treuhandbetrieben ziehen. Die Subventionen müßten ausgeweitet werden, um die gleichen Beschäftigungseffekte zu erzielen wie vorher in Abbildung 1.
Wie in Abbildung 2 dargestellt, steigt das Ausgangslohnniveau aufgrund der Subvention von w0 auf w1, jedoch erhalten die Arbeitnehmer nur einen Teil (JN) dieses Lohnzuwachses, der andere Teil (NR) fließt dem Staat in Form zusätzlicher Einkommensteuern und Sozialabgaben zu. Die Höhe der notwendigen Lohnsubvention ist CR (wären die Löhne unverändert geblieben, genügte eine Subvention in Höhe CJ). Die Fläche JKGIQN kennzeichnet den Nettonutzen der Arbeitnehmer. Die Zusatzerlöse der Treuhandanstalt aus dem Verkauf ihrer Unternehmen umfaßt - genau wie vorher - die Fläche CFKJ. Ebenfalls gleich groß sind die Einsparungen auf Seiten des Staates durch geringere Arbeitslosigkeit in Höhe der Fläche ABIG und der gesamte soziale Nutzen des Lohnsubventionsprogramms in Höhe der trapezartigen Fläche ABFK. Die direkten Kosten des Zuschußprogramms steigen jetzt aber um JLQN, wodurch sich die Gesamtkostenbelastung der Staatskasse als Differenz der Flächen KHIQPNJ und ABFHG ergibt. Gleichzeitig steigen die Kosten der Subventionierung neu entstandener Arbeitsplätze. Infolgedessen kann man nicht eindeutig von staatshaushalterischen Gewinnen ausgehen; sind die Gewerkschaften stark genug, ist es sogar vorstellbar, daß die Subvention die Löhne genau im Umfang der staatlichen Mehrausgabe steigen lassen, ohne daß Beschäftigungsgewinne generiert werden (vgl. Akerlof u.a. (1991)).
2.3 Diskussion des Berkeley-Modells
Akerlof u.a. (1991) entwickelten mit ihrem Lohnsubventionsprogramm (SFEBP) ein Konzept, das die rasche und effiziente Privatisierung und Restrukturierung der ostdeutschen Wirtschaft gewährleisten und Fehlentwicklungen während der Anpassungsphase vermeiden helfen sollte. Lohnsubventionen in der Ausgestaltung des SFEBP hätten demnach eine Reihe von Vorteilen, die zu obengenannter Zielsetzung beitrügen. Inwieweit diese Vorteile jedoch als glaubhaft erachtet werden können, das soll im folgenden geprüft werden.
2.3.1 Wertsteigerung ostdeutscher Unternehmen
Der Wert der meisten ostdeutschen Unternehmen stiege, vor allem aufgrund der verbesserten Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in Besitz der Treuhandanstalt (in vielen Fällen würde durch die Lohnsubvention überhaupt erst ein positiver Wert erzielt); der Verkauf der Firmen würde ermöglicht (unverkäufliche Betriebe würden liquidiert) und die Treuhandanstalt erlöste höhere Preise für ihre Unternehmen, da sie an den Höchstbietenden abgegeben werden könnten. Detaillierte Beurteilungen der Beschäftigungs- und Investitionspläne der Kaufinteressenten entfielen und der Privatisierungsprozeß würde wesentlich beschleunigt. Der unbefriedigende gegenwärtige Zustand könnte aufgebrochen und die Restrukturierung und die Einführung marktwirtschaftlicher Anreizsysteme vorangetrieben werden (vgl. Akerlof u.a. (1991)).
Die extreme Gegenposition hierzu vertritt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR). Er propagiert mit Nachdruck, daß nur grundlegend erneuerte Unternehmen bzw. im marktlichen Wettbewerb überlebensfähige neugegründete Unternehmen zu einer "gesunden und lebensfähigen Wirtschaftsstruktur" (SVR (1991b), S. 10) beitragen. Die Unternehmen müssen sich dazu aus eigener Kraft am Markt behaupten können ohne die Zahlung strukturerhaltender Subventionen (Lohnsubventionen). Nicht wettbewerbsfähige Unternehmen am Leben er- halten bedeutet, die neuen Bundesländer technisch und wirtschaftlich dem westdeutschen und dem internationalen Standard hinterherhinken zu lassen. "Die Erhaltung von Arbeitsplätzen wird mit erheblichen Nachteilen erkauft. Aus der Anpassungskris e wird eine dauerhafte Strukturkrise" (SVR (1991b), S. 11). Durch die Subventionierung von Betrieben, die aus sich heraus nicht überlebensfähig sind, wird die Ineffizienz der Planwirtschaft mitgeschleppt, die Preise auf lange Zeit hinaus verzerrt und die Produktionsfaktoren fehlgesteuert.
[...]
[1] Jedoch stabilisierte sich die Produktion im Baugewerbe bereits im vierten Quartal 1990 wieder und überschritt leicht das Vorjahresniveau (vgl. Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik(1991)). Seitdem avancierte das Baugewerbe zu einem der Wachstumsträger in Ostdeutschland.
[2] Die Bundesregierung subventionierte die Produktion und die Exporte in die ehemaligen RGW-Länder über den Zeitpunkt der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion hinaus. Außerdem wurde der Handel mit diesen Ländern erst zum 1.1.1991 auf konvertible Währungen umgestellt; das bedeutete, daß sich die Nachfrage nach ostdeutschen Exportgütern bei den osteuropäischen ehemaligen Handelspartnern einerseits durch die Verteuerung der Erzeugnisse und andererseits durch die Devisenknappheit dieser Länder verringerte (vgl. Franz(1992b)).
[3] Von Meßproblemen sei hier abgesehen. Albeck (1990) weist darauf hin, daß unter der Arbeitsproduktivität die Produktionsleistung je Arbeitsstunde bei der Herstellung marktfähiger Produkte zu verstehen sei, und nicht beim Erzeugen unverkäuflicher Ladenhüter, was er für viele der ostdeutschen Produkte wohl implizit annahm (vgl. Albeck (1990)).
[4] Bedingt durch die Umstellung der Löhne und Gehälter im Verhältnis 1:1 auf der Basis der am 1.5.1990 geltenden Tarifverträge (vgl. Weidenfeld und Korte (1992)).
[5] Aufgrund von Befragungsergebnissen will das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung jedoch nachgewiesen haben, daß die Löhne keinesfalls der Hauptfaktor für die hohen Produktionskosten in Ostdeutschland seien. Vielmehr sei der Lohnanteil am Umsatz im Schnitt aller Treuhandbetriebe von Frühjahr bis Herbst 1991 von 24 auf 22% gesunken; die Lohnkostenbelastung habe sich im Durchschnitt verringert und nicht erhöht (vgl. Adamy (1992)).
[6] So wurde der Zeitplan zur vollen Angleichung der Löhne in der ostdeutschen Metallindustrie bis zum 1.7.1996 prolongiert (vgl. Boss u.a. (1993)).
[7] Demgegenüber sind Sinn/Sinn (1993) der Ansicht, daß fast alle Industriearbeitsplätze wettbewerbsfähig gewesen wären, wenn die Löhne auf dem Stand von April 1990 verharrt hätten und die Währungsumstellung zum Satz 1 : 0,23 (Mark : DM) erfolgt wäre.
[8] Es sei berücksichtigt, daß in den betrachteten Staaten funktionierende marktwirtschaftliche Systeme existierten.
[9] Eine ausführliche Analyse einzel- und gesamtwirtschaftlicher Effekte der Subventionspolitik liefern Dickertmann und Diller (1990).
[10] Tatsächlich stieg die Produktivität 1991 um 4,2% und 1992 um 5,9% (vgl. Institut der Deutschen Wirtschaft (1993)).
[11] Befürchtungen wurden laut, die am Beispiel der italienischen Mezzogiorno-Politik illustriert werden können: Investitionsanreize haben dazu geführt, daß besonders kapitalintensive Produktionen in die subventionierte Region in Süditalien verlegt wurden, die nur wenige neue Arbeitsplätze schufen. Es wurde ignoriert, daß dort das Kapital der knappe, die Arbeit aber der im Überfluß vorhandene Produktionsfaktor war (vgl. Kröger (1992)).
[12] Das DIW ging in einem seiner Wochenberichte 1991 davon aus, daß die zusätzlichen Einnahmen bzw. Einsparungen für das Jahr 1992 keineswegs ausreichten, um die direkten Kosten der Lohnsubvention auszugleichen geschweige denn zu übertreffen; es blieben im Gegenteil Nettokosten von 134 Milliarden DM übrig (bei einem Ausgangslohnniveau von 80% im Verhältnis zum Westlohnniveau) (vgl. DIW (1991a)).
[13] Die Treuhandanstalt hatte zumindest während der ersten Zeit ihrer Arbeit vorrangig die rasche Privatisierung als besten Weg der Sanierung im Auge. Neuerdings spricht sie jedoch immer häufiger von 'aktiver Sanierung' als Vorstufe zur Privatisierung (vgl. Naujoks u.a. (1992)).
[14] Bislang wurden nach Angaben des Instituts der Deutschen Wirtschaft 44 Mrd. DM der zwischen 1990 und 1993 zugesagten öffentlichen Investitionsfördermittel in Anspruch genommen (vgl. SZ (1993b)).
[15] Zur Entwicklung der Investitionstätigkeit zwischen 1991 und 1993 vgl. Neumann (1993).
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