EDI in der internationalen Automobilzulieferindustrie: Analyse der Entwicklungstendenzen und daraus resultierenden Anforderungen an die EDI-Realisierung von Automobilzulieferbetrieben


Diplomarbeit, 1998

94 Seiten, Note: 1.3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einführung
1.1 Begriffsabgrenzung
1.2 Ziel der Arbeit

2 Entwicklungen in der internationalen Automobilindustrie
2.1 Historische Entwicklung
2.1.1 USA
2.1.2 Europa
2.1.3 Japan
2.1.4 Vergleich der Triademärkte
2.1.5 Aktuelle Situation und Tendenzen
2.2 Rolle der Zulieferindustrie
2.2.1 Modular Sourcing
2.2.2 Single Sourcing
2.2.3 Global Sourcing
2.2.4 Just-in-Time und Produktionssynchrone Beschaffung
2.2.5 Industriepark-Konzept

3 Automotive EDI
3.1 Technische Aspekte
3.1.1 OSI-Referenzmodell
3.1.2 Kommunikationsprotokolle
3.1.2.1 OFTP
3.1.2.2 X.400/X.435
3.1.2.3 TCP/IP
3.1.3 Netze und Dienste
3.1.4 EDI-Standards
3.1.4.1 VDA
3.1.4.2 Odette
3.1.4.3 ANSI X12
3.1.4.4 UN/EDIFACT
3.1.4.5 EDIFACT-Subsets
3.2 EDI-Nachrichten
3.2.1 Geschäftsnachrichten
3.2.2 CAD-Daten
3.3 Infrastruktur des EDI-Systems
3.3.1 Integrationsgrade
3.3.1.1 Door-to-door EDI
3.3.1.2 True EDI
3.3.1.3 Application-to-application-EDI
3.3.2 Punkt-zu-Punkt vs. Store & forward
3.3.3 VANs
3.3.4 Host- vs. Front-end-Lösung
3.4 Juristische Aspekte
3.4.1 Elektronische Unterschrift
3.4.1.1 Integrität
3.4.1.2 Authentizität
3.4.1.3 Das Public-key-Verfahren
3.4.1.4 Hybrid-Verschlüsselung
3.4.1.5 Aufgabe der elektronischen Unterschrift bei EDI
3.4.2 Archivierung nach gesetzlichen Aufbewahrungsfristen
3.4.3 EDI-Vertrag
3.5 Anforderungen an die EDI-Lösung

4 Neue Entwicklungen
4.1 Technische Aspekte
4.1.1 Internet als ultimatives Übertragungsmedium
4.1.1.1 ANX
4.1.1.2 AutoWeb
4.1.1.3 MIME/PGP
4.1.2 Breitband-Netze
4.2 Neue EDI-Ansätze
4.2.1 Interactive-EDI
4.2.2 Open-EDI
4.3 Migration der Standards
4.4 Zukünftige Anforderungen an eine EDI-Lösung

5 Ökonomische Auswirkungen von EDI
5.1 Nutzenpotentiale von EDI
5.1.1 Kosteneinsparungen
5.1.2 Innovationen bei Unternehmensprozessen
5.1.3 Indirekte und monetär nicht quantifizierbare Aspekte
5.1.3.1 Beitrag zur JIT-Fähigkeit
5.1.3.2 Verhältnis zwischen Zulieferer und Kunde
5.1.3.3 Informationsaspekt
5.2 EDI im Modell von Porter
5.2.1 Wettbewerbsvorteile für das einzelnen Unternehmen
5.2.2 EDI in der Standortfrage
5.3 Auswirkungen von EDI auf Hierarchien und Netzwerke
5.3.1 Transaktionskostenbedingte Desintegration
5.3.1.1 Grundlagen der Transaktionskostentheorie
5.3.1.2 Einfluß von EDI auf die Transaktionskosten
5.3.2 Elektronische Märkte vs. Elektronische Hierarchien
5.3.3 Marktmacht und bilaterale Abhängigkeiten zwischen Zulieferer und Hersteller

6 Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Struktur der Zulieferbeziehungen früher und heute

Abbildung 2: Anzahl Zulieferer pro Teil in der BRD von 1987 - 1995

Abbildung 3: Die Schichten des OSI-Referenzmodells

Abbildung 4: Aufgaben der einzelnen Schichten

Abbildung 5: Reichweiten der EDI-Standards und Beispiele

Abbildung 6: Struktur einer EDIFACT-Übertragungsdatei

Abbildung 7: EDI-Nachrichten der Standards VDA, Odette, EDIFACT und ANSI X12

Abbildung 8: Hybrid-Verschlüsselung

Abbildung 9: Infrastruktur des ANX

Abbildung 10: Infrastruktur des AutoWeb

Abbildung 11: Einfluß von EDI auf die Porter’schen Wettbewerbskräfte

Abbildung 12: Beispiele für EDI-Anwendungen in der Porter’schen Wertekette

Abbildung 13: Wirkungen von EDI auf die Vorteile einer Integration nach Porter

Abbildung 14: Einfluß von EDI auf die Koordinationsstruktur

EDI in der internationalen Automobilzulieferindustrie: Analyse der Entwicklungstendenzen und daraus resultierenden Anforderungen an die EDI-Realisierung von Automobilzulieferbetrieben

1 Einführung

Die Deregulierung und Globalisierung der Märkte, komplettiert durch die Öffnung des Ostens, führte in der Automobilindustrie zu wachsendem internationalen Wettbewerb. Gleichzeitig zeigte sich auf der Konsumentenseite ein Trend zu abnehmender Markenloyalität bei gleichzeitig individuelleren und rationaleren Kaufentscheidungen. Das führte zu einer stärkeren Marktfragmentierung und einer größeren Modell- und Variantenvielfalt bei gleichzeitig kürzeren Produktlebenszyklen. Insgesamt resultierten diese Tendenzen in der Notwendigkeit einer deutlichen Senkung der Entwicklungs- und Produktionskosten bei einer gleichzeitigen Erhöhung von Design- und Produktions­flexibilität. Es müssen also technisch hochwertige Produkte maximaler Qualität, Zuverlässigkeit, Gebrauchsfähigkeit und nicht zuletzt guter Umwelt­verträglichkeit mit sinkenden Stückzahlen pro Modellvariante in einem Umfeld verstärkten Preis- und damit Kostendruckes gefertigt werden.[1]

Vor diesem Hintergrund verschärfter Wettbewerbsbedingungen gingen die Automobilhersteller dazu über, größere Abschnitte des Produktionsprozesses auf die Zulieferer zu übertragen. Die Idee war, anstatt der Einzelteile komplette Systemgruppen von den Lieferanten zu beziehen und diese nur noch in das zu fertigende Fahrzeug einzubauen. In diesem Zusammenhang wurden auch neue Logistikkonzepte wie z. B. JIT oder produktionssynchrone Beschaffung eingeführt. Um trotz der damit erzielten Minimierung der Lagerhaltung flexibel produzieren zu können, ist die Kommunikation zwischen Hersteller und Zulieferer von größtem Interesse. Es stellt sich die Frage nach einer Methode für den schnellen, kostengünstigen und zuverlässigen Austausch von Information. In der Praxis bedeutet das den Austausch von Liefer-, Fein- oder Sequenzabrufen bis zu 20 mal täglich und eventuell den Austausch von CAD/CAM-Daten mit Hilfe von EDI.

1.1 Begriffsabgrenzung

Die verschiedenen Definitionen von EDI unterscheiden sich nur in kleinen Details, auf die verschiedene Autoren besonderen Wert legen. Schmoll versteht unter EDI den “interventionsfreien Austausch von strukturierten Daten, die unter Nutzung der elektronischen Datenübertragung (DFÜ) zwischen Computern, oder direkt zwischen Applikationen beteiligter Kommunikationspartner transferiert werden”.[2] Dies ist auch die Definition, die in dieser Arbeit verwendet werden soll. Andere Autoren sind der Auffassung, daß EDI nur dann vorliegt, wenn die Daten tatsächlich direkt, d. h. ohne Druckausgabe und manuelle Wiedereingabe, und damit ohne jegliche menschliche Intervention von Anwendung zu Anwendung übertragen werden. Hill und Ferguson sagen beispielsweise: "Electronic Data Interchange (EDI) is the movement of business data electronically between or within firms ... in a structured, computer processable data format that permits data to be transferred without rekeying from a computer supported business application in one location to a computer supported business application in another location."[3] Diese Abgrenzung finde ich persönlich zu eng, und auch Hill und Ferguson räumen einige Zeilen später ein, daß auch “Door-to-door-EDI” viele EDI-typische Vorteile realisiert und somit, wenn auch nur unter Vorbehalt, als EDI bezeichnet werden darf. Wichtiger ist es meiner Meinung nach zu betonen, daß die zu übertragenden Daten in einem standardisierten Format vorliegen sollten, was z. B. Wigand in seiner Definition von EDI als “computer-to-computer exchange of business documents between organizations in a computer-readable, structured and often standard electronic format”[4] genauso berücksichtigt wie Emmelhainz, die definiert: “Electronic Data Interchange is the inter-organisational, computer-to-computer exchange of business documentation in a standard, machine-processable format.”[5]

1.2 Ziel der Arbeit

In der internationalen Automobilindustrie herrscht derzeit ein Trend zur Bildung von Organisationen, die in der Literatur abhängig vom Kontext als Unternehmens­netzwerke, elektronische Hierarchien oder auch EDI-Kooperationen bezeichnet werden. Dabei geht es immer um die Integration rechtlich und wirtschaftlich unabhängiger System-Zulieferer in den Wertschöpfungsprozeß eines Automobil­herstellers. Der Austausch von EDI-Nachrichten wie Bestellungen, Liefer- oder Feinabrufen und Rechnungen spielt dabei eine wichtige Rolle. Ohne ihn wären moderne Logistikkonzepte wie produktions­synchrone Lieferung von Systemgruppen gar nicht realisierbar. Aufgrund einer permanenten technischen Weiterentwicklung und damit immer neuer Anforderungen des Herstellers an das EDI-System des Lieferanten bezüglich neuer Protokolle, Nachrichten, Kommunikations­netze oder auch neuer Logistikkonzepte ist die Kommunikation per EDI sehr aufwendig und eine EDI-Implementierung praktisch nie völlig abgeschlossen, da eine technische Neuerung auf die andere folgt. Edward Guilbert, einer der “Väter” von EDI, sagte dazu einst: “To be involved in EDI is to be passionately in love with change!”[6]

Ziel dieser Arbeit ist es, zuerst das Umfeld von EDI in der Automobilzulieferindustrie und einige logistische Konzepte zu erläutern (Kapitel 2), um dann anhand der technischen und juristischen Rahmenbedingungen die Anforderungen aufzuzeigen, denen die EDI-Lösung eines Zulieferers heute entsprechen muß (Kap. 3). Im Anschluß daran soll ein Ausblick auf die wichtigsten neuen Aspekte von EDI und zukünftige Anwendungen gegeben (Kap. 4) und abschließend eine Auswahl ökonomischer Auswirkungen von EDI auf den Markt und die Wettbewerbssituation aufgezeigt werden (Kap. 5). Abschließend soll das Thema “EDI in der Automobilindustrie” und die technischen und wirtschaftlichen Folgen für die Zulieferer kurz zusammengefaßt werden.

2 Entwicklungen in der internationalen Automobilindustrie

2.1 Historische Entwicklung

2.1.1 USA

[7] Bis Mitte der 60er Jahre hatte die US-Automobilindustrie gegenüber den beiden anderen Triademärkten Japan und Europa die bessere Ausgangssituation. Diese Tatsache resultierte hauptsächlich aus drei Faktoren. Erstens funktionierte die Fließbandproduktion mit dem amerikanischen “Hire and fire-Prinzip” besser, sprich kostengünstiger als in Europa, und die Größe des Marktes eignete sich besser zur Massenproduktion. Zweitens waren die Amerikaner durch die bessere Versorgung mit Rohstoffen im Vorteil, wobei vor allem die großen Erdölvorkommen in Texas niedrige Spritpreise gewährleisteten und dadurch die Nachfrage nach Autos förderten. Drittens erlebten die USA nach dem 2. Weltkrieg eine Zeit, die durch einen grenzenlosen Optimismus geprägt war, unterstützt durch eine stetige Konjunktur und ein konstant steigendes Volkseinkommen. Daraus resultierte ein permanenter Nachfrageanstieg, allerdings mit dem Unterschied zu Europa oder Japan, daß es sich kaum um eine qualitativ differenzierte Nachfrage handelte. Der Kunde wollte lediglich immer größere und bequemere Autos, während auf die technische Qualität weniger Wert gelegt wurde. So verbesserten die Amerikaner ihre Produkte fast ausschließlich in Hinblick auf Komfort und Leistung. Die amerikanischen Wägen wurden immer schwerer und stärker und hatten durch die Kombination von Hubraum, Leistung und Gewicht einen enormen Benzinverbrauch.

Nun sollte es aber geschehen, daß in den fünfziger und sechziger Jahren die Zollschranken fielen und die europäischen Hersteller die in Amerika neu aufkommende Nachfrage nach “etwas anderen Autos” entdeckten. Am besten verkauften sich Kleinwägen wie z. B. der VW-Käfer oder qualitativ hochwertige Luxuslimousinen wie Mercedes-Benz, BMW, Volvo oder Saab.[8] Darüber hinaus kam es 1973 und 1978 zu zwei Ölkrisen, die eine zusätzliche Beschleunigung der langsam einsetzenden Verschiebung der qualitativen Nachfrage bewirkte. Plötzlich waren auch kompaktere und sparsamere Autos gefragt, eine Entwicklung, die in den USA eine Neuigkeit darstellte, auf die die Fahrzeughersteller in Detroit aus Mangel an vorhandenen Konzepten nicht schnell genug reagieren konnten. In dieser Situation wirkten sich Ineffizienzen, die sich während der langen Zeit der minimalen Produkt­differenzierung und langen Produktzyklen gebildet hatten, vor allem in zu langen Entwicklungszeiten aus. Auf diese neue Herausforderung, die von der internationalen Konkurrenz und dem veränderten Kaufverhalten der Amerikaner ausging, mußten die US-Automobilkonzerne Ende der 70er Jahre mit einer umfassenden Revision ihrer bisherigen Praktiken reagieren.[9]

2.1.2 Europa

Erst in den 30er Jahren begann in Europa das von den Amerikanern vorgeführte Massenproduktionssystem die bisher vorherrschenden handwerklichen Ingenieur­betriebe zu verdrängen. In Europa ging die Entwicklung hin zu technisch hochwertigen[10] und kompakteren Fahrzeugen, wobei trotz des Strebens nach mehr Motorleistung das Ziel eines möglichst geringen Benzinverbrauchs nie vernachlässigt wurde. Dabei entwickelte sich in Europa schon früh die Idee der “Freude am Fahren”, einer Philosophie, die in den USA, wo das Auto sowohl im täglichen Pendelverkehr als auch bei der Überbrückung größter Entfernungen nur zur möglichst bequemen Fortbewegung eingesetzt wurde, eigentlich erst durch den VW-Werbeslogan “Fahrvergnügen” aufkam.

Selbst nach der vollkommen Liberalisierung des europäischen Wirtschaftsraumes, erkennt man absatztechnisch noch eine deutliche Konzentration der einzelnen Konzerne auf ihre “Home bases”. Dies hat hauptsächlich zwei Gründe. Zum einen wurden die Hersteller durch einen von zahlreichen Zöllen oder Einfuhr­beschränkungen behinderten internationalen Wettbewerb lange Zeit auf ihre Heimatmärkte beschränkt. Zweitens gab es in Europa keinen einheitlichen Binnenmarkt, da die Nachfrage in den einzelnen Ländern qualitativ stark differierte.[11] Daraus resultierten auch Defizite in der Entwicklung kostengünstiger Massenproduktionsanlagen, da die gewünschte Betriebs­größen­ersparnis vorerst nicht realisiert werden konnte. Das änderte sich erst, als die Europäer die Technik der Massenproduktion so modifizierten (nach dem Prinzip der Japaner), daß sie mit den häufigen Produktinnovationen und der großen Modellvielfalt harmonierte.

2.1.3 Japan

Mit Europa als Erfinder des Automobils[12] und den USA als Vorreiter in der fließband­gesteuerten Massenproduktion, wurde der japanische Markt bis 1937 von den amerikanischen Unternehmen Ford und GM beherrscht. Im Jahre 1927 produzierten diese beiden Unternehmen zusammen ca. 20.000 Fahrzeuge, während die japanischen Firmen 1929 gemeinsam auf nur 400 Stück kamen. Im Jahre 1937 wurden die bis dahin moderaten Importzölle auf Fahrzeuge und Fahrzeugteile dann drastisch erhöht, worauf sich die Amerikaner aus dem Markt zurückzogen. 1938 wurde die zivile PKW-Produktion aus Kriegsgründen verboten und Toyota[13] verlegte sich auf die Produktion von LKWs und Bussen. Nach dem Krieg versuchten die japanischen Unternehmen, die Technologie der europäischen und amerikanischen Hersteller zu kopieren. Sie hatten aber das Problem eines extremen Kapital- und Devisenmangels und eines relativ beschränkten Absatzmarktes, was den Kauf teurer und inflexibler westlicher Massen­produktionsanlagen nicht nur finanziell unmöglich, sondern auch betriebswirt­schaftlich unsinnig machte. Toyotas Produktionsleiter Taiichi Ohno sah sich Ende der 40er Jahre dem zunächst unlösbar scheinenden Problem gegenüber, eine möglichst große Produktpalette mit relativ geringen Stückzahlen auf möglichst wenigen Maschinen zu produzieren. Es gelang ihm schließlich, die Rüstzeiten der Maschinen von einem Tag auf nur 3 Minuten zu reduzieren, wodurch es möglich wurde, viele verschiedene Teile für mehrere Varianten auf einer Maschine zu produzieren. Darüber hinaus gelang es ihm, durch das sogenannte Kanban-

Prinzip die Lagerhaltung sowie die Durchlaufzeiten zu reduzieren und die Produktion zu synchronisieren, was erheblich zu Kosteneinsparungen beitrug. Damit war 1950 die Grundform des “Toyota Production System” entstanden.[14] Dieses Produktionskonzept wurde von den Japanern dann kontinuierlich weiterentwickelt und zeigte sich gegenüber der bisher angewandten Produktionsmethode einer hohen Ausbringungs­menge bei wenigen Varianten zur Realisierung von Skalenerträgen bei gleichzeitig hoher Lagerhaltung derart überlegen, daß sie sich durch das Aufkommen japanischer Transplants auch in den USA schnell verbreitete. Das Toyota Production System bildete dann den technischen Aspekt des vom MIT-Forscher John Krafcik geprägten Begriff “Lean Production”, eines Konzepts, das in den westlichen Industrieländern später sowohl in der wissenschaftlichen Diskussion als auch als Wunderlösung in der Praxis über­strapaziert werden sollte. Stark vereinfacht ist das Ziel der “schlanken Produktion”, Materialbestände zu minimieren, Durchlauf- und Lieferzeiten zu verkürzen, den Resourceneinsatz zu optimieren und durch die Verbesserung von Kommunikation und Informationsverarbeitung die gesamte Logistikkette effizienter zu gestalten.

Der unternehmerische Erfolg der japanischen Hersteller basierte dabei nicht ausschließ­lich auf den Vorteilen der kostengünstigen Produktion, wie das durch die allgegenwärtige Diskussion von Lean Production suggeriert wird. Dagegen folgten die Japaner ab den 60er Jahren auch einer aggressiven Marktanteilsstrategie, bei der sie versuchten, den Absatz um jeden Preis zu erhöhen. Im Zuge dieser Strategie entwickelte sich eine gigantische Produkt- und Variantenvielfalt mit extrem kurzen Produktlebenszyklen, die die ursprünglich hohe Produktivität der japanischen Unternehmen wieder zu einem Teil kompensierte.[15] Dieses Karussell aus permanenten Absatzsteigerungen durch größten Investitionsaufwand kam schließlich ins Stocken, als die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen langsam nachzulassen begann.

2.1.4 Vergleich der Triademärkte

In bezug auf die drei Transformationen in der internationalen Automobilindustrie[16] kann man verallgemeinernd sagen, daß die Amerikaner und dort speziell Ford die erste Transformation, d. h. die Einführung der kompromißlosen Massenproduktion[17] bei maximaler vertikaler Integration[18], fast ausschließlich beeinflußten. Das Revolutionäre war dabei weniger die Erfindung des Fließbandes, als die Anwendung des Konzeptes der paßgenauen austauschbaren Teile in Großserie.[19] Die zweite Transformation, die Einbeziehung unabhängiger Zulieferer und der Übergang zu einem effizienteren bzw. geringeren Ausmaß der vertikalen Integration, war dann größtenteils den Europäern zuzuschreiben. Die dritte “Revolution”, die Einführung der Lean Production, einschließlich Konzepte wie z. B. Just in Time, gingen dann auf das Konto der Japaner.

2.1.5 Aktuelle Situation und Tendenzen

Eine weltweit schleppende Konjunktur und ein weitgehend befriedigter Nachholbedarf der osteuropäischen Länder ließen Anfang der neunziger Jahre den Neuwagenabsatz stocken. Gleichzeitig kam es durch den Wegfall von weiteren Importbeschränkungen, der Offensive der Japaner auf dem europäischen und amerikanischen Markt und die zunehmende Globalisierung zu einem wachsenden Konkurrenzdruck und einem härteren Wettbewerb.[20]

Nachdem sich die Alternative der Kostenführerschaft in Anbetracht der komparativen Kostenvorteile der Japaner als wenig erfolgreich erwiesen hatte, verlegte man sich in Europa und den USA noch mehr auf die Strategie der Produktdifferenzierung, eine Maßnahme, die die Japaner schon lange mit Nachdruck und Erfolg verfolgten. Immer neue, noch bessere Varianten des gleichen Produkts sollten den Konsumenten überzeugen. Qualitatives Wachstum wurde angestrebt, indem sich die Fahrzeuge hauptsächlich auf den Gebieten Elektronik Umweltschutz und Sicherheit von den Produkten der Konkurrenz unterscheiden sollten.[21]

Das Ziel einer hohen Produktdifferenzierung, hohen Qualität und eines kurzen Time-to-market-Faktors bei gleichzeitiger Kostensenkung führte dazu, daß sich das Konzept des Lean Management bzw. Lean Production über Jahrzehnte als viel diskutiertes Thema in der Automobilindustrie gehalten hat. Anfang der 90er Jahre ist mit dem Begriff “Globalisierung” ein neues “Zauberwort” hinzugekommen. Dabei ist die Idee eines globalen Unternehmens keineswegs neu. Schon Ford eröffnete nur zwei Jahre nach der Gründung des Unternehmens im Jahre 1903 ein Montagewerk in Kanada. Im Jahr 1926 war das Unternehmen schon in 19 Ländern mit Werken vertreten. Allerdings handelte es sich dabei nur um sogenannte Schraubenzieherfabriken, in denen Fahrzeuge aus importierten Teilen montiert wurden. Gründe für diese Vorgehensweise waren die Umgehung der Importzölle für fertige PKWs, die um einiges höher waren als diejenigen für Einzelteile, und die Tatsache, daß Autos als “Bausatz” einfacher verschifft werden konnten als fertige Fahrzeuge.

Die Globalisierung, wie sie die Automobilhersteller heute anstreben, geht dagegen weit über dieses Maß hinaus. Das Ziel ist, alle Funktionen der Wertschöpfungskette, von der Produktion der Baugruppen und Teile bis hin zu Entwicklung und Marketing, an dem entsprechenden Standort zu realisieren. Dabei versuchen einige Automobil­hersteller, die Vorteile einer Globalisierung zu verwirklichen, ohne mit höchstem Aufwand eine Auslandsniederlassung oder ein Tochterunternehmen zu gründen. Dazu bilden sie verschiedene Formen von Kooperationen wie Lizenz­vergaben, Joint Ventures[22], Fusionen[23] oder strategische Allianzen[24].

Natürlich spielen bei einer globalen Investitionsentscheidung eines international operierenden Automobilherstellers heute auch die aufstrebenden Märkte in Asien oder Südamerika eine wesentliche Rolle. Diese Länder sind wegen ihres Nachholbedarfs nicht nur als Absatzmärkte, sondern wegen der niedrigen Lohnkosten auch als Produktionsstandorte interessant. Allerdings sind viele Automobilhersteller mit Investitionen in diesen sogenannten Tigerstaaten besonders vorsichtig, da die Risiken in diesen Ländern als extrem hoch beurteilt werden. Deshalb geben sich z. B. Mercedes-Benz und BMW auf dem mittelfristig fast grenzenlos scheinenden Markt China noch sehr zurückhaltend, während VW schon erfolgreich in Schanghai produziert und GM und Opel dort kurz vor einer 1,5 Mrd. Dollar-Investition stehen.[25]

Aber auch bei Zulieferbetrieben kommt es immer häufiger zu Kooperationen. Mit dem Ziel von Globalisierung und schnellem Wachstum kommt es immer häufiger zu Fusionen und Joint Ventures von internationalen Zulieferern, ein Trend, der sich in den nächsten Jahren noch verstärken wird.[26]

2.2 Rolle der Zulieferindustrie

Was aber in den letzten ein bis zwei Jahrzehnten speziell an Aufmerksamkeit gewonnen hat, ist die Notwendigkeit engere Beziehungen zwischen Fahrzeug­herstellern und Zulieferern. Es gab dabei verschiedene Entwicklungen, die die Zulieferindustrie stark an Bedeutung gewinnen ließen. Die Automobilindustrie begann auf konkurrenzbedingten Druck, ihre Fertigungstiefe[27] deutlich zu verringern,[28] was die einfachen Teile-Zulieferer der Vergangenheit zu Entwicklern und Produzenten komplexer Systemgruppen aufwertete.[29] Von dieser Maßnahme versprachen sich die Hersteller sinkende Kosten in den Bereichen F&E und Produktion bei gleichzeitig kürzeren Durchlaufzeiten und deutlich geringerer Lagerhaltung und damit geringerer Kapitalbindung. Gleichzeitig sinkt durch eine geringere Anzahl von Zulieferbetrieben auch der Administrations- und Koordinationsaufwand, wodurch nicht zuletzt die Transaktionskosten sinken sollen.[30]

Es entstehen klar definierte Hierarchieebenen aus Hersteller, wenigen Systemzu­lieferern und Subzulieferern in einer pyramidenförmigen Struktur (Abb.1).[31] Die verschiedenen Ebenen unterscheiden sich dabei in der Komplexität sowohl der hergestellten Produkte bzw. der zugrundeliegenden Technologie als auch der betriebswirtschaftlichen und administrativen Steuerungsaufgaben.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Struktur der Zulieferbeziehungen früher und heute

Auf die meistens mittelständischen Zulieferbetriebe kommt damit eine enorme Herausforderung zu. In der immer internationaler werdenden Automobilindustrie möchten die Hersteller gerne auch im Ausland mit ihren bewährten Zulieferern arbeiten, was für jene mit einer Expansion verbunden ist, die oft jenseits ihrer individuellen Möglichkeiten liegt. Die Folge daraus sind Fusionen und

Allianzen unter den Zulieferbetrieben und die Bildung sogenannten “Mega-Zulieferer”, die dann als Global Player in der Lage sind, ein bestimmtes Modul für alle weltweiten Produktions­standorte eines Herstellers zu liefern.[32]

2.2.1 Modular Sourcing

Die erhöhte Modell- und Variantenvielfalt bei gleichzeitig verkürzten Produkt­lebenszyklen zwang die Automobilhersteller zum Umdenken. Im Zustand der hohen Eigenproduktionsquote in Verbindung mit den kurzen Zeiträumen, in denen sich Forschungs- und Entwicklungskosten und Investitionen für Produktionsanlagen amortisieren mußten, konnte bei dem existierenden Preisdruck nicht mehr kosten­deckend produziert werden. Die Lösung für dieses Problem war, möglichst viel der eigenen Kombinationsarbeit (Montage, Disposition) nach außen zu verlagern.[33] Die Zulieferer sollten komplett vorgefertigte Baugruppen wie z. B. Bremssyteme, komplette Sitzgarnituren oder Getriebe liefern, die vom Hersteller nur noch ins Endprodukt eingebaut werden müssen oder, wie im Hambacher MCC-Werk realisiert, sogar durch den Zulieferer selbst montiert werden.[34]

Darüber hinaus übernimmt der Systemlieferant nicht nur die Produktion der Module, sondern er trägt auch den Hauptanteil von Forschung und Entwicklung für das entsprechende Teil.[35] Bei der idealtypischen Ausprägung von “Modular Sourcing”, in der Literatur auch häufig als “System Sourcing” bezeichnet, gehen der Zulieferer und der Automobilhersteller langfristige Verträge ein, die dem Systemlieferanten ermöglichen, größere Investitionen für die notwendigen Produktionsanlagen und F&E zu tätigen. Bei der Entwicklung der Produkte arbeiten Hersteller und Zulieferer zusammen, d. h. der Zulieferer entwickelt nach Vorgaben des Herstellers und dieser wiederum muß sicherstellen, daß die vom Zulieferer entwickelte Baugruppe später problemlos in das Endprodukt integriert werden kann. Auch in diesem Bereich gewinnt EDI stark an Bedeutung, weil es ermöglicht, CAD-Daten auf Tagesbasis auszutauschen, um eine optimale Koordination der Entwicklungsaktivitäten zu gewährleisten.[36] Diese von einer permanenten Kooperation geprägte gleichzeitige Entwicklung des Moduls und der Schnittstelle zum Produkt bezeichnet man als “Simultaneous Engineering”.[37]

2.2.2 Single Sourcing

In der Vergangenheit arbeiteten die Automobilhersteller ausnahmslos nach dem Prinzip des “Multiple Sourcing”, um durch Wettbewerb unter den Lieferanten deren Leistungsfähigkeit und Preiswürdigkeit zu steigern.[38] Da die Beziehungen zu einem Systemzulieferer in ihrem administrativen und koordinativen Aufwand viel komplexer sind als die zu einem einfachen Teilelieferanten, wird nur noch ein Lieferant mit der Produktion eines Moduls beauftragt. Dieses Vorgehen wird im Falle eines Zulieferers als “Single Sourcing” bezeichnet, während man von “Dual Sourcing” spricht, wenn zur Absicherung des Ausfallrisikos auf zwei Zulieferbetriebe “diversifiziert” wird.[39] Während die Automobilhersteller aufgrund ihrer oligopolistischen Struktur und der hohen Wettbewerbsintensität im Zulieferersektor früher in der Lage waren, unternehmerisches Risiko auf ihre Lieferanten abzuwälzen, gewinnen die nun auch oligopolistisch strukturierten Systemzulieferer noch zusätzlich an Verhandlungs­macht, da sie als strategische Partner nicht mehr willkürlich austauschbar sind.[40] Das wiederum gewährleistet eine langfristige Planungssicherheit bei den Zulieferern, die durch die Höhe der anfallenden Investitionen zwingend notwendig geworden ist. Ein Blick auf die Zahlen zeigt, daß 1995 schon 21,9% (1987: 1,6,%) der Teile von nur einem Zulieferer bezogen wurden. Der Anteil der mit Single- oder Dual Sourcing beschafften Teile ist im Jahre 1995 auf über 80% (1987: 50%) gestiegen (Abb. 2). Auch die oben erwähnte sinkende Abhängigkeit der Zulieferer spiegelt sich in der Statistik wider. Der Anteil von drei- und mehrjährigen Verträgen zwischen Hersteller und Zulieferer nahm von 3,4% im Jahre 1987 auf 64,5% 1995 zu, während die einjährigen Kontrakte im gleichen Zeitraum von einer Mehrheit von 84,8% auf nur 24,2% sanken.[41]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Anzahl Zulieferer pro Teil in der BRD von 1987 - 1995[42]

Der Großteil der Vorteile bei einer derartigen Kooperation liegt aber beim Fahrzeug­hersteller. Er realisiert ein reduziertes Anlage- und Umlaufvermögen, einen geringeren Entwicklung­saufwand und insgesamt einen schnelleren Wertschöpfungs­prozeß. Die Vor- und Nachteile auf Seiten des Lieferanten können unterschiedlich bewertet werden. Auf der einen Seite kommen auf das Unternehmen größere finanzielle Investitionen zu, und zudem müssen Mitarbeiter, Management wie auch betriebliche Prozesse den komplexeren Unternehmenstrukturen angepaßt werden. Auf der anderen Seite entstehen dem Betrieb, nachdem er einmal die Investitionen bewältigt und sich gegen andere Konkurrenten durchgesetzt hat, durch die langfristigen Verträge Vorteile gegenüber der Situation als einer unter vielen austauschbaren Teilelieferanten. Wenn die Transformation zu einem Systemlieferanten allerdings nicht gelingt, droht dem Unternehmen der Konkurs oder die Übernahme durch einen anderen Zulieferer. Es vollzieht sich ein Ausleseprozeß, bei dem kapitalkräftige und innovative Unternehmen begünstigt werden.[43]

2.2.3 Global Sourcing

Unter Verwendung moderner Kommunikation bietet sich in zunehmendem Maße die Möglich­keit des “Global Sourcing”, also der Nutzung des weltweiten Beschaffungs­marktes. Die Motivation der Hersteller hierfür reicht von der Ausnutzung kosten­günstigerer Beschaffungsquellen, vor allem für arbeitsintensive Produkte aus “Niedrig-Lohn-Ländern”,[44] über eine Verbesserung der Beschaffungsqualität durch größere Auswahlmöglichkeiten bis hin zu einer allgemeinen Risikostreuung durch Flexibilität und Verteilung der Standortrisiken.[45] Allerdings steht diese Art von Beschaffung im Widerspruch zum JIT-Gedanken und erhöht, von zwangsläufig ansteigenden Transportkosten einmal abgesehen, auch die Transaktionskosten.[46] Andere problema­tische Aspekte im Zusammenhang mit Global Sourcing sind z. B. Währungsrisiko, Liefersicherheit, technische Normen oder Sprachprobleme.[47] In der Realität findet man deshalb auch häufiger das sogenannte “Regional Sourcing”, das sich vom Global Sourcing durch einen beschränkten Radius unterscheidet. Daß sich “echtes” Global Sourcing höchstens in Ausnahmen durchsetzten wird, zeigt auch der Trend zur Ansiedlung von System- und Subzulieferern in nächster Nähe des belieferten Herstellers.

2.2.4 Just-in-Time und Produktionssynchrone Beschaffung

Das JIT-Konzept wurde bei Toyota schon in den 50er-Jahren realisiert. Es entstand damals hauptsächlich aus dem Versuch heraus, bei einer gleichzeitigen Beibehaltung der Produktionsflexibilität Lagerhaltungskosten und Kapitalbindung zu reduzieren. Während bei Toyota die Teile schon “just in time” ans Fließband kamen, leistete sich Ford noch Lagerbestände auf eine Produktionsfrist von 2 Monaten.[48] Heute liefern 98% von Toyotas Lieferanten ihre Teile nach dem JIT-Konzept,[49] was ein Höchstmaß an Synchronisation zwischen den Arbeitsabläufen von Toyota und denen seiner Zulieferer erfordert. Tatsächlich läßt sich mit JIT durch eine Kombination von verkürzten Durchlauf-, Liefer- und Entwicklungszeiten, Ausschußverringerung, Reduzierung des Umlaufvermögens und einem effizienteren Variantenmanagement die Produktivität um ca. 20% steigern.[50] Dabei werden bei variantenreichen, teuren und großvolumigen Teilen die größten Vorteile erzielt.[51]

Unter JIT versteht man, daß ein Lieferant aufgrund von Lieferabrufen seitens des Fahrzeugherstellers das Zulieferprodukt fertigt und zeitgenau ans Band des Herstellers liefert. Diese Anlieferung kann sequenzgenau, d. h. in minimalen Losgrößen oder geblockt unter Verwendung kleiner Pufferlager erfolgen.[52] Bei JIT geht man davon aus, daß es sich bei dem Zulieferteil um ein Standardprodukt handelt, das nur in einer Ausprägung vorliegt. Außerdem ist der Kundenauftrag in Menge und Teileart für eine längere Zeit gültig und wird nicht täglich neu definiert, wie das bei der produktions­synchronen Anlieferung[53] der Fall ist. JIT ist also eine Lieferphilosophie, bei der die richtige Ware in der richtigen Qualität und Menge zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Ort (Abladestelle) geliefert werden soll.[54] Die Montagereihenfolge ist dabei fixiert und kann vom Hersteller nicht mehr kurzfristig beeinflußt werden. JIT-Teile können Fahrzeugkomponenten unterschiedlicher Komplexität sein, für die es außer einer Links/Rechts- oder Farbunterscheidung keine Varianten gibt. Um Zwischenlager zu vermeiden, erfolgt die Anlieferung mehrfach täglich und möglichst “zeitgerecht”.

Die produktionssynchrone Beschaffung stellt eine Erweiterung des JIT-Konzepts dar. Der Begriff ist allerdings ungeschickt gewählt und trägt in Diskussionen häufig zu Mißverständnissen bei, da es sich auch bei “normalem” JIT um eine “produktions­synchrone” Anlieferung handelt. Der Unterschied liegt daher auch weniger im zeitlichen Aspekt der Anlieferung, als vielmehr in der Tatsache, daß bei der produk­tions­synchronen Beschaffung die einzelnen Lieferungen innerhalb des Lieferabrufes bis zu mehrmals täglich durch Fein- oder sogenannte Synchroabrufe in Menge und Variante an die spezielle Produktionssituation des Herstellers angepaßt werden. Bei diesen sogenannten Sequenzteilen handelt es sich also um Produktfamilien aus Komponenten mit mehreren Varianten. Die Anlieferung der Teile erfolgt nicht nur mehrfach täglich und “zeitgerecht”, sondern darüber hinaus auch “reihenfolgerichtig”.

2.2.5 Industriepark-Konzept

Nachdem durch JIT die Läger reduziert und durch Modular Sourcing die Fertigungs­tiefe gesenkt wurde, sollen nun durch das Industriepark-Konzept die Zulieferwege auf ein Minimum reduziert werden, indem sich die Hauptzulieferer in einem Radius von maximal 50 Kilometern um das Werk des Automobilherstellers in einem sogenannten Zuliefererpark ansiedeln. Die Nicht-JIT-Zulieferer und die Lieferanten der System­zulieferer befinden sich nach Möglichkeit in einem Umkreis von bis zu 200 Kilometern. Das “Original” unter den Industrieparks ist sicherlich Toyota City mit einem Radius von nur ca. 20 Kilometern, aber auch in Europa werden heute fast alle Werke nach dem Industriepark-Konzept gebaut. Beispiele sind der BMW-Industrie­park Wackersdorf, wo ab Anfang 1998 der neue 3er gebaut werden soll sowie das deutsche Saarlois-Werk von Ford (Escort, ab Anfang 1998). Im Ford-Werk Valencia (Ka) geschieht der Transport der Teile zwischen den Hallen der Systemlieferanten und dem Montageband des Herstellers sogar mit Hilfe computergesteuerter Conveyer-Brücken ohne jegliches manuelles Zutun.[55] Bei der Gründung neuer Werke kommt es regelmäßig zum sogenannten Karavanen-Effekt, da die Zulieferer dem Werk mit einer eigenen Produktionsstätte “nachwandern” müssen.[56] Nicht zuletzt aus diesem Grund ist in letzter Zeit häufig zu beobachten, daß sich zwei Autohersteller in direkter Nachbarschaft voneinander niederlassen, so daß die Systemzulieferer die Möglichkeit haben, zwei Kunden innerhalb eines Industrieparks zu beliefern. Dies haben z. B. Ford und VW mit dem portugiesischen AutoEuropa-Werk demonstriert, in dem Ford seinen “Galaxy”, VW den “Sharan” und Seat den “Alhambra” baut.

Eine konsequente Weiterentwicklung des Industriepark-Konzepts hat die Firma Micro Compact Car (MCC) mit ihrem Werk im französischen Hambach realisiert. Dort baut das Gemeinschafts­unternehmen von Mercedes-Benz und dem Schweizer Uhrenfabri­kanten Nicholas Hayek den Kleinstwagen “Smart”. Neu ist hier, daß die acht Hauptzu­lieferer ihre Module nicht mehr ans Band liefern, sondern das Montageband statt dessen auf “Umwegen” durch die einzelnen Produktionshallen der Modullieferanten führt, wo diese ihre Teile selbst montieren.[57] Damit ist beim “Smart”-Werk die Entwicklung des Zulieferers eigentlich schon über die Funktion eines System­lieferanten hinausgegangen. Die klassische Rollenverteilung von Automobilhersteller und Lieferant ist fast vollständig aufgehoben.

3 Automotive EDI

In Folge flexiblerer Produktentwicklungs- und Produktionsmethoden, zunehmender Komplexität der Logistik und nicht zuletzt des Wunsches vieler Hersteller, täglich CAD/CAM-Daten auszutauschen, stieg das zwischenbetriebliche Informations­auf­kommen in Volumen und Qualität stark an. Diesen neuen Anforderungen konnte die herkömmliche Kommunikation (Post, FAX, Telefon) nicht mehr gerecht werden.[58] Darüber hinaus verbindet EDI betriebswirtschaftliche Anwendungen wie Produktions­planung, Vertriebsabwicklung, Beschaffung oder FIBU zweier Handelspartner möglichst direkt miteinander, woraus Nutzenpotentiale in Form von Kostenein­sparungen und Rationalisierungserfolgen resultieren.[59]

In der Praxis unterscheiden sich die Anforderungen an EDI-Systeme nach verschiedenen Kriterien. Die wichtigsten sind technische Aspekte wie verwendete Kommuni­kationsarten (Netze und Protokolle), unterstützte EDI-Formate und ‑Nachrichten und letztlich die Art und Weise, in der das EDI-System an die entsprechende Anwendungs­software gekoppelt ist. Daneben gibt es noch eine Reihe anderer Aspekte, die bei der Beurteilung eines EDI-Systems zu beachten sind wie z. B. Funktionen zur Archivierung von Nachrichten, spezielle Verschlüsselungs­verfahren und nicht zuletzt die Orientierung an zukünftigen Technologien.

3.1 Technische Aspekte

3.1.1 OSI-Referenzmodell

Das OSI-Referenzmodell[60] wurde 1984 mit dem Dokument ISO 7498[61] veröffentlicht und später wegen seiner globalen Bedeutung von der CCITT (C onsultative C ommittee on I nternational T elegraphy and T elephony[62] ) als CCITT-Empfehlung X.200 übernommen. Die Idee ist eigentlich eine Vorgehensweise, die in der Software­entwicklung häufig angewandt wird. Ein komplexer Vorgang wird in mehrere logisch getrennte und möglichst unabhängige Einzelschritte zerlegt, die jeweils möglichst eng eingegrenzte Aufgaben übernehmen und miteinander über exakt definierte Schnittstellen verbunden sind. Dieser modulare Aufbau erhöht nicht nur die allgemeine Übersichtlichkeit, sondern ermöglicht auch, daß es bei einer Modifikationen auf einer bestimmten Ebene der Kommunikation nicht mehr notwendig ist, den Rest des Systems mitzuberücksichtigen, da die Änderung nur in dieser individuellen Schicht stattfindet, während die anderen Schichten aufgrund der festgelegten Schnittstellen unbeeinflußt bleiben.

Die Abkürzung “OSI” steht für “o pen s ystems i nterconnection” und bedeutet, daß die einzelnen Anwendungen von technischen Charakteristiken der Netze und Protokolle unabhängig sind. Sie setzen an einer genormten Schnittstelle der siebten Schicht auf und müssen somit nicht aufwendig auf die jeweiligen technischen Gegebenheiten eingestellt werden. Henshall und Shaw bringen diesen Zusammenhang mit einem praktischen Beispiel auf den Punkt. “The goal of OSI ... [is] raising the possibility that the users of any two computer systems may: ‑ exchange files, ‑ exchange electronic messages, ‑ log on to the other’s system, ‑ submit jobs to the other’s system.”[63] Voraussetzung hierfür ist, daß alle Schnittstellen zwischen den einzelnen Schichten korrekt konfiguriert sind.

Im einzelnen wurde die Kommunikation im OSI-Referenzmodell in sieben hierarchische Schichten unterteilt, wobei jede dieser Schichten einen ganz bestimmten Dienst leistet. Diesen stellt sie der übergeordneten Schicht am sogenannten Service Access Point (SAP) zur Verfügung, an dem die übergeordnete Schicht aufsetzt und den nächsten Schritt der Kommunikation ausführt. Jede Schicht, mit Ausnahme der ersten und der siebten, ist somit gleichzeitig ein Dienstbereiter und ein Dienstbenutzer.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Die Schichten des OSI-Referenzmodells[64]

Nach ihren entsprechenden Aufgaben sind die sieben Schichten in “transportorientierte Schichten” (Schicht 1-4) und “anwendungsorientierte Schichten” (Schicht 5-7) gegliedert. Innerhalb der transportorientierten Schichten unterscheidet man die Schichten 1-3 wiederum als sogenannte Netzwerkschichten. Die Transportschicht bildet die Schnittstelle zwischen den anwendungsorientierten und den Netzwerk­schichten. Die Aufgaben der einzelnen Schichten lassen sich wie folgt zusammenfassen.

1. Schicht: Bitübertragungsschicht (physical layer)

Die Bitübertragungsschicht bildet die Basis des OSI-Modells und ist die einzige Schicht, die nur Dienste zur Verfügung stellt und selbst keine in Anspruch nimmt. Sie ist verantwortlich für den physikalischen Transport der Daten und stellt damit die Schnittstelle zum Übertragungsmedium dar. Hier werden die Daten in Signale umgewandelt, auf das Kabel weitergeleitet und in einer ungesicherten Verbindung zum nächsten Vermittlungspunkt übertragen. Begriffe auf dieser Ebene sind: Kupfer-, Glasfaserkabel, V-, X-Schnittstellen, Relais, Controller und Modulierungsverfahren.

2. Schicht: Sicherungsschicht (link layer)

Aufgaben der Sicherungsschicht sind Aktivierung, Überwachung und Deaktivierung der physikalischen Verbindung, Framebildung und Sicherungsmechanismen wie Flußkontrolle und Fehlererkennung (abhängig vom verwendeten Netz auch Fehlerkorrektur). Damit wird aus einer ungesicherten Systemverbindung (Verbindung zwischen zwei Vermittlungseinrichtungen) eine gesicherte Systemverbindung.

3. Schicht: Vermittlungsschicht (network layer)

In der Vermittlungsschicht findet das sogenannte Routing statt. Mit Hilfe der Routingtabellen wird auf dieser Ebene ein Weg über geeignete Vermittlungsknoten oder Gateways gefunden und durch eine Aneinanderreihung einzelner gesicherter Systemverbindungen eine virtuelle End-to-end-Verbindung zwischen den Endsystemen realisiert.

4. Schicht: Transportschicht (transport layer)

Die Transportschicht ist die oberste der transportorientierten Schichten. Sie enthält die Routingtabellen und stellt den übergeordneten Ebenen damit einen eindeutigen globalen Adressraum zur Verfügung, mit dessen Hilfe logische End-to-end-Verbindungen aufgebaut werden können. Hauptsächlich ist die Transportschicht dafür zuständig, die Endsystemverbindungen der dritten Schicht in das Endsystem hinein zu verlängern und damit Teilnehmerverbindungen herzustellen.[65]

5. Schicht: Kommunikationssteuerungsschicht (session layer)

Die Kommunikationssteuerungsschicht übernimmt den Auf- und Abbau der logischen Verbindung (Session) zwischen zwei Endsystemen und durch Koordination und Synchronisation des Datenflusses die Gewährleistung einer geordneten Abarbeitung des Dialoges.

6. Schicht: Darstellungsschicht (presentation layer)

Nachdem die unteren Schichten eine teilnehmerunabhängige Kommunikation gewährleisten, ermöglicht die Darstellungsschicht die Verständigung zweier Anwendungsprogramme auf semantischer und syntaktischer Ebene. Hier kommt z. B. eine Konvertierung im Bereich des Zeichensatzes (ASCII/EBCDIC) und die Benutzung einer Transfersyntax zur Anwendung. In letztere wird die jeweils verwendete lokale Syntax der kommunizierenden Anwendungen vor der Übermittlung konvertiert, um beim Empfänger wieder in die dort verwendete lokale Syntax übersetzt zu werden.[66] Dadurch muß jede Anwendung nur zwischen der Transfersyntax und der eigenen lokalen Syntax konvertieren können und ist von anderen Anwendungen syntaktisch unabhängig.

7. Schicht: Anwendungsschicht (application layer)

Die Anwendungsschicht unterstützt die Anwendung durch Dienstprogramme (Dienstprimitive) wie z. B. “file transfer” (FTP), “electronic mail” (SMTP), “remote job entry” (telnet) und “world wide web” (HTTP) und ist damit als einzige Schicht anwendungsabhängig.

Die Aufgaben der einzelnen Schichten lassen sich mit der folgenden Abbildung verdeutlichen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Aufgaben der einzelnen Schichten[67]

3.1.2 Kommunikationsprotokolle

Jede Kommunikation muß nach festgelegten und von beiden Seiten akzeptierten Regeln und Vorschriften ablaufen. Ein solches Regelwerk bezeichnet man als Protokoll.[68] Dabei sind für eine geordnete Kommunikation immer verschiedene solcher Protokolle notwendig, die jeweils für eine bestimmte Ebene der Kommunikation, z. B. eine Schicht des OSI-Modells, zuständig sind (Abb. 3). Die Gesamtheit der Protokolle aller Schichten bezeichnet man als Protokollstruktur.

Protokolle verschiedener Schichten werden nach ihren Funktionen zu Protokoll­familien zusammengefaßt. In der Praxis werden diese Protokollfamilien aber vereinfachend auch nur als

“Protokolle” bezeichnet. So ist auch im folgenden mit “Protokoll” die Gesamtheit einer Protokollfamilie gemeint. Diese lassen sich in drei größere Kategorien unterteilen: Anwendungsprotokolle, Kommunikations­protokolle und Medienprotokolle.[69] Eine mögliche Einteilung gemäß der Schichten ist die in Anwendungs­protokolle (Schicht 5-7), Protokolle der Schicht 4, Protokolle der Schicht 3 und “Low-layer-Protokolle”.[70] Dabei ist eine eindeutige Zuordnung bestimmter Schichten zu einem Protokoll nicht immer problemlos vorzunehmen, da Protokolle bei unterschiedlichen Kombinationen mit anderen Protokollen geringfügig verschiedene Aufgaben im Bereich des Schichtenmodells abdecken können.

Bei den im folgenden vorgestellten Protokollen wie OFTP, X.400 oder TCP/IP handelt es sich um sogenannte mächtige Protokolle, die sowohl die Kommunikation als auch die Anwendung unterstützen. Auf Medienprotokolle, die in Verbindung mit EDI häufig verwendet werden, z. B. X.25 oder ISDN, soll hier nicht eingegangen werden.[71]

3.1.2.1 OFTP

Das OFTP (O dette F ile T ransfer P rotocol) wurde ursprünglich für X.25 konzipiert, arbeitet aber als “OFTP over ISDN” seit April 1995 auch auf ISDN, und im Mai 1997 stand schließlich auch die TCP/IP-Erweiterung “OFTP over TCP/IP” zur Verfügung.[72] Die TCP/IP-Version wurde vor allem für den Einsatz von CAx-EDI von vielen Herstellern sehnlichst erwartet. Ford hatte schon auf der Odette-Konferenz 1996 angekündigt, “OFTP over TCP/IP” zum Standard für alle EDI-Verbindungen zu machen. Für Punkt-zu-Punkt-EDI in der europäischen Automobilindustrie stellt OFTP praktisch den Branchenstandard dar. Der deutsche Verband der Automobilindustrie (VDA) unterstützt OFTP als VDA-Empfehlung VDA 4914/2.

OFTP kombiniert Vorteile wie sichere Datenübertragung, kontrollierter Verbindungs­aufbau mit zwei Paßwortabfragen und Existenz spezieller EDI-Quittungen. Durch nachvollziehbare Verantwortungsübernahme und Wiederaufsetzen von Übertragungen nach Verbindungsabbruch[73] ist es bestens geeignet für eine Punkt-zu-Punkt-Übertragung von EDI-Nachrichten.[74]

3.1.2.2 X.400/X.435

Das X.400-Protokoll ist eine vom CCITT nach dem OSI-Modell standardisierte Empfehlung für E-Mail bzw. MHS-Systeme. Es setzt auf die Netzwerkschichten des OSI-Modells auf und deckt selbst die Schichten 4 bis 7 ab. Das 1984 veröffentlichte und dann 1988 weiterentwickelte X.400 beinhaltete nur zwei Quittungsarten. Die “Delivery Notification” bestätigte dem Absender, daß die Nachricht von seinem eigenen MTA dem MTA[75] des Empfängers zugestellt wurde, und die “Receipt Notification” versicherte ihm, daß der Empfänger die Nachricht auch empfangen, d. h. bei seiner Mailbox abgeholt hat. Vor allem wegen dieser in ihren Funktionen eingeschränkten Quittungen war X.400 für den EDI-Einsatz nur bedingt tauglich.

Es war notwendig, eine neue Version von X.400 zu entwickeln, die den Einsatz von EDI mit zusätzlichen Diensten besser unterstützen würde. Das versprach das 1990 veröffentlichte und mit dem neuen Protokoll P35 (P-EDI) ausgestattete X.435. In einem speziellen Header konnten EDI-spezifische Daten und Sicherheitselemente berücksichtigt werden, und es wurden nun auch die für EDI relevanten Quittungen unterstützt. Die “Positive Notification” zeigt dem Absender nicht nur an, daß seine Nachricht beim Empfänger angekommen ist, sondern sie informiert auch darüber, ob dieser die EDI-Nachricht verarbeiten konnte. Eine “Negative Notification” erhält der Sender dann, wenn der Empfänger die EDI-Nachricht entweder nicht erhalten hat, sie nicht verarbeiten konnte oder aber die Annahme der Nachricht verweigert hat. Daneben gibt es noch die “Forwarded Notification”, die eine Weiterleitung der Nachricht zu einem MTA oder einem MTS, z. B. einem anderen VAN, anzeigt.[76] Diese Neuerungen machten X.435 zu einem EDI-tauglichen Protokoll, das heute immer häufiger in Verbindung mit MIME zur Anwendung kommt.[77]

3.1.2.3 TCP/IP

Das Protokollpaar TCP/IP (T ransmission C ontrol P rotocol/ I nternet P rotocol) wird i.d.R. wie ein einziges Protokoll behandelt und wegen seines Status eines weltweiten De-facto-Standards für das Internet auch als “Internet-Protokoll” bezeichnet. Das TCP/IP ist ein Netzwerkprotokoll, das im Gegensatz zu proprietären Protokollen wie z. B. SNA (S ystem N etwork A rchitecture) von IBM oder DNA (D igital N etwork A rchitecture) von DEC zwei wichtige Anforderungen erfüllt, die auftreten, wenn auf dem aus verschiedenen Netzen “zusammengesetzten” Internet kommuniziert werden soll:

- Zentrales Netzwerkmanagement auf IP-basierenden Management-Tools für heterogene Netze
- Optimierte Verfügbarkeit von Anwendungen auf topologie-unabhängigen Plattformen[78]

Neben der Unabhängigkeit von Plattform und Betriebssystem ist der hohe Verbreitungsgrad von TCP/IP ein großer Vorteil. Neben vielen anderen unterstützen alle großen Softwarehersteller wie Microsoft, IBM, Apple, Novell, Sun und DEC TCP/IP.[79]

Da das TCP/IP nicht nach dem OSI-Referenzmodell entworfen wurde, sondern in der Praxis entstand, enthält es nur vier definierte Schichten: Data Link Layer, Network Layer, Transport Layer und Application Layer. Dabei setzt es auf das physikalische Netzwerk auf und deckt theoretisch die Schichten 3 bis 7 des OSI-Modells ab. Das IP die Aufgabe, ein Datagramm, auch Internet-Paket genannt, in Schicht 3 vom Quellknoten zu einem Zielknoten zu schicken. Innerhalb der Netzwerke werden die Datagramme über geeignete Router, zwischen individuellen Teilnetzen per Gateways zu ihrem Endziel weitergeleitet. Da es sich um einen verbindungslosen Dienst handelt, wird der Empfang der Daten vom Empfänger nicht quittiert und die Richtigkeit bzw. die richtige Reihenfolge der Pakete nicht überprüft. Die korrekte Übertragung muß also auf Schicht 4 von einem übergeordneten, verbindungsorientierten[80] Protokoll gewährleistet werden. Diese Aufgabe erfüllt das TCP. Darüber hinaus verleiht das TCP der Schicht 3-Kommunikation das Prädikat einer virtuellen Vollduplex-Verbindung bzw. eines Dialoges.[81] Die OSI-Schichten 5 bis 7 faßt TCP/IP in eine Anwendungsschicht zusammen und bietet hier anwendungsnahe Dienste wie z. B. TELNET, FTP, HTTP und SMTP.

3.1.3 Netze und Dienste

Auf eine Beschreibung der derzeitig verwendeten Netze und Dienste soll an dieser Stelle verzichtet werden. Dieses Thema ist in zahlreichen Werken der Literatur beschrieben. Vergleiche z. B. allgemein Kauffels (1995) oder Conrads (1996) und zu digitalen Netzen Bocker (1996). In Kapitel 4.2 dieser Arbeit soll jedoch auf zwei neue Entwicklungen auf dem Gebiet der Netzwerke, Internet und Breitband-ISDN (ATM-Netze), speziell eingegangen werden.

3.1.4 EDI-Standards

Ein EDI-Standard definiert die strukturellen und semantischen Aspekte, die bei einer EDI-Nachrichten-Übertragung zu beachten sind.[82] Die wichtigsten Kriterien sind die Normierung von Syntax-Regeln, Datenelemente und Nachrichtentypen.[83]

Erste EDI-Anwendungen gab es schon in den 60er Jahren, z. B. das LACES-System zur Kommunikation von Fracht-Informationen auf dem Londoner Flughafen Heathrow.[84] In dem Moment, als EDI auch unternehmensübergreifend eingesetzt werden sollte, begannen etwa ab Anfang der 70er Jahre die nationalen Industrieverbände, jeweils eigene Normen zu definieren. Das amerikanische Transportation Data Coordinating Committee (TDCC) begann schon 1968, einen branchenübergreifenden EDI-Standard zu entwickeln, der dann 1983 vom ANSI[85] als ASC X.12 standardisiert wurde.[86] Nachdem schon einige proprietäre EDI-Systeme im Einsatz waren, gründete auch die deutsche Automobilindustrie im Jahre 1975 einen Ausschuß zur Entwicklung eines nationalen, branchenspezifischen EDI-Standards, der 1978 die ersten Nachrichten im VDA-Standard präsentierte. Die nationalen Standards genügten den Fahrzeugherstellern zuerst, aber schon 1984 wurde wegen zunehmender grenzüberschreitender Handelsbeziehungen die Entwicklung eines europäischen Branchenstandards in Angriff genommen, der 1987 unter dem Namen “Odette”[87] einsatzbereit war. Um die Vielzahl verschiedener länder- und branchenspezifischer Insellösungen wie VDA, Odette, Galia und ANSI X12 durch einen einzigen globalen und branchenneutralen Standard zu ersetzten, wurde 1986 die EDIFACT[88] -Initiative ins Leben gerufen und 1988 als ISO 9735 zertifiziert. Das Entstehen und die folgende Weiterentwicklung der drei Standards VDA, Odette und EDIFACT darf man sich nicht als voneinander unabhängige, sequentielle Prozesse vorstellen, sondern als eine gewisse Anpassung (Migration) der alten an die neuen Standards. Zuerst wurde der VDA-Standard um Verwendungsempfehlungen für Odette-Nachrichten ergänzt, bevor Neuentwicklung und Pflege von VDA-Nachrichten ganz eingestellt wurden. Odette ihrerseits stellte erst auf die EDIFACT-Syntax um, um dann die Weiterentwicklung von eigenen Odette-Nachrichten gänzlich zu stoppen und ihre Nachrichten nur noch als EDIFACT-Subsets herauszugeben. Ab 1994 gab es dann auch VDA-Empfehlungen für Odette EDIFACT-Subsets. Es entwickelte sich eine gegenseitige Annäherung der einzelnen Standards mit einer kontinuierlichen Migration zu EDIFACT. Die Tatsache, daß die einzelnen Branchen nun aber versuchten, die Komplexität der allgemeinen EDIFACT-Nachrichten durch Branchen-Subsets wieder auf ihre branchenspezifischen Anforderungen zu reduzieren, führte zu einem sogenannten “Subset-Wildwuchs”, ohne daß die ursprünglich geplante “echte” Migration zu einem einzigen Standard erreicht wurde. Heute stellt sich die Situation deshalb noch so dar, daß ein repräsentatives deutsches Unternehmen in der Automobilbranche durchaus gezwungen sein kann, VDA, VDA-Empfehlungen für Odette, Odette, Odette EDIFACT-Subsets und schließlich noch ANSI X12 zu unterstützen. Immerhin ist zu erwarten, daß sich in absehbarer Zeit EDIFACT-Subsets von Odette weltweit durchsetzen werden, vor allem nachdem die Nordamerikaner nach längerem Zögern auch beschlossen haben, von ANSI X12 auf EDIFACT umzustellen.[89] Die einzelnen EDI-Standards kann man wie folgt gemäß ihrer Reichweite einordnen.

[...]


[1] Vgl. Meinig (Hrsg.) (1994), S. 21ff.

[2] Schmoll (1994), S. 15

[3] Hill, N.C./Ferguson, D.M. (1991), S. 14

[4] Wigand, R.T. (1992), S. 370

[5] Emmelhainz, M.A. (1993), S. 4

[6] Zitiert nach: o. Verf.: Alignment of EDIFACT and X12

[7] Vgl. zum folgenden: Schwarz, K. (1994), Lamming, R. et al. (1994) und Abernathy, W.J. (1978); zu den USA auch Neuner, A. (1993); zu Japan auch Gutberlet, K. (1993).

[8] Der Marktanteil allein der europäischen Importe stieg von 1950 bis ‘70 von praktisch 0 auf über 10%.

[9] Vgl. Scherrer, Ch. (1998), S. 207

[10] In Deutschland führte diese Entwicklung bei einigen Oberklasse-Herstellern soweit, daß die Ingenieure versuchten, das bestmögliche Auto zu bauen (“over-engineering”). Dadurch stiegen die Preise für manche Modelle extrem stark an, wurden aber dennoch bezahlt. Mittlerweile ist man aber auch bei Firmen wie Mercedes-Benz oder BMW zumindest teilweise zum sogenannten “target-pricing” übergegangen, bei dem sich die Entwicklung nach dem Preisziel richtet und nicht mehr umgekehrt.

[11] Infolge von Unterschieden bei Größen wie z. B. Kraftstoffsteuern, Einkommen, Besiedelungsdichte (vor allem in Städten), Straßenverhältnisse oder Klima.

[12] Durch die Deutschen Carl Benz (1885) und, praktisch gleichzeitig, Gottlieb Daimler (1886).

[13] Zu diesem Zeitpunkt noch “Toyoda Motor Company” (TMC), nach dem Firmengründer Kiichiro Toyoda.

[14] Vgl. hierzu Seuffert (1994), S. 52ff.

[15] Für eine eher kritische Analyse des “Mythos Japan” vgl. Neumann, H. (1996).

[16] Vgl. hierzu Lamming (1994), S. 25ff.

[17] “Kompromißlos” deshalb, weil insbesondere Ford der Massenproduktion die Produkt- und Varianten­vielfalt opferte, was ihm später zum Verhängnis werden sollte. Vgl. auch Lamming, R. (1994), S. 29f.

[18] Fords Rouge-Komplex erreichte 1927 eine Integration von fast 100%!

[19] Von beiden Konzepten wird häufig behauptet, Ford hätte sie erfunden. Genauer muß man aber sagen, daß Ford “nur” ihre Anwendung für die Massenproduktion perfektioniert hat, nachdem die Ideen schon von anderen entwickelt worden waren. Vgl. hierzu auch Abernathy (1978), S. 22ff. und Womack et al. (1991) S. 31ff.

[20] Vgl. Lamming, R. (1994), S. 13

[21] Vgl. Cordes (1993) S. 25ff.

[22] Zu Joint Ventures vgl. auch Kumar, B.N. (1992)

[23] Zu Fusionen vgl. auch Sydow (1992)

[24] Zu strategischen Allianzen vgl. auch Lewis, J.D. (1991)

[25] Vgl. Schäfer, W. (1997)

[26] Vgl. o. Verf.: Überleben durch Kooperieren, S. 66

[27] Zum Begriff der Fertigungstiefe gibt es verschiedene Definitionen, was zur Folge hat, daß verschiedene Betrachter für den selben Produktionsprozeß unterschiedliche Fertigungstiefen feststellen. Im Rahmen dieser Arbeit genügt es, die Fertigungstiefe in ihrer Tendenz zu betrachten, wobei auf absolute Werte verzichtet werden kann. Zur Messung und Entwicklung der Fertigungstiefe vgl. Jürgens, U./Reutter, W. (1989), S. 119ff.

[28] Vgl. Jürgens, U./Reutter, W. (1989), S. 132

[29] Vgl. Goeudevert, D. (1991), S. 99

[30] Vgl. Piontek (1997), S. 12f.

[31] Die Analysten von Price Waterhouse Corporate Finance gehen davon aus, daß in einigen Jahren nur noch 20 bis 30 global agierende Mega-Zulieferer übrigbleiben, mit denen die internationalen Automobilhersteller zusammenarbeiten. (vgl. Price Waterhouse Corporate Finance (Hrsg.) (1997)) In den USA haben die drei größten Zulieferer Delphi Automotive Systems, Ford Automotive Components und TRW schon heute einen Marktanteil von über 80%.

[32] Vgl. Drost, F./Jocham, A. (1997)

[33] Vgl. Piontek, J. (1997), S. 12

[34] Vgl. o. Verf.: Modell für Mercedes?

[35] Vgl. Goeudervert, D. (1991), S. 99

[36] Vgl. Bieber, D./Sauer, D. (1991), S. 228

[37] Vgl. VDA (Hrsg.), S. 18

[38] Vgl. Arnold, U. (1995), S. 93

[39] Bei Dual Sourcing gibt es im Grunde mehrere Motivationen. Erstens, der Hersteller versucht, zwei konkurrierende Zulieferer gegeneinander auszuspielen, um den Preis zu drücken. Zweitens, der Hersteller arbeitet mit zwei Lieferanten, um Lieferausfällen vorzubeugen und drittens, der Auftrag ist zu groß, so daß sich zwei Zulieferer die Produktion teilen müssen. Vgl. auch Lamming, R. (1994), S. 224

[40] Vgl. Neuner, A. (1993), S. 239

[41] Zahlen: Arthur Anderson & Co.; in: Wildemann, H. (1988), S. 20f.

[42] Quelle: in Anlehnung an Arthur Anderson & Co.; in: Wildemann, H. (1988), S. 20f.

[43] Vgl. Abend, J. (1992), S. 98

[44] Vgl. Klebe, Th./Roth, S. 182

[45] Vgl. Piontek (1997), S. 27f.

[46] Vgl. Seuffert (1994), S. 160

[47] Vgl. Arnold. U, (1995) S. 111

[48] Vgl. Schwarz (1994), S. 162f.

[49] Vgl. Seuffert, D. (1993), S. 63

[50] Vgl. Wildemann, H. (1989), S. 11

[51] Vgl. Goeudevert, D. (1991), S. 103

[52] Vgl. VDA (1995)

[53] In der Literatur auch häufig als “takt-” oder “montagesynchrone Lieferung” bezeichnet.

[54] Vgl. Wildemann (1988), S. 11

[55] Vgl. Häusler, R. (1997)

[56] 1991 bezogen japanische Automobilhersteller in den USA bis zu 85% ihrer Teile von “alten”, also aus Japan mitgewanderten Zulieferern. Vgl. auch Goeudevert, D. (1991), S. 107

[57] Vgl. o. Verf.: Modell für Mercedes?

[58] Vgl. Warsch, Ch. (1994), S. 97

[59] Vgl. hierzu Kapitel 5.1.

[60] Zum OSI-Referenzmodell vgl. auch: Stöttinger, K.H. (1989), Henshall, J./Shaw. S. (1990) und Georg, Th. (1993). S. 58ff.

[61] Die ISO (I nternational O rganization for S tandardization) ist eine internationale Organisation, die Standards und Normen in allen Gebieten der Technik, der Industrie und des Handels erarbeitet und publiziert. Mitglieder der ISO sind derzeit etwa 90 Staaten, darunter alle wichtigen westlichen Industrienationen. Sie sind in der Regel vertreten durch ihre nationalen Normierungsgremien und Normungsinstitute, wie beispielsweise AFNOR in Frankreich, ANSI in USA, BSI in Großbritannien oder DIN in Deutschland.

[62] Heute heißt die CCITT ITU-TSS (I nternational T elecommunications U nion - T elecommunications S tandards S ector).

[63] Henshall, Shaw (1990), S. 13

[64] Quelle: eigene Darstellung

[65] Als Teilnehmer versteht man hier die Summe aus den Schichten 5 bis 7.

[66] Vgl. Stöttinger (1989), S. 124 ff. und Müller, G./Kohl, U./Schoder, D. (1997), S. 60

[67] Quelle: eigene Darstellung

[68] Vgl. Bocker, P. et al. (1997). S. 14

[69] Vgl. Müller, G./Kohl, U./Schoder, D. (1997), S. 36

[70] Vgl. Lienemann, G. (1996), S. 57ff.

[71] Zu diesen Protokollen vgl. z. B. Kauffels, F.-J. (1994), Kap. 7 und 8

[72] Vgl. Odette (Hrsg.) (1998), S. 15f.

[73] In regelmäßigen Abständen sendet der Empfänger sogenannte “Credits” an den Sender. Anhand dieser kann im Falle eines Verbindungsabbruchs der Fortschritt der Übertragung rekonstruiert werden. Das ist in der Praxis vor allem bei einem großen Übertragungsvolumen von Vorteil.

[74] Vgl. Deutsch, M. (1994), S. 66

[75] Vgl. zu diesen Begriffen Babatz, R. et al. (1990), S. 22ff.

[76] Vgl. hierzu Deutsch, M. (1994), S. 72

[77] Vgl. Jenkins, L./Pasetes Jr., E.K. (o.J.)

[78] Vgl. Lienemann, G. (1996), S. 53

[79] Vgl. Loshin, P. (1997), S. xv

[80] “Verbindungsorientiert” heißt, daß vor der eigentlichen Datenübertragung eine Verbindung aufgebaut und nach Beendigung der Kommunikation wieder abgebaut werden muß. Während dieser gesicherten Übertragung werden empfangene Daten permanent quittiert und die einzelnen Datagramme auf Vollständigkeit und eine richtige Reihenfolge überprüft.

[81] Vgl. Conrads, D. (1996), S. 256

[82] Vgl. Mitrakas, A./Marinos, L. (1996), S. 1

[83] Vgl. Georg, Th. (1993), S. 63

[84] Vgl. Parfett, M. (1992), S. 5

[85] Das A merican N ational S tandards I nstitute ist ein nationales Normungsgremium für Normen und Standards auf unterschiedlichen Feldern, insbesondere in der EDV.

[86] Vgl. Zbornik, S. (1996), S. 38

[87] Der europäische EDI-Standard der O rganisation for D ata E xchange by T ele T ransmission in E urope.

[88] Die vollständige Bezeichnung ist offiziell UN/EDIFACT. Das UN für U nited N ations wird aber sowohl im allgemeinen Sprachgebrauch wie auch in der Literatur meistens weggelassen.

[89] Vgl. o. Verf.: Zusätzliche Konvertierung macht Austausch von Handelsdaten kostspielig

Ende der Leseprobe aus 94 Seiten

Details

Titel
EDI in der internationalen Automobilzulieferindustrie: Analyse der Entwicklungstendenzen und daraus resultierenden Anforderungen an die EDI-Realisierung von Automobilzulieferbetrieben
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Note
1.3
Autor
Jahr
1998
Seiten
94
Katalognummer
V185130
ISBN (eBook)
9783656994367
ISBN (Buch)
9783867460347
Dateigröße
1060 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
automobilzulieferindustrie, analyse, entwicklungstendenzen, anforderungen, edi-realisierung, automobilzulieferbetrieben
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Daniel Ströcker (Autor:in), 1998, EDI in der internationalen Automobilzulieferindustrie: Analyse der Entwicklungstendenzen und daraus resultierenden Anforderungen an die EDI-Realisierung von Automobilzulieferbetrieben, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/185130

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Titel: EDI in der internationalen Automobilzulieferindustrie: Analyse der Entwicklungstendenzen und daraus resultierenden Anforderungen an die EDI-Realisierung von Automobilzulieferbetrieben



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