Das Elsaß. Die sprachliche und kulturpolitische Situation einer Minderheitsregion.

Eine Untersuchung in Sélestat


Examensarbeit, 1997

79 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Einleitung

Das Elsaß ist diejenige Region Frankreichs, mit der ein deutscher Schüler, z. B. durch Ausflüge am Wandertag nach Straßburg, normalerweise zuerst in Kontakt kommt. Der Schü­ler stellt jedoch, wenn er Kontakt zu "Innerfranzosen" be­kommt, recht bald fest, daß dies noch nicht das "richtige Frankreich" gewesen ist. Er bemerkt, daß er nicht unbedingt gezwungen ist, im Kontakt mit älteren Personen französisch zu sprechen, er kommt auch mit Deutsch gut zurecht.

Für einige der Franzosen außerhalb des Elsaß, gelten die Elsässer heute noch als "Deutsche".

Historisch läßt sich dies natürlich leicht nachvollziehen, denn das Elsaß gehörte jahrhundertelang zum deutschen Reich. Doch seit 1945 ist das Elsaß eine französische Re­gion. Man muß sich fragen, warum die Elsässer in den Augen vieler Franzosen immer noch als Deutsche bezeichnet werden.

Ein - vielleicht der wichtigste - Grund für diese Einschät­zung ist die Sprache der elsässischen Bevölkerung, der el­sässische Dialekt. Es handelt sich hierbei um einen deut­schen Dialekt.

In Frankreich wurde im Verlauf der französischen Revolution die Einstellung geprägt, ein gemeinsames Volk müsse auch eine gemeinsame Sprache sprechen. Diese Einstellung ist zum Leidwesen der Elsässer auch heute noch stark in den Köpfen der Franzosen, sowohl in gesellschaftlicher als auch in po­litischer Hinsicht verankert. Diese mangelnde Toleranz ge­genüber dem Dialekt der elsässischen Bevölkerung stellt eine große Bedrohung für diesen dar. Entscheidend für sein Überleben wird sein, inwieweit die Elsässer bereit sind, ihren Dialekt nicht zugunsten einer gemeinsamen Hochsprache aufzugeben, sondern eine Situation der Zweisprachigkeit im Elsaß zu erhalten.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich zunächst mit der Geschichte des Elsaß, wobei besonderes Augenmerk auf die sprachliche Entwicklung der Bevölkerung gelegt wurde. Die neuere Geschichte, die Ereignisse, die sich nach dem Ende des II. Weltkrieges ergeben haben, bildet hierbei den Schwerpunkt.

Der Hauptteil der Arbeit besteht aus der Darstellung der Ergebnisse eines Fragebogens, mit dessen Hilfe die heutigen linguistischen Verhältnisse im Elsaß erforscht werden sol­len. Dieser Fragebogen wurde in der Region Sélestat von 230 Personen ausgefüllt.

Ich muß zugeben, daß die Darstellung der Ergebnisse in Ka­pitel 4.3.2 und 4.3.3 nicht immer sehr übersichtlich ist. Dies liegt daran, daß die Ergebnisse sehr differenziert dargestellt werden. Aus diesem Grund liegt noch einmal eine Kopie des Fragebogens mit den darauf notierten Ergebnissen lose bei, damit der Leser sofort die Zahlen danebenlegen und vergleichen kann.

Mein Dank gilt Herrn Diekmann für die Anregung zur Erstel­lung eines solchen Fragebogens, Herrn Sutter vom Lycée Dr. Koeberlé in Sélestat für die Hilfe bei der französischen Übersetzung der Fragen, allen Personen, die bereitwillig den Fragebogen ausgefüllt haben, sowie meinen Korrekturle­sern.

1. Das Elsaß: Geographische Lage und Namensgebung

Das Elsaß erstreckt sich linksrheinisch von der Höhe Karls­ruhe bis zur Höhe Basel in Nord-Süd-Richtung und westlich bis zum Kamme des Vogesengebirges (s. Straka 1970, 338 und Diercke Weltatlas). Dies war jedoch nicht immer der Fall. Zwar waren die Ostgrenze (Rhein) und die Westgrenze (Vogesen) als natürliche Grenzen nie in Frage gestellt, wenngleich der Rhein in früherer Zeit einen unregelmäßigen Verlauf zeigte und bedingt durch Überschwemmungen einige Dörfer bald links-, bald rechtsrheinig lagen; aber die Nord- und Südgrenze sind historisch bedingt. Die Nordgrenze verlief von 1648 an über 150 Jahre entlang der Queich, die Landau durchquert (s. Philipps 1978, 15f). Was die Süd­grenze betrifft, so zählte man Basel bis zum 15. Jahrhun­dert zum Elsaß gehörend (s. Richter, G. 1972, 11) und Mühl­hausen gehörte einige Zeit nach dem Ende des 30jährigen Krieges noch zum deutschen Reich. Trotzdem weist meiner Meinung nach die Südgrenze des Elsaß mit dem Jura und der französisch-schweizerischen Landesgrenze schon seit gerau­mer Zeit eine gewisse Stabilität auf.

Die Region Elsaß besteht heute aus den beiden Départements Bas-Rhein (Unterelsaß) und Haut-Rhein (Oberelsaß), was eine Fläche von ca. 83000 km2 ergibt, auf der über 1,5 Mio. Men­schen leben (s. Klein, P. 1981, 17 und Stephens 1978, 341).1

Über die Herkunft des Namens Elsaß und seine Bedeutung herrscht bis heute Uneinigkeit. Georg Richter verweist auf eine ältere Form "Elisaz", was "Sitz in der Fremde" bedeu­tet. Hierbei handelt es sich um einen alemannisch geprägten Ausdruck (s. Richter, 1972). Nach Richez in Klein könnte Elsaß aber auch vom keltischen "alis-atia" kommen, das "Region am Fuß des Gebirges" bedeutet. Beide verweisen aber darauf, daß die Vorsilbe el oder al sich auf den Fluß Ill bezieht, der das Elsaß von Nord nach Süd durchquert. Auch hierbei handelt es sich um einen keltisch geprägten Aus­druck. Für die keltische Version der Interpretationen spricht die Tatsache, daß sich die Kelten schon vor den Germanen und den Römern dort angesiedelt hatten.

2. Geschichte des Elsaß unter besonderer Berücksichtigung der Auswirkungen auf das Sprachverhalten der Bevölkerung

Die Geschichte des Elsaß ist eine sehr wechselvolle.

Das Elsaß war immer ein Randgebiet, ganz gleich, zu welchem Reich oder zu welcher Republik es gerade gehörte. Diese Re­gion war unfreiwillig der Spielball zweier feindlicher Na­tionen und somit (seit 1648) umkämpft und wechselnden Herr­schaften unterworfen. Die lange bestehende Feindschaft zwi­schen Frankreich und Deutschland war es auch, die die Spra­che der elsässischen Bevölkerung zum Politikum werden ließ und die Intoleranz gegenüber der jeweils anderen Sprache hervorrief.

2.1 Altertum und Mittelalter

Nachdem das Elsaß lange Zeit durch keltische Stämme bevöl­kert war, kamen im zweiten und ersten Jahrhundert vor Chri­stus verschiedene germanische Stämme aus Mitteleuropa, die aber 58 v. Chr. durch Julius Cäsar wieder vertrieben wur­den. Somit wurde diese Region ein Teil des weströmischen Imperiums.

Im fünften Jahrhundert nach Christus fielen jedoch die Ale­mannen und Franken im Elsaß ein, und der Untergang des rö­mischen Reiches führte dazu, daß nach längeren Auseinander­setzungen zwischen Römern, Alemannen und Franken letztere sich im Norden des Elsaß niederließen, während die Aleman­nen den übrigen, wesentlich größeren Teil dieser Region be­setzt hielten (s. Klein 1981, 37 und Philipps 1975, 13f).

Diese Ansiedlungen waren entscheidend für die linguistische Situation im Elsaß, da seitdem nie mehr ein im Elsaß ansäs­siges Volk gänzlich vertrieben wurde, lediglich die Herr­schaft änderte sich. Seit etwa 1500 Jahren werden im Elsaß germanische Sprachen gesprochen, während zuvor Latein und zwar Vulgärlatein gesprochen wurde. Dieses Vulgärlatein wurde auch von den bis dato ansässigen Galliern übernommen, die dafür ihre bisherige Sprache, das Keltische, aufgaben (s. Philipps 1975, 14ff).

Obwohl eine Reihe von "Alsacianismes" existiert, hat es einen eigentlich elsässischen Dialekt nie gegeben. In 95 % des Gebietes wird alemannisch gesprochen. Nur im Norden wird rheinfränkisch gesprochen, was gleichzeitig bedeutet, daß die pfälzisch - elsässische Grenze keine Sprachgrenze darstellt. Aber auch im alemannischen Teil des Elsaß ist ein rheinfränkischer Einfluß spürbar, so wird z. B. für "Dienstag" nicht das alemannische "Zischdi", sondern das rheinfränkische "Dienschdaa" benutzt (s. Philipps 1978, 32f).

Das Elsaß gehörte nach der Kaiserkrönung Karls des Großen zum heiligen römischen Reich deutscher Nation. Die Straß­burger Eide, die 842 als erstes zweisprachiges Dokument er­schienen, belegen die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach­raum (s. Ladin 1982, 41). Bedingt durch die Randlage blie­ben Kontakte mit den frankophonen Nachbarn nicht aus, auch wenn die Vogesen ein nicht zu unterschätzendes Hindernis darstellten. In diesem Zusammenhang muß gesagt werden, daß in westlichen Gebieten des Elsaß, also in Orten, die in den Vogesen liegen, kein elsässischer Dialekt gesprochen wird, was wohl daran liegt, daß sich Franken bzw. Alemannen hier nicht niedergelassen hatten. Philipps meint dazu: "Il con­vient de faire remarquer que la frontière linguistique n'a jamais coïncidé exactement avec les limites territoriales de l'Alsace telle qu'elles existent actuellement." (S. Philipps 1975, 20).

Das Elsaß spielte bei Handelsbeziehungen eine wichtige Rolle und da es sich um ein wirtschaftlich gut entwickeltes Gebiet handelte, zogen einige Franzosen dorthin. Vor allem aber immigrierten im 16. Jhr. die Hugenotten, die in Frankreich verfolgt wurden. Sie machten etwa 10 % der Straßburger Bevölkerung aus. Schon 1566 fürchtete der Magi­strat von Straßburg um den deutschen Charakter der Stadt und wollte die Immigration beschränken: "damit man eyn teutsch Stadt behielte" (s. Philipps 1975, 24, mit Verweis auf Levy 1929, 212). Trotzdem wurde den Hugenotten die Aus­übung ihrer Muttersprache zugestanden, und niemand hinderte sie daran, französische Schulen einzurichten.

Unter der Aristokratie war die französische Sprache sehr beliebt und die adeligen Kinder wurden nach Frankreich ge­schickt, um eine französische Erziehung zu erhalten, die als die beste in Europa angesehen wurde (s. Philipps 1975, 22).

Trotz dieser Einflüsse sprach der Großteil der Bevölkerung im Mittelalter und während der Renaissance nur Dialekt.

2.2 Zwischen Dreißigjährigem Krieg und Französischer Revolution

1648 trat nach 30 Jahren Krieg der westfälische Friede in Kraft. Das Elsaß fiel ans Königreich Frankreich.Die Anne­xion erfolgte jedoch nicht in einem Zug , sondern schritt­weise. Ein Grund hierfür ist, daß das Elsaß als Region noch gar nicht existierte. Frankreich wollte einfach sein Terri­torium bis zum Rhein erweitern und damit seine Hegemonie­stellung in Europa festigen. Die Stadt Straßburg kapitu­lierte aber erst im Jahre 1681 und endgültig fiel das Elsaß erst durch den Vertrag von Rastatt 1714 an Frankreich (s. Philipps 1982, 13f).

Schon kurz nach der Unterzeichnung des westfälischen Frie­densvertrages wurde Französisch als offizielle Sprache ein­geführt. Die Verwaltungsbeamten, die damit beauftragt wur­den, das neue Territorium organisatorisch zu leiten, waren der deutschen Sprache nicht mächtig und sahen auch keinen Grund, sie zu lernen. Französisch zu sprechen galt als Pri­vileg, und die gesamte europäische Elite bediente sich die­ser Sprache (z. B. hat auch Friedrich der Große nur franzö­sisch gesprochen). Gegenüber der elsässischen Bevölkerung wurde angeführt, Französisch sei die Sprache des Königs ("la langue du Roy", s. Philipps 1975, 32). Man erwartete, daß die Französisierung mit der Zeit voranschreiten würde, doch das war nicht der Fall. Die Bevölkerung stand der französischen Sprache eher ablehnend gegenüber und die Re­gierung verfügte nicht über die notwendigen Mittel, um die Elsässer wirkungsvoll zum Französischsprechen zu bewegen. In der Schule wurde der Unterricht weiterhin auf deutsch gehalten, da die Lehrer die französische Sprache nicht be­herrschten. Offensichtlich fand auch keine Umerziehung der Lehrkräfte statt. Im kirchlichen Bereich fand ebenfalls kein Sprachenwechsel statt, da Ludwig XIV größeren Wert auf Katholisierung als auf Französisierung legte und der Bevöl­kerung von Seiten der Sprache entgegen kommen wollte. Man wollte überhaupt vermeiden, eine feindliche Haltung der el­sässischen Bevölkerung gegenüber Frankreich und insbeson­dere der französischen Sprache durch die Ausübung eines zu großen Drucks zu provozieren. Soviel Toleranz erfuhren die Elsässer nie mehr (s. Philipps 1975, 35ff).

Im unterelsässischen Ungersheim, in der Nähe von Mühlhausen steht das "Ecomusée d'Alsace". Dort gibt es eine tägliche Aufführung, die die Zugehörigkeit des Elsaß zu Deutschland oder Frankreich anhand von Reden, die von Grundschullehrern vor ihren jeweiligen Schülern gehalten wurden, geschicht­lich dokumentiert. Diese patriotischen Ansprachen sollen den Schülern verdeutlichen, daß die momentane Zugehörigkeit des Elsaß zu eben diesem Land die einzig richtige ist. Mit freundlicher Genehmigung des Darstellers Raymond Fechter will ich Auszüge der einzelnen Ansprachen mit in dieses zweite Kapitel einfließen lassen. Ich lasse diese authenti­schen Reden unkommentiert, da sie meiner Meinung nach für sich sprechen. Der von Epoche zu Epoche härter werdende Ton zeigt, daß die Sprachkämpfe für den Staat an Bedeutung zu­genommen hatten und immer verbissener geführt wurden.

Nach dem dreißigjährigen Krieg war es meiner Meinung nach noch am schwersten, eine "sinnvolle" Legitimation dafür zu finden, daß das Elsaß nun zu Frankreich gehöre. Vielleicht ist hierin ebenfalls ein Grund für die noch vorhandene To­leranz gegenüber der Bevölkerung gelegen.

Die erste Ansprache lautet wie folgt:

"'Ah quel beau jardin' !; c'est ainsi que le Roi Soleil sa­lue l'Alsace, lorsque du haut du col de Saverne, son regard émerveillé contemple pour la première fois l'incomparable paysage qui s'étend à ses pieds.

Quel beau jardin en effet que la riante et fertile vallée d'Alsace, avec ses villages pleins de labeur et de gaieté, avec ses prés fleuris, ses ruisseaux limpides et ses bois verdoyants. A l'horizon, les vieilles ruines, vestiges rê­veurs de nos châteaux d'antan, scintillent comme des pier­res précieuses dans le lointain bleuté du collier de nos Vosges.

C'est dans ce décor où tout respire la paix et la joie de vivre qu'apparaît en Alsace un peuple d'une pureté ethnolo­gique remarquable. De culture très évoluée, connaissant l'usage du bronze puis celui du fer, cultivant la terre pendant de longues ères de paix, enseignant aux barbares subjugués la sépulture solennelle des morts dans le tumu­lus, ce peuple, rattaché à la race dénommée celtique, ne devait plus jamais s'effacer du pays.

Touchez. Votre forme crânienne est même plus courte qu'à l'époque gallo-romaine. Touchez votre crâne mes enfants: de l'oreille à l'oreille, vous mesurez la largeur; du nez à l'occiput, la longueur. On appelle brachycéphale de type celtique les crânes dont la proportion entre la largeur et la longueur dépasse 80 %.

Elle reste en dessous de 75 % pour les germains dolichocé­phales. Dans ce rapport centésimal de x=100, le chiffre x s'apelle l'indice céphalique. Vous le constatez vous-même, le peuple alsacien, dans son inaltérable amour de la France a conservé jusqu'à nous, la pureté du type celtique, puis­que l'indice atteint 83,01 pour les Bas-Rhinois et même 83,90 pour les Haut-Rhinois, contre seulement 80,91 pour les Badois et à peine 80,65 pour les Suisses allemands."

Außer den Gesandten des Königs und den Adeligen sprach der Rest der Bevölkerung im täglichen Leben Dialekt. Die mitt­lere Bürgerschicht, die Handel trieb, war die einzige Be­völkerungsgruppe, die bis zur französischen Revolution Fortschritte im Erlernen der französischen Sprache machte, auch wenn hier Dialekt und Deutsch immer noch dominierend waren (s. Philipps 1975, 39 u. 45).

2.3 Von der Französischen Revolution bis zum deutsch-französischen Krieg 1870/71

Während der französischen Revolution wurde Französisch von der Sprache des Königs in die Sprache der Nation ("la lan­gue de la nation") umgetauft. Mit diesem Ausdruck konnte sich die elsässische Bevölkerung schon eher identifizieren, da sie von Beginn an der Revolution positiv gegenüberstand, hoffend, daß nun ein gerechteres Regime an die Macht käme, das die Armen nicht weiter ausbeuten würde. Für die Revolu­tionäre stand es außer Frage, daß ein gemeinsames Volk auch nur eine gemeinsame Sprache sprechen dürfe. Allerdings gab es während der Wirren der ersten Jahre der Revolution an­dere Dinge, die vordringlicher waren, als das sprachliche Umerziehen der elsässischen Bevölkerung (s. Philipps 1975, 55). Uneinigkeit herrscht darüber, wie die Elsässer, die den Beginn der Revolution als eine Befreiung ansahen, deren weiteren Verlauf empfanden. Während Philipps der Ansicht ist, durch die Revolution wären die Elsässer zu wahren Franzosen geworden, meint Straka, daß die Bürger stark un­ter der Schreckensherrschaft der Jakobiner zu leiden hatten und deswegen zahlreich die Flucht über den Rhein antraten (s. Philipps 1975, 77, 79 und Straka 1970, 341). Ich denke, je eher die Elsässer die Revolution akzeptierten, desto eher waren sie auch bereit, französisch zu lernen. Offizi­ell war es verboten, deutsch zu sprechen, da es sich hier­bei nach Meinung der Jakobiner um die Sprache des Feindes handelte. Nur wer französisch sprach, konnte ihrer Meinung nach frei sein, aber sie erkannten nicht, daß gerade durch das Verbot, die Muttersprache zu sprechen, der Bevölkerung ein Stück Freiheit genommen wurde. Die Elsässer mußten er­kennen, daß "Nation" zwar liberaler klingt als "König", es aber in der Realität genau umgekehrt sein kann (s. Philipps 1975, 52 u. 60f). Philipps meint auch, daß das Volk sich widerspenstig verhielt: "La vérité, c'est que le peuple al­sacien, dans son ensemble, n'a jamais accepté les thèses linguistique avancées par les Révolutionnaires." (S. Phil­ipps 1975, 74).

Die Jakobiner erkannten recht schnell, daß man Spracherzie­hung in der Schule ansetzen muß, die elsässischen Kinder sollten deshalb in Zukunft auf französisch unterrichtet werden. Doch dies blieb zunächst nur reine Theorie, da die Lehrkräfte dazu nicht in der Lage waren. Strafandrohungen gegen nicht frankophone Lehrkräfte wurden zwar ausgespro­chen, stellten aber kaum eine wirkliche Gefährdung da.

Im 19. Jhr. wurde die Haltung der Regierung gegenüber der elsässischen Bevölkerung liberaler. Der 1810 als Präfekt im Elsaß an die Macht gekommene Baron Adrien de Lezay-Marnésia erkannte die Notwendigkeit, zunächst die Lehrkräfte darauf­hin auszubilden, effizient Französisch unterrichten zu kön­nen, bevor man diese Sprache als offizielle Unterrichts­sprache etablierte. Außerdem dachte er auch an die sprach­liche Erziehung der Mädchen.2Sie sollten Französisch ler­nen, um es später ihren Kindern als Muttersprache beibrin­gen zu können. Außerdem richtete man für Kinder im Vor­schulalter "salles d'asile" ein, da man davon überzeugt war, in diesem Alter wäre es am einfachsten, eine neue Sprache zu erlernen. Von diesen Maßnahmen versprach man sich sehr viel, bis Mitte des 19. Jhd. konnten jedoch keine großen Erfolge erzielt werden (s. Philipps 1975, 91ff). Gründe hierfür sind wohl in den Strukturen des damaligen Schulsystems zu suchen. Es dürfte nicht allzu leicht gewe­sen sein, den Lehrkräften Französisch beizubringen, es man­gelte an den dazu notwendigen Mittel. Außerdem ging ein nicht geringer Teil der Kinder damals noch nicht zur Schule, insbesondere die Mädchen blieben fern. Nur die Kin­der höherer Schichten besuchten regelmäßig den Unterricht, sie waren es auch, die die ersten "salles d'asile" frequen­tierten. Natürlich gab es lange Zeit nur eine geringe An­zahl solcher Einrichtungen, und außerhalb der offiziellen Einrichtungen, also im familiären Kreis, sprachen die Kin­der nur den elsässischen Dialekt. Arm und reich unterschie­den sich nun nicht mehr nur durch den Besitz, sondern auch durch die Sprache: die Reichen sprachen französisch, die Armen nicht. Letztere hatten auch trotz aller Bemühungen seitens der Regierung wenig Gelegenheit, Französisch zu lernen. Daß diese Bevölkerungsgruppe auch keine franzö­sischsprachigen Zeitungen las, falls sie überhaupt des Le­sens mächtig war, versteht sich von selbst.

Die Kirche (beide Konfessionen) weigerte sich beharrlich, die deutsche Sprache aufzugeben, mit der Begründung, Fran­zösisch sei die Sprache von Voltaire, der als unchristlich galt (s. Philipps 1975, 97f). Lediglich in der Armee kamen die jungen Männer intensiv mit der französischen Sprache in Kontakt, aber auch nur für einen gewissen Zeitraum.

Philipps meint, die Elsässer hätten im 19. Jhd. nach und nach ihre feindliche Haltung gegenüber der französischen Sprache abgelegt, sie wären durchaus bereit, Französisch zu lernen, aber keinesfalls wollten sie ihren Dialekt aufgeben und sie verdächtigten die Regierung, genau dieses von ihnen zu fordern (s. Philipps 1975, 102).

Einflußreiche Persönlichkeiten sahen ein, daß es nicht mög­lich sein würde, die Elsässer umzuerziehen, das Ziel müsse die Zweisprachigkeit sein.

Die zweisprachige Erziehung in der Schule schadete zunächst jedoch mehr, als sie nutzte. Man mußte feststellen, daß die Schüler oftmals keine der beiden Sprachen richtig be­herrschten. Es lagen keine methodischen Konzepte vor, da es an Erfahrungen in der zweisprachigen Erziehung fehlte (s. Philipps 1975, 103ff). Wirklich zweisprachig war weiterhin nur die Elite im Elsaß.

Gut zwanzig Jahre nach der französischen Revolution er­wachte in Deutschland ein neues Nationalbewußtsein, und man forderte das Elsaß, mit dem Argument zurück, es sei deutschsprachig, also gehöre es auch zu Deutschland. Der Rhein könne nicht als Grenze angesehen werden, da die ein­zig wirkliche Grenze die Sprachgrenze sei (s. Philipps 1975, 109). Diese Forderung wurde mit der Begründung abge­lehnt, das Elsaß sei keineswegs deutschsprachig, es habe nur einen germanischen Dialekt. Hier wurde zum erstenmal ein Unterschied zwischen Dialekt und deutscher Hochsprache gemacht. Außerdem verwies man darauf, daß man sich durchaus als Franzose fühlen kann, auch wenn man die Sprache nicht spricht. Es fielen Schlagworte wie: "Notre langue est alle­mande, mais notre coeur est français" und "Le contresens sur les choses d'Alsace, c'est de croire que parler alle­mand donne des sentiments allemands..." (S. Philipps 1975, 118).

Mit Beginn der Industrialisierung machte die Französisie­rung Fortschritte. Die Elsässer sahen ein, daß ein Nicht-Sprechen der französischen Sprache ihnen den Zugang zu bes­seren Positionen im täglichen Arbeitsleben verwehrte, was dazu führte, daß die Arbeiter sich bemühten, wenigstens mit Vorgesetzten französisch zu reden. In der Schule funktio­nierte die Erziehung zur Zweisprachigkeit dank der Reformen von Guizot (1833) und Falloux (1850) nun besser. Die kul­turellen Bindungen an Frankreich waren ebenfalls stärker geworden. Der Dialekt war aber in keiner Weise bedroht, er blieb in der täglichen Umgangssprache immer noch dominie­rend.

2.4 Die erneute Zugehörigkeit zum deutschen Reich (1871 - 1918)

1871 wurde mit dem Frankfurter Vertragsabschluß das Elsaß Teil des neuen deutschen Reiches (2. Reich). Sofort wurde Deutsch als offizielle Sprache eingeführt. Die Schwierig­keiten, die dabei auftraten, hatte man jedoch unterschätzt. In den Vogesen gab es einige Dörfer, die niemals Dialekt gesprochen hatten und von daher auch überhaupt keine Kennt­nisse der deutschen Sprache hatten. Hierbei handelt es sich etwa um 10 % der elsässischen Bevölkerung. Diesen Leuten wurde eine Frist bis 1.1.1878 gesetzt, ab dann sollte Deutsch offizielle Sprache sein (s. Philipps 1975, 131), aber in der Realität änderte sich in diesen Regionen wäh­rend der ganzen Zeit der deutschen Herrschaft nichts. Man ließ die Bewohner dieser Dörfer weitgehend in Ruhe.

Für den Unterricht wurden von Ewald Bauch Konzepte entwic­kelt, wie die Schüler effektiv Deutsch lernen konnten, diese beruhten darauf, daß den Schülern die deutsche Spra­che zunächst durch Hören und (Nach)sprechen nähergebracht werden sollte. Hiermit konnten gute Erfolge für die Zwei­sprachigkeit erzielt werden (s. Philipps 1975, 142f). Man konnte in diesem Fall wirklich von Zweisprachigkeit spre­chen, da man niemals versuchte, das Sprechen der französi­schen Sprache zu unterbinden. Philipps stellt fest, daß die deutschen Machthaber, die in dieser Zeit im Elsaß herrsch­ten, sprachpolitisch mit der frankophonen Bevölkerung we­sentlich liberaler umgingen, als dies die Franzosen, insbe­sondere die Jakobiner taten: "La politique linguistique al­lemande a été, dans l'ensemble, empreinte de libéralisme. Il est juste de le reconnaître." (S. Philipps 1975, 166).

Nicht so einfach wie erwartet war der Umgang mit den dia­lektophonen Elsässern, da sie während der über 200jährigen Zugehörigkeit zu Frankreich zwar ihren Dialekt konservieren konnten, aber viele Bindungen zur deutschen Hochsprache, die sich zudem ziemlich verändert hatte, verloren hatten. Für dialektophone Schüler wurde der Unterricht auf Hoch­deutsch gehalten, was besonders in Instituten für die Schü­ler des Adels und der haute bourgeosie auf Ablehnung stieß, da sich diese Bevölkerunsgruppe schon früh der französi­schen Sprache zuwandte und sie regelmäßig sprach. Man ent­schied sich zunächst dafür, in der ersten Grundschulklasse den Unterricht in der Muttersprache (Dialekt oder Franzö­sisch) des Kindes abzuhalten, damit die Schüler diese Spra­che gut beherrschten, bevor man zum Hochdeutsch überging (s. Philipps 1975, 140). Angehende Lehrkräfte wurden nicht mehr dazu ausgebildet, Französisch zu unterrichten, wenn sie in Klassen mit dialektophonen Schülern eingesetzt wer­den sollten, so daß nach wenigen Jahren Französisch auf dem Stundenplan der Schüler höchstens den Rang eines normalen Fremdsprachenunterrichts einnahm. Einige Lehrer begannen von sich aus am Nachmittag Privatunterricht in Französisch zu erteilen, wurden aber vom Oberschulrat weitgehend daran gehindert (s. Philipps 1975, 145f).

Die patriotische Rede eines Lehrers aus dieser Zeit ver­weist auf die lange Zugehörigkeit des Elsaß zum deutschen Reich: "Schlagt das große Buch der Geschichte auf und ihr werdet sehen, daß das Elsaß im ersten Kapitel der deutschen Geschichte eingeschrieben ist!

Ein zweitausend Jahre währender Kampf an den Ufern des Rh­eins blickt euch entgegen, seit Ariovist, der König der Germanen, sein Reich in das Elsaß getragen hat. Das Elsaß ist integrierender Bestandteil der deutschen Einheit seit dem Jahr 842, seit dem Straßburger Schwur.

Später ist es dann der gerechte Krieg der deutschen Bauern zu beiden Seiten des Rheins, der - wie das Reich auch - ge­gen die großen Feudalherren zu Felde zieht, gegen die Aus­beuter und westlichen Plutokraten, die zu allen Zeiten die Verbündeten Frankreichs gewesen sind.

Man hat errechnet, daß mindestens 80 bis 90 % der großen Gestalten der Renaissance ganz und gar oder zumindest in großen Teilen von deutschem Geblüt waren. Das sieht man an ihrem Namen: 'Dante Alighieri' ist ein gotischer Name, 'Leonardo da Vinci' ist ein Name, der von dem deutschen 'Leonard von Wincke' abgeleitet ist.

Deshalb ist im Elsaß alles deutsch! Wir haben eine tiefver­wurzelte Vorliebe für Burgen, für die Kirchen und Klöster des Heiligen Reiches für die Überreste des späten Mittelal­ters, für unsere Dörfer mit ihren Fachwerkhäusern, für die Bauerntänze unter dem altehrwürdigen Lindenbaum, für das Theater, Wilhelm Tell, Goethe, Schiller und jede Art von fröhlichem Gesange, begleitet von der Harmonika oder der Dorfkapelle, für den schwungvollen Kanon. Für den jugendli­chen und sprühenden Reigen der Schulmädchen, der das Herz erwärmt!

O Mein Elsaß deutsch! Mein Elsaß frei!

Mir ist, als träumt ich noch

Ist's Wahrheit? Ist der Strick entzwei?

Zersprengt das fremde Joch?

Liegt wieder in der Mutter Arm

Der längst verlor'ne Sohn?

Schallt wieder frei, so frisch und warm

Der Muttersprache Ton?"

Es brach nun eine Diskussion an, ob es sinnvoll wäre, die Schüler zweisprachig zu erziehen. Dafür sprachen wirt­schaftliche und historische Gründe. Daß es immer einen wirtschaftlichen Vorteil darstellt, wenn man zwei Sprachen beherrscht, ist selbstverständlich. Das historische Argu­ment wurde überwiegend von Intellektuellen vorgebracht. Man forderte, den Elsässern den Zugang zu beiden Kulturen zu erhalten. Außerdem wollte man den Elsässern so etwas wie eine Vermittlerrolle zwischen den beiden verfeindeten Na­tionen Frankreich und Deutschland zukommen lassen und somit den Frieden sichern. Dieses Ziel war allerdings illusorisch und dieses Argument konnte aufgrund der herrschenden Feind­schaft zwischen beiden Staaten leicht ins Gegenteil, zu ei­nem Argument für Einsprachigkeit (Deutsch) gemacht werden (s. Philipps 1975, 147ff).

Argumente, die gegen die Zweisprachigkeit vorgebracht wur­den, sprachen von einer Gefahr der intellektuellen und mo­ralischen Verarmung, von der Unmöglichkeit, dies pädago­gisch durchzuführen, und waren im wesentlichen geprägt von der Angst, die Elsässer könnten sich wieder verstärkt dem Erzfeind Frankreich zuwenden. Verwirklicht wurde eine zwei­sprachige Erziehung kaum. 1918 sprachen die meisten Elsäs­ser kein französisch (etwa 2 % verwendeten regelmäßig die Französische Sprache, 8 % hatten Kenntnisse. S. Richez in Klein, P. 1981, 95).

2.5 Die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen

Die Elsässer hatten trotz ihrer Zugehörigkeit zum deutschen Reich ihre innere Verbundenheit mit Frankreich bewahrt, und so begrüßten sie die siegreichen französischen Truppen en­thusiastisch. "Sie waren gewillt, nunmehr rechtmäßige fran­zösische Staatsbürger zu werden." (S. Ladin 1982, 47 nach Allemann 1962, 15). Die französischen Machthaber hingen im­mer noch der Philosophie nach, daß eine Nation auch eine Sprache sprechen müßte, und somit begannen sie wieder ohne viel Rücksichtnahme auf mangelden Sprachfähigkeiten der El­sässer, französisch als offizielle Sprache insbesondere in der Schule einzuführen: "Die Gleichschaltungstendenz des jakobinischen Zentralismus, der in seiner 'unteilbaren' Re­publik keinen Platz für regionale Eigenständigkeiten ließ, war es, die zum sogenannten 'malaise alsacien', dem elsäs­sischen Unbehagen führte." (S. Ladin 1982, 47 nach Allemann 1962, 15)

Man ging sogar soweit, zu behaupten, der elsässische Dia­lekt sei nicht germanischen, sondern keltischen Ursprungs (s. Philipps 1975, 174).

Es ist zweifellos so, daß die französische Regierung sich 1918 mit einer linguistisch schwierigeren Situation kon­frontiert sah, als die deutsche Regierung 1871, konfron­tiert sah. Die Elsässer hatten 1918 kaum Französischkennt­nisse, die Deutschen konnten immerhin auf dem Dialekt auf­bauen. Dafür waren die Franzosen in einer meiner Meinung nach psychologisch günstigeren Situation. Die elsässische Bevölkerung freute sich, wieder zu Frankreich "gehören zu dürfen". Die Elsässer waren sicher bereit, die französische Sprache zu erlernen, nur ihren Dialekt wollten sie nicht aufgeben: "Ce que réclamaient les Alsaciens en 1918, c'est ce qu'ils ont toujours réclamé depuis le jour où le destin les a fait entrer dans la communauté française: une forme de bilinguisme qui leur permette de jouer leur rôle de ci­toyen français tout en conservant leur originalité propre. En 1918, plaider en faveur du bilinguisme, c'était réclamer pour l'allemand une place raisonnable à l'Ecole et dans la vie publique. Ce faisant, le peuple alsacien, dans sa quasi-totalité, ne mettait en cause ni son attachement à la France ni la position nécessairement prioritaire du fran­çais. Ce qu'il exigeait, c'était le respect de sa personna­lité. Or, à Paris et... à Straßbourg, on accumulait erreurs et maladresses parce qu'on préférait - comme toujours - écouter l'avis d'hommes 'obéissant à leurs réflexes de po­litique partisane' plutôt que celui des représentants au­thentique du peuple alsacien. Le résultat, c'est que la po­litique linguistique menée dans l'administration et á l'Ecole provoquera la plus grave crise politique qui ait jamait éclaté entre l'Alsace et la France." (S. Philipps 1975, 174f).

Der Auf- und Umbau der Verwaltung und Juristerei im Elsaß ging aufgrund der überstürzten Einführung der französischen Sprache langsamer als vorgesehen voran. Von den Beamten wurde ein doppelter Spagat verlangt, sie mußten deutsch und französisch sprechen und sich sowohl im deutschen wie im französischen Rechtssystem auskennen (s. Philipps 1975, 178f).

In der Schule wurde Deutsch wieder zu einer Fremdsprache, wenn man auch im Elsaß ein Jahr früher als im übrigen Frankreich begann, Deutsch auf den Stundenplan zu setzen. Das Problem, daß die Lehrer die französische Sprache immer noch unzureichend beherrschten, um einen sinnvollen Unter­richt in dieser Sprache erteilen zu können, bestand nach wie vor (s. Philipps 1975, 184f).

Ich meine, daß nur auf dem Gymnasium die Situation des Un­terrichts in französischer Sprache so war, daß die Regie­rung damit zufrieden sein konnte. Die Schüler, die aufs Gymnasium gingen, gehörten den höheren Schichten der Bevöl­kerung an. Diese Schichten waren noch am ehesten der fran­zösischen Sprache mächtig, da sie sich schon früh dieser zuwandten und sie auch über die Jahre der deutschen Herr­schaft pflegten. Außerdem denke ich, daß die Lehrer, die auf dem Gymnasium unterrichteten, zu den Auserwählten der Regierung gehörten und somit sicher frankophon waren.3

Was die Grundschulen betraf, so entstand eine Diskussion, ob Französisch nach der direkten oder nach der indirekten Methode eingeführt werden sollte. Die Regierung favori­sierte die direkte Methode und übersah dabei, daß dies, falls die Lehrer überhaupt dazu imstande waren, aufgrund der mangelnden Kenntnisse der Schüler weniger brachte, als wenn man langsam nach der indirekten Methode unterrichtet hätte. Man wollte zu schnell zu viel und erreichte nur Wi­derstand in der Bevölkerung. Die Art, wie man nach dem Vor­bild von Ewald Bauch vor dem ersten Weltkrieg die Schüler in den rein französischsprachigen Dörfern in den Vogesen behandelte, hätte ein Beispiel sein sollen (s. Philipps 1975, 189). Sogar diese Schüler waren von der französischen Regierung enttäuscht, da sie mittlerweile ein recht gutes Maß an Zweisprachigkeit erreicht hatten, das sie gerne kon­serviert und weiter ausgebaut hätten.

Ein Grundschullehrer aus der dritten Republik meinte zur Notwendigkeit des Erlernens der französischen Sprache fol­gendes:

"O Strasbourg, ma belle patrie,

Je te salue à mon retour.

Strasbourg, pour un temps flétrie,

Relève ton front en ce jour.

C'est le jour de la délivrance,

Nous contemplons notre pays

Et sur nos clochers reconquis

Flotte l'étendard de la France!

Mes enfants, chers parents, Monsieur le sous-préfet, Monsi­eur le Maire, Monsieur le Curé, voilà ce que je tiens à vous dire à l'occasion de l'inauguration de la Nouvelle Maison commune de votre village qui comprend deux salles de classe suffisamment spacieuses, et bien chauffées, pour ac­cueillir les quantités d'élèves, filles et garçons, qui leur sont destinées. Dans le pays du suffrage universel, tout citoyen doit savoir lire et écrire. Mais voilà que dans les maisons que j'ai visitées, je n'ai pas vu un seul livre excepté au presbytère où ils sont tous allemand, n'est-ce pas Monsieur le Curé? Mais par quel miracle vos parents auraient-ils des livres? L'Allemagne ne leur en of­fre point, et ils ne sauraient lire ceux de la France. On appartient à un pays que lorsqu'on en connaît la langue. Ne pas comprendre, ne pas savoir parler la langue de la France, c'est vivre en sourdmuet parmi des gens qui enten­dent et qui parlent français. On ne peut pas se dire fran­çais, on n'est pas digne de servir sous le drapeau de la France, si l'on ne sait parler la langue de la Patrie! Que l'autorité, la sécurité et l'insruction publique logent sous le même toit! Une ère nouvelle va commencer.

Sous un gouvernement républicain, tout se fait pour le peu­ble et par le peuple, c'est pourquoi l'instruction du peu­ple est le premier besoin du pays.

L'étude instruit l'enfance, embellit la vieillesse,

Augmente le bonheur, console la détresse,

et contre l'ignorance armant la vérité,

Au piège de l'erreur oppose la clarté!"

Die Kirche, die immer noch an der deutschen Sprache festhielt und den Religionsunterricht immer noch in dieser Sprache abhalten ließ (Der Laizismus gewährleistete ihnen dieses Privileg), verlangte einen Ausbau des Deutschunter­richts, damit die Schüler keine Probleme hätten, die kirch­lichen Lehren zu verstehen (s. Philipps 1975, 207).

Als 1927 Christian Pfister (ein Elsässer) Rektor der Acade­mie Straßburg wurde, entkrampfte sich die Situation ein we­nig. Pfister hatte Verständnis für die Unzufriedenheit der Bevölkerung gegenüber der Sprachpolitik der Regierung. Er erhöhte die Stundenzahl des Deutschunterrichts auf sieben Stunden ab der dritten Klasse (s. Ladin 1982, 48) und ver­langte nicht mehr den ausschließlichen Gebrauch der franzö­sischen Sprache im Unterricht "...et de ne pas hésiter à recourir au dialecte chaque fois qu'il pouvait y avoir éco­nomie de temps et d'effort. [...] Et, pour rassurer les Al­saciens, il répétait que l'Ecole française en Alsace ne songeait nullement à faire la guerre au dialecte et que personne ne souhaitait sa dispariton." (S. Philipps 1975, 202f). Die Elsässer wußten, daß wenn der Dialekt erhalten werden sollte, es auch notwendig wäre, die deutsche Hoch­sprache zu erhalten.

Dank Pfister machte die Französiserung der elsässischen Be­völkerung in den Jahren von 1927 - 1940 die bis dahin größ­ten Fortschritte.

2.6 Die Zeit des II. Weltkrieges

Zwischen 1940 - 1945 mußten die Elsässer viereinhalb Jahre schlimmsten Terror erleiden. Zweifellos bestand das Ziel der Nationalsozialisten nicht nur darin, die deutsche Spra­che wieder zur Hauptsprache zu machen, wie man dies nach 1871 getan hatte, sondern sie wollten die französische Sprache und jegliches französisches Kulturgut beseitigen. Dies äußerte sich z. B. im totalen Verbot, Französisch zu sprechen4, in der Änderung der Straßen-, Platz- und Firmen­namen. In Geschäften durfte nichts mehr verkauft werden, was z. B. einen französischen Aufdruck hatte oder irgendwie typisch französisch war. Aus Bibliotheken wurden französi­sche Bücher entfernt und verbrannt. Nachnamen, die hugenot­tischen Ursprungs waren, mußten ebenfalls geändert werden (s. Philipps 1975, 227ff).

Die Bewohner der frankophonen Zonen des Elsaß durften nur mit schriftlicher Genehmigung Französisch sprechen.

In der Schule wurde Französisch nicht einmal mehr als Fremdsprache unterrichtet. Auf der anderen Rheinseite konnte man Französisch lernen, im Elsaß nicht. Gegenüber den Schülern und auch der sonstigen Bevölkerung wurde pro­pagandistisch die deutsche Geschichte des Elsaß hervorgeho­ben, die Zeit der französischen Herrschaft aber wurde kaum erwähnt. "Elsässer, sprecht eure deutsche Muttersprache!" (S. Philipps 1975, 232).

Den Grundschülern wurde hierbei folgendes vorgetragen: "Nach gigantischem Kampf hat unser Führer Adolf Hitler das Verbrechen des schändlichen Diktats von Versailles wieder­gutgemacht und das deutsche Elsaß wieder in das Großdeut­sche Reich heimgeholt. Ich bin einverstanden mit der Heim­kehr meines Landes in den Schoß des Reiches und ich werde die Verpflichtungen, die mir in meiner Eigenschaft als Er­zieher und deutscher Beamter obliegen, ohne jeden Vorbehalt und mit Freuden erfüllen. Vielleicht gibt es unter Euch welche, die denken, 'Ich bin nicht deutsch, ich bin Fran­zose.'

- Wieso bist Du Franzose?
- Wer waren Deine Vorfahren, Deine Ahnen, Deine Verwandten?
- Sie waren Deutsche!
- Was ist Deine Muttersprache?
- Deutsch!
- Woher kommt Dein Familienname?
- Vom deutschen Volk!
- Wie lautet der Name deines Dorfes?
- Es ist ein deutscher Name!
- Und Du, Du willst Franzose sein? Elsässer, betrüge Dich nicht selbst!

Begreife, was Dein Schicksal aus Dir gemacht hat! Erkenne Deinen deutschen Charakter und verleugne nicht Dein Volk! Elsässer, sprich Deine Muttersprache! Nieder mit der fran­zösischen Sprache! Unsere Sprache muß rein sein!

Was sollen diese Worte bedeuten: 'boschur', orwar'? Ist das chinesisch oder hebräisch? Niemand weiß es! Aber jedes el­sässische Kind weiß, was 'Auf Wiedersehen' bedeutet. Damit will man auf höfliche Weise ausdrücken, daß man Sie bald wiedersehen möchte. Was nicht der Fall ist bei 'orwar'.

Für 'merci' haben wir einen sehr hübschen Ausdruck 'Danke schön'!

Für 'hoppla pardon' sagen wir wie es sich gehört: 'Entschuldigung'.

Setzt die deutsch Sprache wieder in ihre Rechte ein!

Hinaus mit dem welschen Plunder!

Ihr bringt mir in die Schule französische Bücher mit, Zeit­schriften, alles Gedruckte, Kalender, Urkunden, Postkarten, alles, was französische Aufschriften trägt 'sel, farine, poivre'. Alle französisch Kitsch-Nippessachen, Medaillen, Fahnen, Bilder, die Büste der Republik, den Eifelturm, Schirmmütze, Horn, alle Symbole in Form eines Hahns und die Baskenmütze! Wer die Baskenmütze trägt, wird mit Gefängnis bestraft! Reinigen wir unser Elsaß von der welschen Schlam­perei! Laßt uns die Namen ändern, die Vornamen, die Be­zeichnungen der Straßen, der Plätze, der Gebäude, die La­denschilder der Geschäfte! Eine Reinigung von jeglichem schlechten französischen Geschmack! Wir haben mit dieser Bastarderei nichts zu tun! Geben wir dem Elsaß sein echtes deutsches Antlitz zurück! Ihr müßt dies tun, meine Jungen und Mädchen! Ihr seid das Deutschland der Zukunft! Die Zu­kunft des Großdeutschen Reiches, das tausend Jahre dauern wird!"

Die Muttersprache der Elsässer war aber strenggenommen nicht das, was die Nationalsozialisten meinten. Sie woll­ten, daß die Elsässer Hochdeutsch sprechen, die Mutterspra­che der Elsässer war aber der Dialekt, zum Hochdeutschen hatten sie fast keine Beziehung. In diesen Dialekt flüchte­ten sich die Elsässer natürlich, auch wenn sie eigentlich Hochdeutsch zu sprechen hatten, um dem Gleichschaltungsge­danken die Nazis Rechnung zu tragen.

Die Lehrer, die im Elsaß unterrichteten, wurden komplett ausgetauscht. Sie kamen zur pädagogischen und ideologischen Umschulung in "Gauschulen", die Lehrer, die ins Elsaß ge­schickt wurden, waren sorgfältig nach ideologischen Ge­sichtspunkten von den Machthabenden ausgewählt worden. Vielen, insbesondere jungen Lehrern, wurde auch nach der Umschulung nicht gestattet, ins Elsaß zurückzukehren, wenn sie dies dennoch wollten, mußten sie der NSDAP beitreten und aktiv in der Partei mitarbeiten (s. Philipps 1975, 240f).

Die Folge war, daß die Schülergeneration der Jahrgänge 1934 - 1938 überhaupt kein französisch sprach, die älteren ver­gaßen es nach und nach. Bei den älteren Leuten machte Hoch­deutsch aber auch nur geringe Fortschritte. Fünf Jahre sollten nicht ausreichen, um die linguistische Situation grundlegend zu ändern, es war aber eine konfuse Situation entstanden (s. Philipps 1975, 246).

2.7 "Final"

Am Ende der Vorstellung im Ecomusée gibt der Darsteller noch einen schönen Kommentar in Französisch, Deutsch und Elsässisch ab, den ich hier wiedergeben möchte:

"Six fois en cent ans!

Sechs mal in hundert Jahren!

Quatre fois en soixante quinze ans!

Vier mal in fünfundsechzig Jahren!

Il nous a fallu avaler notre langue!

Haben wir unsere Zunge herunterschlucken müssen!

[...]


160 % des Elsaß ist städtisch, (s. Klein, P. 1981, 419).

2Schulpflicht bestand zu dieser Zeit nur für Jungen.

3Nach dem II. Weltkrieg ging die Regierung sogar so weit, an elsässischen Schulen, Lehrer aus Innerfrankreich für den Französischunterricht einzusetzten.

4Für ein solches "Verbrechen" kamen sogar einige Elsässer ins Konzentrationslager.

Ende der Leseprobe aus 79 Seiten

Details

Titel
Das Elsaß. Die sprachliche und kulturpolitische Situation einer Minderheitsregion.
Untertitel
Eine Untersuchung in Sélestat
Hochschule
Universität Mannheim
Note
2
Autor
Jahr
1997
Seiten
79
Katalognummer
V185362
ISBN (eBook)
9783656983415
ISBN (Buch)
9783867462921
Dateigröße
1815 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
elsaß, situation, minderheitsregion, eine, untersuchung, sélestat
Arbeit zitieren
Stephan Finger (Autor:in), 1997, Das Elsaß. Die sprachliche und kulturpolitische Situation einer Minderheitsregion., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/185362

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