Bündnis für Arbeit - ein korporatistisches Konzept?


Mémoire (de fin d'études), 1999

69 Pages, Note: 1.3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einführung

2. Begriffsbestimmungen
2.1. Das B ü ndnis f ü r Arbeit
2.1.1. Verschiedene Ebenen des Bündnisses für Arbeit
2.1.2. Die Konzertierte Aktion
2.1.3. Das Bündnis für Arbeit und zur Standortsicherung
2.1.4. Das Bündnis für Arbeit Ost
2.1.5. Das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit
2.2. Korporatismus
2.2.1. Die historische Perspektive
2.2.2. Die Korporatismusdiskussion
2.2.3. Eine wirtschaftspolitische Definition

3. Kooperation statt Konflikt
3.1. Die korporatistische Hypothese
3.2. Bessere Zielerreichung durch koordinierte Abstimmung
3.2.1. Die Aufgaben der einzelnen Politikbereiche
3.2.2. Effiziente Arbeitsverträge
3.3. Spieltheoretische Ü berlegungen
3.4. Der Erfolg korporatistischer Systeme

4. Wettbewerb statt Kooperation
4.1. Die liberal-pluralistische Hypothese
4.2. Probleme korporatistischer L ö sungen
4.2.1 Das Interessenproblem
4.2.2 Das Wissensproblem
4.2.3 Die Rolle der Verbände
4.3. Einigung auf Kosten Dritter
4.4. Die fragw ü rdige Ü berlegenheit korporatistischer Systeme

5. Synthese
5.1. Das B ü ndnis f ü r Arbeit als korporatistisches Konzept
5.2. Die Stellung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverb ä nde
5.3. Die besondere Problematik in den neuen Bundesl ä ndern
5.4. Die Rolle der Tarifautonomie

6. Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeich- nis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Auszahlungsmatrizen verschiedener Spiele

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einführung

Die hohe Arbeitslosigkeit hat sich im Verlauf der letzten Jahre zu dem größten wirtschafts- und sozialpolitischen Problem entwickelt, dem sich Deutschland ge- genüber sieht. Insbesondere in den neuen Bundesländern befindet sich die Ar- beitslosigkeit mit einer Arbeitslosenrate von 17,4% im Juli 1999 noch immer auf einem erschreckend hohen Niveau, und auch in den alten Bundesländern scheint man mit einer Arbeitslosenrate von 8,6% weit von dem Ziel einer hohen Beschäf- tigung entfernt zu sein.1 Da es in der Vergangenheit nicht gelungen war, das Prob- lem der Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen, mehrten sich Stimmen, die eine „konzertierte Aktion“ auf dem Arbeitsmarkt forderten. Die übereinstimmende Meinung war, daß nur durch eine gemeinsame Anstrengung der wirtschaftspoliti- schen Akteure, insbesondere der Tarifpartner und der Bundesregierung, die Ver- ringerung der Arbeitslosigkeit möglich sei.2

Im Herbst 1995 kam es zu der Forderung des IG Metall-Chefs Klaus Zwickel nach einem „Bündnis für Arbeit“ in der Metallbranche. Der Vorschlag wurde von der damaligen Bundesregierung aufgenommen und ein gesamtwirtschaftliches Bündnis für Arbeit zwischen Regierung, Gewerkschaften und Unternehmensverbänden geschlossen. Dieses Bündnis legte den Grundstein für das spätere „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“, welches unter Leitung von Bundeskanzler Schröder Ende 1998 gebildet wurde.3

Durch derartige Bündnisse kommt den Verbänden, in welchen Arbeitgeber und Arbeitnehmer organisiert sind, eine besondere Aufgabe zu. Sie treten mit der Bundesregierung in Verhandlungen ein, um die Lage auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. In der vorliegenden Arbeit soll die Rolle dieser Verbände beim Bünd- nis für Arbeit näher analysiert werden, wobei der Schwerpunkt auf der Betrach- tung gesamtwirtschaftlicher Bündnisse liegen wird. Es soll explizit dargestellt werden, inwieweit sich korporatistische Strukturen im Bündnis für Arbeit wieder- finden. Mögliche Vorteile und Nachteile korporatistischer Systeme werden disku- tiert, und ihre Auswirkungen auf das Bündnis für Arbeit untersucht werden.

Das folgende Kapitel dient der begrifflichen Abgrenzung des Bündnisses für Ar- beit sowie des Korporatismus. Da das Bündnis für Arbeit bereits in mehrfacher Form neu aufgelegt wurde, soll hier genau zwischen verschiedenen Verhand- lungsebenen differenziert werden. Der Begriff „Korporatismus“ wird näher erläu- tert, um das Bündnis für Arbeit im Zusammenhang des Korporatismus klassifizie- ren zu können.

In Kapitel 3 werden die Vorteile korporatistischer Bündnisse dargestellt, wobei hierbei auf spieltheoretische Grundlagen, aber auch auf praktische Politikvor- schläge und die Erfahrungen anderer Länder eingegangen wird. Kapitel 4 stellt analog die Nachteile und inhärenten Probleme dar, die bei der Beteiligung von Verbänden an wirtschaftspolitischen Entscheidungen entstehen können. Auch hier wird ein Vergleich mit anderen Ländern anhand empirischer Studien vollzogen. In Kapitel 5 werden die zuvor dargestellten Argumente aufgegriffen und der Fra- ge nachgegangen, ob die Voraussetzungen, das Bündnis für Arbeit als korporatis- tisches Konzept einzuordnen, gegeben sind. Sowohl formale als auch inhaltliche Aspekte des Bündnisses für Arbeit werden hierbei berücksichtigt.

Das letzte Kapitel enthält eine Zusammenfassung der erlangten Ergebnisse und gibt einen Ausblick auf die Erfolgschancen des Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit. Abschließend wird kurz eine europäische Perspektive zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit diskutiert.

2. Begriffsbestimmungen

2.1. Das B ü ndnis f ü r Arbeit

2.1.1. Verschiedene Ebenen des Bündnisses für Arbeit

Da es „das“ Bündnis für Arbeit nicht gibt, empfiehlt es sich für eine differenzier- tere Betrachtung, zwischen verschieden Ebenen zu trennen, auf denen Bündnisse für Arbeit geschlossen werden. In der vorliegenden Arbeit soll zwischen drei Ebenen unterschieden werden: Bündnissen für Arbeit auf Betriebsebene, Bünd- nissen für Arbeit auf Branchenebene und Bündnissen für Arbeit auf gesamtwirt- schaftlicher Ebene.

Bündnisse für Arbeit auf Betriebsebene sind in jüngster Vergangenheit immer wieder geschlossen worden und bedeuten in der Regel den Tausch von Lohnzuge- ständnissen gegen Beschäftigungsgarantien. Bündnisse für Arbeit auf Unterneh- mensebene werden als Möglichkeit gesehen, flexibel auf wirtschaftliche Probleme zu reagieren.4 Sind in dem für ein Unternehmen geltenden Tarifvertrag allerdings keine betrieblichen Öffnungsklauseln vorgesehen, die ein Abweichen von dem geltenden Tarifvertrag ermöglichen, kann ein betriebliches Bündnis für Arbeit einen Bruch des Tarifvertrags bedeuten. In den vergangenen Jahren ist es aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Lage, vor allem auch in Ostdeutschland, häufig zu einem mehr oder weniger offenen, oft stillschweigend von Unternehmen, Belegschaft und Betriebsrat geduldeten Bruch von Tarifverträgen in Form von betrieblichen Bündnissen für Arbeit gekommen.5

Der Ursprung des Begriffs „Bündnis für Arbeit“ liegt in einem Vorschlag des IG Metall-Chefs Klaus Zwickel aus dem Jahre 1995. Zwickel schlug ein Bündnis in der Metallbranche vor, an dem Delegierte des Arbeitgeberverbandes Gesamtme- tall sowie der Industriegewerkschaft Metall teilnehmen sollten. Bei Verhandlun- gen auf Branchenebene sind neben Vertretern der Politik die für die Branche zu- ständige Einzelgewerkschaft und der entsprechende Arbeitgeberverband betei- ligt.6

Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene finden die Bündnisgespräche zwischen Vertre- tern der Regierung, der großen Unternehmensverbände und der Gewerkschaften statt. Ein Großteil der Einzelgewerkschaften ist im Deutschen Gewerkschafts- bund (DGB) zusammengeschlossen, der hauptsächlich Koordinations- und Infor- mationsaufgaben besitzt. Neben dem Vorsitzenden des DGB nehmen aber auch Vertreter der Einzelgewerkschaften an gesamtwirtschaftlichen Bündnisgesprächen teil. Bei den großen Unternehmensverbänden sind der Deutsche Industrie- und Handelstag, der Zentralverband des Deutschen Handwerks, der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeit- geberverbände (BDA) zu nennen. Die im BDI zusammengeschlossenen Unter- nehmensverbände vertreten vorrangig die wirtschaftspolitischen Interessen ihrer Mitglieder gegenüber der Politik und der Öffentlichkeit. Die im BDA organisier- ten Arbeitgeberverbände sind insbesondere für die Tarifpolitik zuständig.7

Im folgenden soll ein Überblick über die Geschichte des Bündnisses für Arbeit gegeben werden, wobei lediglich Bündnisse auf Branchen- und gesamtwirtschaftlicher Ebene berücksichtigt werden.

2.1.2. Die Konzertierte Aktion

Das Bündnis für Arbeit ist keineswegs der erste Versuch, Vertreter von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Politik zur Lösung gesamtwirtschaftlicher Probleme an einen Tisch zu bringen. Bereits im Jahre 1965 schlug der Sachverständigenrat zur wirtschaftlichen Entwicklung in seinem Jahresgutachten 1965/66 eine „konzertierte Stabilisierungsaktion“8 vor, um die damalige wirtschaftliche Stagnation in Verbindung mit hoher Inflation durch Verhaltensabstimmungen aller am Wirtschaftsprozeß beteiligten Gruppen zu überwinden.9

Im Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StabG) vom 08.06.1967 fand dieser Vorschlag gesetzliche Aufnahme. So sah §3 dieses Gesetzes vor, daß die Bundesregierung bei einer Gefährdung der in §1 ge- nannten Ziele „Orientierungsdaten“10 für ein gleichzeitig aufeinander abgestimm- tes Verhalten (konzertierte Aktion) der Gebietskörperschaften, Gewerkschaften und Unternehmensverbände zur Verfügung stellt. Die in §1 aufgeführten Ziele waren die Stabilität des Preisniveaus, ein hoher Beschäftigungsstand und ein au- ßenwirtschaftliches Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschafts- wachstum. Man glaubte, daß sich einzelwirtschaftliche Beziehungen durch den Wettbewerb regeln ließen, gesamtwirtschaftliche Ziele aber nur durch die plan- volle Beeinflussung von Kreislaufaggregaten zu erreichen seien.11

Am 14.02.1967 trat die „Konzertierte Aktion“, bestehend aus Vertretern der Ge- werkschaften, der Unternehmensverbände, der Bundesbank sowie der Bundesre- gierung, unter Leitung des Bundeswirtschaftsministers Karl Schiller zum ersten Mal zusammen,12 um das wirtschaftspolitische Handeln zu koordinieren. Im Aus- tausch gegen mehr Beschäftigung sollten die sich die Gewerkschaften zu Lohn- mäßigung bereit erklären. Während zu Beginn der Gespräche noch Einigkeit über lohnpolitische Fragen bestand, folgten bei sich erholender Konjunktur Spannun- gen zwischen den Teilnehmern, da die Lohnentwicklung hinter der Entwicklung der Gewinne zurückgeblieben war. Im September 1969 kam es zu wilden Streiks und darauffolgend zu Lohnabschlüssen, welche die Projektionen der Bundesregie- rung weit übertrafen.13 Auch im weiteren Verlauf zeigte sich, daß der anfängliche Grundkonsens immer schwerer aufrecht zu erhalten war, so daß sowohl die Ge- werkschaften als auch die Arbeitgeberverbände die Konzertierte Aktion zuneh- mend ablehnten. 1977 kündigten die Gewerkschaften ihre weitere Mitarbeit bei der Konzertierten Aktion auf, da die Arbeitgeber gegen das Mitbestimmungsge- setz geklagt hatten.14

Trotz des Scheiterns der Konzertierten Aktion auf gesamtwirtschaftlicher Ebene wurde am 01.07.1977 eine Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (KAiG) gegründet, die noch heute in Kraft ist. Hauptursache der Einführung war, daß die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen sprunghaft angestiegen waren, was seit Mitte der 70er Jahre zu Finanzierungsprobleme geführt hatte.15 Der wesentliche Erfolg der KAiG muß in der Möglichkeit des Dialogs zwischen den am Gesundheitswesen beteiligten Gruppen gesehen werden. Das Ziel der Kostendämpfung konnte in der Vergangenheit nicht erreicht werden.16

2.1.3. Das Bündnis für Arbeit und zur Standortsicherung

Im November 1995 schlug der IG Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall der Bundesregierung, den Unternehmen und ih- ren Verbänden ein Bündnis für Arbeit vor. Zwickel stellte in Aussicht, in den Ta- rifverhandlungen für das Jahr 1997 Einkommenssteigerungen zu vereinbaren, die sich am Ausgleich der Preissteigerung orientierten, sowie befristete Einarbei- tungsabschläge für Langzeitarbeitslose zu ermöglichen. Als Gegenleistung ver- langte er von der Metallindustrie, in den folgenden drei Jahren auf betriebsbeding- te Kündigungen zu verzichten, 300.000 neue Arbeitsplätze zu schaffen, zusätzlich 30.000 Langzeitarbeitslose einzustellen, sowie die Zahl der Ausbildungsplätze um jährlich 5% zu steigern. Von der Bundesregierung forderte er einen Verzicht auf die Kürzung des Arbeitslosengeldes und die Verschärfung der Sozialhilfekrite- rien, eine Regelung für die Gewährleistung des Ausbildungsplatzangebotes sowie einen Lastenausgleich für Betriebe, die nicht oder zuwenig ausbilden.17

In der Öffentlichkeit wurde der Vorschlag eines Bündnisses für Arbeit mit gro- ßem Interesse aufgenommen und auch die Arbeitgeber zeigten Gesprächsbereit- schaft. Doch bereits in den beiden ersten Gesprächsrunden zwischen der IG Me- tall und dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall im Januar 1996 zeigte sich, wie weit die Vorstellungen der Beteiligten auseinander lagen. Die Arbeitgebervertre- ter begrüßten zwar, daß die Gewerkschaften den Zusammenhang zwischen Ar- beitskosten und Beschäftigung erkennen würden,18 aber in Fragen von niedrigeren Einstiegslöhnen für Langzeitarbeitslose, tariflichen Öffnungsklauseln und Be- schäftigungsgarantien konnte keine Übereinstimmung erzielt werden. Lediglich in der Frage eines beschäftigungswirksamen Abbaus von Überstunden waren Annä- herungen zu verzeichnen.19

Doch nicht nur in der Metallbranche war das Bündnis für Arbeit ein Thema. So- wohl der DGB als auch die Unternehmensverbände griffen die Idee eines Bünd- nisses für Arbeit auf. Der damalige Bundeskanzler Kohl machte das Bündnis für Arbeit zum Thema der sogenannten Kanzlergespräche, an denen Mitglieder der Bundesregierung, sowie Spitzenvertretern der Unternehmensverbände und der Gewerkschaften teilnahmen.20 Nachdem man sich auf gemeinsame Ziel- und Handlungsvorstellungen geeinigt hatte, unterzeichneten die Spitzenrepräsentanten der Wirtschaftsverbände und der Gewerkschaften im Januar 1996 ein Konsenspa- pier mit dem Titel „Bündnis für Arbeit und zur Standortsicherung“. Dieses formu- lierte das Ziel, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 zu halbieren, sagte aber ansonsten wenig Konkretes aus.21

In der Folgezeit kam es zu etlichen Vorschlägen von Gewerkschafts- und Arbeit- geberseite, über die keine Einigung erzielt werden konnte. Nachdem im April 1996 ein von der Bundesregierung vorgelegtes Maßnahmepaket zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung verabschiedet worden war, welches neben ei- ner Reduzierung der Sozialversicherungsbeiträge u.a. Einschnitte beim Kündi- gungsschutz sowie der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vorsah, sagten die Gewerkschaften ihre weitere Teilnahme an den Kanzlerrunden ab und riefen zu Protestaktionen auf. Die Arbeitgeber hatten das Programm der Bundesregierung begrüßt und wollten insbesondere die Absenkung der Lohnfortzahlung schnell umsetzen, waren aber aufgrund des starken gewerkschaftlichen Widerstands überwiegend zu Verhandlungen über die volle Entgeltfortzahlung im Krankheits- fall bereit. Das Bündnis für Arbeit und zur Standortsicherung war allerdings ge- scheitert.22

2.1.4. Das Bündnis für Arbeit Ost

Zusätzlich zu seinem Vorstoß für ein Bündnis für Arbeit in der Metallbranche legte Klaus Zwickel im Februar 1996 das Konzept eines „Bündnis für Arbeit Ost“ vor, das die Schaffung von 33.000 Arbeitsplätzen durch die Reduzierung der Wo- chenarbeitszeit in der ostdeutschen Metallindustrie von 38 auf 35 Stunden vor- sah.23 Nachdem dieser Vorschlag von den ostdeutschen Arbeitgeberverbänden abgelehnt worden war, verständigten sich im Mai 1997 die Bundesregierung, die Regierungen der neuen Länder, die Spitzenverbände der Wirtschaft und die Ge- werkschaften auf eine „gemeinsame Initiative für mehr Arbeitsplätze in Ost- deutschland“. Durch die zusätzliche Förderung der Investitionszulagen für kleine und mittlere Unternehmen, die zunehmende Öffnung des Flächentarifvertrages sowie die verstärkte Berücksichtigung von Unternehmen in den neuen Ländern bei Beschaffung, Investition und Forschung sollten von 1998 an jährlich 100.000 neue Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern geschaffen werden.24

Wie das Bündnis für Arbeit und zur Standortsicherung zuvor führte das Bündnis für Arbeit Ost zu keiner Verbesserung der Arbeitsmarktsituation. In der Zeit sei- nes Bestehens verschlimmerte sich die Beschäftigungslage in Ostdeutschland, da weder die Bundesregierung noch die Arbeitgeber ihre Aktivitäten für zusätzliche Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern erhöhten. Aus diesem Grund erklärte DGB-Chef Dieter Schulte im Mai 1998 auch dieses Bündnis für gescheitert.25

2.1.5. Das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit

Nachdem der Kanzlerkandidat der SPD, Gerhard Schröder, die Wiederbelebung des Bündnisses für Arbeit zu einem der Hauptthemen seines Wahlkampfes gemacht hatte, kam es nach dem Regierungswechsel im Herbst 1998 zu einer Neuauflage des Bündnisses für Arbeit.26

Am 07.12.1998 vereinbarten Vertreter von Regierung, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften ein „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“. In einer gemeinsamen Erklärung bestätigten sie, zusammen den Abbau der Ar- beitslosigkeit voranzutreiben und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft nach- haltig zu stärken. Wichtige Punkte hierbei waren die dauerhafte Senkung der Lohnnebenkosten, die Reform der Sozialversicherung, flexiblere Arbeitszeiten und eine beschäftigungsfördernde Arbeitsverteilung. Außerdem bekräftigten die Bündnispartner die Notwendigkeit einer Unternehmenssteuerreform, von flexible- ren und verbesserten Möglichkeiten des vorzeitigen Ausscheidens aus dem Er- werbsleben sowie einer Tarifpolitik, welche den Beschäftigungsaufbau unter- stützt. Man einigte sich darauf, Arbeitsgruppen zu den oben genannten Themen zu bilden und beschloß, das von allen Beteiligten als guter Auftakt bewertete Ge- spräch am 25.02.1999 fortzusetzen.27

Ein erstes Ergebnis dieses neuen Bündnisses für Arbeit war ein Sofortprogramm „100.000 Jobs für Junge“ zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit,28 an dem im Zeitraum von Januar bis April 1999 bereits über 117.000 Jugendliche teilnah- men.29 Doch schon bald zeigte sich, daß in Kernfragen des Bündnisses zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern keine Einigung erzielt werden konnte. Die Forderung der Gewerkschaften, neue Arbeitsplätze durch einen entschiedenen Abbau von Überstunden zu schaffen, wurde von den Arbeitgebern mit der Be- gründung, daß sie den flexiblen Einsatz von Überstunden zum Ausgleich von Auftragsschwankungen und Fehlzeiten benötigten, abgelehnt.30 Die Forderung der IG Metall nach 6,5% mehr Lohn in den laufenden Tarifverhandlungen und ein darauf folgender Tarifabschluß mit Lohnerhöhungen von über 4% führte zu einer Ver- schlechterung der Gesprächsatmosphäre. Außerdem weigerten sich die Gewerk- schaften, die Lohnpolitik in die Gespräche mit einzubeziehen, was von den Arbeitgebern als Grundvoraussetzung verlangt wurde.31

Nach dem zweiten Gespräch Ende Februar 1999 waren sich die Beteiligten aller- dings einig, daß das Bündnis für Arbeit ohne den Einbezug der Lohnpolitik keine Chance auf Erfolg hat. In den folgenden Monaten geriet das Bündnis immer mehr in die Kritik, weil Gewerkschaften und Arbeitgeber sich gegenseitig die Schuld für die stockenden Verhandlungen gaben. Bei der Schaffung eines Niedriglohn- sektors kam man nicht voran, die Wirtschaftsverbände drohten im Falle einer un- zureichenden Unternehmenssteuerreform mit dem Ausstieg aus dem Bündnis, und der Aufruf zur Lohnmäßigung war innerhalb der Gewerkschaften umstritten. Le- diglich in den Arbeitsgruppen waren kleine Fortschritte zu verzeichnen.32

Unter diesen Vorzeichen waren die Erwartungen an die neue Gesprächsrunde am 06.07.1999 unter Vorsitz des Bundeskanzlers gedämpft. Wichtige Themen wie die Einführung eines Niedriglohnsektors oder Fragen der Lohnpolitik sollten ausge- klammert, und lediglich Fragen der Ausbildung und Altersteilzeit besprochen werden.33 Im Gegensatz zur vorherigen Gesprächsrunde zeigten sich aber Ge- werkschaften, Arbeitgeber und die Bundesregierung mit den Ergebnissen des Ge- spräches zufrieden. Trotz Kritik an den Plänen der Unternehmenssteuerreform und dem Sparpaket der Bundesregierung erklärten sich die Gewerkschaften bereit, in den Bündnisgesprächen über die Tarifpolitik zu sprechen. Die Arbeitgeber machten ihrerseits Zusagen über die Anzahl der Lehrstellen. BDA und DGB ga- ben eine gemeinsame Erklärung ab, in der sie u.a. einen Ausbau der Altersteilzeit und eine Reform des Flächentarifvertrages proklamierten. Außerdem einigte man sich auf eine verläßliche Tarifpolitik, bei der Produktivitätsfortschritte vorrangig der Beschäftigungsförderung dienen sollten.34 Neben dem von BDA und DGB vorgelegten Papier veröffentlichten die Bündnispartner ein gemeinsames Kon- zept, in welchem sie die Einigung auf einen Ausbildungskonsens35 und eine ge- meinsame Orientierung der Tarifpolitik bekannt gaben. Außerdem vereinbarte man, Vorschläge zur Altersteilzeit und zum vorzeitigen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben weiter zu entwickeln, besondere Anstrengungen für den Aufbau Ost zu unternehmen und die Erfahrungen anderer Länder auszuwerten. Das nächste Spitzengespräch ist für den Herbst 1999 geplant.36

In der Öffentlichkeit waren nicht nur positive Stimmen zu den Ergebnissen der Bündnisgespräche zu hören. Insbesondere Vertreter der Opposition kritisierten, daß es sich bei den Vereinbarungen lediglich um Absichtserklärungen ohne jede bindende Konkretisierung handle. Doch nicht nur die Opposition, sondern auch Teile der Gewerkschaften lehnten die Vorschläge ab.37

Um eine Einordnung des Bündnisses in einen korporatistischen Kontext zu ermöglichen, bedarf es neben einer differenzierten Betrachtung des Bündnisses für Arbeit auch einer Analyse des Begriffs Korporatismus.

2.2. Korporatismus

2.2.1. Die historische Perspektive

Der Begriff Korporatismus bezieht sich ursprünglich auf den mittelalterlichen Ständestaat, welcher den Übergang von der mittelalterlichen Feudalverfassung zum bürgerlichen Staat markierte. Im Ständestaat war die öffentliche Gewalt auf gesellschaftliche Teilorganisationen, sogenannte Korporationen, verteilt, wobei nicht die gesamte Gesellschaft, sondern in der Regel nur Adel, Klerus und städtisches Bürgertum in Ständen organisiert waren.38

Die Idee berufsständischer Vertretungen ist im weiteren geschichtlichen Verlauf insbesondere in den Konzepten der katholischen Soziallehre anzutreffen. Diese versuchte, die im Verlaufe der Industrialisierung zunehmenden sozialen Proble- me, vor allem der Arbeiterschaft, auf einem derartigen Wege zu lösen und den ihrer Meinung nach schädlichen Liberalismus zu überwinden.39 Ständische Ideen finden sich auch bei der parlamentarischen Repräsentation im Faschismus der 30er Jahre, welche besonders in Italien stark ausgeprägt war, und unter der Herrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland, wobei es hierbei größtenteils bei einfachen Umbenennungen blieb. So wurde z.B. der Reichsland- bund zum Reichsnährstand und der Reichsverbund zum Reichsstand der deut- schen Industrie.40

2.2.2. Die Korporatismusdiskussion

In den 70er Jahren entbrannte eine neue Diskussion zum Thema Korporatismus, in der versucht wurde, den historisch vorbelasteten Begriff in einen modernen politik- und gesellschaftswissenschaftlichen Kontext einzubinden. Wie weit aller- dings die Vorstellungen, was der Begriff Korporatismus zu bedeuten hätte, ausei- nander gingen, zeigt die Vielzahl an Variationen, in denen er verwendet wurde. Man trifft u.a. auf Neo-Korporatismus, liberalen Korporatismus, pluralistischen Korporatismus, Neuen Korporatismus, gesellschaftlichen Korporatismus oder Korporativismus. Da die begriffliche Abgrenzung zwischen den einzelnen Rich- tungen oft unklar ist, wird im folgenden nur mit dem Begriff Korporatismus gear- beitet.41

Philippe Schmitter, einer der Vorreiter der Korporatismusdiskussion, unterschei- det bei der Beschreibung westeuropäischer Interessenpolitik zwischen den Typen Pluralismus, Korporatismus und Syndikalismus. Hierbei bedeutet Korporatismus die Organisation der Interessenvermittlung in einer begrenzten Anzahl von Zwangsverbänden, welche funktional voneinander abgegrenzt sind, nicht mitei- nander im Wettbewerb stehen und hierarchisch aufgebaut sind. Diese Zwangsver- bände sind staatlich anerkannt oder lizensiert, wenn sie nicht sogar auf staatliche Veranlassung hin gebildet worden sind, und besitzen innerhalb ihres Bereiches ein Repräsentationsmonopol.42

Eine andere Definition gibt Lehmbruch, der Korporatismus 1974 als „Teilnahme großer organisierter sozialer Gruppen an öffentlicher Politikgestaltung“43 be- zeichnete und dies später mit dem Hinweis auf die Institutionalisierung dieser Gruppen präzisierte.44 Des weiteren kann man zwischen mehreren Ebenen des Korporatismus und verschiedenen Arten seiner Entstehung unterscheiden. Je nachdem, ob Korporatismus durch staatlichen Eingriff oder aus freiwilligen ge- sellschaftlichen Prozessen entstanden ist, trennt man zwischen gesellschaftlichem und Staats-Korporatismus. Eine weitere Differenzierung ist die Trennung in libe- ralen und autoritären Korporatismus, wobei sich liberaler Korporatismus im Ge- gensatz zu autoritärem Korporatismus auf der Grundlage von Vereinigungsfreiheit und Verbandsautonomie herausbildet.45

Weitere Ansätze versuchen, Korporatismus gegenüber Kapitalismus, Sozialismus und Syndikalismus abzugrenzen. Hierbei wird Korporatismus als System defi- niert, welches auf Privateigentum bei gleichzeitiger öffentlicher Kontrolle beruht. Im Gegensatz dazu ist Kapitalismus ein System, welches Privateigentum und pri- vate Kontrolle auf sich vereinigt. Sozialismus wird als ein System definiert, das auf öffentlicher Kontrolle und Gemeineigentum beruht, und Syndikalismus sieht private Kontrolle und Gemeineigentum vor.46 Andere Autoren sahen den Korpo- ratismus lediglich als eine auf den Bereich der Interessenvermittlung konzentrierte Spezialform des - in Anlehnung an Hilferding - „organisierten Kapitalismus“, welcher ein Entwicklungsstadium im fortgeschrittenen Industriekapitalismus dar- stellt.47

Allein dieser kurze Überblick zeigt, wie schwer es ist den Begriff Korporatismus zu fassen und einzugrenzen. Eine allgemein anerkannte Definition des Begriffes Korporatismus ist kaum zu finden, vielmehr wird der Begriff oft geradezu inflationär verwendet.48 Um das Bündnis für Arbeit näher analysieren zu können, bedarf es darum einer spezifisch wirtschaftspolitischen Definition.

2.2.3. Eine wirtschaftspolitische Definition

Korporatismus bedeutet bei einer engeren Betrachtung die Beschränkung auf ein Dreieckssystem, welches aus zwei zueinander im Konflikt stehenden Spitzenver- bänden und dem Staat besteht. Der Staat steht den beiden Konfliktparteien nicht teilnahmslos gegenüber, sondern greift aktiv in die Schlichtung der Interessenkon- flikte ein.49 Aufgrund des Dreicksverhältnisses spricht man nur dort von Korpora- tismus, wo der Staat nicht nur mit einem Interessenverband verhandelt. So kann man in Bereichen, in denen einzelnen Verbänden kein institutionalisierter Gegen- verband gegenübersteht, nicht von korporatistischer Politik sprechen. Beispiele solcher Statusverbände finden sich bei Bauern, Ärzten, Anwälten oder Konsu- menten. In diesem Sinne ist Korporatismus als Versuch zu werten, Interessenkon- flikte zwischen Gruppen, die in andauerndem Konflikt miteinander stehen, zu lösen.50

Dieses eingeschränkte Konzept läßt sich sehr gut auf den Bereich der Arbeitsbe- ziehungen anwenden. Auch hier stehen sich miteinander in Konflikt stehende In- teressengruppen gegenüber, zwischen denen der Staat zu vermitteln versucht. Auf der einen Seite findet man die Industrie- und Arbeitgeberverbände, ihnen gegen- über stehen die Gewerkschaften.51 Korporatismus läßt sich als eine Reihe von Institutionen definieren, in denen die Interessenverbände von Arbeit und Kapital mit dem Staat zusammentreffen, um wirtschaftspolitische Ziele, beispielsweise einen hohen Grad an Beschäftigung durch die Begrenzung von Lohnforderungen, zu erreichen. Korporatistische Strukturen auf gesamtwirtschaftlicher Ebene äu- ßern sich u.a. in einem hohen Zentralisierungsgrad der Lohnverhandlungen.52

In der Geschichte Deutschlands ist es immer wieder zu Versuchen gekommen, Probleme, welche man auf das kapitalistische System zurückführte, korporatis- tisch zu lösen. Daher ist Korporatismus auch als Sonderweg bezeichnet worden, welchen Deutschland abweichend vom politischen und wirtschaftlichen Libera- lismus des westlichen Kapitalismus im späten 19. Jahrhundert eingeschlagen hat.53 Nachdem sich bereits am Ende des 19. Jahrhunderts und im beginnenden 20. Jahrhundert korporatistische Strukturen wie z.B. die Einführung von Zwangsinnungen und einer Zentralarbeitsgemeinschaft zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften in Deutschland herausgebildet hatten, versuchten die Alliierten nach dem zweiten Weltkrieg ein pluralistisches System durch die Zerschlagung von Kartellen, Syndikaten und Interessengruppen zu etablieren. Diesen Versuch stoppten die USA jedoch bereits zur Zeit der Koreakrise, um Deutschland für ihre Kriegswirtschaft in Anspruch zu nehmen.54

Bis Mitte der 70er Jahre erlebte der Korporatismus seine Blütezeit. Korporatisti- sche Strukturen waren in vielen europäischen Ländern neben Deutschland zu fin- den, beispielsweise in Schweden, Norwegen und Österreich, aber auch in völlig anders geprägten Ländern wie z.B. Großbritannien. Doch beginnend mit der Öl- krise begann auch der Niedergang des Korporatismus. Der Glaube an die keynesi- anische Globalsteuerung, welche eine Grundlage korporatistischer Systeme dar- stellt, war immer mehr geschwunden und neoliberale Konzepte gewannen die Oberhand. Da im Europa der 80er Jahre überwiegend konservative Regierungen an der Macht waren, die korporatistischen Strukturen eher kritischer gegenüber- stehen, wurde dieser Prozeß noch verstärkt und vielfach schon das Ende des Kor- poratismus verkündet.55

In den 90er Jahren erlebte der Korporatismus jedoch in etlichen europäischen Staaten seine Wiederentdeckung. Das Problem der Arbeitslosigkeit wurde als so drückend empfunden, daß man glaubte nur durch gemeinsames Handeln von Re- gierung, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften zu einer Lösung zu kom- men.56

Nach der angeführten wirtschaftspolitischen Definition läßt sich das Bündnis für Arbeit auf gesamtwirtschaftlicher Ebene als korporatistisches Konzept beschrei- ben. Spitzenvertreter von Arbeit und Kapital treffen unter Vermittlung des Staates zusammen, um Lösungsvorschläge zu suchen, das drückende Problem der Ar- beitslosigkeit zu bekämpfen. Natürlich stellt sich die Frage, warum man glaubt, ein Problem wie die hohe Arbeitslosigkeit nur gemeinsam lösen zu können. Das folgende Kapitel soll zeigen, welche Vorteile Absprachen zwischen dem Staat und den wichtigen gesellschaftlichen Gruppen des Arbeitsmarktes bieten.

3. Kooperation statt Konflikt

3.1. Die korporatistische Hypothese

Gemäß der korporatistischen Hypothese kann ein konsensorientiertes, sozialpart- nerschaftliches Verhalten von umfassenden Interessengruppen die Problemlö- sungsfähigkeit von Marktwirtschaften erhöhen. Dahinter steckt die Vorstellung, daß in gesellschaftlicher Verabredung vertraglich vereinbart werden müsse, was Markt und Staat alleine nicht richten könnten. Im Bezug auf die hohe Arbeitslo- sigkeit bedeutet dies, daß das marktwirtschaftliche System offenbar versagt habe, eine hohe Beschäftigung herbeizuführen. Darum sollte der Markt begrenzt und ergänzt werden, um wieder einen angemessenen Beschäftigungsstand erreichen zu können.57

Der Vorteil eines abgestimmten Verhaltens zwischen den Tarifpartnern und der Bundesregierung liege darin, daß die Verhandlungspartner bei einem möglichst langfristig angelegten Verhandlungsprozeß ihre Verantwortung erkennen würden. Das Bewußtsein der volkswirtschaftlichen Auswirkungen ihres Handelns sei wichtig, da Interessengruppen dann den größten Schaden anrichten, wenn sie mächtig genug sind, Einfluß auszuüben, aber nicht umfassend genug, dessen Folgen am eigenen Leib zu spüren.58

Eine Politik der Kooperation und der gegenseitigen Abstimmung zwischen den einzelnen Verhandlungspartnern sollte eine längerfristige Planung des Verhaltens ermöglichen und die kurzsichtige Verfolgung von Einzelinteressen ersetzen. Durch abgestimmtes Verhalten werde Zusammenhalt und Gemeinsinn gestärkt, um das drängende Problem der Arbeitslosigkeit wirksam anzugehen. Laut der korporatistischen Hypothese ist der Konsens über verschiedene gesellschaftliche, politische und ökonomische Interessen hinweg die einzige Alternative zu wirt- schaftlicher Stagnation, vor allem auf dem Arbeitsmarkt. Durch kooperative Ver- handlungen soll gegenseitiges Vertrauen aufgebaut und gestärkt werden, und ge- samtwirtschaftliche Verantwortung reine Interessenpolitik ersetzen.59

Dies führt zu der Aussage, daß sich durch gegenseitige Abstimmung von Lohn- und Tarifpolitik sowie Fiskal- und Geldpolitik überlegene gesamtwirtschaftliche Ergebnisse erzielen ließen. Da kein Politikbereich lediglich seinen eigenen, son- dern immer auch die anderen Politikbereiche beeinflussen würde, werde ein strik- te Trennung einzelner Politikbereiche den gesamtwirtschaftlichen Problemen nicht gerecht. Nur ein Stabilitätspakt zwischen der Bundesregierung, den Tarif- partnern und der Bundesbank verspreche beschäftigungspolitisch den größten Erfolg.60

3.2. Bessere Zielerreichung durch koordinierte Abstimmung

3.2.1. Die Aufgaben der einzelnen Politikbereiche

Gemäß der korporatistischen Hypothese läßt sich das Ziel einer hohen Beschäfti- gung am effektivsten durch eine koordinierte Abstimmung der Lohn- und Tarifpo- litik der Tarifpartner, der Fiskal- und Sozialpolitik des Staates und der Geldpolitik erreichen.

[...]


1 Arbeitslosenrate in % aller Erwerbspersonen. Die Arbeitslosenquote beträgt im Juli 1999 für Gesamtdeutschland 10,3%. Deutsche Bundesbank (1999), S. 64*.

2 Vgl. Krupp (1995), S. 63f., Kromphardt (1995), S. 71f.

3 Vgl. Esser/Schroeder (1999), S. 51, Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hrsg.) (1998a), S. 1.

4 Vgl. Blancke (1996), S. 1158.

5 Vgl. Rösner (1996), S. 128f., SVR 1996/97, Zf. 308.

6 Vgl. Grözinger (1996), S. 307.

7 Vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (1999a), S. 13, Bispinck (1993), S. 52f. 3

8 Vgl. SVR 1965/66, Zf. 187ff. Der Begriff „Konzertierte Aktion“ taucht zum ersten Mal im Vorwort dieses Gutachtens auf. Vgl. ebenda, Zf. 8c.

9 Vgl. Friedrich (1976), S. 331.

10 Die Orientierungsdaten bezogen sich auf die Lohnerhöhungen, die gesamtwirtschaftlich als tragbar angesehen wurden. Vgl. Külp (1994), S.315f.

11 Vgl. Kern (1973), S. 13ff., Hansmeyer (1973), S. 280.

12 Streng genommen stimmte dies nicht mit dem Gesetzestext überein, da laut diesem das aufeinander abgestimmte Verhalten lediglich durch Orientierungsdaten der Bundesregierung, nicht aber durch Zusammenkünfte herbeigeführt werden sollte. Vgl. Friedrich (1976), S. 334.

13 Vgl. Hoppmann (1972), S. 9, Dettmer (1999), S. 121. Einen Vergleich der projektierten und der tatsächlichen Bruttolohn- und -gehaltssumme in den Jahren 1968 bis 1974 gibt Friedrich (1976),

S. 341.

14 Vgl. Engelhard u.a. (1998), S. 745f.

15 Vgl. Meuthen (1990), S. 283f.

16 Vgl. Engelhard u.a. (1998), S. 747.

17 Vgl. Bispinck/WSI-Tarifarchiv (1996), S. 163f., Hickel (1996a), S. 373f.

18 Vgl. o. Verf. (1996), S. 99. Die Gewerkschaftsseite hielt hierzu allerdings fest, daß es sich bei dem Bündnis für Arbeit lediglich um einen Deal handelte, der mit dem Slogan „Lohnverzicht schafft Arbeitsplätze“ nichts zu tun hätte. Vgl. Schmitz-Simonis (1996), S. 5, Hank (1996), S. 33f.

19 Vgl. Bispinck/WSI-Tarifarchiv (1996), S. 164.

20 Vgl. Lang/Kuhlmann (1996), S. 194, Härtel (1996b), S. 54.

21 Vgl. Hickel (1996b), S. 298, Bispinck/WSI-Tarifarchiv (1996), S. 164f. 6

22 Vgl. Engelen-Kefer (1996), S. 281ff., Bispinck/WSI-Tarifarchiv (1997), S. 69f., Härtel (1996a), S. 498f.

23 Vgl. Bispinck/WSI-Tarifarchiv (1996), S. 165.

24 Vgl. o. Verf. (1997), S. 1, Fehl (1997), S. 437.

25 Vgl. Schmitthenner (1998), S. 842.

26 Vgl. Esser/Schroeder (1999), S. 52f.

27 Vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.) (1999a), S. 5ff., Dresdner Bank AG (Hrsg.) (1999), S. 48.

28 Dieses Programm hatte die Bundesregierung bereits vor dem ersten Treffen am 07.12.1998 verkündet. Vgl. Stüwe (1999), S. 2.

29 Vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.) (1999a), S. 35.

30 Vgl. Hoffmann (1999a), S. 20f.

31 Vgl. Fischer u.a. (1999), S. 16, Hoffmann/Ramthun (1999), S. 24, Hoffmann (1999b), S. 25.

32 Vgl. Poppe u.a. (1999), S. 30f., Siems (1999), S. 17, Ramthun (1999), S. 21.

33 Vgl. o. Verf. (1999a), S. 17, o. Verf. (1999b), S. 5, o. Verf. (1999c), S.3.

34 Vgl. o. Verf. (1999d), S. 1f., BDA/DGB (Hrsg.) (1999), S. 1f. 10

35 Dieser Ausbildungskonsens besagt, daß jeder junge Mensch, der kann und will, ausgebildet wird. Vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.) (1999b), S.1.

36 Vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.) (1999c), S. 1ff.

37 Vgl. o. Verf. (1999e), S. 15, Merkel (1999), S. 14, o. Verf. (1999f), S. 4, Ramthun/Wettach (1999), S. 18f.

38 Vgl. v. Alemann/Heinze (1979), S. 39f., Nohlen (Hrsg.) (1991), S. 322.

39 Vgl. Nocken (1981), S. 26f.

40 Vgl. Nocken (1981), S. 38, Nohlen (Hrsg.) (1991), S. 322, Schmitter/Grote (1997), S. 545.

41 Vgl. v. Aleman, Heinze (1979), S. 38f., Puhle (1984), S. 165f.

42 Vgl. Schmitter (1979), S. 94f., Nocken (1981), S. 21f.

43 zitiert in: Lehmbruch (1996), S. 736.

44 Vgl. Lehmbruch (1996), S. 736.

45 Vgl. Lehmbruch (1979), S. 53, v. Aleman/Heinze (1981), S. 48f.

46 Vgl. v. Aleman/Heinze (1981), S. 53.

47 Vgl. Puhle (1984), S. 166ff.

48 Vgl. Czada (1994), S. 40f.

49 Vgl. v. Beyme (1984), S. 214f., Puhle (1984), S. 182f. 13

50 Vgl. v. Beyme (1991), S. 135.

51 Vgl. Puhle (1984), S. 183.

52 Vgl. Newell/Symons (1987), S. 578, Calmfors/Driffill (1988), S. 24f.

53 Vgl. Abelshauser (1984), S. 289, Lehmbruch (1996), S. 745.

54 Vgl. Berthold/Hank (1999), S. 33ff., Abelshauser (1984), S. 305. 14

55 Vgl. Schmitter/Grote (1997), S. 533ff.

56 Vgl. Schmitter/Grote (1997), S. 534ff.

57 Vgl. Schnabel (1993), S. 260, Lang/Kuhlmann (1996), S. 193. 15

58 Vgl. Schnabel (1993), S. 261.

59 Vgl. Streeck (1998), S. 534, Boreham/Compston (1992), S. 147. 16

60 Vgl. Scherf (1996), S. 631, Nordhaus (1994), S. 193ff.

Fin de l'extrait de 69 pages

Résumé des informations

Titre
Bündnis für Arbeit - ein korporatistisches Konzept?
Université
University of Freiburg
Note
1.3
Auteur
Année
1999
Pages
69
N° de catalogue
V185420
ISBN (ebook)
9783656999676
ISBN (Livre)
9783867461856
Taille d'un fichier
903 KB
Langue
allemand
Mots clés
bündnis, arbeit, konzept
Citation du texte
Armin Wiesler (Auteur), 1999, Bündnis für Arbeit - ein korporatistisches Konzept?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/185420

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