Als Thema meiner Hausarbeit habe ich eine Untersuchung der Rede Dr. Philipp Jenningers vom 10. November 1988 anläßlich der Reichspogromnacht vor fünfzig Jahren gewählt. Die erste Begegnung mit (einem Exzerpt) der Rede machte ich im Rahmen des Hauptseminars ,,Redewiedergabe im Deutschen". Der Textausschnitt lag als Lektüretext vor, bei dem das Augenmerk auf die Anwendung des Stilmittels ,,Erlebte Rede" gelenkt wurde, das in diesem Kontext und in der auftretenden Intensität für die Rezeption des Textes verwirrend wirkte. Doch auch das mehrmalige Durchlesen dieser Passage erklärte noch nicht den Empörung hervorrufenden Effekt der Rede damals und die Konsequenz, nämlich Jenningers Rücktritt vom Amt des Bundestagspräsidenten. Die Wirkung der Rede konnte ich erst verstehen, nachdem ich die Rede auf Video sah und nicht Leser eines Textes sondern Zuschauer und -hörer war. Mein erstes Empfinden war Mitleid mit dem Redner, der offensichtlich die falsche Rede zu falschem Anlaß hielt. Zweifellos brachte er einen historisch-detaillierten Abriß der Geschehnisse des dritten Reiches, doch wirkten z.B. Worte, die ausschließlich Wortschöpfungen dieser Periode sind, wie arisch, Rassenschande, Ungeziefer, Verwesung oder Ausmerzung (die in der schriftlichen Fassung zwar durch Anführungszeichen gekennzeichnet sind, bei der vorgetragenen Rede aber wie ein gebrochenes Tabu wirken ) in einer Gedenkrede unpassend und unangebracht. Weitere Punkte, die immer wieder im Allgemeinen kritisiert worden sind, waren seine ,,nüchterne" Vortragsweise, die durch eine sehr sachlich-objektive Darstellung sowie durch die monotone Stimmlage, die jegliche Gefühlsäußerungen unterband, geprägt war, und das vordergründige Hineinversetzen in die Köpfe der Täter und das Untersuchen der Motive für die Passivität derselben anstatt das Gedenken der Opfer in das Zentrum der Rede zu stellen.
Nicht außer Acht lassen sollte man bei einer Betrachtung Jenningers Rede auch die Medien. Besonders die übertragende Fernsehanstalt, so kann man behaupten, hat die negative Wirkung der Rede forciert, indem sie ständig die ,wie erst später klar wurde, völlig erschöpfte, ermüdete Ida Ehre einblendete, die während des gesamten Redevortrags ihr Gesicht mit den Händen bedeckte. Zu einem späteren Zeitpunkt erklärte sie, sie sei nach der Rezitation von Celans Todesfuge so ergriffen gewesen, daß sie nichts von Jenningers Rede mitbekommen habe.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Der situative Kontext und die internalisierte Erwartungshaltung
- Zum Grundvorgang der Kommunikation
- Gestalt und Charakteristika der Gedenkrede
- Zur Vorgeschichte der Rede
- Die Erlebte Rede
- Eigenschaften und Einsatz der Erlebten Rede
- Die Erlebte Rede in der Rede Jenningers
- Die Vortragsweise
- Resümee
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Hausarbeit analysiert die Rede von Dr. Philipp Jenninger vom 10. November 1988 anlässlich der Reichspogromnacht, die aufgrund ihrer kontroversen Art und den Folgen für Jenningers Karriere erhebliche Aufmerksamkeit erregte. Die Arbeit beleuchtet die Gründe für das Missverständnis der Rede und analysiert zentrale Aspekte, die zu dieser negativen Rezeption beitrugen.
- Der situative Kontext und die Erwartungshaltung der Rezipienten
- Die Verwendung der Erlebten Rede als Textstilmittel
- Die non-verbale Kommunikation des Redners (Vortragsweise)
- Die Rolle der Medien in der Rezeption der Rede
- Die gesellschaftlichen Konventionen im Kontext einer Gedenkrede
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Arbeit stellt die Rede von Philipp Jenninger vom 10. November 1988 im Kontext der Reichspogromnacht vor und erläutert die kontroverse Rezeption der Rede, die bis zu Jenningers Rücktritt vom Amt des Bundestagspräsidenten führte. Die Analyse fokussiert auf drei zentrale Aspekte: den situativen Kontext, die Erlebte Rede und die Vortragsweise.
Der situative Kontext und die internalisierte Erwartungshaltung
Dieses Kapitel analysiert den Kommunikationsprozess in Bezug auf Jenningers Rede und untersucht, wie die Rezipienten die Rede in der Situation der Gedenkfeier verstanden haben. Der Schwerpunkt liegt auf der Diskrepanz zwischen Jenningers Intention und der Rezeption der Rede durch das Auditorium. Die Arbeit betrachtet die Konventionen einer Gedenkrede und deren Bedeutung für die Erwartungshaltung des Publikums.
Die Erlebte Rede
Dieses Kapitel befasst sich mit der Verwendung der Erlebten Rede als Textstilmittel in Jenningers Rede und analysiert deren Wirkung auf die Rezeption der Rede. Die Arbeit beleuchtet die Eigenschaften der Erlebten Rede und deren Einsatz in Bezug auf Jenningers Rede, wobei die Kritikpunkte des Publikums im Vordergrund stehen.
Schlüsselwörter
Diese Arbeit befasst sich mit den Themen Gedenkrede, Erlebte Rede, Kommunikation, situativer Kontext, Erwartungshaltung, Vortragsweise, Sprachkonventionen, politische Rhetorik, Reichspogromnacht, nationalsozialistische Vergangenheit, gesellschaftliches Selbstverständnis, Medienrezeption.
- Arbeit zitieren
- Sandra Perrey (Autor:in), 2001, Erlebte Rede in der Rede Philipp Jenningers, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1857