Hexenglauben, Hexenverfolgung, Hexenwahn im Deutschland der frühen Neuzeit


Thesis (M.A.), 2001

116 Pages, Grade: 2


Excerpt

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Inhaltsverzeichnis

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Ausgewählte Vertreter des gelehrten Hexenbildes

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Einleitung

 

Nachbarschaftsstreitigkeiten bis aufs Messer, Familienkrach wegen Erbangelegenheiten, Haß und Neid zwischen Arm und Reich, Auseinandersetzungen zwischen gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen, das kennt die heutige Gesellschaft noch ebenso, wie es die Menschen in der frühen Neuzeit erlebten. Mit dem Weltbild, den Lebensbedingungen und der Mentalität der Menschen verändern sich allerdings die Mittel, mit denen solche Streitigkeiten ausgetragen werden.

 

Wie es auf der Grundlage volkstümlicher Magievorstellungen und christlicher Definition von Hexerei und Ketzerei zum Hexenwahn in der frühen Neuzeit kam, wurde in der Vergangenheit unter verschiedensten Prämissen untersucht, interpretiert und benutzt.[2]

 

In der vorliegenden Arbeit wird die Entstehung und Vereinheitlichung des Hexenmusters dargestellt. Die einzelnen Elemente werden nach ihrer Herkunft aus der Tradition der offiziellen Kultur (der christlichen Dogmatik), der Subkultur (der stark mit heidnischen Überbleibseln durchsetzten und von Magie geprägten Alltagsreligiösität der Landbevölkerung) und unter Einbeziehung anderer Einflußfaktoren untersucht und daraus Ansatzpunkte zu einer soziologischen Analyse des gesellschaftlichen Umgangs mit dem Hexenstereotyp entwickelt.

 

Bisher kann man folgende Deutungsansätze unterscheiden :[3]

 

„Soziale Konflikttheorien“, die Hexenverfolgungen als Resultat gestörter sozialer

 

Harmonien, sozialer Unterdrückungsversuche und als Antwort von Gemeinschaften auf den Zerfall ihrer traditionellen und kulturellen Werte interpretieren.[4]

 

„Ausrottungstheorien“, die in der Bekämpfung der Hexerei ein Mittel zur

 

Ausschaltung politischer, religiöser und individueller Gegner sehen.[5]

 

„Sozialdisziplinierungs- und Krisentheorien“, die versuchen, die Kriminalisierung und

 

Ausmerzung der Hexerei, aber auch der gesamten Volkskultur, in Zusammenhang mit der politischen und religiösen Krisensituation und dem erstarkten Krisenbewußtsein des ausgehenden 16. und besonders des 17. Jahrhunderts zu bringen.[6]

 

„Angsttheorien“, die vor allem obrigkeitliche Hexenbekämpfung als ein Ergebnis gesteigerter Kollektiv- und Individualängste in einer Periode sozialen, kulturellen und ökonomischen Wandels werten.[7]

 

Andere Versuche einer Erklärung greifen erstaunlicherweise aber auch die alte, unhaltbare These einer beabsichtigten, bevölkerungspolitisch wirksamen Ausrottung heilkundiger Frauen und Hebammen durch die Kirchen und ebenso die überholte ‚Sündenbocktheorie‘ wieder auf, die bereits als Erklärungsmuster für Ketzer-, Zauberei-, Juden- und andere Prozesse herhalten mußte,.[8]

 

Schließlich C. Ginzburg mit seiner weniger auf Erklärung des Verfolgungsgeschehens denn auf eine immanente Herleitung und mythisch-kultische Interpretation von Einzelelementen der Hexerei abzielende Analyse des Hexensabbats.[9]

 

Der traditionelle Hexenglaube der spätmittelalterlichen Gesellschaft führte zwar zu Hexereiverdächtigungen und Anklagen, und manchmal kam es zur Lynchjustiz; er bot aber auch Möglichkeiten, sich gegen Magie und Hexerei zur Wehr zu setzen und mit Verdächtigungen umzugehen. Die ländliche Bevölkerung kannte sehr wohl die Unterscheidung zwischen akzeptabler und abzulehnender Magie. Dies entsprach aber keineswegs dem von der Kirche gesetzten Maßstab.

 

Der eigentlich dämonologische Hexenglaube geht auf die Bestrebungen der katholischen Kirche zurück, deren Dämonologen die passende Theorie zur Untermauerung der Hexendoktrin ausarbeiteten. Später widmeten sich auch Mediziner, Juristen und andere Gelehrte der Theorie über die Hexen und ihre Werke. Nicht mehr der Schadenzauber, wie im traditionellen Hexenglauben, stand jetzt im Vordergrund der Anklage, sondern der Pakt mit dem Teufel und die Beleidigung Gottes.

 

Das Instrument zur Verfolgung der Hexen, die Inquisition, war von der Ketzerverfolgung her schon vorhanden. Durch die Legitimierung der Folter und die Praxis, die Angeklagten zu Besagungen[10] aufzufordern, konnten Verfolgungswellen zustande kommen, denen Hunderte von Menschen zum Opfer fielen. Die weltliche Obrigkeit übernahm das Verfahren, änderte die Gesetzgebung entsprechend und führte die Verfolgungen im gleichen Sinne fort. Weitere Grundlagen des Hexenwahns kann man in der herrschenden Frauenfeindlichkeit, der Teufels- und Hexenangst von Männern und Frauen und in der wirtschaftlichen Not, in Hunger, Kriegen und sozialen Unruhen, sehen.

 

Das theoretische System der Hexendoktrin erzeugte bestimmte Einstellungen, Denk- und Verhaltensweisen, die im Hexenwahn gipfelten. Aus soziologischer Sicht kann dieser Prozeß als ein kulturelles Deutungsmuster mit „generativem Status“ gelten.[11] Alle gesellschaftlichen Kräfte arbeiteten zusammen, um den Hexen den Garaus zu machen. Die Kirchen hatten das Hexenbild geliefert, die Obrigkeiten ihre Justizapparate zur Verfügung gestellt und die Gemeinden halfen durch Denunziation erheblich bei der Vernichtung unschuldiger Menschen mit.[12] Die Gesellschaft verbrannte die ganze Zeit Frauen, die auch ihre Schwestern, Großmütter oder Nachbarinnen hätten sein können als angebliche Hexen. Zwar waren es oft wirklich ältere, arme, manchmal angeblich zänkische und seltsame Frauen, aber trotzdem in der Regel normale Frauen. Die Hexen existierten nur in den Köpfen der Menschen. Die Angst vor ihnen manifestierte sich allerdings im gesellschaftlichen Geschehen. Im „Hexenkessel“ des Wahns befanden sich wirklich giftige Zutaten.

 

Während Hexenglaube und Hexenverfolgungen auf traditionellem Hintergrund[13] auch heute noch auf der ganzen Welt zu finden sind, ist der Hexenwahn im Europa der frühen Neuzeit eine

 

einmalige Erscheinung. Die Besonderheit im christlichen Hexenglauben ist die Verknüpfung von Magie und Ketzerei zu einem wahrhaft beispiellosen Verbrechen. Die dämonologische Hexendoktrin und die damit verbundenen wahnhaften Verfolgungen der angeblichen Hexen sind eine Eigenart im Herrschaftsbereich der römisch-katholischen Kirche und des späteren Protestantismus. Für die Gebiete der seit Mitte des 11. Jahrhunderts selbständigen orthodoxen Kirchen sind Hexenverfolgungen dieser Ausprägung und mit diesem Hintergrund nicht bekannt - ebensowenig wie für andere Weltreligionen.[14]

 

Die ungefähre Dauer der Verfolgungen betrug 300 Jahre, gefolgt von ca. 100 Jahren, in denen Verfolgungen nur noch sporadisch vorkamen. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich größtenteils auf die Hexenverfolgungen im deutschsprachigen Raum[15] , da hier die meisten und auch die zahlenmäßig größten Verfolgungen stattfanden.[16] Ich werde den Zeitrahmen vom 15. bis zum 18. Jahrhundert untersuchen und dementsprechend eine grobe Zeiteinteilung der Verfolgungsgeschichte vornehmen:

 

bis Beginn 16. Jahrhundert:            Ketzerverfolgung, Gründung der hl. Inquisition,

 

                                                     Entdeckung der Hexensekte, Entwicklung der

 

                                                     Hexendoktrin, Hexenverfolgungen

 

Beginn bis Mitte 16. Jahrhundert:    Rückgang der Verfolgungen, Reformation

 

Mitte 16. Jahrhundert bis

 

Ende 17. Jahrhundert:                    Hauptzeit der Hexenverfolgungen in

 

Deutschland, der eigentliche Wahn

 

seit Anfang 18. Jahrhundert:           die Hexenverfolgungen kommen langsam zum

 

                                                     Erliegen

 

Der Begriff Hexerey wurde das erste Mal Anfang des 13. Jahrhunderts[17] benutzt. Von da an hatte die Gefahr einen Namen und wurde erbarmungslos bekämpft. Im europäischen Durchschnitt waren ca. 75-80% der Verfolgten weiblich, was der vorherrschenden Misogynie entsprach.  Auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands kam es bei einer ungefähren Einwohnerzahl von 16 Millionen Menschen zu ca. 25.000 Hinrichtungen. Doppelt bis dreimal so groß könnte die Zahl derer gewesen sein, deren Prozesse mit anderen Urteilen oder Freispruch endeten.[18] Die auch heute noch oft genannte Zahl von „neun Millionen Hexen“, die immer wieder in feministischer und esoterischer Literatur auftaucht, sollte nicht mehr verwendet werden. Sie basiert auf einer methodologisch fehlerhaften Hochrechnung des Quendlinburger Stadtsyndikus G. C. Voigt (1740-1791). 1869 wurde diese Angabe von einem Wiener Professor unbesehen übernommen und später durch das Nazi-Regime propagiert.[19]

 

Ein Irrtum[20] ist auch darin zu sehen, wenn die Entstehung des Hexenwahns in den ländlichen Gebirgsraum[21] und die Wurzeln des Hexenglaubens in alten Fruchtbarkeitskulten angesiedelt werden. Der Glaube und die Theorie, daß die Hexen die Agenten Satans auf Erden seien, um den Menschen zu schaden, ist an die städtische Lebensweise geknüpft. Ähnlich, wie erst die Reformation an die Stadt gebunden war; ähnlich, wie sich auch die Ketzerbewegungen in den Städten entwickelten, so entstand dort auch das Hexenstereotyp des Hexenwahns. In die Alpen und in die ländlichen Gebiete gelangte der Hexenwahn erst, als sich Ketzergruppierungen dorthin zurückzogen und die Inquisitoren ihnen folgten. Die dämonologischen Hexenvorstellungen und die Hexenverfolgungen begannen in den Städten und in den fortschrittlichsten Gebieten Europas. Traditionelle Vorstellungen von Feen, Zauberinnen und andere magisch-heidnische Deutungen flossen mit in das dämonologische kirchliche Hexenmuster ein und wurden nach und nach zu einem „durchrationalisierten Interpretationssystem“ ausgebaut.[22] Die den Hexenwahn stützende Theorie fand ihre klassische Ausprägung gegen Ende des 15. Jahrhunderts und wurde in dieser Form von den weltlichen Obrigkeiten, Gelehrten und den Reformatoren übernommen.[23] In der Realität aber gab es weder einen Hexenkult, „der sich aus einem Fruchtbarkeitskult entwickelt hätte, noch waren die verurteilten Frauen weise, pflanzenkundige oder rauschgiftverarbeitende Frauen“.[24]

 

Auch die wütende Verfolgung durch die Kirche ist ein Mythos, wie sich herausstellen wird. Sie schuf zwar die Hexendoktrin und prägte durch die Praktiken der Inquisition entscheidend die weltliche Gesetzgebung, aber das eigentliche Verfolgungsbegehren, manchmal sogar wütendes Verfolgungsverlangen, kam in Deutschland, angeheizt durch Prediger, Gerüchte und Berichte, aus dem Volk.[25] Die Beschuldigungen kamen meist aus dem engeren „sozialen Umfeld der Beklagten und lauteten bezeichnenderweise auf ‚Zauberei‘, nicht ‚Hexerei‘.“[26] Diese Anklagen lassen sich auf die Praxis im traditionellen, volkstümlichen Zauberglauben zurück führen.

 

Zu eher kollektiven Verfolgungen kam es , wenn der Verdacht bestand, daß mehrere Hexen zusammengearbeitet hatten. Im Falle eines Wetterzaubers ging man fast zwingend davon aus, denn man „wußte“, eine Hexe alleine konnte diesen Zauber nicht für ein größeres Gebiet bewirken. Zu den Massenverfolgungen trug aber hauptsächlich die Vorstellung des Hexensabbats bei, die über den Einsatz der Folter zu den Besagungen führte, wodurch immer mehr Menschen von einer Verfolgung betroffen wurden.

 

Die Verfolgungen endeten in der Regel, wenn äußere Einflüsse wie z.B. Kriege überhand nahmen, sich die Größe eines Territoriums oder die Obrigkeit änderten, sich die Wirtschaft oder die allgemeine Wetterlage stabilisierte oder eine betroffene Familie wegzog.

 

Auf jeden Fall sind nicht nur die Aufklärer für das Verfolgungsende verantwortlich zu machen. Sie griffen in ihren Schriften lediglich das Denken und Handeln ihrer Zeitgenossen auf und faßten in Worte, was diese nicht bewältigen konnten. „Aber sie waren nicht die Urheber des Denktypus, der in ihrer Gesellschaft vorherrschte. Sie waren nicht der Schöpfer dessen, was wir ‚rationales Denken‘ nennen.“[27] An der Beendigung der Hexenverfolgungen ist paradoxerweise wiederum die ganze Gesellschaft beteiligt.

 

Ich habe in dieser Arbeit versucht herauszufinden, welche gesellschaftlichen Kräfte an den  Hexenverfolgungen beteiligt waren und wie sie zusammenwirkten. Den Ausgangspunkt hierfür bildet eine Bemerkung von Norbert Elias, der in seinem Buch „Über den Prozeß der Zivilisation“ schreibt:

 

Eine ganz analoge Struktur [der Trieb- und Affektentwicklung[28]] zeigt zum Beispiel der Übergang von der mittelalterlich-katholischen zur protestantischen Über-Ich-Bildung. Auch er zeigt einen entscheidenden Schub in der Richtung einer Verinnerlichung der Ängste. Und nur eines darf man bei alledem nicht übersehen: Daß heute, wie ehemals alle Formen der inneren Ängste eines Erwachsenen mit Ängsten des Kindes in Beziehung zu Anderen, mit Ängsten vor äußeren Mächten zusammenhängen.[29]

 

Im Falle des Hexenwahns dreht es sich nach Elias um einen gesellschaftlichen Prozeß zur Bewältigung von Ängsten vor dem Übernatürlichen: die Angst vor dem Bösen, dem Teufel und seiner Helferin auf Erden, der Hexe.

 

Bei dem Gefühl der Angst, das die Menschen dieser Gesellschaft teilten, handelt es sich um eine „Triebfunktion im Ganzen eines Organismus“[30]. Am Beispiel des Umgangs mit der Hexe läßt sich darstellen, wie gesellschaftliche Institutionalisierung[31] und über sie die wachsende Steuerung der Ängste funktionierte; wie die Gesellschaft lernte, mit ihrer Angst umzugehen, das wirklich „Böse“ zu erkennen, es zu akzeptieren und es unter Kontrolle zu halten. Mittels des dämonologischen Hexenstereotyps verständigte sich die frühneuzeitliche Gesellschaft über Regeln und Normen einer christlichen Lebensführung und Gesellschaft. [32] Der Hexe wurden all die Eigenschaften zugeschrieben, die ein im Eliasschen Sinne zivilisierter Mensch weder an sich selbst wahrnehmen, noch in seiner Umgebung haben wollte. Sie, die Auszugrenzende, war ein Werkzeug der Gesellschaft, mit dessen Hilfe exemplarisch gelernt wurde, mit Gefühlen wie Schuld, Angst, Aggression umzugehen. Ihre Metamorphose von der Zauberin über verschiedene Zwischenstufen bis hin zur Märchengestalt zeigt die Wandlung auf, die das Böse in den Augen und im Glauben der Menschen durchgemacht hat. Die Vorstellungen von Hexe, Teufel und übernatürlichen Mächten sank sozusagen in das kollektive Unterbewußtsein der Gesellschaft ab. Wie dieser geschichtliche Wandel im gesellschaftlichen Affekthaushalt im Falle der Hexenverfolgungen vonstatten ging, werde ich auf den folgenden Seiten erläutern.

 

Geschichtlicher Hintergrund

 

Allgemeine Entwicklungen

 

Zu Beginn der frühen Neuzeit fanden gravierende gesellschaftliche Umwälzungen statt. Pest und Hunger bestimmten das Leben vieler. Viele Menschen lebten in Armut, während andere im Luxus schwelgten. Die ländliche Bevölkerung wurde von wirtschaftlichen Schicksalsschlägen besonders getroffen. Die Bauern besaßen das Land, das sie bestellten, nicht. Es gehörte Feudalherren, die die Kontrolle über ihr agrarisches Eigentum ausübten und das Surplus der Bauern mit Hilfe politisch, rechtlich zwangsmäßiger Beziehungen abschöpften.[33] Ökonomische und politische Macht waren in einer Hand, auch die Rechtsprechung war den Feudalherren überlassen. Innerhalb der Klasse der Feudalherren gab es eine verzweigte und z.T. unübersichtliche Hierarchie. Die Rechte des Herrn an seinem Land waren bedingt. Das Land war ihm von höhergestellten Adeligen als Lehen[34] übergeben worden, der es wiederum selbst als Lehen erhalten hatte. An der Spitze dieser  Pyramide stand der jeweilige Monarch.[35] Dieses System hatte zur Folge, daß sich die politische Macht niemals in einem Punkt konzentrierte. „Die Parzellierung der Souveränität war konstitutiv für die gesamte feudale Produktionsweise."[36]

 

Eine Trennung zwischen Legislative, Judikative und Exekutive im Sinne der Gewaltenteilung des modernen Staates gab es nicht. Politische Erneuerung durch das Schaffen neuer Gesetze war unbekannt, traditionelle Gesetze galt es zu bewahren. Die richterliche Funktion bestand darin, bestehende Gesetze zu interpretieren und anzuwenden. Ein permanenter bürokratisierter Staatsapparat war dem Mittelalter fremd. Der adeligen Herrschaft flossen deshalb „örtliche Zwangsgewalt und Administration - Polizei-, Straf-, Zollhoheit und die Macht ihrer Durchsetzung - unausweichlich zu"[37] Die mittelalterliche ‘Justiz’ umfaßte einen sehr viel größeren Wirkungsbereich als die moderne. Sie nahm innerhalb des gesamten politischen Systems eine sehr viel höhere Stellung ein. „Sie war der gewöhnliche Name für Macht."[38]

 

Die feudale Gesellschaft geriet im Spätmittelalter in eine Krise. Die Bevölkerung war von der Jahrtausendwende bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts fast um das 2,5 fache gestiegen.[39] Dies war möglich durch die Einführung agrarischer Neuerungen, durch den Übergang von der Vieh- zur Ackerwirtschaft und durch eine ausgedehnte Innen- und Außenkolonisierung. Hungersnöte im 14. Jahrhundert ließen die Bevölkerungsentwicklung stagnieren. Die Pest um 1350 führte dann eine „demographische Katastrophe"[40] herbei. Die Bevölkerung wurde durch mehrere Seuchenzüge durchschnittlich um 40 Prozent, lokal sogar um bis zu 70 Prozent reduziert.. Bis Mitte des 15. Jahrhunderts blieben die Bevölkerungszahlen niedrig.[41] Die Nachfrage nach Getreide ging zurück, diese bleibt „im 15. Jh. so niedrig, daß eine starke Verschuldung der Bauern zu beobachten ist, die Landflucht und die Verödung ausgedehnter Gebiete auslöste."[42]

 

Während der Zeit des Hexenwahns, also im ausgehenden Mittelalter und in der frühen Neuzeit, lebten mehr als 90% der Menschen auf dem Land.[43] In den ackerbürgerlichen Gemeinden vollzogen sich seit dem 16. Jahrhundert gravierende Veränderungen im gesellschaftlichen Aufbau. Es bildete sich langsam eine unterbäuerliche Schicht, der Grundbesitz und Vermögen fehlte und die auch keine der üblichen Nutzungsrechte am Gemeindeeigentum besaß wie die Voll- und Kleinbauern. Allerdings wurde immer wieder versucht, sie zu den gleichen Pflichten heranzuziehen, wie sie auch von den anderen Dorfbewohnern erfüllt wurden, und dies sorgte für Unruhe innerhalb der Gemeinden. Die Bauern der unteren Schicht mußten sich, um zu überleben, als Tagelöhner, Wanderarbeiter oder Landhandwerker verdingen.[44] Dieser Prozeß lief in den einzelnen Regionen unterschiedlich ab „doch wuchs überall diese unterbäuerliche Schicht in der Frühneuzeit stark an. In Ravensburg hatten sich ihre Mitglieder zwischen 1550 und 1672 von 500 auf 5000 verzehnfacht.“[45] Das starke Anwachsen dieser Unterschicht ist auf das starke Bevölkerungswachstum zurückzuführen, das nach den großen Verlusten im Spätmittelalter Anfang des 16. Jahrhunderts einsetzte.[46]

 

Der Anteil der Kleinstädte an der Stadtlandschaft wird auf 90 bis 95% geschätzt.[47] In der frühen Neuzeit kam es zwar zu Veränderungen, aber auch jetzt war die Kleinstadt noch immer die typische Stadt schlechthin.[48] Seit dem Beginn der Neuzeit erlebten die Städte einen wirtschaftlichen Aufschwung. Preiswerk siegte über Lohnwerk, d.h. es wurden nicht nur Waren nach Auftrag, sondern auch Waren für den Markt hergestellt. Durch Spezialisierung steigerte sich das Volumen und die Qualität der Waren. Der Handel wurde zum Welthandel. Einzelkaufmänner (Fugger) sowie Kaufmannsgesellschaften (vorwiegend in Süddeutschland) spezialisierten sich auf bestimmte Warengattungen. Es entstanden Frühformen des Kapitalismus: die Kapitalgesellschaft erwuchs aus Personengesellschaften von Kaufleuten, die sich für bestimmte Unternehmungen zusammenschlossen. Im Bergbau wichen die „Gewerkschaften" den Kapitalgesellschaften. Das Geld- und Kapitalwesen entwickelte sich gegen das kirchliche „Zinsverbot".[49]

 

Da Naturalzahlungen in fixierte Geldzahlungen umgewandelt waren und außerdem die Knappheit an Metallen zu wiederholten Geldverschlechterungen und damit zu Inflationen führte, kam es zum "Niedergang des Bauerntums".[50]  Die Adligen, die ebenfalls von den Kornpreisen abhängig waren, wurden hart getroffen. Ihre „Lebensform war von den Luxusgütern, die in den Städten hergestellt wurden, immer abhängiger geworden, (das 14. Jahrhundert sollte den Höhepunkt feudaler Zurschaustellung erleben, mit burgundischen Hofmoden, die sich in ganz Europa verbreiteten), während die Bewirtschaftung des Sallandes und die Fronabgaben von ihren Gütern immer geringere Einkommen erbrachten."[51]

 

Seit dem 12. und 13. Jahrhundert setzte die Landflucht ein. Blieb ein Leibeigener ein Jahr und einen Tag in einer Stadt, war er frei. „Stadtluft macht frei“ war ein bekannter Ausspruch aus dieser Zeit, denn mit der Ansiedlung in einer Stadt konnte man sich den immer maßloser werdenden Ansprüchen der Grundherren entziehen. Durch die sog. „Bauernknappheit" mußten die Grundherren häufig ihre Ansprüche gegenüber den Bauern reduzieren. Teilweise wurde aber auch eine Steigerung der Abgaben erreicht und so die Auswirkungen der Krise auf die Bauern abgewälzt[52]().[53] Zwischen 1550 und 1650 kam es zu einer großen Anzahl von Aufständen und Revolten, um das Joch der Leibeigenschaft abzuschütteln oder zu mildern.[54]

 

Auch die Kirche, die der größte Grundbesitzer des Mittelalters war, wurde durch die Landflucht der Bauern und den Machtzuwachs der Städte bedroht; ihre wirtschaftliche Position war gefährdet. Ebenso wurde auch ihre Vormachtstellung „als kulturverwaltende und heilsvermittelnde Institution“ durch die allmähliche Rationalisierung der Gesellschaft und durch das alltägliche Handeln der Bürger in Frage gestellt.[55]

 

Seit dem 14. Jahrhundert – Seuchen, Hungersnöte, Aufstände, der türkische Vormarsch, das große Schisma hatten sich damals in ihrer traumatischen Wirkung ergänzt – fühlt sich eine Kultur, die sich ‚Christenheit‘ nennt, bedroht. Diese Angst erreicht ihren Höhepunkt in dem Moment, als die Reformation einen anscheinend nicht wiedergutzumachenden Bruch in der Kirche hervorruft. Die Machthaber in Kirche und Staat sehen sich mehr als je zuvor der dringenden Notwendigkeit gegenüber, den Feind beim Namen zu nennen. Es ist natürlich Satan, der wütend seine letzte große Schlacht vor dem Ende der Welt führt.[56]

 

Satan machte angeblich von allen verfügbaren Mitteln Gebrauch und stiftete unter anderem mit Hilfe der „Hexen“ Unordnung im täglichen Leben der Menschen. Die „Hexen“ kamen aus den eigenen Reihen, „deshalb muß[te] man drinnen noch wachsamer sein als außen“.[57]

 

Es existierte im Feudalismus stets ein Widerspruch zwischen der Notwendigkeit eines zentralen Machtzentrums und der tendenziellen Ablehnung dieser Zentralmacht durch die einzelnen Feudalherren. Der Widerstand der Bauern gegenüber stärkerer Belastung, die zunehmende Stärke der Städte, die Streitereien des Adels untereinander trieben das System auseinander.

 

„Die Konsequenz dieser Situation war eine Verlagerung der politisch-legalen Zwangsherrschaft in Richtung auf eine zentralisierte, militarisierte, alle Autorität okkupierende Organisationseinheit - den absolutistischen Staat.(...) [58] Dieser neue Staatsapparat war mächtig genug, um Individuen oder Gruppen innerhalb des Adels zu vernichten oder zu disziplinieren."[59]

 

Für den Westen Deutschlands galt dies nach Anderson nicht: Dort waren die sozialen Gegebenheiten für die Einrichtung eines größeren Fürstenstaates denkbar ungünstig. In der ganzen Region entstand „niemals eine Territorialmonarchie von irgendwie erwähnenswerter Bedeutung."[60] Und weiter: „Das historische Terrain Westdeutschland war für das Entstehen eines starken Absolutismus ungeeignet."[61] In Bayern, Sachsen und Preußen sieht Anderson die Territorialstaaten, „welche die reale Möglichkeit für die Gründung einer endgültig dominierenden Hegemonialmacht innerhalb des Reiches aufzeigten."[62] Kam es im Westen Deutschlands also noch nicht zur Entstehung eines absolutistischen Staates wie in Frankreich oder Spanien, so war aber die Tendenz zur Zentralisierung und Territorialisierung auch in Westdeutschland bestimmend für die politische Geschichte der frühen Neuzeit.

 

Die für das 16. Jahrhundert typische Tendenz zur Intensivierung wie zur Ausweitung der öffentlichen Gewalt trat in der territorialen Verfassungsgeschichte besonders deutlich zutage. Träger und Nutznießer dieser Entwicklung waren durchweg die fürstlichen Landesherren, und zwar zumeist in offenem oder latentem Konflikt mit den Ständen ihres Landes, die das Anwachsen staatlicher Macht in den Händen des Fürsten im Interesse ihrer herkömmlichen eigenen und eigenständigen Rechtsgewalt im Lande zu retardieren suchten.[63]

 

Die ökonomische und politische Macht der Städte hatte einen Höhepunkt erreicht. Aber auch sie mußten sich in Zukunft der zunehmenden Einflußnahme der Landeshoheiten beugen. An der Schwelle zur Neuzeit stellte die Territorialisierung und Staatenbildung eine wesentliche Erscheinungsform der politischen Entwicklung dar. Dies alles geschah auf dem Boden einer feudalistisch geprägten Ökonomie, in der sich nun zunehmend frühkapitalistische Wirtschaftsformen entwickelten.[64] Waren die wirtschaftlichen und politischen Veränderungen am Übergang zur Neuzeit schon enorm und für die Gesellschaft belastend, so sprengten die wissenschaftlichen Entwicklungen und Errungenschaften dieser Zeit alles bisher Dagewesene. Das Wissensmonopol des Klerus löste sich langsam auf, die Bildungsexpansion führte zur Gründung eines Schulsystems außerhalb der Klöster. Immer mehr Menschen lernten Lesen und Schreiben.[65] Gefördert wurde diese Entwicklung durch die Erfindung des Buchdrucks im Jahre 1455[66], wodurch Wissen nicht mehr nur einer Elite zugänglich war, sondern allen (auch wenn ein Buch immer noch eine wahre Kostbarkeit darstellte).

 

Ihren expliziten Ausdruck fand die Bildungsrevolution in der Begründung der modernen Wissenschaften. Das alte kosmologisch-religiöse Weltbild, beruhend auf Astrologie, Magie,

 

Alchemie und den Geheimwissenschaften, wurde revolutioniert durch die objektiven, expe rimentellen, auf Erfahrung beruhenden Wissenschaften. Die wichtigsten Vertreter der neuen Wissenschaften waren Galileo Galilei, Kopernikus, Johannes Kepler, William Gilbert, der Entdecker des Magnetismus, William Harvey, der Entdecker des Blutkreislaufes, Giordano Bruno, Francis Bacon und René Descartes.[67]

 

Wie die Expansion des gesellschaftlichen Wissens war auch die Reformation ein einschneidendes Ereignis. Seit dem Schisma[68] der katholischen Kirche im 14. Jahrhundert mehrte sich die Kritik am Papsttum, auch die Streitigkeiten um die kirchlichen Güter trugen nicht dazu bei, das Vertrauen der Gläubigen in die Kirche zu stärken. Die Einnahmen beider Päpste sanken, und jeder versuchte, durch den Verkauf von Ablaßurkunden und Steuererhöhungen die Verluste auszugleichen. Auch „die fortschreitende Auflösung der Ständegesellschaft, die den Menschen bislang einen geordneten, final ausgerichteten Lebenszusammenhang garantiert hatte, in der sich die Gesellschaft aus dem Naturgesetz und das Naturgesetz aus der politischen Ordnung hergeleitet hatte, führte zur Freisetzung des Individuums in eine Welt, die zunehmend sinnlos und verderbt erscheinen mußte.“[69]

 

Aus der Kritik an der bestehenden Praxis heraus entstanden laienreligiöse Bewegungen und Sekten. Viele Gläubige begannen sich von der Kirche zu emanzipieren, und als Reaktion darauf entwickelte die Kirche die Institution der Inquisition. Anfang des 16. Jahrhunderts kam es dann zur Reformation, und die Kirche spaltete sich in verschiedene Konfessionen. Die katholische Kirche gewann erst mit der Gegenreformation wieder an Einfluß. Mitte des 17. Jahrhunderts lagen die neuen europäischen Konfessionsgrenzen schließlich fest.[70] Viele Menschen setzten sich unter dem Einfluß der konfessionellen Auseinandersetzungen mit kirchlicher Lehre auseinander. Bei beiden Kirchen rückte das soziale Leben der Kirchenmitglieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Jede Konfession war um ihre Anhänger bemüht. Das alltägliche Leben folgte zunehmend christlichen Normen und Regeln. Es wurde zur Pflicht regelmäßig den Gottesdienst zu besuchen und die Kirche fing an sich der Problematik der Kinderaufzucht zuzuwenden. Die kirchliche Trauung, die Registrierung von Geburt, Hochzeit und Tod wurde für alle verpflichtend. Die neue Moral vollzog eine rigide Trennung zwischen Erlaubten und Unerlaubten. Sexualität wurde streng reglementiert. die Folge des starken Interesses der Kirche an ihren Mitgliedern war eine Individualisierung der Religion.[71] „Die protestantische Bewegung suchte das Heil durch moralisches Handeln zu erlangen. Sie führten häusliche Gebete ein, und die Lektüre protestantischer Schriften wurde angeregt. Die katholische Kirche versprach das Heil nach wie vor durch die kirchlichen Heilswerke.“[72]

 

In dieser Zeit gab es keinen religionsfreien Raum, religiöses Denken und Handeln war eine öffentliche Angelegenheit. Kaum ein Mensch konnte über seine Konfessionszugehörigkeit frei entscheiden. Es herrschte „ein Konfessionalismus mit strengen Normen und strenger Unterordnung“[73], in dem sich alle gegenseitig in ihren Glaubensäußerungen kontrollierten. Die Kirche stellte neben der religiösen auch eine bedeutende sozialpolitische Macht dar, vor allem „mit der Etablierung der beiden Großkirchen wurde die Verbindung von Staat und Kirche eher noch verstärkt“.[74] Das mittelalterliche Bewußtsein war in erster Linie ein religiöses Bewußtsein. Soziale Widersprüche wurden in der Regel über religiöse Inhalte ausgetragen und es existierte die Tendenz anzunehmen, daß die Angehörigen der unteren Bevölkerungsschichten zur Ketzerei neigten: Die Volksreligiösität brachte man schnell mit Ketzerei in Verbindung.[75]

 

Frauen in der frühen Neuzeit

 

Alleinstehende Frauen wurden als eines der größten Sozialprobleme des ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit angesehen.[76] Etwa 40% aller Frauen waren in der frühen Neuzeit unverheiratet.[77]

 

Im Mittelalter herrschte Männermangel. Eine Volkszählung ergab in Frankfurt im 14. Jahrhundert ein Verhältnis von 1000 männlichen Bürgern zu 1100 weiblichen; in Nürnberg (im 15.Jahrhundert ) wurden Knechte und Mägde mitgezählt, was das Mißverhältnis erhöhte: auf 1000 Männer kamen 1207 Frauen. Die Zahl der Männer dezimierte sich im Gefolge der Kreuzzüge, durch die langen und beschwerlichen Handelsreisen, die blutigen Bürgerzwiste und Fehden. Hinzu kam eine offensichtlich größere Resistenz der Frauen gegen Krankheiten und eine, wie Bücher schreibt, hohe Männersterblichkeit‚durch die Unmäßigkeit der Männer in jeder Art von Genuß.[78]

 

Zölibat und das Verbot der Gesellenheirat trugen ein übriges dazu bei, daß viele Frauen allein blieben.[79] Im 12. Jahrhundert wurden Frauen innerhalb der höfischen Kultur durch die aufblühende Tradition des Minnesangs verehrt und bewundert. Innerhalb der zünftischen Gesellschaft waren sie in ihrem beruflichen Werdegang durch Gesetze und Vorschriften oft gleichberechtigt. Man schätzte die Frauen jedoch gleichzeitig als Gefahrenherd ein. Das Frauen gegen den Willen der Ordensbrüder eigene Nonnenklöster gründeten, das sie sich vermehrt den Wanderprediger- und Sektenbewegungen der Waldenser, Humiliaten, Katharer oder den „katholischen Armen“ anschlossen, und das sie spezielle Zünfte in den Städten beherrschten[80], galt als Beweis für die Rechtmäßigkeit dieses Argwohns.

 

Den adeligen Frauen und den Bürgerinnen bot das Klosterleben eine Alternative zur Eheschließung. Die Anzahl der Frauenklöster stieg dementsprechend seit dem 11. Jahrhundert stetig an.[81] Auch laienreligiöse Bewegungen wie die der Beginen boten scheinbar eine Alternative. 1216 genoß ihre Glaubensgemeinschaft noch die Anerkennung des Papstes,

 

aber im Rahmen der Ketzerinquisition verfolgte man auch sie . 1311 wurden die Beginen durch den Papst offiziell der Ketzerei beschuldigt.[82]

 

Im Rahmen der Reformation wurden in protestantischen Gebieten die vorhandenen Klöster aufgelöst. Frauen verloren in diesen Gebieten eine wichtige Möglichkeit, ihr Leben weitestgehend unabhängig zu gestalten. 1348 kam es in Europa zu großen Pestepidemien und viele Menschen zogen heimatlos durch die Lande. Auch entlaufene leibeigene Bauern und viele Frauen trugen zur Vergrößerung dieser Bettlerheere bei. Sie hatten durch Naturkatastrophen ihre Existenzgrundlage verloren, oder sie flüchteten vor den unmäßigen Forderungen ihrer Landesherren bzw. vor den blutrünstigen Kämpfen der Herren untereinander, die ohne Rücksichten auf ihre Untertanen die Felder verwüsteten und das Vieh abschlachteten. Die Städte, die von diesen Bettlerheeren heimgesucht wurden, konnten dieses Problem nicht bewältigen.[83] Horden von armen Frauen „trieben sich auf den Landstraßen als Gauklerinnen, Sängerinnen, Spielerinnen, in Gesellschaft von fahrenden Schülern und Klerikern umher und überschwemmten die Messen und Märkte“.[84]

 

In der Regel hatten Frauen aller Schichten vom 13. bis zum 15. Jahrhundert relativ gute soziale Bedingungen. Die handwerkliche Produktion dehnte sich aus. Frauen hatten zwar keine politischen Rechte, aber sie konnten selbständig Geschäfte führen und Bürgerrechte erwerben. Im 16. Jahrhundert kam es zu gravierenden Veränderungen ihrer Situation als Folge einer schweren Wirtschaftskrise. Die politische Unmündigkeit der Frauen führte dazu, daß sie nach und nach aus den Zünften ausgeschlossen wurden.[85] Männer verdrängten die Frauen nun auf Hilfsposten und übernahmen auch bisher typisch weibliche Arbeitsgebiete. Frauen wurden von Männern verstärkt als Konkurrenz empfunden.[86]

 

Das Verlagssystem entwickelte sich und kleine Meisterbetriebe wurden zunehmend abhängig vom Verleger. Ähnlich erging es den Frauen auf dem Land, die durch Heimarbeit ihren Lebensunterhalt verdienten oder aufbesserten.  Mitte des 16. Jahrhunderts entstanden Manufakturbetriebe, die zwar Arbeitsmöglichkeiten für Frauen boten, aber eine sehr hohe körperliche Belastung darstellten, so daß nur junge Frauen diese Arbeitsbedingungen aushalten konnten. Ältere Frauen waren nun in einem hohen Maß auf ein Einkommen durch Betteln oder durch andere Unterstützung angewiesen. Gleichzeitig kam es zu einer Verelendung großer Teile der Bevölkerung, ausgelöst durch die wirtschaftliche Krise.[87] „Von der ökonomischen, sozialen und demographischen Krise des 16. Jahrhunderts und von der Stagnation der Landwirtschaft wurden die Frauen am stärksten getroffen. Abermals zogen sie in Scharen über die Straßen und durch die Wälder, füllten Gefängnisse, Armen- und Irrenhäuser.“[88] Das alte System der Nachbarschaftshilfe brach zusammen.[89]

 

Ab Mitte des 16. Jahrhunderts versuchte man, das Räubertum und die Bettelei einzuschränken. Es kam zu gezielten Verfolgungen mit harten Strafen. Im 17. Jahrhundert dann wurden die Armen schließlich in Armenhäuser gebracht, um dort Arbeitsdienste zu verrichten. Diese Veränderung betraf eine große Anzahl von Frauen und Kindern.[90]

 

Mit der Entstehung großer Manufakturen mußten Trödlerinnen und Soldatenweiber, Zuchthäuslerinnen, Irre und ‚Hexen‘ für die Unternehmer spinnen und Seide haspeln. Der Anteil der Frauen und Kinder in den Manufakturen, mehr oder weniger reine Zwangsanstalten, wuchs beständig. So erlebte die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts die Geburt eines weiblichen Subproletariats, das rigide der männlichen Vorherrschaft unterworfen wurde.“[91]

 

„1620 werden in Hamburg, 1667 in Basel, 1668 in Breslau, 1684 in Frankfurt und Spandau und 1691 in Königsberg Zuchthäuser für Arbeitslose eröffnet.“ [92] Im Laufe des 18. Jahrhunderts stieg ihre Zahl in Nordeuropa stark an.

 

Die bürgerliche Frau verschwand parallel dazu im ehelichen Heim. Sie mußte jetzt dem Ideal der beschützenden, ordnenden und nährenden Mutter entsprechen. Mutterschaft wurde zu ihrem Beruf und zu ihrer einzigen Bestimmung. Ihr Gegenbild war nicht das der Hexe, sondern das der Mägde, Huren und Arbeiterinnen, also Frauen, die selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen mußten.[93] Die tradierten Geschlechtsrollen erfuhren in diesem Prozeß eine juristische Neudefinition: Nun galt endgültig „die Dominanz des allein vernunftbegabten Mannes über die Frau als vorgebliches Naturwesen als die Grundlage jeder Staatsordnung.“[94]

 

Alter und Armut

 

In der frühen Neuzeit lag zwar die durchschnittliche Lebenserwartung eines Menschen bei ca. dreißig Jahren, aber man darf deshalb nicht dem Irrtum erliegen, es hätte keine oder nur sehr wenige alte Menschen gegeben. Das niedrige Durchschnittsalter ergab sich durch die hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit und aus dem hohen Anteil von Kindern und Jugendlichen in der Gesamtbevölkerung.[95]

 

Wenn auch beide Geschlechter in dieser Zeit ein hohes Alter erreichen konnten, so wurden doch Frauen in dieser Gesellschaft mit dem Beginn der Wechseljahre, spätestens im Alter von 50 Jahren, als alt angesehen.[96] Männer hingegen standen aus gesellschaftlicher Sicht in diesem Alter in der Blüte ihres Lebens und konnten erst jetzt ihren vollen sozialen Status erreichen. Die Ehefrau nahm zwar an diesem Statusgewinn teil und konnte diesen auch durch Verwitwung und Wiederheirat an einen sozial weniger privilegierten Mann weiter vermitteln, aber aus eigener Kraft war eine höhere gesellschaftliche Position normalerweise für sie nicht zu erreichen. Der Status,

 

den sie von Geburt an besaß, prägte ihr ganzes Leben und war nur durch Heirat zu ändern.[97] Für ledige und arme Frauen bestand die beste Altersversorgung darin, möglichst lange arbeiten zu können, um nicht auf Almosen von fremden Personen angewiesen zu sein.[98]

 

Der Anteil der verwitweten Frauen war Anfang 1600 relativ hoch. Für das Saarland nennt Labouvie folgende Zahlen: Zu Beginn des 17. Jahrhunderts lag der Anteil der Witwen in der weiblichen Gesamtbevölkerung von 32 untersuchten saarländischen Dörfern des Herzogtums Zweibrücken bei 3,5-7,5% und stieg in den Kriegsjahren ab 1628 auf 10-20%.[99]

 

Auch Kinderreichtum stellte keine Altersversicherung dar. Aus Leichenpredigten und Kirchenbüchern läßt sich ersehen, daß nicht selten Eltern ihre eigenen Kinder überlebten und somit im Alter allein standen. Nur etwa die Hälfte der lebend geborenen Kinder erreichte das 15. Lebensjahr.[100] Waren erwachsene Kinder vorhanden, zogen die Eltern in der Regel erst nach dem Tod des Ehepartners zu ihnen, „denn sie rechneten nicht unbedingt mit einem harmonischen Zusammenleben“.[101]

 

Der größte Teil der alten Menschen wurde durch ihre jeweilige Gemeinde versorgt. In den ländlichen Gebieten erhielten die Armen der Reihe nach bei den Gemeindemitgliedern ihre Mahlzeiten. Sofern ein öffentliches Armenhaus existierte, wies man sie auch in ein solches ein, oder sie wurden aus der städtischen Armenkasse versorgt. In den katholischen Gebieten beteiligten sich auch die Klöster an der Armenspeisung.[102] Teilweise wurden in den protestantischen Pfarrgemeinden auch Almosenstöcke und Armenfonds eingerichtet, die aus kirchlichen Bußgeldern und Spenden unterhalten wurden.[103] „Sie gestalteten die vormals persönliche Armen- und Bedürftigenunterstützung des einzelnen Dorfmitgliedes zur anonymen, institutionalisierten Zuteilung von Hilfsgeldern um.“[104] Diese Praxis nahm in der frühen Neuzeit immer mehr zu und löste die alte Form der Nachbarschaftshilfe ab. Die Gemeinden achteten auch darauf, daß ihre Armenunterstützung nicht unrechtmäßig in Anspruch genommen wurde. Einheimische Bettler wurden unterstützt, fremde wurden ausgewiesen. Verließen sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist die Gemeinde, konnten sie eingekerkert werden.[105] Teilweise kam es auch zu härteren Strafen. Seit Mitte des 17. Jahrhunderts setzte sich gerade in protestantischen Gemeinden eine Institutionalisierung der Armen- und Bettlerversorgung durch und „brachte damit den Ortschaften selbst eine bedeutende ökonomische und emotionale Erleichterung auf diesem Gebiet“.[106]

 

Mentalität der frühneuzeitlichen Menschen

 

„Im 16. Jahrhundert war das gesellschaftliche Klima allgemein durch einen direkten und derben Grobianismus gekennzeichnet."[107] Diese Eigenschaft galt als spezifisch „teutsch" und bezog sich nicht nur auf Eß- und Trinksitten „sondern allgemein auf eine ungenierte Einstellung zum menschlichen Körper, auf männliches Potenzgehabe wie auf ungezügelte weibliche Sexualgier. Den Deutschen attestierte man nicht bloß unverhüllte Freude an Verdauungs- und Ausscheidungsvorgängen, eine verdächtige Vorliebe für skatologische Scherze und anale Anspielungen, sondern stets auch besonders grobe und ungeschliffene Umgangsformen, die jede Feinheit vermissen ließen."[108] Die Menschen dieser Zeit hatten ein „Doppelgesicht“[109]. Spaß und Ernst lagen eng beieinander. Auch gehörten Rauben, Plündern und Morden zur Lebensumwelt und zum Verhaltensstandard der Menschen. Grausamkeiten gegen andere Menschen wurden als verhältnismäßig normal empfunden. Solche Verhaltensweisen waren nicht verfemt, und gewalttätige und rohe Personen wurden nicht vom gesellschaftlichen Umgang ausgeschlossen. Der Aufbau der Gesellschaft ließ es oft sogar als zweckmäßig erscheinen, sich auf diese Art anderen gegenüber zu verhalten.[110] In allen Bevölkerungsschichten in der Stadt und auf dem Land gab es Blutrache und Privatfehden. Es kam zu regelrechten Kriegen zwischen einzelnen Familien oder Gruppen. Das Messer war immer schnell zur Hand.[111]

 

Vieles von dem, was uns als Gegensatz erscheint, die Intensität ihrer Frömmigkeit, die Gewalt ihrer Höllenangst, ihrer Schuldgefühle, ihrer Buße, die immensen Ausbrüche von Freude und Lustigkeit, das plötzliche Aufflackern und die unbezähmbare Kraft ihres Hasses und ihrer Angriffslust, alles das, ebenso wie der relativ rasche Umschlag von einer Stimmung zur anderen, sind in Wahrheit Symptome ein und derselben Gestaltung des emotionalen Lebens. Die Triebe, die Emotionen spielen ungebundener, unvermittelter, unverhüllter als später.[112]

 

Deutschland war im Übergang zur frühen Neuzeit in Provinzen zerfallen und jede bildete gewissermaßen eine kleine Nation für sich, deren Einwohner alle anderen verabscheuten. Es gab eine gleichbleibende Rivalität zwischen Stadt und Stadt, zwischen Dorf und Dorf, zwischen Tal und Tal und beständige Kriege zwischen den Nachbarn, die aus der Vielfältigkeit dieser territorialen Einheiten selbst hervorzuwachsen schienen. Deutschland blieb, länger als seine Nachbarn, ein relativ armes Land mit einem niedrigen Lebensstandard und durchlebte eine auffallend lange Phase des Absolutismus. Die unterschiedlichen Regeln und Normen von Bürger- und Adelskreisen bestanden lange Zeit ohne Berührungspunkte nebeneinander. Der Adel hatte das Steuermonopol und Schlüsselstellungen in der Polizei- und Heeresverwaltung inne. Dem Bürgertum prägte sich die Gewöhnung an eine starke, äußere Staatsautorität dadurch tief ein. [113] Der

 

Aufbau des Gewaltmonopols aber nötigte die einzelnen Menschen nicht in der gleichen Art zu einer Kontrolle durch sich selbst, wie etwa der englische; er zwang die

 

Individuen nicht zur selbständigen und halb automatischen Eingliederung in ein lebenslängliches ‚team-work‘, sondern er gewöhnte die Einzelnen von klein auf in höherem Maße an eine Unterordnung unter andere, an den Befehl von außen. (...) So blieb die Triebregulierung des Einzelnen hier in besonders hohem Maße auf das Vorhandensein einer starken, äußeren Staatsgewalt abgestimmt. Das Affektgleichgewicht, die Selbstbeherrschung des Individuums kam in Gefahr, wenn diese fehlte; es bildete sich von Generation zu Generation immer von neuem in den bürgerlichen Massen ein Über-Ich heraus, das darauf abgestellt war, die spezifische Langsicht, die die Herrschaft und Organisation der ganzen Gesellschaft erforderte, einem abgesonderten und sozial höher rangierenden Kreise zu überlassen.[114]

 

Es gab keine Zentralgewalt, die mächtig genug war, um die Menschen zur Zurückhaltung zu zwingen. Wenn in einem Gebiet die Macht einer Zentralgewalt entstand, wenn über ein gewisses Gebiet hin die Menschen gezwungen wurden, friedlich miteinander zu leben, dann änderte sich auch nach und nach die Affektmodellierung und der Standard des gesellschaftlichen Umgangs miteinander.[115]

 

Im ausgehenden Mittelalter und in der frühen Neuzeit setzte ein „Prozeß der Zivilisierung"[116] ein. Zunehmend wurden Anstands- und Umgangsschriften veröffentlicht, die verdeutlichen sollten wie sich ein zivilisierter Mensch idealerweise zu verhalten hatte. Elias hat im Spiegel einiger dieser Schriften aus dem 16. und 17. Jahrhundert das Vorrücken der Scham- und Peinlichkeitsschwelle beim Essen, Trinken, Schneuzen, Spucken und im Umgang mit Nacktheit und Sexualität aufgezeigt. Seine Analyse, die auf die allmähliche Zurücknahme spontaner, unkontrollierter Gefühle und Aktionen zugunsten einer wachsenden Selbstkontrolle hinweist, beschreibt in den Grundzügen wesentliche Momente dieser Wandlung. Es kam zu einer Differenzierung und Internalisierung der Affektkontrolle, Verhöflichung der Umgangsformen, zu einem rigoroser Selbstzwang, Rationalisierung und Pazifierung des gesellschaftlichen Umgangs.[117] In diesen Rahmen läßt sich auch der geschichtliche Ablauf der Hexenverfolgungen und die Zeit des Hexenwahns einfügen.

 

Behringer führt das rigide Vorgehen gegen die „Hexen“ auf einen „konfessionsübergreifenden dramatischen Mentalitätswandel“[118] zurück, der, ausgelöst durch die Verschärfung der Lebensbedingungen, seit Mitte des 16.Jahrhundert stattfand. Die Menschen, vor allem die Oberschichten, waren nicht mehr sinnenfroh und lebenslustig wie in der Zeit der Renaissance. Die pessimistische Grundeinstellung und die Verhärtung der gesellschaftlichen Strukturen wurden noch verfestigt durch konfessionelle Prediger, die gerade den Oberschichten ein gesteigertes Sündenbewußtsein einredeten und außergewöhnliche Geschehnisse als Zeichen von Gottes Zorn auslegten.[119]

 

Dies war der Nährboden für die umfassenden Programme der Sozialdisziplinierung, aber auch für mystische und apokalyptische Visionen einer Oberschicht, die frei von unmittelbaren Alltags- und Überlebenssorgen in den Sog des Mentalitätswandels geriet.

 

Gerade der gesellschaftlichen Elite wurde der Schraubstock äußerster Selbstdisziplin und asketische Sittenstrenge, permanente religiöse Übungen zur Versöhnung der Gottheit, höfische Selbstdiszliplin und harte Arbeit. Der düstere, blutige Ernst, mit dem dieser Umbau aller Gewohnheiten (...) betrieben wurde, setzte sich bis in die privatesten Bereiche fort.[120]

 

Der Zwang zur Selbstkontrolle wuchs, und unter dem Einfluß dieser individuellen Umformung des Verhaltens der Menschen wandelte sich der Standard des gesellschaftlichen Umgangs.

 

Die Gelehrten, die Kirche und die Hexerei

 

Die Kirchen

 

Die Kirche breitete sich während der Spätantike und dem frühen Mittelalter in Europa aus und wurde überall mit anderen Religionen und Kulten konfrontiert. Im Zuge ihrer Missionierungstätigkeit mußte sie sich mit ihnen auseinandersetzen und sich abgrenzen, sollte der eigene Glaube sich nicht vermischen mit den „Glaubensvorstellungen der keltischen, germanischen und slawischen Völker, welche neben einigen Hauptgottheiten eine Vielzahl von Neben- und Lokalgöttern kannten.“[121] Es gab Kulte um Quellen, Bäume und Steine. Deren Bedeutung ging aber, ebenso wie das Wissen um jahreszeitlich bedingte Feste und Rituale, im Laufe der Christianisierung verloren. Die fremden Götter wurden seitens der Kirche den Dämonen des Christentums gleichgestellt und ihre Kulte wurden als Teufelsanbetung gewertet. Die spezielle Sichtweise der christlichen Missionare vereinheitlichte diese vorchristlichen Glaubensvorstellungen, um sie auf diesem Wege effektiver bekämpfen zu können. „Auf die alten Götter und Kulte wurde nur soweit eingegangen, daß den Missionierten eine Identifikation noch möglich war.“[122] „Heidnische Götter wie Wotan spielten zwar direkt spätestens seit dem hohen Mittelalter keine Rolle mehr, doch Vorstellungen wie die von den nächtlichen Fahrten des ‚Wuotens Heer‘ oder ‚Wütis Heer‘, der ‚Wilden Jagd‘, der ‚Gerechten Schar‘ und der ‚Nachtfahrt‘ der ‚Unholden‘, der Frau ‚Huldie‘ oder ‚Berchte‘, der nachts Schüsseln mit Mahlzeiten auf den Tisch gestellt wurden, um sie günstig zu stimmen, blieben in der Bevölkerung lebendig.“ [123] Genauso wurden weiter magische Handlungen durchgeführt, um das Schicksal im eigenen Sinne zu beeinflussen und um die in den Dörfern oft seit Generationen bekannten zauberkundigen Menschen durch Abwehrmagie und Gegenzauber in Schach zu halten.[124] Die Kirche verurteilte diese Praktiken der Zauberei als „Aberglaube“ oder als „Gegenglaube“ und setzte sich auf ihre eigene Art zur Wehr. Um ihre Abwehrkraft gegen böse Mächte unter Beweis zu stellen, entwickelte die Geistlichkeit ein eigenes magisches Instrumentarium, z. B. Wetterglocken zum Schutz vor Hagel oder die Vergabe von geweihten

 

Gegenständen als Amulette gegen das Böse.[125] Die magische Aneignung christlicher Heilsangebote tolerierte man in der religiösen Praxis als notwendigen Kompromiß. In zentralen Bereichen des Glaubens kam es sogar, wie in der mystischen Eigenwirkung der Sakramente, zu einer regelrechten Symbiose magischen und christlichen Denkens. Man kann von einer kirchlichen Magie sprechen, die allein Gott bzw. dem geweihten Priester magische Macht zuwies. Im Unterschied zur populären, die übersinnliche Kräfte einzelnen Personen zuschrieb.[126]

 

In der seelsorgerischen Praxis wurden Zauberei oder Zaubergläubigkeit, ebenso wie Ketzerei, bis zum 11. Jahrhundert durch Kirchenbußen bekämpft. Mittelalterliche Bußbücher geben Aufschluß über die Klassifizierung der einzelnen Sünden und damit auch über die verschiedenen magischen Praktiken und den ihnen zugeordneten Kirchenbußen.[127]

 

Nachdem sich die Kirche vermeintlich vom Heidentum[128] befreit hatte, wendeten sich die Diskussionen anderen Themen zu. Dazu gehörten der Teufel und sein Gefolge und die kirchliche Ablehnung der Frauen. Auch kam es zu Gegenbewegungen innerhalb der Kirche wie durch die Waldenser, Katharer und Albigenser. Sie knüpften an die Traditionen des Urchristentums und der Gnosis an. Die meisten dieser Sekten blieben jedoch außerhalb der kirchlichen Organisation, wenn auch einige laienreligiöse Gruppierungen als Reformorden von der offiziellen Kirche integriert werden konnten.[129] Im 12. und 13. Jahrhundert konnten diese Bewegungen eine große Anhängerschaft vorweisen. Sie wirkten sehr anziehend auf die Mittel- und Unterschicht[130] und boten ein anscheinend „durchaus befreiendes, emanzipatorisches, ja in religiöser Hinsicht geradezu revolutionäres Gedankengut auf, das den zeitgenössischen Menschen als echte Alternative zu bisherigen Lebens- und Religionsformen erscheinen mußte“.[131] Besonders Frauen schlossen sich den Ketzerbewegungen an. Im Gegensatz zur etablierten Kirche hatten sie hier anfänglich sehr viel mehr Rechte, beispielsweise das Recht zu predigen. Später machten sich auch hier orthodoxe Auffassungen breit, die die Frauen aus den gerade eroberten Positionen wieder vertrieben. Für die Inquisition waren und blieben ketzerische Frauen„Hexen“.[132]

 

Der Kampf der Kirche gegen die Zauberei läßt sich bis in die römische Antike zurückverfolgen. Hier wurde an die Möglichkeit der Zauberei geglaubt und ihr Mißbrauch unter Strafe gestellt, wohltätige Zauberei blieb ungestraft. Christen dagegen betrachteten jede Zauberei als teuflisch. Seit Constantinus II. (reg. 337-361 n.Chr.) galt die Todesstrafe für jede Magie und alle Magier wurden als Feinde des Menschengeschlechts angesehen. Diese für das christliche Europa grundlegende Magietheorie begründete der Kirchenvater Augustinus (354-430 n.Chr.) in De Doktrina Christiana folgendermaßen: „Wer magische Operationen anstellt, erwartet eine physikalisch unmögliche

 

Wirkung, die nur durch den Teufel erlangt werden kann.“ [133] Magie im weitesten Sinne bekam damit den Status eines Zeichens, welches das Erscheinen des Teufels hervorrief.

 

Seit dem 13. Jahrhundert wurde die Inquisition zur eigentlichen Waffe der Kirche gegen die Zauberei.[134] Die kirchliche Inquisition entstand im Rahmen der Bekämpfung der im 12. Jahrhundert immer mehr zunehmenden Gefahren durch die verschiedenen Ketzerbewegungen. 1227 kam es zur „Einführung von Ketzergerichten aus unmittelbarer päpstlicher Vollmacht, der päpstlichen Inquisition.“[135] Nach und nach wurde eine einheitliche Definition von Ketzerei hergestellt. Jede Form von organisierter Laienreligiösität, jede Kritik an der Kirche galt als Ketzerei und Abfall von Gott. Da sich aber, trotz aller Verfolgung, immer neue Sekten bildeten, „kam schließlich ein Prozeß in Gang, in dessen Verlauf die Ketzer einerseits immer stärker ‚kriminalisiert‘ wurden und ihnen andererseits eine die Kirche entlastende Feindbildfunktion zugeschrieben werden konnte. Mit dem Verweis auf die Feinde Gottes und das Wirken Satans in der Welt vermochte sie eigene Fehler und Schwierigkeiten zu begründen und zu rechtfertigen.“[136]

 

 

Teufelsanbetung und Hexenflug, Johannes Tinktoris, Contra sectam

 

Vaudensium, ca. 1460[137]

 

Von nun an und auch in den folgenden Jahrhunderten waren der Teufel mit seinem dämonischen Heer, die Ketzer, die Frauen und immer mal wieder Juden und Moslems die Hauptfeinde der Kirche.[138] Bei Ketzerprozessen untersuchte man magische Delikte  zwar von Anfang an mit, sie

 

bildeten aber keinen Schwerpunkt. Der Zusammenhang zwischen Zauberei und Ketzerei verfestigte sich im 13. Jahrhundert nach und nach und es kam zu einer schrittweisen Verflechtung.

 

In Handbüchern der Inquisition von 1270, 1320 und 1376 wird Zauberei als eine Form der Ketzerei dargestellt. Diese Entwicklung trat jedoch erst seit den 20er Jahren des 14. Jahrhunderts in ein neues Stadium, während des Pontifikats des greisen Papstes Johannes XXII. (1316-1334). Der extrem zaubergläubige Papst erließ 1326 die Konstitution ‚Super illius specula‘. Mit ihr wurde die Bestrafung der Zauberer nach dem Recht für Häretiker für den gesamten Bereich der Kirche bestimmt.[139]

 

Spätestens von diesem Zeitpunkt an galt aus theologischer Sicht jeder als Ketzer, „der Kritik übte und unerlaubte Korrekturen am christlichen Dogma vornahm, der zudem aber auch den Abfall von Gott vollzogen hatte, um sich entweder durch einen Pakt Satan selbst oder einer Sekte satanischer Weltverschwörer zu verpflichten, die auf ihren Zusammenkünften Teufelsverehrung, Unzucht und antichristliche Propaganda betrieben.“[140] Durch die Hexenverfolgungen wurde in der Gestalt des Teufels ein Gegenbild zu Gott geschaffen und internalisiert. Dinzelbacher schreibt: „Gerade die Hexenverfolgungen bestärkten das dualistische Bild, das das ältere Christentum bietet: ‚Sicherlich sind die Inquisitoren selbst meilenweit von jeder Idolatrie entfernt. Aber zweifellos haben sie ihr doch – ohne es zu wollen – unter ihren Zeitgenossen Vorschub geleistet, indem sie Satan als einen regelrechten Gegengott solche Macht zuerkannten‘.“[141]

 

Während der Ketzerverfolgungen begann die päpstliche Inquisition reine Zaubereiprozesse durchzuführen. Es entstand die Vorstellung eines „Kumulativdeliktes, welches zwar ebenfalls eine Ketzerei darstellte, aber an Abscheulichkeit alle bisherigen Ketzersekten noch soweit übertraf, daß es immer mehr als eigenes Delikt begriffen, beschrieben und schließlich systematisch verfolgt wurde.“[142] Die Ketzer waren bisher noch verhältnismäßig leicht zu identifizieren - die Katharer waren z. B. an Verhalten und Kleidung zu erkennen, Waldenser verweigerten Eidesleistung und Kriegsdienst – anders war das bei der neu entdeckten Hexensekte, sie waren die verborgenste und damit auch gefährlichste aller Ketzersekten.[143] Daher richtete sich auch eine besondere Wut gegen sie, wenn man meinte, sie einmal aufgespürt zu haben.

 

Hatte die Kirche vorher Vorstellungen des Fliegenkönnens bekämpft und als heidnischen Aberglauben verdammt, so mußte sie jetzt auf diese Vorstellung zurückgreifen, um die neu entdeckte Sekte zu erklären. Denn im Gegensatz zu den bekannten Ketzersekten waren die Angehörigen der Hexensekte im ganzen Land verteilt. Sie mußten irgendeinen Weg gefunden haben, um zu ihren Treffen zu gelangen. Dämonologen knüpften die Verbindung zwischen Hexerei und Flug, der nur mit Hilfe des Teufels möglich sein konnte. Ohne diese Verbindung und den Glauben daran wäre die ganze Konstruktion des Hexenbildes zusammengebrochen.

 

Die Möglichkeit einer kollektiven Verschwörung gegen die christliche Religion, die Planung und schnelle Ausführung von Unheil wurde allein durch die Vorstrellung vom „Hexenflug“ möglich.[144]

 

Die Beziehung zwischen Hexe und Teufel ging auf Vorstellungen über Ketzersekten zurück, die ihre Gottesdienste als Verkehrung christlicher Rituale zelebriert haben sollten. Für die Anhänger der Hexensekte nahm der Teufel die Stelle Gottes ein. Diese Vorstellungen waren eingebettet in eine angstvolle Endzeiterwartung, die sich in Europa ab dem 14. Jahrhundert verbreitete. Die Angst vor dem Weltuntergang und dem kommenden Jüngsten Gericht war allgegenwärtig.[145] Theologen und Juristen lehrten, Gott bediene sich zur Vollstreckung seiner Gerechtigkeit der Teufel und Hexen.[146] Sie könnten die Menschen nur mit der Erlaubnis Gottes versuchen und quälen.[147] Dieses gelehrte Hexenbild wurde im Laufe der Zeit immer genauer ausgestaltet, und Dämonologen, darunter Theologen, Juristen und Bischöfe verfestigten es nach und nach durch ihre Ausführungen. [148] Das monotheistische Christentum hatte bisher den Glauben an das Einwirken böser Dämonen nicht vollständig unterdrücken können, jetzt erlaubte „das von den ‚vermenschlichten‘ Hexen mit Hilfe des Teufels verübte Maleficium einerseits die Personalisierung der Schuld an Impotenz, Krankheiten, Seuchen oder Unwetter, andererseits eine fortschreitende Entzauberung der Welt.“[149]

 

Reformation und Protestantismus leiteten im Umgang mit Magie und Aberglauben einen grundlegenden Wandel ein.

 

Im Kampf um die Reinerhaltung der evangelischen Lehre und Kirche ging es nicht nur darum, die Frömmigkeitsformen wie Heiligenverehrung und Wallfahrten einzustellen, sondern auch die Messe und die Sakramente von jedem magischen Beiwerk zu befreien. Zwar lehnte die Reformation nicht jedes Zeremoniell und Ritual ab, Beschwörungscharakter und sakramentale Aneignung sollten jedoch vollständig verschwinden. Besonders deutlich wird dies bei der Umwandlung der Messe in einen Wortgottesdienst. [150]

 

In der katholischen Kirche wurden Meinungen über die Hexensekte dogmatisch behandelt. Abweichende Gedanken wurden nicht zugelassen. Der Hexenglaube war hier abgedeckt durch päpstliche Erlasse und theologische Lehrmeinungen.[151] Kritiker dieses Dogmas wurden als Ketzer verfolgt und dazu gezwungen, von ihrer Meinung abzuschwören und sie zu widerrufen. Da auf protestantischer Seite keine verbindliche Autorität existierte, gab es hier eine große Bandbreite in den Ansichten. Das Kontinuum reichte hier von der absoluten Verfolgungsgegnerschaft bis zu Forderungen nach bedingungsloser Ausrottung der Hexen.[152] Luther war allerdings davon überzeugt, daß es die Möglichkeit von Teufelspakt, Teufelsbuhlschaft und Schadenzauber gebe.[153] Er bezeichnete den Teufel als „Fürsten dieser Welt“.[154]

 

Den verschiedenen evangelischen Kirchen war gemein, daß sie erstmals die Macht der Magie brachen. Allerdings schloß dies den Teufelsglauben nicht mit ein. Der Teufel bedrohte die Menschen auch im Protestantismus[155] und machte den Hexenglauben weiter möglich.

 

Die evangelischen Kirchen hatten volksmagische Vorstellungen und Brauchtum aus dem kirchlichen Raum verbannt, aber im alltäglichen Leben waren Protestanten weiter genauso „abergläubisch“[156] wie Katholiken. Im praktischen Glauben war Zauberei zwar verboten, aber der Glaube an die Wirkkraft der Hexen war weiterhin ungebrochen. Die Verfolgung der Hexen war hier genauso legitim wie in der katholischen Kirche.[157] Die Hexengesetzgebung wurde teilweise zu einem politischen Machtmittel par excellence. Für die Vorkämpfer beider christlichen Glaubensrichtungen erwies sich immer wieder dessen Instrumentalisierbarkeit für die Verfolgung des Gegners. Es steht außer Zweifel, daß auch zahlreiche ‚politische Unruhestifter‘ als angebliche Hexen verbrannt wurden.[158]

 

Lange Zeit, bis ins 18. Jahrhundert hinein, lebte der Hexenglaube auch auf protestantischer Seite weiter. „Ungebunden an die Autorität mittelalterlicher Theologen konnte sich seither jedoch der Hexenglaube auf protestantischer Seite mit der Uminterpretation der entsprechenden Textstellen in der ‚Heiligen Schrift‘ völlig auflösen.“[159] Für Zwinglianer und Calvinisten galt das gleiche wie für das Luthertum.[160]

 

Das gelehrte Hexenbild

 

Mit zunehmendem Auftreten der „Hexen“ beschäftigten sich kirchliche und später auch weltliche „Wissenschaftler“[161] mit einer genauen Definition des Hexenbildes. Das Hexereidelikt bestand aus folgenden Punkten:

 

Teufelspakt und Teufelsbuhlschaft,

 

Hexenflug zum Hexensabbat,

 

Schadenzauber.

 

Nach van Dülmen gab es vier Entwicklungsschritte bei der Ausbildung des Hexenbildes

 

der frühen Neuzeit:

 

Verbindung von Schadenzauber und Hexenflug. Es wurde möglich, Hexen auch Schaden außerhalb ihres erreichbaren Umfeldes zuzuschreiben.

 

Verbindung von Schadenzauberei und Teufelsbuhlschaft. Die Hexe hatte keine eigenen Kräfte, sondern erhielt sie vom Teufel.

 

Entstehung des Bildes einer Hexensekte mit dem Teufel als Oberhaupt und dem Abfallen vom Glauben an Gott.

 

Die Vorstellungen vom Hexensabbat.[162]

 

„Diese (...) Vorstellungsweisen sind in einem langen Prozeß nacheinander entstanden: Hexenflug

 

durch Teufelspakt und –buhlschaft entstand im späten 13. Jahrhundert. Die Verquickung von Tanz und Mahl bildete sich gegen Ende des 15. Jahrhunderts und das explizite Bild des Hexensabbats bildete sich gegen Ende des 16. Jahrhunderts heraus.“[163]

 

Ausgewählte Vertreter des gelehrten Hexenbildes

 

Der prominenteste Vorreiter der Hexendoktrin und vielleicht wichtigste Theologe des Hochmittelalters war Thomas von Aquin (1225-1274). Er griff in seinen Ausführungen auf den Kirchenlehrer Augustinus zurück (354-430), dessen Lehre vom Dämonenpakt in der scholastischen Literatur sehr einflußreich wurde und Aquins Einordnung der Magie und Zauberei bestimmte. [164] Nach diesem Kirchenlehrer basierte jede kleine abergläubische Handlung auf einem Teufelspakt, selbst wenn es unwissentlich geschah.[165] Die theologische Doktrin lautete nun: Es gibt „keinen wesentlichen Unterschied zwischen heidnischen Götzendienst, häretischen Teufelsanbetern und Zauberern.“[166]

 

Der größte Teil der dämonologischen Literatur ist von Angehörigen des Dominikanerordens verfaßt worden. Dieser Orden war einer der Bettelorden, die von Papst Gregor IX. mit der Durchführung der Inquisition beauftragt worden waren.[167] Eines der bekannteren Mitglieder des Ordens war der Konzilstheologe Johannes Nider, der 1437 mit seiner Schrift „Formicarius“ die neue Hexenvorstellung vermittelte.[168] Nider machte das bisher nur außerhalb Deutschlands angeblich sich ausbreitende Hexenunwesen und die damit verbundene Strafpraxis den weltlichen und geistlichen Gerichte in den deutschen Territorien bekannt.[169] 1458 brachte der nordfranzösische Inquisitor Jaquier die Existenz der neuen Hexensekte mit der Verschlechterung der Welt in Zusammenhang und rief mit seinem Traktat „Flagellum haereticorum fascinriorum“ zur Verfolgung auf.[170]

 

1487 wurde in Straßburg die erste Auflage des „Malleus maleficarium“ gedruckt. [171] Der Verfasser war ein Zeitgenosse Niders, Inquisitor und Dominikaner Heinrich Cramer, oder latinisiert Institoris. Nachdem ihm der Versuch in Innsbruck ein Inquisitionsverfahren durchzuführen mißglückt war, weil er dort von Volk und Obrigkeit fortgejagt worden war, verfaßte er den „Malleus“, der fortan als „Hexenhammer“ bekannt wurde. Um seiner Schrift Geltung zu verschaffen, gab er den als Professor in Köln amtierenden Ordensbruder Jakob Sprenger als Hauptverfasser an. Außerdem fügte er eine päpstliche Bulle, die die Hexenlehre bekräftigte, hinzu und ein wahrscheinlich

 

gefälschtes Gutachten der theologischen Fakultät in Köln.[172] Die eigentliche Schrift ist in drei Teile gegliedert: Im ersten Teil wird die angebliche Existenz der Hexen bewiesen, im zweiten deren Untaten dargestellt und im dritten Teil ist eine praktische Anleitung für weltliche und geistliche Inquisitionsprozesse zu finden.[173] „Der ‚Hexenhammer‘ brachte (...) die Hexenlehre zum Abschluß, spitzte sie auf Frauen zu, forderte die weltlichen Gerichte zu Mithilfe bei den Hexenprozessen auf und gab praktische Anweisung zu ihrer Durchführung.“[174] Die Hexenlehre des „Hexenhammers“ hatte sich besonders in Kreisen gebildeter Künstler und Gelehrter rasch etablieren können. Für die Landprediger und den größten Teil des Volkes galt dies trotz der eifrigen Bemühungen der Kirchenvertreter jedoch nicht.[175] Dem einfachen Volk waren Vorstellungen, wie sie im Hexenhammer beschrieben wurden, fremd.[176] Der geistigen Elite Europas und den weltlichen Herrschaften diente diese Darstellung des Hexenwesens zur Etablierung einer abgesicherten Lehre und der systematischen strafrechtlichen Verfolgung des Hexereidelikts. Hexenhammer und Papstbulle bildeten einen logischen Abschluß bei der Kriminalisierung traditioneller Zaubereivorstellungen und der neuentdeckten Hexensekte und verhalfen den Verfolgungen zu einer nachhaltigen Legitimation.[177]

 

Spätestens seit dieser Zeit wurde die Verfolgungsliteratur nicht mehr nur von Theologen und Inquisitoren geschrieben. Der Staatstheoretiker Jean Bodin (1529-1596) verfaßte Schriften zur Wirklichkeit und Gefährlichkeit der Hexensekte. Er war einer der „fürchterlichsten Verfechter der Hexenlehre. (...) Voltaire verlieh ihm deswegen den Namen ‚procureur général de Belzebuth‘.“[178] Sein Buch „De la Démonomanie des Sorciers“ erschien 1580 und zur Zeit der Hexenprozesse genoß es in Deutschland großes Ansehen.[179] Das Beispiel Bodin zeigt, daß die Verfasser dieser Schriften normalerweise nicht irgendwelchen abstrusen Spinnereien nachhingen, sondern daß sich hochgelehrte Köpfe mit dem „Hexenproblem“ beschäftigten. Ihre Gedankengänge blieben aber gefangen in den Grenzen, die das Weltbild ihrer Zeit ihnen setzte. Martin Delrio zeichnete sich durch eine überdurchschnittliche Begabung und eine enorme Belesenheit aus. Auch bei seiner Arbeit kam es zur Verbindung von abstraktem Denken und Irrationalität wie in den anderen systematischen Hexenbüchern des 15. bis 17. Jahrhunderts.[180] „Neben abstrakten theologisch-deduktiven Herleitungen über die Macht des Teufels und der Hexen kompilierte Delrio hunderte von Wundergeschichten aus der Literatur und aus den zeitgenössischen Hexenverfolgungen, forderte zur Ausrottung der Hexen auf und fixierte (...) die Ansicht, daß Zweifel an der Existenz der Hexen und der Notwendigkeit von Hexenverfolgungen mit der Auffassung der Kirche unvereinbar seien.“[181] Seine 1599 gedruckte Schrift „Disquisitonum Magicarum libri VI“ wurde ins Französische

 

übersetzt und bis ins 18. Jahrhundert hinein immer wieder nachgedruckt. Der Jesuit Delrio galt als eine kaum anfechtbare Autorität.[182]

 

Der Trierer Weihbischof Peter Binsfeld veröffentlichte 1589 sein „Tractatus de confessionibus maleficorum et sagarum“. Behringer bemerkt zu dieser Schrift in seiner Quellensammlung, daß das Vokabular Binsfelds bis heute zur Ausgrenzung unliebsamer Personen benutzt würde.[183] „Mit den Werken Binsfelds und Delrios war alles Notwendige in theologischer und verfolgungspraktischer Hinsicht gesagt. Die Ideologie der Hexenverfolgung war von ihnen in ‚moderner‘ Weise erneuert worden.“[184]

 

Der „Hexenhammer“ von Heinrich Institoris ist zwar das Werk, das im Zusammenhang mit den frühneuzeitlichen Hexenprozessen in der Gegenwart am bekanntesten ist und sogar heute wieder aufgelegt wird, aber während der Zeit der Hexenverfolgungen waren die Bücher Binsfelds und Delrios „das wichtigste Bollwerk des Hexenwahns“[185].

 

Teufel und Teufelsbuhlschaft

 

Einer der wichtigsten Protagonisten in dem Bild des Hexentreibens war der Teufel. Ohne ihn wären die angeblichen Hexen nicht in der Lage gewesen, ihre üblen Taten in dem angenommenen Umfang durchzuführen. Das „Böse“ hatte mit der eigenen Person nichts zu tun, es existierte und handelte eigenständig und unterlag nicht der individuellen Kontrolle. Nach Ahrendt-Schulte war es „durchaus üblich, verbotene Handlungen den Einflüsterungen des Teufels zuzuschreiben.“[186]

 

Eine der bevorzugten Literaturgattungen im 16. und 17. Jahrhundert waren Teufelsbücher. Es gab z. B. Bücher über den Saufteufel, den Spielteufel oder auch den heute noch bekannten Putzteufel[187]. Sie waren zwar oft ironisch gemeint, spiegelten aber dennoch die gesellschaftlichen Ein- und Vorstellungswelt. Hinter jedem Unglücksfall und jeder Unmöglichkeit wurde das Wirken des Teufels vermutet.[188] Die Welt der frühen Neuzeit war im Denken der Menschen voller Teufel, die in allen Lebensbereichen als Versucher auftraten.[189] War ein Christ zu schwach um sich damit auseinanderzusetzen, machte er sich im Gegensatz zu den Hexen allerdings nur der Sünde schuldig. Nur ihnen wurde eine enge und vor allem absichtliche Verbindung mit dem Teufel nachgesagt. Sie mußten deshalb vom Leben zum Tode befördert werden.

 

Die Dämonologen, die die Hexe-Teufel-Beziehung in ihren Schriften darstellten, hatten ihre Informationen oft aus den Geständnisprotokollen der verhörten angeblichen Hexen. Die Frauen gestanden zwar den verübten Schadenzauber relativ schnell ein, den angeblichen Teufelskontakt aber erst nach längerem peinlichen Verhör[190]. Sie waren in der Regel gläubige Christinnen und hatten große Schwierigkeiten, sich als Teufelshuren darzustellen.[191]

 

Die erste Begegnung wurde meistens als Hilfe aus einer mißlichen Lage beschrieben. Der Teufel erschien in angenehmer Gestalt als junger Bursche oder als Edelmann und versprach, Hilfe zu leisten. Dafür mußte die Hexe einen Pakt mit ihm schließen. „Der Pakt mit dem Teufel wurde häufig nach dem Ritual des Verlöbnisses, des Eheversprechens, beschrieben.“[192] Die eigentliche Hochzeit wurde auf dem nächsten Hexentreffen gehalten. Die neu geworbene Hexe war damit Mitglied der Hexenversammlung und verpflichtet, von diesem Zeitpunkt an jedesmal zu den Zusammenkünften zu erscheinen.[193] Ahrendt-Schulte schreibt , es sei ein übliches Muster gewesen, geistig-seelische Beziehungen zwischen Mensch und Geistwesen, sei es nun ein Gott oder Dämon, in Form der normalen menschlichen Beziehungen zu beschreiben. Diese Form des symbolischen Denkens wurde auch in der Alchemie, die als die gelehrte Form der Magie galt, verwendet. Hier war es üblich, „die Vereinigung von Mensch und Geist im Bild der ‚chymischen Hochzeit‘ als geschlechtliche Vereinigung darzustellen.“[194] Auch christliche Mystikerinnen beschrieben ihre Beziehung zu Christus bildlich als Braut Christi und als sexuelle Vereinigung. Nach dem Vorbild von Magie und Religion galten somit auch Teufel und Hexe als Paar und die Hexe als Braut des Teufels und Teufelshure.[195]

 

Diese Beziehung der Hexe zum Teufel, die in der dämonologischen Literatur dargestellt und diskutiert wurde, spielte im ländlichen Hexenglauben eine geringe Rolle. Im Zusammenhang mit Hexereiverdächtigungen und –anklagen war nur „hie und da die Rede davon, daß die jeweilige Person mit dem Teufel umgehe, daß sie nachts ‚Ceremonien‘ zur Anrufung des ‚Teufelsgespensts‘ durchführe oder den Teufel in den Händen, im Kopf oder im Leib habe.“[196] Der Teufel wurde aber bei solchen Erwähnungen auf die gleiche Stufe mit Krankheitsdämonen oder Geistern gestellt und blieb eine gestalt- und körperlose Macht. Dem Hexenglauben mußte die Gestalt des Teufels nicht unbedingt zugehören.[197] „Die Gefahren, welche nach kirchlicher Ansicht vom die Menschen zum Abfall von Gott und zum Teufelspakt verführenden Teufel ausgingen, scheinen in der ländlichen Hexenvorstellung zumindest keine primäre Rolle gespielt zu haben.“[198]

 

Die angeklagten Frauen beschrieben den Teufel so, wie sie ihn aus Predigten kannten. Vertrat der Pfarrer in der zugehörigen Pfarrei z. B. die theologische Ansicht, daß der Teufel ein körperloses Wesen sei, so beschrieben sie ihn auf diese Art und Weise. Auch stellten sie die Verbindung zu ihrer Lebenswirklichkeit her, indem sie die Beziehung zu dem Buhlteufel in Bezug auf ihre eigenen Erfahrungen mit dem Mann beschrieben.[199] Eine andere Verbindung zum Alltag der Frauen läßt sich herstellen, schaut man sich an, welche Gründe die Frauen in ihren Geständnissen angaben, weshalb sie zur Hexe wurden. Die Prozeßakten erwähnen „immer wieder, daß die Frauen sich an Hexen wandten oder selbst zu welchen wurden, weil ihre Männer sie habituell verprügelten.“[200]

 

Im Rahmen dieser theologischen und gelehrten Meinungsbildung über die angebliche Buhlschaft zwischen Hexe und Teufel kam es auch zu einer Debatte, wie denn der Teufel mit der Hexe den Beischlaf ausüben könne, denn er galt ja als genauso körperlos wie Gott. Zur Lösung dieses Problems trug die Lehre von den Incubi und Succubi bei. Der Teufel wurde angeblich zu einem Succubus, wenn er einem Mann und zu einem Incubus, wenn er einer Frau beiwohnte. Auf diese Weise sollten der Teufel und die Dämonen sogar fähig sein, Frauen zu schwängern, indem sie einem Mann den Samen stahlen und an eine Frau weitergaben. Incubi und Succubi stellten schwere Anfechtungen dar, denn es wurde angenommen, daß sie durch ihre Verführungskünste selbst strenggläubige Mönche und Nonnen vom Pfad der Tugend und des rechten Glaubens abbringen konnten.[201]

 

Hexenflug, Hexentanz und Hexensabbat

 

Während die einstige Zauberin allein gearbeitet hatte, bildeten die Hexen angeblich, vor allem bei Wetterzaubereien, ein Kollektiv und trafen sich regelmäßig auf ihren Versammlungen. Diese Hexentreffen waren nach den Ausführungen der Dämonologen das eigentlich gefährliche. Die vermutlichenVersammlungsplätze lagen meist in einiger Entfernung vom Wohnort der Hexen und waren für sie offensichtlich nur unter Schwierigkeiten erreichbar. Dieses Problem wurde gelöst mit der Integration von der Vorstellung des Fliegenkönnens. Diese Flugvorstellungen wurden von der Kirche bis ins 12. Jahrhundert hinein als heidnisch bekämpft. In Deutschland lehnten die Theologen diese Vorstellung bis ins 15. Jahrhundert hinein ab.[202]

 

Die Hexen ritten angeblich auf allem möglichen Gerät zu ihrem Hexentreffen. Dies sollten nicht nur der heute noch stereotyp erwähnte Besen, sondern auch Heugabeln, Rechen, der Backtrog oder der Buhlteufel selbst sein, der sie abholte. Entscheidend für das Fliegenkönnen war die sogenannte Flugsalbe, von der es hieß, daß sie auf den Hexentreffen hergestellt werden würde. Mit der Salbe rieben die Hexen entweder sich selbst oder den Gegenstand, den sie zum Fliegen benutzten, ein. Die Salbe sollte angeblich aus dem Fleisch neugeborener Kinder bestehen, das zusammen mit Kräutern wie Mohn, Nachtschatten, Sonnenwedel und Schierling zu einem Brei gekocht worden sei.[203]

 

Waren die Angeklagten verheiratet, mußten sie dafür sorgen, daß ihre nächtlichen Unternehmungen unbemerkt blieben. Manchmal legten sie z. B. einen Bund Stroh zu ihrem Männern ins Bett oder der Teufel half, indem er den Mann anblies oder mit einem Pulver betäubte, so daß dieser  solange schlief, bis die Hexe von ihrem Ausflug zurückkehrte.[204] Den Gerichten schien dieses glaubhaft zu sein. Ein Problem ergab sich nur, wenn der Ehemann einer vermuteten Hexe berichtete, daß sein Eheweib die ganze Zeit neben ihm im Bett gelegen habe, trotz der gegenteiligen Aussage seiner Frau. Die Angeklagte räumte dann normalerweise erleichtert ein,

 

daß sie das alles wohl geträumt haben müsse. Doch selbst dies konnte die Richter, die sich ja auf die theologische und dämonologische Literatur stützten, nicht beeindrucken. Die Hexe wäre dann zwar nicht „corporaliter“, aber immerhin „spiritualiter“ auf der Hexenversammlung gewesen. Der Teufel hätte dort ihre Gestalt angenommen und auch dies galt als Vergehen.[205]

 

Die Hexen trafen sich angeblich vor allem an den wichtigen christlichen Feiertagen und an Tagen, die von jeher eine besondere Bedeutung für die Menschen hatten, wie die Walpurgisnacht und die Johannisnacht. An diesen Festtagen wurde traditionell um Heil, Gesundheit und Fruchtbarkeit für Mensch und Natur gebeten. Die Hexen allerdings, die sich durch Schadenzauber und Bösartigkeit auszeichneten, traten auf ihren Festen für Unheil, Unfruchtbarkeit und Tod ein. Die Treffen dauerten normalerweise[206] von Mitternacht bis in die frühen Morgenstunden.[207] Die Hexenplätze waren in Deutschland überall zu finden; die Lage einiger ist bis heute überliefert. Der bekannteste Hexentreffpunkt soll der Brocken im Harz gewesen sein.[208]

 

Die Beschreibungen der geständigen „Hexen“, die den volkstümlichen Vorstellungen über die Hexentreffen entstammten und die Ausführungen in der dämonologischen Literatur, weisen ziemliche Unterschiede auf. Nach van Dülmen gab es nicht nur eine, sondern zwei bzw. drei Vorstellungen über das nächtliche Treiben der Hexen:

 

Einmal stand der Schadenzauber ausschließlich in Verbindung mit Teufelsbuhlschaft und –pakt., Nächtliche kollektive Treffen mit anderen Hexen fehlten.

 

Dann stand der Schadenzauber mit Teufelsbuhlschaft, Teufelspakt sowie dem Hexenflug und –tanz in Zusammenhang, ohne daß es hier zu einer expliziten Teufelsverehrung kam. Diese Vorstellung war die verbreitetste.

 

Schließlich gab es den eigentlichen Hexensabbat mit dem Teufelskult, rituellem Kindsmord und sodomitischen Orgien.

 

Die dritte Vorstellungsweise wird in den erhaltenen Bekenntnissen kaum angesprochen, obwohl sie in der Hexenliteratur eine große Rolle spielte.[209]

 

In der ländlichen Vorstellung trafen sich die Hexen beim Hexentanz mit ihren Buhlteufeln zu einem eher bäuerlichen Fest. Die Anzahl der Hexen beim Tanz war im Gegensatz zu den eigentlichen Hexensabbaten verhältnismäßig gering, und auch dämonologische Elemente waren noch nicht sehr ausgeprägt. Die Hexen erstatteten  dem Teufel Bericht über verübte Schäden und schmiedeten neue Pläne für weitere Untaten. Sie schmausten und tanzten. Das Mahl wurde unterschiedlich beschrieben, mal war es wohlschmeckend und reichlich, mal war es widerwärtig

 

und eher karg, aber in der Regel gab es kein Salz.[210] Diese Vorstellung eines Hexentreffens blieb im deutschen Raum dominant.[211] Es war das verbreitetste Muster.[212] Van Dülmen schreibt:

 

Der Hexentanz, das Treffen auf dem Tanzplatz, unterscheidet sich trotz gleitender Übergänge beträchtlich vom eigentlichen Hexensabbat, denn ausgeprägter Satanskult und sodomitische Orgien fehlen hier. Die Versammlung von Hexen mit ihren Buhlteufeln auf dem Hexentanz wird wie ein derb-lustiges Bauernfest, wie eine Hochzeitsfeier, wie ein Fest auf dem viel gegessen, getrunken und getanzt wird, und nicht wie eine ‚schwarze Messe‘ beschrieben. Gelage mit Tanz heben die Angeklagten jedenfalls mehr hervor, als die Satansverehrung und die offizielle Abschwörung der christlichen Lehre.[213]

 

Die Vorstellung des Hexensabbats war ein Produkt der Dämonologen. Die verschiedenen Bestandteile waren dem einfachen Volk zwar aus Predigten und Erzählungen bekannt, sie konnten sich aber nicht vorstellen, daß ihnen bekannte Personen solche Dinge taten. Das überstieg ihre Phantasie.[214] Elemente einer expliziten Sabbatvorstellung tauchen zwar in vielen Bekenntnissen auf, darunter sind aber nur wenige zu finden, in denen eine relativ vollständige Struktur des Sabbats sichtbar wird. Im deutschen Bereich fehlen sie völlig. Die Richtern und Theologen kannten diese Vorstellungen aber durchaus.[215]

 

Mit dem Hexensabbat entstand eine Art Gegenwelt zum kirchlichen Christentum, eine antichristliche Sekte. Hier war die Hexe nicht mehr die einfache Schadenstifterin, sondern Teufelsjüngerin und Mitglied einer Teufelssekte, eine Abtrünnige des christlichen Glaubens.[216] Der Hexensabbat dieser Gegenwelt war ritualisiert mit Teufelsverehrung, Teufelskuß, sodomitischen Orgien und Kindstötung zu zeremoniellen Zwecken. Im Gegensatz zum relativ ungeordneten Ablauf einer Hexentanzveranstaltung, die nur einen kultischen Ansatz aufwies und verschiedensten Vorstellungen Platz bot, ist der Kult in der Sabbatvorstellung vollständig ausgeprägt. Es gab eine strenge Liturgie einer „schwarzen Messe“, die den Ablauf dieser Feiern und die Reihenfolge der Handlungen bestimmte. Hier kam das Bild der Hexe als willenloser Dienerin, die in einer verkehrten Welt unter der Herrschaft eines autokratischen Satans lebt zum Tragen. Diese Vorstellung vom Hexensabbat oder der „Synagoga Satanae“ taucht allerdings erst in den Schriften von Martin Delrio auf. Vorher gab es eher das Bild eines Hexengelages, wie es auch im Hexenhammer vertreten wird.[217]

 

Immer wieder wurde von Dämonologen versucht, diese Sabbatvorstellungen in das Zentrum des Hexenbildes zu stellen und darauf hinzuwirken, daß Anklagen in diesem Sinne interpretiert wurden, aber werden Gerichtsakten empirisch untersucht, zeigt sich nach van Dülmen immer wieder, daß

 

diese Vorstellungen eines Hexensabbats nur vereinzelt auftauchen. In der Gesellschaft verbreitet war das Muster des weiter oben erläuterten Hexentanzes.[218]

 

Die Sabbatvorstellung geht zurück auf „Ketzerprozesse in Südfrankreich zu Beginn des 14. Jahrhunderts, als man den Waldensern Satansverehrung und sexuelle Orgien unterstellte.“[219] Den Ketzern unterstellte man zwar eine Verschwörung gegen die Kirche, doch Schadenzauber wurde ihnen nicht vorgeworfen.[220] Nach Behringer hat gerade die neuere Forschung deutlich gemacht, wie sehr die Ausbildung des Hexenstereotyps auch vom vorher schon bestehenden Judenstereotyp beeinflußt wurde. Über Juden und Hexen sagte man, daß sie mit seltsamen Pulvern und Salben Schaden anrichteten. Auch Ritualmorde zur Herstellung von Zaubermitteln und geheime nächtliche Treffen sollten beiden Gruppen gemeinsam sein. Die hebräischen Begriffe Synagoge und Sabbat wurden nun auch in Bezug auf die Zusammenkünfte der Hexen verwendet.[221] Bereits den ersten Christen, dann den Ketzern und zwischendurch immer mal wieder den Juden unterstellte man rituelle Kindstötungen. Als die Sabbatvorstellungen auf die Hexen übertragen wurden, entstand das Bild der Kinderfeindin und Kinderfresserin.[222]

 

Bei der Herausbildung der Hexensabbatvorstellung kommen, nach van Dülmen

 

zwei soziokulturelle Prozesse zum Tragen. Einmal erfolgt eine Dämonisierung der altbekannten Zauberei wie des Zauberers bzw. der Zauberin in der Weise, daß die traditionelle Überzeugung, ein Zauberer könne allein kraft seiner persönlichen Fähigkeit, der Kraft bestimmter Zaubersprüche oder der Anwendung magischer Rituale zaubern, zugunsten der Vorstellung, daß allein der Teufel so etwas vermag, zurückgedrängt wird. Die Dämonisierung und damit auch Kriminalisierung der Zauberkunst und des Zauberers bzw. der Zauberin führte zu einer Entmächtigung, ja zu einer ‚Säkularisierung‘ des magischen Weltbildes, so paradox dies klingen mag. Der Teufelsglaube tritt an die Stelle des zauberischen Aberglaubens. Die Menschen können aus sich selbst weder Heil noch Unheil stiften, entweder folgen sie dem Auftrag Gottes oder dem des Teufels.

 

Damit verbunden ist zum anderen die sukzessive Durchdringung der magischen Vorstellungen und auch Riten menschlichen Lebens mit christlichen Normen, die jede ‚Weltlichkeit‘ in Festlichkeiten, Mahlzeiten und Tanzvorstellungen, sexuellen Verkehr verurteilen, soweit sie nicht dem Aufbau einer christlich-puritanischen Gesellschaft dient.[223]

 

Die Vorstellung des Hexentreffens, sei es auf dem Sabbat oder dem Tanz, führte in Verbindung mit der Folter bzw. der „hochnotpeinlichen Befragung“ im Verlauf eines Prozesses zu den fatalen Besagungen. Es wurde davon ausgegangen, daß eine Hexe, die den Sabbat besuchte, andere Hexen gesehen haben mußte. Nannte die angeklagte Hexe Namen von Personen, die sie auf dem Sabbat gesehen haben wollte, weil ihre Folterer danach fragten, so standen auch diese Personen fast automatisch unter Hexereiverdacht. Die größeren Verfolgungen zogen durch die Besagungen hunderte von Personen in Mitleidenschaft.

 

Ausgewählte Gegner der Hexenverfolgungen

 

Sich gegen die Hexenverfolgungen auszusprechen war mit einem hohen Risiko behaftet. Auch die Verteidigung von angeklagten Hexen konnte dazu führen, das man sich selbst der Hexereiverdächtigung aussetzte. Schriften, die die Praxis der Hexenverfolgungen angriffen, wurden in der Regel hart kritisiert. Den Autoren konnte es passieren, daß sie dazu gezwungen wurden, ihre Meinung zu widerrufen und abzuschwören. Sie konnten ihre Glaubwürdigkeit, ihre Stellung und berufliche oder geistliche Reputation verlieren und riskierten im Endeffekt ihr Leben, wenn sie ihre Kritik veröffentlichten. Die ersten Widerstände regten sich nicht gegen den Hexenglauben selbst, sondern eher gegen die Prozeßpraxis und die übertriebene Anwendung der Folter. Man sah genau, daß es ohne die durch Folter erpreßten Geständnisse nicht zu den Massenverfolgungen kommen konnte.[224]

 

Johann Weyer (1515-1588) hatte Medizin studiert und war von 1550 bis 1578 Leibarzt des Herzogs von Kleve-Jülich-Berg in Düsseldorf. In dieser Zeit schrieb er sein Buch „De praetigiis daemonum et incantatoribus ac veneficiis“. Es erschien erstmals 1563 in Basel.[225] In seinem Buch prangerte er die Hexenverfolgungen als ein „Blutbad der Unschuldigen“[226] an und beklagte das Schweigen der protestantischen Theologen dazu. Viele lutherische Prediger schlossen sich seiner Meinung an, wenn ihre Schriften auch nicht Weyers Schärfe aufwiesen.[227] Weyer bestreitet in seinem Buch weder die Existenz von Hexen, noch die Macht des Teufels, aber die Aussagen der ersteren beruhen seiner Meinung nach auf „Blendwerken der Dämonen“ [228] also auf Einbildung und nicht auf Wirklichkeit. Der Grundgedanke des Buches war, daß Hexen unwissende, melancholische, vom Teufel getäuschte Frauen wären und keine Ketzerinnen. Die eigentlich Verhexten waren für Weyer die angeblichen Hexen, die auf der Folter Verbrechen gestanden, die seiner Meinung nach der Teufel allein bewerkstelligt hatte. In der „Konsequenz verlangt er von den Gerichten, nur auf ein Geständnis hin kein Urteil auszusprechen, sondern entweder echte kriminelle Handlungen nachzuweisen oder die Gefangene freizulassen.“[229] Aufgrund der Intervention Weyers verringerte sich die Zahl der Hexenprozesse im Machtbereich des Herzogs von Kleve-Jülich-Berg.[230]

 

Weyer wurde für sein Buch sehr scharf angegriffen, unter anderem von Jean Bodin, der es kurz vor Drucklegung seines eigenen Werks las. Er war so schockiert von Weyers Ausführungen, daß er den Drucktermin verschob und noch ein weiteres Kapitel anfügte, in dem er ausschließlich mit Weyer „ins Gericht ging“[231]. Er schrieb unter anderem: „Weyer sei ein schlechter Mediziner, denn erstens seien auch Männer melancholisch, zweitens könnten unmöglich alle angeklagten Frauen von derselben Krankheit befallen sein, und drittens verstoße er gegen die antike Pathologie,

 

wonach Frauen ein kaltes und feuchtes Temperament hätten, während die Melancholie eine heiße und trockene Konstitution voraussetze.“[232]

 

Cornelius Loos (1546-1595) wurde während der Trierer Prozeßwelle um 1590 „damit beauftragt, ein Buch gegen J. Weyer zu schreiben“[233]. Auch sein Vorgesetzter, der Trierer Weihbischof Peter Binsfeld, der ja ein Befürworter der Hexenverfolgungen war, hatte schon gegen Weyer polemisiert, doch jetzt sollte der bewährte Kontroverstheologe Loos systematisch gegen Weyer vorgehen. Nachdem er Weyers Schrift gelesen hatte und auf dem Hintergrund seiner eigenen Trierer Erfahrungen, schrieb er das Gegenteil.[234] Die ganzen teuflischen Taten waren für ihn nur eingebildet und die Geständnisse durch die Folter erpreßt. In seiner Schrift „Traktatus de vera et falsa magiae“ bezeichnete er die Hexenprozesse als eine „neue Art von Alchemie“, „mit deren Hilfe Menschenblut in Gold und Silber verwandelt werde“.[235] Er ließ sein Traktat 1591 drucken, ohne es bei der Zensur vorgelegt zu haben. Der Kölner Nuntius beschlagnahmte die Schrift. Loos mußte widerrufen und wurde ausgewiesen.[236] Mit dem Prozeß gegen Loos wurde erneut klargestellt, „daß fortan Zweifel an der Hexendoktrin selbst als Ketzerei, letztlich sogar als Indiz für einen Hexereiverdacht gegen den Kritiker, zu bewerten waren.“[237]

 

In Spanien gab es einen besonderen Fall von Gegnerschaft. Der Inquisitor Don Alonso de Salazar y Frias gehörte einer kritischen Strömung innerhalb der spanischen Inquisition an, die nicht an die große Hexengefahr glaubte. Salazar untersuchte 1610 mit der „Akribie eines modernen Soziologen (...) über tausend Aussagen von Zeugen und Verdächtigen, durchsuchte Archivmaterial und führte Gespräche mit Freigesprochenen, ließ sogar Hexensalben experimentell untersuchen, und kam zu dem Schluß, daß in keinem einzigen Fall Hexerei gegeben war.“[238] Salazar stellte zwar nicht die Macht des Teufels in Frage, aber er wies radikal auf die Unzulänglichkeiten der Prozesse hin. Die Suprema der spanischen Inquisition veröffentlichte 1614 ein Memorandum darüber und stellte danach die Hexenverfolgungen praktisch ein.[239]

 

Der Jesuit Friedrich von Spee ( 1591-1635) verglich in seiner „Cautio Criminalis“ die Hexenverfolgungen und –prozesse mit den Christenverfolgungen unter Kaiser Nero.[240] Spees Zeitgenossen konnten sich wahrscheinlich gut denken, daß damit die Hexenbischhöfe von Eichstätt, Bamberg, Trier, Köln, Mainz und Würzburg gemeint waren, deren Hexenverfolgungen

 

durch Folter und Besagung fürchterliche Ausmaße angenommen hatten.[241] Spees Ordensbruder, der Moraltheologe Adam Tanner (1575-1632), verwendete in seiner 1628 publizierten „Theologia Scholastica“ die gleiche Argumentation. Spee baute darauf auf. Er schloß zwar nicht aus, daß es Hexen gäbe, aber er kritisierte die Praxis der Hexenprozesse radikal. Die sogenannten Hexen waren für Spee völlig unschuldige Menschen, und nur die Folter erpreßte seiner Ansicht nach die Geständnisse. Er leitete daraus „zwei Forderungen ab: die sofortige Einstellung aller Hexenprozesse und die Beseitigung der Folter aus der gesamten Gerichtspraxis. Daß die letztgenannte Forderung bekanntlich erst von den Strafrechtsreformen der Aufklärungszeit verwirklicht worden ist, zeigt beispielhaft die Einzigartigkeit dieses Buches zu seiner Zeit.“[242] In seinem Werk wies er öfter darauf hin, daß es noch eine Wahrheit gebe, für die die Zeit noch nicht reif sei.[243] Es ist zu vermuten, daß er seine Leser dazu bringen wollte, sich selbst einzugestehen, daß Hexen nur in der Vorstellung der Menschen existierten, und daß in den Prozessen Unschuldige gequält und verurteilt wurden.

 

Die „Cautio Criminalis“ erschien 1631 unter mysteriösen Umständen. Angeblich hatte ein Unbekannter das Manuskript gestohlen und es ohne das Wissen Spees zum Drucken nach Rinteln gebracht. Der „fromme Diebstahl“ ließ sich nie aufklären und Spee genoß den Schutz seines Ordensoberen. Spees Manuskript wurde einmal anonym und unter Umgehung der Zensur veröffentlicht und ein zweites Mal unter einem Pseudonym. Es kursierten bald Schriften anderer Autoren, die seiner Argumentation folgten.[244] „Direkt gewirkt hatten Spees Schriften auf Johann Phillip v. Schönborn, der 1642 Fürstbischof von Würzburg und später Kurfürst von Mainz wurde, und auf die schwedische Regierung, die 1649 die Prozesse für Bremen und Verden verbot.“ [245]

 

Der holländische Prediger Balthasar Bekker (1634-1698) stellte in seinem 1681 erschienenen Buch „De betoverde Wereld“ die Existenz von Dämonen überhaupt in Frage und bestritt die Grundlagen des Glaubens an dämonische Kräfte, Hexerei und Zauberei. Bisher hatten Kritiker der Hexenprozesse im Prinzip nicht daran gezweifelt, daß es Hexen gebe, die einen Pakt mit dem Teufel eingingen und dafür bestraft werden müßten. Bekker hatte Theologie studiert und dann als Theologe und Exeget anhand der Bibel die Grundlagen der Hexenlehre überprüft.[246] Er kam zu dem Ergebnis, daß der Dämonen- und Hexenglaube aus dem antiken Heidentum stamme und in sich widerchristlich sei.[247] „Er beschuldigte das Papsttum, den Hexenwahn zu fördern, damit sich der Klerus bereichern könne.“[248] Auch machte Bekker den Befürwortern des Hexenglaubens den Vorwurf, „sie konzipierten den Teufel als einen zweiten Gott, der aus eigener Macht Böses tue“[249]. Die Schriften Bekkers trugen wesentlich dazu bei, die Hexenjäger von Holland fern zu halten.

 

Er selbst wurde als Atheist beschuldigt, verlor sein geistliches Amt und wurde aus der reformierten Kirche in Holland ausgeschlossen.[250]

 

Die Beendigung des Hexenwahns in Preußen wird in der Literatur dem Leipziger Juristen Christian Thomasius (1655-1728) zugerechnet. Bei ihm ist eine Art Wandlung vom „Saulus zum Paulus“ zu beobachten, denn Thomasius hatte ursprünglich die Hexendoktrin und damit auch die Praxis der Hexenprozesse hingenommen, ohne sie zu hinterfragen. Er hätte sich „für die herrschende Meinung über die Verbrechen der Hexen totschlagen lassen.“[251] 1694 sollte er ein Gutachten schreiben, ob eine Angeklagte in einem Hexenprozeß zu foltern sei oder nicht. Er befürwortete in seinem ersten Gutachten eine milde Folter. Nachdem seine Kollegen von der Halleschen Universität Bedenken anmeldeten, kam er in einem zweiten Gutachten zu dem Ergebnis, daß die Angeklagte freizulassen sei. Aufgrund dieses Erlebnisses begann sich Thomasius mit dem Hexenglauben und seinen Auswirkungen zu beschäftigen. Er las Weyer, Spee und Bekker und Schriften von Delrio, Nider und anderen Dämonologen.[252] Danach hatte er nur noch „einen einzigen Reformvorschlag zu machen: Diese Hexenprozesse müssen verboten werden.“[253] 1701 erschien seine Dissertation „De crimen magiae“ und 1712 die Schrift „Des origine ac progressu processus inquisitorii contra sagas“. Er vollbrachte in seinen beiden Dissertationen etwas bisher nicht Dagewesenes: er greift das Kernstück des dämonologischen Hexenglaubens, den Teufelspakt, an und demontiert ihn. Mit den Methoden der Geschichtsschreibung führte er den Nachweis, daß die Paktvorstellung erst im 15. Jahrhundert entwickelt worden sei.[254] Er sprach dem Teufel jeden Einfluß in materiellen Dingen ab, wollte die Folter beseitigt wissen und meldete erhebliche Zweifel an der Grundlage des Verbrechens an.[255] Thomasius sorgte auch dadurch für Aufregungen, weil er Bücher von englischen Verfolgungsgegnern, teilweise auf eigene Kosten, übersetzen ließ.[256] Die wissenschaftliche Auseinandersetzung war sehr lebhaft. Thomasius wurde scharf kritisiert und angegriffen, aber die Universität Halle und seine Kollegen unterstützten und bestätigten ihn. Die Obrigkeit sah in Thomasius Schriften kein bedeutsames Politikum. Die Auseinandersetzung vollzog sich ausschließlich auf geistigem Terrain.[257]

 

1714 erließ der preußische König ein Edikt, das praktisch die Beendigung der Hexenprozesse in Preußen einleitete.[258] Dies kann als Erfolg der von Christian Thomasius ausgelösten Kontroverse gelten.

 

Magische Welt

 

Magisches Weltbild und magischer Alltag

 

In der frühen Neuzeit glaubten die Menschen an die Wirkung von Magie und Zauberei. Sie lebten in einer von Magie bestimmten Welt. Die Zauberin oder Hexe war keine ungewöhnliche Erscheinung. Labouvie schreibt, daß „der Hexenglaube der ländlichen Vorstellungen (...) im Kontext volksmagischer Vorstellungen durchaus ‚normale‘ Züge“ [259] hatte. Die Menschen der frühen Neuzeit benutzten eine andere Ontologie[260] als der Mensch der Gegenwart. Sie glaubten an ruhelose Seelen und daran, daß die Welt voll von Gespenstern sei. „Kleine alltägliche Zufälle [wurden] fieberhaft hin und her gewendet, um herauszufinden, welche Bedeutung sie für das Individuum hatten, welche Aufschlüsse über Kausalität und Schicksal sie geben konnten.“[261] Alle Phänomene, ob natürlich oder übersinnlich, besaßen eine gewisse Überrealität. Die Geständnisse und Vorwürfe im Rahmen einer Hexenverfolgung müssen als mentale Produkte verstanden werden, die auf einem signifikanten System basierten.

 

Der Zauberglaube war ein „Erbe des Mittelalters“ und jeder, vom kleinen Bauern bis zum Adeligen, partizipierte daran.[262] Alle Schichten der Gesellschaft praktizierten in verschiedenen Ausprägungen und Anwendungen irgendeine Form von Magie. Magie wurde zur Lösung von Problemen, zur Lebensbewältigung und zur Abwehr von Bedrohungen im Alltag eingesetzt.[263] In den bäuerlichen und ackerbürgerlichen Gemeinden spielte Magie als Mittel zur Existenzsicherung eine entscheidende Rolle. Es wurden Rituale zur Schadenabwehr eingesetzt oder um die Fruchtbarkeit von Mensch, Vieh und Acker zu beeinflussen.

 

Astrologie und Alchemie, die „Magie der Gelehrten“, waren die Domänen des Adels und des gebildeten Bürgertums. Sie versuchten, mit Hilfe dieser „Wissenschaften“, Richtlinien für ihr Handeln und Deutungen der Welt zu gewinnen.[264] „Frühmittelalterliche Quellen zeigen, daß auch die gesellschaftliche Oberschicht zur Konsultation von Zauberern – auch Zauberweibern – aus dem Volk nicht abgeneigt war, und die Strafbücher der Stadt Augsburg vermitteln uns noch im frühen 17. Jahrhundert den gleichen Befund.“[265]

 

Auch die Kirche konnte sich diesem allgemeinen Magieglauben nicht entziehen. Ihren Heilssymbolen und Ritualen wurde magische Wirkung zugesprochen, und die Geistlichen setzten sie entsprechend zur Bannung und Abwehr von Verzauberungen ein.[266]

 

Die magische Deutung von Alltagsereignissen und Zusammenhängen war dennoch kein geschlossenes statisches System. Die Interpretation eines Vorfalls auf magischem Weg war nur

 

eines von mehreren Deutungsmustern. Paßte das Muster zur Situation, stellte es geeignete Handlungsalternativen bereit. Diese Handlungsmuster gewährleisteten einen adäquaten Umgang mit magischen Kräften und Mitteln und ermöglichten die Abwehr und den Schutz vor unerwünschter magischer Einflußnahme auf das eigene Leben oder das eigene Hab und Gut.[267]

 

Honegger schreibt:, daß Menschen nie unvoreingenommen an Probleme herantreten würden. Sie wären bereits mit Interpretationsvorlagen ausgerüstet. Diese Schablonen würden tradierten Mustern, Typisierungen und Lösungsroutinen entstammen. Durch Tradierung der kulturellen Muster und deren Aktualisierung, durch Veränderung im sozialen Handeln, würde die Vermittlung zwischen dem objektiven und dem subjektiven Konstitutionsprozeß geschehen.[268]

 

Ergänzend dazu schreibt Behringer:

 

Struktur und Persistenz des Hexenglaubens wird als Folge seiner Verankerung im sozialen Leben betrachtet, seiner Funktion bei der Bewältigung von angsterregenden Situationen und interpersonalen Konflikten. Er dient der Strukturierung der Wahrnehmung und vereinfachten Kategorisierung der Umwelt und stellt damit ein ordnendes und entlastendes Moment dar. Unerwartetes Unglück, das Auftreten plötzlicher und unheilbarer Krankheiten können auf die Einwirkung ‚böser Leute‘ zurückgeführt werden, auf magische Kräfte, Zauberei oder Hexerei (Kontingenzreduktion). Mit dieser Diagnose verknüpft ist die spannungslösende Möglichkeit der aktiven Bekämpfung.[269]

 

Der Glaube an die Wirkung von Magie gründete auf der Entsprechung von Mikro- und Makrokosmos, d. h.: alles, was unter magischen Voraussetzungen im Kleinen getan wird, hat Einfluß auf größere Zusammenhänge und umgekehrt. Außerdem beinhaltet Magie den animistischen Glauben an die Beseeltheit von Welt und Natur. Aufgrund dieser Denkungsart gingen Anwender von Magie davon aus, daß sie die Beherrschbarkeit von Naturgewalten und die Bewältigung von Alltagsproblemen auf magische Weise sicherstellen konnten.[270]

 

Magie bot, im Gegensatz zu den Hilfsmöglichkeiten der Kirche, eine Möglichkeit zum aktiven Handeln. Magische Rituale begleiteten die Menschen durch das Jahr und bei wichtigen Stationen des Lebens und gaben dem Ganzen einen festen Rahmen, ebenso wie die Kirche es tat. Insofern stand Magie nicht im Widerspruch zur Kirche, auch wenn diese es gerne so sehen wollte.[271] Der magische Volksglaube des Mittelalters und der frühen Neuzeit war keine besondere Erscheinung der europäischen Gesellschaft, sondern glich im wesentlichen dem Glauben anderer traditionaler, präformaler Gesellschaften.[272] Oesterdieckhoff schreibt dazu:

 

Das magische Denken in traditionalen Kulturen ist (...) Produkt des Wunschdenkens (...). Kinder und erwachsene Analphabeten traditionaler Kulturen glauben gleichermaßen, daß sie mit Wünschen, Sprüchen und Ritualen den Lauf der Welt beeinflussen können. Indem der Mensch durch Zauberhandlungen den empirischen Verlauf der Dinge und Ereignisse bestimmen kann, gibt es keine strenge Grenze zwischen Ich und Welt, Mikro- und Makrokosmos, Subjekt und Objekt, Person und Kosmos. Die Welt ist dem Menschen gegenüber nicht gleichgültig und übermächtig, sondern er kann Sonne, Regen, Feinde und Freunde in seinem Sinne direkt lenken und

 

bestimmen. Diese magischen Vorstellungen finden sich zweifelsfrei in allen traditionalen Kulturen und sind eindeutig präoperational.[273]

 

Magie war lebensnotwendig gegen Hexerei, doch war der Hexenglaube, oder besser der Glaube daran, daß es Menschen gab, die Verbindung zu übernatürlichen Wesen aufnehmen und zaubern können , nur ein Element des magischen Weltbildes. Volksmagisches Denken war eingebunden in religiöse Handlungen und Praktiken, die die Verbindung zu höheren oder übernatürlichen Mächten sicherstellen sollten.[274]

 

Für sich genommen wurde Magie weder als gut noch als schlecht angesehen. Magie konnte allerdings, wie jedes Werkzeug, zum Guten und zum Schlechten eingesetzt werden. Sie wurde im guten Sinne eingesetzt, um Leben, Fruchtbarkeit und Besitz zu sichern, und so war es nur folgerichtig, daß mit Hilfe von Magie auch Krankheiten, Tod und Unglück verursacht werden konnten.[275] Die Möglichkeit und der unkontrollierbare Einsatz der Magie zum Nutzen wie zum Schaden verliehen ihr einen ambivalenten Charakter. Sie ist eine verheißende, unkalkulierbare und unheimliche Macht, die die Vorstellungskraft schon immer angeregte. Der Umgang der Menschen mit Magie und mit Situationen, in denen ein Schadenzauber vermutet werden könnte, war allerdings eher pragmatisch. Labouvie bemerkt dazu: „Die Landbevölkerung war, wie es ihr praxisorientierter Umgang mit vermuteten Behexungen zeigt, keineswegs dazu bereit, jeden Schadenzauber hochzustilisieren und als eine Besonderheit innerhalb des magischen Feldes zu behandeln, zumal sie sich damit der eigenen Hilflosigkeit preisgegeben oder sich dem kirchlichen Angebot an Mitteln zur Hexenbannung ausgeliefert hätte.“[276]

 

Zauberei im Alltag und magische Berufe

 

Wenn man heute nicht unter einer Leiter hindurchgeht, weil es angeblich Unglück bringt, ein vierblättriges Kleeblatt pflückt und aufbewahrt, weil es Glück bringt, oder wenn man dreimal auf Holz klopft, um einem Unglück vorzubeugen. Wenn man die erste Kastanie, die man im Herbst findet, in die Jackentasche steckt, weil sie einfach „magisch“ ist oder angeblich vor Rheuma schützt, oder auf kindliche Art die Finger hinter dem Rücken kreuzt, sobald man die Unwahrheit sagt, so wird man heute als abergläubisch belächelt. Dies sind aber offensichtlich rudimentäre Überbleibsel eines gesellschaftlichen Weltbildes aus einer Zeit, in der Magie und magische Zeichen allgemein sehr ernst genommen wurden. Magie war in die konkrete Lebenspraxis der Menschen eingebunden und nicht vom alltäglichen Brauchtum zu trennen.[277]

 

Natürlich sind Mittel, Handlungen und Worte, die zur Magieausübung gehören, räumlich und zeitlich unterschiedlich benutzt worden, aber um einen Zauber zu wirken[278], wurden immer spezifische Kenntnisse benötigt. Dies konnten Mischungen spezieller Substanzen sein, besondere Praktiken, die zu bestimmten Gegebenheiten durchgeführt werden mußten, um die gewünschte Wirkung hervorzurufen, oder auch Sprüche, die bei zauberischen Handlungen aufgesagt werden mußten. Offenbar war es so, daß jeder Mensch in seiner Erziehung auch ein magisches Grundwissen vermittelt bekam, das als Vorsorge- und Schutzmaßnahme dienen sollte.[279]

 

Wußte man bei einem Problem nicht weiter, konnte man sich an Personen wenden, die ein spezialisiertes Wissen hatten und entweder selbst tätig wurden oder einen Ratschlag geben konnten, was zu tun sei. Nach van Dülmen waren dies „Spezialisten der Volksmagie für besondere Fälle“.[280] Diese Leute wurden konsultiert, wenn man mit dem eigenen magischen Wissen nicht mehr weiterkam. Van Dülmen schreibt: „Die Wirksamkeit von magischen Praktiken war aber nicht nur von bestimmten Personen und Kenntnissen, sondern auch von besonderen Orten, bestimmten Zeiten oder Ereignissen abhängig. Nur die Berücksichtigung all dieser Momente sowie der richtige Spruch und die genaue Durchführung des Rituals führten zum Erfolg.“[281]

Excerpt out of 116 pages

Details

Title
Hexenglauben, Hexenverfolgung, Hexenwahn im Deutschland der frühen Neuzeit
College
University of Kassel
Grade
2
Author
Year
2001
Pages
116
Catalog Number
V185764
ISBN (eBook)
9783656982005
ISBN (Book)
9783869430386
File size
2205 KB
Language
German
Keywords
hexenglauben, hexenverfolgung, hexenwahn, deutschland, neuzeit
Quote paper
Heike Albrecht (Author), 2001, Hexenglauben, Hexenverfolgung, Hexenwahn im Deutschland der frühen Neuzeit , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/185764

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Title: Hexenglauben, Hexenverfolgung, Hexenwahn im Deutschland der frühen Neuzeit



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