Das johanneische Brotwunder im Kontext des sechsten Kapitels des Johannesevangeliums


Seminararbeit, 2003

39 Seiten, Note: 1


Leseprobe

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Inhaltsverzeichnis

Bibelstelle Joh 6,1-15

A. Einleitung

B. Das johanneische Brotwunder im Kontext des sechsten Kapitels des Johannesevangeliums
1 Versuch einer Gliederung für Joh 6
2 Synoptischer Vergleich der sechs Brotwundertraditionen
3 Textanalyse
4 Motivkritik
4.1 Literarische Motive
4.2 Das Motiv „Mose"
4.3 Das Motiv „Pascha"
4.4 Die Geschenkwunder im Elija-Elischa-Zyklus
4.5 Die Einsetzungsworte im Herrenmahl im Vergleich mit Joh 6,11
5 Gattungskritik
6 Die Entstehung der Perikope - 2 Theorien
6.1 Semeiaquelle - Evangelist - Kirchliche Redaktion
6.2 Ur Markus - secondary orality - secondary literacy - Evangelist - eucharistische relecture
6.3 Fazit
7 Interpretation
7.1 Interpretation als Wundergeschichte
7.2 Interpretation als Zeichen zu Beginn von Joh 6

C. Zeichen oder Wunder ?

Literaturverzeichnis

Anhang

A. Einleitung

Eine Arbeit zu einem Zeichen des Johannesevangeliums in einem Seminar über synoptische Wunder muss man zu recht für verfehlt halten. Nur übt die sechsfache Überlieferung dieser Wundergeschichte einen gewissen Reiz aus, der noch verstärkt wird durch die Verwendung der Doppelperikope Speisung und Seewandel durch die Synoptiker und durch Johannes. Was ist es, das diese Überlieferung für die frühe Christenheit so wichtige machte? Und wieso findet sich im Johannesevangelium, der kein Abendmahl überliefert, diese Speisung im selben Kapitel wie die Aussagen über Fleisch und Blut Christi?

Antworten auf diese Fragen wird diese Arbeit nicht geben können - höchstens Ahnungen wecken. Was diese Arbeit dagegen versuchen möchte sind zwei Interpretationen dieser Perikope: eine Interpretation als Wundergeschichte und eine Interpretation als Zeichen am Anfang des 6. Kapitels.[1]

В. Das iohanneische Brotwunder im Kontext des sechs­ ten Kapitels des Johannesevanqeliums

1 Versuch einer Gliederung für Joh 6

Vor Beginn der eigentlichen Exegese wird es sinnvoll sein sich ein Bild über Joh 6 als solches zu machen. Dabei sei vorausgestellt: Eine Gliederung bis ins Detail wird nicht möglich sein. Eine scharfe Grenze zwischen den einzelnen Abschnitten ist nicht zu ziehen aus zwei Gründen: Das Kapitel ist von Brüchen und Widersprüchen scheinbarer und tatsächlicher Rat geprägt; sowie haben einige Verse m.E. eine Doppelfunktion, z.B. spielt V15b eine Rolle für beide Wunderberichte.

In Anlehnung an Michael Labahn und Klaus Scholtissek sehe ich vier Abschnitte dieser „dramatischen Kompositiorf[2]:[3]

Erstens die Exposition. Die Verse 1-4 können sowohl als Exposition der Wundersequenz, als auch als globale Einleitung in das sechste Kapitel gesehen werden. Bei Blick auf das Zeichen im Kontext des Kapitels muss man diesen Abschnitt zusammen mit der Wundersequenz beachten, wenngleich Widersprüche nicht gelöst werden können. Isoliert man die Perikope, reicht V5 als Einleitung für das Brotwunder.

Zweitens die Wundersequenz. Ihr Abschluss ist frühestens V21 spätestens V23. Drittens die Brotrede. Sie endet mit V58. V59 hat die Funktion einer Zwischeninformation.

Drittens Spaltungen und Credo. Dieser Abschnitt beginnt mit V60 und endet klar mit V71, auch wenn dieser auf eine Zukunft der Spaltung verweist.

Die Wundersequenz zerfällt in die Speisung sowie den Seewandel. Die Grenze zwischen beiden bildet V15b, der zu beiden Perikopen gerechnet werden muss, da er sowohl die Reaktion des Wundertäters des ersten Wunders auf die Reaktion des Volkes darstellt, als auch die Exposition des Wundertäters des zweiten Wunders. Auch der Übergang vom Seewandel zur Rede ist fließend. Das Feststellungsverfahrens für den Seewandels kann bis V25a gelesen werden. V25b hätte ebenfalls durchaus eine Berechtigung im Wunderfeststellungsverfahren. V30 ist als Zeichenforderung mit der Frage V25b verknüpft, die als Antwort ein Eingeständnis eines Wunders erwartet. Demnach sind V25b-30 aber auch für die Rede unverzichtbar. Scholtissek sieht sie als den ersten von sechs Dialogen Jesu mit der Menge bzw. „den Juden". Der letzte Abschnitt - ein Dialog Jesu mit den Jüngern - ist schwer zu gliedern: V61 berichtet vom Murren der Jünger. Es folgt eine - ich nenne es einmal - Argumentation Christi. V66 manifestiert die Abspaltung von Jüngern, V68f. das Glaubensbekenntnis Petri. V70f. Ist die Vorschau auf eine weitere Abspaltung, nämlich der Verrat des Judas.

Dieses Innereinanderfließen der einzelnen Teile rechtfertigt folglich die Aussage „Dramatische Komposition". Untrennbar führt Joh 6 den Leser von den zwei Wunderngeschichten über Dialoge mit der Menge, „den Juden" und den Jüngern zu der Entscheidungsfrage Jesu, auf die Petrus stellvertetend für die Jünger antwortet. Doch auch diese Entscheidung bleibt nicht die letze „crisis".

2 Synoptischer Vergleich der sechs Brotwundertraditionen

Die Perikope von dem Brotwunder ist in den vier Evangelien sechsmal überliefert: Mk 6,30-44;8,l-10 , Mt 14,13-21;15,32-39 , Lk 9,10-17 , Joh 6,1-15.

Dabei sind Mk 6, Mt 14 und Joh 6 mit der Seewandelerzählung verbunden.

Anzahl der Menschen und Zahlenverhältnis der Brote

- Speisung der Viertausend:

Mk 8 und Mt 15 berichten von der Speisung der Viertausend aus sieben Broten (bei Mt15 noch ein paar Fische) mit sieben Körben voll von Brotresten.

Mt 15 berichtet von 4000 Männern „dazu noch Frauen und Kinder[4], Mk 8 dagegen: „Es waren etwa viertausend Menschen beisammen."[5]

- Speisung der Fünftausend:

Mk 6 , Mt 14 , Lk 9 und Joh 6 erzählen eine Speisung von fünftausend Männern, Mt 14 nimmt wieder Frauen und Kinder hinzu[6]. Die Speisung erfolgt bei den vieren jeweils aus fünf Broten und zwei Fischen mit 12 Körben übriggebliebenen Brotes.

Aufbau

Mt 15 und Mk 8 sowie Mt 14, Mk 6 und Lk 8 bilden je eine Familie. Joh 6 stellt eine dritte Variante dar:

- Bei Mt 14, Mk 6 und Lk 8finden wir folgenden Aufbau: Jesus möchte allein sein aus unterschiedlichen Motiven, die Leute folgen ihm, aus Mitleid belehrt er sie und heilt (außer bei Lk 9); die Jünger verweisen darauf, dass die Menschen essen brauchen und möchten sie wegschicken, doch Jesus sagt: „Gebt ihr ihnen zu essen!"[7] Er lässt die Leute sich setzen, wirkt wie oben beschrieben das Wunder und die Jünger sammeln die Reste ein.
- Die Familie Mk 8/Mt 15 beginnt mit dem Mitleid Jesu. Er will den hungrigen Menschen zu essen geben, doch die Jünger haben Einwände. Er fragt nach Nahrungsmittel, wirkt das Wunder und die Jünger sammeln die Reste.
- In Joh 6 folgen die Menschen Jesus aufgrund von Heilungen. Ohne Erwähnung eines Hungermotivs fragt er Philippus nach Essen. Dieser hat Einwände, doch Andreas präsentiert einen kleinen Jungen mit Nahrung. Ganz alleine ohne Jüngerhilfe speist Jesus die Menge. Erst auf seine Aufforderung hin Sammeln diese die Reste.

Das Mahl

- Bei Joh 6 spricht Jesus das Dankgebet über die Brote, das Verfahren mit den Fischen bleibt unklar. Bei Mk 8 spricht er das Dankgebet über die Brote und segnet die Fische. Ansonsten dankt er über Fische und Brote.
- Bei Joh 6 bricht er die Brote nicht.
- Bei allen synoptischen Perikopen bricht Jesus die Brote spricht das Dankgebet und lässt seine Jünger ausgeben, während er bei Joh 6 alles selbst erledigt.

Motive

- Krankenheilungen begegnen bei Mk 6 und Lk 9. Sie sind geschehende Heilungen, während in Joh 6 nur eine Erinnerung vorliegt.
- Das Motiv der 200 Denare gegegnet bei Joh 6 und Mk 6.
- Eigene Motive des Joh 6 sind Pascha, Philippus und Andreas, Gerstenbrote, ,,damitnichts verdirbt(V12), die eschatologische Deutung Jesu.
- Gras gibt es auch bei Mt 14 und Mk 6. Bei Mk 6 wird erwähnt, dass es grün ist.

Somit kann für die Ähnlichkeit von Joh 6 zu Parallelen festgestellt werden, dass der Beginn mit der Initiative Jesu verwandt zu Mt 15/Mk 8 ist, ansonsten die Ähnlichkeit zu Mk 6/Mt 14/Lk 9 überwiegt, bei vielen Abweichungen. Wenngleich Joh 6 näher an Mk 6 zu stehen scheint als an anderen Parallelen, kann aber aus dem synoptischen Vergleich kein direkter Zusammenhang herausgelesen werden. Auffallend ist die souveräner Stellung Jesu bei Joh 6, der keine Gründe oder Hinweise oder Helfer für das Wunder benötigt.

3 Textanalvse

Bereits VI ist gehäuft mit Auffälligkeiten. Zum einen die sehr undifferenzierte Zeitangabe „danach", die erst in V4 genauer bestimmt wird; zum anderen die doppelte, aber in ihrer genaueren Eingrenzung unbestimmte Ortsangabe: „das andere Ufer des Sees von Galiläa, der auch See von Tiberias genannt wird'[8].

Gnilka setzt die Umstellung von Kap 5 und 6 voraus und folgert aus Kafarnaum als Schauplatz der vorausgehenden Heilung somit das östliche Ufer als Ort des Brotwunders, was laut Wengst auch von V17 untermauert wird.[9] Allerdings lässt m.E. sich aus „über den See, auf Kafarnaum zu'[10] lediglich eine Bootsfahrt in Richtung Kafarnaum, aber nicht eine genaue Bestimmung der Abfahrtstelle he­rauslesen. Kap 5 kann mit Jerusalem als Bezugspunkt überhaupt nicht weiterhel­fen. Wengst unterstellt dem Evangelisten eine westliche Situierung[11], und Schna- ckenburg erkennt die Möglichkeit, aus V23 die Gegend von Tiberias zu folgern. Während die Bezeichnung See von Tiberias in rabbinischer Tradition begegnet[12], findet sich See von Galiläa noch bei Lk und Mt. Im Griechischen steht thalassa (Meer) und nicht limne (See), was allerdings im Hebräischen durch dasselbe Wort ausgedrückt wird.[13] Die Bezeichnung See von Tiberias begegnet in Joh noch im Nachtragskapitel 21, somit könnte diese Bezeichnung vom Redaktor des Kap 21 eingetragen sein, womit der Evangelist nur vom See von Galiläa sprach.[14] Die Orts-, Zeit- und Richtungsangaben sind folglich ungenau.

In V2 wird nun die Situation näher beschrieben, nämlich das Volk eingeführt. Diese große Volksmenge ist für Joh eine Besonderheit. Ihre Herkunft bleibt dem­nach im Dunkeln. Hier könnte eine Kenntnis des sog. „galiläischen Frühlings" der Synoptiker vorauszusetzen sein.[15]

V3 ist wie die vorangegangenen Verse ausschließlich Jesus-zentriert. Nach Je­sus (V1) und dem Volk (V2) werden nun zuletzt die Jünger in das Geschehen ein­geführt. Die Akteure sind somit vollzählig. Der Evangelist führt in einer klaren Aussage weiter die Situation ein, in der die Speisung stattfinden wird: „Jesusstieg auf den Berg und setzte sich mit seinen Jüngern nieder"[16] Beachtenswert ist das unmotivierte Auftreten der Jünger aus dem Nichts. Klaus Wengst sieht in diesem Vers eine Lehrszene mit Lehrer und Schülern.[17]

V4 konkretisiert die Zeitangabe aus V1 „danach" erheblich: nicht allzulange vor dem Pessach-Fest. Auffallend ist sicher die Ergänzung „das Fest der Juden". Es stellen sich hier zwei Fragen: Erstens. Ist die Ergänzung eine Erklärung für Hei­den oder aber keine Erklärung sondern eine Distanzierung? Und Zweitens. Ist dieser Vers bloß eine Zeitangabe oder ein Motiv? Auf die erste Frage wird man auch mit Blick auf V41.52 keine unumstrittene Antwort finden, beide Fragen müs­sen später noch Beachtung finden. Rein zeitlich deckt sich Pascha mit dem vielen Gras aus V10.[18] Darüber hinaus ist noch festzuhalten, dass der Vers durch seine Stellung in der Perikope ziemlich sperrig wirkt.

Waren V1-4 sehr stichpunktartig, bringt V5 eine völlig neu Erzählqualität. Das Aufblicken und Sehen Jesu wirkt sehr erhaben. Dieser Eindruck verstärkt auch die Verlangsamung der Erzählung: war bisher erzählte Zeit viel länger als die Erzähl­zeit, werden sie nun nahezu deckungsgleich. V5a wirkt in seiner aus Sicht des Le­sers „matrixartigen"[19] Darstellung wie eine Gliederungsbarriere. Während in V2.3 die Lokalisierung des Volkes nicht klar war, ist es nun im Ergebnis bei Jesus. Dass Jesus die vielen Menschen erst jetzt wahrnimmt, wirft Fragen auf: Werden die Menschen nun ein zweites Mal aus dem Nichts in die Geschichte eingeführt, was der Wortwahlwechsel „Menschenmenge" (V2) - „viele Menschen"(V5) untermau­ern würde, oder hat Jesus sie aus irgendwelchen Gründen bis dato nicht wahrge­nommen? Klar zu sehen ist, V3.4 stehen wie eine unüberwindliche Barriere zwi­schen V2 und V5. Sie wären bis jetzt für den Erzählverlauf auch nicht notwendig gewesen. Andererseits war bisher die einzige Konstante nur Jesus. Jünger und Menschen sind nur punktuell aufgetreten. Als weiterer Bruch ist „folgte ihm"(V2) und „zu ihm kamen"(V5) zu nennen. Folgen impliziert eine ständige mehr oder weniger enge Gegenwart des Kollektivs Menschenmenge, Kommen dagegen ein plötzliches Sammeln der Individuen Menschen aus verschiedenen Richtungen an einem Punkt. Dieser Wechsel vom Kollektiv zum Individuum findet sich beim He­raustreten des Philippus aus der Jüngerschaft wieder. Der Leser des Evangeliums weiß um seine Jüngerschaft aus 1,43, der Leser der Perikope erschließt es aus der folgenden Frage Jesu. Dazu ist anzumerken: Eigentlich handelt es sich nicht um ein aktives Heraustreten des Philippus, sondern um ein passives Herausge­holtwerden. Der einzige aktiv Handelnde ist Jesus und bleibt Jesus.[20] Dieser sitzt mit seinen Jüngern auf einem Berg, viele Menschen kommen, und er fragt: „Wo sollen wir Brot kaufen, damit diese Leute zu essen haben?'[21] Alles in allem liegt eine sehr seltsame und rätselhafte Situation vor. Es ist kein Motiv und kein Grund für diese Frage Jesu berichtet.[22] Ganz im Gegenteil: Die Leute kommen wegen Heilung, sei es aus Not oder Neugier. Ein Hinweis auf die Tageszeit fehlt. Aller­dings bezeichnet diese Frage bereits ein Hindernis für das folgende Wunder.[23] Dass die Frage an einen Jünger gerichtet ist, zeigt die Distanz von Wundertäter und Begünstigten an; sie stellt somit keine Kommunikation zwischen Volk und Je­sus dar.[24]

Darüber hinaus erweist sich diese Frage im Folgenden als eine rhetorische: Je­sus weiß was er will.[25] Und sie ist eine Prüfung des Meisters für den Schüler. So­mit ist sie auch eine „pädagogische"[26]. Beides sagt V6 klar und deutlich. Bemer­kenswert an diesem Vers ist allerdings: der bisher als solcher geglaubte Er- Erzähler entpuppt sich als auktoraler Erzähler. Er weiß nicht nur, was er sieht, sondern auch, was die Hauptfigur Jesus denkt. Aber er belässt den Blickwinkel wie gehabt: berichtet wird aus der Sicht Jesu, wenngleich in der Information nicht besonders erschöpfend. Mit diesem Wissen über einen auktoralen Erzähler ent­hüllt sich dem Leser, dass die Erzählung ganz bewusst rätselhaft gestaltet ist.

Ob Philippus die Probe besteht, lässt sich aus der Antwort noch nicht erkennen; die Antwort ist vernünftig und klingt bei einer genügend großen Menschenmenge wohl realistisch. Nur ein erfahrener Jesus-Leser weiß sie als zu weltlich und dem­nach als naiv. Philippus'Antwort erinnert an Mk 6,37. Nur sind die 200 Denare dort der Preis für die Brotmenge, hier sind sie ein ungenügender Vergleichs­punkt.

Die Antwort beschreibt eine Erschwernis des Wunders, aber in Verbindung mit V12f. ist es eine Beschreibung der Größe der Speisung.[27] 200 Denare waren das jährliche Existenzminimum einer palästinänsischen Familie und wohl das Jah­reseinkommen eines Taglöhners. Evtl. ist die Steigerung aber auch vor dem Hin­tergrund einer Veränderung der Leserschaft des Evangeliums zu sehen: das Le­ben in großen Städten war um einiges teuerer. Dies, die üblichen Massenspeisun­gen nobler Familien und der Luxus antiker Symposien mussten überboten wer­den.[28] Schlussendlich ist zu sagen: V7 hat eine nicht oder nur wenigen Bürgern des Römischen Reiches zur Verfügung stehende Summe und in der Steigerung eine noch viel größere zum Inhalt. Als ob diese Aussage in V7b nicht schon rei­chen würde, V7c setzt die Messlatte nun endgültig in unvorstellbare Höhen.

Obwoisher nicht eingeführt, tritt in V8 nun Andreas auf. Auffällig ist die doppelte Vorstellung als Jünger Jesu - vorangestellt - und nachgeschoben als Bruder des Simon Petrus. Hier scheint nichts zufällig zu stehen: Andreas, Philippus und Pet­rus begegnen bereits in 1,35ff. : Andreas und Simon sind Brüder, Philippus kommt aus demselben Ort. Andreas ist Johannesjünger, die anderen beiden evtl. nicht. Andreas folgt Jesus, weil er das Lamm Gottes ist, und er ,bekehrť Petrus, der von Jesus herausgehoben wird als Fels. Philippus wird von Jesus berufen und bringt einen „echten Israeliten" zu Jesus. Sie sind die ersten drei Jünger Jesu, ein Er­kennender, ein vom Zeugnis Bekehrter und ein Berufener. Umfassender geht es nicht. Ist Petrus hier nicht Akteur, sondern Vergleichspunkt, muss man seine Nennung als Hinweis auf V68 sehen. Dort ist er Sprecher der Zwölf und erweist sich somit als der Fels der zukünftigen Heilsgemeinde. Die Speisung wird somit mit dem ganzen Kapitel verknüpft und man bekommt eine Ahnung, dass sie et­was mit einer Glaubensentscheidung zu tun haben wird bzw. wir als Leser noch damit zu tun bekommen werden.[29] Hierein passt auch, dass Andreas aus eigenen

Antrieb in das Geschehen eingreift, wenngleich er selbst aber nichts bewirkt. Im passiven Umfeld Jesu tritt nun dieser ansatzweise aktive und mit Petrus verknüpf­te Akteur auf. Petrus ist es dann, der die aktive Glaubensentscheidung in V68 be­kannt gibt.

Dass mit dem kleinen Jungen in V9 - in Legenden aus dem Bereich der Volks­frömmigkeit manchmal als der kleine Jonathan benannt - schon wieder eine Per­son aus dem Nichts auftaucht und sofort wieder verschwindet überrascht an die­ser Stelle keinen Leser mehr. Er besitzt 5 Gerstenbrote und 2 Fische. Interessan­terweise hält es der Erzähler nicht für notwendig zu erwähnen, dass er seinen Proviant anbietet. Das Wunder lässt sich nicht mehr aufhalten. Dazu stellt sich wieder die Frage, wofür ein kleiner Junge 5 Brote und 2 Fische braucht. M.E. darf man hier auf keinen Fall versuchen, ein Bild dieser Szene zu malen. Man kann aus all diesen Brüchen und Ungereimtheiten nur festhalten: Erstens. Dem Erzähler ist jedes Mittel recht das Wunder wie geplant stattfinden zu lassen. Zweites. Diese Vorbereitung dient lediglich dazu, Aussagen über das Wunder und seine Bedeu­tung zu machen. Was lässt sich also beobachten. Die Gerstenbrote sind sehr un­typisch. Nahrungsmittel waren Weizenbrote, Gerste war für Vieh und Arme ge­dacht. Wären sie als Hinweis für ein Armenmilieu bestimmt, wäre das der einzige sehr schwache Anhaltspunkt in diesem Kapitel und im Evangelium. Dagegen sind sie als Hinweise auf die Elischa-Speisung in 2 Kön 4,42-44 wahrscheinlicher zu denken. Gestützt wird das durch paidarion als Bezeichnung für den Jungen in V9 und für den Diener in 2 Kön 4,42 LXX. Das wird unten aber noch genauere Be­achtung finden.[30] Brot und Fisch ist darüber hinaus nicht nur Grundnahrungsmit­tel, sondern auch die übliche Speise am See Genesaret. V9b unterstreicht den herausfordernden Dialog mit V7: Dort viel mehr als 200 Denare und hier 5 Brote und 2 Fische. Dieser Dialog springt dann über auf V12.13. Zusammen stellen sie Erschwernis und Größe des Wunders dar.[31]

In V10 steht unuwieder ganz der Wundertäter im Mittelpunkt des Geschehens. Das Setzen der Leute bleibt rätselhaft[32]. Warum stehen sie immer noch?

[...]


[1] Dabei werde ich mich mit einer Frage nicht befassen: der Umstellungshypothese. Diese Stellung des Kapitels im Johannesevangelium ist nicht wichtig für die Interpretation dieser Perikope, vielleicht für die Interpretation des Kapitels. Ich setzte nur zwei Dinge vor: das sechste Kapitel kommt nach der Taufe Jesu und den ersten Jüngerberufungen.

[2] Labahn 11.

[3] Vgl. Labahn 11f. , Scholtissek 41ff.

[4] Mt 15,38.

[5] Mk 8,9.

[6] Vgl. Mt 14,21.

[7] Mk 6,37 , Mt 14,16 , Lk 9, 13.

[8] Joh 6,1.

[9] Vgl. Gnilka 46; Wengst 217.

[10] Joh 6,17.

[11] Vgl. Wengst 217.

[12] Die Stadt Tiberias wird im Jahr 26n.Ch. durch Herodes Antipas gegründet.

[13] Vgl. Wengst 218.

[14] Vgl. Schnakenburg 17.

[15] Vgl. Schnakenburg 17.

[16] Joh 6,3.

[17] Vgl. Wengst 219. Beachte hierzu auch das Griechische: Jünger = matetes = Schüler.

[18] Vgl. Schnakenburg 18.

[19] Zur Worterklärung: Die subjektive Zeitwahrnehmung ist für einen kurzen Augenblick erheblich schneller als die tatsächliche Zeit der Umwelt. Somit wird die Umwelt vom Subjekt als schneckenartig wahrgenommen.

[20] Ebenfalls als aktiv könnte man das Volk bezeichnen. Die rätselhafte Darstellung verhüllt ein Handeln des Volkes. Es kommt zu Jesus oder folgt ihm, womit die einzige Aktivität des Volkes darin besteht, willentlich sein eigenes Handeln vom Handeln Jesu abhängig zu machen. Somit ist es m.E. letztlich als passiv zu bezeichnen.

[21] Joh 6,5de.

[22] Vgl. Gnilka 46, dagegen Bultmann 156: Er spricht von einer „aus der Situation erwachsender] Verlegen­heit“.

[23] Vgl. Schnakenburg 19.

[24] Vgl. Labahn 18.

[25] Vgl. Becker 230.

[26] Schnakenburg 19.

[27] Vgl. Schnakenburg 20; Becker 230.

[28] Vgl. Labahn 21.

[29] Vgl. hierzu auch Labahn 22.

[30] Vgl. Schnakenburg 20; Gnilka 46; Wengst 220. Gegenteiliger Meinung: Becker 230.

[31] Vgl. Labahn 23; Gnilka 46; Schnakenburg 20.

[32] Bultmann spricht sogar vom „Befehl Jesu (...), der den Beteiligten zunächst als sinnlos erscheinen muß (SIC).“ (157).

Ende der Leseprobe aus 39 Seiten

Details

Titel
Das johanneische Brotwunder im Kontext des sechsten Kapitels des Johannesevangeliums
Hochschule
Universität Regensburg
Note
1
Autor
Jahr
2003
Seiten
39
Katalognummer
V186385
ISBN (eBook)
9783869437385
ISBN (Buch)
9783656994039
Dateigröße
902 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
brotwunder, kontext, kapitels, johannesevangeliums
Arbeit zitieren
Florian Neudecker (Autor:in), 2003, Das johanneische Brotwunder im Kontext des sechsten Kapitels des Johannesevangeliums , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/186385

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