sChOOL MOVES

Neue kindzentrierte tanzpädagogische Konzepte für die Grundschule anhand einer Befragung von 6-10jährigen Tänzerinnen


Diplomarbeit, 2009

224 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort und persönlicher Hintergrund der vorliegenden Diplomarbeit

Einführung und Einleitung in den Themenbereich

1 Tanz
1.1 Was ist Tanz?
1.1.1 Begriffsbestimmung
1.1.2 Ursprung und Entwicklung von Tanz
1.2 Für die vorliegende Arbeit relevante Tanzstile
1.2.1 Ballett
1.2.2 Modern Dance
1.2.3 Jazzdance
1.2.4 HipHop
1.2.5 Kreativer Kindertanz
1.3 Tanzpädagogik
1.3.1 Begriffsbestimmung Tanzpädagogik
1.3.2 Tanzerziehung für Kinder (im Alter von vier bis zehn Jahren)
1.3.3 Tanzmedizinische Aspekte in der Arbeit mit Kindern
1.3.4 Tanzpädagogische Ausbildungen im In- und Ausland
1.4 Zusammenfassung

2 Tanz in die Schule
2.1 Kinofilm Rhythm is it!
2.1.1 Inhalt des Films
2.1.2 Rahmenbedingungen
2.2 Warum Tanz und warum in der Schule?
2.2.1 Tanz ist ästhetische Bildung
2.2.2 Tanz versus Sportunterricht
2.2.3 Auswirkungen von Tanz auf Schule
2.2.4 Bewegte Schule
2.3 Kunst- und Kulturvermittlung an Österreichs Schulen
2.3.1 Kulturkontakt Austria
2.3.2 Förderungsmöglichkeiten
2.3.3 Tanzprojekte der letzten Jahre
2.4 Tanz als Teil des Curriculums im In- und Ausland
2.4.1 Niederlande
2.4.2 Großbritannien
2.4.3 Deutschland
2.4.4 Tanz an Schulen - Initiativen
2.5 Zusammenfassung

3 Hauptaspekte dieser neuen Formen der Tanzpädagogik
3.1 Tanz-Choreo
3.2 Kreatives
3.3 Präsentieren
3.4 Bewegung
3.5 Soziales-Freundinnen
3.6 Weitere Aspekte

4 Befragung
4.1 Einführung
4.1.1 Von der Idee zur Befragung
4.1.2 Fragebögen
4.1.3 Fragebogenstunde
4.2 kiddy dance club
4.2.1 Konzept
4.2.2 Stundeninhalte
4.2.3 Teilnehmende Schulen
4.3 Vorbereitung
4.3.1 Voruntersuchung arriOla Tanzstudio
4.3.2 Einweisung der Tanzlehrerinnen
4.4 Befragung

5 Auswertung und Interpretation
5.1 Faktorenanalyse
5.1.1 Komponentenmatrix der fünf Faktoren
5.1.2 Reliabilitätsanalysen
5.1.3 Kolmogorov-Smirnov-Anpassungstests
5.2 Überprüfung der Hypothesen
5.2.1 Hypothese
5.2.2 Hypothese
5.2.3 Hypothese
5.2.4 Hypothese
5.2.5 Hypothese
5.2.6 Hypothese
5.2.7 Hypothese
5.2.8 Hypothese
5.2.9 Hypothese
5.2.10 Hypothese
5.2.11 Hypothese
5.2.12 Hypothese
5.3 Zusammenfassung

6 Schlussfolgerungen und Ausblick

7 Zusammenfassung

Verzeichnisse

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Anhang
Häufigkeitstabellen ALLE
Häufigkeitstabellen K
Häufigkeitstabellen K
Fragebogen K
Fragebogen K
FB-Stunde K
FB-Stunde K

Abstract - Deutsch

Abstract - Englisch

Vorwort und persönlicher Hintergrund der vorliegenden Diplomarbeit

Ich habe begonnen „tanzpädagogisch" tätig zu sein, als ich selbst noch ein Kind war - lange bevor ich diese Bezeichnung kannte. Heute kann ich auf über zehn Jahre Erfahrung zurückblicken, auf unzählige Tanzstunden verschiedenster Art und auf weit über 1000 Kinder und Jugendliche, die mir begegnet sind und die ich zum Teil noch immer begleiten darf.

In all diesen Jahren haben mir die Kids wahrscheinlich mehr beigebracht, als umgekehrt: Geduld, persönliche Disziplin und fortwährendes Interesse an neuen Projekten. Die unzähligen Erfahrungen, die ich in dieser Zeit sammeln konnte, haben die vorliegende Arbeit einerseits initiiert und andererseits den Rahmen dessen vorgegeben, was ich damit erforschen wollte.

Aus diesem Grund bedanke ich mich hiermit in erster Linie bei all meinen Schülerinnen!

Des weiteren seien hier die Menschen dankend erwähnt, welche mich im Laufe meines Studiums und bei der Umsetzung dieser Diplomarbeit unterstützt haben, meine Eltern, Michel ATTIA, Cornelia AIGNER und die Lehrerinnen des kiddy dance clubs sowie Eva SCHICHO und Paul KUPPEL, die mir durch die Kooperation mit dem kiddy dance club ein breites Forschungsfeld geboten haben.

Schlussendlich möchte ich mich bei Univ.-Doz. Mag. Dr. Tamara KATSCHNIG bedanken, die nicht nur diese Diplomarbeit fachlich kompetent betreut hat, sondern mich auch von Beginn meines Studiums an stets zu inspirieren verstanden hat.

Und verloren sei uns der Tag, wo nicht einmal getanzt wurde! (Friedrich Nietzsche - Also sprach Zarathustra)

Einführung und Einleitung in den Themenbereich

Tanzpädagogik an sich ist ein Thema das keiner Disziplin anzugehören scheint. Für Sport zu pädagogisch, für Pädagogik zu schwer einzuordnen. So kann man es durchaus als ein heilpädagogisches Thema behandeln, wenn es sich um die Möglichkeiten des Tanzes in der Heilpädagogik handelt oder als sozialpädagogisches Thema, wenn es etwa um den Einsatz von Tanz an gewissen sozialpädagogischen Einrichtungen geht. Das alles sind aber nur Randbereiche der Tanzpädagogik.

Tanzpädagogik ist ein ständig wachsendes und durchaus wichtiges Berufsfeld - auch in Österreich. War Tanz früher noch etwas elitäres, ist es heute fast jedem zugänglich, wird an Volkshochschulen, als Nachmittagsprogramm in Volksschulen, am Universitätssportinstitut und vielen Institutionen mehr zu für jeden (?) leistbaren Preisen angeboten. Das wiederum hat zur Folge, dass weit mehr Tanzpädagoginnen als früher benötigt werden, die es mit vollkommen anderen Anforderungen zu tun haben als früher. So hat eine Tanzpädagogin heute nicht nur Tanzschritte und -technik zu vermitteln, sondern soll all den pädagogischen Ansprüchen, die an ErzieherInnen aller Sparten gestellt werden, ebenfalls genügen.

Diese Problematik ist auch Eva SCHICHO, Geschäftsführerin des kiddy dance clubs, zweifellos bewusst. Der kiddy dance club ist eine Organisation, die Tanzkurse an Volksschulen - und auch meist in Kooperation mit diesen - in ganz Österreich durchführt. Das im Jahr 2000 gegründete Unternehmen organisiert inzwischen etwa 70 Tanzkurse in ganz Österreich. Über 1000 Kinder zwischen vier und 14 Jahren nehmen diese Möglichkeit der kreativen Freizeitgestaltung in Anspruch und besuchen einmal wöchentlich einen kiddy dance club Kurs.

Im Unterschied zu Tanzkursen in Tanzstudios oder professionellen Ausbildungen steht beim kiddy dance club der Spaß deutlich im Vordergrund. Ziel ist nicht, die Kinder in verschiedenen Bereichen des Tanzes professionell zu schulen, sondern jedem Kind, so „talentiert“ oder „untalentiert“ es auch sein mag, den Spaß am Tanz zu vermitteln - kurz: Bewegung und Tanz an die Schulen zu bringen.

Diese Tendenz spiegelt sich auch bei zahlreichen anderen Anbietern in Österreich wieder: weg vom Professionellen, dem Leistungsdruck, den „Balletteltern“, die ihre Kinder zu unnötigem Ehrgeiz drängen, hin zu Spaß, dem gemeinsamen Tun und Erleben mit Gleichaltrigen - hin zur Vielseitigkeit.

Auch HASELBACH beschreibt in Ihrem 1984 erschienen Buch über Tanzerziehung an Schulen bereits diese Form der Tanzpädagogik. Danach soll jede Fixierung auf eine bestimmte Methode vermieden werden, um dadurch eine möglichst breite Basis zu schaffen, die später die Spezialisierung oder Förderung besonderer Talente ermöglicht. Diese sollte aber auf jeden Fall eine außerschulische Angelegenheit von SpezialistInnen sein. (HASELBACH 1984, S.10)

Problematischerweise zielen vorhandene Ausbildungen und Konzepte nicht unbedingt auf diese neuen Anforderungen ab. Es mangelt an Untersuchungen, wodurch diese neuen Anforderungen überhaupt definiert sind, sowie an Veröffentlichungen, die neue, interessante Wege in der Tanzpädagogik vorschlagen.

Eine weitere Problematik liegt meiner Meinung nach darin, dass die vorhandene Theorie und die Praxis der Tanzpädagogik derzeit weit auseinanderklaffen. Das mag darin begründet sein, dass sich in der Praxis sehr viel verändert hat, während von theoretischer Seite wenig Neues entstanden ist - vor allem wenig, das auf die aktuellen Tendenzen Bezug nimmt.

So sind speziell Tanzstilrichtungen wie Jazzdance, HipHop, Musicaldance, Showdance oder Videoclip-Dancing in professionellen tanzpädagogischen Ausbildungen nach wie vor verpönt und finden auch in der Literatur wenig Beachtung, obwohl von Seiten der Kinder genau dafür große Nachfrage besteht. Das hat zur Folge, dass Tanzpädagoginnen besonders in Österreich (und hier ganz speziell an den staatlichen Ausbildungsstätten) nach wie vor hauptsächlich in klassischem und zeitgenössischem Tanz ausgebildet werden und später vor allem bei jungem Publikum wenig davon anwenden können oder unausgebildet andere Tanzstile unterrichten.

Hinzu kommt die Tatsache, dass heute gerade in der Arbeit mit Kindern - so auch beim kiddy dance club - keine klar definierbaren Tanzformen mehr unterrichtet werden, sondern Mischformen aus den zuvor genannten Tanzstilen sowie auch aus Ballett, zeitgenössischem Tanz, kreativem Kindertanz und vielem mehr. Geboten werden soll ein abwechslungsreiches Programm, das die Tanztechnik und die theoretischen Erkenntnisse aus der Ballett-, Jazz- und Moderntechnik, wie etwa bei Matt MATTOX oder Rudolf von LABAN berücksichtigt und ein spielerisches Programm zur Körperwahrnehmung aus dem kreativen Kindertanz mit aktueller Musik und „coolen“ Choreographien aus den Videoclips verbindet. Und all das soll vor einem fundierten methodischen Hintergrund passieren.

Es wird jedoch nicht nur eine Mischform von Tanzstilen unterrichtet, sondern auch die Unterrichtsmethodik an sich ist beispielsweise beim kiddy dance club eine Mischform. Während im klassischen Tanzunterricht ausschließlich mit Imitation gearbeitet wird (Lehrer zeigt vor, Schüler machen nach), wird im kreativen Tanzunterricht viel Wert auf die Eigeninitiative der Schüler und Improvisationsarbeit gelegt (vgl. WAGNER 1996, S. 29). Diese beiden Methoden wechseln sich in den Tanzstunden des kiddy dance clubs ab. Vorgegebene Elemente geben den Kindern das Gefühl, etwas zu „lernen“ und bringen sichtbare Resultate für Kinder und Eltern, in freien, kreativen Tanzphasen hingegen werden die eigenen Möglichkeiten erprobt, ein persönlicher Bewegungsstil entwickelt und das kreative Potenzial ausgeschöpft.

Mir ist es dank der Unterstützung des kiddy dance clubs möglich gewesen, eine Untersuchung mit 300 Tanzschülerinnen durchzuführen. Als Forschungsziel habe ich mich entschlossen, mich auf die Wünsche und Ansprüche der Betroffenen selbst - also der zu unterrichtenden Kinder - zu konzentrieren, um anhand dieser Ergebnisse und auf Grundlage der vorhandenen Literatur aus verschiedenen Tanzrichtungen neue Wege für die tänzerische Arbeit an Schulen vorzuschlagen.

1. Tanz

In der vorliegenden Arbeit soll es um das Phänomen Tanz im Zusammenhang mit Schule gehen. Dafür ist es nötig, dieses Phänomen zuerst an und für sich zu betrachten und die Frage zu klären, was denn mit „Tanz“ überhaupt gemeint sei. Ist die Forderung nach Tanz an der Schule bereits erfüllt, wenn Musik aufgedreht und den Kindern Bewegung erlaubt wird? Oder findet Tanz erst dann statt, wenn eine feste Choreographie dazu erlernt wird? Und ist es für Tanz überhaupt notwendig mit Musik zu arbeiten?

Da für Tanz keine allgemeingültige Definition vorhanden ist, lässt sich auch kaum feststellen, wann Tanz an Schulen stattfindet (bzw. stattfinden würde). Auch HUBERT, Autorin von „Das Phänomen Tanz“ ist sich dieser Problematik bewusst: „Den Theoretikern und Theoretikerinnen, die sich wissenschaftlich mit der Frage ‚Was ist Tanz?’ auseinandersetzen, stellt sich (dabei) eine vollständig andere Aufgabe als den Praktikern und Praktikerinnen aus dem Tanzbereich. Sie stehen vor dem Problem, den wesentlichen Gehalt von Tanz aus der Vielfalt seiner Erscheinungsformen zu ermitteln.“ (HUBERT 1993, S. 16)

Ziel dieses ersten Kapitels wird es deshalb sein, das zu definieren, was im Rahmen von Tanz an Schulen - speziell aber beim kiddy dance club - das Phänomen Tanz kennzeichnet.

1.1 Was ist Tanz?

„Doch heute tanzt man nicht nur Pogo. Die Zeit, in der die Tanzwut einen eindeutigen Namen trug, ist vorbei.“ (zit. n. HUBERT 1993, S. 132)

„Dance is so many things! It can be a leap for joy, a series of steps set to music, a religious ritual, or a work of art. It can be anything from the prance of mating pigeons to Pavlova’s ‚dying swan’.“ (JOYCE 1980, S. 1)

Besucht man heute eine Tanzvorstellung im Wiener Tanzquartier so kann alles passieren. Es könnte sein, dass ein/e Performer/in eine in gewöhnlicher, unsportlicher Straßenkleidung auf der Bühne steht, sich nicht bewegt, keinen Ton macht und schon gar keine Musik zu hören ist. Es könnte sein, dass eine graziöse Ballerina zu klassischer Musik elegante, gefühlvolle Bewegungen ausführt. Und es könnte sein, dass eine unförmige Person zu unangenehmen Geräuschen über die Tanzfläche hinkt und dabei einzelne Wortfetzen ins Publikum wirft. Das alles ist heute Tanz.

Es ist Tanz, wenn Popstars ihre Songs in Videoclips mit Bewegungen unterlegen, ebenso wie wenn perfekt ausgebildete BalletttänzerInnen in einem Opernhaus „Schwanensee“ zum Besten geben. Und es ist laut zeitgenössischen TänzerInnen und ChoreographInnen vor allem auch dann Tanz, wenn ohne die Grundlage Musik und ohne eine bestimmte Technik (wie z.B. Ballett) gearbeitet wird. Wie also lässt sich das Wort „Tanz“ definieren?

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1.1.1 Begriffsbestimmung

Bevor mit jenen genaueren Ausführungen und Erläuterungen begonnen wird, welche an verschiedensten Stellen in der Literatur zu finden sind, soll zu Beginn jene Definition betrachtet werden, welche im Universalduden zu finden ist. Dieser charakterisiert Tanz als eine „(...) [geordnete] Abfolge von Körperbewegungen, die nach einem durch Musik od. eine andere akustische Äußerung (wie Schlagen, Stampfen o. Ä.) hervorgebrachten Rhythmus ausgeführt wird (...)“ (DUDEN - DEUTSCHES UNIVERSALWÖRTERBUCH 2007, S. 1661).

Ähnliches ist auch bei SORELL über Rhythmus zu lesen, der zu diesem Thema einen der Urväter des klassischen Balletts, Georges BALANCHINE, zitiert: „Die Choreographen versuchen, sich in der interessantesten Weise in Zeit zu bewegen. Musik ist Zeit. Nicht die Melodie ist wichtig, sondern die Teilung der Zeit.“ (SORELL 1983, S. 157)

Sieht man von Musik und Rhythmus ab, so stellt sich weiterhin die Frage, welcher Art die Bewegung sein muss, um Tanz zu sein. LABAN unterscheidet hier folgendermaßen: „Im Tanz tauchen wir in den Prozess der Bewegungsaktion selbst ein, während bei anderen Aktivitäten, z.B. im Sport oder bei der Arbeit, unsere Aufmerksamkeit zumeist auf das praktische Resultat unserer Aktionen gerichtet ist. (...) Durch die Bewegungen unseres Körpers können wir lernen, unser Inneres in Beziehung zur Außenwelt zu setzen.“ (LABAN 2001, S. 125)

Auch CABRERA-RIVAS betont das Erleben emotionaler Prozesse im und durch den Tanz. Als Venezolanerin, die Deutsch als Fremdsprache gelernt hat, trifft sie aber bezüglich der Definition des Begriffs Tanz eine interessante, semantische Unterscheidung. Während sie „das Tanzen“ als „(...) eine individuelle, persönlich geprägte Handlungsweise, die in rhythmischen Körperbewegungen ihre Äußerung findet“, beschreibt, definiert sie „den Tanz“ als das Produkt bzw. Kunstwerk, das daraus resultiert. Dem pflichtet auch HUSCHKA bei, laut dem mit Tanz der Bewegungsstil, mit Tänzen die Bewegungssystematik und -form und mit Tanzen die Bewegungshandlung gemeint ist. (vgl. KAROSS 1993, S. 136) Auch im Tanz werden seelische Gegebenheiten in sich aufgenommen, allerdings entwickelt er sich nicht mehr prozesshaft weiter. (vgl. CABRERA-RIVAS 1991, S. 62-65)

LABAN räumt jedoch ein, dass nicht jeder tanzende Mensch zu jeder Zeit, immer seine Emotionen einbringen kann. „Es wäre aber falsch anzunehmen, dass jedes oft ‚Tanzen’ genannte Umherspringen und Herumhüpfen die eben beschriebene einigende und harmonisierende Wirkung hat.“ (LABAN 2001, S. 126) Speziell sobald Tanz professionell ausgeübt wird, sei es nicht mehr möglich, in dieser Form einen Nutzen aus der tänzerischen Aktivität zu ziehen. Es ist also durchaus möglich sowohl ohne Musik als auch ohne Emotionen zu tanzen.

Fasst man bisherige Bestimmungsversuche zusammen, so bleibt - trotz Unterschieden in Intention, Qualität und Unterstützung durch Musik - als gemeinsamer Nenner doch noch die ausgeführte Bewegung.

Ganz anders geht die amerikanische Choreographin Meg STUART auf das Thema Tanz zu. Für sie ist alles Tanz - sogar nicht zu tanzen. Und genau darin sieht sie, wie auch einige ihrer KollegInnen, am Ende des 20. Jahrhunderts ihre einzige Chance, etwas zu zeigen, was noch neu ist. „Dem Choreographen stehen (...) beinahe unbegrenzte Möglichkeiten zur Verfügung, aus denen er nur auszuwählen braucht; das Choreographieren ist gleichzeitig leicht und schwer geworden - ein Dilemma, aus dem sich manche dadurch zu befreien suchen, indem sie (...) die Parole ‚Stop Dance’ auf ihre Fahnen schreiben.“ (SCHMIDT 2002, S. 428)

Wenn also auch nicht-zu-tanzen, Tanzen ist, fällt nun die letzte allen Tanzformen gemeinsame Qualität weg. Somit wäre alles Tanz - oder nichts - und der Versuch einer Bestimmung sinnlos.

Die letzte Hoffnung, den Begriff Tanz theoretisch zu erfassen, nimmt der FRANKFURTER TANZKREIS mit seinem Fazit: „Was Tanz ist, sein könnte, kann lediglich umschrieben werden. Und wer Tanz nie erlebt hat, erfahren hat, wird ihn vom Intellekt her ohnehin nur bedingt begreifen.“ (KAROSS 1993, S.137)

Die vorliegende Arbeit orientiert sich daher an der Definition von MURRAY „Dancing is moving in a dancelike way.“ (zit. n. KAROSS 1993, S.136), welche den Faktor Bewegung zwar zwingend einschließt, die Form dieser aber der ausführenden Person überlässt. Was als Tanz empfunden wird, soll also in der Arbeit mit Kindern ihnen selbst überlassen werden. Wann sie das Gefühl haben sich tänzerisch zu bewegen ebenfalls. Aufgabe der anleitenden Pädagogin soll es sein, Anstöße und Ideen zu liefern - tanzen jedoch müssen die Kinder selbst.

Der Begriff lässt sich aber nicht nur darüber definieren, welche Eigenschaften Tanz auszeichnen, sondern auch, was Tanz auslöst - kurz: wieso getanzt wird. Auch dazu gibt es unterschiedliche Ansätze, von denen im Folgenden einige davon kurz skizziert werden sollen.

1.1.2 Ursprung und Entwicklung von Tanz

In der Fachliteratur sind verschiedenste Ursprünge von Tanz zu finden. Naturalistische Standpunkte sind etwa:

- Tanz als metaphysisches Phänomen (Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen dem menschlichen Tanz und rhythmischen Prozessen im Kosmos)
- mystisch-religiöser Ursprung (Tanz als Kraftübertragung, Bewusstseinserweiterung, Beschwörung)
- Tanz als Urtrieb (biologische Erklärung in der Analogiebildung zu Bewegungen von Tieren)

Andere AutorInnen wiederum heben die Verbindung zwischen den tänzerischen Ausdrucksformen und den gesellschaftlichen Lebensverhältnissen hervor:

- fundamentale Bedeutung der Arbeit (Arbeit als rhythmisch gestaltete Körperbewegung, wird kollektiv ausgeführt)
- Tanz als „Refrain“ der Lebens- und Produktionsweise (Wiederholung einer wichtigen Tätigkeit)
- Tanz trägt zur Harmonisierung und Stabilisierung des sozialen Systems bei (vgl. HUBERT 1993, S. 16-17)

Von diesen Ursprüngen ausgehend, charakterisiert HUBERT in ihrer Diplomarbeit zur gesellschaftstheoretischen Bestimmung des Wesens von Tanz, die Entwicklung dessen in sechs großen Stufen, die hier nur kurz angeführt werden sollen, um den starken Zusammenhang von Tanz und Gesellschaftssystemen zu verdeutlichen.

Auch die heutige Stellung von Tanz im Allgemeinen bzw. von Tanz an Schulen ist stark gesellschaftsabhängig und variiert deshalb auch international (siehe 2.4).

Jagd- und Sammelt ä tigkeit

Tanz galt als eine Tätigkeit zur Erfahrungsübertragung und Erlebnisgestaltung, wodurch ein Netz kollektiver Empfindungen und Vorstellungen zwischen den Menschen geknüpft wurde. Auf dieser gesellschaftlich-historischen Stufe entwickelten die Menschen erstmals die Fähigkeit zur Selbstreferenz und Selbstbeobachtung, wobei ihnen Tanz als Medium kollektiver Erfahrungswerte diente.

Produktionswirtschaft

Tanz war nicht länger nur eine Darstellungsform über Dinge und Erscheinungen, sondern wurde zum Mittel zur Entfremdung von der Wirklichkeit und zur kollektiven Illusion. Die Menschen mussten die Grenzen der unmittelbaren Sinneserfahrungen überschreiten und räumlich-zeitlich Bereiche (auch Vergangenes und Zukünftiges) erfassen, die mit der Hilfe von Tanz durchschaut, durchdacht und „durchfühlt“ wurden.

Hauswirtschaftliche Produktion

Die aufkommenden gesellschaftlichen Konflikte führten zu ersten Kriegen als Mittel der Herrschaftssicherung und damit auch zu ersten Kriegstänzen. Dadurch löste sich der Tanz erstmals von der engen Verflechtung mit Arbeit und diente zum Aufbau einer kollektiven Identität und einer Energie-Mobilisierung der Gemeinschaft. Tanz beinhaltete weiterhin ein hohes Maß an emotionaler Verbundenheit der Menschen, die Gefühle und die daran gekoppelten Tanzformen waren aber nicht weiter nur Einheit stiftend, sondern wurden bewusst und in feindlicher Absicht gegen andere Menschen eingesetzt.

Globale Arbeitsteilung und Sklavenwirtschaft in der antiken Gesellschaft

Die Dichotomie der Klassenspaltung spiegelte sich auch in den verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens - unter anderem im Tanz - wieder. Während die Herrschenden Tanz auf dieser gesellschaftlich-historischen Stufe als von der Arbeit gelöste Kunstform entwickelten, blieb in der unterdrückten, fremdbestimmten Klasse der unmittelbare Bezug zur Arbeitstätigkeit erhalten. Tanz zeigte sich hier in volkstümlicher Weise und diente weiterhin dem Aufbau, der Festigung und Erweiterung von kollektivem Wissen, Handeln und Fühlen.

Privates Grundeigentum und Fronwirtschaft in der feudalen Gesellschaft

Neben der aristokratischen Tanzkultur entfaltete sich trotz der offiziellen Verachtung der Feudalkirche dem Tanz gegenüber eine dynamische und vielseitige Tanzkultur des Volkes. Erstmals wurde diese Tanzkultur in ihrer Wirkung und Wertigkeit erkannt. Sie diente dem Aufbau einer eigenen kulturellen Identität und bot ein weites Feld von Ausdrucksmöglichkeiten, die in Verbindung standen mit der Arbeit, den Bräuchen und Traditionen der Bauernschaft und des Städtebürgertums. An den Höfen kam es zur selben Zeit erstmals zu einer Professionalisierung von Tanz und dem Beginn der Ballettkunst.

Privatkapitalistisches Eigentum und Mehrwertproduktion in der b ü rgerlichen Gesellschaft

Mit der Verlegung von Bühnentanz vom Hof in öffentlich zugängliche Räume wurde ein freier Tanz-Markt eröffnet - Tanz wurde zur universellen Tätigkeit. Auch der bisher klassenspezifisch gebundene Gesellschaftstanz erfuhr eine Kommerzialisierung und neue Formierung „nach oben“ für das Bürgertum, die Formstrenge des klassisch-akademischen Tanzes hingegen eine Erweiterung „nach unten“ und dadurch neue Belebung, etwa im Handlungsballett durch die Darstellung menschlicher Realität und Gefühle.

Es war bereits die Tendenz zur Produktion von Tanz ersichtlich, was auch für die nachfolgenden Tanzentwicklungen bestimmend war. Durch die Übernahme von Tänzen wurden die originalen Ausdrucksformen verändert oder zerstört, wodurch der Zugang, welcher aus dem gesellschaftlich-historischen Kontext heraus entstanden war, nicht mehr ersichtlich blieb. (vgl. HUBERT 1993, S. 95-132)

In jeder der hier beschriebenen gesellschaftlich-historischen Stufen waren die Intentionen zu Tanzen neue, wobei zu jeder Zeit im Tanz ausgedrückt wurde, was das Kollektiv zu diesem Zeitpunkt beschäftigte.

So betrachtet passt ein Trend wie Videoclip-Dancing genauso gut in unsere medialisierte Gesellschaft wie das zeitgenössische Tanztheater, das eine Gegenposition in der heutigen Konsumgesellschaft einnimmt. Folgt man HUBERT weiter, so ist das klassische Ballett längst nicht mehr Ausdruck unserer Gesellschaft, allerdings auch nicht mehr in seinen originalen Ausdrucksformen vorhanden. Es kann also zusammengefasst werden, dass Tanz ein Spiegel unserer Gesellschaft bzw. Teilen selbiger ist.

Da es in der vorliegenden Arbeit aber nicht um Tanz für die gesamte Gesellschaft gehen soll, sondern für eine spezifische Gruppe - für SchülerInnen, die an der Schule Tanz erfahren - soll im Folgenden das breite Feld Tanz etwas eingegrenzt werden. Nachfolgend finden sich jene Tanzstile, welche vordergründig Einfluss auf die tänzerische Arbeit im Rahmen des kiddy dance clubs haben.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1.2 Für die vorliegende Arbeit relevante Tanzstile

Die fünf nachfolgend charakterisierten großen Tanzstilrichtungen sind jene, die beim kiddy dance club sowie bei vielen anderen Schultanzprojekten den tänzerischen Rahmen vorgeben. Natürlich ist nicht auszuschließen, dass auch Elemente beispielsweise aus dem Turniertanz, Volkstänzen oder dem Showtanz Eingang gefunden haben, doch aufgrund der unüberschaubaren Anzahl an Stilen ist eine Beschränkung auf die größten und wichtigsten zwingend notwendig.

Erwähnenswert ist weiter, dass das klassische Ballett in diesem Rahmen nur als erste Form des Bühnentanzes und damit „Mutter“ aller anderen angeführten Stile relevant ist. Der Einfluss von klassischem Ballett bezüglich Körperhaltung, Technik, Ästhetik und vielem mehr auf diese anderen Tanzstile und somit auch auf Tanz an Schulen ist unübersehbar, weshalb es hier grob umrissen werden soll. Dennoch ist eine klare Abgrenzung nötig, da die stilisierte und genormte Bewegungsform keinen Spielraum für Phantasie und Gestaltungskraft der Kinder offen lässt und es sich in der Arbeit an Schulen nicht um eine professionelle tänzerische Ausbildung handelt, die für das korrekte Ausüben dieses Stils vonnöten wäre. (vgl. HASELBACH 1984, S. 13)

Die Tanzstile Modern Dance und Jazzdance sind unterschiedlich ausgeprägte, zeitgenössische Tanzformen, wovon sich erstere als Weiterentwicklung des klassischen Balletts versteht. Jazzdance indessen ist afroamerikanischen Ursprungs, wurde aber in den Jahren seiner Festigung als Tanztechnik sowohl vom klassischen als auch vom modernen Tanz beeinflusst. Beide bilden mit ihrer Technik die Grundlage für Tanz an Schulen.

Neben Rap, Graffiti-Writing und DJing ist der Tanzstil HipHop hingegen ein Teil der gleichnamigen Jugendkultur und hat sich in den letzten 30 Jahren zu einer heute durchaus anerkannten, wenn auch wenig dokumentierten Technik entwickelt. Der kreative Kindertanz, der keine eigenständige Technik aufweist und bereits Elemente aus verschiedenen Tanzstilen in sich vereint, findet seine Wichtigkeit vor allem in der kindgerechten, spielerischen Umsetzung von tänzerischen Anforderungen.

1.2.1 Ballett

„Bal|lett (...) [ital. balletto, Vkl. von: ballo = Tanz, zu: ballare]: (...) künstlerischer Tanz auf einer Bühne mit dazugehöriger Musik (...)“ (DUDEN - DEUTSCHES UNIVERSALWÖRTERBUCH 2007, S. 242).

Wie bereits unter Punkt 1.1.2 angeführt, hat das klassische Ballett - der „ethnische Tanz“ des alten Kontinents - seine Ursprünge in den feudalen Verhältnissen der Renaissance. Zu jener Zeit bildete sich eine Oberschicht, die ihre Zeit nicht der knechtlichen Arbeit opfern musste und sich der Muße des Zuschauens hingeben konnte. Tanz wandelte sich aus diesem Grund von elementarem Bedürfnis und „Mitmachkunst“ zur unterhaltenden Kunst für ZuschauerInnen.

An den italienischen Fürstenhöfen wurden die Bewegungsformen immer weiter entwickelt und zunehmend komplizierter, sodass sie bald nicht mehr von Laien ausführbar waren. Die ersten von italienischen Tanzmeistern aus den Gesellschaftstänzen ihrer Zeit geschaffenen Choreographien, wurden „ballo“ genannt und etwas später in der Verkleinerungsform „balletti“. Durch die Heirat von Katharina de MEDICI und König HEINRICH II zog auch das Ballett nach Frankreich um, wo im Jahre 1581 die erste Ballettaufführung der Welt in Paris stattfand. Der Entwicklungsschwerpunkt der neuen Kunstform blieb in Frankreich, wo 1661 die „Académie Royale de Danse“ gegründet wurde. Bereits um 1700 fixierte Pierre BEAUCHAMPS die heute noch in derselben Form gültigen fünf Positionen der Arme und Beine. (vgl. SCHMIDT 2002, S. 7-8)

Von Beginn des 17. Jahrhunderts bis zum Ende des 18. fanden jene Entwicklungen statt, die das Ballett in seiner heutigen Form charakterisieren. Die ersten Ballette, die ohne Text arbeiteten, wurden geschaffen und die Themen für die Choreographien, die ursprünglich ausschließlich durch die griechische Mythologie vorgegeben waren, wurden erstmals - bedingt durch das neue Menschenbild der entstehenden Revolution 1789 - am Leben der gewöhnlichen Menschen orientiert.

Die ersten Tänzerinnen begannen, die langen Röcke zu kürzen, damit die ZuschauerInnen ihre Beine sehen konnten, und auf den Zehenspitzen zu tanzen, was den Beginn des heute charakteristischen Spitzentanzes ausmachte. Sinn und Zweck des Spitzentanzes war und ist, den ZuschauerInnen den Anschein unglaublich leichter, fast schon schwebender Bewegungen zu vermitteln, die völlig ohne körperliche Anstrengung ausgeführt werden. „Sich leicht zu bewegen, ohne physische Überanstrengung, bedeutet, vor den Zuschauern alle Anstrengungen der künstlerischen Meisterschaft, die Verausgabung von Kraft und Energie zu verbergen. Schon die kleinste Befangenheit in den Bewegungen (des Kopfes, des Körpers, der Arme und Füße), der geringste Verlust an Kraft, an Energie und Willen erschwert die Bewegungen des Tänzers, hindert ihn daran, die gesamte Palette seines Könnens zu demonstrieren.“ (TARASSOW 1974, S. 47)

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts feierten Stücke wie „Coppelia“ in Paris ihre letzen Höhepunkte, dann stagnierte die Entwicklung des klassischen Balletts und um die Jahrhundertwende war die dekadent gewordene Kunstform in Mitteleuropa im Verschwinden begriffen. (vgl. SCHMIDT 2002, S. 8-9)

Viele in Frankreich ausgebildete TänzerInnen hatten allerdings längst die Idee des klassischen Balletts in die Welt getragen und verhalfen diesem vor allem in den Metropolen Kopenhagen und Petersburg zu neuem Glanz. In Russland schuf der gebürtige Franzose PETIPA aus dem romantischen französischen Erbe eine strenge, hochstilisierte Formsprache - die „Ballets Russes“ waren geboren, die einen Aufschwung des klassischen Tanzes herbeiführten.

TARASSOW unterscheidet die drei großen Schulen des klassischen Tanzes folgendermaßen: „Für die französische Schule sind eine hohe Gestaltungstechnik, ein eleganter Stil, weiche Bewegungen charakteristisch (...). Die italienische Schule zeichnet sich durch virtuose Technik, durch einen strengen Stil mit einem leichten Hang zum Grotesken [aus] (...). Für die russische Schule ist die Vollkommenheit der Technik typisch, ihr strenger, akademischer Stil, ihre einfachen, verhaltenen und weichen Bewegungen, die frei von allen äußerlichen Effekten sind. Der russischen Schule sind Elemente des so genannten ‚modernen Stils’ völlig fremd.“ (TARASSOW 1974, S. 15)

Erst 1909 wurden diese Ballette wieder in Paris aufgeführt, was einen Wendepunkt in der Geschichte des Tanzes markierte, der nun auch im Westen erneut auf Interesse stieß.

Etwa zur gleichen Zeit kamen jedoch weitere völlig neue Ideen der Tanzkunst aus Amerika. Die klassischen TänzerInnen, welche sich in dem festen Regelwerk gefangen fühlten, begannen mit nackten Füßen (statt mit Spitzenschuhen) die „verstaubte“ Tanzkunst zu reformieren. Dieser Übergang vom klassischen zum modernen Tanz begann um die Jahrhundertwende, geschah fließend im Laufe des gesamten 20. Jahrhunderts und geschieht - da längst noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft zu sein scheinen - noch heute. (SCHMIDT 2002, S. 9-11)

Auf jene Entwicklung soll im nun folgenden Kapitel 1.2.2 genauer eingegangen werden.

Der klassische Tanz war von Beginn an untrennbar mit den Komponisten und der klassischen Musik seiner Zeit verbunden - eine Dependenz, die sich auch schon in der obenstehenden, sehr knapp gefassten Definition zeigt. So griffen etwa die russischen Ballette zu TSCHAIKOWSKY und die moderneren Ballette zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu STRAWINSKY. TARASSOW bezeichnet Ballett daher als Musiktheater, in dem die TänzerInnen die Aufgabe haben, den Inhalt der Musik widerzuspiegeln. Zum einen ist es demzufolge überaus wichtig, dass die TänzerInnen sehr musikalisch sind und imstande, ihren Körper dem Rhythmus der Musik anzupassen. Zum anderen ist aber auch schauspielerisches Talent vonnöten, um mit Gestik und Mimik das Thema des musikalischen Werkes zu vermitteln. (vgl. TARASSOW 1974, S. 22-24)

LÖRINC weist im Standardwerk „Methodik des klassischen Tanzes“ darauf hin, dass der Lehrstoff des klassischen Balletts auf eine neunjährige Ausbildungszeit aufgegliedert werden sollte, in der praktisch täglich trainiert wird. Die Übungen sollten stufenweise erschwert werden, wofür genaue Anleitungen vorhanden sind. So wird beispielsweise zu Beginn der Ausbildung vermehrt an der Stange geübt, was im Laufe der Jahre zugunsten der Arbeit in der Mitte abnimmt. Auch das Tanzen auf der Spitze wird erst mit fortgeschrittener Ausbildungsdauer erlernt und erst ab dem sechsten Jahr, wenn die Beinmuskulatur ausreichend gestärkt wurde, in der Mitte ausgeführt. (LÖRINC 1995, S. 7-8)

Dieser Aufbau lässt sich nicht wesentlich ändern. Das Ballett ist ein in sich geschlossenes System, das nicht mehr ergänzt wird und keine grundlegenden Änderungen zulässt. TARASSOW vergleicht den klassischen Tanz treffend mit der Musik, in der dem Komponisten vielfältigste Tonverbindungen möglich sind, allerdings nur auf Grundlage der vorgegebenen Tonfolge. (vgl. TARASSOW 1974, S. 12) Dadurch ist der kreative Aspekt des Tanzens von vornherein nur sehr eingeschränkt vorhanden und bietet keine Entfaltungsmöglichkeiten. Großteile der Balletttechnik lassen sich nicht ausführen, bevor die Grundlagen nicht perfekt beherrscht werden und genügend Muskulatur vorhanden ist, was etliche Jahre in Anspruch nimmt. (vgl. HASELBACH 1984, S. 13) „Für die Ausübung des klassisch- akademischen Balletts bringt ein Kind vor dem neunten oder zehnten Lebensjahr noch nicht die körperlichen Voraussetzungen mit.“ (FREGE 2005, S. 12), meint auch FREGE.

Aus diesem Grund ist die Technik für die Arbeit an Volksschulen vollkommen ungeeignet. Lediglich einzelne Basis-Elemente wie beispielsweise das Strecken und Beugen der Beine und Füße können und sollten herausgegriffen werden, ohne jedoch die Kinder verfrüht in das enge Schema der klassischen Tanztechnik zu zwängen. Der kreative Kindertanz kann aber beispielsweise durchaus als Vorbereitung für eine spätere Ballettausbildung dienen. (vgl. FREGE 2005, S. 11-12)

1.2.2 Modern Dance

„Modern“ hat laut Duden mehrere Bedeutungen, wie etwa „(...) dem neuesten Stand der geschichtlichen, gesellschaftlichen, kulturellen, technischen o.ä. Entwicklung entsprechend (...)“, „(...) an der Gegenwart, ihren Problemen u. Auffassungen orientiert, dafür aufgeschlossen (...)“ oder auch „der neuen od. neuesten Zeit zuzurechnen (...)“. (DUDEN - DEUTSCHES UNIVERSALWÖRTERBUCH 2007, S. 1158)

Betrachtet man diese Auslegungen, so ist die Bezeichnung Modern Dance für den nun darzustellenden Tanzstil nach wie vor sehr treffend. Vorwiegend zweitere, die die Aufgeschlossenheit gegenüber gegenwärtigen Problemen und Auffassungen beschreibt, soll nun für die Entstehung des modernen Tanzes herausgegriffen werden.

So kam um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert unter einigen aus allen Himmelsrichtungen stammenden TänzerInnen unabhängig voneinander eine gewisse Unzufriedenheit bezüglich des Bühnentanzes auf, die sie dazu veranlasste, die Tanzkunst zu reformieren oder gar zu revolutionieren. Sie empfanden das klassische, streng reglementierte Ballett als inhuman und begaben sich auf die Suche nach einer gewissen „Natürlichkeit“, die ihnen in ihrer bisherigen Laufbahn als TänzerInnen gefehlt hatte. Es war dies nicht der erste dahingehende Versuch - laut Rudolf von LABAN ist der französische Ballettreformer Georges NOVERRE als Urahne dieser Ästhetik zu sehen - doch die Bewegung begann erst zu jener Zeit an Boden zu gewinnen. (vgl. SCHMIDT 2002, S. 15-16)

Einer dieser Pioniere war die 1877 in San Francisco geborene Isadora DUNCAN, welche den Versuch unternahm, die Regeln zu brechen und damit mehrere Skandale, vor allem in den USA, auslöste. Sie tanzte als erste auf nackter Sohle, verzichtete auf das Korsett und wählte für ihre Choreographien große, nicht für den Tanz gedachte Musikstücke. Weiters entfernte sie sich von der Idee, Tanz müsse schön anzusehen sein und schuf düstere, abstoßende Stücke. „‚Es war Tanz von der hässlichsten Sorte - ein schreckliches Portrait der dunklen Seite der Seele’. Aber kein Zweifel: ‚Das war moderner Tanz, ohne Furcht vor der Realität.’“ (SCHMIDT 2002, S. 21)

Ruth ST DENIS, eine ähnlich gesinnte Zeitgenossin DUNCANS, eröffnete 1915 die erste Schule für Modern Dance - „Denishawn“ - in Los Angeles und legte damit die Geburtsstunde dessen fest. „Aus der Schule und dem gleichnamigen Tanzensemble gingen die wichtigsten Choreographen der ersten Modern Dance- Generation hervor, allen voran Martha GRAHAM und Doris HUMPHREY, die den neuen Tanz in den USA von den späten zwanziger Jahren an in der Öffentlichkeit populär machen und ihm, zusammen mit ihren wichtigsten Schülern, ein breites Fundament verschaffen sollten.“ (SCHMIDT 2002, S. 94) Von jenen SchülerInnen sind heute vorrangig die Namen Merce CUNNINGHAM (GRAHAM) und José LIMÓN (HUMPHREY), bzw. die gleichnamigen von ihnen entwickelten Tanztechniken, geläufig.

Die Jahrhundertfigur Martha GRAHAM gründete bereits 1924 ihre noch heute bestehende „School of Contemporary Dance“ (sie bezeichnete ihren Tanz stets als zeitgenössisch, nicht als modern), die zum zentralen Lehrinstitut des Modern Dance wurde. Neben der unakademischen Tanztechnik, die sie von der ersten Modern Dance-Generation übernommen hatte, entwickelte sie eine eigene Technik, die noch heute unter dem Namen „Graham-Technik“ gelehrt wird. Diese basiert auf der Philosophie, den gesamten Körper einzuschließen und dem für den Modern Dance heute charakteristischen Wechsel zwischen körperlicher Spannung und Entspannung („contract-release“). Weiters arbeitete die emanzipierte GRAHAM daran, das Frauenbild der Tänzerinnen zu ändern und Frauen statt Mädchen auf die Bühne zu stellen. „Bei Martha GRAHAM wurde die tanzende Frau, die vorher nur als Mädchen oder tanzender Automat interessant gewesen war, erwachsen. (...) Sie hatten einen Kopf und einen Körper, nicht nur Beine.“ (vgl. SCHMIDT 2002, S.94-99)

Zeitgleich entwickelte sich in Europa in regem Austausch mit den amerikanischen Größen der deutsche Ausdruckstanz - ausgehend vom „Monte Veritá“, einem Berg nahe der schweizerischen Stadt Locarno, auf dem KünstlerInnen aller Sparten die Wiederentdeckung des (nackten) Körpers frei von gesellschaftlichen Zwängen und Konventionen ausriefen. So erhielt auch der natürliche Drang nach Bewegung des Körpers sowie der Zusammenhang von Musik und Körpererlebnis neue Bedeutung.

LABAN, der Wortführer dieser Bewegung, ist zugleich auch der erste tanzpädagogische Theoretiker, der seine Techniken in zahlreichen Schriften, die noch heute von großer tanzpädagogischer Bedeutung sind, festhielt. Er betrachtete Tanz unabhängig von anderen Künsten und war zeitlebens bemüht, ihn ins Zentrum des menschlichen Lebens zu rücken. Tanz benötigt seiner Meinung nach weder Musik noch literarische Vorlage, sondern einzig und allein den menschlichen Körper, aus dessen Mitte der Impuls zu Tanzen entspringt und sich von dort aus in die Extremitäten fortsetzt. Obwohl LABAN, der den Satz „Jeder Mensch ist ein Tänzer.“ geprägt hat, den Tanz in der Gemeinschaft bzw. einen gemeinschaftlichen Bewegungsimpuls zu fördern suchte, befand er doch, dass der Raum der eigentliche Partner und Gegenspieler des Tänzers sei. Er entwickelte ein System der zwölf Bewegungsrichtungen und die einzige heute noch angewandte Tanzschrift, die seit der zweiten Jahrhunderthälfte unter der Bezeichnung „Labanotation“ weltbekannt ist. Vor allem aber entwickelte er als erster eine auf Laien zugeschnittene Bewegungsart, die als Grundstein für den heutigen kreativen (Kinder)tanz gesehen werden kann, auf den unter Punkt 1.2.5 genauer eingegangen wird. (vgl. SCHMIDT 2002, S. 67-74)

Mit seinem Werk „Der moderne Ausdruckstanz in der Erziehung“ stellt LABAN einen Leitfaden für PädagogInnen und Eltern mit dem Ziel auf, den modernen Ausdruckstanz in der schulischen Erziehung zu verankern und spricht damit bereits 1948 an, was Ziel der gesamten vorliegenden Arbeit sein soll: ein zeitgemäßer, auf aktuellster Forschung basierender Tanzunterricht für Laien an der Schule. Vom englischen Unterrichtsministerium wurde LABANS moderner Ausdruckstanz weitgehend als Schulfach eingeführt und daher auch als Studienfach in die LehrerInnenausbildung integriert. (vgl. LABAN 2001, S. 9-12)

Das Ende des modernen Tanzes - unter diesem Namen geführt - muss wohl mit dem Ableben dieser TänzerInnengeneration angesetzt werden. Unter der Bezeichnung „zeitgenössischer Tanz“ dauert die Entwicklung aber bis heute an. So prägte in den 1960er-Jahren eine Schülerin des LABAN-Schülers Kurt JOOST, Pina BAUSCH, das „deutsche Tanztheater“ und hob die Grenzen des Tanzes soweit auf, dass ihn konservative BesucherInnen nicht mehr als solchen identifizieren konnten, während sich in CUNNINGHAMS Studio in London der Postmodern Dance einen Namen machte bis hin zu eben jenen eingangs erwähnten VertreterInnen der „Stop Dance“-Bewegung, die erst kürzlich (im Frühjahr 2008) im Wiener Museumsquartier zu sehen waren. (vgl. SCHMIDT 2002, S. 277, 300-301, 428)

1.2.3 Jazzdance

„Jazz|dance [dæzd:ns; engl. jazz dance, eigtl. = Jazztanz]: Fitnesstraining, das aus tänzerischen, rhythmisch zu Musik ausgeführten Bewegungen besteht.“ (DUDEN - DEUTSCHES UNIVERSALWÖRTERBUCH 2007, S. 904).

„Auch Tanzgeschichte ist Machtgeschichte. Das gilt besonders für die Geschichte des afroamerikanischen Tanzes in den USA.“ (GÜNTHER 2005, S. 40) Im Jahr 1619 wurden die ersten afrikanischen SklavInnen in Virginia ausgeladen und erst 1865 wurden die letzten von ihnen befreit. Sie hatten nichts unversehrt aus ihrer Heimat mitbringen können - bis auf ihren eigenen Körper, der zum Träger der Erinnerungen an Afrika und an die afrikanische Tradition wurde.

In Schwarzafrika gilt der traditionelle Tanz als Teil des täglichen Lebens und ist auch heute noch das wichtigste künstlerische Ausdrucksmittel. Alle wichtigen Ereignisse des Lebens, Hoffnungen und Wünsche werden getanzt und so wurden Musik und Tanz Ausdruck des Bedürfnisses nach Freiheit und Unabhängigkeit für die afroamerikanischen Sklaven in den USA. (vgl. ZIMMER 1984, S. 11-12)

GÜNTHER unterteilt diesen Zeitraum aus Sicht der Entwicklung des Jazzdance nochmals in zwei Phasen, wovon die erste über 200 Jahre andauerte (von 1619 bis 1820). Die Tänze der Schwarzen wurden in dieser Zeit von den Weißen fast durchgehend als barbarisch und grotesk empfunden und höchstens zu deren Belustigung auf Bällen präsentiert oder beim Verkauf eines Sklaven zur Prüfung der körperlichen Fähigkeiten (ein/e gute/r TänzerIn galt als gute/r ArbeiterIn und konnte somit einen besseren Preis erzielen).

Erst nach 1820 begannen so genannte Minstrels, weiße Künstler, die Einzigartigkeit der afrikanischen Tanzkunst zu entdecken und übernahmen schwarze Tanzstile und -techniken in ihre Shows für das weiße Publikum. Sie bemalten dafür ihre Gesichter schwarz und tanzten und sangen - wenn auch nicht ganz authentisch - wie AfroamerikanerInnen. Wenngleich die Schwarzen in diesen Shows mehr parodiert als imitiert wurden, sorgten die Minstrels dadurch plötzlich für eine gewisse Anerkennung der afroamerikanischen Volkskultur. (vgl. GÜNTHER 2005, S. 46-47)

Auch nach Präsident LINCOLNS Proklamation im Jahre 1865, in der alle noch als Sklaven lebenden Schwarzen zu freien BürgerInnen erklärt wurden, blieben sie aufgrund ihrer Mittellosigkeit zunächst abhängig von ihren weißen Herren. Die Folge war die Abwanderung der AfroamerikanerInnen in die großen Städte, wo ihre Musik und Tänze aufgrund des neuen politischen Selbstbewusstseins immer populärer und verbreiteter wurden. So konnte sich 1896 der „Ragtime“, ein Vorläufer der Jazzmusik, in Chicago und New York durchsetzen und bereits 1915 tauchte zum ersten Mal der Begriff der Jazz Musik auf.

Bei dem Begriff „Jazz“ handelt sich um ein ursprünglich afroamerikanisches Nomen, dessen Bedeutung mit Kraft, Heftigkeit, ekstatischer Erregung angegeben wird. Als Zeitwort ist es heute noch in der englischen Sprache zu finden, etwa „jazz around“ (dauernd in Bewegung und Erregung sein) oder „jazz up“ (aktivieren, begeistern). Jazz hat aber auch eine sexuelle Bedeutung (erotische Bewegung und Ekstase) und es haftet ihm seit jeher durch die Betonung von Körperlichkeit und Sinnlichkeit etwas Verruchtes an.

Das Wort Jazz deckt sich auch mit dem ebenfalls afroamerikanischen Begriff „funky“, welcher im Tanz heute noch oft für einzelne Schritte („funky walk“) oder auch als Beschreibung des Stils selbst („Funky Jazz“) gebraucht wird. Das Wort funky ist zu übersetzen mit erdhaft, sinnlich, ekstatisch. (vgl. ZIMMER 1984, S. 12-13)

Fast gleichzeitig mit der Geburt der Jazzmusik wurde auch der Jazzdance 1917 erstmals unter diesem Namen in einer Tanzsuite des schwarzen Komponisten OVERSTREET öffentlich präsentiert.

Erst ab 1940 wurde der Jazzdance in den USA aber auch von weißen TänzerInnen entdeckt und als Tanztechnik wie klassisches Ballett und Modern Dance anerkannt. Auch die schwarzen TänzerInnen begannen, sich umgekehrt mit verschiedenen Techniken der Weißen zu befassen, wodurch einzelne Elemente übernommen und die Techniken immer mehr vermischt wurden. Einer der führenden Pädagogen des Jazzdance, Matt MATTOX, hatte etwa zuerst klassisches Ballett, Tap Dance und Schautanz studiert, um dann bei Jack COLE, dem Begründer des Hindu-Jazz und „Vater des Jazzdance“, zu lernen. Er entwickelte eine umfassende Technik („Mattox-Technik“), die er auch nach Europa brachte.

Die Ausbreitung von den USA nach Europa und in die ganze Welt fand allerdings erst um 1960 statt.

In Deutschland erschien 1959 mit Walter NICKS erstmals ein schwarzer Jazzdance- Pädagoge in Deutschland. Vor allem durch den immensen Erfolg der Verfilmung des Jazzdance-Musicals „West Side Story“ zur selben Zeit, wurde Jazzdance innerhalb kürzester Zeit weltbekannt. (vgl. GÜNTHER 2005, S. 77-98) In Westeuropa entstand durch diesen Einfluss die Jazzgymnastik, über die in der 1987 erschienenen „Schriftenreihe zur Praxis der Leibesübungen und des SportsJazz Dance“ folgendes zu lesen ist: „Der Beat beeinflusste und veränderte nicht nur die Tanzszene, sondern auch die schulische Gymnastik, die zunehmend ins schulsportliche Abseits geraten war und nun als Jazzgymnastik zu einer ungeahnten Renaissance kam, die bis heute anhält. Mit der Jazzgymnastik konnte ein großer Teil der vorwiegend älteren Schülerinnen neu für gymnastisches Tun interessiert werden“ (GUSE u. OTTO 1987, S. 22)

Diese Entwicklung - vor allem im deutschsprachigen Raum - mag auch die oben angeführte Definition des Duden erklären.

Tanztechnisch zeichnet sich Jazzdance insbesondere durch das Bewegungsmerkmal der Polyzentrik aus. Auch dieses Merkmal ist aus dem gesellschaftlichen Kontext der Entstehungszeit heraus zu betrachten: So erlebt der/die afrikanische TänzerIn sich selbst und seinen/ihren Körper nicht als Einheit, sondern „zerreißt“ ihn in einzelne Teile. Im Gegensatz zum klassischen Ballett, in dem das Ziel möglichst ganzheitliche Bewegungen sind, werden im Jazzdance die einzelnen Körperteile isoliert bewegt. Es wird nicht von einem Zentrum aus gearbeitet, sondern das Körperzentrum wird ständig verlagert. Dieses Prinzip findet sich auch in der „Polyrhythmik“ der Jazzmusik wieder, in der nicht ein klares Thema vorgegeben ist, sondern mehrere Rhythmen unabhängig voneinander ablaufen. Aufgrund dieser Komplexität von Jazzmusik wird heute im Jazzdance nicht mehr darauf getanzt, die Bezeichnung des Tanzstils ist also nicht mehr ganz richtig.

An dessen Stelle tritt heute Popmusik, die deutlich einfacher und klarer strukturiert ist und dem/r TänzerIn kaum eine Überraschung bietet, sodass die Konzentration ganz auf die Tanztechnik gelegt werden kann.

Ein weiteres Bewegungsmerkmal sind die im Jazzdance eingesetzten „Levels“, also Höhen und Tiefen, die auch im modernen Tanz große Bedeutung haben. Im Gegensatz zum klassischen Ballett, in dem der Anschein der Schwerelosigkeit vermittelt wird, ist eine erdhafte Verbundenheit vorhanden.

Übernommen wurde hingegen die Technik der Drehungen (Pirouetten), die erst nach dem Einfluss des klassischen Balletts im Jazzdance eingesetzt wurden. Aus dem Modern Dance wurde vorrangig das Prinzip der Contraction (Muskelanspannung) und des Release (Entspannung, Lösung) adaptiert, sowie die Ausdruckselemente aus dem Ausdruckstanz, wenngleich dies nicht das vorrangige Anliegen des Jazzdance ist. (vgl. ZIMMER 1984, S. 14-18)

Für die tanzpädagogische Arbeit sind mehrere Aspekte des Jazzdance sehr interessant. So ergeben sich durch das Erlernen dieser Technik neue (für weiße Menschen ursprünglich völlig fremde) Bewegungsmöglichkeiten, die in westlichen Tanzstilen nicht berücksichtigt werden (Kopf, Schulterblätter, Brustkorb, Becken). Weiters eröffnet Jazzdance einen neuen Kulturbereich und bietet durch seine ekstatischen Bewegungen die Möglichkeit, der technisierten, zivilisierten Welt zeitweise zu entfliehen. Im Gegensatz zum klassischen Ballett bietet Jazzdance außerdem einen größeren Spielraum für neue Bewegungen und das Entwickeln eines eigenen Tanzstils. Die Technik besteht nicht aus einem fixen und „abgeschlossenen“ Repertoire an Schritten, einer uniformen Tanztechnik, sondern bietet zahlreiche Optionen zur Erweiterung. (vgl. ZIMMER 1984, S. 21-24)

Die dadurch gebotenen Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung und dem Entwickeln eines eigenständigen Körperbewusstseins sprechen für den Einsatz dessen in der tänzerischen Arbeit an Schulen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1.2.4 HipHop

Literatur, die sich rein mit HipHop als Tanzstil beschäftigt, ist kaum vorhanden, da Tanz lediglich einen Teil der gleichnamigen Jugendkultur ausmacht. Auch der Duden definiert HipHop vorrangig als musikalisches Phänomen: „Hip|hop, der; -s [engl.-amerik. hip-hop, wohl verdoppelnde Bildung mit Ablaut zu: hop = Hüpfer, Hopser, to hop = hüpfen]: auf dem Rap basierender Musikstil, der durch elektronisch erzeugte, stark rhythmisierte u. melodienarme Musik [u. Texte, die vor allem das Leben der unteren sozialen Schichten in amerikanischen Großstädten widerspiegeln] gekennzeichnet ist.“ (DUDEN - DEUTSCHES UNIVERSALWÖRTERBUCH 2007, S. 832)

Hinweis auf den Tanzstil gibt hier nur die Übersetzung von „hop“, die in Kombination mit den Ausführungen zu „hip“ - „(...) informiert, auf dem Laufenden, zeitgemäß, modern (...)“ (DUDEN - DEUTSCHES UNIVERSALWÖRTERBUCH 2007, S. 832) - zumindest ansatzweise Auskunft über die Bewegungsform gibt. Die Tatsache, dass der Begriff „HipHop“ an sich eine Bewegung („hüpfen“) bezeichnet, lässt jedoch darauf schließen, dass Tanz von Anfang an ein sehr wichtiger Teil dieser Jugendkultur war.

Die Jugendkultur HipHop besteht aus den vier Elementen DJing, Rap, Graffiti und Tanz, welcher sich wiederum in Breaking, Popping und Locking unterteilt. Als HipHop in den 1980er-Jahren zum ersten Mal die breite Öffentlichkeit beeindruckte, war das hauptsächlich dem spektakulären Breakdance zuzuschreiben. Der amerikanische „Rolling Stone“, der am 26. März 1983 seinen LeserInnen das „neue“ Phänomen HipHop vorstellte, schrieb etwa: „In front a disc jockey, dressed in leather and furs, works two turntables, cutting from one record to another while a rhythm machine keeps the beat. (...) He (the dancer) is on the floor, weight restling on his hand. He begins to spin on his hand, with high kicks from down under. He crumples to spin on his shoulder, friction free, and freezes with his body pretzled tighter than a noose. (...)“ (zit. n. RODE 2002, S. 117)

Tatsächlich begann die Entwicklung von Breakdance aber bereits in den 1960er- Jahren - lange bevor er unter dieser Bezeichnung bekannt wurde - mit James BROWNS „Get on the Good Foot“, weshalb der Vorläufer von Breakdance unter der Bezeichnung „Good Food“ (zu deutsch: Spielbein) in die Geschichte einging.

Das zentrale Thema dieses Stils war das Zusammensinken des Körpers, gefolgt vom Hochschnellen im Takt der Musik und einem gewissen Wechsel von Standbein und Spielbein, für den der Text des oben genannten Songs die Anleitung bot. Diese Bewegungsabläufe wurden rasch komplizierter und entwickelten sich zum heutigen „footwork“, der schon damals stets mit einer Pose („freeze“) beendet wurde. Die ersten DJ-Größen des HipHop wie DJ KOOL HERC oder AFRIKA BAMBAATAA erkannten rasch das Interesse der ZuschauerInnen an den sogenannten B-Boys und setzten Crews zusammen, von denen sie sich begleiten ließen. (vgl. RODE 2002, S. 119-121)

Erst Ende der 1970er-Jahre begann die nächste Generation von Breakdancern Akrobatik-, Capoeira-, Kung-Fu- und Karate-Elemente zu integrieren und ließen sich durch die Technik des Jazzdance sowie durch gymnastische und turnerische Übungen beeinflussen. Fast alle ErfinderInnen dieser neuen Bewegungsabläufe hatten nie ein formales Tanztraining erhalten und autodidaktisch, etwa durch Karate- oder Tanz-Filme, ihren eigenen Stil entwickelt. „Breaking advanced very quickly into an astonishing combination of gymnastics, jazz, kung-fu moves all held together by a pacing (up-rocking) to the beat that marked out the territory of the breaker.“ (zit. n. RODE 2002, S. 127)

Anfang der 1980er Jahre gaben die Breaker die ersten Vorführungen auf den Straßen New Yorks. Bis heute wird Breakdance vor im Kreis formierten Zuschauern auf der Strasse getanzt, wenngleich er sich vielerorts bereits zu einem derart angesehenen Tanzstil etablieren konnte, dass er auf großen Bühnen in Form von Tanztheaterstücken präsentiert wird.

Die an der amerikanischen Westküste entstandenen Tanzformen „popping“ und „locking“ sind in ihrer Entwicklung immer weiter zusammengewachsen und werden heute oft unter dem Sammelbegriff „poplocking“ unterrichtet. Ursprünglich war „popping“ („knallen“) eine Weiterentwicklung der Isolationstechniken des Jazzdance, die in Kombination mit Pantomime zu einer Körperbeherrschung und -kontrolle demonstrierenden, „roboterartigen“ Form wurden. Weltbekannt wurde besonders der durch Michael JACKSON präsentierte „Moonwalk“.

„Locking“ hingegen basiert auf einfachen, rhythmusbetonten, ursprünglich zu Funk-Musik ausgeführten Schritten, in denen Körperteile scheinbar unkontrolliert weggeschleudert und wieder in die kontrollierte Ausgangsposition gebracht werden. „Locking“ ist eine besondere Form des Ausdruckstanzes, da die Mimik von Comics oder Karikaturen übernommen wird. Erst mit dem wachsenden Erfolg des hauptsächlich in New York entsprungenen Breakdance, kam es zum Mix dieser drei Formen, die heute alle zu HipHop Musik getanzt werden. (vgl. RODE 2002, S. 132-143)

Für die Verbreitung von HipHop nach Europa und in den Rest der Welt sorgte nicht nur Michael JACKSONS „Moonwalk“, insgesamt aber vorrangig die Medien. Auch die fünfteilige Serie zum Thema „HipHop-Kultur“ in der deutschen Zeitschrift „Der Spiegel“ macht vorrangig die Anfang der 1980er-Jahre erschienenen Filme „Wild Style“, „Style Wars“ und „Beat-Street“ für dessen Siegeszug in Deutschland verantwortlich. „Breakdance wurde zum Modetanz aus der Gosse erklärt (...)“ (BARTH 2001) heißt es etwa bei BARTH.

Ebenso wie in den bereits dargestellten Stilrichtungen Ballett, Modern Dance und Jazzdance lassen sich auch bezüglich der HipHop-Tanzstile Parallelen zu dessen Entstehungshintergrund ziehen. RODE meint dazu, dass diese „(...) als symbolische Darstellung der Transzendierung natürlicher Zustände und Grenzen (bzw. als natürlich betrachteter, wie beispielsweise die Situation der Schwarzen in den USA) interpretiert werden können. Im breaking werden die ‚Dinge auf den Kopf gestellt’ und im popping Illusionen realisiert. Leichtigkeit, Schwerelosigkeit, Kraft und Energie werden verkörpert.“ (RODE 2002, S. 174)

HipHop sollte speziell aufgrund seiner Aktualität - der mit Abstand „jüngste“ der hier dargestellten Tanzstile - unbedingt in die tanzpädagogische Arbeit einbezogen werden. In ähnlicher Weise, in der Jazzdance in den 1980er-Jahren der Gymnastik wieder neues Leben einhauchte (siehe 1.2.3), konnte der ursprünglich männlich dominierte HipHop in den letzten Jahren vor allem Jungen, aber auch Mädchen wieder für Tanz begeistern. „Was der Rock’n’Roll für die 68er war, ist HipHop für die 2000er, die Trendsetter der heranwachsenden Generation“ (BARTH 2001), schrieb etwa der Spiegel 2001.

Durch HipHop als Weiterentwicklung des Jazzdance konnte auch dieser neue Wertschätzung erlangen und wird heute vielfach um HipHop-Elemente ergänzt unterrichtet. Durch die Inszenierung des Gesamtphänomens HipHop, als „coole“ Jugendkultur, herrscht weiterhin große Anerkennung, Imitationsfreude und entsprechende Nachfrage unter Kindern und Jugendlichen.

Tatsächlich für den Tanzunterricht umsetzbar sind allerdings bei weitem nicht alle Elemente. Da HipHop wie oben beschrieben „auf der Straße“ entstanden ist, lassen sich große Teile der Technik - wie beispielsweise fast alle Elemente des Breakdance - nicht in zeitlich begrenzten Tanzstunden erlernen, sondern erfordern eigenständiges, regelmäßiges (Kraft-)Training.

Neben dem Tanz selbst sollte als Teil der Jugendkultur HipHop unbedingt der gegenseitige Respekt unter den TänzerInnen vermittelt werden, der von Anfang an als Grundsatz galt und für gewaltfreien Spannungsabbau durch gemeinsames Tanzen statt Kämpfen stand und immer noch steht.

1.2.5 Kreativer Kindertanz

Wenngleich dem Faktor Kreativität unter Punkt 3.2 ein ganzes Kapitel gewidmet wird, soll er hiermit zum besseren Verständnis des kreativen Kindertanzes kurz definiert werden als „(...) Ideen habend und diese gestalterisch verwirklichend (...)“ (DUDEN - DEUTSCHES UNIVERSALWÖRTERBUCH 2007, S. 1015)

Der Ursprung des kreativen Kindertanzes ist zugleich auch der Ursprung des bereits charakterisierten Modern Dance und damit bei Isadora DUNCAN zu suchen, die als erste die Wichtigkeit von freiem, kreativem Ausdruck in der tänzerischen Arbeit mit Kindern erkannte. Rudolf von LABAN, welcher die Ideen des Modern Dance zu seinem „Modern Educational Dance“, also für die Arbeit speziell an Schulen, weiterentwickelte und zu Papier brachte, lieferte damit die Grundlagen auf denen der kreative (Kinder)tanz bis heute basiert. Seine Überzeugung, dass jeder Mensch ein Tänzer sei, bewog ihn dazu, Tanz wieder allen Menschen - auch Laien

- zugänglich zu machen und eine Technik zu schaffen, in der nicht die Präzision, sondern die ganzheitliche, körperliche Erziehung im Vordergrund steht. (vgl. EXINER u. LLOYD 1974, S. 2-3)

„We would like dance to be once again a means of expression for the ordinary everyday person and not only for the talented few who make it their central interest in life. Everyone has some ability to express himself and be creative in movement.“ (EXINER u. LLOYD 1974, S. 3)

Erst damit wurde die Idee geboren, den bisher hoch professionalisierten künstlerischen Tanz als Hobby, ohne dahingehende berufliche Ambitionen, auszuführen. Demnach muss die Geburtsstunde des Laientanzes, welcher seither wie in der Einleitung erwähnt, einen rasanten Aufstieg erfahren hat, wohl zu LABANS Zeit datiert werden, ohne den es auch keinen Bedarf an Tanzpädagogik im heutigen Sinne und folglich auch an dieser Arbeit gäbe.

[...]


1 da sowohl die Tanzpädagoginnen, als auch die tanzenden Kinder fast ausschliesslich weiblich sind, wird hier immer die weibliche Form gewählt

2 sämtliche Fotos entstammen von mir geleiteten und organisierten Kindertanzkursen

Ende der Leseprobe aus 224 Seiten

Details

Titel
sChOOL MOVES
Untertitel
Neue kindzentrierte tanzpädagogische Konzepte für die Grundschule anhand einer Befragung von 6-10jährigen Tänzerinnen
Hochschule
Universität Wien
Note
1
Autor
Jahr
2009
Seiten
224
Katalognummer
V186657
ISBN (eBook)
9783869435619
ISBN (Buch)
9783869433455
Dateigröße
2495 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
moves, neue, konzepte, grundschule, befragung, tänzerinnen
Arbeit zitieren
Rebekka Rom (Autor:in), 2009, sChOOL MOVES, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/186657

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