In den westlichen Industriestaaten ist die ärztliche Spezialisierung heute zur Selbstverständlichkeit geworden. Bereits 1914 gab es hier ungefähr 20 Spezialfächer; für die USA wird im Jahr 1976 eine Zahl von 54 Spezialfächern inkl. Subfächern angeben. Inzwischen hat sich ihre Zahl vervielfacht. Diese Entwicklung scheint noch nicht zum Stillstand gekommen zu sein, obwohl gelegentlich die Tatsache beklagt wird, dass fast kein Patient mehr nur von einem einzigen Arzt behandelt wird.
Bereits ein oberflächlicher Blick auf die derzeit existierenden Spezialfächer zeigt, dass keine logische Konstruktion, sondern eine historisch gewachsene Aufteilung vorliegt. Manche Fächer, wie zum Beispiel die Augenheilkunde oder die Dermatologie, beschäftigen sich mit den Erkrankungen bestimmter Organe, andere, wie Geriatrie oder Kinderheilkunde, mit bestimmten Gruppen von Personen. Wieder andere sind durch bestimmte technische Verfahren charakterisiert (z. B. die Radiologie); auch eine Spezialisierung nach bestimmten Krankheiten kommt vor (z. B. Venerologie).
Am Beispiel Frankreichs werden in dieser Arbeit einige Faktoren aufgezeigt, die die Entwicklung der modernen medizinischen Spezialisierung, die sich im wesentlichen im 19. Jahrhundert abspielte, beeinflusst haben. Gerade Frankreich ist für eine solche Darstellung gut geeignet, da sich die meisten Historiker darüber einig sind, dass die moderne Form der Spezialisierung ihren Ursprung in Paris zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat. Von hier aus ging die Entwicklung dann auf Wien über.
In der Literatur werden sehr verschiedene Ansätze verfolgt, um die Entwicklung der modernen Spezialfächer in Frankreich zu erklären. Dabei zeigt sich eine gewisse Tendenz der Medizinhistoriker, die Entdeckungen und Erfindungen der Medizin sowie die gedankliche Grundlage des sogenannten „Lokalismus“ überzubetonen. Unter „Lokalismus“ wird die Tatsache verstanden, dass sich die Medizin in der in Frage stehenden Zeit auf lokale Veränderungen in bestimmten Organen als Krankheitsursache zu konzentrieren begann. Historiker bevorzugen hingegen sozial- oder strukturgeschichtliche Ansätze. Als Ursachen der medizinischen Spezialisierung werden von letzteren etwa Arbeitsmarkt- und Wettbewerbsbedingungen genannt, das Abschieben medizinisch uninteressanter PatientInnen in Spezialkrankenhäuser oder die Arbeitsweise der französischen Bürokratie.
Inhaltsverzeichnis
- Fragestellung und Begriffsklärung
- Die Situation der französischen Medizin am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts
- Die Entwicklung der Spezialfächer - verschiedene Ansätze und Erklärungsversuche
- Wissenschaftliche Spezialisierung
- Ideengeschichtliche Ansätze
- Der Fortschrittsgedanke
- Strukturgeschichtlicher Ansatz
- Spezialisierung im Praxisfeld
- Einfluß des Arbeitsmarktes
- Spezialisierung als Folge der Abschiebung uninteressanter Patienten in Spezial-krankenhäuser
- Wissenschaftliche Spezialisierung
- Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Entwicklung der medizinischen Spezialisierung im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Sie untersucht, wie es zur Entstehung dieser Form der ärztlichen Arbeitsteilung kam und welche Faktoren ihre Entwicklung beeinflusst haben.
- Die Situation der französischen Medizin am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts
- Die Entstehung und Entwicklung verschiedener Spezialfächer
- Die Rolle wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Faktoren in der Spezialisierung
- Der Einfluss des Arbeitsmarktes auf die Entwicklung der Spezialfächer
- Die Auswirkungen der Spezialisierung auf die Patientenversorgung
Zusammenfassung der Kapitel
- Fragestellung und Begriffsklärung: Dieses Kapitel führt in das Thema der medizinischen Spezialisierung ein und definiert den Begriff im historischen Kontext. Es wird die Entwicklung der Spezialisierung in westlichen Industriestaaten beleuchtet und die Bedeutung der Arbeitsteilung im Gesundheitswesen hervorgehoben.
- Die Situation der französischen Medizin am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Dieses Kapitel analysiert die medizinische Landschaft in Frankreich vor der Entstehung der modernen Spezialisierung. Es werden die Bedingungen für die Entwicklung der Spezialisierung im Kontext der medizinischen und gesellschaftlichen Veränderungen der Zeit beleuchtet.
- Die Entwicklung der Spezialfächer - verschiedene Ansätze und Erklärungsversuche: Dieses Kapitel widmet sich der Entstehung und Entwicklung der verschiedenen Spezialfächer im 19. Jahrhundert. Es werden verschiedene theoretische Ansätze zur Erklärung der Spezialisierung diskutiert, wie z.B. wissenschaftliche Entwicklungen, gesellschaftliche Einflüsse und ökonomische Faktoren.
Schlüsselwörter
Medizinische Spezialisierung, Frankreich, 19. Jahrhundert, Arbeitsteilung, Facharzt, wissenschaftliche Entwicklung, gesellschaftliche Veränderungen, Arbeitsmarkt, Patientenversorgung.
- Arbeit zitieren
- Ilsemarie Walter (Autor:in), 1999, Zur Entwicklung der medizinischen Spezialisierung im Frankreich des 19. Jahrhunderts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18695