Leseprobe
Inhalt
EINLEITUNG
BEDEUTUNG UND SPRACHGEBRAUCH
BEDEUTUNG UND INTENTIONALITÄT
IMPLIKATUREN UND KONVERSATIONSMAXIMEN
PRÄSUPPOSITIONEN
SPRECHAKTTHEORIE
DEIXIS
SCHLUSSBETRACHTUNG
I. Einleitung
Um das Feld der pragmatischen Semantik näher zu erläutern muss zunächst auf die Entstehung des Begriffs und der dazugehörigen Teilbereiche eingegangen wer- den. Die linguistische Disziplin der Pragmatik ist seit den 30er Jahren des 20. Jahr- hunderts anerkannt, als Charles Sanders Peirce erstmals drei Aspekte des sprachli- chen Zeichens isolierte, auf denen anschließend die drei Abteilungen der Semiotik basierten:
1. Die Relation eines Zeichens zu anderen Zeichen
2. Die Relation eines Zeichens zu seiner Bedeutung
3. Die Relation eines Zeichens zu den Benutzern des Zeichens
Charles Morris entwickelte daraus die klassische Definition der drei Teilbereiche der Semiotik:
1. Syntax: Die Beziehung zwischen den Zeichen
2. Semantik: Die Beziehung zwischen den Zeichen und ihrer Bedeutung
3. Pragmatik: Die Beziehung zwischen Zeichen und ihren Benutzern
Diese strikte Unterteilung in verschiedene Bereiche ist jedoch, wie sich zeigen wird, keinesfalls unumstritten. Besonders die Trennung von Syntax und Semantik auf der einen Seite zur Pragmatik auf der anderen Seite fällt schwer, denn alle Zeichen und die Beziehungen zwischen ihnen bestehen nur durch deren etablierte Verwen- dung. Eine Sprache kann also nicht ohne Benutzer existieren1. Der Streit in der For- schung um die richtige Bezeichnung und die korrekte Unterteilung der verschieden Bereiche ist allerdings zum Teil von persönlicher Willkür geprägt und die zwanghaf- ten Versuche den einen Bereich vom anderen an einer bestimmten Stelle abzugren- zen können auf Dauer nicht dazu beitragen den Forschungsprozess voranzutreiben2. Deshalb soll nun hier auch nicht die Frage im Zentrum stehen, welche Aspekte eher der Semantik oder eher der Pragmatik zuzurechnen seien, sondern vielmehr unab- hängig davon die bedeutungsrelevanten Teilbereiche und Ansätze der Forschung dargestellt werden. Wenn man die Semantik als Analyse aller Bedeutungsaspekte einer Sprache versteht, also als eine Untersuchung aller Phänomene die in irgendei- ner Weise in Verbindung zur Bedeutung stehen, kann man viele Bereiche, die oft der Pragmatik zugerechnet werden, auch als Teil der Semantik betrachten. Hier sollen nun vor allem diejenigen Bereiche dargestellt und untersucht werden, die man als Teil beider Felder, sowohl der Semantik wie auch der Pragmatik, betrachten könnte. Dazu soll zunächst die Entwicklung des Begriffs der Pragmatik nachgezeichnet werden, vom Grundgedanken, dass jede sprachliche Äußerung als ein „Handeln nach Regeln“ gesehen werden kann, bis hin zur Sprechakttheorie und für die Se-mantik relevanten Aspekte der Pragmatik wie Deixis, Präsupposition und Implikatu-ren. Diese Sicht auf die Sprache als „Handeln nach Regeln“ ist insofern besonders, als dass sie erstmals von der Vorstellung Saussures, nämlich der Sprache als abs-traktes System (langue) abweicht. Bei Saussure wurde die Sprache (langue) in der Rede (parole) lediglich aktualisiert, die pragmatische Semantik hingegen konzentriert sich wesentlich auf die Regeln des Gebrauchs, den Kontext und den Benutzer der Sprache um Bedeutung zu erfassen. Somit unterscheidet sich die pragmatische Se-mantik auch weitgehend von anderen Theorien der semantischen Linguistik etwa zur lexikalischen Semantik.
II. Bedeutung und Sprachgebrauch
Einen wichtigen Beitrag zu einer pragmatisch ausgerichteten Sprachwissen- schaft leistete der Philosoph Ludwig Wittgenstein in seinem späten Werk Philosophi- sche Untersuchungen und der darin von ihm erdachte „Gebrauchstheorie der Bedeu- tung“3. Auch wenn wohl seine Theorien für die nachfolgenden Vertreter der engli- schen sprachanalytischen Philosophie keinen direkten, entscheidenden Einfluss ge- habt haben, haben sie dennoch zur Entstehung der linguistischen Pragmatik beige- tragen4. Was ein Wort bezeichne, so schreibt Wittgenstein, könne nur durch die Art des Gebrauchs gezeigt werden, die Bedeutung eines Wortes sei also sein Gebrauch in der Sprache5. Ein wichtiger Schluss den man nun daraus ziehen kann ist, dass im Gegensatz zu den meisten zuvor gefassten Bedeutungsbegriffen der linguistischen Semantik keine einheitliche Bedeutung eines Zeichens in einer Sprache vorhanden ist. Probleme bei der Verständigung, also bei der Bedeutungsfeststellung oder Text- interpretation, entstehen dann, wenn dieselben Wörter von verschiedenen Menschen in verschiedenen Situationen nach unterschiedlichen Regeln benutzt werden. Anders gesagt: der Kontext und die verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten eines Wortes spielen eine wesentliche Rolle bei Verständigungsproblemen. Denn ein einzelnes Wort kann in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Funktionen besitzen und auch kann ein einzelner Mensch die Vielfalt aller Verwendungsmöglichkeiten über- haupt nicht überblicken. Dies zeigt also, dass in der pragmatischen Semantik nicht davon ausgegangen werden kann, dass für jedes Zeichen in einer Sprache eine ein- heitliche Bedeutung vorhanden ist, was zumeist bei Ansätzen der traditionellen Wort- semantik nicht zutrifft, denn hier ist die Bedeutung eines Wortes nicht von der sprachlichen Umgebung und von Kontext- und Situationsfaktoren abhängig6.
Daraus ergibt sich eine Vielfalt der Verwendungsmöglichkeiten, welche der Sprecher oder die Sprecherin gezielt einsetzen kann und so auch mit verschiedenen Ebenen der Realisierung von kommunikativen Zwecken „spielen“ kann7. Dies be- nennt Wittgenstein mit dem Begriff Sprachspiel8, ein Aspekt, der lange Zeit als Son- derfall der Sprachverwendung betrachtet und als „indirekter“ bzw. „übertragender“ Gebrauch von Sprache bezeichnet wurde. In der pragmatischen Semantik wird er jedoch vielmehr als grundlegender Bestandteil und Charakteristikum von Sprache gesehen. Unterschiede und Probleme bei der Verwendung dieser Sprachspiele rüh- ren vor allem daher, dass sie z.B. in unterschiedlichen sozialen Gruppen auf andere Weise angewandt werden. Diese befolgen jeweils unterschiedliche Regeln und kommunizieren somit auf unterschiedliche Weise. Der Begriff Regel selbst wird erst über die Beobachtung von tatsächlichen Handlungsweisen in der Praxis geformt. Sie bestimmt sich laut Wittgenstein immer daraus, was in einer Gesellschaft als „gleiche Handlungsweise“ gilt bzw. aus der Übereinstimmung der Menschen in einer Hand- lungsweise. Die Regel kann nicht außerhalb der Praxis bestehen, die Praxis muss vielmehr für sich selbst sprechen9.
Ein weiterer wichtiger Ansatz in Wittgensteins Theorie ist seine Auffassung bezüglich des Bedeutungsbegriffs. Nach Wittgenstein ist Bedeutung kein „Gegen- stand“ welches dem Wort entspricht und auch kein „Bild“ oder eine „Vorstellung“, sondern sie wird vielmehr durch Verwendungsbeispiele beschrieben, die die Regeln der Verwendung eines Wortes aufzeigen können, also seinen Gebrauch in der Spra- che verdeutlichen. So ist etwa auch jedes Wörterbuch dementsprechend aufgebaut, dass konkrete Beispiele und Belegstellen für die Verwendung eines Wortes angege- ben sind um seinen Gebrauch in der Sprache zu erklären. Diesen Paraphrasen wird dabei oft auch der meiste Raum stattgegeben, denn sie eignen sich am besten die Bedeutung eines Wortes zu verstehen. Voraussetzung für das Verständnis dieser Paraphrasen ist natürlich, dass die entsprechenden Ausdrücke, also der paraphra- sierte und der paraphrasierende Ausdruck, in der Sprache zu gleichen kommunikati- ven Zwecken genutzt werden.
II. Bedeutung und Intentionalität
Auch Herbert Paul Grice trug mit seinen Theorien wesentlich zu einer pragmatisch orientierten Sprachwissenschaft bei. Er führt Bedeutung in mehreren Schritten auf Intentionen der Beteiligten zurück:
Kommunikation besteht [nach Grice] aus dem „Sender“, der verursachen will, dass der „Empfänger“ etwas denkt oder tut, indem er den „Empfänger“ dazu bringt zu erkennen, dass der Sender versucht diesen Gedanken oder diese Handlung zu verursachen. Somit ist Kommunikation eine komplexe Art der Intention, die genau dadurch erfüllt oder befriedigt wird, dass sie erkannt wird10.
Die Intention des Senders wird also bei der Kommunikation zum gegenseitigen Wissen zwischen Sender und Empfänger. Ist dieser Zustand des gegenseitigen Wissens über die kommunikative Intention erreicht, so war die Kommunikation erfolgreich. Die vollständige, kommunikative Bedeutung einer Äußerung kann also nicht vollständig durch die reine (situationsunabhängige) lexikalische Bedeutung erfasst werden, sondern erst durch die Einbeziehung aller nicht explizit erwähnten Intentionen des Sprechers. Ein Beispiel für gelungene Kommunikation nach Grice:
(1) Ein Sprecher S führt eine Äußerungshandlung in der Absicht aus, dass
(2) ein Hörer H daraufhin die Reaktion R zeigt,
(3) H erkennt, dass S die Reaktion R erwartet,
(4) H zeigt auf Grund dieser Erkenntnis die Reaktion R.11
[...]
1 Erhardt, Claus / Heringer, Hans Jürgen: Pragmatik. Paderborn 2011, S. 10.
2 Baylon, Christian / Mignot, Xavier: Sémantique du langue. Paris 1995, S. 64.
3 Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. Frankfurt am Main 1971.
4 Schlieben-Lange, Brigitte: Linguistische Pragmatik. Stuttgart 1975, S. 33.
5 Wittgenstein, Untersuchungen S. 41f..
6 Busse, Semantik S. 62.
7 Ebd., S.62f..
8 Wittgenstein, Untersuchungen S.19.
9 Busse, Semantik S.64.
10 Levinson, Stephen C.: Pragmatik. Tübingen 1990, S. 16.
11 Siehe auch: Levinson, Pragmatik S.17.