Die tschechische Frauenbewegung im Nationalitätenkonflikt der späten Habsburgermonarchie


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2003

44 Pages, Note: 1


Extrait


Inhalt

1. Einleitung

2. Entwicklung der tschechischen Frauenbewegung
2.1. Erste Anfänge
2.2. Frauenerwerbsvereine und Vereine zur Mädchenbildung
2.3. Kampf um politische Rechte
2.4. Frauenzeitschriften

3. Tschechische Frauenbewegung und Nationalismus
3.1. Die Erfolge der tschechischen Frauenbewegung als Erfolge des tschechischen Volkes
3.2. Die Pflicht tschechischer Mütter, ihre Kinder zu tschechischen Patrioten zu erziehen
3.3. Frauenbildung und Frauenstudium
3.4 Die Aktion „Svůj k svému“ und die Beteiligung der tschechischen Frauen bewegung

4. Tschechinnen und Tschechen unter sich – am Beispiel der Sokol- bewegung
4.1. Zur Geschichte der Sokolbewegung und der auf sie bezüglichen „Frauen- frage“
4.2. Die Frauenzeitschrift „Sokolice“
4.3. Frauen und Männer im „Sokol“

5. Zusammenfassung

Gedruckte Quellen und Literatur

Gedruckte Quellen

Zeitschriften

Literatur

1. Einleitung

Das Verhältnis von Frauenbewegung und Nationalismus ist – auch abgesehen von dem tschechischen Spezialfall – ein Thema, mit dem sich die historische Forschung erst seit jüngster Zeit befasst. Teilweise geht es dabei um kritische Forschungsarbeiten von Hi-storikerinnen, die darauf hinweisen, dass auch viele Frauen nationalistische Positionen vertreten haben.[1] Und wer hier nur ethnisch ziemlich einheitliche Staaten im Auge hat wie zum Beispiel Großbritannien, Frankreich oder Deutschland, der geht leicht vom Postulat aus, dass Frauenbewegung und Nationalismus entgegengesetzte Ziele verfolgten, da die Frauenemanzipation die Solidarität aller Frauen verlangt hätte, während der Nationalismus die Frauen verschiedener Nationen trennte.[2] Es wird also ein ähnlicher Konflikt angenommen, wie er sich für die Arbeiterbewegung ergab, die Abstriche an der postulierten Internationalität machen musste, um mit nationalistischen Strömungen konkurrieren zu können.

Auch Richard J. Evans geht in seinem 1977 erschienenen Buch „The Feminists“ davon aus, dass die tschechischen Frauen mit den nationalistisch gesinnten tschechischen Männern einen Handel durchführen und Kompromisse schließen mussten, wobei sie außer Vorteilen auch Nachteile in Kauf nahmen.[3] Katherine David, eine andere englischsprachige Historikerin, widerspricht dem entschieden. Sie hätte keine Evidenz dafür gefunden, dass die tschechischen Aktivistinnen um der Unterstützung ihrer männlichen Landsleute willen auch nur eine ihrer Forderungen aufgegeben hätten. Die tschechischen Feministinnen hätten Forderungen nach nationaler Gleichberechtigung in ihre Programme aufgenommen, sie seien überzeugte Patriotinnen gewesen und seien davon ausgegangen, dass das Vorantreiben der nationalen Anliegen zugleich die Frauenbewegung weiterbringen würde.[4] Nach allem, was mir aus der Geschichte der tschechischen Frauenbewegung bekannt ist, kann ich dieser These nur zustimmen.

David ist sogar der Meinung, dass es für die Tschechinnen eher von Nachteil gewesen wäre, wenn sie sich überwunden und mit den deutschsprachigen und eventuell auch mit den polnischen Feministinnen zusammengearbeitet hätten. „Austria-Hungary survived through its divide-and-rule policy; the government needed only to invoke the ban on female participation in political assemblies to quash any unruly, multi-national feminist front.”[5] Die „Frage der Priorität, Konkurrenz oder Parallelität von weiblicher und männlicher Befreiung“[6] muss für die verschiedenen nationalen Situationen also jeweils neu gestellt werden.

Die tschechische Frauenbewegung ist noch sehr wenig erforscht, am allerwenigsten von österreichischer oder deutschsprachiger Seite. Ich stütze mich daher in dieser Arbeit vor allem auf tschechische (gedruckte) Originalquellen sowie auf Literatur aus dem tschechischen oder englischen Sprachraum. Dabei ist nicht zu übersehen, dass es sich um einen anderen Blickwinkel handelt, als er in der österreichischen Literatur zur Habsburgermonarchie erkenntlich ist. Barbara Coudenhove-Kalergi spricht von zwei ganz verschiedenen Narrativen, die auf der einen Seite die Sicht der Österreicher und Sudetendeutschen, auf der anderen jene der Tschechen wiederspiegeln und deren Verschiedenheit „schon in grauer Vorzeit“ beginnt.[7]

Eine gewisse Schwierigkeit ergibt sich bei der Verwendung von tschechischer Literatur in einer deutschsprachigen Arbeit aus der Doppelbedeutung des Wortes „český“, mit dem sowohl „tschechisch“ als auch „böhmisch“ gemeint sein kann. Dies gilt einerseits für die Bezeichnung tschechischer Institutionen – etwa Vereinsnamen – die ich meist mit „tschechisch“ übersetzt habe, weil damit eindeutig der ethnische Bezug gemeint ist, obwohl die offiziellen Bezeichnungen in der Zeit der Monarchie das Adjektiv „böhmisch“ enthielten. Andererseits war es im Deutschen nicht möglich, die Assoziation von „tschechisch“ wiederzugeben, die im Wort „český“ mitschwingt, auch wenn im geographischen oder historischen Sinn „böhmisch“ gemeint ist. Sprache und Denken hängen eng zusammen. Jiří Kořalka, der viele Arbeiten über die Beziehungen der Nationalitäten im Habsburgerreich auf deutsch verfasst hat, meint, dass ihm einige seiner Überlegungen und Gedanken vermutlich gar nicht gekommen wären, hätte er nur auf tschechisch geschrieben.[8]

2. Entwicklung der tschechischen Frauenbewegung

Die Entwicklung der tschechischen Frauenbewegung verlief im allgemeinen nicht nur zur deutschösterreichischen Bewegung parallel, sondern auch allgemein zur Entwicklung der „Frauenfrage“ in Europa, auch wenn die tschechische Frauenbewegung im Vergleich etwa zur Situation in England oder Frankreich als sehr gemäßigt bezeichnet werden muss. In Böhmen wies sie einen zeitlichen Vorsprung gegenüber Mähren auf, und viele Impulse kamen von der Hauptstadt Prag. In Prag war die Mehrheit der Bevölkerung tschechisch, die deutsche Minderheit nahm in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stark an Zahl ab. Während im Jahr 1869 noch 18 Prozent der Bevölkerung deutsch waren, betrug 1910 der Anteil der Deutschen nur mehr sechs Prozent. Im Prager Stadtrat erlangten zu Beginn der 1860er Jahre die Tschechen die Mehrheit.[9]

2.1. Erste Anfänge

Eine erste Nachricht über die Bildung eines Frauenvereins in Prag geht auf das Jahr 1848 zurück. Im gleichen Monat August, in dem im Zuge der revolutionären Ereignisse in Wien unter Karoline von Perin ein „Wiener demokratischer Frauenverein“ gegründet wurde, entstand auch in Prag ein solcher Verein. Bei der Gründungsversammlung waren angeblich 400 Frauen anwesend. Über diesen Verein ist kaum etwas bekannt. Es wird auch nicht gesagt, ob es sich um deutsch- oder/und tschechischsprachige Pragerinnen handelte. Möglich, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich wäre es, dass sich zu diesem Zeitpunkt noch Frauen beider Nationen gemeinsam versammelten – die Ereignisse von 1848 waren ja auch die letzte Gelegenheit, bei der deutsche und tschechische Studenten gemeinsam agierten. Auch waren die ersten Wohltätigkeitsvereine in Böhmen noch nicht national orientiert. Der Prager demokratische Frauenverein hatte – ebenso wie der Wiener – durchaus politische Zielsetzungen: die Besatzungspolitik Windischgrätz’ wurde verurteilt und die Freilassung der nach der Niederschlagung des Prager Pfingstaufstandes Inhaftieren gefordert. Die Niederschlagung der Revolution setzte beiden Vereinen ein Ende; politische Frauenvereine wurden verboten.[10]

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand auf dem gesamten Gebiet der Habsburgermonarchie eine Unzahl von Vereinen der verschiedensten Art. Da Frauen die Mitarbeit in politischen Vereinen nicht gestattet war – das Vereinsgesetz von 1867 verbot ihnen ebenso wie Ausländern und Minderjährigen ausdrücklich die Mitgliedschaft[11] – versammelten sich die Frauen meist in Vereinen, die als Wohltätigkeits- oder Geselligkeitsvereine, später dann auch als Bildungsvereine, konstituiert waren, die tschechischen Frauen ebenso wie die deutschösterreichischen und die jüdischen. Dabei agierten Tschechinnen und deutsche Frauen bald streng getrennt, auch wenn die Art ihrer Tätigkeit sehr ähnlich war. Einige Vereine wechselten die Nationalität. Als es 1891 die Zeitschrift „Ženské listy“ (Frauenblätter) unternahm, eine Zusammenstellung der tschechischen Frauenvereine in Böhmen und Mähren herauszugeben, stellte sie mit Erstaunen fest, dass einige Vereine, die allgemein als tschechisch galten, ursprünglich deutsch gewesen waren; dazu gehörte auch der älteste noch existierende Frauenverein, der im Jahr 1851 gegründete „Spolek paní sv. Ludmily“ (Verein der Frauen der hl. Ludmilla) in Prag.[12]

2.2. Frauenerwerbsvereine und Vereine zur Mädchenbildung

Ab der zweiten Hälfte der 1860er Jahre entstanden in den weiter entwickelten Ländern der Habsburgermonarchie Frauenvereine, die sich die Frauenbildung zur Aufgabe machten. Es ging vor allem darum, bürgerlichen Mädchen und Frauen für sie angemessene Berufe zu erschließen. Bei den Bemühungen um Frauenbildung nahmen die tschechischen Frauen einen hervorragenden Platz ein. Wegen der Wichtigkeit der Frage der Bildung für die tschechische Frauenbewegung und umgekehrt der Bedeutung der tschechischen Frauenbewegung für die Entwicklung der Mädchenbildung in der Habsburgermonarchie möchte ich an dieser Stelle nur kurz die wichtigsten Fakten nennen; ausführlicher und stärker im nationalen Zusammenhang wird dieses Thema im dritten Kapitel behandelt.

Innerhalb weniger Jahre kam es in Wien wie in Prag zur Gründung einer Reihe von Frauenvereinen mit ähnlichen Zielen. Nachdem 1866 der Wiener Frauen-Erwerbsverein (erste Präsidentin war Iduna Laube) und ein Jahr darauf der jüdische Verein für Mädchenbildung in Wien gegründet wurde, entstand 1869 im Prager deutschen Milieu der „Prager Frauen-Erwerb-Verein“ (sic) mit der Vorsitzenden Anna von Zdekauer. 1871 konstituierte sich der Prager „Ženský výrobní spolek“, der unter der langjährigen Leitung von Karolína Svĕtlá[13] stand. Die wörtliche Übersetzung des Vereinstitels wäre „Frauen-Produktions-Verein“, der Verein wurde und wird in der deutschsprachigen Literatur jedoch meist (Böhmischer oder Tschechischer) „Frauen-Erwerbs-Verein“ genannt. Selbst bezeichnete sich der Verein, um nicht mit seinem deutschen Prager Pendant verwechselt zu werden, meist als „Ženský výrobní spolek český“; der deutsche Verein begann sich in den 1880er Jahren offiziell „Deutscher Prager Frauenerwerbsverein“ zu nennen – ein äußerer Ausdruck der sich verschärfenden nationalen Konflikte. Interessant ist, dass – im Unterschied zu Pavla Horská, die als Konkurrenten des tschechischen Vereins stets den von Zdekauer geleiteten angibt – Helena Volet-Jeanneret als eigentlichen Rivalen und Pendant einen anderen deutschen Verein nennt: den 1873 von der Deutschen Konstance Glieher und dem Grafen Moric Sweerets-Spork geschaffenen Frauen-Industrieverein für das Königreich Böhmen.[14] Es wäre sicher reizvoll, Ziele und Tätigkeiten der drei Vereine – und eventuell auch des Wiener Frauenerwerbsvereins – sowie eventuelle Einflüsse aufeinander zu vergleichen; dies würde jedoch den Rahmen der Seminararbeit weit überschreiten.

Entsprungen ist die Idee, einen tschechischen Frauenerwerbsverein zu gründen, aus einer Gruppierung, die von den österreichischen Behörden nie den offiziellen Vereinsstatus erhalten hatte, nämlich dem „Amerikanischen Klub der Damen“. Dieser Klub war im Hause des tschechischen Intellektuellen Vojtĕch Fingerhut-Náprstek (er tschechisierte später seinen Namen) entstanden, der als Student 1848 an der Revolution in Wien teilgenommen hatte. Um seiner Verhaftung zuvorzukommen, hatte er sich in die Vereinigten Staaten begeben, von wo er zehn Jahre später nach Prag zurückkehrte, voll Bewunderung für die nordamerikanische Demokratie und die dortige Frauenemanzipation. Die Familie war wohlhabend und Náprsteks Mutter, Anna Fingerhutová-Náprstková, war eine sozial sehr engagierte Frau. Sie stellten ihre Räumlichkeiten und ihre umfangreiche Bibliothek den tschechischen bürgerlichen Frauen zur Verfügung. Náprstek und andere Universitätsprofessoren hielten wissenschaftliche Vorträge für die Damen.

Der „Ženský výrobní spolek“ entfaltete eine reiche Tätigkeit. Er errichtete bereits im Jahr seiner Gründung eine Industrie- und Handelsschule für Mädchen, die eine kommerzielle Abteilung, eine solche für Zeichnen, eine für manuelle Arbeiten und Kurse allgemeiner Art umfasste. Das erklärte Ziel war, jungen Mädchen aus dem Bürgertum – im Alter von ca. 14 bis 15 Jahren – Kenntnisse auf kommerziellem und industriellem Gebiet zu vermitteln, die ihnen eine materiell unabhängige Existenz ermöglichten.[15] Ebenfalls im ersten Jahr seines Bestehens gründete der Verein ein Stellenvermittlungsbüro für weibliche Arbeitskräfte. Er errichtete einen Betrieb zur Erzeugung und Verkauf von Textilerzeugnissen, der ca. 40 bis 50 Frauen Arbeit gab. Er veranstaltete Vorträge auf hohem intellektuellen Niveau. In den Jahren 1874 bis 1881 unterhielt der Verein gemeinsam mit dem „Verein Böhmischer Ärzte“ auch eine Krankenpflegeschule, die sich stolz die „erste österreichische Krankenpflegerinen-Schule“ (sic) nannte. Eine Gruppe junger tschechischer Ärzte erteilte dort kostenlos Unterricht. Die Schule und die ausgebildeten Krankenschwestern fanden viel Anerkennung, doch scheiterte das Unternehmen im Jahr 1881 an der Weigerung, die Schülerinnen weiterhin im Altenheim in Karlov praktizieren zu lassen, eine Weigerung, die von den deutschen Mitgliedern des Prager Stadtrats ausgegangen sein soll.[16]

Trotz seiner Erfolge musste der Verein zeitweise hart um seine materielle Existenz kämpfen. Zu den bekanntesten führenden Persönlichkeiten des „Ženský výrobní spolek“ gehörte neben Karolína Svĕtlá die jüngere Eliška Krásnohorská.[17] Ihr bedeutendstes Werk in diesem Rahmen ist die Gründung des Bildungsvereins „Minerva“ und der ersten Schule für Mädchen, die den Rang eines Gymnasiums aufwies – davon wird später noch die Rede sein, ebenso wie vom Kampf des „Ženský výrobní spolek“ für das Frauenstudium.

In Mähren entstanden ähnliche Vereine erst wesentlich später. Als wichtigster ist hier wohl der „Vzdĕlávací spolek Vesna“ (Bildungsverein Vesna) zu nennen mit der Gründung einer Industrieschule durch Eliška Machová im Jahr 1886.[18] Dieser Verein hatte sich aus einem 1870 gegründeten Mädchengesangverein gleichen Namens entwickelt.[19]

Generell, d. h. ohne Beachtung des Geschlechts und der Nationalität der Mitglieder, kann man sagen, dass die Zahl der Bildungsvereine in Böhmen und Mähren hoch war. Nach den Zahlen des 1892 herausgegebenen „Handbuchs der Vereine für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder“ lagen – bei aller Fragwürdigkeit der Einteilung in die verschiedenen Kategorien – 55.6 % aller Bildungsvereine in Böhmen, Mähren oder Schlesien, während der Prozentsatz bei den Wohltätigkeitsvereinen nur 44.6 % betrug. Dies hatte sicherlich einerseits mit der wirtschaftlichen Fortgeschrittenheit dieser Länder zu tun, andererseits wohl aber auch mit dem Bildungshunger des in der Habsburgermonarchie eine Minderheit darstellenden tschechischen Volkes.

So sehr sich der „Ženský výrobní spolek“ für die Frauen- und Mädchenbildung eingesetzt hat, so sehr war er doch stark einem bürgerlichen Frauenideal verhaftet.[20] Um die Jahrhundertwende war er vergleichsweise sehr konservativ. Während andere Frauenvereine heftig um politische Partizipation kämpften, brachte seine Zeitschrift regelmäßig in der Beilage Schnittmuster und Kochrezepte. Inzwischen waren jedoch auch im tschechischen Milieu neue Vereine entstanden. Der 1897 gegründete Ústřední spolek českých žen (Zentralverein tschechischer Frauen), an dessen Spitze die Lehrerin und Schriftstellerin Teréza Nováková stand, war zwar noch der gemäßigten bürgerlichen Frauenbewegung zuzurechnen, doch sollen die Ansichten Novákovás mit der Zeit radikaler geworden sein.[21] Und es gab auch militantere Vereine, wie das nächste Kapitel zeigt.

2.3. Kampf um politische Rechte

Ab ungefähr 1890 ging es auch in der Prager Frauenbewegung um politische Rechte. Der erste Prager Frauenverein militant-feministischer Ausrichtung war jedoch auf deutscher Seite gegründet worden; es handelte sich um den Verein „Frauenfortschritt“, der 1893 entstand. Zehn Jahre später hatte er bereits mehr als 1200 Mitglieder, die in der Mehrzahl aus Prag, jedoch auch aus den deutschen Gebieten in Böhmen und Mähren stammten.[22] Erst 1904 wurde ein tschechischer militanter Frauenverein gegründet, der „Ženský klub český“ (Tschechischer Frauenklub), in dem Františka Plamínková eine führende Rolle einnahm. 1901 hatte noch Marianne Hainisch festgestellt, dass die Tschechinnen, Polinnen und Kroatinnen noch keine Frauenrechtsbewegung besaßen;[23] 1905 schuf der „Ženský klub český“ einen Ausschuss für das Frauenwahlrecht und wählte dabei bewusst diese Form, damit der Verein selbst nicht wegen Überschreitung der von den Statuten erlaubten Tätigkeit verfolgt werden konnte.[24] Der Verein wollte alle Frauen in Böhmen, über Klassen und über die Nationalitäten hinweg, in diesem gemeinsamen Anliegen vereinen, es scheint jedoch, dass er keinen besonderen Wiederhall fand. Es bildeten sich selbständige sozialdemokratische Gruppen, die Frauen in ihre Reihen riefen, und auch die deutschen Prager Frauen organisierten ihre eigenen Unterschriftsaktionen zur Forderung des Frauenwahlrechts.[25] Pavla Buzková, eine andere Aktivistin der neuen Generation der Frauenbewegung, war Funktionärin der tschechischen Fortschrittspartei Masaryks, die für gleiche Rechte für Frauen und Männer auf allen Gebieten eintrat. Sie betonte besonders die Notwendigkeit der Arbeit der Frauen in den politischen Organisationen.

Der Ausschuss für das Frauenwahlrecht hatte eine Lücke in der Wahlordnung zum Böhmischen Landtag entdeckt, die nicht ausdrücklich festhielt, dass Frauen nicht gewählt werden konnten. Die Sache war auch insofern dringend, als eine Wahlreform bevorstand und die Gefahr bestand, dass auch diese Lücke geschlossen wird. Eine Wahlkampagne begann. Nachdem die ersten Versuche mit der Kandidatur von Frauen fehlgeschlagen waren, gelang es 1912 der tschechischen Schriftstellerin Božena Viková-Kunĕtická tatsächlich, im Distrikt von Mladá Boleslav und Nymburk in den Landtag gewählt zu werden. Da die österreichischen Behörden die Wahl nicht anerkannten und der Landtag 1913 wegen der sich aufschaukelnden nationalen Konflikte aufgelöst wurde, konnte Viková-Kunĕtická ihr Mandat nicht ausüben, doch hatte die Wahl internationale Aufmerksamkeit erregt und wurde von den tschechischen Frauen als Sieg der Frauen und als Sieg der Nation angesehen.

Tschechische Delegierte nahmen an vielen internationalen Frauenkonferenzen teil, zum Beispiel an den Treffen der International Woman Suffrage Alliance (IWSA). Sie traten dabei als Delegierte von Böhmen und Mähren auf, denn die „österreichischen“ Delegationen waren eine rein deutschsprachige Sache. Dafür vertraten die Delegationen von Böhmen und Mähren wieder nur die tschechischen Frauen der beiden Kronländer.[26]

Als sich zwischen 1892 und 1918 die meisten europäischen feministischen Vereine in nationalen Dachverbänden zusammenschlossen und dann in der Regel dem 1888 in den USA gegründeten International Council of Women beitraten,[27] erfolgte in (Deutsch)Österreich 1902 der Zusammenschluss zu einem „Bund Österreichischer Frauenvereine“, der Beitritt zum International Council of Women zwei Jahre später. Dass es in der national aufgeheizten Stimmung zu Beginn des 20. Jahrhunderts praktisch nicht mehr möglich war, einen Zusammenschluss über die Grenzen der Nationalitäten hinweg zustande zu bringen, geht u. a. aus einem Bericht des „Ženský obzor“ aus dem Jahr 1909 hervor. Als auf einer Delegiertenversammlung der österreichischen Frauenvereine vorgeschlagen wurde, aus jeder Stadt eine Delegierte in eine Kommission zu berufen, protestierten deutsche Delegierte aus den böhmischen Ländern heftig dagegen mit der Begründung, dadurch würde auch der „nationale Gegner“ gestärkt. Obwohl eine andere Delegierte den humanitären Charakter des Bundes betonte, weshalb keine Nationalität ausgeschlossen werden dürfe, zeigt die Stellungnahme von Marianne Hainisch, der Vorsitzenden des „Bundes Österreichischer Frauenvereine“, doch deutlich die zwiespältige Haltung des Bundes. Sie betonte nachdrücklich den deutschen Charakter der Mitglieder des Vorstands, dies dürfe jedoch nicht dazu führen, dass dieser einen einseitigen nationalen Standpunkt einnehme, denn der Bund sei ein Mitglied des internationalen Verbandes und hieße auch Bund österreichischer Frauenvereine, was bedeute: für alle in Österreich befindlichen Nationalitäten.[28] Man wollte also alle vertreten, sie aber nicht mitentscheiden lassen – es ist verständlich, dass die tschechischen Frauen dies nicht wollten. Im Dezember 1911 gründeten sie einen eigenen Dachverband, den „Svaz ženských spolků“ (Bund der Frauenvereine). Es wurde bedauert, dass von insgesamt ca. 700 existierenden Vereinen nur 32 dem Bund beitraten.[29]

[...]


[1] z. B. J. Gehmacher, 2000, sowie auch andere Beiträge in S. Kemlein, 2000; U. Planert, 2000; M.-C. Hoock-Demarle, 1995

[2] Eine ähnliche Auffassung ist auch bei vielen Feministinnen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in bezug auf die „Dritte Welt“ zu finden; Nira Yuval-Davis meint, dass erst das 1986 veröffentlichte Buch „Feminism and Nationalism in the Third World“ von Kumari Jayawardena gezeigt habe, „dass Frauen, die sich loyal zu einer ‚eigenen’ nationalen Befreiungsbewegung verhalten, zugleich innerhalb derselben um eine Verbesserung und Veränderung ihrer Lage als Frauen in der Gesellschaft kämpfen können“ (N. Yuval-Davis, 1997, S.193) – vgl. auch B. Anderson, 1996, in bezug auf die Staaten des ehemaligen Jugolawiens. Im Kriegsfall allerdings entschieden sich auch in Staaten wie Frankreich oder Deutschland viele Vertreterinnen der Frauenbewegung für die Priorität des Nationalismus: „Solange der Krieg dauert, sind auch die Frauen des Feindes unsere Feindinnen“, verkündete Jane Misme 1914, und Gertrud Bäumer erklärte 1915: „Es ist uns selbstverständlich, dass während eines nationalen Existenzkampfes wir Frauen zu unserem Volke gehören und nur zu ihm.“ (Françoise Thébaud, Die Nationalisierung der Frauen, in: Georges Duby/Michelle Perrot (Hrsg.): Geschichte der Frauen, Frankfurt 1992-1995, Bd.5, S.73; Leila Rupp: Worlds of Women, Princeton, 1997, S.115; beides zit. nach G. Bock, 2000, S.200

[3] R. J. Evans, 1977, S.102 und 238

[4] K. David, 1991, S.26-27

[5] ebd., S.39

[6] G. Bock, 2000, S.166

[7] B. Coudenhove-Kalergi, 2002, S.11

[8] J. Kořalka, 1991, S.20

[9] P. Horská, 1992, S.73-74

[10] G. Hauch, 1990, S.149. Die Gründungsversammlung des Wiener Vereins fand am 28. August statt, die des Prager Vereins am 16. August. Zum Wiener Verein siehe auch G. Simon, 1993, S.122-123

[11] K. David, 1991 (S. 27 und S.39) behauptet, der diskriminierende Passus sei 1912 aufgehoben worden. Ich konnte allerdings keine diesbezügliche gesetzliche Bestimmung aus dem Jahr 1912 finden, lediglich einen Antrag der Abgeordneten Dr. Ofner, Licht und Genossen vom 25. 10. 1906 auf Weglassung des Wortes „Frauenspersonen“ aus dem § 30 des Vereinsgesetzes. Das Ministerium des Innern meinte dazu, das Vereinsgesetz von 1867 sei zwar veraltet, es müsse allerdings dahin gestellt werden, ob derzeit eine Reform des Vereinsrechtes auf breiter Basis aus Erwägungen der politischen Opportunität in Aussicht genommen werden könnte; die Neuregelung einer einzelnen Frage sei jedoch „wohl ausgeschlossen“. „Ein unmittelbarer Anlass zu einer h.o. Verfügung liegt demnach nicht vor. ad acta.“ (Österr. Staatsarchiv/Allgem. Verwaltungsarchiv, Min. des Innern, Präsidiale 1900-1918, 15.Vereine, Fasz.1619, Akt 9798/1906). P. Horská, 1983, schreibt (S.739): „Für die Frauen war ein Erfolg des im übrigen erfolglosen Kampfes zur Erlangung des allgemeinen Wahlrechts in den Jahren 1905 bis 1907 die Erlangung des faktischen freien Zugangs zu politischen Organisationen, wenngleich das Gesetz dies weiterhin verbot.“(Übersetzung I.W.; dies gilt, wenn nicht anders angegeben, auch für alle weiteren Übersetzungen aus dem Tschechischen)

[12] Statistický přehled, 1891, Einleitung und S.5

[13] Karolína Svĕtlá, eigentlich Johanna Mužáková, geb. Rottová (1830-1899)

[14] H. Volet-Jeanneret, 1988, S.214 und 223. Der genaue Titel dürfte „Erster Frauen-Industrie-Verein für das Königreich Böhmen“ gelautet haben, soweit dies aus der von Volet-Jeanneret angeführten tschechischen Bezeichnung und deren Übersetzung ins Französische ersichtlich ist. Die Beifügung „erster“ weist darauf hin, dass die Zielsetzung nicht ganz mit der des Prager deutschen „Frauen-Erwerb-Vereins“ identisch sein dürfte.

[15] ebd., S.217

[16] ebd., S.219-221; I. Walter, 1994, S.77-79

[17] Eliška Krásnohorská, eigentlich Alžbĕta Pechová (1847-1926)

[18] V. Bednářová, 1991, S.232

[19] P. Horská, 1983, S.735

[20] vgl. auch A. Šimúnková, 1997, S.93-97

[21] J. Janáčková, 1995, S.61

[22] P. Horská, 1995, S.120

[23] M. Hainisch, 1901, S.186

[24] Die gleiche Taktik verfolgte übrigens auch die österreichische Frauenbewegung in Wien (B. Zaar, 1994, S.51)

[25] P. Horská, 1983, S.738

[26] K. David, 1991, S.32

[27] G. Bock, 2000, S.169

[28] Ženský obzor, 8. Jg. 1909, Nr.9, S.186-187. Für eine genauere Analyse müsste man die Protokolle des „Bundes Österreichischer Frauenvereine“ durchsehen.

[29] Ženský obzor, 11.Jg. 1912, Nr.1, S.25. Dem „Bund Österreichischer Frauenvereine“ erging es übrigens auch nicht besser: „Die Bundesidee findet in Österreich leider noch wenig Anklang“, schrieb Hainisch, „und der Bund wird im kommenden Winter mit nur 12 Vereinen ins Leben treten müssen.“ (M. Hainisch, 1901, S.187)

Fin de l'extrait de 44 pages

Résumé des informations

Titre
Die tschechische Frauenbewegung im Nationalitätenkonflikt der späten Habsburgermonarchie
Université
University of Vienna  (Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte)
Cours
Seminar zur österreichischen Geschichte: Sozialstruktur und Nationalitätenproblem in der späten Habsburgermonarchie
Note
1
Auteur
Année
2003
Pages
44
N° de catalogue
V18736
ISBN (ebook)
9783638230087
ISBN (Livre)
9783638700184
Taille d'un fichier
796 KB
Langue
allemand
Mots clés
Frauenbewegung, Nationalitätenkonflikt, Habsburgermonarchie, Seminar, Geschichte, Sozialstruktur, Nationalitätenproblem, Habsburgermonarchie
Citation du texte
Ilsemarie Walter (Auteur), 2003, Die tschechische Frauenbewegung im Nationalitätenkonflikt der späten Habsburgermonarchie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18736

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