Interkulturelles Spielen in der Schule

Bedeutungen, Bedingungen und Auswahl interkultureller Spiele


Term Paper (Advanced seminar), 2003

26 Pages, Grade: sehr gut


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das kindliche Spiel und seine Bedeutung
2.1 Definition Spiel
2.2 Bedeutung des Spiels für die kindliche Sozialisation
2.3 Bedeutung des Spiels für die interkulturelle Erziehung

3. Bedingungen des (interkulturellen) Spiels in der Schule
3.1 Allgemeine Bedingungen
3.2 Die Rolle des Lehrers/ Spielleiters
3.3 Zur Umsetzung von Spielen aus verschiedenen Kulturen

4. Auswahl von Spielen mit verschiedener Herkunft

5. Resümee

6. Literatur

1. Einleitung

In vorliegender Arbeit werde ich auf die Bedeutung des Spiels für den Sozialisationsprozess des Kindes eingehen. Spiele bilden neben Märchen, Mythen, Legenden, kindlichen Träumen, Wünschen und Lebensvorstellungen etc. einen Teil des für die gesunde Entwicklung eines Kindes wichtigen Phantasie-bereichs. Phantasie ermöglicht dem Kind seine Identitätsbildung ebenso wie Grenzüberschreitungen, die für seine Lebenserfahrung wichtig sind.

Zunächst werde ich den Begriff „Spiel“ aus verschiedenen Perspektiven definieren, um dann ausführlich auf die Bedeutung des Spiels für die kindliche Sozialisation einzugehen. In einem weiteren Unterkapitel möchte ich den Einfluss des Spiels auf das interkulturelle Lernen erläutern, da unsere Lebenswelt durch kulturelle Heterogenität geprägt ist und Schule den Auftrag hat, Kinder an die Lebenswirklichkeit heranzuführen. Interkulturelle Spiele[1] können somit einen Beitrag leisten, kulturelle Vielfalt in den Unterricht einzubeziehen und die Kinder bereits im frühen Alter spielerisch an andere Kulturen heranzuführen, wodurch Befremdungsgefühle abgebaut und Toleranz aufgebaut wird.

Nach diesen eher theoretischen Ausführungen werde ich die konkrete Umsetzung interkultureller Spiele im Unterricht darstellen, wobei diese Umsetzungs-möglichkeiten auch Relevanz für andere Spiele haben. Besonderes Augenmerk soll auf die Fragen gerichtet werden, welche Spiele gespielt werden, woher diese Spiele stammen, wie man als Lehrkraft die Schüler in die Spielauswahl einbeziehen kann und wie man die Spiele in den Unterricht integriert. Des Weiteren wird die Spieldurchführung und Reflexion der Spiele näher betrachtet.

Den Abschluss bildet eine kleine Sammlung interkultureller Spiele mit genauen Angaben zu ihrer Durchführung und ihrer Intentionen, um konkrete Anregungen für eine Umsetzung im Unterricht zu erhalten.

Ziel dieser Arbeit soll es sein, die Bedeutung des Spiels für die kindliche Sozialisation und interkulturelle Erziehung zu erkennen und gleichzeitig Praxisbeispiele für den eigenen phantasiefördernden Unterricht zu bekommen.

2. Das kindliche Spiel und seine Bedeutung

2.1 Definition Spiel

Eine weit verbreitete Auffassung zum „Spiel“ besteht in der Gegensätzlichkeit zu „Arbeit“, „Anstrengung“ und „Mühe“. Diese Auffassung beruht auf einem dualistischen Denkmodell und hat zur Folge, dass das Spiel in der Schule abgewertet wird, da „es […] den Kindern [vortäusche], dass alles im Leben leicht und mühelos zu bekommen sei“.[2] Dabei wird die große Relevanz des spielerischen Lernens für die Entwicklung des Kindes nicht erkannt.

Kayser/ Kayser[3] grenzen das Spiel ebenfalls von anderen Tätigkeiten ab, fügen aber noch hinzu, dass sich das Verhältnis Spiel/ andere Tätigkeiten im Laufe des Lebens umkehrt. Während das Spiel bei Kindern einen sehr großen Stellenwert gegenüber anderen Handlungstypen hat, hat es bei Erwachsenen nur noch einen sehr geringen Stellenwert. Die Autoren weisen darauf hin, dass Kinder, die Kinderarbeit leisten müssen, generell weniger Zeit dem Spiel widmen (können). Nach einem Zitat von Oerter[4] ließe sich das Spiel in seiner Funktion für wesentliche Aufgaben der Erhaltung, Fortführung und Höherentwicklung des Individuums gegenüber Arbeit, Erholung und Konsumption abgrenzen.

Heckhausen[5] schätzt das Spiel schon positiver ein. Nach seiner Definition bildet das Spiel eine umfassende Tätigkeitsform, in der Kinder sich auf verschiedene Arten (kognitiv, emotional, körperlich-sinnlich) mit der Realität ausein-andersetzen können. Das Spiel sei ein komplexes Handlungs- und Erfahrungsfeld, das die verschiedensten Aspekte wie z.B. Anspannung und Freiheit, Lernen und Spaß, Leistung und Entspannung enthalte und miteinander verknüpfe. Im kindlichen Spiel sei ein sich wiederholender Wechsel von Anspannung und Entspannung zu beobachten, den Heckhausen als „Aktivierungszirkel“ bezeichnet. Den ständigen Wechsel zwischen An- und Entspannung erfahre das Kind als lustvoll und würde dadurch motiviert werden, sich weiter spielerisch mit der Welt auseinanderzusetzen, wodurch es neue Wagnisse eingehen würde und höhere Leistungen erbringe.

Schiffler betont ebenfalls die Wichtigkeit, das Spiel als besondere Ver-haltensform zu betrachten. Er weist gleichzeitig darauf hin, dass es fließende Übergänge und Überschneidungen zu anderen Aktivitäten gäbe. Für ihn ist

„spielerische Haltung […] ein Ausdruck der Freiheit, es ist die Fähigkeit, dem Sachlichen, Ernsten, Gezwungenen eine spielerische Wendung zu geben. Das bedeutet, sich nicht nur „in“ oder „unter“ die Sache gestellt sehen, sondern sich auch streckenweise „darüber“ stellen zu können, so dass man mit ihr spielen kann“[6]

Dieser Zwischenbereich zwischen Spiel und Ernst sei eine Zone kreativer Impulse.

Eine differenziertere Beschreibung des Spiels als besondere Verhaltensform findet sich bei Einsiedler. Zunächst legt er dar, dass das kindliche Spiel dreierlei Formen annehmen kann: es kann eine Handlung sein, eine Geschehniskette oder eine Empfindung. Allen drei sind aber folgende Punkte gemein:

- sie sind intrinsisch motiviert oder durch freie Wahl zu Stande gekommen
- sie sind stärker auf den Spielprozess als auf ein Spielergebnis gerichtet (Mittel vor Zweck)
- sie sind von positiven Emotionen begleitet
- sie sind im Sinne eines So-tun-als-ob von realen Lebensvollzügen abgesetzt.[7]

Einsiedler verzichtet also auf eine allgemeingültige Spieldefinition und bevorzugt es, einzelne Merkmale zu benennen, die das Spiel nicht streng von anderen Tätigkeiten abgrenzen, sondern eher akzentuierende Hinweise geben. Demnach kann eine Tätigkeit trotzdem als Spiel betrachtet werden, auch wenn sie nicht alle Merkmale in voller Ausprägung enthält, sofern die anderen Merkmale existent sind. Aus einer Darstellung des Spielbegriffs mit den oben genannten vier Merkmalen in Form eines Mengendiagramms wird deutlich, dass Einsiedler bereits zwei vorhandene Merkmale als ausreichend für die Bezeichnung „Spiel“ hält.[8] Damit unterstützt er Schifflers These der fließenden Übergänge und Überschneidungen zu bzw. mit anderen Tätigkeiten.

Auf den vierten von Einsiedler genannten Punkt geht Duncker näher ein. Für ihn ist Spiel und Phantasie eine kreative Form von Weltaneignung. Er stellt dar, dass sich Phantasie und Spiel als eine Form der Erkenntnistätigkeit beschreiben lassen, weil sie „versuchen, einen Gegenstand zu erfassen, indem sie ihn in ein Netz bedeutungshaltiger Verweise einspannen“[9] Kinder würden bei der Ergründung neuer Sachverhalte zunächst probeweise Verbindungen zu bereits Bekanntem oder Dingen, die sie glauben zu kennen, herstellen. Dieser Prozess des Erforschens greife aber nicht nur auf Reales zurück, sondern schließe auch das Mögliche, Denkbare oder Utopische (also die Phantasie) ein. Spiel als Form von Weltaneignung bedeute, dass das Kind Dinge und Gegenstände des Alltags aus seinem ursprünglichen Zusammenhang herauslöse und in einen neuen Kontext stelle. Durch diese Neuordnung geschehe eine Art der Umwandlung, bei der neue Bedeutungen gestiftet werden. Das Spiel bietet dem Kind also die Möglichkeit sich versuchend und probierend, tastend und entdeckend auf kreative Weise, einem Sachverhalt zu nähern.

Eine Begründung, warum Spiel nicht im Gegensatz zum Lernen betrachtet werden darf (wie am Anfang des Kapitels dargestellt), liefert Menzel. Er weist darauf hin, dass für alles Lernen „Probierverhalten, Experimentieren, selbständiges Einlassen auf Lerngegenstände und Risikobereitschaft konstitutiv sind [und demnach, T.K.] […] Spiel ein wesentlicher Bestandteil des Lernens und nicht seine „Gegenwelt“ [ist]“[10] Spielen biete eine Möglichkeit, Lösungswege zu erproben und die eigenen Grenzen auszuloten. Durch die spielerische Auseinandersetzung mit Sachverhalten werde die Motivation und die Behaltbarkeit gefördert. Menzel spricht sich dagegen aus, Spiel nur als So-tun-als-ob-Tätigkeit (im Sinne von Einsiedler) zu verstehen, da diese Betrachtungsweise die Ernsthaftigkeit und Anstrengungen der Kinder im Spiel verkenne. Spiel sei insofern an Leistung gekoppelt, als dass es den Kindern die Möglichkeit bieten würde, die eigenen Grenzen zu erfahren und sich selbst einschätzen zu lernen. Für ihn konstituiert Spiel als Handlung „Konzentration bei aller Gelöstheit, sich den Regeln stellen bei aller Freiheit, Leistung auf dem Wege des Spielens bei aller Offenheit gegenüber dem Resultat“.[11]

Neben diesen Definitionsvariationen des Spielbegriffs lassen sich auch Spielklassifikationen vornehmen, die das Spiel nach seiner Struktur differen-zieren. Bei Knauf[12] findet sich eine Zusammenfassung der Spielklassifikationen: zunächst wird dazu Petillon[13] zitiert, der Spiele in „Play“ und „Games“ unterteilt. „Play“ sei der spielerische Umgang mit Alltagssituationen, während „Games“ die Kategorie der vorstrukturierten Spiele umfasse. Knauf lehnt diese Einteilung jedoch ab, da sie die Übergänge nicht als spieltypisch betrachte.

Bühler[14] nennt neben Funktions-, Illusions-/Fiktions-, Konstruktions- und Regelspielen auch Rezeptionsspiele, die Knauf als wichtige Kategorie auffasst, da darunter auch Aktivitäten wie „Bilder betrachten“, „Vorlesenlassen“ usw. fallen. Piaget und Walter[15] ordnen Spiele jeweils nach der kognitiven bzw. altersbedingt bevorzugten Spielhandlung.

Nach dieser Zusammenfassung schlägt Knauf eine funktionale Einteilung schulischer Spielhandlungen vor. Damit unterscheidet er sich von den vorangehend Zitierten, da diese keine Unterscheidung zwischen schulischen und außerschulischen Aktivitäten vornehmen. Seine erste Kategorie umfasst die Explorationsspiele, in denen die Gewinnung neuer Erfahrungen im Vordergrund steht. Als Beispiele nennt er Kim-Spiele, Körper- und Bewegungserfahrungen, Erkundungen eines außerschulischen Lernortes sowie die Erkundung komplexer sozialer Wirkungszusammenhänge. Die Konstruktions- bzw. Produktionsspiele lassen Kinder allein oder gemeinsam etwas herstellen. Zu den Übungsspielen zählen dann die klassischen Medien der Grundschulpädagogik, die eine gewisse Regelhaftigkeit, eine Aufforderung zur Wiederholung, alltagsnahe Handlungs-strukturen und einen raschen Wechsel von An- und Entspannung liefern. Die Aufgaben des Spiels vermitteln durch Selbstkontrolle rasche Erfolgserlebnisse. Als letzte Kategorie nennt Knauf die Phantasie- und Entlastungsspiele, die ihren Ausdruck in Einzel- und Rollenspielen finden und den Kindern eine Auseinandersetzung mit ihren Gefühlen, Erlebnissen und Bedürfnissen ermög-lichen.[16]

Auch Schiffler bezieht sich nur auf die schulischen Spiele und unterscheidet zwischen Freiem Spiel (ohne Initiierung durch Programm oder Erwachsenen), darstellendem Spiel (Kunstform, Handlungsform mit spontanem Rollenspiel, improvisiertes Sich-Selbst-Darstellen), medialem darstellenden Spiel (Hand-puppen-, Masken-, Schattenspiele), Lernspielen (lernbetonte Spielmittel) und Simulationsspielen (Rollen-/ Planspiel).[17]

[...]


[1] Unter interkulturellen Spielen verstehe ich Spiele, die interkulturelles Lernen zum Ziel haben, aber auch Spiele, die aus unterschiedlichen Kulturen stammen und von Kindern verschiedener Kulturen gemeinsam gespielt werden.

[2] Knauf 2001, S. 195

[3] Kayser/ Kayser 2001, S. 9 ff.

[4] Oerter 1982, S. 618, zit. nach: ebd., S.10

[5] vgl. Heckhausen 1984, S. 140

[6] Schiffler 1982, S. 12

[7] vgl.: Einsiedler 1999, S. 15

[8] Einsiedler 1994, S.13, zit. nach: Petillon 1997, S. 15

[9] Duncker. In: Baer/ Dietrich/ Otto 1995, S.4

[10] Menzel. In: Baer/ Dietrich/ Otto 1995, S. 73

[11] Ebd.

[12] vgl.: Knauf 2001, S. 198 ff.

[13] Petillon 1999, zit. nach: ebd., S. 198

[14] Bühler 1967, zit. nach: ebd., S.199

[15] Piaget 1993/ Walter 1993, zit. nach: ebd., S.199

[16] vgl.: Knauf 2001, S. 199 ff.

[17] vgl.: Schiffler 1982

Excerpt out of 26 pages

Details

Title
Interkulturelles Spielen in der Schule
Subtitle
Bedeutungen, Bedingungen und Auswahl interkultureller Spiele
College
University of Duisburg-Essen  (Fachbereich 2)
Course
Kindheit in interkultureller Perspektive
Grade
sehr gut
Author
Year
2003
Pages
26
Catalog Number
V18743
ISBN (eBook)
9783638230155
ISBN (Book)
9783638676533
File size
546 KB
Language
German
Keywords
Interkulturelles, Spielen, Schule, Kindheit, Perspektive
Quote paper
Tanja Barstat (Author), 2003, Interkulturelles Spielen in der Schule, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18743

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