„In seine Krankheit will er kein Einsehen haben“

Die Heil- und Pflegeanstalt Wehnen und der Umgang mit Schizophrenen Patienten


Hausarbeit (Hauptseminar), 2011

28 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Heil- und Pflegeanstalt Wehnen - ein historischer Abriss
2.1 Von der „Irrenanstalt zu Wehnen“ - die Ursprünge
2.2 Die Heil- und Pflegeanstalt in der nationalsozialistischen Epoche

3. Der Patient Hermann I. - ein Fallbeispiel
3.1 Vorgeschichte und Zeit bis zur stationären Aufnahme
3.2 Das Leben in der Anstalt
3.3 Das Sterben in der Anstalt

4. Die Behandlung und ärztlich angeordnete Disziplinierung von schizophrenen Patienten in Wehen

5. Fazit

Quellen- und Literaturverzeichnis

„Er hält nach wie vor an seinen Wahnideen fest, glaubt sich von Personen verfolgt […]. Trotz verschiedener Versuche, ihn von seinen Wahnideen abzubringen, sind dieselben bisher immer gescheitert. I. gehört zu jener Kategorie von Geisteskranken, bei denen eine Besserung ihres wahnhaften Zustandes in Kürze nicht zu erwarten ist.“1

Die Schilderung eines Patienten des von 1937 bis 19482 tätigen Direktors der Heil- und Pfle-geanstalt Wehnen bei Oldenburg, Dr. Carl Petri, steht sinnbildlich für eine Vielzahl von Pati-enten, die als geisteskrank eingestuft wurden und im weiteren Verlauf ihres stationären Auf-enthalts schließlich dort starben. Neben Patienten, die aufgrund von Depressionen oder Erregungszuständen in Wehnen behandelt wurden, bildeten insbesondere die schizophre-nen Patienten eine der größten Behandlungsgruppen der Anstalt. Wahnideen, akute Suizi-dalität oder paranoid-halluzinatorische Syndrome stehen hierbei stellvertretend für einige der Symptome, die zur Aufnahme führten. Gerade weil das Krankheitsbild der Schizophrenie eine Vielzahl an Symptomen bietet und daher auch unzählige Patienten mit dieser Diagnose eingeliefert wurden, ist der Bedeutung von schizophrenen Patienten in Wehnen eine be-sondere Bedeutung beizumessen.

Im Zeitraum der von Adolf Hitler angeordneten3 und deutschlandweit durchgeführten „Eu-thanasie“-Programme4, welche die „Tötung eines jeden wegen Behinderung oder Krankheit dauernd nicht arbeitsfähigen, ‚unproduktiven’ Menschen, gleich, ob ein geistiges oder phy-sisches Leiden vorlag“5, zum Ziel hatte, starben in Wehnen mindestens 1.500 Patienten durch systematischen Krankenmord. Um die Wirkweise des Krankenmords an schizophre-nen Patienten in der Heil- und Pflegeanstalt aufzuzeigen, wird den Kern der vorliegenden Arbeit ein Fallbeispiel bilden. Anhand des Patienten Hermann I., dessen Patientenbeschrei-bung sich im eingangs aufgeführten Zitat widerspiegelt und im Frühjahr 1937 stationär auf-genommen wurde, soll das Leben eines psychiatrischen Patienten in Wehnen skizziert wer-den. Interessant ist hierbei nicht nur die Rolle des medizinischen Personals und die Frage, wer Anweisungen gab und wer sie ausführte, sondern ebenso die Möglichkeiten der Diszip-linierung von Patienten. Welche Formen oder Maßnahmen wurden angewendet, um auffäl-lige oder erregte Patienten ruhig zu stellen oder sie etwa für eine bevorstehende Behand- lung vorzubereiten? Welchen Nutzen hatte die bereits im Titel zitierte und von den Ärzten geforderte Krankheitseinsicht für den Heilungsprozess der Patienten? Und welchen Stellen-wert erhielt die Heilung und die Pflege der Patienten in den Anfangsjahren der Anstalt im Vergleich zur Zeit der Krankenmorde in den 1930er/1940er-Jahren? Das Anliegen der vorlie-genden Arbeit ist es somit, den Umgang mit psychiatrischen und insbesondere schizophre-nen Patienten in Wehnen aufzuzeigen und die dringend notwendige Auseinandersetzung mit der Geschichte des Krankenmords in den medizinischen Einrichtungen des Oldenburger Landes weiter zu betreiben.

Die inhumanen Zustände in den psychiatrischen Anstalten und Krankenhäusern des Natio-nalsozialismus, denen insgesamt mindestens 196.000 psychisch kranke und geistig behin-derte Menschen zum Opfer fielen6, bilden die Basis für eine breite Beschäftigung mit dem Begriff »Euthanasie«7. Hans-Walter SCHMUHL konstatiert hierzu treffend, dass „die Forschung zur NS-»Euthanasie« selbst schon ein Stück deutscher Zeitgeschichte geworden [ist]“8. Dies wird durch eine Vielzahl von Arbeiten untermauert, die in den vergangenen Jahrzehnten eine beeindruckende Dichte erreicht haben. Beispielsweise versuchen viele zwischenzeitlich erschienene regionalgeschichtliche Darstellungen, die Handlungen und Aktionen hinter den Anstaltsmauern mit wissenschaftlicher Objektivität zu beleuchten und die Geschichte der Opfer neu aufzurollen.9 Dieses erstrebenswerte Vorgehen ist auch für die Heil- und Pflege-anstalt Wehnen zu beobachten, in der von 1936 bis 1947 mehr als 2.400 Todesfälle regist-riert wurden.10 Umfangreiche Untersuchungen zur Geschichte des ehemaligen Landeskran-kenhauses und heutigen Karl-Jaspers-Klinik haben in den letzten zwei Jahrzehnten ein diffe-renzierteres Bild dieser psychiatrischen Einrichtung gezeichnet. Insbesondere Ingo HARMS hat mit seinen Untersuchungen aufgezeigt, dass in Wehnen beispielsweise gezielt Nahrung vorenthalten und dadurch das Hungersterben der Patienten forciert wurde. Auch ist durch seine Forschungen deutlich geworden, dass das Land Oldenburg mit seinen Ärzten und seiner Medizinalverwaltung als loyaler Partner und ausführendes Glied im Kreis der reichs-weit organisierten Krankenmorde fungierte. Die Feststellungen von Amtsärzten, die Mit-menschen zu ‚Minderwertigen’ und als ‚lebensunwert’ herabstuften und eine Einweisung in psychiatrische Anstalten wie Wehnen empfahlen, bildeten die wesentliche Grundlage für das Funktionieren des Krankenmord-Systems in Deutschland und den während des Zweiten Weltkrieges besetzten Gebieten.

Im Folgenden wird nun versucht, die Ursprünge und die Entstehungsgeschichte der Heil-und Pflegeanstalt Wehnen kurz darzustellen, um dann die Rolle der Klinik während der nati-onalsozialistischen Epoche zu untersuchen. Dies soll dazu dienen, die Rolle der Anstalt Weh-nen auch chronologisch transparent darzustellen und mögliche bewährte Handlungsmuster hinsichtlich der Disziplinierung aufzuzeigen. Im dritten Kapitel erfolgt eine kurze biografi-sche Einleitung und die Darstellung des stationären Aufenthalts sowie des Todes des Patien-ten Hermann I., woraus sich Erkenntnisse hinsichtlich des Umgangs mit schizophrenen Pati-enten und die ärztliche Disziplinierung derselben in Wehnen ableiten lassen, die schließlich im vierten Kapitel untersucht werden sollen. Auch soll kurz und kontextualisierend auf die Rolle der nationalsozialistischen Landespolitik und der Oldenburger Landesbehörden hin-sichtlich der Krankenmorde in Wehnen eingegangen werden, allerdings ohne eigenes Kapi-tel, da der Einzelfall im Zentrum dieser Arbeit stehen soll.

2. Die Heil- und Pflegeanstalt Wehnen - ein historischer Abriss

Um die Besonderheiten in der Behandlung von Schizophrenie in der Anstalt Wehnen zur Zeit des Nationalsozialismus überhaupt erkennen, analysieren und einordnen zu können, ist es m.E. notwendig, sich die Pflege- und Behandlungsmaßnahen von psychiatrischen Patien-ten vor 1933, d.h. vor der nationalsozialistischen Herrschaft, anzusehen. Daher werden im Folgenden die Ursprünge der Anstalt und die ersten Jahre skizziert, um danach das Wirken in der Heil- und Pflegeanstalt während der nationalsozialistischen Epoche Deutschlands genauer zu betrachten.

2.1. Von der „Irrenanstalt zu Wehnen“ - die Ursprünge

Die Geschichte der Heil- und Pflegeanstalt Wehnen ist untrennbar mit der Geschichte der Psychiatrie im ehemaligen (Groß-)Herzogtum Oldenburg11 verbunden. Durch die wegwei-sende Einführung der Armenordnung für das Herzogtum Oldenburg durch Peter Friedrich Ludwig wurde 1786 festgelegt, dass das ehemalige Armen- und Waisenhaus, welches im sechs Kilometer von Oldenburg entfernten Kloster Blankenburg untergebracht war, fortan „nur zum Aufenthalt derjenigen Armen bestimmt [sei], welche von der menschlichen Gesell-schaft entfernt leben müssen und er besonderen Wartung und Pflege bedürfen [...]“.12 Bis-lang wurden hier lediglich Arme und Waisen von Obervorstehern betreut und für ein Leben außerhalb der Klostermauern vorbereitet.

Unter der Aufsicht des neu gegründeten General-Direktoriums des Armenwesens gab es damit erstmals eine offizielle Einrichtung für „Wahnsinnige, Tolle, Rasende, [...] für alte, schwache, beständig bettlägerige, sehr gebrechliche, blinde, taube und blödsinnige Perso-nen, soweit die Umstände deren Aufnahme gestattet“.13 Es muss an dieser Stelle allerdings betont werden, dass sich es sich bei der Anstalt im ehemaligen Kloster primär um eine Ein-richtung handelte, welche unheilbar Geisteskranke als Patienten hatte. Die medizinische Versorgung war mit einem betreuenden Arzt14, der vertraglich verpflichtet war, Blankenburg mindestens einmal im Monat, nötigenfalls öfter zu besuchen, für die Betreuung von Kurz-zeitpatienten oder heilbaren Kranken mehr als unzureichend. Zudem wirkte sich das Insel-dasein des Klosters, das sich auf die Abgeschiedenheit gründet und die Umgebung, die von mehreren Zeitgenossen als unfreundlich beschrieben wird, negativ auf den Heilungsprozess der Patienten aus.15 Durch einen Artikel in den Oldenburgischen Blättern wurde schließlich die Öffentlichkeit von den immer schlechter werdenden baulichen und medizinischen Zu-ständen in Blankenburg informiert. Als Verfasser vermutet Max ROTH den damaligen An-stalts- und Klosterarzt Dr. Rudolph Kindt, der die Verhältnisse äußerst detailliert wiedergibt und die Mängel der Anstalt klar benennt.16 Dieser Artikel markiert den Beginn einer öffentli-chen Debatte nach der Frage um eine geeignete Unterbringung und Versorgung, an der sich Ärzte, hochgestellte Beamte, Juristen und andere Personen des öffentlichen Lebens beteiligten. Kindt kann somit als Initiator der Gründung der Heil- und Pflegeanstalt in Weh-nen angesehen werden.17

In den nachfolgenden Jahren kam es jedoch nicht zu einer konkreten Lösung der sich immer weiter verschlimmernden Situation Blankenburgs. Erst durch einen Artikel des Staatsrates Runde, der 1846 in den Oldenburger Blättern erschien und die unmenschlichen Zustände im Kloster anprangerte, wurde nun auch in den landesherrlichen Behörden ernsthaft überlegt, eine passendere Einrichtung in Form einer kombinierten Heil- und Pflegeanstalt an einem anderen, besseren Ort zu errichten. Die Notwendigkeit war aufgrund des geschilderten und sich immer weiter verschlechternden Zustands des Klosters Blankenburg geboten. Kurzzei-tig konnten psychisch kranke Patienten zwar im 1841 gegründeten Peter Friedrich Ludwigs-Hospital aufgenommen werden, allerdings nur so lange, „um für ihre und ihrer Umgebung Sicherheit zu sorgen“18. Immer deutlicher trat die Notwendigkeit einer dauerhaften wie adä-quaten Einrichtung hervor, so dass die Oldenburgische Regierung die Erhebung einer soge- nannten Irrenstatistik veranlasste, die als Ergebnis 636 geistig kranke Menschen bei 222.956 Einwohnern des Großherzogtums aufzählte. Dies entsprach 0,18% der Gesamtbevölkerung und bedeutete im Vergleich mit den ermittelten Zahlen anderer deutscher Kleinstaaten oder Provinzen die höchste Anzahl von Geisteskranken.19 Der Grund für diese Zahlen wurde im Fehlen einer passenden Heilanstalt festgemacht, die daraufhin 1850 von der Großherzogli-chen Regierung als Konsequenz in Auftrag gegeben wurde. Am 10.Juli 1854 wurde nach langen Vorbereitungen und Erkundungen geeigneter Gebiete um Oldenburg schließlich der Grundstein auf dem Wehner Esch, einem langen Flur- und Ackerstreifen westlich von Ol-denburg gelegt. Die naheliegende Chaussee bot eine gute Anbindung in alle Richtungen und zudem bestanden zahlreiche landwirtschaftliche Möglichkeiten für die Anstalt wie auch die zukünftigen Patienten. „Gebaut werden sollte für 60 Kranke, davon 15 Pensionäre, 20 Ruhige und 25 Unruhige. Zusätzlich sollten 8 Zellen für Tobende und 6 Zellen für Unreinli-che in einem besonderen Gebäude eingerichtet werden.“20 Betreut und beaufsichtigt wer-den sollten die Patienten von insgesamt 23 Personen, die u.a. aus dem Direktor, einem Assis-tenzarzt, mehreren Wärtern und weiterem Funktionspersonal bestanden.

Die offizielle Eröffnung fand am 15.März 1858 statt, woraufhin im weiteren Verlauf des Jah-res 43 Kranke in die neue „Irrenheilanstalt zu Wehnen“21 aufgenommen wurden. Dem Grün-dungsdirektor Dr. Ludwig Kelp, der die Zeit von der Planung bis zur Eröffnung der Anstalt unermüdlich begleitete, war der absolute Leiter der Anstalt, lediglich der Regierung war er als nächsthöherer Instanz verpflichtet. Ihm oblag die medizinische wie auch wirtschaftliche Führung des Hauses, dem er als Hausherr vorstand. So berichtet Christel MAEDER, dass bei-spielsweise der Ernährung der Patienten ein so hoher Stellenwert beigemessen wurde, dass der Direktor sie selbst zu überwachen hatte. Zusammen mit dem Verwalter und der Köchin musste er einen Wochenspeiseplan erstellen, der die gerechte Verteilung von Nahrung an Patienten und Personal zum Ziel hatte. „Jedem stand eine bestimmte Menge in ausreichen-der Qualität zu.“22 Ferner durfte sich das Personal gegenüber den Patienten „in Wort und Tat [...] nicht ungebührlich verhalten“.23

Ein interessanter Aspekt ist in der eigentlichen Behandlung der Krankheiten der Patienten auszumachen, die in den ersten beiden Jahrzehnten nach der Gründung oftmals mit den Diagnosen Melancholie oder Wahnsinn in Wehnen Aufnahme fanden. Da Kelp den gängi-gen Medikamenten der Zeit wie Opium, Morphium oder auch appetitanregenden Mitteln eine eher untergeordnete Rolle beimaß, konzentrierte er sich vermehrt auf die Behandlung durch nicht-medikamentöse Methoden. So wurden etwa bei Erregungs- oder Angstzustän-den warme Bäder verordnet, die bis zu einer Stunde andauern konnten. Auch kalte Regen-duschen gehörten zum festen Behandlungsstandard, wobei hierbei lediglich der Rücken der Patienten mit der Strahldusche benässt wurde. Dies wurde mehrheitlich als wohltuend be-schrieben.24

Wenn Patienten aufgrund ihrer Krankheit unkontrollierbar wurden und somit für sich und das Pflegepersonal eine Gefahr darstellten, wurden auch andere Mittel der Disziplinierung bzw. Ruhigstellung eingesetzt. Die Unterbringung in einer abgedunkelten Zelle, die Fixie-rung auf dem Zwangsstuhl, dem Tobbett oder durch die Zwangsjacke fungierten dabei als die gängigen Mittel. „Nahrungsverweigerung wurde höchstens zwei bis drei Tage lang ge-duldet, weil der Kranke sonst an Entkräftung sterben würde“.25 Um die potentiell notwendi-ge Zwangsfütterung durchzuführen, wurde auf eine durch die Nase eingeführte Schlund-sonde zurückgegriffen, die durch geringe Dosen galvanischen Stroms auf die Kaumuskeln unterstützt wurde. Insbesondere die Anwendung dieses elektrischen Gleichstroms, der auf die verschiedensten Körperteile angewendet wurde, wurde als sehr zielführend und wirk-sam erachtet. Sehr deutlich wird dies bei der Patientenbeschreibung aus dem Jahr 1860: „Beim Essen war sie [die Patientin] unsauber, mußte auch an und ausgekleidet werden, stieß bei Fragen, die sie wohl verstand, undeutliche Antworten aus, und sprach sonst nie, war auch zu keiner Beschäftigung zu bewegen. Die Anwendung warmer Bäder mit Regendou-che, namentlich aber des galvanischen Stroms mittels des Inductionsapparates löste allmäh-lig die cataleptische Starrheit der Glieder, sodaß die Kranke auf Verlangen die Augen öffnete, die Hand reichte, anfing sich mit häuslichen Arbeiten zu beschäftigen, wozu sie bisher auf keine Weise zu bringen war.“26

Die Behandlung mit den aufgezeigten Methoden und die Disziplinierung von aufgebrach-ten und erregten Patienten wurde demnach also als notwendige und aus den verschiede-nen Situationen heraus resultierende Maßnahme erachtet, um die Patienten und das Perso-nal einerseits und den Anstaltsalltag andererseits nicht zu gefährden. Dennoch lässt sich ein patientenorientierter Grundgedanke in der Behandlung und insbesondere in der Pflege der anvertrauten Patienten nicht leugnen. Das Wohl der Patienten und das Bestreben, den Pati-enten mittels festgelegter Behandlungen eine Besserung oder sogar eine Heilung ihres Zu-standes zu ermöglichen, markierten die oberste Maxime des ärztlichen und pflegerischen Handelns. Genaue Richtlinien regelten den Umgang mit den Patienten und auch das Personal, beispielsweise in Form des Direktors, war für die Einhaltung verantwortlich.

2.2. Die Heil- und Pflegeanstalt in der nationalsozialistischen Epoche

Im weiteren Verlauf Wehnens einschließlich der Machtübernahme Oldenburgs durch die Nationalsozialisten im Frühjahr 193227 änderte sich nicht nur mehrfach der Name des Hau-ses28, sondern auch die Einstellung und Ansichten hinsichtlich der Pflege und Behandlung von psychiatrischen Patienten. Die durch Werke von Alfred Ploetz, Karl Binding und Alfred Hoche und anderen hervorgetretene und intensiv geführte rassenhygienische Debatte29 führte dazu, dass das eingangs erwähnte „Euthanasie“-Programm der Nationalsozialisten mit über 196.000 Todesopfern aus überwiegend psychiatrischen Einrichtungen seine mör-derische Wirkung entfalten konnte.30

[...]


1 StA OL, Best. 635-35, Nr.6250, Blatt 21.

2 Feddern, Leonhard/ Wähler, Martin/ Kiepe, Jasper (Hg.): Die Vertuschung der Euthanasiemorde in Wehnen. Ein Skandal aus der Region Oldenburg, Oldenburg 2011, S.15.

3 Klee, Ernst: „Euthanasie“ im Dritten Reich. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, vollständig überarbeitete Neuausgabe, Frankfurt 2010, S.114f.

4 griechisch für „der sanfte Tod“ und von den Nationalsozialisten als „Gnadentod“ übersetzt und benutzt. Aufgrund seiner euphemistischen Natur, die sich „in der Übertragung von Sterbehilfe-Motiven wie Mitleid und Erlösung von unheilbaren Leiden auf psychisch und geistig Behinderte“ zeigt, wird der Begriff „Euthanasie“ in dieser Arbeit durch den Begriff des Krankenmords ersetzt. Vgl. dazu Nowak, Kurt: Widerstand, Zustimmung, Hinnahme. Das Verhalten der Bevölkerung zur „Euthanasie“, in: Frei, Norbert (Hg.): Medizin und Gesundheitspolitik in der NS-Zeit (Sondernummer Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitge-schichte), München 1991, S.236.

5 Harms, Ingo: „Wat mööt wi hier smachten…“ Hungertod und „Euthanasie“ in der Heil- und Pflegeanstalt Wehnen 1936-1945, Oldenburg 32008, S.33.

6 Vgl. Schmuhl, Hans-Walter: Euthanasie und Krankenmord, in: Jütte, Robert: Medizin und Nationalsozialismus. Bilanz und Perspektiven der Forschung, Göttingen 2011, S.214-255, hier S.214.

7 Vgl. Fußnote 4.

8 Schmuhl 2011, S.215.

9 Hierzu sei besonders auf die Anmerkungen und die umfangreiche Literatursammlung Hans-Walter Schmuhls verwiesen; siehe Schmuhl 2011, S.231 sowie S.234-255.

10 Vgl. Harms 2008, S.307.

11 Herzog Peter Friedrich Ludwig verzichtete auf den ihm vom Wiener Kongress verliehenen Großherzogstitel. Nach dessen Tod folgte ihm sein Sohn Paul Friedrich August, der jedoch parallel mit der Regierungsübernahme 1829 den Titel eines Großher-zogs führte. Mit dem Beginn der Amtszeit Paul Friedrich Augusts wurde aus Oldenburg so auch formell ein Großherzogtum. Vgl. dazu Eckardt, Albrecht/ Schmidt, Heinrich (Hg.): Geschichte des Landes Oldenburg. Ein Handbuch, Oldenburg 1987, S.310.

12 Roth, Max/ Tornow, Peter (Hg.): Aufsätze zur Medizinalgeschichte der Stadt Oldenburg/ Oldenburg, Oldenburg 1999, S.228.

13 Ebd., S.229.

14 der zugleich Stadt- und Kreisphysikus war, was dem heutigen Amtsarzt entspricht. Vgl. dazu Maeder, Christel: Gründungsgeschichte des Niedersächsischen Landeskrankenhauses Wehnen bei Oldenburg, Norderstedt 2007, S.13.

15 vgl. Maeder 2007, S. 17.

16 Roth 1999, S.229.

17 vgl. Maeder 2007, S. 13.

18 Brat, Leo/ Tornow, Peter (Hg.): Die Geschichte des Peter Friedrich Ludwigs Hospital. 1841-1984, Oldenburg 1984, S.21.

19 vgl. Maeder 2007, S. 34.

20 Ebd., S.52.

21 Ebd., S.10.

22 Ebd., S.104.

23 Ebd., S.105.

24 Ebd., S.118.

25 Ebd.

26 Ebd.,S.119.

27 vgl. Schaap, Klaus: Oldenburgs Weg ins ‚Dritte Reich’ (Quellen zur Regionalgeschichte Nordwest-Niedersachsens 1), Oldenburg 1983, S.109f.

28 bei der Eröffnung 1858 Irrenheilanstalt zu Wehnen, 1894 Großherzoglich Oldenburgische (Staats-)Irrenanstalt, 1904/1905 Großherzoglich Oldenburgische Heil- und Pflegeanstalt und seit 1918 Oldenburgische Heil- und Pflegeanstalt.

29 vgl. dazu besonders: Klee 2010, S.19f; Binding, Karl/ Hoche, Alfred (Hg.): Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Le-bens. Ihr Maß und ihre Form (1920). Mit einer Einführung von Wolfgang Naucke, Berlin 2006, S.18f.; Harms, Ingo: Biologismus. Zur Theorie und Praxis einer wirkmächtigen Ideologie (Historische Forschungen in der Sonder- und Rehabilitationspädagogik

1), Oldenburg 2011, S.110f sowie Bock, Gisela: Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Studien zur Rassenpolitik und Geschlechterpolitik, Münster 22010, S.25f.

30 Vgl. Jütte 2011, S.214.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
„In seine Krankheit will er kein Einsehen haben“
Untertitel
Die Heil- und Pflegeanstalt Wehnen und der Umgang mit Schizophrenen Patienten
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg  (Institut für Geschichte)
Veranstaltung
Medizin im Nationalsozialismus
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
28
Katalognummer
V187633
ISBN (eBook)
9783656112174
ISBN (Buch)
9783656111962
Dateigröße
769 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wehnen, Oldenburg, Ofen, Psychiatrie, Euthanasie, Ernst Klee, Krankenmord, Tod, Sterben, Behinderte, Schizophren, irre, bescheuert, psychisch Kranke, Mord, Wehrmacht, Wilhelmshaven
Arbeit zitieren
Roman Behrens (Autor:in), 2011, „In seine Krankheit will er kein Einsehen haben“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/187633

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