Rahel Varnhagen von Ense – eine jüdische Frau in der Romantik


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

22 Seiten


Leseprobe


1. Einleitung

Die Zeit der Aufklärung, anzusiedeln von Mitte bis Ende des achtzehnten Jahrhunderts hat den Weg der Frauen in eine aktive Kulturszene schon weit geebnet, sogar anerkannte Schriftstellerinnen wie Luise Adelgunde Kulmus oder Anna Louisa Karsch vorgebracht. Doch der Durchbruch für eine weibliche Literatur kam erst mit der Romantik. Man muss allerdings sagen, dass der Weg der Frau aus ihrer „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ , mehr noch ihrer eigentlich nicht selbstverschuldeten, sondern eher gesellschaftlich verschuldeten Unmündigkeit heraus,ein nicht einfacher Weg war. Doch dazu später.

Die Romantik stellt sich ein Leihe doch genauso vor, wie sie wirklich war – geprägt von Gefühlen und Sinnen. Gerade deswegen scheint die Romantik die richtige Zeit gewesen zu sein, um sich als Frau literarisch zu emanzipieren. Die Einfühlungskraft der Frau konnte sich hier besonders gut entfalten. Darum kam es in der Romantik zum ersten Mal dazu, dass die Frau eine mehr oder weniger aktive Rolle im literarischen Leben spielen konnte. Auch im nicht literarischen Leben konnten die Frauen der Romantik ihren Gefühlen zum ersten Mal freien Lauf lassen, indem sie sich ihren Ehemann selbst aussuchen durften und nicht mehr vom Vater zwangsverheiratet wurden.

„Die Frauen lebten lange ohne zu schreiben, dann schrieben sie […] mit ihrem Leben um ihr Leben“, so beschreibt es Christa Wolf. Was bedeutet nun „sie schrieben mit ihrem Leben“? Allgemein kann man sagen, dass die Frauen sich von ihrem einstiegen Leben wegschrieben, hin zu einem eigenen Frauenleben und weg von der männlichen Korrektheit und Sachlichkeit.

Typisch für die Zeit der Romantik ist auch die Veränderung der Frauenrolle. Bis dato umgab die Frau nur ein Objekt-Status. Sie „entwickelte“ sich von nur „schön anzusehen“ zu einer eigenen aktiven Persönlichkeit und zu einer Bereicherung des geistig-literarischen-geselligen Lebens. Man kann behaupten, dass Frauen in keiner Epoche so viel Einfluss auslebten, wie in

der Romantik. Auch wenn ihnen der Weg an die Universität unzugänglich

blieb, nutzten sie ihr Talent. Durch die neueröffneten Leihbibliotheken, die auch Frauen zugänglich wurden, blieben die Bücher nicht mehr vor den Frauen verschlossen. Der Zugang zur Bildung war also geschaffen. Das aktive Beteiligen am literarischen Geschehen stellte kein Problem mehr für die Frau dar. Die Epoche der Romantik würdigte so zum ersten Mal die weibliche Kreativität.

Doch es war natürlich nicht so einfach, wie man nun im Hinblick auf diese Zeilen denken könnte. Clemens Brentano sagte einmal „Es ist für ein Weib sehr gefährlich zu dichten...“ Dieses Zitat macht wohl sehr gut deutlich, mit welchen Schwierigkeiten die Frauen damals zu kämpfen hatten, die nicht als Frau, Schwester, … VON an die Öffentlichkeit gingen, sondern mit ihrem eigenen Namen. Daher kam es auch, dass viele der schreibenden Frauen der Romantik sich oft nur in Briefen ausdrückten. In diese Briefen bauten sie dann wahrscheinlich auch Gedichte mit ein. Einige drückten ihr Talent auch in Zeitschriften oder literarischen

Zirkeln aus. Die fortgeschrittene Denkweise damaliger Zeit ermöglichte es, und das ist deutlich hervorzuheben, nur den Frauen der oberen Schicht, einigermaßen gleichberechtigt neben dem bisher dominierenden Mann am kulturellen Leben teilzuhaben. Sie wurden nicht mehr als die kompletten Exoten gesehen, sondern wurden in ihrer eigenen Szene zum Mittelpunkt. Wie genau sie das erreichten, wird später am Beispiel des Salons und Rahel Varnhagen genauer erläutert.

2.1 Das Verhältnis von Mann und Frau

Das Verhältnis von Mann und Frau stellte sich aber, wie man jetzt vielleicht denken könnte, nicht sofort gleich. Das Frauenbild sprach den Frauen die Fähigkeit zum selbstständigen Denken ganz ab, teilweise wurde ihnen sogar der eigene Verstand aberkannt ( Meyer 1997). Das vorherrschende Wesen der Frau war das von Natur aus schwächere Geschlecht. Man schloss von

der physischen Überlegenheit des Mannes gleichsam auf eine psychische Unterlegenheit der Frau (Meyer 1997). „So wurde es für die wohlhabenden Männer... zum Statussymbol, dass ihre Frauen nicht erwerbstätig sein mussten“ (Meyer 1997). Das neue Frauenbild, was vor allem von Friedrich Schlegel repräsentiert wurde, sah eine Frau als Individuum. So schön das auch klingt, gibt es doch einen Haken daran. Man kann die Rolle der Frau aus Sicht Friedrich Schlegels sehr gut als „Priesterin und Lichtbringerin“ beschreiben. Dieses Bild verlangt Unmenschliches. In die Rolle der Frau wurde ein sehr überhöhtes Wunschbild gepackt, der die männliche Erfahrung zugrunde lag. Jene Eigenschaften, die nicht in das Bild passten, wurden als Mystik angesehen. Die Vorbilder dieses Frauenbildes war unter anderem die „Antigone“. Sie hatte eine göttergleiche Heldin sein müssen, idealerweise Kunst und Menschlichkeit miteinander verbindend. Die Aufwertung der Frau bedeutete nicht, dass sie viel mehr Rechte hatte, sondern eher, dass sie mehr Pflichten bekam. Sie wurde stärker in die Familie eingefügt und auch an diese gebunden. Die Frau soll die Muse des Mannes sein. Als Göttin und Priesterin soll die Frau das Leben des Mannes versüßen, ihn huldigen und ihn bei der Identitätsfindung seiner selbst unterstützen. Die Theorie der gleichberechtigten besseren Hälfte, auf die sich auch Christa Wolf in „Kein.Ort.Nirgends.“ bezieht, war demnach wirklich nur eine Theorie,die dazu diente die Männliche Entwicklung in den Vordergrund zu rücken. Alles was die Frau tun sollte, war, auf andere eine persönliche Aura auszuströmen.Der Mann erwartete von der Frau eine Fürsorge und Sensibilität, quasi als Ausgleich zu seiner außerhäuslichen Arbeit (Meyer 1997).Friedrich Schlegel

und Jean Paul beschrieben einmal die Fähigkeiten der Frau: „Auch der systematische Verstand fehle der Frau, jedoch nicht aller philosophischer Verstand (…).Nach bekannten Grundsätzen ist die männliche Natur mehr episch und Reflexion, die weibliche mehr lyrisch und Empfindung“, „Die Frauen lesen sich am Ende eine schöne Prose in die Feder und machen nichts daraus als höchstens Briefe, aber die Jünglinge sich eine schöne Poesie und machen eben Bücher daraus“ (Becker-Cantarino 2000). Es stellt sich dann die berechtigte Frage ob diese Diskussion, die regelrecht nur von

Männern entfacht wurde, eigentlich eine Emanzipation der Frau zum Ziel hatte oder nicht. Wie sich bei den Frauen allerdings zeigt, wollten auch Diese nicht viel mehr sein, als nur die Musen des Mannes. Sie kannten es schließlich nicht anders und es war für sie das einzige Ziel und Religion, den Mann zu lieben und ihn anzubeten. Sie wollten in der Liebe das Paradies wiederfinden, was sie durch ihre Unselbstständigkeit verloren hatten, besser gesagt, nie kennengelernt hatten. Die Liebe zwischen Mann und Frau war das Höchste, was ein Mensch erreichen konnte. Doch auch am Beispiel der nicht verheirateten Frauen oder der Verwitweten lässt sich festmachen, wie sehr sich die Frauen auf das Bild der Ehe und der Liebe definierten. Denn diese Frauen nannten sich nur „noch nicht verheiratet“ oder „nicht mehr verheiratet“. Auf den Gedanken, wie es heute üblich ist, sich als alleinstehend zu bezeichnen ist damals kaum Eine gekommen. Die Selbstdefinition der Frau fiel komplett aus. Erst durch die Ehe wurde die Frau der Romantik zu wahrgenommenen Personen der Gesellschaft und eventuell auch anerkannt.

Auch wenn für die Frauen der Zwang der Heirat des Mannes, den der Vater aussuchte, in der Epoche der Romantiker langsam wegfiel, so erlosch er doch nicht sofort. Wie sehr die Frau ein „Spielzeug“ der Männer ist, zeigt der Übergang ins Erwachsenenalter einer Frau. Die Vormundschaft über das Mädchen hatte zuerst natürlich der Vater. Dieser suchte dann den Ehepartner aus. Meist geschah das nicht aus Sympathiegründen, sondern eher aus für die Familie guten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gründen. Nach der Heirat übernahm dann der Ehemann die Position des Vaters und wurde ihr Vormund.

Laut Kant fehle Frauen die Fähigkeit „seine [des Frauenzimmers] eigene Existenz und Erhaltung nicht der Willkür eines anderen im Volke, seinen eigenen Rechten und Kräften zu verdanken.“ (Frevert 1986). Laut Ute Frevert kommt es dem Berühmtheitsgrad solcher Denker wie Kant zu Gute, dass diesen Ansichten des „Frauenzimmers“ allgemeiner Glaube geschenkt wurde. Es wurde damit sehr schwierig für die Frauen, die Männer vom Gegenteil zu überzeugen oder mit diesen Ansichten zu brechen ohne in ein vollkommenes Tabu zu rutschen und schließlich aus der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden. So war es nicht unüblich, dass es den Frauen an Bildung fehlte und sie nur das für den Haushalt nötige Grundwissen am Lesen, Schreiben und Rechnen hatten. Der Wirkungsraum der Frauen war nur auf den Haushalt beschränkt. Da scheint es doch recht paradox, dass es für die „eigentlich notwendigen“ weiblichen Aufgaben wie Kindererziehung und Haushalt Bedienstete gab. Die Frau wurde also, wie schon anfangs beschrieben, als eine Objektfigur angesehen, die repräsentativ war und nicht in Form ihrer Tätigkeiten (außer der den Mann unterstützenden Tätigkeit) angesehen wurde.

Jüdische Frauen, wie Rahel Varnhagen, hatten es noch schwerer. Die jüdischen Familien, die es in den bürgerlichen Stand geschafft hatten,mussten dennoch den Regeln des jüdischen Glaubens folgen, wie beispielsweise die Kleiderordnung einhalten (Seibert 1993). Auf diese Frauen fielen nicht nur die achtenden Blicke des Ehemanns sondern auch die der gesamten jüdischen Gemeinde.

2.2 Die Juden in der Romantik und die Entwicklung der ersten Salons

Bis in die Romantik, kann man sagen, lebten die Juden in einer Art Isolation, was Sprache, Literatur, Kleidung, Religion und Wohnen betraf. Doch am Ende des siebzehnten Jahrhunderts lösten sie sich zunehmend aus diesen Fesseln. Sehr begrenzten Anzahlen gelang auch der Weg in den wirtschaftlichen Wohlstand. „Im Preußen Friedrichs des zweiten sind sind in den 90er Jahren die starren Schranken zwischen den Ständen für kurze Zeit gelockert (Gebhardt 1983). Die Juden waren da zwar noch lange nicht gleichberechtigt, doch „diskutiert´ man über ihre `bürgerliche Verbesserung“ (Gebhardt 1983). Zunächst schafften sich die Juden nur untereinander eine Nische für den Anfang einer nicht-jüdischen Kultur. Der bekannteste unter den damaligen „Vorantreibern“ war Moses Mendelssohn. Der Einstige gelang, indem man Freunde und Bekannte oder Nachbarn zu sich nach Hause einlud und sich mit ihnen austauschte. Etwas später lockerten sich auch diese Schranken und der Austausch mit toleranten und literarisch-interessierten Bürgern und Adeligen begann (Seibert 1993). Wichtig erwähnen ist jedoch noch, dass diese neu-kulturisierten Juden, von denen hier die Rede ist, aus Berlin kamen. Dort lebten sie nicht, wie in anderen Städten, in einem eigenen Ghetto, sondern sogar in recht guten Viertel, wie zum Beispiel Friedrichstadt. Dort wohnte auch die Familie Rahel Varnhagens, die berühmteste Saloniére (Seibert 1993). Durch die Neuorientierung wurden die Kinder der gut situierten Juden nicht mehr in dem strengen jüdischen Glauben erzogen. Sie hatten die Möglichkeit in Berlin wie andere nicht-jüdische Kinder aufzuwachsen (Arendt 1981). Die Kinder von, zum Beispiel, Moses Mendelssohn bekamen nicht mehr die jüdischen Lehren, sondern lernten das Gedankengut der französischen Revolution gemischt mit weltlicher Philosophie und deren Literatur kennen.

Der Raum der Frauen blieb, bei noch so großer Aufbruchsstimmung, doch nur auf die Familie und das Heim beschränkt. So kann man die Tochter Moses Mendelssohns, Dorothea Schlegel als das genaue Beispiel für ein

zweideutig erzogenes Mädchen heranziehen. Sie bekam, wie schon erwähnt, nicht mehr die strenge jüdische Erziehung, doch, so war der Vater ja ihr Vormund, wurde sie trotzdem, ohne ihre Zustimmung, auf jüdisch mit einem gut situierten jüdischen Kaufmann aus Berlin (Arendt 1981). Dies zeigt, dass das aufklärerische Gedankengut zwar auf die Männer überschwappte, doch fern blieb von den privaten Räumen der Familien.

Die jüdischen Frauen hatten es dennoch etwas einfacher, sich aus den bestehenden Barrieren des Hauses zu lösen, als die nicht-jüdischen Frauen der deutschen Gesellschaft. In den Bereichen der Kleiderordnung und des kulturellen Austausches, welcher oft von den Familien gefördert wurde um gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen, und im Bereich der Bildung lagen den Frauen fast keine Steine im Weg. Um sie bildete sich nämlich außer im Privaten keine „engen bürgerlichen Konventionen, hausmütterliche Bescheidenheit … [und] ständische Schranken“ (Wilhelmy-Döllinger 2000). Man könnte jetzt ganz salopp behaupten, dass die jüdischen Frauen nichts zu verlieren hatten, da sie kein Ansehen im sozialen Lebensumfeld hatte Einen Vorteil gewannen die jüdischen Frauen auch noch aus dem steigenden Leseverhalten. Der Ehemann, oder doch Vater, leiteten sie durch ausgewählte Literatur um die hausfraulichen Fähigkeiten zu stärken. Die Frauen hatten somit die Möglichkeit ihr Leseverhalten selbst zu steuern und sich zu eigenständigen Leserinnen zu entwickeln. Durch die Aufnahme so vielen Wissens kam natürlich auch der Wunsch auf, sich mit Gleichgesinnten zu verständigen und auszutauschen. Man traf sich also bei Freunden zu Hause. Die Salonkultur gewann so immer mehr an Gestalt, denn die Freunde auch noch Geschwister oder andere Freunde mitbrachten. Der Salon wurde immer bekannter (Arendt 1981). Der Zugang zur nicht-jüdischen Öffentlichkeit war jedoch noch nicht geebnet, beziehungsweise galt es als nicht gut angesehen, als „normaler“ Bürger mit Juden umzugehen. So blieb nur die Möglichkeit die toleranten Bürger nach Hause einzuladen. Manchmal „verirrten“ sich aber auch Adelige in die Salons der jüdischen Frauen. „Es galt die Regel, dass […] jeder, der ein für allemal eingeladen war, kommen konnte, oder auch nicht , ganz nach Belieben. Und überdies durfte er

seinerseits Gäste empfehlen oder mitbringen“ (Wilhelmy-Döllinger 2000). Mit steigender Bekanntheit wurden die „privaten und intimen Freundeskreise der Saloniéren […] zu einer öffentlich bekannten Attraktion der Haupt- und Residenzstadt Berlin“ (Wilhelmy-Döllinger 2000).

Um 1800 waren somit die Berliner Salons die Möglichkeit, aus dem Alltag auszudringen und fernab der noch immer ständischen Gesellschaft einen Freiraum zu haben und Toleranz auszuleben. Viele bewunderten die Schönheit der Saloniére, oder die „einzigartigen kommunikativen Fähigkeiten Rahel Varnhagens“ (Arendt 1981). Es kam somit zu einigen gesellschaftlichen Tabubrüchen – zum Einen der Umgang mit den Juden, zum anderen der allgemeine Umgang mit den niedrigeren Schichten. Die Themen, über die in den Salons geredet wurden, waren sehr unterschiedlich. Von dem aktuellen politischen Geschehen, über die Literatur und Philosophie war alles vertreten. Literatur wurde durch den Austausch an Leseeindrücken und Diskussionen verbreitet, einige Dichter lasen aus ihren Werken. Wie Peter Seibert schreibt, war es für viele enorm wichtig, sich in den Salons über die Bücher auszutauschen. Der Buchdruck stieg am Ende des achtzehnten Jahrhunderts so rapide an, dass es für einige Besuch aus finanziellen Gründen schier unmöglich geworden war.

So ergab sich aus den Salons die Möglichkeit der Aneignung von Wissen, welches einem sonst versperrt geblieben wäre. Es war ein Hin-und Herreichen von Wissen. Einerseits kamen die Gebildeten in die Salons und und bekamen die Möglichkeit Meinungen von unkonventionell gebildeten anderer Schichten einzuholen und Diese selbst bekamen die Möglichkeit mehr Wissen und Bildung zu erlangen (Seibert 1993). Friedrich Schlegel bildete den Begriff Symphilosophie, der ein Begriff für den Lehr- und Lernprozess war und „die Synthese von Freundschaft und Philosophie,deren Träger Gespräche und Briefe sind“ meint (Laschke 1988).

3. Rahel Varnhagen: Leben und Entwicklung

Rahel Levin, wie ihr Geburtsname war, wurde am 19.05.1771, als erstes Kind eines wohlhabenden jüdischen Bankiers und Kaufmanns, in Berlin geboren. In Berlin gab es zur Zeit Friedrichs des Zweiten 500 Schutzjuden. Die Familie Levin gehört zu Diesen und hat somit für Juden ungewöhnlich viele Rechte. Als Rahel noch ein junges Mädchen war, wurde sie als „echte[s] Kind […] der Aufklärung [bezeichnet],[das] das Sentimentale und Schwärmerische ausdrücklich ablehnt“. Dies kam daher, dass sie schon früh einen Kreis von Adligen und Schauspielerinnen um sich hat (Tewarson 1988)

Rahels Vater stirbt jedoch sehr früh, im Jahr 1970. Die Familie kommt so in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Wie üblich geht das Geschäft nicht an das älteste Kind, sondern an den ältesten Jungen. Dies ist Rahels Bruder Markus. Die Mutter ist durch den Tod des Vaters sehr labil geworden und fühlt sich nicht in der Lage, die kleineren Kinder zu erziehen. Daher muss dies Rahel übernehmen. Rahel ist finanziell sehr abhängig von ihrer Familie. Über die Bildung und Erziehung Rahel Levins spalten sich die Meinungen. Dieses Thema scheint weitgehend außen vor gelassen zu werden. Auf der einen Seite wird sie als bildungsfernes Mädchen bezeichnet, das sich alles selbst aneignen musste. Selbst sagt sie über sich „Mir wurde nichts gelehrt, ich bin wie in einem Wald von Menschen gewachsen“(Thomann Terwarson). Auf der anderen Seite bezeichnet man sie als ein Kind mit überdurchschnittlicher Ausbildung (Thomann Terwarson). Woher diese Ausbildung allerdings kommt ist unklar, da fest steht, dass sie nie in der Schule war und als Kind auch kein deutsch konnte. Sie unterhielt sich mit ihrer Familie nur im judendeutschen Jargon. Die Eltern Rahel Levins ließen ihren Kindern die normale übliche Bildung und strenge Erziehung nach dem jüdischen Glauben zukommen. Wie üblich besaß der Mann der Familie, also Rahels Vater die Autorität, die Mutter wird unterdrückt. Damit kommt Rahel allerdings nicht zurecht. Sie versucht bei Ihrer Mutter Verständnis und Rat zu finden, doch diese lässt sich nicht bereden. Rahel war ein freiheitsliebendes Mädchen. Dadurch konnte sie sich

erst nach dem Tod ihres Vaters richtig wohlfühlen und ausleben. Sie versucht sich so viel wie möglich Bildung selbst anzueignen. So wird die oben genannte These, sie sei ein überdurchschnittlich gebildetes Mädchen teilweise widerlegt, weil feststeht, dass sie nicht gebildet wurde. Teilweise wird der These jedoch zugestimmt, da sie sich durch ihre Selbstbildung möglicherweise zu einem überdurchschnittlich gebildeten Mädchen macht. Ihr Wissen bezieht sie aus Büchern, die sie sich alle selbst durchliest. In einem Brief an David Veit vom 18. November 1793 schreibt sie „[...] nun sprechen sie Stunden lang ohne allen Zusammenhang für mich, ich höre aber doch mit großer Anstrengung zu […].“ Dieses Zitat zeigt, dass sie wohl nicht gut lernen konnte, wenn sie Unterricht bekam und deswegen so viel für sich allein lernte. Durch die Lektüre stößt sie auch auf Goethe und dieser inspiriert Rahel. Man kann sogar behaupten, er sei ihr männliches Vorbild, die verehrt ihn. Ein regelrechter Goethekult entwickelt sich in ihr. Desweiteren liest Rahel sehr viele wichtige Werke,streicht sich wichtige Passagen an und macht sich Bemerkungen zum Gelesenen. Es kommt oft vor, dass sie bekannte Autoren kritisiert, für das, was sie geschrieben haben. Neben der Literatur interessiert sich Rahel auch für die Natur und die Philosophie. Wie nebenbei lernt sie noch zwei Sprachen – Französisch und Italienisch. Hinzu kommt noch ein starkes Interesse an Musik. Sie nimmt Klavierunterricht und nimmt Tanzstunden. Außerdem liebt sie Opern und interessiert sich für das Theater. Was bei all den Interessen und Weiterbildungen auffällt, ist, dass Rahel die deutsche Schrift erst als Erwachsene lernt. Bis dahin schreibt sie

ausschließlich mit hebräischen Buchstaben. Mit der Orthografie hat sie besonders starke Probleme. So kann man in einem Brief, den sie an David Veit schrieb auch lesen : „Ich mag mir wirklich noch so viel vornehmen, auf die Orthografie, während ich lese, Acht zu geben […], so lese ich gar nicht, sondern sehe nun nur wieder wie die Wörter geschrieben sind […].“ ( Becker-Cantarino 2000)

Noch im Jahr 1790 eröffnet Rahel ihren ersten Salon, als Weiterführung der Abendgesellschaft des Vaters. In ihrem Salon treffen sich Menschen jeden

Standes, wie oben beschrieben, um sich über Literatur, Politik und Philosophie zu unterhalten. In ihrem Salon verkehren auch bekannte Romantiker wie zum Beispiel Brentano oder die Brüder Humboldt, Fürst von Ligné, Jean Paul, Friedrich Schlegel oder die Töchter von Moses Mendelssohn. Markus Herz kam in den Salon. Prinz Louis-Ferdinand von Preußen spielte auf dem Klavier Rahels seine frühromantischen Kompositionen vor. Dessen Geliebte, Pauline Wiesel, wurde auch bald eine gute vertraute Freundin der Gastgeberin. Dieser Salon wurde schließlich zu einem der bestangesehendsten Salons der Epoche der Romantik. Es gab einige Reibereien mit anderen Saloniéren, wie zum Beispiel Henriette Herz, jedoch wurde Rahel Levins Salon nicht zur Konkurrenz. Rahel war nicht die Schönheit in Person, auch groß war sie nicht, jedoch verkörperte sie den Geist. „Das Antlitz verkündet geistiges Übergewicht,die schnellen und doch dunklen Blicke ließen zweifeln, ob sie mehr geben oder aufnähmen, ein leidender Ausdruck lieh den klaren Gesichtszügen eine sanfte Anmut“. So wurde Rahel von Henriette Herz beschrieben. Es erscheint dadurch, dass sie sich gut verstanden, man könnte sie fast Freundinnen nennen. Oftmals entstehen aus Unterschieden Freundschaften. Eben aus diesem Grund des Unterschieds ist auch festzuhalten, dass Henriette Herz die Schönheit zugesprochen wurde. Der Salon von Rahel Levin wies noch eine Besonderheit auf. Denn alle anderen Salons wurden von verheirateten Frauen geführt. Rahel war noch unverheiratet. Überhaupt grenzte sich der ihr Salon von den Übrigen um vieles ab. Rahel hatte ihren Salon in der Dachstube des elterlichen Heimes errichtet. Alle anderen Salons, wieder am Beispiel von Henriette Herz, folgten einem großen und offenen Haus. Da die finanziellen Mittel Rahels, nach dem Tod des Vaters sehr begrenzt waren, hielt sich ihr Salon in eleganter Schlichtheit. Eine Magd, die Tee servierte, konnte sie sich dennoch leisten. Der Tee war überhaupt sehr bedeutend für die damaligen Salons, so ersetzte er die Knabbereien oder Schokolade und den Alkohol.

Ihre Dachstube, die gleichsam bescheiden, wie auch geschätzt wurde, sah Rahel als „Freiraum zeitkritischer Diskussionen, als Versuch, eine humane

und gebildete Gesellschaft im kleinsten Rahmen zu realsieren – eine geschmackvolle Gesellschaft“ (Hilmes 2004). Die kleine Dachstube galt aus „Republik des freien Geistes“ (Hilmes 2004). Nicht allen gefiel die Gesellschaft, in der sie sich bei Rahel befanden und welche provokativ zusammengemischt war, das komplette Gegenteil von Schleiermachers „Theorie des geselligen Betragens“ (1799). Doch ihre uneingeschränkte Toleranz und ihre Entdeckungsfreude ließen es nicht zu, Menschen eines gewissen Standes auszugrenzen. Sie wollte aus den gemischten Besuchers das Potential schöpfen, die Gesellschaft umzuwandeln. So suchte man bei Rahel auch vergebens nach den preußischen „ drei K´s“ Kinder, Kirche und Küche. So erschien bei ihr ein neues Frauenideal. Einsichten der Aufklärung verbanden sich in Ihr mit dem Aufbruchsgedanken der Romantik. Sie wollte sich selbst verwirklichen.

Rahel äußerte über sich selbst „ Ich liebe unendlich Gesellschaft und bin ganz überzeugt, daß ich dazu geboren, von der Natur bestimmt und ausgerüstet bin. Ich habe unendlich Gegenwart und Schnelligkeit des Geistes, um aufzufassen, zu antworten, zu behandeln. Großen Sinn für die Naturen und allen Verhätnissen...“ (Hilmes 2004). Das zeugt von größerem Selbstvertrauen, aber wie es scheint einer wahren Einschätzung.

Rahel blieb immer begeisterte Anhängerin Goethes. In ihm entdeckte sie den androgynen, vollständigen Menschen. Sie sah sich und Goethe auf einer Ebene was das Lebensgefühl und das Kunstgefühl anging. Auch hier hat sie sich sehr hoch eingeschätzt und wohl überschätzt, doch für ihre Grundgesinnung wurde diese Einstellung vorausgehend. Analog zu dieser Einstellung eignete sich Rahel Levin die Philosophie Fichtes an, die einen schöpferischen Menschen als höheres Prinzip hinstellte, die soganannte Ich-Philosophie.

Neben den Gesellschaften in ihrem eigenen Salon, besuchte Rahel natürlich auch noch andere, befreundete Kreise, wie die von Achim von Arnim, Tieck, Fichte oder Kleist. Für sie kristallisierte sich dadurch ein grundlegendes Problem heraus. Sie konnte sich selbst nicht als den vollkommenen und dazugehörigen Menschen bezeichnen. Ihre eigene Identität war geprägt

durch das Denken, sie sei eine soziale Außenseiterin. Schon ihr ganzes Leben lang, hatte sie Probleme, sich damit abzufinden, dass sie eine Jüdin ist. Sie war die bedeutendste aller emanzipierten Frauen und litt doch am meisten von allen an ihrem Judentum. Jedes Leid und jedes Unglück machte sie an diesem Grund fest. Sie begann die Juden zu hassen und machte teilweise übertrieben kritische Bemerkungen über die Juden. So sagte sie zum Beispiel, dass die Juden eine „zerrissene, verwahrloste, und noch mehr als all dies, verdient verachtete Nation“ seien. (Hilmes 2004). Seit sie eine Jugendliche war, hatte sie die Absicht, durch eine Heirat in den preußischen Adel, das Judentum verlassen zu können. Letztendlich gelang ihr dieser Schritt auch. Rahel hatte eine mehr oder weniger problematische Beziehung zu Männern. Sie kam gut mit ihnen klar, aber mehr wurde daraus auch nie. Goethe bezeichnete sie als eine „schöne Seele“, sie selbst sah sich zugleich als Freund und Freundin. Die eigentliche wahre Liebe blieb ihr aber unzugänglich. Zu zwei Männern entwickelte sie eine große Leidenschaft. Zum einen war dies Karl Graf von Finkenstein, zum anderen der spanische Legationssekretär Rafael de Urquijo. Die jüdische Frau, mehr als unkonventionell, faszinierte die Männer sehr. „Gewachsen waren sie ihr nicht“ (Hilmes 2004). Sie Vorurteile, sozial bedingt, taten den Rest und brachten Rahel sehr schmerzliche Erfahrungen. Treffend nannte sie dies mit einem Leitspruch „ Schmerzen erleben, heißt auch leben“ (Hilmes 2004).

Mit dem Einzug Napoleons in Berlin endete eine Salonära der Rahel Levin im Jahr 1806. Plötzlich wurden Salons, die von Juden geführt wurden, nicht mehr besucht und missachtet. Das höchste Gut war, deutsch zu sein. Fichte, mit dem sich Rahel sehr oft abgegeben hatte, verfasste Hetzschriften gegenüber den Juden und speziell auch gegen die jüdischen Saloniéren. Dabei hatten diese grundlegend zur Emanzipation beigesteuert. Die Freundschaften wurden plötzlich wertlos. „Achim von Arnim provozierte einen jüdischen Gastgeber, lehnte aber das Duell ab, kein Jude habe die für einen Duellanten erforderliche Ehre“ (Hilmes 2004). Dieses Zitat sagt sehr viel über das Ansehen der Juden, was paradoxerweise Jahre später im zweiten Weltkrieg wieder zu leiden anfing.

[...]

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Rahel Varnhagen von Ense – eine jüdische Frau in der Romantik
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen
Autor
Jahr
2012
Seiten
22
Katalognummer
V187751
ISBN (eBook)
9783656114642
Dateigröße
421 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
rahel, varnhagen, ense, frau, romantik
Arbeit zitieren
Linda Dittrich (Autor:in), 2012, Rahel Varnhagen von Ense – eine jüdische Frau in der Romantik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/187751

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