Offener Unterricht als Voraussetzung für jahrgangsgemischtes Lernen in der Sekundarstufe I - eine Empirische Analyse


Examensarbeit, 2011

116 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Theoretischer Teil

Einleitung

1. Begriffsklärungen
1.1. Jahrgangsgemischtes Lernen
1.2. Offener Unterricht

2. Historischer Ursprung und Entwicklung
2.1. Jahrgangsgemischtes Lernen
2.2. Offener Unterricht

3. Begründungszusammenhänge
3.1. Gesellschaftliche Veränderungen
3.2. Lerntheoretische Begründungsansätze
3.3. Didaktische Begründungsansätze

4. Voraussetzungen und Ziele jahrgangsgemischten Lernens und offener Unterricht als notwendige Basis
4.1. Voraussetzungen
4.2. Ziele

Empirischer Teil

5. Fragestellungen

6. Untersuchungsmethodik
6.1. Vorstellung der beteiligten Schulen/Stichproben
6.2. Durchführung der Untersuchung
6.3. Untersuchungsmethoden

7. Ergebnisse und Diskussion
7.1. Beobachtung
7.2. Fragebogen Lehrer
7.3. Fragebogen Schüler
7.4. Diskussion im Hinblick auf die Fragestellungen

8. Schlussgedanken

9. Literatur

10. Anhang
10.1. Fragebogen Schüler Bohlschule
10.2. Fragebogen Schüler Schillerschule
10.3. Fragebogen Lehrer Bohlschule
10.4. Fragebogen Lehrer Schillerschule

Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen

Kapitel 6: Untersuchungsmethodik

- Abb. 6.1.: Ablauf der Untersuchung

Kapitel 7: Ergebnisse und Diskussion

- Tab. 7.1.: Erlernte Kompetenzen
- Abb. 7.1.: Erlernte Kompetenzen
- Tab. 7.2.: Gruppenarbeit
- Abb. 7.2.: Gruppenarbeit
- Tab. 7.3.: Prosoziales Verhalten
- Abb. 7.3.: Prosoziales Verhalten
- Tab. 7.4.: Selbstgesteuertes Lernen
- Abb. 7.4.: Selbstgesteuertes Lernen
- Tab. 7.5.: Schulfreude und Lehrerzufriedenheit
- Abb. 7.5.: Schulfreude und Lehrerzufriedenheit
- Tab. 7.6.: Bohlschule
- Abb. 7.6.: Bohlschule
- Tab. 7.7.: Schillerschule
- Abb. 7.7.: Schillerschule
- Tab. 7.8.: Jahrgangsgemischtes Lernen
- Abb. 7.8.: Jahrgangsgemischtes Lernen
- Abb. 7.9.: Zusammenfassung Schülerfragebogen

Einleitung

„Ich finde es gut, weil die Größeren den Kleineren was erklären können.“

„Jedes Kind kann in seinem eigenen Tempo [...] im Unterricht individuell mitarbeiten.“

„Gesellschaftliche Werte, die Übernahme von Verantwortung,[...] werden gelebt.“

„Manchmal darf ich bei den Größeren mitlernen. Das ist schön“ (alles: Dietl 2007, S.9f.).

Lernen in jahrgangsgemischten Klassen, eine natürliche Form der Heterogenität, ist in den letzten Jahren wieder ins Blickfeld der pädagogischen Diskussionen gerückt. Die positiven Auswirkungen hinsichtlich der sozialen Entwicklung und der Leistungsbereitschaft überzeugen. Studien zeigen, dass jahrgangsgemischt unterrichtete Schüler keine Nachteile gegenüber Schülern aus Jahrgangsklassen haben. Im Gegenteil, sie zeigen sogar leicht positivere Auswirkungen hinsichtlich des Sozialverhaltens, während in den fachlichen Bereichen keine Unterschiede festgestellt wurden.

Trotz der positiven Ausgangslage: die Kritik an der Jahrgangsmischung scheint nicht ganz unberechtigt. Ohne Offenheit im Hinblick auf das gesamte Unterrichtskonzept scheint die Jahrgangsmischung schwer umsetzbar. Weg vom lehrerzentrierten Unterricht, hin zur aktiven Auseinandersetzung mit dem Lernstoff. Aber geht bei aller Offenheit nicht die Kontrolle darüber verloren, was die Schüler wirklich lernen bzw. gelernt haben? Braucht man diese Kontrolle überhaupt? Diese Offenheit im Sinne des offenen Unterrichts ist ebenfalls wieder im Gespräch, spätestens seit Falko Peschels genauer Beschreibung seines offenen Unterrichts. Auch bei ihm geht es um das individuelle Eingehen auf die Schüler, um eine veränderte Leistungsbeurteilung und ein harmonisches soziales Miteinander. Die Frage, ob und wenn ja, inwiefern der offene Unterricht die Jahrgangsmischung unterstützen könnte, liegt nahe.

Im Rahmen meines Studiums habe ich häufig von den positiven Auswirkungen der Jahrgangsmischung und des offenen Unterrichts auf die Schüler und das Schulklima gehört, die Umsetzung dieser Konzepte jedoch nie selbst erlebt. Wenn die altersgemischte Lerngruppe solch positive Effekte mit sich bringt, weshalb wird sie dann hauptsächlich - und häufig auch nur aus Schülermangel - in Grundschulen eingesetzt?

Auch die im Laufe der Jahre erschienenen Veröffentlichungen, die sich mit dem Thema des altersgemischten Unterrichts befasst haben, beziehen sich größtenteils auf die Schuleingangsstufe oder Grundschulen allgemein. Eine altersheterogene Schülerschaft in der Sekundarstufe 1 oder auch 2 wird weder befürwortet noch abgelehnt. Lässt sich die Jahrgangsmischung nicht auch gewinnbringend dort umsetzen? Können Schulsysteme, in denen das Fachlehrerprinzip vorherrscht und die Schulorganisation komplett auf Jahrgangsklassen aufgebaut ist, diese Hürden umgehen und das als so positiv empfundene Konzept umsetzen?

Welche Aspekte begünstigen den Aufschwung, den die Jahrgangsmischung momentan wieder erfährt? Inwiefern trägt die bewusst beibehaltene Heterogenität tatsächlich zu einem positiveren, entspannten Klima innerhalb der Lerngruppe bei? Was macht den Erfolg der Jahrgangsmischung aus und lassen sich diese Erfolge auch auf Sekundarstufen übertragen?

Um das Konzept der Jahrgangsmischung und vor allem den wichtigen Bereich des offenen Unterrichts innerhalb dieses Konzepts tiefgreifend zu verstehen, ist es wichtig, sich mit den theoretischen Grundlagen beider Unterrichtsformate zu beschäftigen.

Daher sollen in einem ersten theoretischen Teil zunächst die Begriffe jahrgangsgemischtes Lernen und offener Unterricht geklärt werden. Neben der Darstellung verschiedener Grundgedanken und der historischen Entwicklungen werden Begründungen für die Jahrgangsmischung benannt, die sich in gesellschaftlichen Veränderungen wie auch lerntheoretischen und didaktischen Bereichen finden lassen. Anschließend werden Voraussetzungen und Ziele der Jahrgangsmischung benannt. Dabei spielt der offene Unterricht eine Rolle, der mit diesen Voraussetzungen und Zielen in Zusammenhang gebracht werden soll, um herauszufinden, ob und wenn ja, inwiefern er ein unabdingbarer Bereich für die Jahrgangsmischung darstellt. Als große Zielbereiche des jahrgangsgemischten Lernens werden das individuelle und selbstgesteuerte Lernen und die soziale Interaktion herausgegriffen, deren Bedeutung jeweils erklärt und die Erfordernis einer Öffnung von Unterricht dargelegt.

Im zweiten Teil wird eine empirische Erhebung dargestellt, die mit Siebtklässlern zweier Hauptschulen in Aalen durchgeführt wurde. Beide Klassen lernen jahrgangsgemischt, allerdings in unterschiedlichen Umsetzungsformen, die in einem ersten Teil vorgestellt werden. Anhand eines Fragebogens wurden die Schüler zu den Aspekten des selbstgesteuerten Lernens, der sozialen Interaktion und ihrer Meinung über Schule, Lehrer und das Konzept der Jahrgangsmischung an ihrer Schule befragt. Außerdem wurden je zwei Unterrichtssequenzen beobachtet, durch die in Abgleich mit der schriftlichen Befragung je einer Lehrkraft weitere Erkenntnisse über die soziale Interaktion und das individuelle Lernen gewonnen wurden. Evaluiert wird, welche der angestrebten Ziele die Schüler erreichen können, sogar bereits erreicht haben und wo Probleme bestehen. Vor allem bezüglich einer Schule werden Anfangsschwierigkeiten vermutet, da sie erst sechs Monate jahrgangsgemischt organisiert ist. Sowohl positive Effekte als auch festgestellte Probleme werden analysiert und mögliche Gründe mit eventuellen Möglichkeiten der Behebung aufgezeigt.

Theoretischer Teil

1. Begriffsklärungen

1.1. Jahrgangsgemischtes Lernen

Zunächst bedeutet jahrgangsgemischtes Lernen[1] nur, dass sich Kinder verschiedenen Alters in einer Gruppe zusammenfinden und gemeinsam lernen (vgl. Hahn & Berthold 2010). Vorwiegend wird die Jahrgangsmischung momentan noch in Grundschulen praktiziert (wenn man von Regelschulen ausgeht), in denen hauptsächlich zwei Altersstufen gemeinsam unterrichtet werden (vgl. Knörzer 1985). Meist erfolgt der Unterricht „bei fächerübergreifenden Themen, aber auch in einzelnen Fächern" (Marsolek 2003, S.69). Eindeutige Lehr- und Lernmethoden sind nicht vorhanden. Jahrgangsgemischte Klassen werden sowohl schüler-, als auch lehrerzentriert unterrichtet, ergänzt durch offene Formen (vgl. ebd.). Die Zusammensetzung der Lerngruppe ändert sich jährlich, was zum Beispiel mit einer stetigen Veränderung der Qualität sozialer Beziehungen einhergeht. Wichtig ist daher ein Unterricht, der die unterschiedlich alten Kinder und Jugendliche zu konstruktivem sachlichen und sozialen Austausch anregt. Für Laging (2003) ist das Wahrnehmen der Heterogenität als positive Herausforderung ein wichtiger Ausgangspunkt für die erfolgreiche Altersmischung. Auf den Aspekt der Heterogenität wird später eingegangen.

Der Breite des Begriffes Jahrgangsmischung wird von den Autoren verschiedentlich begegnet. Meines Erachtens ist eine Zweiteilung, wie sie unter anderem Therese Marsolek (2003) beschreibt, sinnvoll. Sie versteht jahrgangsgemischtes Lernen zum einen als notwendige administrative Maßnahme, zum anderen als pädagogische Philosophie. Im deutschsprachigen Raum sind die beiden Begriffe identisch. Internationale empirische Untersuchungen in den USA beispielsweise übernehmen die hier vorgenommene Abgrenzung und führen die klar differenzierenden Begriffe multigrade grouping und multiage grouping ein.

Jahrgangsmischung als administrative Maßnahme oder multigrade grouping „Children from different grades form one class [...] The children are seen as members of a particular grade and are separately taught grade-specific curricula. [...] they describe classes formed for administrative and/or economic reasons rather than because of philosophical preference“ (Lloyd 1999, S.188).

Das jahrgangsübergreifende Lernen bedeutet hier den Versuch, ländliche Schulstandorte in den Regionen zu halten, die relativ dünn besiedelt sind. Man begegnet der Problematik, die sich durch den starken Geburtenrückgang verschärft hat, indem man Schulklassen zusammenfasst (Konzeption der Kleinen Grundschulen) (vgl. Knörzer 1985). Zum anderen dient dieser Schritt auch der Neuorientierung durch die Einführung der zweijährigen Schuleingangsphase, in der Flexibilisierung und Individualisierung eine wichtige Rolle spielen. Jahrgangsmischung - auch als Begriff - steht hier für die Betonung „der strukturellen Komponente der Reform" (Hahn & Berthold 2010, S.6). Das Denken in Jahrgangsklassen soll überwunden werden und der prozessuale Charakter des Lernens soll bei Überlegungen zur didaktisch­methodischen Gestaltung des Unterrichts ins Zentrum gerückt werden (vgl. ebd).

Jahrgangsmischung als pädagogische Konsequenz oder multiage grouping Der in den USA gängige Begriff multiage grouping spiegelt deutlich das pädagogische Konzept wieder. Dort werden Lerngruppen als multiage classes bezeichnet, die „formed by choice, not necessity" (Lloyd 1999, S.187) sind. Es geht darum, dass die Schüler auf einer pädagogisch fundierten Grundlage bewusst altersgemischt unterrichtet werden. Das individuelle und fortschreitende Lernen im eigenen Lerntempo und das Lernen in einem offenen Lernkontext machen diese Form der Altersmischung aus. Russell Yates fügt seiner Definition die Komponente der Heterogenität hinzu. Er schreibt:

„Multiage educational practices are grounded in a philosophy that holds that every child can learn and has the right to do so at their own pace, that learning is a continuum rather than a series of steps, that diversity is not only a reality but is something to be embraced [...] By purposefully structuring a class to include a span of ages and to take advantage of the resulting diversity, students naturally become more accepting of one another's differences” (Yates 2006, S.1).

Er betont außerdem das gemeinsame Lernen im Gegensatz zu dem Konkurrenzkampf, der in Regelklassen oft unter den Gleichaltrigen herrscht (vgl. ebd.).

Im deutschsprachigen Raum bringen vor allem Kucharz und Wagener in ihrer Begriffsbestimmung das pädagogische Prinzip der Jahrgangsmischung auf den Punkt, in der ebenfalls der Heterogenität eine Schlüsselrolle zukommt: „In einer altersgemischten Klasse ist Heterogenität nicht störend, sondern bewusst gewollt" (2007, S.11).

„Erst die Umkehrung, die Annahme, dass die Heterogenität lernfördernd ist, fördert ein völlig anderes Verständnis von Lernen. Die Differenz unter den Kindern gilt als Motor für sozial- und sachbezogenes Lernen" (Laging 1995, S.10).

Was aber wird unter Heterogenität verstanden? Heterogenität gilt als Schlagwort für die Unterschiedlichkeit von Kindern aufgrund des gesellschaftlichen Wandels (vgl. Kampshoff 2002). Der Umgang mit dieser Unterschiedlichkeit fordert ein tiefes Verständnis dafür, dass Unterschiedliches nicht in Rangfolgen einander über- und/oder untergeordnet ist, sondern gleichwertig nebeneinander besteht. Die Verschiedenheit der Kinder, die ökonomische und kulturelle Differenzen, Geschlechterdifferenzen, Entwicklungs- und Leistungsdifferenzen etc. betrifft, sollte demnach nicht bedauert, sondern als bereichernde Chance gesehen werden (vgl. Kampshoff 2002; Prengel 2007). Bei der Jahrgangsmischung werden diese Unterschiede mit Absicht um eine weitere Dimension gesteigert - die der Altersdifferenz (vgl. Prengel 2007).

Das pädagogische Konzept der Altersmischung, das die Heterogenität betont, verbindet dementsprechend zwei Sichtweisen. Es sieht die Altersmischung als Chance, zum einen hinsichtlich bestimmter Lernfelder tatsächlich leistungshomogen unterrichten zu können und zum anderen als Chance, die Unterschiede und die Vielfalt zu nutzen, die eine solche Lerngruppe bietet. Die Schüler einer Lerngruppe sollen mit der Vielfalt an Interessen und Entwicklungsständen umgehen lernen, mit denen sie außerhalb der Schule ständig konfrontiert werden. Anerkennung der anderen und ein positives soziales Klima sind wichtige Komponenten der pädagogisch intendierten Jahrgangsmischung. „Heterogenität als Herausforderung braucht Heterogenität als Lernbedingung“ (vgl. Hahn & Berthold 2010, S.3).

Allerdings muss beachtet werden, dass die Sekundarstufe 1 in Deutschlands Regelschulen zumindest minimal leistungsgruppiert ist, da die Schüler nach der Grundschule je nach Schulleistung einer bestimmten Schulform zugewiesen werden (vgl. Oerter & Montada 2008). Auch wenn damit eine gewisse Homogenität in den Schulleistungen vorauszusetzen ist, besteht die Lerngruppe dennoch aus einer Vielzahl an Individuen, die sich in Intelligenz, Motivation und Metakognition erheblich unterscheiden (vgl. Wellenreuther 2005). Um dieser Heterogenität der Schülerschaft gerecht zu werden, bedarf es der im Folgenden erläuterten Differenzierung. Erst durch die Differenzierung können Schüler ihrem Tempo entsprechend individuell lernen.

Für Jank und Meyer (2002) besteht die Differenzierung in der „alle Formen der zeitlich befristeten oder dauerhaften Aufteilung eines Lernverbandes in arbeitsfähige Teilgruppen“ (S.78). Unterschieden werden innere und äußere Differenzierung:

- Äußere Differenzierung: beinhaltet eine große zeitliche Dauer und ist fest institutionalisiert (z.B. Einteilung in Jahrgänge und Klassen).
- Innere Differenzierung: ist zeitlich befristet und eine didaktisch-methodisch begründete Form der Einteilung aller Lerner in Teilgruppen.

Auf den jahrgangsgemischten Unterricht bezogen beinhaltet die äußere Differenzierung gemeinsames Erarbeiten von Inhalten, Hilfestellungen der Schüler untereinander und Abteilungsunterricht (vgl. Hesse 2005). Anzumerken ist allerdings, dass im jahrgangsgemischten Unterricht Varianten der inneren Differenzierung teilweise bereits durch die Institution und somit durch die äußere Differenzierung umgesetzt werden. Ihren Funktionen nach soll die Differenzierung:

- Lernen effektiver machen,
- den Unterricht inhaltlich reicher machen,
- Schülern fachliche Spezialisierung ermöglichen,
- soziales Lernen und Teamarbeit fördern,
- Umgang mit Heterogenität gestalten (vgl. Jank & Meyer 2002).

Konkret auf die Praxis bezogen bedeutet Differenzierung, jedem Kind ein vielfältiges Lernangebot und unterschiedliche Lernanreize zu ermöglichen, entsprechend seiner individuellen Lernfähigkeit und Entwicklung. Allerdings sollte darauf geachtet werden, dass vor allem Kinder, die klare Strukturen benötigen, mit diesem differenzierten Lernangebot nicht überfordert werden (vgl. Wagener 2008).

Die Arbeit mit und in einer gemischten Lerngruppe geht über reformpädagogische Anforderungen hinaus und erfordert eine Pädagogik der Vielfalt, wie Prengel (2007) sie beschreibt. Sie muss sich an den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und der kindlichen Entwicklung orientieren. Dennoch liegt dem reformpädagogischen Konzept zur Organisation der Jahrgangsmischung außer dem Prinzip der heterogenen Lerngruppe auch die Wochenplanarbeit, Freiarbeit und fächerübergreifendes Lernen zugrunde, die sich auch im offenen Unterricht wiederfinden.

1.2. Offener Unterricht

„Den Offenen Unterricht gibt es nicht! Man kann ,Offenen Unterricht‘ als einen Ober- bzw. Sammelbegriff oder [...] als eine Bewegung bezeichnen“ (Jürgens 2004, S.24).

Dieser Satz macht bereits deutlich, dass der Begriff offener Unterricht in der Pädagogik in seiner Verwendung unterschiedlich zu sein scheint und es für ihn in der Fachliteratur keine einheitliche Definition gibt. Hildegard Kasper, eine deutsche Pädagogin, geht sogar so weit, dass sie bereits den Wunsch einer Definition von offenem Unterricht für einen Widerspruch in sich hält (vgl. Kasper et al. 1994). Häufig werden die Begriffe offener Unterricht, Öffnung von Unterricht durch Projekt-, Wochenplan- oder Freiarbeit und Dimensionen von Öffnung synonym verstanden. Dies geschieht, weil das Setzen klarer Grenzen zwischen den einzelnen Formen schwierig ist. Allerdings kann zwischen radikalen und gemäßigten Vertretern unterschieden werden. Die Vertreter der engeren Begriffsbestimmungen verstehen den offenen Unterricht „als Ablehnung des sogenannten geschlossenen Unterrichts[2] '“ (Brenner 2002, S.19). Ihre Forderung ist die weite Öffnung von Schule und Unterricht, während die gemäßigten Vertreter den offenen Unterricht vielmehr als wichtige Ergänzung zum geschlossenen sehen (vgl. ebd.). Bohl und Kucharz (2010) schlagen für eine noch präzisere Bestimmung der Terminologie offener Unterricht sechs Ebenen vor, die den Zugang unterschiedlich akzentuieren und von denen die drei wichtigsten nachfolgend genannt werden: offener Unterricht unter anderem als

- grundlegende Erziehungsphilosophie (Bsp.: Peschel)
- „pädagogisches Verständnis und pädagogische Haltung" und als „Sammelbegriff unterschiedlicher Reformansätze" (Bsp.: Wallrabenstein)
- „Bewegung" (Bsp.: Jürgens)

Trotz der unterschiedlichen Schwerpunkte weisen die festgelegten Definitionsansätze dennoch Überschneidungen untereinander auf. Ein gemeinsames Merkmal, das in zahlreichen Überlegungen genannt wird, ist der „Grad der Selbst- und Mitbestimmung von Schülerinnen und Schülern" (Bohl & Kucharz 2010, S.18).

Ein Vertreter der eher gemäßigten Form ist Eiko Jürgens. Er beschreibt den offenen Unterricht als eine „Bewegung" und möchte zum Ausdruck bringen, dass es sich dabei um eine „Vielfalt von unterschiedlichen, zusammenströmenden Denk-, Motiv- und Handlungsformen handelt, denen der mehr oder weniger radikale Bruch mit der traditionellen Erziehungs- und Unterrichtspraxis [...] gemein ist" (Jürgens 2004, S.24). Er betont in seiner Rahmenkonzeption von offenem Unterricht, dass sich dessen Grundkategorien in hohem Maße mit denen des schülerzentrierten Unterrichts decken. Wesentlicher Punkt ist die veränderte Beziehungsstruktur zwischen Lehrenden und Lernenden, der veränderte bzw. erweiterte Lernbegriff und die veränderte Lernorganisation. Als Kriterien des offenen Unterrichts nennt er unter anderem hinsichtlich des Schülerverhaltens

- die Eigenständigkeit bei Entscheidungen in punkto Arbeitsformen, Arbeitsmöglichkeiten, soziale Beziehungen und Kooperationsformen,
- die Selbst- bzw. Mitbestimmung und
- die Selbständigkeit in der Planung, hinsichtlich des Lehrerverhaltens
- die Zulassung von Handlungsspielräumen und
- die Orientierung an Schülerinteressen.

Außerdem legt er das entdeckende, problemlösende, handlungsorientierte und selbstverantwortliche Lernen als methodisches Grundprinzip fest und ordnet dem offenen Unterricht als Unterrichtsformen die Freie Arbeit, den Wochenplan und den Projektunterricht zu. Je mehr dieser Merkmale erfüllt werden, desto offener, schülerzentrierter wird laut Jürgens der Unterricht (vgl. Bohl & Kucharz 2010).

Die Definition von Wulf Wallrabenstein ist demgegenüber bereits weniger offen angelegt. Sie sieht den offenen Unterricht als „Sammelbegriff für unterschiedliche Reformansätze in vielfältigen Formen inhaltlicher, methodischer und organisatorischer Öffnung mit dem Ziel eines veränderten Umgangs mit dem Kind auf der Grundlage eines veränderten Lernbegriffs“ (Wallrabenstein 1998, S.54). Er arbeitet in seiner Begriffsbestimmung „ein pädagogisches Verständnis und eine pädagogische Haltung gegenüber Kindern und Jugendlichen“ (ebd. 1998, S.53f.) und die Notwendigkeit der inneren (Veränderung von Unterricht) und äußeren (Veränderung der Institution Schule) Öffnung von Schule heraus. Wallrabenstein präzisiert seine Definition durch diverse Bestandteile, Thesen und Merkmale. Herauszuheben sind die von ihm geforderten zehn Qualitätskriterien, zu denen Methodenvielfalt, Freiräume, Selbstständigkeit, Lernberatung und Öffnung zur Umwelt gehören. Wallrabenstein empfiehlt, die Schüler aktiver in die Unterrichtsplanung miteinzubeziehen, Praxisbezug einzubauen und mögliche Passivität zu vermeiden, um Schulunlust entgegenzuwirken.

„Wichtig ist nur, daß [sic!] unsere Kinder in die Lage versetzt werden, sich einer sich schnell wie nie zuvor ändernden Lebenswirklichkeit aktiv mitgestaltend gewachsen zu erweisen...“ (Wallrabenstein 1998, S.178).

Er betont, dass bei allen Überlegungen zum offenen Unterricht nicht übersehen werden darf, dass verschiedene Elemente des offenen Unterrichts schon länger auch in der Sekundarstufe angewendet werden.

Das von Peschel entwickelte und angewandte Unterrichtskonzept kann als das radikalste bezeichnet werden (vgl. Bohl & Kucharz 2010). Unterricht darf Peschel zufolge nicht mehr als Belehrung aufgefasst werde, sondern als eine Zeit selbstregulierter Aktivitäten, in der intensives und verstehendes Lernen geschieht. Offener Unterricht wird von ihm nicht als Sammelbegriff, sondern als schulisches Gesamtkonzept betrachtet. Peschel kritisiert die Umsetzung von Arbeitsformen wie Freie Arbeit und Wochenplan, die nicht grundsätzlich einen Weg hin zum offenen Unterricht mit seinen Idealen und Zielsetzungen darstellen. Peschels Idee ist es, eine Mindestanforderung an offenen Unterricht zu stellen, was auch die Einstufung einer Öffnung von Unterricht ermöglicht. In Anlehnung an die fünf Dimensionen von Unterricht, die organisatorische, methodische, inhaltliche, soziale und persönliche, die teilweise auch von Ramseger (1992) und Brügelmann (1996) genannt werden, definiert Peschel den offenen Unterricht folgendermaßen:

„Offener Unterricht gestattet es dem Schüler, sich unter Freigabe von Raum, Zeit und Sozialform Wissen und Können innerhalb eines ,offenen Lehrplanes‘ an selbst gewählten Inhalten auf methodisch individuellem Weg anzueignen.

Offener Unterricht zielt im sozialen Bereich auf eine möglichst hohe Mitbestimmung bzw. Mitverantwortung des Schülers bezüglich der Infrastruktur der Klasse, der Regelfindung innerhalb der Klassengemeinschaft sowie der gemeinsamen Gestaltung der Schulzeit ab“ (Peschel 2003, S.78).

Peschel formuliert mit dieser Definition zunächst den Anspruch des uneingeschränkten Unterrichts. Die Schüler treffen komplett frei Entscheidungen über zu lernende Inhalte und sind dabei nur durch den offenen Lehrplan ein Stück weit eingeschränkt. Bohl und Kucharz (2010) bezeichnen den Unterricht nach Peschel dementsprechend dann als offen, wenn „Entscheidungen im methodisch-organisatorischen Bereich uneingeschränkt, im inhaltlichen Bereich lediglich begrenzt durch einen offenen Rahmenplan und im sozialen Bereich eingeschränkt freigegeben werden" (S.16).

Die fünf Dimensionen können bei jedem Unterricht auf ihren Grad der Öffnung hin untersucht werden und liefern folgendes Stufenmodell des offenen Unterrichts:

- Stufe 0: Geöffneter Unterricht. Freigabe von Zeit, Ort, Sozial - und Arbeitsform. Inhalte und Methoden aber weiterhin durch Bücher etc. bestimmt und Lernwege durch Lehrer vorgegeben. Die für autonomes Lernen wichtigen Bereiche werden nicht geöffnet.
- Stufe 1: Methodische Öffnung. Grundlage ist, dass Lernen ein eigenaktiver Prozess ist und nur durch diese Eigenaktivität verstanden und somit gelernt werden kann. Es werden keine Lernwege vorgeschrieben.
- Stufe 2: Methodische und inhaltliche Öffnung. Zusätzliches Schaffen einer hohen inneren Motivation durch interessenbezogenes Lernen, was sich auf die Effektivität des Lernens auswirkt. Keinerlei Vorgaben durch den Lehrer.
- Stufe 3: Sozial-integrative Öffnung. Ist für jeden Unterricht wünschenswert und bedeutet, dass der Lehrer keine Regeln und Normen vorgibt, sondern alle Beteiligten gleichberechtigt die Verantwortung hierfür tragen und sie ständig überarbeiten (vgl. Peschel 2003).

Abschließend meint Peschel aber, dass ein Unterricht nicht besser wird, je offener er ist, sondern der Grad an Offenheit an die Beteiligten angepasst werden muss.

Die meisten Definitionsansätze offenen Unterrichts beziehen sich auf die Grundschule, da er überwiegend dort praktiziert wird. Vermutlich wird dieses Konzept in naher Zukunft aber auch im Sekundarbereich an Regelschulen zunehmend Anhänger finden (vgl. Jank & Meyer 2002). Die Basis dieser - auf die Sekundarstufe I ausgelegten - Arbeit soll das von Peschel ausgearbeitete Konzept der Unterrichtsöffnung nach verschiedenen Dimensionen sein. Da es sich um ein auf die Grundschule abgestimmtes Prinzip handelt, kann es der Sekundarstufe nur teilweise gerecht werden; dennoch ist es momentan der in der Forschung gängigste Zugang und erlaubt hinsichtlich seiner Dimensionen, offenen Unterricht differenzierter zu analysieren und ihn leichter forschungsmethodisch aufzubereiten (vgl. Bohl & Kucharz 2010).

Wichtig ist an dieser Stelle, dass offener Unterricht wie auch Öffnung von Unterricht kein Qualitätskriterium von Unterricht ist und somit zunächst nicht gewertet wird. Ob ein Unterricht gut oder wirksam ist, gilt es anhand anderer Kriterien, wie beispielsweise Lernerfolg, Zufriedenheit, aktive Lernzeit und Strukturiertheit zu messen (vgl. Bohl & Kucharz 2010).

2. Historischer Ursprung und Entwicklung

2.1. Jahrgangsgemischtes Lernen

Die Klasse ist die Einheit der Schule: die pädagogische Einheit für Lehrkräfte und die zentrale Organisationseinheit für Schulverwaltung, Schulplanung und Schularchitekten. Vor allem aber ist in unserem Denken die Klasse seit dem 20. Jhr. selbstverständlich die Jahrgangsklasse. Dennoch war sie pädagogisch allgemein umstritten, was auch viele der in der letzten Zeit häufigen privaten und öffentlichen Schulgründungen zeigen. Diese rücken fast alle von Jahrgangsklassen ab und verknüpfen ihre Konzepte mit jahrgangsübergreifendem Unterricht (vgl. Burk 2007; Laging 2003). Für ein tiefergreifendes Verständnis dieser Entwicklung werden im Folgenden die Entstehung des jahrgangsübergreifenden Unterrichts und seine historische Fortentwicklung näher beleuchtet.

Vom altersgemischten Einzelunterricht zur Jahrgangsklasse Das uns heute bekannte jahrgangsgemischte Lernen hat sich aus der Zeit der Reformpädagogik als Gegenbewegung zur Jahrgangsklasse heraus entwickelt. Dieser Form der Klassenorganisation gingen allerdings viele andere voraus, die bereits ab dem 16. Jahrhundert eine Art Altersmischung erahnen ließen und deren wichtigste Vertreter hier aufgeführt werden (vgl. Burk 2007; Jenzer 1991).

Der kollektive Einzelunterricht vom 16.-19. Jahrhundert war geprägt von individuellem Unterricht in altersheterogenen Lerngruppen. Die für sich lernenden Kinder saßen an einem langen Tisch, während der Lehrer nur jeweils eines davon unterrichtete (vgl. Blendinger & Diehnelt 2003). Jeder Schüler hatte seine individuelle Progression, da es weder eine Schulpflicht noch ein festgelegtes Alter für den Schuleintritt gab. Es gab keine Klassen und das Aufsteigen von einer Stufe zur nächsten ging vor sich, sobald das entsprechende Pensum erreicht war. Noten gab es keine und nur die kriterielle Bezugsnorm war von Bedeutung, was prinzipiell das ist, was aktuelle pädagogische Forschungen und Reformvorstellungen fordern: individuelles Lerntempo, individuelle Anleitung und Hilfe, Verlassen der Schule bei Erreichen der Ziele, keine Noten, kein Sitzenbleiben, keine klassenbezogenen Versetzungen und das Lernen mit Jüngeren und Älteren (vgl. Burk 2007).

Das auffälligste Merkmal des wechselseitigen Unterrichts, der sich um 1800 in ganz Europa verbreitete, war das Konzept Schüler helfen Schülern. Ältere und fortgeschrittenere Schüler wurden als Monitoren für bis zu zehn Kinder eingesetzt. Der Lehrer selbst unterrichtete nur die Monitoren (vgl. Burk 2007). Außerdem gab es hier bereits einen klaren didaktischen Aufbau: Ein Lehrplan gliederte das Pensum der obligatorischen Schulzeit nach aufeinanderfolgenden Sequenzen, um die sich die Schüler gruppierten. Sie durchliefen individuell die Klassen, bei denen es sich wiederrum um altersheterogene Gruppen handelte (vgl. Jenzer 1991). Wenn die Schüler die Ziele der entsprechenden Klasse erreicht hatten, stiegen sie in die nächste auf. Diese Einteilung dem Leistungsstand entsprechend war neu und hatte das Ziel, in (leistungs-)homogenen Gruppen gleichzeitig Gleiches lernen zu können (vgl. Burk 2007). Auch hier zeigen sich somit Ansätze der Altersmischung, die allerdings durch die von Comenius 1632 propagierte Didacta Magna ein vorläufiges Ende fanden.

Johann Amos Comenius' Didacta Magna Johann Amos Comenius forderte im 17. Jahrhundert eine Bildung für die Allgemeinheit[3] und eine Schule für alle, die allen alles lehrt (vgl. Laging 2003). Damit war er der erste, der eine Einteilung der Schüler nach Altersstufen vorsah und mit der Didacta Magna eine systematische Darstellung seiner Schulreform publizierte, an die sich später häufig angelehnt wurde (vgl. Jenzer 1991). Um eine Bildung für alle zu erreichen, mussten Methoden und die Organisation vereinheitlicht werden, was bedeutete, dass nur noch einmal im Jahr Einschulungen vorgenommen und dass jeder Klasse ein bestimmtes Jahrespensum (in einem Buch zusammengefasst) zugewiesen werden sollte (vgl. Blendinger & Diehnelt 2003; Laging 2003). Auf diese Weise konnten 100 Schüler, die jedes Jahr von einer Stufe zur nächsten gingen, von einem Lehrer unterrichtet werden. Seine revolutionäre Idee war, dass alle Menschen gleichzeitig zu den gleichen Zielen geführt werden sollten (vgl. Burk 2007):

„Die Schulklasse ist eine Versammlung von Schülern, die der gleiche Studiengang miteinander verbindet; sie lernen gleichzeitig dieselben Regeln und treiben die gleichen Übungen; in gegenseitigem Wetteifer suchen sie sich zu übertreffen“ (Comeniu s zitiert nach Jenzer 1991, S.197).

Seine Vorstellungen erfüllten sich aber erst nach den Wirren des 30jährigen Krieges mit der Einführung der Schulpflicht durch die Weimarer Reichsverfassung vom 11.08.1919, die zur altersbezogenen Aufnahme (sechs Jahre) von Kindern in die Schule führte (vgl. Burk 2007; Jenzer 1991). Das massive Wachstum der Bevölkerung und die damit verbundene Zunahme der Schülerzahl verhalf der Jahrgangsklasse letztendlich zum Sieg, wenn sich auch vielerorts Widerstand regte (vgl. Laging 2003).

Das Jahrgangsprinzip Das Konzept der Jahrgangsklasse wurde außerdem gestützt durch das in unserer Gesellschaft dominierende Leistungsprinzip. Ziel der Schulpolitik war es, die „in der Verfassung verankerten demokratischen und freiheitlichen Grundrechte für den

Bereich des Bildungswesens zu verwirklichen“ (Burk 2007, S.23). Die bestehenden Standesgrenzen sollten überwunden werden, und jedes Kind sollte die gleiche Chance auf eine erfolgreiche Schullaufbahn erhalten. Nur die Begabung sollte über zukünftigen Erfolg entscheiden. Mit der Jahrgangsklasse hatte die Schule die bis heute optimale Organisationsform gefunden, um ihrer Auslesefunktion nachzukommen.

Heutzutage ist das Altersspektrum mit drei bis fünf Jahren durch Früheinschulen, Zurückstellen oder Überspringen relativ hoch (vgl. Laging 2003). Individuelle Unterschiede und die Verschiedenheit der Kinder wurden und werden zugunsten des Strebens nach einem gleichmäßigen Voranschreiten aller Schüler und durch die Gleichsetzung des Entwicklungsstandes mit dem Alter unterdrückt (vgl. Blendinger & Diehnelt 2003). Dieser Zustand wurde bereits in der Reformpädagogik stark kritisiert (Burk 2007).

Die Jahrgangsmischung in der Reformpädagogik Vor allem zwei Vorstellungen über Erziehung führten zur Beanstandung der alten Schule und zur Forderung nach einer Abkehr von der Jahrgangsklasse: Natürliche Erziehung. „Das Kind nicht in Frieden zu lassen, das ist das größte Verbrechen der gegenwärtigen Erziehung gegen das Kind [...] dass das größte Geheimnis der Erziehung gerade darin verborgen liegt - nicht zu erziehen?!“ (Ellen Key, zitiert nach Burk 2007, S.25).

Die Reformpädagogen setzen der alten Schule mit ihren portionierten Lektionen und ihrer rezeptiven Lernweise die Idee einer neuen Schule der Spontaneität, des schöpferischen Handelns, der Selbsttätigkeit und Selbstbestimmung, des freien selbstentdeckenden Lernens gegenüber, eine Schule, in der das Kind sein geistiges Wachstum selbst bestimmen kann und dem Erzieher das Recht abgesprochen wird, in die „natürliche Entwicklung“ des Kindes einzugreifen. Die Schule vom Kinde aus führte zu vielfältigen Reformansätzen (vgl. Burk 2007), unter anderem auch zur Neuentdeckung der positiven Aspekte einer Altersmischung. Zwei Beispiele sind:

- Berthold Otto: Er entwickelte seine Ideen um die Jahrhundertwende und bezeichnet die traditionelle Schule 1897 als „Zwangsanstalt“ (Laging 2003, S.11). Sein Unterricht wendet sich gegen jede Zwanghaftigkeit, gegen Strafen und gegen einen Lehrplan. Mittelpunkt seines Konzeptes sind die Interessen der einzelnen Kindes (vgl. Laging 2003). Der Gesamtunterricht nach Otto findet für Schüler von 6-17 Jahren, also altersgemischt, statt. Schüler helfen Schülern, das war sein Leitbild. Es bedarf keiner Planung, die das Kind hemmt, denn ein Erkenntnisdrang und Lernwille ist bei den Kindern bereits vorhanden (vgl. Burk 2007). Wichtig für Otto war die große Gemeinschaft und somit eine Interessenvielfalt an der Schule, die größere Anregungen bieten können als im kleinen Kreise der Familie. Erkenntnisse gewinnen war für ihn mit Gemeinschaft verbunden (vgl. Blendinger & Diehnelt 2003).

- Maria Montessori versteht die Altersmischung ebenfalls als natürliche Situation und sieht ihre Vorteile im sozialen und kognitiven Lernen. Vor allem das Erklären untereinander kann ein Lehrer nicht ersetzen, da Schüler einander näher im Begreifen sind (vgl. Burk 2007). Altersmischung bedeutet für Montessori die Zusammenfassung dreier Jahrgänge. So können die Schüler verschiedene Rollen einnehmen (kleiner - größer, hilfebedürftig - hilfegebend) und ein kooperatives Miteinander erlernen. Das Lernen erfolgt in vorbereiteter Umgebung mit bereitgestellten Lernmaterialien, die eine Differenzierung bis hin zu individuellem Arbeiten ermöglichen (vgl. Laging 2003). Als weiteren Vorteil der Altersmischung sieht Montessori das Lernen durch Imitation. Gleichaltrige Schüler grenzen sich eher ab, während jüngere die älteren gerne nachahmen. Montessori arbeitet anstelle des Leistungsdrucks mit Freude, Neugier und Interesse (vgl. Blendinger & Diehnelt 2003).

Neben der natürlichen Erziehung stand noch eine zweite Vorstellung, die Kritik am Jahrgangsprinzip übte; die der Gemeinschaftserziehung. Jahrgangsmischung ist in der Gesellschaft die natürliche Situation, sollte es somit auch in der Schule sein. Peter Petersen war der Ansicht, dass in dieser Differenz eine Bildungswirksamkeit liegt und nur dann die Gemeinschaftsbildung funktionieren kann. Die Abschaffung der Jahrgangsklassen ist Kern seiner Überlegungen (vgl. Blendinger & Diehnelt 2003). Es sollte kein Sitzenbleiben geben, da es nicht gemeinschaftsförderlich ist, sondern Stammgruppen, deren Einteilung er mit der pädagogischen Psychologie begründete (vgl. Burk 2007). Das Aufrücken eines Drittels der Gruppe und das neu hinzukommen von Jüngeren hält er für pädagogisch sinnvoll, weil dadurch die Rollen wechseln und eine vorgeordnete Sozialstruktur erhalten bleibt, in die die neuen Schüler hineinwachsen können (vgl. Laging 2003).

„Die Reformpädagogen erkannten, dass durch den direkten Umgang von Großen und Kleinen miteinander Toleranz und Achtung vor dem Anderen gelernt werden kann. Ganz automatisch entstehen Situationen (ohne Motivierung durch den Lehrer), in denen Hilfebedürftigkeit und Helferleistungen schneller sichtbar werden und Konkurrenzdenken entfällt [...] Zugleich wächst durch die Altersdifferenz die soziale Einstellung: man muss miteinander umgehen, Regeln aufstellen und einhalten, Gleichheit fordern, sich aber auch abgrenzen“ (Blendinger & Diehnelt 2003, S.50).

Die reformpädagogischen Konzepte hatten in der damaligen Zeit also durchaus ihre Berechtigung und begründeten den Nutzen der Jahrgangsmischung plausibel. Dennoch können diese Prinzipien nicht einfach in die aktuelle Zeit übertragen werden, da sie teilweise nur schwer vereinbar sind mit den heutigen gesellschaftlichen Vorstellungen (wie man z.B. am Prinzip der Gemeinschaftserziehung sehen kann) (vgl. Laging 2003).

Aktuelle Entwicklungen

Das Jahrgangsprinzip besteht weiterhin trotz erneuter Kritik in den 1980er Jahren, die sich auf die veränderte Kindheit bezieht und eine Altersmischung fordert (vgl. Heinzel 2007). Dennoch lässt sich aktuell immer mehr ein Trend in Richtung altersgemischte Lerngruppen, vor allem in Grundschulen feststellen, der mit der „systematischen Erprobung der Schuleingangsphase“ Ende der 1990er Jahre begonnen hat (Hahn & Berthold 2010, S.5). Anlass dafür waren Untersuchungen, die zeigten, dass das Einschulungsalter der deutschen Kinder im Vergleich zu europäischen Nachbarländern höher war, durch Zurückstellen oder späte Einschulungen und die eine Optimierung der Schuleingangsphase forderten. Auch die Tatsache, dass die Altersdifferenz und die Altersleistungsdifferenz in der Grundschule zwischen zwei und vier Jahren liegt, begünstigt das Konzept der Jahrgangsmischung. Nur so und durch einen offen gehaltenen Unterricht können die Lehrer den Kindern mit ihren heutzutage unterschiedlichsten individuellen Voraussetzungen gerecht werden (vgl. ebd.).

Die Jahrgangsmischung muss aber aus heutiger Sicht neu begründet werden. Es können nicht einfach die alten reformpädagogischen Vorstellungen übernommen werden, da diese Konzepte teilweise entwicklungspsychologisch und/oder politisch überholt sind (vgl. Laging 2003). Im Falle Montessori und Otto wurde die entwicklungspsychologisch begründete Auffassung der natürlichen Erziehung 1970 widerlegt. Lernprozesse wurden als bedeutsamer für die menschliche Entwicklung angesehen. Entscheidend ist das Lernanregungspotential und nicht die Erbanlagen. Trotzdem bleiben folgende durch sie angeregte Punkte weiterhin aktuell:

- Orientierung des Lehrens und Lernens an dem lehrplanlosen Lernen außerhalb der Schule,
- Lehren und Lernen vom Kinde aus aufzubauen,
- Versuch, die Artikulation der subjektiven Interessen der Schüler
unterrichtsorganisatorisch zu sichern,
- Wertschätzung kommunikativer Prozesse für die Entwicklung (Lernen durch Lehren).

Die reformpädagogische Grundauffassung, Schule sei mehr als Unterricht hat heute mit der Ganztagesschule wieder Konjunktur. Lernen geschieht im sozialen Kontext, die Schule ist zur Lebensstätte geworden. Die Jahrgangsklasse ist dafür ein zu enges Korsett. Die Jahrgangsmischung dagegen eröffnet mehr Möglichkeiten für kognitives, soziales und politisches Lernen (vgl. Burk 2007). Auch die Zunahme der Jahrgangsmischung in Regelschulen verdeutlicht diese Entwicklung. Bis vor wenigen 14

Jahren wurde hauptsächlich in reformpädagogisch orientierten Schulen jahrgangsgemischt unterrichtet, oder aber in Versuchsschulen wie der Laborschule Bielefeld. Jedoch findet dieses Konzept immer mehr Anklang in Regelschulen und wird sogar in der Sekundarstufe zunehmend verwendet, vor allem in Kombination mit offenem Unterricht, in dem sich beispielsweise reformpädagogische Ideen finden lassen (vgl. Marsolek 2003). Dies lässt sich mit seiner Entstehungsgeschichte begründen.

2.2. Offener Unterricht

Auch die Grundideen, die der offene Unterricht verfolgt, sind auf eine lange Tradition zurückzuführen. Zwar liegen die bekannten Schwerpunkte auf der Reformpädagogik und den 1970er Jahren, die Ursprünge reichen jedoch viel weiter - bis ins 19. Jahrhundert - zurück und kamen von England und den USA nach Deutschland (vgl. Göhlich 1994; Kasper et al. 1994).

Die Ursprünge und der Hadow Report

Der erste große Erfolg des offenen Unterrichts hatte seine Anfänge im Zuge der englischen Primarstufenreform (vgl. Jürgens 2004). Nach dem ersten Weltkrieg in den 1920er und 1930er Jahren wandte sich die Aufmerksamkeit dem zu, „was Psychologen über verschiedene Aspekte kindlicher Entwicklung sagten" (Göhlich 1994, S.39). Man versuchte, aus der Erforschung der Bedürfnisse jedes einzelnen Kindes eine gültige Erziehungsmethode abzuleiten. Es entstanden Schulen, wie die der Philosophen Dora und Bernard Russell in Sussex, die den Kindern die volle Verantwortung für die Organisation ihrer Zeit in der Schule übergaben. Auch Susan Isaac befürwortete die Idee des selbstorganisierten und selbstgesteuerten Lernens, in Anlehnung an ihre Studien zu Jean Piaget. Im Hadow Report 1931, einem offiziellen Bericht für die Regierung, wurden diese neu aufgekommenen radikalen Ansätze berücksichtigt und die Autoren gaben zumindest theoretisch folgenden Rahmen für die primary education vor:

„Während es viel Lehre gibt, die im Abstrakten gut ist, gibt es zu wenig, was Kindern direkt hilft, ihren instinktiven Zugriff zu den Bedingungen des Lebens zu stärken und zu erweitern, indem ihre wachsende Erfahrung bereichert, angestrahlt und berücksichtigt wird“ (Göhlich 1994, S.40).

Der Plowden Report und die Jahre 1960-1970

Da sich die Zielsetzungen des Hadow Reports in der Schulpraxis nicht vollständig verwirklichen ließen und die allgemeine Unzufriedenheit stieg, wurden die reformerischen Bemühungen wieder aufgenommen. Die Plowden Kommission[4]

übernahm 1967 das Prinzip der Kindzentrierung und bezog nicht nur die neuesten Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie Jean Piagets und Susan Isaacs, sondern auch die nach dem zweiten Weltkrieg erstarkte soziologische Forschung in ihren Bericht mit ein (vgl. Kernig 1997). Der Bericht fordert eine Hinwendung des Unterrichts zur Ganzheitlichkeit, zum Spielerischen und empfiehlt hinsichtlich der Organisation eine Kombination von Klein- und Klassenunterricht. Er weist auf die Notwendigkeit einer Informal Education hin (vgl. Reketat 2001):

„A school is not merely a teaching shop, it must transmit values and attitudes. It is a community in which children learn to live first and foremost as children and not as future adults [...] The school sets out deliberately to devise the right environment for children, to allow them to be themselves and to develop in the way and at the pace appropriate to them. It tries to equalize opportunities and to compensate for handicaps [...] It lays special stress on individual discovery, on first hand experience and on opportunities for creative work. It insists that knowledge does not fall into neatly separate compartments and that work and play are not opposite but complementary” (Plowden Report 1967, S.187f.).

Bei der Informal Education verliert das Organisatorische an Dominanz und der Blick fällt auf das Verhältnis des konkreten Kind und seiner spezifischen Welt. Sie bemüht sich um einen adäquaten Blick auf dieses Verhältnis und versucht, dazu beizutragen, dass das konkrete Kind dieses so gestalten kann, dass es sich wohl fühlt und, für es selbst und andere sichtbar, entwickelt (vgl. Göhlich 1997). Forderungen des Plowden Reports an die Merkmale einer Grundschule waren folglich:

„klein und überschaubar; werkstattähnliche Lernumgebung; fächerübergreifendes Curriculum, entdeckendes Lernen, individuelle und Gruppenarbeit gleichermaßen möglich, gleitende Einschulung in meist altersübergreifende Klassen, Eltern als Helfer; Fortbildung am Arbeitsplatz“ (Göhlich 1997, S.28).

Die Ideen des Plowden Reports lösten in den 1970er Jahren einen regelrechten Boom aus, der in den 1980er Jahren aber wieder nachließ, da nur eine Minderheit der Lehrer überhaupt offen unterrichteten, was in Forschungsergebnissen deutlich wurde und den im Plowden Report suggerierten Optimismus dämpft (vgl. Göhlich 1997). Dennoch war der Plowden Report von entscheidender Bedeutung, da durch seinen Einfluss das entstand, was heute in Deutschland offener Unterricht genannt wird (Reketat 2001).

USA als Zwischenstation

Auch in den USA erforschte das Education Development Center mit ihrer Elementary Science Studies (1960er Jahre) den Grundschulunterricht. David Hawkins, der Koordinator der Elementary Science Studies, hatte in England Kurse für Grundschullehrer durchgeführt und wirkte somit auf die dortige Entwicklung zurück. Er prägte die Begriffe des „Messing about in science“ (die desorientierte Anfangsphase

eines Kindes oder Erwachsenen in einer material- und zeitreichen Situation, wie sie durch ein lernwerkstattähnliches, offenes Klassenzimmer gegeben ist) und „To Learn is to Choice“ (Selbstwahl einer Strukturgebung und Suchorientierung), die bis heute für entdeckendes Lernen von großer Bedeutung sind (Göhlich 1997, S.29).

Aber auch in den USA gab es im 19. Jahrhundert mit John Dewey einen frühen Vertreter der lebenspraktischen Funktion von Schule. Seiner Meinung nach sollte Schule durch Projekte unter Einbezug und Training der Kulturtechniken auf das spätere demokratische Leben vorbereiten (vgl. Aregger 2008).

Im Rahmen der politischen Bewegungen[5] in den USA, die sich stark auf Bemühungen um neue pädagogische Konzepte auswirkten, brachte sich Lillian Weber ein und initiierte aufgrund ihrer Begeisterung mit der New Yorker Schulreform das Open- Corridor-Programm. Sie hatte 1965/66 englische Infant Schools besucht und erforscht. Lehrer wurden als Berater ausgebildet, insbesondere zur Unterstützung von Schulen mit einer großen Zahl von Kindern gesellschaftlicher Minderheiten, und in Schulen eingesetzt, um die Umwandlung der Klassenzimmer zu offenen Lernräumen zu unterstützen (vgl. Reketat 2001). Sie gründete das New Yorker Workshop Center for Open Education, das bis heute als Anlaufstelle für reformorientierte Lehrer dient und Fortbildungsmöglichkeiten bietet. Ihre Arbeit ist ein wichtiges Bindeglied zwischen der englischen Informal Education und den deutschen Lernwerkstätten, die wiederum die hiesigen Ansätze offenen Unterrichts mitprägen und unterstützen.

Die Verbreitung in Deutschland

In Deutschland geriet die Entwicklung unter den Einfluss divergierender Auffassungen und Strömungen, auch wenn die reformpädagogischen Ansätze in den 1920er Jahren mit denen in England übereinstimmten. Die pädagogische Verbindung von Subjektzentrierung und Wissenschaftsorientierung, die sich in der Betonung eigener Fragen und des entdeckenden und erfindenden Lernens, das alle Bereiche kindlichen Aufbaus von Wirklichkeit betrifft, ausdrückt, kannten die klassischen Reformpädagogiken noch nicht (vgl. Göhlich 1997). Hildegard Kasper war die erste, die durch ihren Artikel über den Plowden Report auf den englischen Ansatz aufmerksam machte. Allerdings blieb sie ungehört (vgl. Laging 2003).

Deutsche Grundschulen hatten allgemein einen schlechten Ruf und erst der Grundschulkongress 1969, bewusst 50 Jahre nach Einführung einer gemeinsamen Grundschule für alle Kinder abgehalten, signalisierte eine Wende. Die Grundschulpädagogik wurde aufgewertet durch die Gründung der Zeitschrift Die Grundschule, die alten Werte aber blieben eng mit dem neuen Selbstverständnis verbunden. Eine allmähliche Öffnung der Grundschule ergab sich erst durch den Strukturplan des Deutschen Bildungsrats und die KMK[6] -Empfehlung zur Arbeit in Grundschulen 1970 mit ihrem Hinweis auf Binnendifferenzierung und Stunden Freier Arbeit als rechtliches Fundament. Eine Hinwendung zu einer Öffnung von Schule und Unterricht in Anlehnung an die Informal oder Open Education blieb allerdings zunächst aus. Stattdessen wurde eine strikte Unterrichtsplanung gefordert, in der lernziel-, unterrichtstechnologie- und wissenschaftsorientierte Unterrichtsplanung dominierte. Dennoch kann die Eingangsstufe der Laborschule Bielefeld als ein erster Transferversuch der Open Education (der englische Ansatz war Hartmut von Hentig wohl nicht bekannt) angesehen werden (vgl. Göhlich 1997).

Die entscheidende Wende für den offenen Unterricht in Deutschland begann 1972, als zum einen der Plowden Report auszugsweise auf Deutsch erschien und zum anderen Büggelmann einen Aufsatz über englische Unterrichtsprojekte („Offene Curricula") veröffentlichte. Er bezieht sich in diesem Artikel begrifflich auf die Open Education aus den USA, die aus der englischen Informal Education entstanden ist, und nimmt Stellung zu der seit Mitte der 60er Jahre bestehenden Diskussion über die Curriculumentwicklung. Er tritt für eine dezentralisierte Curriculumentwicklung ein, welche die an Schule Beteiligten mit einbezieht und eine dogmatische Vorgabe einzelner Modelle verhindert (vgl. Brenner 2002). Die Verbindung des Curriculum­Begriffs und der Offenheit traf einen von umfangreichen und in der Praxis wenig effektiven Lehrgangsplanungs-Bemühungen frustrierten Zeitgeist und trug mit dazu bei, dass der englische Ansatz von Beginn an nicht als informeller Unterricht, sondern wie in den USA als offener Unterricht diskutiert wurde.

Übersetzungsschwierigkeiten und eine nicht ausreichende Auseinandersetzung mit dem Plowden Report erschwerten eine Übernahme der Informal Education, aber der erste Versuch, sie in Deutschland zu etablieren, startete mit dem Tempelhofer Projekt an der Berliner Paul-Klee-Grundschule (vgl. Reketat 2001). Man wollte beweisen, dass Veränderungen auch in der Regelschule möglich sind und verhaltensauffällige Kinder bessere Lernmöglichkeiten finden. Die schulgesetzliche Verankerung der Elternmitarbeit, verstärkte Transparenz, familiärer Lebensweltbezug und Reflexion führt zur Öffnung der Schule. Die Informal Education bürgerte sich von Mitte der 1970er an als offener Unterricht in Deutschland ein und wird als Gegenbewegung zu einer lernzielorientierten Didaktik verstanden (vgl. Brenner 2002).

Ende der 70er und mit Beginn der 80er Jahre erreicht das Bemühen um den offenen Unterricht eine andere Ebene. Der Bedarf an Fortbildung und Austausch der praktizierenden Lehrer stieg, ebenso wie der Eindruck, dass Lehrer bereits in der Ausbildung oder durch Fortbildung auf die Gestaltung des offenen Unterrichts vorbereitet werden müssen. 1981 entstand daraufhin an der Pädagogischen Hochschule Berlin die „Berliner Lernwerkstatt“ und 1983 die Grundschulwerkstatt Kassel. Beide wurden von Helmut Hagstedt gegründet und sind vom New Yorker Workshop Center beeinflusst und beeinflussen ihrerseits die grundschulpädagogische Praxis (vgl. Göhlich 1997; vgl. Reketat 2001).

Mitte der 80er Jahre war der offene Unterricht zumindest als Idee, teilweise auch in der Praxis, in den Anfangsklassen der (Hamburger und Berliner) Grundschulen verbreitet (vgl. Göhlich 1997). In Hamburg wurde das Konzept bis in die Sekundarstufe hinauf angewendet. Allerdings beschreibt Wallrabenstein den Offenen Unterricht genauer als eine seit vielen Jahren zu sinnvollerem Lernen und Leben geführte Öffnung des Unterrichts. Das ursprüngliche Konzept der Informal Education trifft in Deutschland auf die seit Anfang der 80er Jahre neu erwachten alten reformpädagogischen Ideen. Dadurch kam es zu Beginn der 90er Jahre zu einer Vermischung der beiden Ansätze. Der offene Unterricht öffnet sich bewusst hin zur Reformpädagogik und ermöglicht es so, jede Aufnahme irgendeines reformpädagogischen Elements als Offenheit anzusehen, anstatt eine radikal das Frage- und Forschungsverhältnis (zwischen lernendem Subjekt und Phänomenen seiner Umwelt) fokussierenden pädagogischen Haltung einzunehmen, wie sie das Ausgangskonzept der Informal oder Open Education ursprünglich vorsah (vgl. Göhlich 1997).

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass der heutige offene Unterricht aus einer Vermischung der Informal und Open Education, Binnendifferenzierung, Montessori- und Freinetpädagogik und spezieller Konzepte wie etwa Reichen's Lesen und Schreiben entstanden ist. Es zeigt sich immer wieder, dass das Konzept in der Praxis verbreitet und nicht mehr umstritten ist, allerdings auch, dass es an Deutlichkeit, Entschiedenheit und Radikalität verloren hat. Jegliche Freigabe an Zeit und Raum oder der Miteinbezug reformpädagogischer Konzepte wird irreführend als offener Unterricht bezeichnet. Dabei wird vergessen, dass das ursprüngliche Konzept Offener Unterricht im Sinne der Informal Education keine Unterrichtsmethode oder Organisationsform, sondern eine pädagogische Haltung ist (vgl. ebd.)

Betrachtet man abschließend nochmals die Entwicklungsstränge des jahrgangsgemischten Lernens und des offenen Unterrichts, liegen ihre Wurzeln in verschiedenen Ländern und die Vermischung beider individueller Konzepte fand erst in der Reformpädagogik statt. Bereits Maria Montessori, Peter Petersen oder Berthold Otto waren der Ansicht, dass der offene Unterricht jahrgangsgemischtes Lernen gut unterstützt bzw. die Jahrgangsmischung als pädagogisches Konzept nur mit offenem Unterricht zu bewältigen ist. Dies soll im folgenden Punkt deutlich gemacht werden.

3. Begründungszusammenhänge

Begründungen für den jahrgangsgemischten Unterricht sind hauptsächlich in den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen zu finden. Aber auch kognitive Erkenntnisse, sowie didaktische Ansätze des Konstruktivismus und der Neurodidaktik verdeutlichen die Notwendigkeit sowohl der Altersmischung, als auch eines offenen Unterrichts. Bei der Beschäftigung mit den Begründungszusammenhängen wurde klar, dass sie sich in vielen Bereichen mit den Voraussetzungen und Zielen überschneiden. Die drei Punkte scheinen sich somit gegenseitig zu rechtfertigen und zu ergänzen.

3.1. Gesellschaftliche Veränderungen

Die seit den 60er Jahren ablaufenden gesellschaftlichen Veränderungen, vor allem aber die veränderte Kindheit, wurden bereits damals mit Sorge betrachtet und dienten in den 1980er Jahren als Plädoyer für die Altersmischung in der Grundschule (vgl. de Boer 2007; Laging 2003). Die Geschichte der Kindheit wird oft entweder als Fortschritts- oder Verfallsgeschichte interpretiert, die Kinder entweder als Modernisierungsgewinner oder -verlierer. Begriffe wie Medien- und Terminkindheit verleiten dazu, zu übersehen, dass es durchaus Kinder gibt, die mit den gesellschaftlichen Wandlungsprozessen gut zurechtkommen, sogar davon profitieren. Der unterschiedliche Verlauf der Kindheit wird heute stärker denn je akzentuiert, was bedeutet, dass es kein für alle Kinder gültiges Muster und damit auch kein allgemein gültiges Unterrichtskonzept für alle Schüler gibt. Zwar verschwindet die Kindheit nicht, wie teilweise befürchtet wird, sie unterliegt aber Veränderungen im Zuge historisch­gesellschaftlicher Entwicklungen. Besonders gravierend haben sich die im Folgenden herausgegriffenen Bereiche kindlicher Umgebung verändert (vgl. Jürgens 2004; Rolff & Zimmermann 1997).

Familiale Lebenswirklichkeit und elterliches Erziehungsverhalten Die Lebenswirklichkeit ist geprägt von einer Pluralisierung der familiären Lebensformen und zunehmender Vereinzelungsproblematik durch starken Geburtenrückgang (vgl. Jürgens 2004; Laging 2003). Dazu kommen liberale Erziehungsvorstellungen, die Selbstständigkeit, Kreativität und Kooperationsfähigkeit fordern (Fölling-Albers 1991, zitiert nach Jürgens, S.29). Allerdings entsteht mehr und mehr ein Widerspruch zwischen der Freiheit in der Erziehung und dem gleichzeitig steigenden Erfolgsdruck durch gesellschaftliche Anforderungen. Dieser Erziehungsproblematik wird durch ihre Auslagerung von den unsicheren Eltern hin zur Schule und den „professionellen Erziehern" begegnet (vgl. Rolff & Zimmermann 1997; Jürgens 2004).

Spiel- und Freizeitverhalten Durch die Verinselung der Freizeitangebote sind Kinder und Jugendliche immer abhängiger von den Eltern und deren Zeitplanung. Durch den Geburtenrückgang kommt es zu einem Mangel an Spielkameraden. Eine Zunahme der Wahrnehmung institutionalisierter Freizeitangebote wird deutlich, was aber bedeutet, dass Kinder schon früh Termine einhalten müssen und früh lernen, in unterschiedlichen sozialen Gruppen an wechselnden Orten zu agieren. Das führt zu einer selbstständigen und individuellen Lebensgestaltung, aber auch zu egozentrischer Vereinzelung (vgl. Jürgens 2004; Laging 2003).

Umgang mit Medien

Ein Großteil der Freizeit wird vor Bildschirmen verbracht, auch bei Verabredungen mit Freunden (vgl. Gonschorek & Schneider 2005). Die Gefahr dabei ist, dass die Grenze zwischen Realität und Fiktion immer mehr verwischt wird, da eine besonders echte und unmittelbare Wirklichkeit suggeriert wird. Selbsterlebtes kann sogar verdrängt, überlagert werden und der Sinn eigentätiger Aneignungen der natürlichen Wirklichkeit geht verloren (vgl. Jürgens 2004; Rolff & Zimmermann 1997). Kritisch wird die nicht stattfindende oder seltene Interaktion[7] betrachtet. Konsequenzen können Kommunikations- und Kompromissunfähigkeit, eine niedrige Frustrationstoleranz, begleitet von gesteigerter Aggressivität sein. Die mangelnde Bewegung führt zusätzlich zur Abnahme der Beweglichkeit, Koordination und Balancefähigkeit und die überschüssige Energie äußert sich oft in Hyperaktivität und gesteigertem Bewegungsdrang. Die Kinder schlafen schlechter und können sich nicht konzentrieren, was sich gravierend auf das Lernverhalten auswirkt (vgl. Gonschorek & Schneider 2005).

Verlust an Eigentätigkeit

Alles funktioniert auf Knopfdruck und oftmals wird erst dann gespielt, wenn das vollautomatische Spielzeug kaputt geht. Kinder lernen, dass ein gelungenes Leben darin besteht, die richtigen Waren und Dienstleistungen zu konsumieren. Eigentätigkeit und eine planvolle Herstellung der Artikel wird von vorneherein ausgeschlossen, womit ihnen die intensivste Form der Aneignung von Erfahrungen fehlt. Eigentätigkeit ist die materielle Grundlage für Eigenständigkeit. Will man etwas wirklich verstehen, muss man es entstehen sehen (vgl. Rolff & Zimmermann 1997).

Heike de Boer (2007) stellt drei Thesen auf, die verdeutlichen, wo Jahrgangsmischung hier positiv eingreifen könnte.

1. These: Jahrgangsmischung entdramatisiert Entwicklungsunterschiede und eröffnet den Kindern die gemeinsame Erfahrung ähnlichen Alters und selbstständiger Lern­aktivitäten. Die Vorstellung des Aufsteigens ist weg. Es wird auf kooperatives Ler­nen gesetzt, Beziehungen spielen eine große Rolle. Die Heterogenität wird genutzt. Austausch von Wissen und Erfahrungen wird geschaffen.
2. These: Die Emanzipation des Kindes wird gefördert, strukturelle Herrschaft redu­ziert, die Selbstbestimmung der Kinder erhöht, individuelle Bestimmung über Ziele zugesagt und mehr Flexibilität und individuelle Gestaltung des Zeitgebrauchs er­möglicht. ^ Entstandardisierung und Individualisierung der kindlichen Lebensläufe. Ist erforderlich, weil die Individualität und Heterogenität kindlicher Biografien in ei­nem für den Alltag von Schule und Unterricht zwar schon immer typischen, heute aber zugespitzt wirksamen Spannungsverhältnis zum Lernen im Gleichschritt steht.
3. These: Jahrgangsmischung kommt der Verschiebung im Kompetenz- und Wis­sensgefälle zwischen Jung und Alt entgegen, was eine Neugestaltung der Genera­tionenbeziehungen in der Schule fördert. Auch die jüngeren Generationen können kulturvermittelnd sein, was wiederum die Altersmischung befürwortet und die Ver­mittlung von Wissen nicht mehr klar hierarchisch an die Kategorie Alter bindet. Er­wachsene können auch von Kindern lernen.

Jahrgangsmischung hilft, die dominante Lehrerrolle abzulegen, hin zur stärkeren Beto­nung des aktiven, eigenständigen Kindes. Sie hilft, Peerbeziehungen zu stärken, wenn sie mit differenziertem Unterricht und kooperativen Lernformen einhergeht (vgl. de Bo­er 2007). Kann Schule diesen Veränderungen und den Kindern mit Konzepten wie der Jahrgangsmischung, unterstützt durch offenen Unterricht, gerecht werden?

3.2. Lerntheoretische Begründungsansätze

Die lerntheoretischen Aspekte werden im Folgenden nochmals unterteilt in behavioristische und kognitive Lerntheorien. Beide Ansätze unterstützen auf ihre Art die Jahrgangsmischung, vor allem in Kombination mit dem offenen Unterricht. Es geht darum, die Erfahrungen und Vorstellungen von Schülern aufzunehmen und im Unterricht so einzusetzen, dass neue Konzepte und Strategien im verfügbaren Repertoire verankert werden, was eine Öffnung von Unterricht erfordert (vgl. Brügelmann 2006).

Behavioristische Lerntheorien - Lernen durch Imitation

Der Mensch beobachtet seine Umwelt, interpretiert seine Eindrücke, generiert Handlungsentwürfe und wertet ihre Wirkungen aus (vgl. Gudjons 2006). Albert Bandura hat dafür den Begriff des Beobachtungslernens oder auch des Lernens durch Imitation oder am Modell geprägt. Er erbrachte den Nachweis, dass erstmaliges

Auftauchen von Verhaltensmustern in sozialen Kontexten häufig durch das Imitieren des Verhaltens von Modellpersonen erklärbar ist (vgl. Hasselhorn & Gold 2009). Die Wirkungen, die Beobachtungslernen nach sich ziehen kann, können einfache motorische und kognitive Fertigkeiten bis hin zur Entwicklung von Regeln zur Verhaltensgenerierung sein. Der Ablauf einer Beobachtung bedarf vier verschiedener Prozesse. Aufmerksamkeits- und Behaltensprozesse sorgen für das Zustandekommen der Beobachtung selbst und für die innere Repräsentation des Verhaltens. Um überhaupt als Modell angenommen zu werden, muss das Individuum in den Augen des Beobachters als solches geeignet sein. Die Möglichkeit zur Identifikation ist beispielsweise häufiger Grund zur Imitation. Das beobachtete Verhalten wird nach seiner Wahrnehmung in leicht erinnerliche Schemata umgeformt, klassifiziert und organisiert, um bei Bedarf schnell und problemlos aus dem Gedächtnis abrufbar zu sein (vgl. Schermer 2006; Stangl 2011). Reproduktionsprozesse helfen dem Lernenden, die motorischen Teilkomponenten der Verhaltensabläufe zu erkennen und zu beherrschen, während im motivationalen Prozess der Effekt des Verhaltens ausgewertet wird und man entscheidet, ob das Verhalten eine Wiederholung wert ist oder nicht (vgl. ebd.; Gudjons 2006; Hasselhorn & Gold 2009). Ob das Verhalten im Endeffekt tatsächlich gezeigt wird, hängt zum einen von den Erfolgserwartungen bzw. den negativen Konsequenzen ab, zum anderen von der Selbstregulation des Beobachters. Lernen durch Imitation ist also nicht nur reines Imitieren, sondern eine umfassende Person-Situation-Interaktion.

Das Konzept des Modelllernens erklärt besonders gut das soziale Lernen in der Schule. Das Verhalten von Erwachsenen und/oder Gleichaltrigen wird nachgeahmt, wenn es im Unterricht und auch außerhalb erfolgreich zu sein scheint. Bei Nachahmungen geht es daher aber nicht immer um intendierte Lernprozesse, sondern es werden vielmehr auch Einstellungen und Verhaltensweisen erworben, die nicht Teil des offiziellen Schulcurriculums sind oder gar den Zielen des schulischen Unterrichts bzw. der schulischen Erziehung zuwiderlaufen. Der modelltheoretische Ansatz ist für die Erklärung schulischen Lernens dann besonders interessant, wenn etwa erklärt werden soll, wie Menschen auf andere Menschen einwirken und dabei das Lernen befördert oder blockiert werden kann (ebd.).

Obwohl das Beobachtungslernen zu den behavioristischen Lerntheorien gehört, entfernte sich Bandura immer weiter von diesen Wurzeln, da er der Meinung war, dass nicht nur externe Konsequenzen menschliches Verhalten beeinflussen, sondern es auch durch Denken und andere mentale Prozesse determiniert wird. Bandura bezeichnet seine Theorie deshalb als sozial-kognitiv (vgl. Schermer 2006).

Kognitive Lerntheorien - Lernen durch aktives Handeln

Die kognitiven Lerntheorien sind etwas jünger als die behavioristischen und momentane Leitlinien der Pädagogik und Didaktik. Die zwei hier beschriebenen Personen waren für die Beschreibung dieser Ansätze von besonderer Bedeutung.

Der Ansatz von Jean Piaget: Piaget ging davon aus, dass der Mensch kein passives Wesen ist, sondern sich von klein auf aktiv handelnd mit der Welt auseinandersetzt. Seine geistige Entwicklung ist ein Prozess der aktiven Konstruktion von Wissen in der Interaktion mit der Umwelt (vgl. Montada & Oerter 2008; Stangl 2011). Er strebt danach, sich der Umwelt anzupassen, was bedeutet, dass das kognitive System Zustände fehlenden Gleichgewichts in Gleichgewichtszustände überführen will. Ein solcher kognitiver Konflikt kann beispielsweise bei Problemlösungsprozessen entstehen, wenn unterschiedliche Sichtweisen oder Perspektiven aufeinandertreffen (vgl. Brüning & Saum 2008; Schnotz 2006). Die Anpassung, die von Piaget auch Adaption genannt wird, erfolgt durch die komplementären Wege Assimilation und Akkomodation. Assimilation bezeichnet die Integration neuen Wissens in bestehende neuronale Strukturen, während die Akkomodation die Anpassung bestehender mentaler Strukturen als Reaktion auf Umweltanforderungen meint (vgl. Jank & Meyer 2002; Montada & Oerter 2008). Aus der Erfahrung eines Ungleichgewichtes, eines Widerspruchs oder kognitiven Konfliktes entsteht somit der Impuls zur inneren Koordination und zum Aufbau immer komplexerer Strukturen (Gudjons 2006). Man lernt, unterschiedliche Sichtweisen einzunehmen und sich von Vorurteilen zu lösen. Versuchen die Schüler, diesen Konflikt in Einzelarbeit zu lösen, kommen keine neuen Denkanstöße von außen. Im Austausch mit ihrer Lerngruppe erfahren sie dagegen neue Sichtweisen und alle Gruppenmitglieder bauen die neuen Gedanken in ihr eigenes mentales Netz ein. Gerade im offenen Unterricht, wo es keine hierarchischen Interaktionen mit dem Lehrer gibt, können durch tiefgründige Diskussionen echte neue Überzeugungen und dadurch veränderte kognitive Strukturen entstehen (vgl. Brüning & Saum 2008).

Der Ansatz von Wygotsky: Lew S. Wygotsky kam vielfach zu ähnlichen Ansichten wie Piaget, betonte aber stärker als dieser die sozial-kulturelle Lernumwelt. Entwicklung wird hier als ein Hineinwachsen in eine bestimmte Kultur, und Wissen prinzipiell als sozial konstruiert gesehen. Er sah den Antrieb der Entwicklung von Kindern in der Tätigkeit des Problemlösens in Interaktion mit den Menschen, ihrer Umgebung und in der Synthese zwischen widersprüchlichen Anforderungen (vgl. Jank & Meyer 2002; Schnotz 2006; Stangl 2011). Sie betont damit das kooperative Lernen, das von Reich (2006) als lernsteigernd bezeichnet wird. Nach Wygotsky erfolgt die kognitive Entwicklung dadurch, dass Kinder höhere kognitive Funktionen bei anderen beobachten, die nur ein wenig über ihrem momentanen kognitiven Entwicklungsstand liegen, und diese nach und nach selbst übernehmen (vgl. Brüning & Saum 2008; Krapp & Weidemann 2006). Dieses Fenster, in dem die beobachteten Prozesse internalisiert werden können, bezeichnet er als die Zone der proximalen Entwicklung, als „Abstand zwischen der aktuellen Entwicklungsstufe, bestimmt durch die Fähigkeit zur unabhängigen Lösung gewisser Probleme, und der Stufe der potentiellen Entwicklung, die durch Lösung von Problemen bestimmt wird, welche unter Anleitung von Erwachsenen oder in Zusammenarbeit mit fähigeren Gleichaltrigen gelöst werden“ (Wellenreuther 2005, S.390). Sie ist die Distanz zwischen dem aktuellen Entwicklungsniveau eines Kindes, bestimmt durch seine Fähigkeit, Probleme selbstständig zu lösen, und der höheren Ebene als potentieller Entwicklung, die durch die Fähigkeit bestimmt wird, Probleme unter Anleitung Erwachsener oder fähigerer Kameraden zu lösen. Das, was ein Schüler heute nur in der Gruppe leisten kann, weil dort ein anderer Schüler ist, der eine kognitive Funktion beherrscht, die er noch nicht beherrscht, das kann er bald alleine, wenn er sich diese kognitive Funktion selbst angeeignet hat. Das Anregungspotential heterogener Gruppen wird hier genutzt, indem sich die Schüler gegenseitig durch die Zone der proximalen Entwicklung führen, was durch Stichworte, Hinweise, Erklärungen, Leitfragen, Diskussionen etc. erfolgt. Sie bauen Brücken zwischen den vorhandenen Fähigkeiten ihrer Klassenkameraden und ihren eigenen neuen Fähigkeiten (vgl. Brüning & Saum 2008; Wellenreuther 2005).

[...]


[1] Jahrgangsübergreifendes, jahrgangsgemischtes sowie altersgemischtes Lernen werden synonym verwendet.

[2] Geschlossener Unterricht: wird hier als Frontalunterricht verstanden. 6

[3] Bis dahin war der Unterricht hauptsächlich ein Privileg der Oberschicht, auch wenn es bereits im 16. und 17. Jahrhundert Ansätze zu Schulen für alle Bevölkerungsschichten gab (vgl. Jenzer 1991).

[4] Plowden Kommission: 1963 vom britischen Erziehungsministerium eingesetzt; arbeitete an der Überprüfung und Fortsetzung der Hadow Kommission über Grundschulen und Kleinkindeinrichtungen (vgl. Göhlich 1994).

[5]

Z.B. das erstarkte schwarze Selbstbewusstsein, Kritik am Vietnamkrieg (vgl. Göhlich 1997). 17

[6] Kultusministerkonferenz 18

[7] Zumindest was den Fernseher betrifft. Neueste Spiele für den Computer sind hier nicht berücksichtigt, müssten aber genauer geprüft werden, da dort interagiert werden kann.

Ende der Leseprobe aus 116 Seiten

Details

Titel
Offener Unterricht als Voraussetzung für jahrgangsgemischtes Lernen in der Sekundarstufe I - eine Empirische Analyse
Hochschule
Pädagogische Hochschule Heidelberg
Note
1,5
Autor
Jahr
2011
Seiten
116
Katalognummer
V187833
ISBN (eBook)
9783656113706
ISBN (Buch)
9783656114321
Dateigröße
1334 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
offener, unterricht, voraussetzung, lernen, sekundarstufe, empirische, analyse
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Kathrin Kienle (Autor:in), 2011, Offener Unterricht als Voraussetzung für jahrgangsgemischtes Lernen in der Sekundarstufe I - eine Empirische Analyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/187833

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Titel: Offener Unterricht als Voraussetzung für jahrgangsgemischtes Lernen in der Sekundarstufe I - eine Empirische Analyse



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