Seit den 1930er Jahren hat Bertolt Brecht dem Prinzip der Verfremdung durch zahlreiche Aufsätze und Notizen ein theoretisches Grundgerüst geschaffen und den Begriff ‚Verfremdungseffekt’ etabliert. Brecht entwickelt seine Theorie des V-Effekts aus der Betrachtung des alten chinesischen Theaters heraus, das in seinen Augen ähnliche Darstellungsformen verwendet wie das epische Theater des 20. Jahrhunderts. Die Umsetzung des Effekts in seinen Stücken und die damit verbundene Abgrenzung von den Praktiken des aristotelischen Theaters machen Brecht insbesondere nach dem zweiten Weltkrieg zu einem viel diskutierten Schriftsteller und Dramaturgen in Europa.
Roland Barthes reagiert auf die Brechtsche Dramaturgie mit Enthusiasmus. Auch wenn sich die Übertragbarkeit des Brechtschen Modells auf das französische Theater als nicht umsetzbar erweist und Barthes sich nach 1957 mehr und mehr aus der Theaterkritik und seiner Arbeit für das Magazin „Théâtre populaire“ zurückzieht , betont er den Einfluss, den Brechts Werk auf seine eigene Arbeit gehabt hat. Die intensive Auseinandersetzung mit Brecht offenbart sich nicht nur in seinen Aufsätzen über einzelne Stücke sowie das theoretische Werk des Dramatikers, sondern auch in den Anspielungen auf Brecht in vielen seiner übrigen Schriften. Im Zentrum seiner Überlegungen steht dabei der Prozess der Verfremdung.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit eben dieser Auseinandersetzung, ohne jedoch Barthes’ Brechtrezeption in den Mittelpunkt zu rücken. Vielmehr konzentriert sie sich auf die beiden unterschiedlichen Konzeptionen von Verfremdung und die Ziele der jeweiligen Verfremdungsprozesse, sodass deutlich wird, dass Barthes’ Auseinandersetzung mit dem Brechtschen Theater ihm lediglich als Grundlage dient, um eine eigenständige Theorie zur Problematik der distanciation vorzustellen. Um Aufschluss über Barthes’ Verständnis der Verfremdung zu geben, wird zunächst seine Theorie des sens obtus beleuchtet. Hierauf beschäftigt sich die Arbeit mit Brechts V-Effekt und Barthes’ Texten zum epischen Theater. Im dritten Teil der Analyse steht Barthes’ Aufsatz über die Pop-Art, „Cette vieille chose, l’art…“ im Zentrum. Dabei nutzt Barthes die Pop-Art sowohl zur Veranschaulichung seiner eigenen Theorien als auch für den Vergleich mit dem theoretischen Ansatz Bertolt Brechts.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- II. Hauptteil
- 1. Roland Barthes' Theorie des sens obtus
- 2. Das epische Theater und Barthes' Brechtrezeption
- 3. Die Pop-Art als „,sinnlose\" Kunst?
- III. Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Auseinandersetzung von Roland Barthes mit dem Konzept der Verfremdung, insbesondere im Vergleich zu Bertolt Brechts Theorie des Verfremdungseffekts. Ziel ist es, Barthes' Verständnis von Verfremdung und dessen Verbindung zu seiner Theorie des „sens obtus“ zu beleuchten und den Einfluss Brechts auf seine Arbeit zu analysieren.
- Roland Barthes' Theorie des „sens obtus“
- Brechts Verfremdungseffekt und Barthes' Brechtrezeption
- Die Pop-Art und ihre „sinnlose“ Kunst
- Barthes' Konzept der Distanzierung
- Der Vergleich von Brechts und Barthes' Auffassungen von Verfremdung
Zusammenfassung der Kapitel
I. Einleitung
Das Kapitel liefert einen einleitenden Überblick über Bertolt Brechts Theorie des Verfremdungseffekts und dessen Einfluss auf die französische Theaterlandschaft in den 1950er Jahren. Es wird zudem die anfängliche Begeisterung von Roland Barthes für Brechts Werk und seine spätere Abkehr von dessen theatralem Modell beleuchtet.
II. Hauptteil
1. Roland Barthes' Theorie des sens obtus
In diesem Abschnitt wird Barthes' Theorie des „sens obtus“ anhand seines Aufsatzes „Le troisième sens“ vorgestellt. Es werden die drei von Barthes identifizierten Sinnebenen erläutert und die Bedeutung des „sens obtus“ als eine dritte Ebene der Bedeutungserzeugung hervorgehoben.
2. Das epische Theater und Barthes' Brechtrezeption
Dieser Abschnitt befasst sich mit Barthes' Auseinandersetzung mit Brechts epischem Theater und dessen Verfremdungseffekt. Es wird untersucht, wie Barthes Brechts Theorie interpretierte und welche Einflüsse sie auf seine eigene Arbeit hatten.
3. Die Pop-Art als „,sinnlose\" Kunst?
In diesem Abschnitt wird Barthes' Aufsatz über die Pop-Art, „Cette vieille chose, l'art...“, analysiert. Es wird untersucht, wie Barthes die Pop-Art als ein Beispiel für „sinnlose“ Kunst nutzt, um seine eigenen Theorien zu veranschaulichen und mit Brechts Ansatz zu vergleichen.
Schlüsselwörter
Die Arbeit widmet sich den Begriffen Verfremdung, Distanzierung, „sens obtus“, episches Theater, Pop-Art und den Theorien von Roland Barthes und Bertolt Brecht. Es werden die theoretischen Grundlagen und die jeweiligen Konzeptionen dieser Konzepte analysiert und miteinander in Beziehung gesetzt.
- Citar trabajo
- Jana Aßmann (Autor), 2010, "Visiblement, il songe à un monde qui serait exempté de sens": Analyse des Motivs der distance bei Roland Barthes, unter Berücksichtigung des Brechtschen Verfremdungseffekts, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/187878