Virtuelle und fotografische Realität im heutigen Fernsehen. Das Weltbild der Nachrichtenmagazine


Seminararbeit, 1999

12 Seiten, Note: 1-


Leseprobe


Gliederung:

Einleitung

Fotografisches/Filmisches Bild und Digitalität. Eine Neue Ontologie des Bildes?

„Fakt wird zur Fiktion und Fiktion wird zu Fakt“

Verwendete Literatur:

Einleitung

Weltbilder verkörpern in sich einen gesellschaftlichen Konsens und bilden dadurch bewusste, aber auch unbewusste Maximen aus, von denen dann die gesellschaftliche Kommunikation (des Einzelnen) ihren Ausgang nimmt. Weltbilder prägen eben die Vorstellung von Welt und die Art und Weise, wie sich das jeweilige Bild von Welt im einzelnen Individuum aber auch in der „sozialen Masse“ konkretisiert. Die Frage danach, welches Weltbild die Nachrichtenmagazine im heutigen Fernsehen vermitteln ist damit gleichzeitig die Frage danach, welchen Status man den neuen Medien insgesamt, als „Anbieter ästhetischen Materials“, bei der Bildung von Weltbildern und Wirklichkeitskonstruktionen zuschreiben kann.

In der medienwissenschaftlichen und kommunikationswissenschaftlichen Theorie ist es vorherrschende Meinung, dass die Aneignung von Realität in höchstem Maß durch Mediengebrauch charakterisiert werden kann. Massenmedien wie Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Hörfunk, Film und Fernsehen vermitteln nicht nur einfach Informationen, sie produzieren auch Meinungen, können Stimmungen erzeugen und damit Werte und Normen beeinflussen. Das scheint als Ergebnis wissenschaftlicher Forschung banal zu sein, gewinnt aber an theoretischer Tragkraft, wenn man weiter fragt, inwieweit die Logik der Medien unsere Erfahrungswelt und Realitätswahrnehmung bestimmt, bzw. welche Rolle die Medien bei den kommunikativ vermittelten Mustern der Wahrnehmung, des Denkens und Fühlens für individuelle wie für soziale Wirklichkeitskonstruktionen spielen.

Dabei wird seit längerer Zeit aus den verschiedensten Ansätzen von Kommunikations- und Medientheorie die Diagnose gestellt, dass die Lebenswelt der Gegenwart in ausschlaggebender Weise eine ästhetisch verfasste oder ästhetisch erfasste Lebenswelt sei. Ästhetisch meint dabei aber nicht Kunst oder Theorie der Kunst, sondern im ursprünglich klassischen Gebrauch des Wortes „Wahrnehmung“, also den Bedeutungszuwachs und die lebensweltliche Thematisierung von Wahrnehmung(en) aller Art. Und eben dabei, als Folge des Sachverhalts, dass es sich bei medial vermittelter oder durch Medien geprägter Wahrnehmung meist um visuelle Wahrnehmung(en) handelt, ist eigentlich bei den verschiedensten Ansätzen die argumentative Basis immer die gleiche, nämlich dass die (audio-)visuellen Medien eine neue Dimension der visuellen Sinnstiftung von sozialen Erlebnis- und Erkenntnisformen von Wirklichkeit zur Folge hat.

Wolfgang Welsch geht in seinem Text „Künstliche Paradiese? Betrachtungen zur Welt der elektronischen Medien - und zu anderen Welten“1 dabei sehr weit: Für ihn gehören mit den neuen Medien viele unterschiedliche Versionen von Wirklichkeit zum alltäglichen Erfahrungsbereich, wobei die gewohnte Realerfahrung von Wirklichkeit zwar nicht ihre eigentliche Priorität verliert, zumindest aber ihren Ausschließlichkeitsanspruch gegenüber medial vermittelter Wirklichkeit einbüßt. Beobachten kann man dies in der offenkundigen Durchdringung von Alltags- und Medienrealität. Ein Beispiel dafür:

Erscheint Alltagsrealität in den Medien, wird sie nach den in den Medien inhärenten Gesetzen der Theatralisierung bzw. Inszenierung modelliert (z.B. schnelle Schnitte, Bildhaftigkeit, -kadrierung, rhythmische Sequenzierung). An dem Punkt, wo wir aber Wirklichkeit nur aus der medialen Präsentation kennen, schreibt sich die mediale Logik der Präsentation in das Wissen davon ein, was wir von Wirklichkeit im Alltag wissen, was aber außerhalb unseres Erfahrungsbereichs liegt. Diese Vermischung von Medien- und Alltagswirklichkeit ist deswegen bemerkenswert, weil wir dadurch nur die herausgehobenen Wirklichkeitsanteile, die zum Beispiel für die Fernsehübertragung für würdig befunden werden, als Abbilder von Wirklichkeit erfahren. Niklas Luhmann hat das so charakterisiert: Das meiste, was wir über die Welt wissen, wissen wir aus dem Fernsehen. Aber eben nur in der inszenierten Form, in der im Fernsehen Wirklichkeit „dokumentiert“ wird, d.h. also kritisch überspitzt, dass die mediale Welt der Gegenwart eine Welt ist, in der das Fernsehen zur fast alles prägenden visuellen kulturellen Kraft geworden ist. Die Logik der bildgeprägten Information und Unterhaltung, wie sie im Medium Fernsehen kultiviert wird, entwickelt sich zur Logik von Massenkommunikation und Welterfahrung.

Das bedeutet im Bezug auf die Weltbilder: Weltbilder werden nicht mehr durch diskursive Realitätsdeutungen, also durch bzw. im Medium der Sprache, konstruiert, sondern es herrscht die Dominanz des medial vermittelten Bildes. Damit muss sich aber der Bildbegriff (fotografischer und filmischer Bilder) als solcher problematisieren, vor allem dann, wenn man versucht, das durch Nachrichtenmagazine vermittelte Weltbild zu beschreiben.

Es sind ja vor allem die fotografischen bzw. die bewegten Bilder, die die besondere Bedeutung von Fernsehnachrichten ausmachen. Der Zuschauer wird zwar durch Bild und Ton angesprochen, aber eben auf verschiedene Weise. Der Ton, also der Nachrichtentext, vermittelt die eigentliche Information. Aber erst die Bilder verleihen den Nachrichten die von ihnen angestrebte und postulierte Authentizität: man versteht die Fotografie und den Film als ein Wahrheitszeugnis, weil ja die konkrete und wirkliche Existenz der Welt ihre Strukturen in materiellen (chemischen) Spuren auf der Filmbeschichtung abdrückt. Für den Zuschauer erscheinen so Bilder in Nachrichten als Abbilder der Wirklichkeit, sie scheinen die Realität ungefiltert wiederzugeben, wogegen beim Nachrichtentext für den Zuschauer klar ist, dass Journalisten Realität nur beschreiben, d.h. sie konstruieren aufgrund der eigenen Wahrnehmung, subjektiven Einstellung und Meinung eben eine subjektive Realität im Nachrichtentext. Das fotografische Bild bzw. das Filmbild erzeugt die Illusion, etwas selbst gesehen zu haben, was sogar noch in einer Eins-zu-eins Beziehung zur Realität steht.2 Das ist genau der Ansatzpunkt, an dem unter den Begriffen fotografischer und virtueller Realität der Status des fotografischen und filmischen Bildes nicht nur im Medium Fernsehen, sondern gleichermaßen auch zum Beispiel in den Printmedien neu beurteilt werden muss. „Den Verlust der Authentizität befürchten Kritiker heute für das Fernsehbild im Zeitalter seiner virtuellen Simulierbarkeit. Denn inzwischen muss für die Produktion eines real anmutenden Bildes kein unmittelbarer Bezug zum Objekt der Darstellung mehr hergestellt werden, der Computer kann ihn - vom Menschen angeleitet - selbsttätig generieren.“3

Die Frage ist also, welche Weltbilder können von Nachrichtenmagazinen im Fernsehen überhaupt noch transportiert werden, wenn im Zuge der Digitalisierung die Beweiskraft des authentischsten Abbilds bzw. Beweismittels von Wirklichkeit oder Realität, die Fotografie bzw. das Filmbild, verschwindet?

Die Begriffe „digitales Bild“, „digitale Filmbilder“ signalisieren so das Vorhandensein neuer Bildkategorien, vor deren Hintergrund sich der eigentliche Begriff des Bildes bzw. des fotografischen oder filmischen Bildes neu fassen oder zumindest erweitern muss. Die Frage ist so, ob die digitalen Bilder wirklich einen radikalen Bruch mit den ästhetischen und kulturellen Codes des traditionellen Films bzw. der Fotografie hervorrufen, und es deswegen vielleicht auch nötig ist, zu einer veränderten Sichtweise davon zu kommen, wie und auf welche Weise sich Weltbilder in den Medien bzw.

Nachrichtenmagazinen im Fernsehen manifestieren und wie sie überhaupt kommuniziert werden können? Fotografisches/Filmisches Bild und Digitalität. Eine Neue Ontologie des Bildes? Paradox erscheint nun die Tatsache, dass man mit einem traditionellen Set (film-, medien-, und kunstwissenschaftlicher) Analyse- und Betrachtungsweisen durchaus noch die digitalen Bilder lesen und beschreiben kann, denn trotz Digitalisierung behält das fotografische und filmische Bild seine kulturellen Bildcodes, und in diesem Sinne scheint der oben angesprochene radikale ästhetische Bruch zwischen analogen und digitalen Bildern nicht stattgefunden zu haben.

Dass dieser Bruch dennoch vorhanden ist, wird deutlich, wenn man die unterschiedliche Materialität analoger und digitaler Bilder als Ausgangspunkt einer ästhetischen (und eben auch wahrnehmungstheoretischen) Einordnung nimmt: Durch das Prinzip der Digitalisierung verschwinden bzw. verschieben sich zunächst die Grenzen zwischen den Medien. Die materiellen Unterschiede, die bis dato Druckmedien, Fotografie, Film und Video in unterschiedliche Kategorien aufgeteilt haben, werden durch die umfassende Digitalisierung aufgeweicht, die alle Formen der Bildproduktion, bewegt oder still, auf dem gemeinsamen Grund der Digitalisierung ansiedeln. Von verschiedenen digitalen Bildkategorien oder ästhetischen Eigenschaften zu sprechen, wird damit hinfällig: Ob das digitale Bild ein „hybrides Bild“ ist, also zusammengesetzt aus analog genommenen und digital gewonnen Information (Scanning-Verfahren), oder ein originäres, synthetisiertes (Computergrafik und -animation) Computerbild, macht keinen Unterschied. Eine digitalisierte Fotografie z.B. übernimmt zwar die kulturellen Bildcodes des analogen Fotos, aber gleichzeitig „stirbt durch das Scannen auch das Foto“4, d.h. mit der Integration in den digitalen Code wird seine (nicht nur materiale) Eigenständigkeit aufgehoben.5

Gerade an diesem Punkt, also der umfassenden Digitalisierung der verschiedensten Bildmedien, ergibt sich die unterste Ebene einer Unterscheidung zwischen analogen und digitalen Bildern, die dann zum einen den unterschiedlichen logischen Status von analogen und digitalen Bildern, auf dem dann eine ästhetische Bewertung sich bewegen müsste, begründet, zum anderen auch die Basis für die unterschiedliche kulturelle Wahrnehmung beider Bildformen bezeichnet. Die unterste Ebene einer Unterscheidung zwischen digitalen und analogen Bildern wäre der materiell-physische Unterschied, so dass sich der radikale ästhetische Bruch zwischen analogen und digitalen Bilder nicht auf der „Bildoberfläche“, sondern im ontologischen Status des Bildes zeigt.

Das analoge Bild entsteht dadurch, dass die vom aufgenommenen Gegenstand ausgehende elektromagnetische Strahlung (Licht, oder auch Wärme) sich in den fotochemische Träger, den Film, einschreibt. Das geschieht durch die Kamera in dem einmaligen, komplexen Augenblick der Belichtung. „Im Augenblick seiner Entstehung ist das ganze Bild vollkommen ‘da‘.“6 Damit ist im analogen Bild jeder Bildpunkt mit seinem Objektpunkt des aufgenommenen Gegenstandes durch den optisch gelenkten Lichtstrahl durch die Kamera ursächlich verbunden. Es herrscht also eine Analogie, d.h. die notwendige Entsprechung zwischen Gegenstand und seinem Bild. Die damit in einem fotochemisch erzeugten Bild enthaltene Informationsmenge ist durch die „Objektpunkt-Bildpunkt Analogie“ unbegrenzt. So ist das analoge Bild zwar charakterisierbar als ein Bild mit einer unbegrenzten Menge an Informationen, zugleich bedeutet aber jede Kopie einen Informationsverlust des Bildes, wodurch sich die Auflösung und die Qualität des Bildes erheblich, von Kopie zu Kopie, verschlechtert. „Die kontinuierliche räumliche Variation und die des Farbtons von analogen Bildern sind nicht exakt reproduzierbar, so dass diese Bilder durch Übertragung oder Kopieren schlechter werden...“7 Darüber hinaus gestaltet sich die Bearbeitung oder auch die Manipulation von analogen Bildern als technisch schwierig, weil sie direkt in die Materialität des Bildes eingreifen muss. Die Manipulation von analogen Bildern ist nicht möglich, ohne Spuren dieser Manipulation im fotochemischen Träger zu hinterlassen. Dadurch bleibt eine Veränderung oder Manipulation des Bildes immer erkennbar (auch wenn das sehr schwer ist), weil sie sich eben in die physische Struktur des Bilder einschreibt. Diese physische „Verletzbarkeit und Narbenbildung“ analoger Bilder erklärt auch, warum analoge Bilder auch heute noch weitgehend ihre gesellschaftliche Akzeptanz als „Wirklichkeitsmedium“ behalten und immer noch als kausal entstandene, wahrheitsgemäße Berichte über Dinge in der realen Welt charakterisiert werden, ohne dass der konstruktive Charakter (eines jeden technischen Bildes) oder auch die Möglichkeiten der Bildmanipulation bei der kulturellen Wahrnehmung mitgedacht werden.

[...]


1 Wolfgang Welsch: Künstliche Paradiese? Betrachtungen zur Welt der elektronischen Medien - und zu anderen Welten, in: Dieter Baacke/Franz Josef Röll (Hrsg.): Weltbilder, Wahrnehmung, Wirklichkeit. Der ästhetisch organisierte Lernprozeß, Opladen 1995, Seite 71-96

2 Hans Bernd Brosius sieht als erste und wichtigste Funktion audiovisueller Illustrationen von Fernsehbildern, dass diese die Eigenschaft besitzen, Fernsehbilder mit Authentizität „aufzuladen“. Bilder und Filmmaterial erzeugen demnach die Illusion, der Zuschauer könnte sich vor Ort selbst ein Bild machen und direkt am Ereignis teilnehmen. Bilder haben damit Dokumentationscharakter und ihr Wahrheitsgehalt wird darüber hinaus, im Vergleich zum Text, deutlich weniger bezweifelt. (Vgl. Hans Bernd Brosius: Visualisierung von Fernsehnachrichten. Text-Bild-Beziehungen und ihre Bedeutung für die Informationsleistung, in: Klaus Kamps/Miriam Meckel (Hrsg.) Fernsehnachrichten. Prozesse, Strukturen, Funktionen, Opladen/Wiesbaden 1998

3 Miriam Meckel: Nachrichten aus Cyburbia. Virtualisierung und Hybridisierung des Fernsehens, in: Kamps/Meckel: a.a.O. , Seite 203

4 Gottfried Jäger: Analoge und digitale Fotografie: Das Technische Bild, in: Hubert von Amelunxen: Fotografie nach der Fotografie, Dresden 1996, Seite 109

5 Das bedeutet, dass nicht nur eine Angleichung der ästhetischen Einordnung durch die Digitalisierung

hervorgerufen wird, auch Unterschiede in der künstlerische Praxis, weil eng an die technischen Voraussetzungen (Hardware) und Möglichkeiten (Software) des Computers gebunden, werden eingeschliffen. Die künstlerische Praxis wird sozusagen in ihrer Arbeitsweise normiert, genauso wie die ästhetischen Eigenschaften der Bilder durch ihre Digitalisierung normiert werden.

6 ebd., Seite 108

7 William J. Mitschell: The Reconfigured Eye: Visual Truth in the Postphotographic Era. Zitiert nach: Lev Manovich: Die Paradoxien der digitalen Fotografie, in: Hubert von Amelunxen: Fotografie nach der Fotografie, Dresden 1996, Seite 60

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Virtuelle und fotografische Realität im heutigen Fernsehen. Das Weltbild der Nachrichtenmagazine
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Institut für Kunstgeschichte)
Note
1-
Autor
Jahr
1999
Seiten
12
Katalognummer
V18826
ISBN (eBook)
9783638230896
Dateigröße
382 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Virtuelle, Realität, Fernsehen, Weltbild, Nachrichtenmagazine
Arbeit zitieren
Gernot Leinert (Autor:in), 1999, Virtuelle und fotografische Realität im heutigen Fernsehen. Das Weltbild der Nachrichtenmagazine, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18826

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