Die Europäische Sicherheitsstrategie der Europäischen Union und die National Security Strategy der Vereinigten Staaten von Amerika - eine Analyse der Sicherheitsstrategien

Welche Entwicklungen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zeigen beide Sicherheitsstrategien im analytischen Vergleich?


Bachelorarbeit, 2011

54 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die National Security Strategy (NSS) der Vereinigten Staaten von Amerika
2.1. Definition von Strategie
2.2. Entwicklungen und Rahmenbedingungen zur Schaffung einer NSS
2.3. Der 11. September 2001 und die politischen Folgen
2.4. Die Nationale Sicherheitsstrategie der Bush-Administration aus dem Jahre 2002
2.5. Der Irakkrieg von 2003
2.6. Die National Security Strategy von 2006
2.7. Zusammenfassung der Bush- Doktrin der NSS 2002 und 2006
2.8. Die National Security Strategy von 2010
2.9. Zusammenfassung der National Security Strategy 2010 - Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den Vorgängerstrategien der Jahre 2002 und 2006

3. Die Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) der Europäischen Union
3.1 Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der Europäischen Union
3.2 Die „Europäische Sicherheitsstrategie“ (ESS) von 2003 und der „Bericht über die Umsetzung der Europäischen Sicherheitsstrategie“ von 2008
3.2.1. Die Europäische Sicherheitsstrategie
3.2.2. Aufbau und Inhalt der ESS
3.2.3. Der Bericht über die Umsetzung der Europäischen Sicherheitsstrategie von 2008
3.2.4. Analyse der ESS und dem Bericht zur Umsetzung

4. Analyse der Sicherheitsstrategien - Gemeinsamkeiten und Unterschiede der NSS und ESS

5. Zusammenfassung und Fazit

6. Ausblick- welche Tendenzen lassen sich für die weitere Entwicklung der NSS und ESS erkennen?

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Seit dem Beginn der non-polaren Weltordnung und nicht zuletzt den Geschehnissen des 11. September 2001 sieht sich die Welt neuen globalen Bedrohungen und Herausforderungen gegenübergestellt.

Diese globalen Gegebenheiten sind ausschlaggebend für die Sicherheitspolitik der meisten Staaten der Welt. Dabei stellt der internationale, zum großen Teil islamistisch motivierte Terrorismus, vor allem für die westliche Welt eine manifeste Bedrohung dar.

Direkte Reaktion auf die terroristischen Akte von 9/11 war die militärische Intervention der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan zum Sturz der Taliban. Diese hatten nachweislich das Terrornetzwerk Al Quaida unterstützt, welches für die Anschläge in New York City und Washington D.C. verantwortlich war.

Nach damaliger sicherheitspolitischer Analyse und Einschätzung der USA waren auch weitere Staaten, wie der Iran, Irak oder Nordkorea, welche die erklärte Achse des Bösen („Axis of evil“)1 bildeten, weitere potenzielle Sicherheitsbedrohungen.

Im Jahre 2003 wurde aufgrund der damaligen Vermutung, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besäße und sie für terroristische Zwecke einsetzen könnte, eine weitere Intervention der USA mit einer Koalition der Willigen durchgeführt, um den damaligen Diktator Saddam Hussein zu stürzen.

Diese Koalition der Willigen beinhaltete ebenfalls eine Vielzahl von Mitgliedern der Europäischen Union (EU), wie beispielsweise Großbritannien, Italien, Polen oder auch Spanien. Die EU selbst war in dieser Phase weder als Staatenverbund, noch als Akteur in der Lage, einen gemeinsamen Standpunkt zum Thema Irak zu beziehen. Im Gegenteil; die Situation schien die EU und ihre Gemeinsame Au ß en- und Sicherheitspolitik (GASP) zu spalten. Nicht nur innerhalb der EU wurden Unstimmigkeiten deutlich. So bildete der Irakkrieg von 2003 auch eine Zäsur in den Beziehungen zwischen Europa und den USA.2

Um in kommenden Konfliktsituationen eine gemeinsame Sprache innerhalb der EU, aber auch nach außen zu sprechen und ebenfalls einen gemeinsamen Standpunkt formulieren zu können, hatten die Staats- und Regierungschefs in Gestalt des Europäischen Rates die Absicht, eine Europäische Sicherheitsstrategie zu formulieren, bzw. formulieren zu lassen. Damit sollte es eine Wiederholung der im Irak-Konflikt entstandenen Unstimmigkeiten innerhalb der EU zukünftig nicht mehr geben.

Im Dezember 2003 wurde die Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) mit dem Titel „ Ein sicheres Europa in einer besseren Welt“ veröffentlicht. Dabei war die Idee einer artikulierten Sicherheitsstrategie keine Weltneuheit. So muss seit 1986 jede gewählte US- Regierung eine Handlungserklärung zur Sicherheitspolitik gegenüber dem Senat vortragen und in Form eines Dokuments vorlegen. Diese „National Security Strategy“ (NSS) ist gesetzlich vorgeschrieben.

Die neuesten Veröffentlichungen beider Sicherheitspapiere sind im Jahre 2008 und 2010 herausgebracht worden, wobei die ESS von 2003 lediglich durch den Bericht zur Umsetzung der ESS von 2008 erweitert wurde. Die Regierung Obama veröffentlichte ihrerseits 2010 ihre NSS.

Beide Sicherheitspapiere sollen den „roten Faden“ der Sicherheitspolitik der jeweiligen Akteure darstellen.

Da beide Akteure, die USA wie auch die EU, die erklärte Absicht besitzen bei kommenden Herausforderungen und Konflikte gemeinsam zu agieren, ist es interessant zu analysieren, welche Ansätze beide Strategien in identischen Fällen vorsehen. Daher soll eine Analyse beider Strategiepapiere im Fokus dieser Arbeit stehen.

Primär soll die Frage beantwortet werden, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten sowie Entwicklungen beide Sicherheitsstrategien vorweisen.

Ein analytischer Vergleich soll dabei ebenfalls mit einer Reihe von weiteren relevanten Fragen vorgenommen werden um die Fragestellung beantworten zu können. Welche jeweiligen Akteure finden wir vor, die eine solche Strategie beeinflussen und gestalten? Wo liegen Prioritäten und Schwerpunkte der Akteure? Welchen Einfluss hatten sicherheitspolitische Ereignisse wie 9/11 oder der Irakkrieg 2003 auf die Ausrichtung der Strategien? Sind Unterschiede zwischen den Sicherheitsstrategien von George W. Bush und Barack Obama erkennbar und wenn ja, welche? Welche Stellungnahmen der Papiere gibt es zu den transnationalen Beziehungen? Gibt es Anhaltspunkte für künftige Entwicklungen beider Strategien?

Diese Fragen sind unter anderem auch bei der möglichen Kooperation beider Akteure sowie deren sicherheitspolitischer Umsetzung relevant.

Zentrale These der Arbeit ist, dass es gravierende Unterschiede und wenig Gemeinsamkeiten der Strategiepapiere gibt, da Interessen und Mittel zur Umsetzung der jeweiligen Strategien elementar voneinander abweichen. Dies gilt es im Verlauf der Arbeit zu überprüfen.

Die vorliegende Arbeit gliedert sich in fünf Kapitel, wobei im ersten Kapitel zunächst eine Darstellung der National Security Strategy der USA vorgenommen wird. Im Fokus stehen hier die Strategien der Bush-Administration aus den Jahren 2002 und 2006 sowie die im Mai 2010 erschienene NSS von US-Präsident Barack Obama. Darstellungen zu historischen und rechtlichen Rahmenbedingungen zur Schaffung der NSS sowie sicherheitspolitische Schlüsselereignisse, welche im zeitlichen Einflussbereich der dargestellten Strategien liegen, werden ebenfalls skizziert.

Im zweiten Kapitel widmet sich die Arbeit der Europäischen Sicherheitsstrategie von 2003 sowie dem Bericht zur Umsetzung der ESS von 2008. In diesem Zusammenhang wird auch hier eine kurze Einordnung der ESS in das Gefüge der Europäischen Union vorgenommen.

Das dritte Kapitel wird anhand eines Vergleichsrahmens verschiedener Charakteristika der Strategien die jeweiligen Standpunkte beider Sicherheitspapiere gegenüberstellen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede identifizieren zu können. Im Schwerpunkt dieser Analyse liegen die ESS von 2003 und der Bericht zur Umsetzung der ESS von 2008 sowie die NSS von 2010.

In Kapitel vier wird im Fazit eine Zusammenfassung der Ergebnisse vorgenommen, um die Analyse abzuschließen und die Fragestellung nach den wesentlichen strategischen Gemeinsamkeiten und Unterschieden sowie deren Entwicklungen beantworten zu können.

Das fünfte und letzte Kapitel soll einen Ausblick mit möglichen Tendenzen zur weiteren Entwicklung der Sicherheitsstrategien geben.

Ziel dieser Arbeit ist es, neben der Analyse von Unterschieden und Gemeinsamkeiten USamerikanischer sowie europäischer Sicherheitsstrategien auch Kenntnisse über die jeweiligen Rahmenbedingungen der Entstehungen aufzuzeigen und zentrale Inhalte der Strategien selbst vermitteln zu können. Im Gegensatz zur recht umfangreich beschriebenen und analysierten ESS fand die NSS 2010 bisher weniger Beachtung im politikwissenschaftlichen Diskurs.

Die Entwicklung der politischen Weltordnung und der internationalen Beziehungen ist ein äußerst dynamischer Prozess, welcher ständig neu bewertet und analysiert werden muss. Dieser Prozess zeigt Auswirkungen auf die strategischen Ausrichtungen der zu analysierenden Akteure, wie im Verlauf der Analyse zu erkennen sein wird.

Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag zur Strategieforschung beider Akteure leisten.

2. Die National Security Strategy (NSS) der Vereinigten Staaten von Amerika

Um sich der Komplexität der Thematik und Fragestellung annähern zu können, soll das folgende Kapitel zunächst die Sicherheitsstrategie der USA darstellen. Hierzu werde ich zunächst eine kurze, grundlegende Definition des Begriffs Strategie skizzieren.

Dem schließt sich ein Überblick zur National Security Strategy (NSS) an. Dabei sollen eine kurze historische Herleitung und eine Beschreibung der Rahmenbedingungen zur Schaffung einer NSS gegeben werden, um in einem nächsten Schritt die NSS von 2002 und 2006 der BushAdministration darzustellen.

Wie im Verlauf der Arbeit zu erkennen sein wird, ist die NSS von 2002 (und in Fortsetzung 2006) besonders relevant, da sie zum einen ca. ein Jahr vor der Europäischen Sicherheitsstrategie entstanden ist und zum anderen die Vorgängerstrategie der NSS von Barack Obama aus dem Jahre 2010 darstellt. Daher sollen die wichtigsten Inhalte beider Strategien von George W. Bush dargestellt werden.

Nach der Darstellung der Strategien folgt eine kurze Analyse der wichtigsten Gemeinsamkeiten und Unterschiede.

Begleitend werden die relevanten sicherheitspolitischen Geschehnisse, wie die Terroranschläge vom 11. September 2001, sowie der Irakkrieg 2003 skizziert, um Einflüsse auf die entstandenen Strategien aufzuzeigen.

2.1. Definition von Strategie

Das Wort stammt vom griechischen strategia ab, welches mit dem Begriff der Feldherrenkunst übersetzt wird. Eine Strategie beschreibt einen genauen Plan des eigenen Vorgehens zur Erreichung eines oder mehrerer Ziele, wobei die eigene Ausgangslage und die Faktoren berücksichtigt werden, die auf die eigenen Aktionen einwirken können.3 Die formulierten Ziele können hierbei militärischer, politischer, psychologischer oder ähnlicher Natur sein.4

2.2. Entwicklungen und Rahmenbedingungen zur Schaffung einer NSS

Die Schaffung und Existenz einer amerikanischen, nationalen Sicherheitsstrategie ist keine Erfindung des 21. Jahrhunderts.

Bereits in den späten 1890er Jahren wurde im Rahmen der ersten imperialen Bestrebungen außerhalb der Grenzen Nordamerikas die nationale Sicherheit in der Öffentlichkeit thematisiert.5 Das Verlangen der Bürger nach Sicherheit veranlasste somit bereits früh amerikanische Regierungen, entsprechende Maßnahmen zum Schutze der USA nach außen zu kommunizieren.

Auch während der Weltkriege wurden Sicherheitsstrategien in den USA entwickelt, um Planungen aufzustellen und reaktionsfähig gegenüber globalen Bedrohungen und Geschehnissen sein zu können.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges folgte die Blockkonfrontation mit der kommunistischen Sowjetunion. Im Zuge des Kalten Krieges und der permanenten gegenseitigen Bedrohung entstanden hoch analytische und wegweisende Strategiepapiere. Diese wurden im United States National Security Council erarbeitet, welcher in den späten 1940er Jahren vom US-Kongress ins Leben gerufen und dem Executive Office des Präsidenten unterstellt wurde. Den Vorsitz in diesem Rat bekam der Präsident zugewiesen.6

In der Phase des Kalten Krieges entstanden so eine Reihe, vor allem geheimer Sicherheitsstrategien. Eine dieser heute bekannten Strategien war beispielsweise die sogenannte NSC 68, welche dem damaligen Präsidenten Harry S. Truman vorgelegt wurde und Empfehlungen beinhalteten, wie eine massive Erhöhung der Militärausgaben oder auch die Eindämmung des weltweiten Kommunismus.7 Eine andere, heute bekannte, Strategie war das sogenannte National Security Study Memorandum 200, welches 1974 unter Federführung des damaligen US-Außenministers Henry Kissinger erstellt wurde und unter anderem die Absicht einer Bevölkerungsdezimierung in einigen weniger entwickelten Ländern wie Indien, Pakistan oder Mexiko beinhaltete, da durch deren Bevölkerungswachstum eine potenzielle Gefahr für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten bestünde.8

Zusammenfassend verfolgte die US-amerikanische Sicherheitspolitik die Strategie der „Eindämmung und Abschreckung“ zu Zeiten des Ost-West-Konflikts.9

Im Jahre 1986 wurde mit dem Goldwater/ Nichols-Act ein Reformgesetz zur Reorganisation der Befehls- und Kommandostruktur der US-Streitkräfte verabschiedet, welcher auch einige Veränderungen auf politischer Ebene beinhaltete.10

Seitdem sind amerikanische Präsidenten verpflichtet, dem US-Kongress jährlich ein Strategiepapier zur nationalen Sicherheit vorzulegen. Faktisch wird allerdings lediglich eine National Security Strategy pro Amtszeit einer Regierung verfasst.

Die gesetzliche Grundlage der NSS ist im 50. Buch des United States Code mit dem Titel „War and National Defence“11 in Kapitel 15 (National Security)12 unter Paragraph 404a (Annual National Security Strategy Report)13 zu finden.

Die formalen Vorgaben beinhalten die bereits angesprochene Verpflichtung für eine legitimierte Regierung, eine NSS spätestens 150 Tage nach deren Amtsantritt vorzulegen. Ebenfalls ist festgelegt, dass es zwei Dokumente einer NSS geben muss - eine geheime und eine öffentliche Ausgabe.14

Der Paragraph 404a beinhaltet ebenfalls inhaltliche Vorgaben. So sollen alle sicherheitspolitisch relevanten Politikfelder, globale Herausforderungen und Bedrohungen, sowie Krisenregionen angesprochen werden.

Laut Paragraph 404a soll jede NSS, bzw. jeder Bericht hierzu fünf Ebenen beinhalten:

1. Die weltweiten nationalen Interessen, Ziele und Bestrebungen der USA, welche die Sicherheitspolitik tangieren;
2. die Außenpolitik und deren Ausrichtung, Verteidigungskapazitäten, die notwendig sind um Angriffe auf das eigene Festland der USA abzuwenden und um eigene Ziele umsetzen zu können;
3. Nennung der politischen, wirtschaftlichen sowie militärischen Maßnahmen, um die im ersten Punkt genannten Ziele zu erreichen;
4. die Darstellung der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit aller gegenüberstehenden Potentiale und Mittel;
5. alle möglichen, weiteren Informationen, die zur Verfügung stehen, dem Kongress zugänglich machen.15

Verfasst wird eine NSS unter Leitung des National Security Council mit Vorsitz des Präsidenten in enger Abstimmung mit anderen Ministerien und Geheimdiensten.

Heute dient eine erarbeitete NSS der allgemeinen Öffentlichkeitsarbeit, den Ministerien, dem Kongress und dem Militär als Orientierungspunkt außen- und sicherheitspolitischer Ausrichtung einer Regierung.16

2.3. Der 11. September 2001 und die politischen Folgen

„ The terrorist attacks on 11. September 2001 changed the parameters of America ´ s strategic thinking in much the same way that Pearl Harbour did in 1941. “ 17

Die Terroranschläge auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001 sowie die verheerenden Folgen mit über 3.000 Toten zeigten der amerikanischen Nation und der gesamten Welt auf, dass auch die nationale Sicherheit der größten Streitmacht der Welt nicht unverwundbar war und ist.

Die Täter von 9/11 wurden sehr schnell als potentielle Angehörige des Terrornetzwerkes Al-Quaida identifiziert. Dieses lose Netzwerk von dschihadistischen Gruppen hatte nach Einschätzung der USAdministration Ausbildungslager in Afghanistan.

Die Führung der USA forderte die dort herrschende Taliban-Regierung auf, diese Ausbildungslager zu schließen, sowie die Anführer der Al-Quaida, allen voran Osama bin Laden, auszuliefern. Die Taliban hingegen weigerten sich, der Forderung nachzukommen. Einziges Entgegenkommen ihrerseits war die Möglichkeit, bin Laden vor ein afghanisches Gericht zu stellen. Bereits einen Tag nach den Anschlägen, am 12. September, wurde vom UN-Sicherheitsrat die Resolution 1368 gefasst, wonach die Anschläge als bewaffneter Konflikt im Sinne von Artikel 39, bzw. 51 UN Charta18 eingestuft wurden und die USA das Recht auf Selbstverteidigung zugesprochen bekamen, auch wenn es sich bei der Al-Quaida um einen nicht-staatlichen Akteur im Sinne des Völkerrechts handelt.19 Zudem wurde erstmals in der Geschichte der NATO der Verteidigungsfall nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages20 ausgerufen.21

Am 7. Oktober 2001 begann die von den USA geführte „Operation Enduring Freedom“ (OEF) auf Grundlage der UN-Resolution 1368 um Führungs- und Ausbildungseinrichtungen von Terroristen ausschalten, Terroristen zu bekämpfen, gegebenenfalls gefangen zu nehmen, vor Gericht zu stellen und Dritte dauerhaft von terroristischen Aktivitäten abzuhalten.22

Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse blickten die amerikanische Öffentlichkeit und die Welt gespannt auf die kommende NSS von Präsident George W. Bush, um die sicherheitsstrategische Ausrichtung seiner Regierung für die laufende Amtszeit zu erfahren.

Von großem Interesse war vor allem, welche Strategie die Bush-Administration gegen die Bedrohung des Terrorismus vorsieht.23

2.4. Die Nationale Sicherheitsstrategie der Bush-Administration aus dem Jahre 2002

Im Folgenden sollen die wichtigsten Inhalte der NSS von 2002 aufgezeigt werden. Die Inhalte werden zur besseren Übersichtlichkeit entsprechend den Kapiteln der NSS dar.

Am 20. September 2002 stellte US- Präsident George W. Bush den ersten Strategieentwurf seiner National Security Strategy of the United States of America dem Kongress und der Öffentlichkeit vor.24 Sie umfasst 31 Seiten und ist in neun Kapitel gegliedert.25

Im einem Vorwort richtet sich der Präsident George W. Bush an seine Nation. Zusammenfassend erläutert er elementare Bestandteile seiner vorliegenden NSS. Dabei stellt er bereits zu Anfang heraus, welche Position die USA in der gegenwärtigen Weltordnung einnimmt:

„ Today, the United States enjoys a position of unparalleled military strength and great economic and political influence. “ 26

Die Verteidigung der Nation sei die wichtigste Verpflichtung seiner Regierung. Die Sicherheit und der Frieden der USA werden durch den weltweit agierenden Terrorismus bedroht, wie zuletzt die Ereignisse von 9/11 gezeigt hätten. Bush macht daher klar:

„ We will defend the peace by fighting terrorists and tyrants. “ 27

Um dieser Bedrohung und Aufgabe entgegenzuwirken, müssten alle zur Verfügung stehenden Mittel eingesetzt werden, wie militärische Macht, verbesserte innere Sicherheit, Strafverfolgung, geheimdienstliche Tätigkeiten und die Unterbindung des Finanznachschubes für Terroristen, um den „ war against terrorists of global reach “28 führen zu können. Die größte Gefahr läge in diesem Zusammenhang in der Verbindung von Radikalismus und Technologie, wonach die Feinde der USA erklärt haben nach Massenvernichtungswaffen (MVW) zu streben. Die USA würden dies nicht hinnehmen und gegebenenfalls handeln, um zu verhindern, dass MVW in die Hände der Feinde fallen.

Weitere globale Bedrohungen werden ebenfalls angesprochen, wie die globale Armut oder HIV/AIDS. Ebenfalls ist der Präsident überzeugt, dass die angesprochenen Bedrohungen kein Land allein bewältigen kann, sondern multilaterale Institutionen und Bündnisse erforderlich sind.29

Kapitel I: Übersicht über die internationale Strategie der USA

Am Anfang steht die Erkenntnis, dass die USA in ihrer Stärke und ihrem Einfluss konkurrenzlos in der Welt seien. Trotzdem bedrohen scheiternde Staaten und katastrophale Technologien, die in die Hände von Terroristen fallen könnten, ihre Sicherheit. Die USA wollen die Welt im Gegenzug nicht nur sicherer, sondern auch besser machen. Zur Erreichung sieht die NSS und das damit verbundene Handeln vor: (1.) sich für das Streben nach Menschenwürde einzusetzen; (2.) die Bündnisse zu stärken, um globalen Terrorismus zu bekämpfen; (3.) gemeinsam an der Entschärfung regionaler Konflikte zu arbeiten; (4.) Feinde abzuhalten an MVW zu gelangen; (5.) globales Wirtschaftswachstum durch freie Märkte und freien Handel zu erzielen; (6.) Gesellschaften zu öffnen und Demokratie zu fördern; (7.) Pläne für kooperatives Handeln entwickeln; (8.) die eigenen Institutionen nationaler Sicherheit umzugestalten, um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden.30

Kapitel II: Einsatz für die Menschenrechte

Die USA setzen sich für die Verteidigung von Freiheit und Gerechtigkeit der Menschenrechte ein und verurteilen Menschenrechtsverletzungen. Entwicklungshilfe seitens der USA soll dabei die Staaten belohnen, die demokratische Wege einschlagen und für die Förderung der Freiheit verwendet werden.31

Kapitel III: Bündnisse gegen den globalen Terrorismus stärken und Angriffe auf die Vereinigten Staaten und ihre Freunde verhindern

Bereits der erste Absatz macht den Inhalt des Kapitels sehr deutlich:

„ The United States of America is fighting a war against terrorists of global reach. The enemy is not a single political regime or person or religion or ideology. The enemy is terrorism- premeditated, politically motivated violence perpetrated against innocents. “ 32

Folgend wird ausführlich geschildert, wie und mit welchen Mitteln der globale Terrorismus bekämpft werden soll. Als ein Beispiel wird Afghanistan angeführt, woran erkennbar wäre, wie zivilisierte Nationen gegen Regime vorgingen, die den Terrorismus unterstützen.

Bei den Maßnahmen stellen die USA heraus, dass Bedrohungen ausgemacht und ausgeschaltet werden, bevor sie ihre Grenzen erreichen, da die Verteidigung der USA, der Schutz des amerikanischen Volkes und nationale Interessen im Vordergrund stehen. Dabei werden sich die USA ständig um die Unterstützung der internationalen Organisationen bemühen, werden aber auch nicht zögern zu handeln, wenn es notwendig werden sollte, von ihrem Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch zu machen, indem sie präemptiv gegen solche Terroristen vorgehen.33

Die USA will hierfür einen „ war of ideas to win the battle against international terrorism “34 führen, welcher mit dem Einsatz von eigenen Mitteln und Institutionen, sowie der Zusammenarbeit von Verbündeten und Freunden geführt werden soll. Der Terrorismus soll im selben Licht wie Sklaverei, Piraterie oder Völkermord gesehen werden und keinerlei Unterstützung erhalten. Dieser globalen Bedrohung kann des weiteren nur mit Hilfe von Verbündeten und Freunden entgegen gewirkt werden.35

Eine weitere Erkenntnis in diesem Zusammenhang ist die Aussage: „ our best defense is a good offense “ 36, wonach zukünftig gehandelt werden soll.

Kapitel IV: Entschärfung regionaler Konflikte in Zusammenarbeit mit Partnern

In diesem Abschnitt werden diverse regionale Konflikte der Welt benannt und gleichzeitig bewertet. Allen voran steht der israelisch-arabische Konflikt, woran die USA ein großes Interesse zur friedlichen Konfliktbeilegung haben. Indien und Pakistan werden aufgerufen, ihre Auseinandersetzungen beizulegen. Thematisiert werden weiterhin Afrika und Südamerika.37

Kapitel V: Der Bedrohung der USA, ihrer Bündnispartner und Freunde durch MVW vorbeugen

Einleitend wird analysiert, dass sich die Bedrohungslage und die Art der Bedrohungen nach dem Ende des kalten Krieges gewandelt haben. Neue tödliche Gefahren würden demnach nun von Schurkenstaaten und Terroristen ( „ rogue states and terrorists “ )38 ausgehen, welche nach MVW streben und unberechenbar seien, wodurch das Sicherheitsumfeld komplexer und gefährlicher geworden ist. Im Zuge der Definition von Schurkenstaaten werden der Irak, Iran und Nordkorea namentlich als solche kategorisiert.39

Auch in diesem Zusammenhang werden pr ä emptive Mittel zum Schutz in Betracht gezogen:

„ We must be prepared to stop rogue states and their terrorist clients before they are able to threaten or use weapons of mass destruction against the United States and our allies and friends. “ 40

Im Gegenzug müsse sich das Völkerrecht dahingehend ändern, als dass das Konzept der unmittelbaren Bedrohung an die Fähigkeiten und Ziele der heutigen Gegner angepasst wird.

Die USA werden gegebenenfalls pr ä emptiv handeln, um dargestellte feindliche Akte ihrer Gegner zu vereiteln oder ihnen vorzubeugen. Trotzdem halten sie fest: „ The United States will not use force in all cases to preempt emerging threats, nor should nations use preemption as a pretext for aggression. “ 41

Kapitel VI: Freie Märkte und freier Handel- Einleitung einer neuen Ära globalen Wirtschaftswachstums

Die USA will sich für eine starke Weltwirtschaft und den Wohlstand in der restlichen Welt einsetzen. Starke Wirtschaften seien allerdings nur mit der freien Marktwirtschaft möglich. Durch eine stabile Weltwirtschaft würde sich auch die nationale Sicherheit der USA erhöhen.42

Kapitel VII: Ausweitung des Entwicklungsprozesses durch Öffnung von Gesellschaften und den Aufbau demokratischer Strukturen

Im Kern steht die Erkenntnis, dass jahrelange Entwicklungshilfe den ärmsten Ländern der Welt nicht zu einem Wirtschaftswachstum verholfen hat. Dies sei vor allem damit verbunden, dass die politischen Rahmenbedingungen für einen Aufbau nicht vorhanden sind. Daher möchten die USA künftig dort mehr Engagement und Hilfe leisten, wo Regierungen tatsächliche politische Richtungsänderungen vorgenommen haben. Ziel ist es, das BIP der Volkswirtschaften der ärmsten Länder der Welt innerhalb von zehn Jahren zu verdoppeln.43

Kapitel VIII: Entwicklung von Agenden für die Zusammenarbeit mit anderen wichtigen Hauptzentren der Welt

In diesem Abschnitt äußert sich die Strategie zu den weiteren Machtzentren der Welt. Zunächst wendet sie sich der NATO zu, welche nach 9/11 erstmals den Bündnisfall ausrief. Es wird darauf hingewiesen, dass sich die NATO den kommenden, veränderten Bedrohungsszenarien anpassen und beispielsweise schneller und flexibler werden muss. Gleichzeitig begrüßen die USA die Bemühungen der Europäischen Union, eine größere außen- und sicherheitspolitische Identität aufzubauen, welche mit der NATO zusammen funktionieren soll.44

Weiterhin sehen die USA die Möglichkeit einer erneuten Großmachtrivalität mit den potenziellen Großmächten Russland, Indien und China. Trotzdem wurden in allen drei Fällen in der letzten Zeit die Hoffnungen bestärkt, einen Konsens über grundlegende Prinzipien zu finden.45

Kapitel IX: Transformation amerikanischer nationaler Sicherheitsinstitutionen, um Herausforderungen zu meistern und Möglichkeiten zu nutzen

Das schließende Kapitel beschäftigt sich mit den eigenen Institutionen und Instrumenten. Dabei wird dem Militär eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet:

[...]


1 Vgl. Bush 2002: http://www.washingtonpost.com/wp-srv/onpolitics/transcripts/sou012902.html

2 Vgl. Staack/Voigt 2004: 9.

3 Vgl. Schmidt 2004: 698/699.

4 Vgl. Duden 1997: 775.

5 Vgl. Walker III. 2009: ix.

6 Vgl. http://www.whitehouse.gov/administration/eop/nsc/

7 Vgl. http://www.worldlingo.com/ma/enwiki/de/NSC-68

8 Vgl. http://www.zeitenschrift.com/magazin/65_amerikas_entwicklungsplan_fuer_die_welt.ihtml

9 Vgl. Kunde 2006: 162.

10 Vgl. http://www.ndu.edu/library/goldnich/goldnich.html

11 50. Buch des United State Code unter: http://www.law.cornell.edu/uscode/html/uscode50/usc_sup_01_50.html

12 15. Kapitel des 50. Buches des United State Code: http://www.law.cornell.edu/uscode/html/uscode50/usc_sup_01_50_10_15.html

13 §404a, 15. Kapitel des 50. Buches des United State Code unter: http://www.law.cornell.edu/uscode/html/uscode50/usc_sec_50_00000404---a000-.html

14 Vgl. ebenda.

15 Vgl. ebenda.

16 Vgl. Keller 2010: 3.

17 Zaborowski 2008: 105.

18 Vgl. http://www.un.org/Depts/german/un_charta/charta.pdf: 11 und 13.

19 Vgl. Schmidt- Radefeldt 2005: 167.

20 Vgl. http://www.nato.int/docu/other/de/treaty-de.htm

21 Vgl. Forsteneichner 2006: 21.

22 Vgl. Schmidt-Radefeldt 2005: 166.

23 Vgl. Keller/Mitchell 2006: 3.

24 Vgl. Wille 2006: 11.

25 Vgl. „The National Security Strategy of the United States of America, September 2002“, im Folgenden als NSS 2002 bezeichnet, einsehbar unter: http://www.au.af.mil/au/awc/awcgate/nss/nss_sep2002.pdf

26 NSS 2002: Vorwort des Präsidenten, keine Seitenangabe.

27 Ebenda.: keine Seitenangabe.

28 Ebenda.: keine Seitenangabe.

29 Vgl. ebenda.: keine Seitenangabe.

30 Vgl. ebenda.: 1-2.

31 Vgl. ebenda.: 3-4.

32 Ebenda.: 5.

33 Vgl. ebenda.: 5-6.

34 Ebenda.: 6.

35 Vgl. ebenda.: 5ff.

36 Ebenda.: 6.

37 Vgl. ebenda.: 9-11.

38 Vgl. ebenda.: S.13 Anmerkung: Der Begriff des Schurkenstaates oder rogue state wurde medial oft der Administration von George W. Bush zugeschrieben. Tatsächlich wurde der Begriff des rougue states bereits in der Regierung Clintons in seiner NSS aus dem Jahre 1998 verwendet. Siehe dazu NSS 1998 unter: http://www.au.af.mil/au/awc/awcgate/nss/nssr-1098.pdf: 6.

39 Vgl. ebenda.: 13.

40 Ebenda.: 14.

41 Ebenda.: 15.

42 Vgl. ebenda.: 17-20.

43 Vgl. ebenda.: 21-23.

44 Vgl. ebenda.: 25-26.

45 Vgl. ebenda.: 26-27.

Ende der Leseprobe aus 54 Seiten

Details

Titel
Die Europäische Sicherheitsstrategie der Europäischen Union und die National Security Strategy der Vereinigten Staaten von Amerika - eine Analyse der Sicherheitsstrategien
Untertitel
Welche Entwicklungen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zeigen beide Sicherheitsstrategien im analytischen Vergleich?
Hochschule
Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg  (Professur/ Lehrstuhl für Politikwissenschaft, insbesondere Theorie und Empirie der Internationalen Beziehungen)
Veranstaltung
Politik - Internationale Politik - Thema: Europäische Union und USA
Note
2,3
Autor
Jahr
2011
Seiten
54
Katalognummer
V188814
ISBN (eBook)
9783656125617
ISBN (Buch)
9783656125839
Dateigröße
674 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Europäische Union, EU, Europäische Sicherheitsstrategie, ESS, USA, National Security Strategy, NSS, Bush, Obama, Globale Bedrohungen, globale Herausforderungen, 11.September 2001, Gemeinsamkeiten und Unterschiede, non-polare Weltordnung, Sicherheitspolitik, Terrorismus, Bericht zur Umsetzung der ESS, Strategie, vernetzte Sicherheit, internationale Ordnung, Gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik, GASP, Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik, Vertrag von Lissabon, Verhältnis zur NATO und den Vereinten Nationen
Arbeit zitieren
Sascha Tiedemann (Autor:in), 2011, Die Europäische Sicherheitsstrategie der Europäischen Union und die National Security Strategy der Vereinigten Staaten von Amerika - eine Analyse der Sicherheitsstrategien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/188814

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