Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Kurzfassung
1. Selbstwert der Jugendlichen: Eine Anwendung der Verfügbarkeitsheuristik
1.1 Adoleszenz
1.2 Das Selbstkonzept
1.3 Selbstwert
1.4 Einfluss interpersonaler Beziehungen
1.5 Stabil oder manipulierbar?
1.6 Verfügbarkeitsheuristik
1.7 Schlussfolgerung und Hypothese
2. Methode
2.1 Stichprobe
2.2 Ablauf
2.3 Versuchsplan
2.4 Fragebogen und Messungen
2.4.1 Messung der Relevanz (Vorerfahrung/Involviertheit)
2.4.2 Messung der Attraktivität
2.4.3 Messung des Autonomiebedürfnisses
2.4.4 Manipulation
2.4.5 Manipulations-Check
2.4.6 Messung der Selbstwirksamkeit
2.4.7 Messung des momentanen Selbstwerts
2.5 Resultate
2.5.1 Manipulations-Check
2.5.2 Kontrollvariable Relevanz
2.5.3 Selbstwert
2.5.4 Korrelationen mit Selbstwert
3. Diskussion
4. Zusammenfassung
5. Literaturverzeichnis
Anhang
Kurzfassung
Der Gegenstand dieser Studie bezieht sich auf den Selbstwert, die emotionale Komponente des Selbstkonzepts. Er stellt einen sensiblen Bereich dar, die Bewertung der eigenen Person. Der Selbstwert wird allgemein aus unterschiedlichen Quellen gespeist. Man kann z.B. zwischen Kompetenz- und Beziehungsebene (Brennan & Bosson, 1998) unterscheiden. Besonders bei Personen in der Adoleszenz unterliegt der Selbstwert noch großen Schwankungen. Sie sind in ihrem Selbstkonzept unsicher und können noch nicht auf viel Kompetenzerfahrung zurückgreifen. Deshalb sollte in diesem Alter der Selbstwert stark von den interpersonalen Erfahrungen, besonders mit den gegengeschlechtlichen Peers, abhängig sein. Ein Experiment mit der Anwendung der Verfügbarkeitsheuristik soll Aufschluss geben, ob die gemachten Erfahrungen auf der Beziehungsebene eine wichtige Quelle des Selbstwertes Jugendlicher darstellt. Zu diesem Zweck wurden 134 Personen im Alter zwischen 14 und 16 Jahren beiderlei Geschlechts an ihren Schulen befragt. Es zeigte sich eine 3-fach Wechselwirkung, jeweils signifikant, zwischen Geschlecht, Art der Erfahrung (positiv oder negativ) und der Anzahl der Erfahrungen (leichte vs schwere Bedingung). Die männlichen Probanden wandten im Gegensatz zu den weiblichen die Verfügbarkeitsheuristik an. Es wird diskutiert, ob dieser erfasste Unterschied auf tatsächliche Unterschiede im Selbstkonzept der Geschlechter zurückgeht.
Selbstwert bei Jugendlichen: Eine Anwendung der Verfügbarkeitsheuristik
„ Du magst mich, also bin ich? “
Personen nehmen es als selbstverständlich, vom Selbstwert zu sprechen. Er ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis (need for self-esteem). Menschen unterscheiden sich jedoch bezüglich ihrer Selbstbewertung. Es gibt große interindividuelle Unterschiede und diejenigen, denen ein hoher Selbstwert nachgesagt wird, werden im Allgemeinen darum beneidet. Fragt man die Betreffenden jedoch selber, kommt es oft zu ganz anderen Aussagen und Beurteilungen. Oft weichen die Fremdbeurteilungen sehr stark von den Eigeneinschätzungen ab. Hier stellt sich die Frage, warum der Betreffende, trotz anscheinend überzeugendem Auftreten, sich selber nicht als kompetent oder gar liebenswert einschätzt. Woher kommt diese Selbsteinschätzung? Auf was begründet sich der an sich selbst wahrgenommene Wert und durch welche Faktoren wird er beeinflusst? Dieses Gefühl der Zuneigung für einen selbst und dem Wert und Nutzen als eine Person unterliegt Schwankungen, die von Situationen, Stimmungen oder Erlebnissen abhängig sein können (Markus & Kunda, 1986). Es stellt keine dauerhafte Persönlichkeitsgröße dar, sondern unterliegt intraindividuellen Unterschieden, abhängig vom jeweiligen Kontext. Viele kennen das deprimierende Gefühl, wissen, wie gering man sich fühlt, nachdem man eine Absage in Herzensangelegenheiten bekommen hat oder können berichten, wie wunderbar man die Welt und vor allem sich selbst sieht, wenn man eine Prüfung unerwarteter Weise gut abgeschlossen hat. Besonders beim Jugendlichen, der sich noch ganz am Anfang befindet, sich eine eigene Identität aufzubauen und noch nicht auf Dinge wie beruflichen Erfolg oder Verdienst zurückgreifen kann, auf stabile Errungenschaften, die einen Hintergrund zur eigenen Definition liefern, und für den die Schulnoten gänzlich in den Hintergrund rücken um den eigenen Erfahrungen der Veränderung des Körpers und der Entdeckung des anderen Geschlechts Platz zu machen, gerade hier sollte der Selbstwert in besonderem Maße von den gemachten Erfahrungen im zwischenmenschlichen Bereich abhängig sein. Davon ausgehend, dass die eigene Werteinschätzung Schwankungen unterliegt, sollte untersucht werden, was diese Schwankungen bewirkt. Um dies zu bewerkstelligen ist es notwendig, bei Personen Situationen und Kontext zu manipulieren. Durch gezielte Beeinflussung müsste der Selbstwert in Wunschrichtung veränderbar sein. Um dies auch ethisch vertreten zu können und keinen bleibenden Schaden anzurichten wurde für diese Arbeit die Verfügbarkeitsheuristik untersucht. Sie lenkt die Aufmerksamkeit einer Person auf sich selbst und was im Moment gedanklich verfügbar ist. Die Manipulation findet nur im Kopf statt und die Effekte treten, und dies ist das Ausschlaggebende, nur temporär auf. Es werden durch die jeweiligen Instruktionen bei den Probanden verschiedene Erinnerungen aktiviert, die aufgrund der hier aufgestellten Hypothese unterschiedlich auf die Selbstwert-Selbsteinschätzung wirken sollen. Je nach der Anzahl der geforderten erinnerten Beispiele fällt es einer Person leichter oder schwerer, diese Gedächtnisaufgabe zu bewältigen. Zudem sollte die Lenkung auf positive Erfahrungen anders auf die Einschätzung des eigenen Selbstwertes wirken als negative Erinnerungen. Mit dieser experimentellen Studie sollte es möglich sein, den Einfluss von interpersonalen Beziehungen auf den Selbstwert ein Stück weit besser zu verstehen.
1.1 Adoleszenz
In der Zeit zwischen dem 12. und 18. Lebensjahr macht der Mensch eine Entwicklung durch, die ihn von der Kindheit ins Erwachsensein führt. Diese sehr schwierige Phase bedeutet für die jeweilige Person, alles in Frage zu stellen, sich neu zu orientieren, vieles hinter sich zu lassen, zu revoltieren und schließlich zu sich selbst zu finden. Der Jugendliche erfährt enormes Körperwachstum, zudem entwickelt sich die Geschlechtsreife, die alle Werte der Gleichheit und Kontinuität, die als sicher betrachtet wurden, in Frage stellt. Bestehende Identifikationen brechen auf und führen zum Verlust der bisherigen Selbstdefinition. Dieser innerliche Aufruhr führt beim Jugendlichen zu vermehrtem Interesse, wie er in den Augen anderer erscheint, verglichen mit dem Gefühl, das er selbst von sich hat. Er stempelt auf der Suche nach einem neuen Kontinuitäts- und Gleichheitsgefühl sogar wohlwollende Menschen künstlich zu Feinden und muss für sich viele Kämpfe durchfechten. Dieser Zustand lässt sich umfassend mit der Suche und dem Aufbau der Ich-Identität beschreiben (Erikson, 1995). In der Phase der Adoleszenz ist die eigene Identitätsfindung das Thema schlechthin. Der physische Reifeprozess in der Pubertät regt Aktivitäten an, neue Beziehungen zu Gleichaltrigen des anderen Geschlechts aufzunehmen. Der Jugendliche muss seine veränderte körperliche Erscheinung akzeptieren und beginnt, den eigenen Körper effektiv zu nutzen. Gleichzeitig entwickelt sich eine emotionale Unabhängigkeit von den Eltern und anderen Erwachsenen. Mit der langsamen Übernahme der weiblichen bzw. männlichen Geschlechtsrolle findet beim jungen Menschen eine Loslösung vom Elternhaus statt. Partnerbeziehungen bilden sich aus, Selbsterkenntnis beginnt, sich zu entwickeln und die Zukunft wird in die Planung konkret mit einbezogen (Oerter & Dreher, 1998).
Der Heranwachsende muss, um sich in der Erwachsenenwelt zu orientieren, seine eigenen Werte und seine Position innerhalb der Gesellschaft finden. Er bringt seine eigene innere Revolution nach außen, indem er provoziert und alles Herkömmliche, seit jeher Akzeptierte, plötzlich in Frage stellt. Konkret heißt das, der Adoleszent muss eine eigene Ich-Identität entwickeln, ein Konzept aufbauen für sich, das eigene Selbst. Er muss sich selbst kennen lernen, wissen, wer er ist und worin über Zeit, Situation und soziale Kontexte hinweg die eigene unverwechselbare Person begründet ist (Blasi, 1988). Deshalb steht auch das Jugendalter für eine nun beginnende Selbstreflexion, die beim jungen Menschen eine erhöhte Selbstaufmerksamkeit mit sich bringt und eine hohe Sensibilität für Defizite bzw. Verletzungen des Selbst erzeugt. Die eigene Leistung und vor allem die Akzeptanz im sozialen Umfeld werden zur Voraussetzung für eine angemessene Identitätsentwicklung. Der Einfluss der Peergruppe wird größer, sie löst die Familie ab, wobei in vielen Fällen erst eine eingegangene Partnerschaft tatsächlich zur eigentlichen Trennung von der Familie führt. Aus diesem Grund kommt der Peergruppe eine wichtige Funktion zu. Sie bietet dem Jugendlichen die Möglichkeit, neue Bezugspersonen zu finden, die den Ablöseprozess stärken und zugleich neue Formen der Beziehungen vermitteln. Dies trägt zur Identitätsfindung bei, indem es dem in seiner Entwicklung zum Erwachsenen befindenden Menschen Identifikationsmöglichkeiten, Lebensstile und Bestätigung der Selbstdarstellung bietet. Gerade bei den 14- Jährigen wird die heterosexuelle Freundschaft wichtig (Buhrmester & Furmann, 1987). Viele Aktivitäten in der Peergruppe dienen einer instrumentellen Rolle für die Aufnahme von gegengeschlechtlichen Beziehungen. Mehr und mehr werden Orte aufgesucht, die es ermöglichen, sich dem anderen Geschlecht zu nähern. Somit dienen Orte und Peerbeziehungen als Mittel zum Zweck. Wie zu erwarten besteht auch ein Zusammenhang zwischen dem Selbstwertgefühl und dem Eingehen von Partnerschaften (Silbereisen & Noack, 1990). Größten Zuwachs im Selbstwert hatten die Erfolgreichen, die eine Partnerbeziehung zu Beginn der Studie hatten oder bei denen sich in der Zwischenzeit eine entwickelte. Die relative Bedeutung einer Partnerschaft für die Gesamtentwicklung des Jugendlichen und seiner Identität zeigte auch schon Fend (1990), in seiner Konstanzer Längsschnittstudie. Dort wurden die Entwicklungsverläufe der Bevorzugung von Eltern, gleichgeschlechtlichen Peers und gegengeschlechtlichen Partnern gegenübergestellt. Im Alter zwischen 12 und 16 Jahren sinkt die Präferenz der Eltern ab, während die Präferenz zum anderen Geschlecht schon von Anfang an über der Bevorzugung von Partnern des eigenen Geschlechts liegt und stetig ansteigt. Aufgrund dieser sensiblen Phase für die Entwicklung der Identität und dieser verstärkten Interessensrichtung hinsichtlich heterosexueller Beziehungen sollte es für einen Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 16 Jahren, also in seiner mittleren Adoleszenz, von besonderer Wichtigkeit für seinen Selbstwert sein, ob und wie viel bestätigende oder ablehnende Erfahrungen er sammelt bezüglich Personen des anderen Geschlechts.
1.2 Das Selbstkonzept
Identität ist im psychologischen Sinne die einzigartige Persönlichkeitsstruktur, verbunden mit dem Bild, das andere von dieser Persönlichkeitsstruktur haben und dem eigenen Verständnis, für das, was man ist bzw. sein will. Jeder muss für sich persönlich herausfinden, wer er ist und wer er nicht ist, d.h. sein Selbst, das mit dem Begriff Identität verwandt bzw. größtenteils deckungsgleich ist (Oerter & Dreher, 1998), definieren. Der Aufbau von Selbstkonsistenz entspricht der Ausbildung der Ich - Identität. Das Selbst, mit seinen eigenen Werten und Vorstellungen und seiner Position in der Gesellschaft muss sich entwickeln und formen. Dies wird durch Prozesse der Selbsterkenntnis und der Selbstgestaltung vorangetrieben. Sich selbst zu erkennen und sich selbst zu gestalten und zu formen sind nach Bosma (1985) die zwei Grundbemühungen eines Menschen. Diese Selbstwahrnehmung und -erkenntnis stehen für das Selbst im phänomenologischen Sinn und können auch als Selbstkonzept bezeichnet werden. Das Selbstkonzept stellt ein stabiles System der eigenen Person dar, das Bild, das ein Mensch von sich selber hat. Es kann durch verschiedene Bausteine erfasst werden. Zumeist handelt es sich hierbei um die affektive und die kognitive Komponente. Letztere beinhaltet das Wissen über sich und die Selbstwahrnehmung. Als wichtiger Aspekt davon wird häufig das Fähigkeitskonzept (Kompetenzeinschätzung) erfasst, das mit dem Selbstwert in enger Beziehung steht (Oerter, 1989). Der affektive Teil wird durch das Selbstvertrauen (self-assurance) und den Selbstwert (self-esteem) definiert (Oerter & Dreher, 1998).
1.3 Selbstwert
Als emotionaler Teil des Selbstkonzeptes steht der Selbstwert für einen sensiblen Bereich, die Bewertung. Eine Person wird durch sich selbst und durch die soziale Umwelt bewertet. Der eigene Selbstwert ist keine eigenschaftsübergreifende dauerhafte Größe, sondern unterliegt je nach Bereich, Situation und eventuell weiteren Faktoren Schwankungen. Er stellt ein grundlegendes menschliches Bedürfnis dar und wird durch den Mechanismus zweier spezifischer Quellen aufrechterhalten: durch die eigene Kompetenzeinschätzung und durch interpersonale Beziehungen (Brennan & Bosson, 1998). Dies könnte man ungefähr mit dem Bindungssystem Bowlbys vergleichen, bestehend aus dem Bindungsverhalten (working model of attachment) und der Exploration in der Kindheit (Bowlby, 1973)). Die Selbstannahme (self- liking), abhängig von interpersonalen Beziehungen, erscheint dem, was Bowlby als Konsequenz von Bindungssicherheit für das Selbst beschrieb, ähnlich. Die eigene Kompetenzüberzeugung könnte der von Bowlby bezeichneten Bewältigungskompetenz (mastery) entsprechen, die aus geschickten, erfolgreichen und sicheren Explorationen der Umwelt gewonnen wird. „When individuals of any age are feeling secure they are likely to explore away from their attachment figure“( p.3). Demnach kann eine Person, die eine sichere Beziehung zu einer Bezugsperson hat, sich selbst annehmen und hat genügend positive Voraussetzungen, nach außen zu gehen und die Umwelt erfolgreich zu erforschen. Andererseits kann ein niederer Selbstwert einen gefährlichen Teufelskreis auslösen, der aufgrund unsicherer Selbstannahme zu einer negativen Selbstwirksamkeitserwartung führt, der eine geringe Anstrengung und große Angst folgen, was zu Versagen, Selbstvorwürfen und daraus folgend zu noch geringerem Selbstwert führt.
Beide Komponenten, die eigene Einschätzung der Kompetenz und die Annahme des eigenen Selbst sollten nach Brennan und Morris (1997) unabhängig voneinander zu erfassen sein. Es zeigte sich tatsächlich in deren Studie, dass die Selbstannahme und die eigene Kompetenzeinschätzung nur mäßig korreliert waren und somit die Separierung der beiden Komponenten möglich, wenn nicht gar wünschenswert ist (Brennan & Morris, 1997). Auch Taferodi und Milne (2002) unterscheiden diese beiden Seiten des Selbstwertes in ‚was eine Person machen kann’ und ‚was eine Person ist’. Sie gehen davon aus, dass der Selbstwert mit einem Rechteck komparabel ist: er setzt sich durch Selbstkompetenz und Selbstannahme so zusammen „just [as] the size of the rectangle is nothing more nor less than the composite of its length and width.“(S.445).
1.4 Einfluss interpersonaler Beziehungen
Baldwin (1992) zufolge ist die Identität oder das Selbstkonzept sozial eingebettet. Man erfährt, wer man ist, nur in der Relation zu anderen. In Studien, die mit unterschwelliger Aktivierung (priming) arbeiteten, waren Probanden selbstkritischer und bestürzter, wenn die unterschwellig präsentierten Zuschauer kritischer waren (Baldwin und Holmes, 1987). Genauso schätzten sich Studenten selbst negativer ein, wenn ihnen das finstere Gesicht einer wichtigen Person geprimed wurde (Baldwin, Carrell und Lopez, 1990). Zu dem Schluss, dass interpersonale Beziehungen Einfluss auf das Selbstkonzept und im genaueren auf den Selbstwert haben, kommen auch Hinde, Finkenauer und Auhagen (2001) in ihrem Artikel. Das eigene Selbstkonzept ist demnach eine Reflektion der Wahrnehmung und Meinungen anderer über das eigene Selbst. Obwohl es wenig bis keine Übereinstimmung zwischen den Selbstwahrnehmungen von Personen gibt und wie sie tatsächlich von anderen wahrgenommen werden, gibt es jedoch eine bedeutende Kongruenz zwischen der Selbstwahrnehmung der Personen und ihrer Einschätzung, von anderen wahrgenommen zu werden. Das Selbstkonzept entwickelt sich dementsprechend aus sozialen Interaktionen (Internalisierung). Namentlich der Selbstwert ist von diesen Einschätzungen und Wahrnehmungen abhängig. Leary, Tambor, Terdal und Downs (1995) zufolge werden die erfahrenen Annahmen oder Ablehnungen durch andere von einer Person summiert. Ein niederer Selbstwert, als Trait (trait self-esteem) wie auch als State (state self-esteem), bringt deshalb ein Bedürfnis nach zustimmender interpersonaler Verbindung zum Ausdruck. So gesehen dient der Selbstwert als Messgerät für interpersonale Akzeptanz.
Beim Jugendlichen, auf seiner Suche nach sich selbst, dürfte diesem Punkt noch mehr Brisanz zukommen. Ist er doch inmitten des Aufbaus seiner Identität und dadurch in ganz besonderer Weise von den gemachten Erfahrungen mit anderen abhängig. Brown (1998) bringt es umfassend auf den Punkt, indem er sagt, dass die Gefühle von Zugehörigkeit und Bewältigungskompetenz, die er als definierende Merkmale eines hohen Selbstwertes sieht, am besten in einem Kontext einer sicheren interpersonalen Beziehung erschaffen werden, in der eine Person bedingungslos akzeptiert und geliebt wird. Diese Aussage führt direkt zu einer speziellen Erscheinungsform der Zuneigung zwischen zwei Menschen, zur Verliebtheit. Aron, Paris und Aron (1995), konnten zeigen, dass sich bei Personen, die sich glücklich verliebt haben, eine Steigerung in ihrer Selbstwirksamkeitserwartung und dem Selbstwert nachweisen lässt. Begründet wird dies unter anderem dadurch, dass der in unserer westlichen Welt erwünschte Zustand der Verliebtheit eine Entdeckung darstellt, durch die man herausfindet, dass eine andere Person das eigene Selbst mag. Dies wiederum dient als „Beweis“ für den Wert des Selbst. Wenn eine Person, die man persönlich hoch einschätzt, die wichtig für einen geworden ist durch ein starkes Gefühl des Hingezogen-Seins, nun dieses persönliche Interesse erwidert, wirkt es in höchstem Maße bestätigend. Der Selbstwert wird in Abhängigkeit von positiver Resonanz von für uns bedeutender Personen gesteigert. Diese wichtigen Personen stellen bei Jugendlichen vor allem gegengeschlechtliche Peers dar. In ihrer besonderen Situation mit der Entwicklungsaufgabe, eine Identität zu formen und ihr Selbst zu finden, ist für die Adoleszenten von ganz ausgeprägtem Interesse, wie die Umwelt auf sie reagiert. Je nach Erfahrung von Bestätigung oder Ablehnung durch andere sollte ihre Selbstwerteinschätzung differieren.
1.5 Stabil oder manipulierbar?
Schon früh wurde das Selbstkonzept als etwas angesehen, das organisiert und konsistent ist, jedoch zugleich fluktuierende Teile in sich birgt (Rogers,1951). Rogers sprach in seiner Beschreibung des Selbstkonzeptes von einer Struktur, die sich verändern würde, aber in ihrer Qualität gleich bliebe. Das Selbstkonzept ist nach ihm eine durch Erfahrungen gebildete und sich verändernde Struktur von Wahrnehmungen, Empfindungen und Werthaltungen, die Personen bezogen auf sich selbst haben. Menschen sei es angeboren, sich selbst zu erhalten und weiterzuentwickeln. Ihr Selbstkonzept verändere sich ständig in Abhängigkeit von der Selbsterfahrung. Die Forschung befasste sich lange Zeit intensiv mit dem Nachweis einer Stabilität. Befunde berichten von Probanden, die ihr Selbstkonzept aufrecht und stabil halten, indem nur die Informationen beachtet werden, die mit dem eigenen Bild übereinstimmen, alles Abweichende wird ignoriert oder abgelehnt (Markus & Kunda, 1986). Wie kann man diese Ergebnisse mit der Erfahrung vereinbaren, in den unterschiedlichsten Momenten ein verändertes Bild von sich selber wahrzunehmen? Um sich vorstellen zu können, wie Stabilität mit gleichzeitiger Fluktuation funktionieren könnte, wurde ein Erklärungsversuch unternommen. Das Modell stammt von Markus und Kunda (1986). Sie gehen davon aus, dass das Selbstkonzept einer Person aus vielen guten und schlechten Selbst besteht, aus „the good selves, the bad selves, the hoped-for selves, the feared selves, the ought selves“(S.859). Das Selbstkonzept, nach Markus und Kunda das „working self-concept“(S.859), welches im weiteren Text als temporäres Selbstkonzept bezeichnet wird, soll in einem vorgegebenen Moment eine Teilmenge oder Untergruppe eines Universums an Selbstkonzepten sein. Welche Teilmenge zuvor aktiviert war, was von der Person heraufbeschworen wurde durch Erlebnisse oder Situationen oder ganz besonders wichtig, was durch die soziale Situation zur gegebenen Zeit hervorgelockt wurde, bestimmt den Inhalt eines bestimmten temporären Selbstkonzeptes. Folglich ist das temporäre Selbstkonzept eine zeitlich begrenzte Struktur, die durch laufende soziale Ereignisse bestimmt wird. Es kann, nach Markus und Kunda, innerhalb des Universums als stabil angesehen werden. Verschiedene Selbstkonzepte variieren in ihrer Zugänglichkeit abhängig von Affekten, motivationalen Zuständen oder sozialen Kognitionen. Veränderungen im Inhalt des temporären Selbstkonzeptes können weitreichende Konsequenzen für die Stimmung, für die direkten Gedanken und Handlungen und natürlich auch für den Selbstwert haben. Dieses Fluktuierende im Selbstkonzept ist sehr subtil. Es wird jedoch unter den meisten Umständen eine Revision oder Reorganisation von wichtigen selbstrelevanten Gedanken oder Gefühlen zur Folge haben. Dies zeigte sich in einer Studie, in der die Probanden unter einer experimentellen Bedingung mit verschiedenen Selbstkonzepten auf manipulierte Feedbacks bezüglich des eigenen Selbstkonzeptes reagierten (Markus & Kunda, 1986). Es besteht somit eine systematische Beziehung zwischen Selbstkonzepten und Informationen über diese Konzepte, die von der sozialen Umwelt empfangen werden. Je nach empfangener Information wird das entsprechende Selbst aktiviert. In diesem Sinne ist das temporäre Selbstkonzept situationsabhängig.
Auch nach Hinde, Finkenauer und Auhagen (2001) hat das Selbstkonzept keine statische Struktur, sondern wechselt mit Situationen, Alter, Stimmungen und sonstigen äußeren Einflüssen. Der Einfluss des Alters erfolgt aus einer entwicklungsbezogenen Perspektive, da Entwicklung durchgehend in jedem Alter ein Leben lang stattfindet. Zusätzlich sehen sich Personen anders, abhängig von der jeweiligen Situation, in der sie sich gerade befinden., ob z.B. während der Arbeit oder im Privatleben zu Hause. Wie ein Mensch sich wahrnimmt, kann von vielen Faktoren abhängig sein. Er verhält sich so, als ob er zwischen den vielen Selbst, die er sein könnte, auswählen würde.
Dies dürfte auch eine bestimmte Wahl des Selbstkonzeptes, beeinflusst durch äußere Einflüsse, wie zum Beispiel Peerdruck, involvieren (Hinde et al., 2001). Ist es für die Peergruppe wichtig, das andere Geschlecht zu beeindrucken, wie es besonders bei Jugendlichen der Fall ist, so spiegelt sich das im eigenen Selbstkonzept wider. Die jungen Menschen versuchen, durch ihr Verhalten und ihr Äußeres zu gefallen, dem anderen Geschlecht zu imponieren. Dadurch wird die Einschätzung des eigenen Selbstwerts von der Wahrnehmung abhängig, wie man bei gegengeschlechtlichen Personen ankommt. Was die Peers vorgeben, was „cool“, gut und wünschenswert ist, wird aufgenommen, integriert und zeigt sich in der Definition des eigenen Selbst. Wenn schon das Selbstkonzept keine statische Struktur bildet, so sollte der emotionale Teil, der Selbstwert, Einflüssen noch stärker unterliegen. Nach Brown (1998) kann man den Selbstwert in State oder Trait unterteilen. Mit dieser Differenzierung sollten Gefühle wie Stolz auf sich selbst oder situative Scham, die gleichbedeutend für ein momentan hohes bzw. geringes Selbstwertgefühl sind, die jedoch nicht über die Zeit anhalten, erklärt werden. Es wird in eine stabile Form unterteilt, dem globalen Selbstwert, der sich als Trait durchzieht und in einen flexiblen Teil, der die jeweiligen Situationen und Entwicklungsstände abzeichnet, den Selbstwert als State. Der globale Selbstwert (trait self-esteem) steht dafür, wie Menschen, hier die Jugendlichen, sich generell in Bezug auf sich selbst fühlen. Der momentane Selbstwert (state self-esteem) hingegen ist der augenblickliche emotionale Zustand, der aus einem positiven oder negativen Ereignis heraus entsteht. Hierunter wird zum Beispiel das Gefühl verstanden, das sich meist direkt nach einer Abweisung einer Annäherung einstellt und das zum sofortigen Zeitpunkt erfassbar ist. Die Person fühlt sich schlechter. Der Selbstwert „leidet“, die eigene Einschätzung tendiert zum Negativen. Das Bild, das man von sich selber hat, wird für einen Augenblick farbloser. Die eigene Einschätzung reagiert kurzfristig auf die gemachte Erfahrung von Desinteresse oder gar Ablehnung.
Ist der Selbstwert von verschiedenen Faktoren abhängig, zieht dies wichtige Konsequenzen in der Forschung nach sich. Es sollte möglich sein, einen hohen oder niederen Selbstwert zu kreieren, indem Personen experimentell so beeinflusst werden, dass sie sich gut oder schlecht bezüglich sich selbst fühlen (Brown, 1998). Wenn der Selbstwert, zumindest als State, manipulierbar ist, stellen sich folgende Fragen: Welche Faktoren verändern den Selbstwert? Unter welchen Umständen lässt er sich beeinflussen? In welche Richtung wirken sich diese Einflussfaktoren aus? Der momentane Selbstwert macht Experimente möglich indem man typischerweise einer Person positive oder negative relevante Rückmeldungen gibt (Leary et al, 1995). Als abhängige Variable wird nach dem Feedback der Selbstwert erfasst. Dessen Veränderung spiegelt den Einfluss der unterschiedlichen unterstützenden oder bedrohenden Erlebnisse wider und liefert dadurch Informationen über beeinflussende Faktoren, wie z.B. in diesem Falle die Erfahrungen mit interpersonalen Beziehungen gegengeschlechtlicher Personen in der Adoleszenz.
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