Am 15. und 16. August 1801, schreibt Kleist einen Brief an seine Verlobte Wilhelmine von Zenge. Darin fragt er sich unter anderem ob Gott von den Menschen Verantwortlichkeit fordern kann, „wenn man seit Jahrtausenden noch zweifelt, ob es [überhaupt] ein Recht gibt“ . Wenn wir nicht wissen was gut oder böse ist, was heißt es dann böses zu tun?
Was heißt das auch, etwas Böses tun, der Wirkung nach? Was ist böse? Absolut böse? Tausendfaltig verknüpft und verschlungen sind die Dinge der Welt, jede Handlung ist die Mutter von Millionen andern, und oft die schlechteste erzeugt die besten – Sage mir, wer auf dieser Erde hat schon etwas Böses getan? Etwas das böse wäre in alle Ewigkeit fort-?
Dieser Brief, behauptet Jürgen Schröder, lese sich „wie eine Quelle und ein Kommentar des gesamten Novellenwerks, vor allem aber des ‚Findlings’“ . Könnte dieser Brief also die Lösung sein, zu all den Fragen die die Novelle stellt? Wer ist der Böse in diesem Werk und wer trägt die Schuld an der Tragödie? Ist es Nicolo der undankbare Stiefsohn oder vielleicht doch sein Vater Piachi, der ihn in eine Rolle drängt in der er sich nicht selbst verwirklichen kann? Welche Rolle spielt dabei die Adoptivmutter Elvire? Hat sie Nicolo verführt oder ist sie doch nur ein Opfer?
Neben der Schuldfrage, wird auch die Frage danach, was Kleist uns mit dieser Novelle mitteilen und wen oder was er kritisieren wollte, thematisiert. Ziel der Hausarbeit ist es, einen Überblick über die Forschungslage, von den 1950ger Jahren bis heute, zu erhalten. Die herausgearbeiteten, dominierenden Deutungsansätze der verschiedenen Interpreten, sollen dann nach einer Interpretation dazu verhelfen, die genannten Fragen zu beantworten. Dabei wird auch die soziale Lage und die Stellung Kleists in der Gesellschaft, zur Entstehungszeit der Novelle, berücksichtigt. Auf seine Biografie wird dabei jedoch nur begrenzt eingegangen, da sie zum Einen nicht vollständig belegt ist und zum Anderen den Rahmen dieser Arbeit überschreiten würde...
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- 1. Einblick in die Forschungsgeschichte
- 1.1 Die Literatur zwischen Klassik und Romantik
- 1.2 Kleists Methodik des Erzählens
- 1.3 Deutungsmuster in der Forschung
- 2. Das Familienmodell im Findling
- 2.1 Der Findling Nicolo
- 2.2 Die Vater-Sohn Beziehung
- 2.3 Elvires Beziehung zu Nicolo und Colino
- 3. Die Schuldfrage in Kleists „Der Findling“
- 3.1 Nicolo Die Inkarnation des Bösen?
- 3.2 Piachider materialistische Unterdrücker
- 3.3 Elvire - Die skrupellose Verführerin?
- Schlussbemerkung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit befasst sich mit der Schuldfrage in Kleists Novelle „Der Findling“. Sie zielt darauf ab, einen Überblick über die Forschungsgeschichte von den 1950er Jahren bis heute zu erhalten, die dominierenden Deutungsansätze der verschiedenen Interpreten zu identifizieren und diese anschließend anhand von Belegen zu analysieren, um die im Werk aufgeworfenen Fragen zu beantworten. Dabei wird auch die soziale Lage und die Stellung Kleists in der Gesellschaft zur Entstehungszeit der Novelle berücksichtigt.
- Die Schuldfrage in Kleists „Der Findling“
- Die Rolle der Figuren: Nicolo, Piachi und Elvire
- Das Familienmodell im Werk
- Deutungsansätze und Interpretationen der Novelle
- Die soziale Lage und Kleists Stellung in der Gesellschaft zur Entstehungszeit des Werks
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet die Forschungsgeschichte der Novelle „Der Findling“. Zuerst wird die Epoche, in der Kleist lebte, vorgestellt, anschließend werden einige für Kleist typische Methoden des Erzählens aufgezählt, die besonders in der Novelle auffallen, und schließlich die dominierenden Deutungsansätze präsentiert.
Das zweite Kapitel widmet sich den Figuren der Novelle, ihren Charakteren und ihren Beziehungen zueinander. Es werden insbesondere Nicolo als Findling, Piachi als Vaterfigur und Elvire als Adoptivmutter betrachtet.
Das dritte Kapitel greift die in Punkt 1.3 vorgestellten Deutungsansätze auf und interpretiert und analysiert diese anhand von Belegen. Die im ersten Kapitel aufgeworfenen Fragen werden im Schluss beantwortet.
Schlüsselwörter
Die zentralen Themen und Konzepte der Hausarbeit sind: Kleist, „Der Findling“, Schuldfrage, Familienmodell, Vater-Sohn-Beziehung, Deutungsansätze, Forschungsgeschichte, Romantik, Aufklärung, soziale Lage, gesellschaftliche Verhältnisse.
- Citation du texte
- Antonella Corrado (Auteur), 2010, Die Schuldfrage in Kleists „Der Findling“, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/189149