Sprachwandel im Romani

Ein Versuch der Kategorisierung durch Kontaktphänomene


Magisterarbeit, 2009

106 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0. Vorbemerkungen
0.1. Gegenstand der Arbeit und Hinführung zum Thema
0.2. Arbeitshypothese und Methodik
0.3. Festlegungen
0.3.1. Begriffliche Festlegungen
0.3.2. Orthographie
0.3.3. Glossierungsregeln
0.3.4. Abkürzungsverzeichnis

1. Darstellung des Untersuchungsmaterials

2. Analyse des Materials
2.1. Analyse des Materials in Bezug auf Interferenzen
2.2. Zweifelsfälle der Interferenz und deren Ausschluss
2.3. Ausarbeitung der Interferenzen
2.3.1. Hybridität im Lexikon
2.3.2. Hybridität in der Morphosyntax
2.3.3. Hybridität in der Syntax
2.4. Übersicht über die hybriden Sprachmuster

3. Versuch der Einordnung in bestehende Sprachkontaktmechanismen
3.1. Einführung der Sprachkontaktmechanismen
3.1.1. Substrat-Superstrat
3.1.1.1. Substrat
3.1.1.2. Superstrat
3.1.1.3. Diskussion der Zuordnungsmöglichkeit
3.1.2. Adstrat
3.1.3. Sprachbund und Sprachgemeinschaft
3.1.3.1. Sprachbund
3.1.3.2. Sprachgemeinschaft
3.1.3.3. Diskussion der Zuordnungsmöglichkeit
3.1.4. Pidginisierung
3.1.5. Kreolisierung
3.1.6. Sprachtod
3.1.6.1. Language Murder
3.1.6.2. Language Suicide
3.1.6.3. Diskussion der Zuordnungsmöglichkeit
3.1.7. Code-Switching
3.1.7.1. Äquivalenzmodell
3.1.7.2. Generatives Phrasenstrukturmodell
3.1.7.3. Dependenzmodell
3.1.7.4. Morphemhypothese
3.1.7.5. Konzept der Auslösefunktion
3.1.7.6. Matrix-Language-Frame
3.2. Überblick über die Zuordnungsmöglichkeiten

4. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

5. Ausblick auf aufbauende Untersuchungen

6. Literaturverzeichnis

0. Vorbemerkungen

„Es gibt keine Mischsprache“

Max Müller, 1871

„Es gibt keine völlig ungemischte Sprache“ Hugo Schuchardt, 1884

0.1. Gegenstand der Arbeit und Hinführung zum Thema

Gegenstand der Arbeit ist das Romani. Es ist die Sprache der europäischen Volksgruppen, die gemeinhin unter dem Begriff Zigeuner zusammengefasst werden. Zigeuner soll - ungeachtet davon, dass er zu Zeiten des Dritten Reiches zu propagandistischen Zwecken missbraucht wurde, pejorativ konnotiert war und dies teilweise heute noch ist - in dieser Arbeit neutral und frei von jeglichen Vorurteilen auf die Gesamtheit der indigenen, teils peripatetisch1 lebenden Volksgruppen bezogen Anwendung finden.

Solche peripatetischen Familien- und Großfamilienbände leben heute nicht nur auf dem Europäischen Festland, sondern weitverbreitet auch auf den Britischen Inseln, in Kleinasien, im Nahen Osten und in Nordafrika. Zu den wichtigsten und bekanntesten Gruppen zählen neben den in Deutschland ansässigen Sinti der Stamm der Roma, der in Europa am weitesten verbreitet ist, jedoch vornehmlich in Ost- und Südosteuropa siedelt, die kleineren Stämme der Lowara und Kalderasch in Österreich und Ungarn, die Manouches in Frankreich, der Stamm der Dom in Kleinasien, Nahost und Ägypten, der Stamm der Lom, der in Armenien und im Südkaukasus siedelt und nicht zuletzt der Stamm der Calé, der in Spanien und Nordafrika siedelt und sich durch die Prägung des spanischen Volkstanzes „Flamenco“ einen Namen gemacht hat.2

Tatsächlich verdienen noch heute viele Zigeuner ihren Unterhalt mit Wandergewerben wie Musik, Tanz und Schaustellerei oder artistischen Auftritten in Zirkussen. Manch andere haben sich auf Metallarbeiten wie das Kupfer- oder Goldschmiedehandwerk spezialisiert. Die wenigsten aber haben sich der Gesellschaft, in der sie leben, so weit angepasst, dass sie die üblichen bürgerlichen Berufe ausüben. Arbeiten, die beispielsweise im Büro ausgeführt werden müssen, bedeuten für den Zigeuner eine Einschränkung seiner Freiheit und der freien Wahl seines Wohnortes. So wird der Freiheitssinn und Freiheitsdrang traditionell von Generation zu Generation weitergegeben.

Da sich die Lebensweisen aller eurasischen Splittergruppen der Zigeuner sehr ähneln und einige ihrer Autonyme wie Roma, Lom und Dom nicht nur ähnlich klingen, sondern aller Wahrscheinlichkeit auch eine gemeinsame Etymologie aufweisen, liegt der Schluss nahe, dass alle eine gemeinsame Wurzel haben3. Tatsächlich gilt ihre Herkunft aus Indien aufgrund der Ergebnisse der historischen Sprachwissenschaft als erwiesen. Über Details der Abwanderung, das heißt deren genauen Zeitraum, das Gebiet ihrer Herkunft und die Gründe für das Verlassen Indiens besteht jedoch keineswegs Einigkeit unter den Ziganologen.4 Einzig unumstritten ist nur die Tatsache, dass die Eigenbezeichnungen einzelner Gruppen wie Roma, Lom, und Dom aufgrund der Verwandtschaftsbeziehung zur indischen Kastenbezeichnung ḍ om5 auf den ursprünglich niedrigen sozialen Status im indischen Kastensystem hinweisen.

Gegenstand der Untersuchung kann in diesem Rahmen aufgrund der beinahe unüberschaubaren Dialektvielfalt der Zigeunersprachen keinesfalls die Gesamtheit aller Varietäten sein. Teilweise weichen grammatische Konstruktionen und das Lexikoninventar zweier Romani-Varietäten so stark voneinander ab, dass sich der Fokus der vorliegenden Arbeit auf lediglich einen einzigen Dialekt richten muss, um ein unverfälschtes Ergebnis der Untersuchung garantieren zu können. Regelhaftigkeiten einer Sprache mögen nicht für eine zweite Sprache gelten. Durch diese Einschränkung wird das Ergebnis zwar in seinem Anspruch als universal gelten zu können nahezu vollständig limitiert, doch bleibt noch Raum für weitere Untersuchungen, deren Fokus sich auf weitere einzelsprachspezifische Regularien richten kann.6 Die vorliegende Arbeit richtet ihr Hauptaugenmerk auf die Sprache der deutschen Zigeuner, das Romanes.

Der Name der Sprache der Sinti Romanes leitet sich aus dem substantivischen Lexem rom ‚(Ehe-)Mann, Mensch‘ ab7, das durch ein Ableitungssuffix zum denominalen Adjektiv romanes mit einer Bedeutung ‚menschlich‘ wird und im Bezug auf die Sprache mit etwa ‚Sprache der Menschen‘ zu übersetzen wäre. Wie oben bereits erwähnt geht dabei das Nomen rom selbst auf die indische Kastenbezeichnung ḍ om zurück.

Erstmals urkundlich erwähnt wurden ‚dunkelhäutige Fremde‘ in Europa erstmals im Jahre 1348 in Serbien.8 Sie haben sich zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich bereits 200-300 Jahre lang in Anatolien, auf den Ägäischen Inseln und dem griechischen Festland befunden.9 Es wird davon ausgegangen, dass Zigeuner im Byzantinischen Reich in sehr großer Zahl bereits im 10. Jahrhundert gesiedelt hatten.10 Im Westeuropa des 15. Jahrhunderts sind dokumentarische Berichte über Zigeuner bereits zahlreich. Darunter stammt die erste Erwähnung in einem deutschsprachigen Dokument aus Hildesheim aus dem Jahre 1407. Das Fehlen türkischer Lehnworte in den allen nördlichen und beinahe allen südlichen und westlichen Dialekten weist darauf hin, dass die Zigeuner Kleinasien noch vor beziehungsweise nicht lange nach der Eroberung durch die Seldschuken verließen.11

Zwar wurde 1755 ein in Romanes geschriebener Brief eines Sinto an seine Frau mit synoptischer deutscher Übersetzung gedruckt12, doch blieb man die Erforschung des Romanes derzeit noch schuldig. Dieser Umstand änderte sich im 19. Jahrhundert. Damals interessierte man sich für Romanes aus kriminologischer Hinsicht. In den letzten Jahrzehnten (im außerdeutschen Europa auch schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts) erst entstand ein ehrliches Interesse an einer Minderheitensprache, die für historische Sprachwissenschaftler möglicherweise einen fehlenden Teil des Mosaiks darstellen kann, mit dem sich Indologen und Indogermanisten beschäftigen. Die Beschäftigung mit dem Romanes ist jedoch deshalb äußerst schwierig, weil das Romanes zum einen keine schriftliche Tradition besaß und auch heutzutage kaum besitzt. Zum anderen weisen die spärlichen Wortlisten, die seit dem 18. Jahrhundert polizeilich gefertigt wurden, riesenhafte Lücken auf, da die Geheimnisbewahrung um ihre Sprache von Sinti seit jeher ein großer Teil der Überlebensstrategie darstellte. So übte es eine starke Schutzfunktion für die Gruppe aus miteinander in einer der Öffentlichkeit unverständlichen Sprache kommunizieren können. Dieser Vorteil im täglichen Überlebenskampf in einer fremden Gesellschaft musste dringendst bewahrt werden. Darum hüteten die Sinti ihre Sprache wie einen Schatz vor den Nicht-Zigeunern, den sogenannten gat ś i, und weihten sie niemals oder nur in äußersten Ausnahmefällen ein. Aus diesem Grund fehlt der heutigen Wissenschaft ein Blick in die Entwicklung und das Werden des Romanes.

Heutzutage ist das Romanes eine in Deutschland gesetzlich geschützte Minderheitensprache und weist als Teil der indogermanischen Sprachfamilie trotz seiner zahlreichen Entlehnungen lexikalischer und grammatischer Art noch immer große Ähnlichkeiten zu seinen alt- und mittelindischen sprachlichen Verwandten auf. Interessanterweise trotzte Romanes der zeitlichen und räumlichen Distanz und bewahrte sich zwar weniger die Vielfältigkeit und den symmetrischen Aufbau seiner grammatischen Formen sowie die Leichtigkeit seiner Ausdrucksfähigkeit, wie es das Vedische und das Sanskrit aufweisen, doch noch in relativ hohem Maße ein indigenes Lexikon. Das Romanes teilt wie der gesamte Romani-Sprachzweig frühe phonologische Neuerungen mit den zentralindischen Sprachen. Dabei handelt es sich um Entwicklungen vom Altindischen zum Mittelindischen. Romani zeigt sich jedoch in einigen Zügen konservativer als die zentralindischen Sprachen (vgl. beispielsweise altindisch pattra ‚Blatt‘ und mittelindisch patta ‚Blatt‘, aber romani patrin ‚Blatt‘).13 Die Übergangszeit vom Alt- zum Mittelindischen - etwa um die Zeitenwende - kann daher gleichsam als Geburtsstunde des Romani gelten, da die Sprache schon hier eigene charakteristische Züge aufgewiesen haben muss.14

Innerhalb des Romani-Sprachzweiges nimmt das Romanes einen Platz im Kreise der nördlich-zentralen Dialekte ein. Die nördlichen Dialekte zeichnen sich beispielsweise dadurch aus, dass die Labialisierung der ʃ-Laute im Gegensatz zu den südlichen Dialekten (im Balkan) nicht durchgeführt wurde15 und daher der postalveolare Frikativ noch erhalten ist.16 Innerhalb der nördlichen Dialekte tut sich das Romanes als nördlich-zentraler Dialekt aufgrund seiner Initialakzentuierung hervor. Interessanterweise akzentuiert der in Finnland ansässige Dialekt ebenfalls wortinitial.17 Vom finnischen Romani hingegen unterscheidet das Romanes die Distinktion der Laute /x/ und /h/.18 Während das Romanes den glottalen und den velaren Frikativ als zwei distinktive Phoneme erachtet, sind diese beiden Laute im finnischen Romani allophonische Varianten.

Das Romanes ist nicht nur für diese Arbeit so interessant, sondern auch von generellem kontaktlinguistischem Interesse, weil die Sprachwandelerscheinungen - ungeachtet einiger früher Entlehnungen - sehr jung sind. Die Zigeuner Deutschlands haben während ihrer Unterdrückung, Verfolgung und systematischen Vernichtung zu Zeiten des Dritten Reiches vermeintlich gelernt, dass es ein Vorteil sein kann, sich nicht als Zigeuner preiszugeben und die Kennzeichen des Zigeunertums abzustreifen, dessen die zigeunerische Sprache ein großer Bestandteil ist. Nach den schlechten Erfahrungen wollten die meisten Zigeuner in Deutschland ihren Kindern ein solches Schicksal ersparen, das sie selbst im Exil oder im Konzentrationslager erleiden mussten, und versuchten sie möglichst unberührt von der zigeunerischen Kultur und auch der Sprache zu lassen. Durch das Verleugnen der eigenen Herkunft und Identität ging ein rapides Ablegen des Romanes einher. Die Kinder und Kindeskinder der Zigeuner aus der Nazizeit erlernten das Romanes nicht mehr vollständig. Diese Semisprecher füllten sprachliche Defizite mit sprachlichem Material aus dem Deutschen auf, sodass die Sprachwandelerscheinungen des Romanes allenfalls 60 Jahre alt sind. Dieser Zeitraum ist ein vergleichsweise kurzer Beobachtungszeitraum für linguistische Untersuchungen und daher ein besonderer Glücksfall für die Kontaktlinguistik.

Sprachlicher Wandel ist auf vielen unterschiedlichen Ebenen eines Sprachsystems möglich. Um die Untersuchung nicht an einer umfangbedingten Oberflächlichkeit scheitern zu lassen, muss wie bereits in der Auswahl der zu untersuchenden Sprachvarietät auch ein Gebiet innerhalb des Sprachsystems des Romanes eingekreist werden, das es zu beleuchten gilt. Diese Arbeit zielt nur auf die Ebenen der Syntax und des Lexikons ab. Selbstverständlich kann keine syntaktische Analyse betrieben werden, ohne auch der Morphologie und ihrer Schnittstelle mit der Syntax - der Morphosyntax - Aufmerksamkeit zu schenken. Sicherlich wird es ebenso schwer werden bei der Untersuchung des Lexikons unter anderem auch die Semantik unbeachtet zu lassen, doch wird im Folgenden der Versuch unternommen einen Fokus auf die Konvergenzen und die Disparitäten zwischen Syntax und Lexikon zu richten.

0.2. Arbeitshypothese und Methodik

Bei genauerer Betrachtung des Untersuchungsmaterials fällt auf, dass der Anteil an deutschem Vokabular im lexikalischen Teilbereich der Funktionswörter, zu denen allen voran Elemente wie Konjunktionen und Subjunktionen, Artikel, Pronomina sowie Adpositionen und Partikel gehören, besonders hoch ist. Aber der Teilbereich der Inhaltswörter, zu denen Nomina, Adjektive und Verben gehören, besteht zu einem besonders hohen Anteil aus Vokabular des Romanes. Desweiteren stammen die Flexionsaffixe beinahe ausschließlich aus dem Deutschen. Für die Filial- oder Hybridsprache, die aus Bestandteilen sowohl des Deutschen als auch des Romanes aufgebaut ist, lässt sich somit durchaus behaupten, dass die Grammatik deutschen Ursprungs ist und das Vokabular dem Romanes entnommen ist.

Die traditionelle Substrat-Superstrat-Theorie, wie sie in Punkt 3.1.1. näher erläutert wird, würde eine vollkommen gegenläufige Tendenz erwarten lassen. Kurz gefasst besagt dieses Sprachkontaktmuster, dass eine prestigereichere Sprache (das sogenannte Superstrat) einer durch Sprachmischung entstandenen Sprache das Lexikon vererbt und eine prestigeärmere Sprache (das sogenannte Substrat) jener entstandenen Sprache die Grammatik mitsamt dem morphologischen, morphosyntaktischen, syntaktischen und syntagmatischen Regelwerk vererbt. Das Deutsche müsste demnach als die Amts- und Prestigesprache in Deutschland und daher als Superstrat angesehen einer Mischsprache das Lexikon spenden. Das Romanes, das von einer sozial schwachen sowie prestigearmen Schicht gesprochen wird, müsste der Mischsprache demnach die Grammatik spenden. Doch wird diese Annahme durch die folgenden Sprachbeispiele völlig widerlegt.

Die vorliegende Arbeit geht also von dem Standpunkt aus, dass das traditionelle Sprachkontaktmuster nach dem Ansatz der Substrat-Superstrat-Theorie keine Anwendung auf den Sprachkontakt Deutsch-Romanes finden kann. Die Arbeitshypothese lässt sich daher etwa folgendermaßen formulieren:

Die Sprachmischungsuniversalien, wie sie sich die Forschung gerne zurecht legt, sind nicht universal, sondern können durch die folgenden Sprachbeispiele falsifiziert werden. Die Substrat-Superstrat-Theorie wird durch den Sprachkontaktfall Deutsch-Romanes völlig umgekehrt. Die dargestellte Hybridsprache Romnes bedient sich einerseits des indigenen Lexikons der Zigeunersprache und auf der anderen Seite der Grammatik des Deutschen. Durch die spiegelbildliche Umkehrung der Verhältnisse lässt sich eine neue Frage aufwerfen, ob entweder Kriterien an der Theorie geändert werden müssen oder ob nicht etwa ein Faktor, dem bisher keine Beachtung zuteil wurde, ausschlaggebend für die Vererbungsweisen sprachlichen Materials sei. In jedem Falle scheint die Vererbungsrichtung sprachlichen Materials nicht prestigebedingt zu sein.

Dieser Frage nachgehend schlägt die Arbeit einen Weg ein, der über sieben gut beschriebene Sprachkontaktmuster führt. Gemäß des Titels „Sprachkontakt im Romani - Ein Versuch der Kategorisierung durch Kontaktphänomene“ will in diesem Rahmen versucht werden die aufgezeigten Phänomene einordnen zu können. Nachdem mithilfe der Sprachbeispiele die einschlägige und gängigste Theorie, die Substrat-Superstrat-Theorie, hinreichend widerlegt ist, soll überprüft werden, ob der dargelegte Fall womöglich durch die Sprachkontaktmuster des Adstrats, des Sprachbundes, der Pidginisierung, der Kreolisierung, des Sprachtodes oder durch Code-Switching erklärbar ist. Die Methodik, nach der dies geschehen soll, ist recht simpel. Die Definitionen für die jeweiligen Sprachkontaktmuster werden auf Gemeinsamkeiten und Überscheidungen untersucht. Aus diesen Schnittstellen werden anschließend die Argumente zur Kategorisierung extrahiert und zuletzt wird überprüft, inwieweit sich das Untersuchungsmaterial durch die jeweiligen Argumente beschreiben lässt. Sollte die Einordnung des vorliegenden Phänomens in eines der hier behandelten Sprachkontaktmuster nicht möglich sein, so ließe sich zum einen eine „definitio ex negativo“ aufstellen. Das heißt, dass das Rätsel um die Kategorisierung zwar noch nicht gelöst wäre, doch zumindest schon einiges ausgeschlossen werden könnte, das nicht zur Lösung des Problems beiträgt. Zum zweiten ließe sich eventuell ein Ansatz für ein neues Modell basierend auf den Erkenntnissen der Arbeit ausarbeiten.

0.3. Festlegungen

Das Kapitel 0.3. widmet sich mit seinen Unterpunkten erst der Einführung und Erläuterung der Begriffe, die fortan von zentraler Bedeutung sein werden. Danach folgt eine kurze Einführung in die Orthographie des Romanes mit tabellarischer Darstellung der verwendeten Grapheme und mit einem kurzen Abriss und Kommentaren zur Phonologie des Romanes. Dann folgt eine Erläuterung der Glossierungsregeln, die in der Arbeit Anwendung finden, um die Funktionen der Morpheme zu bezeichnen und Morpheme deutscher Herkunft von Morphemen aus dem Romanes zu unterscheiden. Zuletzt schließt sich eine Liste der verwendeten Abkürzungen an.

0.3.1. Begriffliche Festlegungen

Im Rahmen dieser Untersuchung will sich der Begriff Romani auf die Gesamtheit der europiden Zigeunersprachen verstanden wissen. Das Romani ist zwar genetisch verwandt mit den Sprachen der Zigeuner außerhalb Europas, hat aber aufgrund geographischer Disparitäten und aufgrund des kulturellen und vor allem sprachlichen Kontakts zu europäischen Sprachen einen anderen Weg in seiner sprachlichen Entwicklung eingeschlagen. Daher soll Romani als distinkter Sprachzweig in Opposition zu beispielsweise den Sprachen der Dom und der Lom außerhalb Europas gelten.

Aus der Gesamtheit der europiden Romani-Dialekte19 spielt im Folgenden der Dialekt des Romanes die tragende Rolle. Romanes wird von deutschen Sinti und französischen Manouches gesprochen. Romanes steht dabei begrifflich für die zugrundeliegende und native Sprachvariante, die neben dem Deutschen der zweite Elternteil im Sinne eines Spenders sprachlicher Zeichen darstellt, aus dem eine Filialsprache Romnes entstanden ist. Romnes ist fortan die Bezeichnung der Hybridsprache, die vermeintlich aus - im weitesten Sinne - deutscher Grammatik und romanes Lexikon besteht, was im weiteren Fortgang der Arbeit noch zu untersuchen sein wird. In der Forschung ist das Phänomen, dass sich einige Zigeunerdialekte der Grammatik der lokal ansässigen Sprache bedienen und nur ein stark begrenztes Sonderlexikon aus dem Romani bewahren, bereits unter dem Begriff Para-Romani bekannt.20 Natürlich ist das Romanes nicht gänzlich unberührt von vorhergehendem Sprachkontakt zum Deutschen, doch soll Romanes im Verhältnis zur hybriden Mischsprache Romnes idealisiert als möglichst unberührte Sprache gelten. In Kapitel 4 kann diese Annahme je nach Ergebnissen der Untersuchung durchaus auch als Fehlerquelle diskutiert werden, doch muss diese begriffliche Definition zugunsten des linguistischen Handwerkzeugs vorab festgelegt werden.

Da die Vorstellung einer hybriden Mischsprache in Opposition zur traditionellen Stammbaum-Theorie der Sprachen steht, in der sich Tochtersprachen aus einer Vorgängersprache durch Sprachevolution hervortun und herausentwickeln, sollen für den Kreuzungsvorgang (mindestens) zweier Sprachen und der damit einhergehenden Sprachmischung weitere Begriffe reserviert werden. Die Sprachen, die sprachliche Elemente - also sprachliches Erbgut - an ihre Tochtersprachen weitervererben, werden fortan als Parentalsprachen bezeichnet. Die Gesamtmenge von Parentalsprachen, die zusammengefasst die Gesamtheit des sprachlichen Erbgutes an eine (oder mehrere) Tochtersprachen weitergeben, ist die Parentalgeneration. Die Tochtersprache selbst, die ein sprachliches Erbe der Parentalgeneration antritt, soll, um ein begriffliches Pendant zur traditionellen Tochtersprache im Sinne der Stammbaum-Theorie zu schaffen, im Folgenden Filialsprache genannt werden. Die Filialsprache gehört analog zur Parentalsprache zur Filialgeneration. Die Begriffe sind nicht zufällig aus der Genetik gewählt. Sie sollen die Metaphorik der Sprachmischung und -kreuzung unterstützen.

Um die Begrifflichkeiten an Beispielen zu verdeutlichen, sei der Werdegang zweier Sprachen, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit tragende Rollen spielen, dargelegt. Das Deutsche ist eine direkte Tochter aus dem Germanischen. Wenngleich zwischen dem Deutschen und dem Germanischen ein beträchtlicher Unterschied besteht, so kann jedoch die konsequente und kontinuierliche Entwicklung des Deutschen aus dem Germanischen heraus über die Zwischenstufen des Alt- und Mittelhochdeutschen beziehungsweise Alt- und Mittelniederdeutschen beobachtet werden. Zwischen dem Neuhochdeutschen und dem Germanischen spannt sich ein Kontinuum auf, das rechtfertigt das Germanische als Vorgängersprache des Neuhochdeutschen und andererseits auch das Neuhochdeutsche als Tochtersprache des Germanischen anzunehmen (s. Abb. 1). Ebenso verhält es sich mit dem Romanes, das das Altindische zur Vorgängersprache hat und sich daraus konsequent und kontinuierlich über die Zwischenstufe des Mittelindischen entwickelte (s. Abb. 2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1:

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Abbildung 2:

Für eine Mischsprache - eine Sprache, die sprachliche Elemente mindestens zweier verschiedener anderer Sprachen in sich vereint - kann kein Stammbaum angesetzt werden, da die Entstehungsgeschichte der Mischsprache per se nicht zulässt, dass sich ein aufgespanntes Kontinuum zwischen Vorgänger- und Tochtersprache beobachten lässt. Es widerspricht auch der Vorstellung des Baumwuchses, die hinter der Stammbaum-Theorie steckt, dass das Entstehungsszenario einer Mischsprache mit mindestens zwei Parentalsprachen und einer Filialsprache bewirkte, dass der „Stammbaum“ zwei Stämme in Form der zwei erbgutspendenden Parentalsprachen besäße, aber nur einen einzigen Ast in Form der Filialsprache. Der Gedankengang hinter der Sprachmischung muss daher einem anderen Modell folgen. Ein für diese Arbeit ausgearbeiteter Modellvorschlag hierfür orientiert sich an dem aus der Genetik stammenden von Mendel für pflanzliche Hybride erstellten Modell21 der Vererbungslehre, das in modifizierter Form in Abbildung 3 zu sehen ist.

In Abbildung 3 ist die ältere Generation von Sprachen, also die Parentalgeneration, oben zu sehen. Dabei wird die eine Parentalsprache mit P1 bezeichnet und eine zweite Parentalsprache mit P2. Darunter befindet sich die durch Sprachmischung aus der Parentalgeneration entstandene Filialsprache F1. Unter Umständen mag es möglich sein, dass auch eine zweite Filialsprache F2 und eine dritte F3 usf. entstehen oder noch weitere Parentalsprachen P3 und P4 involviert sind. Die Farbgebung der F1 unterstreicht dabei ihren Aufbau aus sprachlichen Elementen der P1 einerseits und der P2 andererseits. Welche Elemente dabei aus P1 und welche aus P2 stammen, ist in diesem groben Schema irrelevant. Dabei kann es möglich sein, dass die Phonologie der Sprache F1 von der Phonologie der Sprache P1 dominiert ist und die Syntax von F1 von der Syntax der Sprache P2 dominiert ist. Denkbar wäre es allerdings ebenso auch, dass sowohl die Phonologie als auch die Syntax von beiderlei Parentalsprachen gleichermaßen beeinflusst ist. Ein Begriffsvorschlag ist es die vollkommene Dominanz einer Parentalsprache auf einem sprachlichen Subsystem der Filialsprache nach Vorbild der Genetik als dominant-rezessiven Erbgang zu bezeichnen, während das Auftreten von sprachlicher Interferenz innerhalb eines Subsystems der Filialsprache als intermediärer Erbgang bezeichnet würde. Hierauf wird im Verlauf der Arbeit weniger Bezug genommen, doch wird am Ende der Arbeit nochmals der Rückbezug zu dieser vorläufigen Modellierung hergestellt, um zu überprüfen, inwiefern sich das gentische Konzept aus der Biologie in die Sprachwissenschaft - im Speziellen die Kontaktlinguistik - übertragen lässt.

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Abbildung 3:

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mehr mit der Ausarbeitung der sprachlichen Interferenz, wie sie in F1 auftritt, und ihrer genaueren Beschreibung. Ob die Verteilung der dominant vererbten Elemente auf den verschiedenen Subsystemen der Sprache durch bestimmte Umweltfaktoren bedingt sind oder die Vererbungsprozesse universell sind, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht ausgearbeitet werden. Es soll jedoch einerseits gezeigt werden, dass die Stammbaumtheorie im vorliegenden Sprachkontakt nicht anzuwenden ist, sondern ein Modell für sprachliche Hybride zur Anwendung kommen muss. Aufgrund der Ergebnisse der Untersuchungen, die am Textkorpus durchgeführt werden, sollen das Sprachkontaktmuster und die involvierten Prozesse, die in der obigen Abbildung 3 als Knotenpunkt in der Bildmitte dargestellt sind, eingegrenzt und beschrieben werden, sodass mit der Modellierung einer auf den Ergebnissen basierenden Vererbungslehre begonnen werden kann.

Da mit der inhaltlichen Entfernung von der Stammbaumtheorie und der Hinführung zu einem parallelen - oder je nach Ansicht auch umgekehrten - Modell der Sprachmischung auch eine von der traditionellen Ansicht divergente Art und Weise der Vererbung sprachlichen Materials einhergeht, ist es von großem Vorteil auch hier begriffliche Limitierungen zu ziehen. Der Begriff Entlehnung wird aufgrund seines mit kontaktlinguistischen Vorurteilen behafteten Status fortan nicht weiter verwendet. Insbesondere problematisch ist die Verwendung jenes Begriffes wegen seiner Mittelstellung zwischen der Fremdworthaftigkeit einerseits und der vollständigen Eingliederung andererseits.

Heute nicht mehr als fremd zu erkennende Wörter des Deutschen sind beispielsweise Ampel und Pfeil. Aus Sicht des heutigen Sprechers des Deutschen sind diese beiden Lexeme vollständig ins deutsche Sprachsystem eingegliedert. Ampel stammt jedoch vom altgriechischen ἀμφιφορεύς beziehungsweise der gekürzten Form ἀμφορεύς ‚zweihenklige(s) Vase/Trinkgefäß’ ab und Pfeil vom lateinischen pilum ‚Wurfspieß‘. Bei einigen Wörtern des Deutschen erkennt man trotz der teilassimilierten Phonologie des Wortes noch immer die fremde Herkunft. So ist bei dem Wort Sph ä re, das von dem altgriechischen σφαῖρα ‚Kugel‘ abstammt, kaum mehr griechischer Lautstand zu erkennen. Der Sonorant ρ /r/, der aller Wahrscheinlichkeit nach im Altgriechischen ein alveolarer Vibrant war, ist in der standarddeutschen Aussprache eher als uvularer Vibrant [ʀ] oder sogar uvularer Approximant [ʁ] zu hören. Der Diphthong αῖ /ɑɪ/ in der ersten Silbe wurde zum Langvokal /ε:/ oder /e:/ monophthongiert, was allerdings auch in die Entwicklung der hellenischen Sprache fallen könnte und somit nicht deutschen Ursprungs wäre. Das α /a/ am Ende des Wortes ist - typisch für das Deutsche - stark verkürzt und zentralisiert worden und damit zum Schwa-Laut [ə] abgeschwächt. Trotz allem ist Sph ä re kein völlig integriertes Wort, weil /sf/ kein möglicher Silbenanfangsrand für das Deutsche ist, weshalb man dem Wort seine fremde Herkunft bereits anhört. Bei Wörtern wie beispielsweise Summer School, chairman und business marketing hat noch nicht einmal eine Teilassimilation zu einem halbwegs deutschen Lautstand stattgefunden. Auf dem Weg vom Fremdwort über das Lehnwort hin zum vollständig integrierten Wort gibt es zahlreiche Zwischen- und Übergangsstufen. Nicht selten kann keine klare Aussage über die Zuordnung eines Wortes zu einer dieser drei Subkategorien getroffen werden. Die Reichweite der Entlehnung eines Wortes einer Sprache A in eine Sprache B ist daher zu groß, um verlässliche Angaben zu etwaigen Zwischenstufen machen zu können. Ein weiterer Grund, aus dem in der vorliegenden Arbeit nicht mit dem Begriff Entlehnung gearbeitet wird, ist die Tatsache, dass es auch grammatische Entlehnung gibt. Das heißt die zugrundeliegende Struktur einer syntaktischen Kategorie einer Sprache A wird auf eine nicht näher zu erläuternde Art und Weise in eine Sprache B übertragen ohne dabei die phonetisch- phonologische Oberflächenstruktur zu übernehmen.

Der Vorsatz des Verzichts auf den Begriff Entlehnung zieht sich durch die ganze Arbeit. Wann immer hier Prozesse von traditioneller Entlehnung sowie der Entlehnung ähnliche Prozesse beschrieben werden oder in dieser Arbeit zitierte Autoren Begriffe wie Entlehnung, loaning und borrowing verwenden, weicht der Wortlaut der vorliegenden Arbeit hiervon ab.

Stattdessen wird durch Begrifflichkeiten wie Transfer, Transferenz, Übertragung und Übernahme die oben beschriebene Problematik zu umgehen versucht.

0.3.2. Orthographie

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Abbildung 224:23

Da Romanes 24als seit jeher ungeschriebene 25Sprache traditionell keine festen Orthographieregeln26 besitzt und auch in der Forschung keine Einigkeit über die Rechtschreibung besteht27, wird in diesem Rahmen ein eigens ausgearbeitetes Schriftsystem verwendet, das zum einen eine strikte Phonem-Graphem-Beziehung aufweist. Das heißt, dass Da es nicht Schwerpunkt dieser Arbeit ist phonologisch-distinktive Merkmale des Romanes auszuarbeiten, sei lediglich auf die beiden Abbildungen in diesem Kapitel verwiesen, die die Zuordnung der im Folgenden verwendeten Schriftzeichen und ihren korrespondierenden Phonemen darstellen. Kurze erläuternde Kommentare und Verweise sind den Fußnoten zu entnehmen. Abbildung 4 zeigt die Grapheme des Romanes in Beziehung zu ihren Phonemen. Dabei stehen die Symbole des Internationalen Phonetischen Alphabetes (IPA) zum erleichternden Verständnis in Klammern hinter den Schriftzeichen. Bei zwei Lauten, die dieselbe Artikulationsstelle und denselben Artikulationsmodus aufweisen, ist jeweils der rechte stimmhaft und der linke Laut hingegen stimmlos. Bei sonoranten Lauten, die keine stimmhaft/stimmlos-Opposition besitzen und somit kein korrespondierendes Pendant aufweisen, ist das Graphem mit seinem zugehörigen Phonem mittig angesetzt.

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Abbildung 5:

Abbildung 5 zeigt die Vokale des Romanes. Wie aus ihr ersichtlich wird, besitzt das Romanes nur die Primärvokale [i], [e], [ɛ], [ɑ], [ɔ], [o], [u], die zentralisierten Vokale [ɪ] und [ʊ] sowie einen mittleren zentralen ungerundeten Laut, für den in Abbildung 5 stellvertretend der Schwa-Laut [ə] steht. Nach Vorbild des traditionellen Lateinischen Alphabetes werden die Laute [ɛ] und [ə] sowie [e] als <e> und die Laute [ɔ] sowie [o] als <o> verschriftet. Die Laute [i] und [ɪ] werden mit <i> und [u] sowie [ʊ] werden mit <u> verschriftet.28 So ergeben sich

fünf Vokalgrapheme, die durch den Akut <´> erweitert werden können, um anzuzeigen, dass sie den Hauptwortakzent tragen. Ökonomischerweise wird der Akut in der ersten Silbe fortgelassen, da das Romanes in der Regel initialakzentuiert29. Die Gespanntheit beziehungsweise die Länge der Vokale wird durch ein diakritisches Längungszeichen < > angezeigt.

0.3.3. Glossierungsregeln

In der vorliegenden Arbeit ist es unabdingbar Äußerungen mit deutschsprachigem Ursprung und Äußerungen, die dem Romanes entstammen, einander gegenüberzustellen sowie Äußerungen des hybriden Romnes nach deutschen und romanes Bestandteilen zu analysieren. Um eine verständliche und übersichtliche Darstellung zu ermöglichen, sind daher Glossierungen von Nöten, die die folgenden Eigenschaften besitzen.

Jedes Sprachbeispiel des dargestellten Untersuchungsmaterials besteht aus drei Zeilen. In der ersten Zeile (L1-Zeile) steht die Originaläußerung des hybriden Romnes, darauf folgt die interlineare Glosse und zuletzt schließt sich eine sinngemäße Übersetzung in Standarddeutsch (L2-Zeile) an. Um die erwähnten deutschen und romanes Bestandteile der L1-Zeile deutlich zu differenzieren, werden dort alle Morpheme, die aus dem Romanes stammen, fett gedruckt, während die Morpheme deutscher Herkunft ihrerseits nicht fett gedruckt sind. Da die Hybridität der Äußerungen zentraler Gegenstand dieser Arbeit ist, ist die Maßnahme des Fettdrucks von größter Bedeutung. In der interlinearen Glosse wird strikt nach den Leipzig Glossing Rules glossiert30, die - in Kürze gefasst - bei der Ausarbeitung wie folgt Anwendung finden.

Gebunde Morpheme werden voneinander und von freien Morphemen durch einen Bindestrich (-) abgetrennt. In der L1-Zeile und in der Glossierung steht in jedem Falle die gleiche Anzahl von Morphemen und für jedes Morphem findet sich in der Glossierung entweder eine funktionale oder lexikalische Bedeutung wieder. Lexikalische Bedeutungen der Morpheme in der L1-Zeile werden in der Glosse soweit möglich und nötig in lexikalischer Widerspiegelung ausgeschrieben31. Dies kann vor allen Dingen bei Substantiven, Pronomina, Adjektiven, Adverbien und Verben der Fall sein.

einzigen Graphem zusammengefasst. Man möge etwaige Fehlurteile über den Phonemstatus manches Vokals entschuldigen.

Sowohl ausgelassene Morpheme - die nicht realisiert wurden, aber zugrundeliegen - als auch Nullmorpheme werden in der L1-Zeile durch eine gestrichene Null (Ø) sichtbar gemacht und erhalten in der Glossierung ihre komplett ausformulierte Funktion zugeschrieben.

Die Funktionen werden durch Abkürzungen repräsentiert, die in Majuskeln geschrieben sind. Eine Auflistung aller in der vorliegenden Arbeit verwendeten Abkürzungen folgt im nächsten Kapitel 0.3.4. Vereinigt ein Morphem, wie es vor allem bei Flexionsaffixen der Fall ist, mehr als eine Funktion auf sich, so wird dieses Morphem plausiblerweise weiterhin als nur ein einziges Morphem behandelt, seine kategorischen Charakteristika (zum Beispiel ‚Akkusativ‘ & ‚Dual‘ & ‚feminin‘) werden jedoch durch einen Punkt (.) voneinander getrennt und so als separate Funktionen kenntlich gemacht.

Klitisch angelehnte Wörter werden durch ein das Symbol 32(=) abgetrennt, wobei dieses Symbol nur der äußeren Form nach dem Gleichheitszeichen ähnelt und diesem in keinster Weise in seiner Funktion nachempfunden ist. Das links und das rechts stehende Morphem dürfen nicht gleichgesetzt werden. Das Symbol (=) dient ausschließlich der Markierung und Abtrennung eines Pro- oder Enklitikons.

Zirkumfixe werden durch nach außen geöffnete eckige Klammern ( ] [ )[32] abgetrennt. Eine solche Zeichenkombination ist von Nöten, da die Notation durch zwei seperate Bindestriche (-) implizieren könnte, es lägen einerseits ein Präfix und andererseits ein Suffix vor, die voneinander unabhängig sind. Durch die besondere Markierung mit eckigen Klammern kann der vordere Bestandteil des Zirkumfixes nach links und der hintere Bestandteil nach rechts abgetrennt werden, wobei die beiden Bestandteile zueinander gehören und nur gemeinsam eine Flexions- oder Derivationsfunktion erfüllen. Infixe könnten analog dazu durch zwei nach innen geschlossene eckige Klammern ( [ ] )33 gekennzeichnet werden. Infixe kommen jedoch im Datenkorpus dieser Arbeit nicht vor.

0.3.4. Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Aus ökonomischen Gründen und vor allem der Übersichtlichkeit halber wird in den folgenden Glossierungen auf die vollständige Darstellung der Funktionen bei der unmarkierten Verbalform IND.PRÄ.AKT verzichtet. Wenn Verbalkategorien nicht anders markiert sind, impliziert die Auslassung derer Markierung eine Art „Default-Form“ IND.PRÄ.AKT. Die Persona und der Numerus unterliegen im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht der Default-Form und werden in jedem Fall explizit genannt.

1. Darstellung des Untersuchungsmaterials

Alle Sprachbeispiele, die zum Korpus des Untersuchungsmaterials gehören und somit eine tragende Rolle in der Arbeit spielen, wurden vom Verfasser eigenständig gesammelt und stammen von einer Semi-Sprecherin und einem Semi-Sprecher des Romanes aus Oberbayern und Schwaben. Die Sprachbeispiele sind in Gesprächssituationen realisiert worden, in denen über private und familiäre Angelegenheiten sowie im Haushalt oder über den Haushalt gesprochen wurde. In allen Situationen war im Höchstfalle nur eine einzige Person anwesend, die nicht des Romanes mächtig ist. In keiner der Unterhaltungen sprach man eine Reinform des Romanes, sondern griff auf eine Strategie der Sprachmischung von Romanes einerseits und Deutsch andererseits zurück.

Es hätte durchaus eine Fülle an Sprachbeispielen gegeben, die Eingang in das Untersuchungsmaterial finden können hätten, doch wären unter diesen die Satzmuster und oft auch das verwendete Vokabular gleich gewesen. Die Aufnahme dieser Sätze in das Korpus hätte dazu geführt, dass viel mehr Sätze Exempel für dasselbe Phänomen gestanden hätten. So wären Beweisführungen womöglich noch aussagekräftiger gewesen, aber hätten für die Untersuchung keine neuen Erkenntnisse gebracht. Doch aufgrund des engen zeitlichen Rahmens galt es vom Korpus in seiner Gesamtlänge Abstriche zu machen. Daher lässt sich die Entscheidung pro Formenvielfalt, abercontra relative Häufigkeit vertreten, wenngleich so das Risiko eingegangen wird, dass auf diese Weise ein falsches Bild über das Vorkommen der Kontaktphänomene vermittelt werden könnte. Daher sei an dieser Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Sprachbeispiele des Untersuchungsmaterials ausschließlich aufgrund der Tatsache ausgewählt wurden, dass sie eine Vielfalt an Phänomenen darstellen, und nicht, dass sie ein repräsentatives Aufkommensverhältnis aufzeigen.

(1)

Dik - Ø des ś ef -t doch lat ś - o

Seh-IMP.2.SG DEM.N COP-3.SG MP gut-M

‚Schau, ist das nicht toll?!‘

(2)

Ger - Ø das t śī m ū l - o

Mach-IMP.2.SG DEM.N NEG tot-M

‚Mach das nicht kaputt‘

(3)

Jetzt ś ef -t es m ū l - o ge] n āś [t

Jetzt COP-3.SG es tot-M PTCP]geh[PTCP

‚Jetzt ist es kaputt gegangen‘

(4)

Aber bitte t śī ver- buk -er-n

Aber ADV NEG DER-erzähl-FE-INF

‚Aber bitte nicht verraten!‘

(5)

Ś ef -t des der x ā l - o der immer xoxer -t

COP-3.SG DEM der Person-M REL.NOM.SG.M ADV lüg-3.SG

‚Ist das der Mann, der immer lügt?‘

(6)

Ich hab=s ja im Fernsehen ge] dik -er[t

Ich hab.1.SG=es MP in.dem Fernsehen PTCP]seh-FE[PTCP

‚Ich habe es ja im Fernsehen gesehen‘

- 20 -

(7)

Kann-st du das t śī dik -er-n

Könn-2.SG du DEM NEG seh-FE-INF

‚Kannst du das nicht sehen?’

(8)

Er ha-t die ganz-e Nacht gober - Ø Ø ] ger [t

Er hab-3.SG ART.DEF ganz-AKK.F.SG Nacht Unfug-NOM.SG PTCP]mach[PTCP

‚Er war die ganze Nacht unruhig‘

(9)

Dann ś ef -t er sich sik - Ø mit dem

Dann COP-3.SG er REFL.3.SG.DAT schnell-ADV PRÄP ART.DEF.N.DAT

ś uker - Ø grai - este ge] n āś [t

hübsch-NOM.SG Pferd-LOK.SG PART]geh[PART

‚Dann ist er schnell mit dem hübschen Pferd abgehauen‘

(10)

Hat er doch sein-en pr ā l - Ø ver- buk -er-t

Hab.3.SG er MP POSS.M-AKK.SG Bruder-NOM.SG DER-erzähl-FE-PTCP

‚Hat er doch seinen Bruder verraten‘

(11)

Will-st du t ś at ś - o mit dem

Woll-2.SG du wahr-M mit ART.DEF.DAT.SG.M

lat ś - o -n-en v ā g - o fahr-en

gut-M-FE-DAT.SG Wagen-NOM.SG fahr-INF

‚Willst du wirklich mit dem tollen Auto fahren?‘

(12)

So kann man lat ś - o -n-es l ō bi tera -n-en

ADV könn.3.SG INDEF gut-M-FE-AKK.N Geld.NOM.SG verdien-FE-INF

‚So kann man gutes/viel Geld verdienen‘

(13)

Die port - a vav -t pand - lo

Die Tür-NOM.SG werd-3.SG schließ-PTCP

‚Die Tür wird geschlossen‘

(14)

Die port - a ś ef -t pand - lo

Die Tür-NOM.SG COP-3.SG schließ-PCTP

‚Die Tür ist geschlossen‘

- 21 -

(15)

Er kann schon s ō b -en

Er könn.3.SG ADV schlaf-INF

‚Vielleicht schläft er schon‘

(16)

Ich n āś - Ø mir was k ā b -en

Ich geh-1.SG REFL.1.SG.DAT etwas ess-INF

‚Ich gehe etwas essen‘

(17)

M - an hi b ā r - o bok - Ø

Ich-AKK COP.3.SG groß-NOM.M.SG Hunger-NOM.SG

‚Ich habe großen Hunger’

(18)

Me kem á - u tu - t

Ich.NOM woll-1.SG du-AKK

‚Ich liebe dich‘

(19)

Kem á -u tu-t me

Wollen-1.SG du-AKK ich.NOM

*‚Liebst du mich?‘

2. Analyse des Materials

In diesem Kapitel wird das oben dargestellte Untersuchungsmaterial einer Analyse unterzogen, die darauf abzielt die sprachlichen Interferenzen der beiden Sprachen Deutsch und Romanes sichtbar zu machen. Dafür wird zuerst jeder einzelne der Beispielsätze aus Kapitel 1 kommentiert und erklärt, also etwa in seine deutschen und romanes Bestandteile aufgespalten und anschließend werden seine Bestandteile einander gegenübergestellt. Daran schließt sich eine Aufteilung der Phänomene in drei Subkategorien an. Diese Kategorien werden - wie zu Beginn der Arbeit in Punkt 0.1. erklärt - die folgenden sein: Lexikon und Syntax als die beiden Hauptkategorien und als Schnittstelle zwischen Syntax und Morphologie die dritte Kategorie Morphosyntax.

2.1. Analyse des Materials in Bezug auf Interferenzen

(1)

Dik - Ø des ś ef -t doch lat ś - o

Seh-IMP.2.SG DEM.N COP-3.SG MP gut-M

‚Schau, ist das nicht toll?!‘

Auffällig an Beispielsatz (1) sind die beiden Verben, deren Wortstämme jeweils aus dem Romanes stammen. Ob das Nullmorphem zur Markierung des IMP.2.SG bei dik seinen Ursprung im Romanes hat, lässt sich hier nicht entscheiden. Denn das Deutsche bildet den IMP.2.SG ebenfalls auf ein Nullmorphem. Während es nicht möglich ist das Flexiv an dik einer der beiden Parentalsprachen zuzuordnen, kann das Flexiv -t für die 3.Person Singular am Stamm ś ef- eindeutig dem Deutschen zugerechnet werden. Das Romanes bildet die Form

3.SG.IND.PRÄ.AKT auf -el.34

Das Adjektiv lat ś o in prädikativer Stellung entstammt zur Gänze dem Romanes. Merkwürdig ist jedoch, dass im Genus keine Kongruenz zum Subjekt des Satzes des besteht. Das Flexiv -o kann im Romanes nur ein Maskulinum kodieren. Neutra werden in der Regel auf -i gebildet. Es scheint ganz so, als stünde das Adjektiv lat ś o in prädikativer Stellung in einer Art Default-Form. Im Deutschen unterscheiden sich Adjektive in prädikativer Stellung von Adjektiven in attributiver Stellung durch ihre Flexionsmarkierung. Während attributive Adjektive eine Kongruenz in Kasus, Numerus und Genus mit dem übergeordneten Nomen aufweisen, bleiben prädikative Adjektive unflektiert. Die in Satz (1) vorliegende Konstruktion ähnelt bezüglich der Flexionskongruenz auf das Genaueste der deutschen Syntax.

Die Funktionswörter des und doch sind keine Lexeme des Romanes und können ohne Zweifel dem Deutschen zugerechnet werden. Insgesamt zeichnet sich in (1) ab, dass Verben und Adjektive - beide Kategorien sind Bestandteile der großen Gruppe der Inhaltswörter - dem Romanes entnommen sind, während Funktionswörter wie Pronomina und Modalpartikeln dem Deutschen entstammen.

(2)

Ger - Ø das t śī m ū l - o

Mach-IMP.2.SG DEM.N NEG tot-M

‚Mach das nicht kaputt‘

Satz (2) bestätigt die Tendenz des Romnes zu Verben aus dem Romanes. So gehört der Verbstamm ger- ebenfalls zum romanes Lexikon. Mit seinem Nullmorphem zur Bildung des IMP.2.SG stellt sich dasselbe Problem ein, wie es bereits vom Nullmorphem des in (1)

aufgeführten dik bekannt ist. Das Flexionsmorphem - Ø kann nicht eindeutig dem Deutschen oder dem Romanes zugeordnet werden.

Das Demonstrativpronomen das entstammt mit großer Sicherheit dem Deutschen und das Adjektiv m ū lo hingegen dem Romanes. Auch die fehlende Genuskongruenz des Adjektivs in maskuliner Form mit dem neutralen Akkusativobjekt das ist analog zu Satz (1) auffällig.

Jedoch entgegen der Tendenz verhält sich die Negationspartikel35 t śī, die dem Inventar des Romanes entstammt. Die zuvor getätigte Vorhersage jedoch besagte, dass Funktionswörter, zu denen die Negationspartikeln gehören, aus dem Deutschen ererbt werden. Dass die Negationspartikel aus dem Romanes ererbt ist, muss mit den folgenden Beispielsätzen abgeglichen werden.

(3)

Jetzt ś ef -t es m ū l - o ge] n āś [t

Jetzt COP-3.SG es tot-M PTCP]geh[PTCP

‚Jetzt ist es kaputt gegangen‘

In Satz (3) befindet sich neben dem deutschen Flexionssuffix -t im Verb ś eft, das jedoch in Satz (1) bereits angesprochen wurde, eine weitere bemerkenswerte Besonderheit der Flexionsmorphologie des Romnes. Es handelt sich um das Zirkumfix ge- -t zur Bildung des Partizip Präteritums, das aus dem deutschen Inventar an gebundenen Morphemen stammt. Interessanterweise wurde nicht das Zirkumfix ge- -en realisiert, das nach den Regeln der deutschen Syntax bei starken Verben steht, sondern das Zirkumfix ge- -t, das nur bei schwachen Verben Anwendung findet. Wäre die Annahme, dass das Romnes mit deutschen Flexionsmorphemen und nach deutscher Syntax flektiert, völlig richtig, dann wäre bei dem Verb gehen, das im Deutschen ein starkes Verb ist, das Zirkumfix ge- -en zwingend erforderlich und das Zirkumfix ge- -t ungrammatisch gewesen. Satz (3) ist aber nach den morphosyntaktischen Regeln des hybriden Romnes völlig regelkonform und nicht ungrammatisch. Dieses Phänomen macht den Anschein, als sei womöglich eine Art dritte Grammatik beteiligt, die sich anscheinend in weiten Teilen mit der deutschen Grammatik deckt, sich zu dieser jedoch nicht völlig deckungsgleich verhält, sondern auch Konstruktionen zulässt, die nach deutscher Syntax ungrammatisch wären. Dieser Gedanke soll bei der Analyse des Sprachmaterials noch keinerlei weitere Vertiefung erfahren und erst bei dem Versuch der Zuordnung wieder aufgegriffen werden.

Ähnlich wie bei des aus Satz (1) und das aus Satz (2) stammt hier ein weiteres Pronomen aus dem deutschen Inventar. Konkret handelt es sich hier um das Personalpronomen es. Das Adjektiv m ū lo, das sich auf das neutrale es bezieht, kongruiert wie in Satz (2) erneut nicht mit dem Pronomen, das in Satz (3) jedoch als Akkusativobjekt in Erscheinung tritt.

Auf syntagmatischer Ebene sind zweierlei Besonderheiten hervorzuheben. Zum einen ist das Tempus des Verbalkomplexes das Perfekt, das durch eine analytische Konstruktion mit finitem Hilfsverb plus Partizip Präteritum gebildet wird. Eine exakt formgleiche Konstruktion findet sich auch im Deutschen wieder, die ebenfalls das Tempus Perfekt markiert. In beiden Fällen ist das finite Hilfsverb homonym mit dem Kopulaverb.36 Zum anderen bildet das analytische Perfekt im Deutschen eine Satzklammer aus, die durch das finite Hilfsverb geöffnet und durch das Partizip Präteritum wieder geschlossen wird. Zwischen den Klammerelementen spannt sich das Mittelfeld auf. Alle Elemente die fakultativ zum Satz hinzugefügt werden könnten, stehen dabei im Mittelfeld, wie das folgende Beispiel beweist:

(3´)

Jetzt ś eft es ja heute wirklich zum dritten Mal … m ū lo gen āś t.

VF KlÖ MF KlS

Das Vorfeld (VF) ist durch jetzt besetzt, ś eft ist wie erwähnt das klammeröffnende Element (KlÖ), den Klammerschluss (KlS) bildet das Partizip Präteritum gen āś t und das Mittelfeld, das im Beispiel (3´) zusätzlich zu es und m ū lo durch ja heute wirklich zum dritten Mal erweitert ist, lässt sich beispielsweise noch durch Lokal- und Instrumentaladverbialen nach Belieben erweitern, was durch die Punkte (…) angedeutet wird.

Auf die Problematik, dass m ū lo eventuell mit gen āś t zusammen den Klammerschluss der Verbklammer bilden könnte, weil mūlon āś en ‚kaputt gehen‘ auch als Idiomatische Wendung angesehen und m ū lo zum engeren Verbalkomplex gerechnet werden könnte, sei lediglich verwiesen, aber nicht weiter eingegangen. Die Tatsache, dass das Romnes Idiomatische Wendungen, deren lexikalische Bestandteile genau den deutschen Pendants entsprechen, kennt und ihre syntaktischen Eigenschaften im Hinblick auf die Topologie und ihre morphologischen Eigenschaften im Hinblick auf die semantische Entleerung der Lexeme, aus denen die Idiomatische Wendung zusammengesetzt ist, mit den Idiomatischen Wendungen des Deutschen identisch sind, muss aber dringend zur Kenntnis genommen und zur späteren Kategorisierung verwendet werden.

Verglichen mit den Sprachen der Welt ist eine analytische Perfektkonstruktion an sich und insbesondere eine mit dem Hilfsverb sein völlig exotisch. Ebenso verhält es sich mit den topologischen Eigenschaften des Deutschen, was die Felder und Klammerstrukturen anbelangt.

[...]


1 Begriffe, die in den letzten zwanzig Jahren für den Lebensstil der Zigeuner geprägt wurden, sind „Handelsnomaden“, „Dienstleistungsnomaden“ und „Symbiotische Nomaden“. Rao(2003:13ff) zeigt, dass der Begriff „Peripatetiker“ angemessener ist als der irgendeines Nomadentums, da Zigeuner maximale Mobilität bei minimaler Nahrungsgewinnung aus ihrer Umwelt bewahren, während sich beispielsweise der pastorale Nomadismus durch maximale Mobilität bei maximaler Nahrungsgewinnung auszeichnet. Der Begriff „Peripatetiker“ wurde seit 1986 in Anlehnung an die Benennung der postsokratischen Philosophenschule auf Gesellschaften in Pakistan angewendet, die sich dort mit dem Sammelbegriff Paryatan bezeichnen (vgl. Rao 2003:15). Der Begriff leitet sich von der Sanskritwurzel pari ab, die ‚herum‘ bedeutet. Dadurch kam Joseph Berland dazu den griechischen Begriff περίπατοι für endogame nomadische Gesellschaften zu verwenden, deren Wirtschaft überwiegend auf der Herstellung und dem Verkauf von Gütern sowie dem Erbringen von Dienstleistungen beruht (vgl. Rao 2003:16).

2 Zur Verteilung der einzelnen Volksgruppen in Eurasien, deren Sprachen und deren Sprachverzweigung vgl. Holzinger (1993:6) und zum Vergleich der Sprachverwandtschaft der Romani-Dialekte untereinander und deren dialektale Verbreitung vgl. Boretzky (2007:335) und Boretzky & Igla (2004).

3 Vgl. Brown (1928:170).

4 Holzinger (1993:1).

5 Wolf (1960): „ A [lt] ind [isch] . ḍoma m. Mann niederer Kaste, der vom Singen und Musizieren lebt “.

6 Die Vorgehensweise und das Ziel der Arbeit werden im kommenden Unterpunkt detailliert dargestellt.

7 Vgl. Matras (2003:232).

8 Vgl. Holzinger (1993:2).

9 Vgl. Aguirre Felipe (2006:41).

10 Vgl. Bakker & Kyuchukov (2000:13).

11 Dieses Argument erhält noch mehr Nachdruck, wenn man sich vor Augen hält, dass die Wanderroute der Zigeuner wenigstens grob anhand der Gebersprachen von Lehnwörtern nachvollzogen werden kann. So finden sich neben dem indigenen Wortschatz Entlehnungen aus dem Persischen (vgl. romanes baxt ‚Glück‘ < pers. b ä xt ‚Geschick, Glück‘ und romanes mom ‚Wachs‘ < pers. mum ‚Wachs‘, nach Holzinger (1993:20)), dem Griechischen (vgl. romanes drom ‚Straße, Weg‘ < gr. δρόμοϛ ‚Laufbahn‘, romn. ś tadi ‚Hut‘ < gr. σκιάσι ‚Hut‘, nach Holzinger (1993:21)), dem Slawischen (vgl. romanes mat ś ka ‚Katze‘ < serbokroat. ma č ka ‚Katze‘ und romanes voxni ‚Fenster‘ < sorb. wokno ‚Fenster‘, nach Holzinger (1993:21)), dem Romanischen (vgl. romanes kapa ‚Decke‘ < lat. cappa ‚Mantel‘ und romanes tran ś uri ‚Teller‘ < franz. tranchoir ‚Holzteller‘, nach Holzinger (1993:21)) und dem Deutschen (vgl. romanes ś taxl éń gro ‚Igel‘ < dt. Stachel und neben dem Erbwort lov ī na ‚Bier‘ auch romanes b ī ra ‚Bier‟ < dt. Bier).

12 Vgl. Bakker & Kyuchukov (2000:90ff).

13 Vgl. Matras (2003:237).

14 Vgl. Matras (2003:238).

15 Man vergleiche das Kopf -Wort aus dem Romanes śē ro ‚Kopf, Helm‘ mit dem etymologisch verwandten Wort por ‚Kopf‘ aus dem Romani, wie man es auf der Halbinsel Krim spricht, oder brok ‚Kopf‘ aus dem Romani, wie es im südlichsten Balkan (Griechenland und Bulgarien) gesprochen wird.

16 Vgl. Boretzky & Igla (2004): Karte 3: Labialisierung in šelo, šero, veš u.a.

17 Vgl. Boretzky & Igla (2004): Karte 7: Akzentwandel.

18 Vgl. Boretzky & Igla (2004): Karte 23: Distinktion von /x/ und /h/.

19 Es ist unklar, inwiefern hier noch von Dialekten gesprochen werden darf oder schon von Sprachen gesprochen werden muss. Teilweise sind die Varianten des Romani untereinander so verschieden, dass sich Sprecher zweier Varianten gegenseitig nur kaum, wenn nicht sogar überhaupt nicht, verständigen können.

20 Vgl. Matras (2003:234)

21 Vgl. Mendel (1866:12) und Mendel (1866:30f).

22 Wenngleich es durchaus stellungsbedingte allophonische Varianten des r-Lautes in Form des uvularen Trills [ʀ], des alveolaren Taps [ɾ] bis hin zum uvularen Frikativ [ʁ] gibt, ist in der obigen Tabelle nur das zugrundeliegende Phonem /r/ angeführt. Da aufgrund des Artikulationsstellenkontinuums die Gefahr besteht bei einer detaillierten Darstellung von Allophonen leicht vom Hundertsten ins Tausendste zu geraten, sei hier lediglich auf die Existenz der Allophone verwiesen, dabei in Kauf nehmend, dass die Festlegung des archetypischen Phonems willkürlich erscheinen mag. Es sei des Weiteren darauf hingewiesen, dass dieselben Allophone des r-Lautes auch im Deutschen existieren. Auf den Gedanken, ob diese phonologische Regel aus dem Deutschen übertragen ist oder in einem anderen Verhältnis zum Deutschen steht, soll zwar in diesem Rahmen hingewiesen werden, aber soll dieser in der vorliegenden Arbeit nicht weiter verfolgt werden.

23 Es sei hier auf das stimmhafte Allophon [z] verwiesen, das häufig in silbeninitialer Position erscheint. Da im Romanes keine Distinktion zwischen [s] und [z] besteht, ist in obiger Tabelle lediglich das willkürlich gewählte Archetypenphonem /s/ angeführt.

24 Vor hinteren Vokalen kann zum Phonem /ʃ/ auch eine allophonische Variante in Form des retroflexen Frikativs [ȿ] realisiert werden. Auch in diesem Zusammenhang sei in obiger Darstellung lediglich das willkürlich gewählte Archetypenphonem /ʃ/ angeführt.

25 Dass der glottale Plosiv als distinktiv gilt, somit einen Phonemstatus einnimmt und daher durch ein eigens bezeichnendes Graphem dargestellt werden muss, beweist das folgende Minimalpaar: naqa ‚nein‘ und na ń a ‚nackt, bloß (VOK.SG.F)‘

26 Zum velaren Frikativ /x/ sei angemerkt, dass eine allophonische Variante in Gestalt des uvularen Frikativs [χ] existiert, jedoch keine Variante [ç], wie dies beispielsweise im Deutschen der Fall wäre.

27 Um nur eines von unzähligen Beispielen zu nennen, kann an dieser Stelle Wolf (1960) angeführt werden. Unter dem Stichwort raklo ‚Knecht, Diener‘ sind neben jener Form <raklo> auch folgende Varianten zu finden: <rakhló, rachló, rakklo, rákklω, racklo, rackilo, rockelo, rachljo, rakoro>.

28 Da zu den Vokalphonemen des Romanes noch keine Untersuchung durchgeführt wurde und es inhaltlich auch aus dem Rahmen der vorliegenden Arbeit fiele diese hier durchzuführen, seien auf die Gefahr hin dem Leitsatz der strikten Phonem-Graphem-Beziehung zu widersprechen trotzdem die oben aufgeführten Laute zu einem

29 Akute stehen demnach nur dort, wo die Wortakzente durch morphologische Prozesse (sowohl Derivation als auch Flexion) von der ersten Silbe nach hinten gleiten. So wird beispielsweise bei v ā go ‚Wagen‘ der Initialakzent nicht durch einen Akut angezeigt, während das Derivat vag éń ro ‚Fahrer, Wagenlenker‘ einen Akut auf der betonten mittleren Silbe trägt.

30 Nach Lehmann (1982).

31 Das Personalpronomen ich der L1-Zeile könnte in der interlinearen Glosse möglicherweise auch in der Darstellungsweise seiner Funktion in Form von PERS.1.SG.NOM realisiert werden. In solchen Fällen bietet es sich aus ökonomischer Perspektive an die kürzere lexikalische Darstellungsform ich zu wählen.

32 Beispielsweise ge]seh[en im Gegensatz zu ein-seh-en, wobei bei ersterem ein Zirkumfix zur Bildung des Partizip Präteritums vorliegt und bei letzterem einerseits ein derivatives Präfix und andererseits ein flexivisches Suffix, das den Infinitiv markiert.

33 Infixe kennt neben den semitischen Sprachen, die ein äußerst ausgeprägtes Infixsystem besitzen, auch beispielsweise das Lateinische, das durch ein eingefügtes /n/ vor das letzte Wurzelradikal das sogenannte Nasalpräsens bilden kann. Vgl. vi[n]c-e-re ‚(be-)siegen‘ versus vic-tor ‚Sieger‘ und vic-i ‚ich habe gesiegt‘ oder iu[n]g-e-re ‚verbinden‘ versus iug-um ‚Joch‘.

34 Vgl. beispielsweise Holzinger (1993:99) und Holzinger (1995:25f). Holzinger weist jedoch auch darauf hin, dass archaische Dialekte diese Form auf die Endung -ela bilden.

35 Mit der Negationspartikel im Romanes geht ein weiteres Problem einher. Die in diesem Satz verwendete Negationspartikel t śī heißt wörtlich und ursprünglich ‚nichts‘ und ist keine Partikel, sondern ein Quantor. Die native Strategie des Romanes eine Assertion zu negieren ist die satzfinale Anhängung der Partikel gar. Im gegenwärtigen Romnes scheint t śī aber eine Art von Grammatikalisierung erfahren zu haben, indem es nicht nur die Funktion der satznegierenden Partikel (und auch der Antwortpartikel ‚nein‘) übernommen hat, sondern auch, da es die Wortart von Zahlwort beziehungsweise Quantor zu Partikel gewechselt hat.

36 Im Deutschen wird das Tempus Perfekt nur bei Verben mit imperfektivem Verbalaspekt durch eine Konstruktion mit dem Hilfsverb sein gebildet. Verben mit perfektivem Verbalaspekt werden von dem Hilfsverb haben begleitet. Auch die haben -Perfektkonstruktion wird in den folgenden Beispielsätzen noch angesprochen werden.

Ende der Leseprobe aus 106 Seiten

Details

Titel
Sprachwandel im Romani
Untertitel
Ein Versuch der Kategorisierung durch Kontaktphänomene
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
106
Katalognummer
V189555
ISBN (eBook)
9783656137801
ISBN (Buch)
9783656139287
Dateigröße
1405 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Romani, Romanes, Zigeuner, Migration, Deutsch, Linguistik, Kontakt, Sprachwandel, Code Switching, Code, Switching, Hybridität, Hybride, Substrat, Superstrat, Sprachbund, Sprachgemeinschaft, Kreol, Pidgin, Sprachtod, Sprachverfall
Arbeit zitieren
M.A. Jesse Lehmann (Autor:in), 2009, Sprachwandel im Romani, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/189555

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