Inszenierung von Weiblichkeit in ausgewählten Kurzgeschichten von Edgar Allan Poes 'Tales of the Grotesque and Arabesque'


Examensarbeit, 2008

72 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Historischer Kontext: Zeitalter der Reformbewegung
2.1 Die American Renaissance
2.2 Die Situation der Frau im 19. Jahrhundert in den USA
2.3 Das Ideal einer Frau: True Womanhood
2.3.1 Erste Tugend: Piety
2.3.2 Zweite Tugend: Purity
2.3.3 Dritte Tugend: Submissiveness
2.3.4 Vierte Tugend: Domesticity
2.3.5 Gesamtbild einer True Woman

3. Literatur als Gegenkultur: Der Geist der Erneuerung
3.1 Transzendentalismus
3.2 Poe und die Schauerromantik
3.3 Poes literaturtheoretische Aufsätze
3.3.1 The Philosophy of Composition
3.3.2 The Poetic Principle

4. Inhalt und Analyse der Kurzgeschichten
4.1 Erzählsituation
4.2 Berenice
4.3 Morella
4.4 Ligeia
4.5 The Fall of the House of Usher
4.6 Gemeinsamkeiten der Erzähler

5. Inszenierung von Weiblichkeit
5.1 Gemeinsamkeiten
5.2 Berenice
5.3 Morella
5.4 Ligeia
5.5 Madeline Usher
5.6 Zentrales Motiv

6. Schluss

7. Literaturverzeichnis
7.1 Primärliteratur
7.2 Sekundärliteratur

1. Einleitung

Ein sich auffallend oft wiederholendes Thema bei Edgar Allan Poe (1809-1849) sind sterbende Frauen. Frauen werden in Poes Kurzgeschichten meist plötzlich von einer mysteriösen und unheilbaren Krankheit befallen, durchleben dann eine Phase des Leidens und sterben am Ende der Kurzgeschichte. Übrig bleibt ein völlig verwirrter bis wahnsinniger männlicher Erzähler, der sich mit übernatürlichen Ereignissen wie der Wiederauferstehung nach dem Tod oder der Reinkarnation der Frau in einer anderen Person konfrontiert sieht.

Das Bild der toten Frau beschäftigt seit mehreren Generationen Literaturwissenschaftler verschiedenster Theorierichtungen. Viele Literaturwissenschaftler haben in der Ver-gangenheit versucht, einen Zusammenhang zwischen der Biografie Edgar Allan Poes und den mysteriösen Todesfällen in seinen Kurzgeschichten und seiner Lyrik zu ziehen. Poes leibliche Mutter Eliza Poe, Poes sieben Jahre jüngere Cousine und Ehefrau Virginia Clemm und seine Pflegemutter Frances Allan starben alle in einem relativ jungen Alter an der damals noch unheilbaren Krankheit Tuberkulose. Besonders der Tod von Poes leiblicher Mutter gibt vielen Literaturwissenschaftlern Anlass dazu, Poes Gedichte und Kurzgeschichten psychoanalytisch zu interpretieren und die Basis der Interpretation in Poes Vergangenheit zu suchen.[1] Sie betrachten die sterbende Frau und deren Verlust als Vergangenheitsbewältigung des Erzählers der Kurzgeschichte oder des Gedichts und setzen den Erzähler mit Poe gleich. Es ist eine Art der Trauer, eine Rückkehr in die Vergangenheit, so als ob Poe versuchte, die Dinge wieder gut zu machen.

In manchen Fällen erscheint diese Lesart sinnvoll, gerade in den Fällen der später ge-schriebenen Gedichte wie The Raven oder Annabel Lee[2]. Für einige Kurzgeschichten in Tales of the Grotesque and Arabesque, einem Sammelband von Kurzgeschichten, die vor 1839 erschienen sind, halte ich diese Lesart nicht für sinnvoll. Die Kurzgeschichten Berenice, Morella, Ligeia und The Fall of the House of Usher handeln zwar von ster-benden Frauen, sollten dennoch nicht als Vergangenheitsbewältigung des Autors verstanden werden, weil der Erzähler in diesen Kurzgeschichten nicht mit einem naiven, schwachen und zärtlichen weiblichen Geschlecht konfrontiert wird, sondern mit einem starken, intellektuellen weiblichen Geschlecht.

Wenn die Kurzgeschichten nicht von Frauen handeln, die stellvertretend für die Trauer um den Verlust von Poes leiblicher Mutter stehen, so wie es viele Literaturwissen-schaftler behaupten, dann stellt sich die Frage, wofür diese Frauen stehen, was sie symbolisieren oder auf welches Problem Poe mit dieser Thematik hinweisen wollte.

Im ersten Teil dieser Arbeit findet eine historische Kontextualisierung statt, damit deutlich wird, unter welchen kulturellen, sozialen und historischen Bedingungen Edgar Allan Poe zu seinen Aussagen über seine damalige Gesellschaft gekommen ist. Dadurch werden die Kurzgeschichten zum Teil in das damalige politische und ökonomische Umfeld, aber insbesondere in das soziale Umfeld der damaligen US-Gesellschaft eingebunden und vor dem Hintergrund dieser Bezugsfelder interpretiert. Es bleibt zu betonen, dass die Kurzgeschichten keine Abbilder der damaligen Realität bilden, es spiegelt sich in diesen nicht die Wirklichkeit der damaligen US-Gesellschaft wieder, sondern die Kurzgeschichten bilden eine Verfremdung der Wirklichkeit, in welcher auch stets konkrete Machtinteressen dargestellt werden.

Dabei spielt einerseits die politische Situation des beginnenden 19. Jahrhunderts in den USA eine wichtige Rolle, da diese geprägt war von tiefgreifenden kulturellen Ver-änderungen, in denen sich insbesondere eine amerikanische Identität herausbildete und in der sich Edgar Allan Poe als amerikanischer Vertreter der europäischen Schauer-romantik etablierte, die er konsequent durch die Erkundung der Nachtseiten des menschlichen Bewusstseins umsetzte.[3]

Andererseits wird einleitend die Rolle der Frauen in diesem Zeitraum aufgegriffen werden, da die Rolle der Frau im Zuge des 19. Jahrhunderts gravierenden Ver-änderungen unterlag. Zusätzlich wird ein Aufsatz Barbara Welters herangezogen, der einen besonders guten Eindruck von den damals vorherrschenden Weiblichkeitsidealen aufzeigt, auf die ich im Laufe der Arbeit kontinuierlich zurückgreifen werde und welche einen wichtigen Bestandteil meiner Gesamtargumentation bilden.

Auf die Biografie Edgar Allan Poes wird in dieser Arbeit nur sehr kurz eingegangen, da sie für die Fragestellung nicht relevant ist und ein allzu biografischer Zugang zu Edgar Allan Poes Kurzgeschichten an der inneren Komplexität der Texte scheitert.[4]

Im dritten Teil der Arbeit wird dargestellt, dass sich der Geist der Erneuerung nicht nur auf politischer und sozialer Ebene, sondern auch gerade in der Literatur vollzog. Dabei entwickelte sich die literarische Gegenkultur der Transzendentalisten, ohne die Edgar Allan Poes Werke nicht zu verstehen wären. Poe bildete einen Gegenpol zu den Transzendentalisten und entwickelte neue ästhetische Theorien, die er in seinen literaturtheoretischen Aufsätzen manifestierte. Wie noch zu sehen sein wird, stellten Edgar Allan Poes Kurzgeschichten jedoch keinen moralischen Anspruch an dessen Leserschaft, wie es die Transzendentalisten forderten, sondern einen ästhetischen Anspruch.

Anschließend werden ausgewählte Kurzgeschichten der Tales of the Grotesque and Arabesque analysiert, die für die Fragestellung dieser Arbeit relevant sind. Die Kurz-geschichten wurden dabei nach eigenem Bemessen selektiert, wobei darauf geachtet wurde, dass es sich um Kurzgeschichten handelt, in denen Poe Frauen instrumen-talisiert und Weiblichkeit inszeniert. Dieses Vorgehen lässt sich nicht in allen Kurz-geschichten der Tales of the Grotesque and Arabesque wiedererkennen. Die vier Kurzgeschichten, die für diese Arbeit aussagekräftig sind, Berenice, Morella, Ligeia und The Fall of the House of Usher, werden nicht vollständig analysiert und interpretiert, sondern ich werde, von einigen allgemeinen Aspekten abgesehen, mich auf die Aspekte konzentrieren, in denen sich Poes Inszenierung von Weiblichkeit darbietet. Die Vorgehensweise ist dabei chronologisch in Bezug auf das jeweilige Datum der Veröffentlichung der Kurzgeschichte.

Um einen Eindruck von der Handlung der jeweiligen Kurzgeschichte zu erhalten, wird der Inhalt einführend kurz zusammengefasst und das Thema[5] der Kurzgeschichte analysiert. Da Poe in allen vier Kurzgeschichten die Erzählperspektive des Ich-Erzählers wählt, erzielt Poe nicht nur den Effekt immenser Subjektivität, sondern er lässt den Leser auch die Angst des Erzählers verspüren, die Poe durch die Wahl der Themen erzeugt. Das Verhalten des Erzählers spielt für die Gesamtaussage dieser Arbeit eine wichtige Rolle, weshalb in einem Unterkapitel auf signifikante Verhaltens-muster des Erzählers eingegangen wird. Durch das Verhaltensmuster des Erzählers bietet Poe dar, welche Auswirkungen eine veränderte Rolle der Frau auf die Rolle des Mannes hat.

Im Anschluss daran werden die einzelnen Kurzgeschichten auf ihre Aussagekraft in Bezug auf die Inszenierung von Weiblichkeit analysiert. Dabei werden zunächst die Elemente herausgearbeitet, die Poe für diese Inszenierung einsetzt und dann wird insbesondere die Intention dieser Einsetzung interpretiert.

In einer abschließenden Zusammenfassung soll auf Grundlage der Ergebnisse bewiesen werden, dass Poe in den hier behandelten Kurzgeschichten weibliche Figuren instrumentalisiert, um auf die Unterdrückung von Frauen im anfänglichen 19. Jahrhundert aufmerksam zu machen.

Ziel dieser Arbeit ist es, herauszuarbeiten, dass Edgar Allan Poe in den hier be-handelten Kurzgeschichten der Tales of the Grotesque and Arabesque eine deutlich feministische Haltung einnimmt, indem er auf satirische Weise kritisch Stellung zu sozialen Missständen in der patriarchalischen Gesellschaft der USA des 19. Jahr-hunderts nimmt. Um diese Kritik verstehen zu können, analysiere ich das Verfahren der männlichen Erzähler mit den weiblichen Figuren in den Kurzgeschichten.

2. Historischer Kontext: Zeitalter der Reformbewegung

2.1 Die American Renaissance

Am 4. Juli 1776 proklamierten die dreizehn britischen Kolonien Nordamerikas ihre Unabhängigkeit vom britischen Mutterland. Die politische und ökonomische Emanzipation der neu entstandenen Vereinigten Staaten von Amerika vollzog sich in einer Dynamik, die bis heute fasziniert. Doch die kulturelle Emanzipation der USA ließ noch einige Jahrzehnte auf sich warten. Die Entwicklung einer kulturellen ameri-kanischen Identität und eines eindeutigen Selbstverständnisses seiner Bürger blieben in den USA aus. Erst die 30er Jahre des 19. Jahrhunderts markierten den Beginn einer neuen kulturellen Wahrnehmung und machten die Notwendigkeit einer amerikanischen Selbstdefinition besonders in der Literatur deutlich. Die nächsten drei Jahrzehnte gelten als der Höhepunkt der noch jungen amerikanischen Literatur, in denen sich nun auch die kulturelle Emanzipation der USA vollzog.

Der von Matthiessen geprägte Begriff[6] der American Renaissance[7] beschreibt diesen Zeitraum, in dem die amerikanische Literatur den lang angestrebten Anschluss an die Weltliteratur vollzog und die amerikanische Kultur und Identität ihren eigenen Charak-ter entwickelte. Matthiesen verwendet den Begriff American Renaissance in Anlehnung an die Europäische Renaissance, um die Phase des kulturellen und sozialen Wandel in den USA zu beschreiben. Im Zuge dieses künstlerischen und gesellschaftlichen Wandels entwickelten die Vereinigten Staaten ihre unverwechselbare Stimme und befreiten sich von der kulturellen Abhängigkeit Europas, die ihr Kreativitätspotential lange gelähmt hatte. Viele amerikanische Schriftsteller entwickelten einen literarischen Pioniergeist. Wie Pioniere an die Frontier stießen, die Grenzen der Wildnis, so stießen sie jetzt auch an eine Frontier künstlerischer Innovation. Schriftsteller wie Hawthorne[8], Melville, Whitman und Poe[9] zeichneten sich durch eine kritische Haltung gegenüber der Politik, der Gesellschaft und der Literatur aus. Die allzu optimistische Haltung der Bevölkerung teilten sie nicht und bekundeten in ihren Schriften die Ablehnung der dominanten Kultur und der nationalen Ideologie, indem sie die amerikanische Kultur problematisierten und innere Widersprüche aufzeigten. Gerade in diesem Denken lässt sich der spezifisch amerikanische Charakter festmachen, der von den Prinzipien des Individualismus und liberaler Demokratie geprägt ist.

Die historische und politische Situation, in der sich die American Renaissance heraus-bildete, war von tiefgreifenden, fundamentalen Veränderungen geprägt.[10] Durch die Herausbildung eines neuen amerikanischen Selbstbewusstseins konnte die koloniale und aristokratische Regierungsform überwunden werden. Die während der Jackson-Ära (1829-37) vorangetriebenen politischen und ökonomischen Umwälzungen, wie der Zusammenbruch der National Bank und die darauf folgende Wirtschaftskrise im Jahr 1837, trafen auf einen allgemeinen Reformgeist in der Bevölkerung der USA. Besonders der Kampf gegen die Armut, die Befreiung der Sklaven und die Rechte der Frauen wurden thematisiert. Die zunehmende Verstädterung und Industrialisierung der zuvor landwirtschaftlich orientierten Wirtschaft stilisierte den American Dream zu einem ökonomischen und materiellen Ideal. Der viel gepriesene Individualismus jedes einzelnen Bürgers traf auf die Tendenzen einer sich herausbildenden Massen-gesellschaft. Durch den großen Einwanderungsdruck aus Europa verschob sich der Bevölkerungsschwerpunkt stetig weiter ins Landesinnere. Die zuvor dominierende Produktionsform des Familienbetriebs musste moderneren Betriebstrukturen weichen. Große industrielle Betriebe in den Städten zogen viele Teile der Bevölkerung aus der Peripherie in die Städte, wo viel ertragreicher produziert werden konnte.

Die aggressive Expansionspolitik nach Westen und Südwesten wurde durch die Manifest Destiny-Idee[11] gerechtfertigt. Diese Idee sah eine gottgewollte Vorbe-stimmtheit des nordamerikanischen Kontinents für die überlegene Gesellschafts-ordnung der USA vor.[12] Obwohl Massendeportationen und Zwangsumsiedlungen ganzer Indianerstämme in Gebiete westlich des Mississippi sowie das System der Sklaverei gegen alle demokratischen Prinzipien verstießen, wurde die Manifest Destiny-Idee vom Großteil der Bevölkerung unkritisch verinnerlicht. Dennoch bargen die großen Interessengegensätze der ständig anwachsenden Regionen viele Probleme und schufen insgesamt ein äußerst instabiles Gebilde.

2.2 Die Situation der Frau im 19. Jahrhundert in den USA

Ein Problem, das die Vereinigten Staaten seit ihrer Unabhängigkeit 1776 begleitet hat, ist das Verhältnis zwischen Manhood und Womanhood. In einer Gesellschaft, die das Streben nach Glück für alle Individuen als eine der obersten Prämissen ausgibt, sollte demzufolge ein äußerst hohes Maß an Gerechtigkeit walten. Im Spannungsfeld der Beziehung zwischen Mann und Frau[13] lässt sich diese Gerechtigkeit nur schwer fest-stellen. Ein offensichtlicher Indikator für die soziale Benachteiligung der Frau in der patriarchalischen US-Gesellschaft ist ihr fehlendes Wahlrecht. Wenn es in der Unabhängigkeitserklärung heißt, dass die Regierung der Vereinigten Staaten durch die Bildung eines Konsens der zu Regierenden legitimiert wird, dann bleibt zu fragen, warum nicht alle zu Regierenden an dieser Konsensbildung beteiligt sein dürfen.[14]

Das Wachstum der Wirtschaft und die damit zusammenhängende soziale Entwicklung hatten einen großen Einfluss auf das politische Leben in den USA. Das Interesse der breiteren Masse an der Politik stieg und auch Frauen gaben sich mit ihrer politischen Machtlosigkeit nicht zufrieden.[15] Auch in vielen anderen Bereichen, wie z.B. Recht auf Bildung, auf Arbeit und auf Eigentum, waren Frauen den Männern nicht gleichgestellt. Deshalb nahmen viele Frauenrechtlerinnen den langen Kampf gegen ihre gesell-schaftliche Unterdrückung auf, oft mit nur mäßigem Erfolg.

So riefen zum Beispiel Lucretia Mott und Elizabeth Stanton am 19. Juli 1848 eine Frauenrechtskonferenz in Seneca Falls im Staate New York zusammen, an der 35 Frauen und 32 Männer[16] teilnahmen. In dieser Konferenz wurde die Declaration of Independance von 1776 kritisiert, die nach Ansicht der Teilnehmer widersprüchlich sei, da das Aufklärungsideal der Gleichheit für alle Menschen nicht mit der realen ge-sellschaftlichen Situation in den USA übereinstimme.[17] Die Konferenz orientierte sich formal an der Unabhängigkeitserklärung von 1776, doch inhaltlich wurde als wichtigste Resolution die Declaration of Sentiments and Resolutions festgehalten, in der es unter anderem heißt, dass nicht nur „all men are created equal“[18], sondern dass Männer und Frauen gleich geboren seien. Diese Ansicht hatte zwar in keiner Weise den offiziellen Charakter der Unabhängigkeitserklärung von 1776, doch sie schlug eine Bresche, die später weiter verbreitert werden konnte, und gilt als eine der wichtigsten Dokumente der amerikanischen Frauenrechtsbewegung des 19. Jahrhundert.[19]

Während die Männer ihrem – nach ihrer Auffassung – gottgegebenen Auftrag nach-gingen, den nordamerikanischen Kontinent zu erobern und dem Rest der Welt ein Staatswesen vorzuführen, in dem die menschliche Freiheit verwirklicht werden könne, blieben die Frauen im häuslichen Bereich zurück. Doch auch hier waren die Frauen ihren Ehemännern nicht gleichgestellt. Er disponierte über sein eigenes Vermögen, aber auch über das seiner Frau. Im Falle einer Scheidung bekam meistens der Vater das Kind zugesprochen.[20]

2.3 Das Ideal einer Frau - True Womanhood

Durch die zunehmende Industrialisierung und Urbanisierung des nordamerikanischen Kontinents bildete sich eine neue Middle Class heraus[21], die ganz bestimmte kulturelle Merkmale entwickelte. Die im Zuge der Industrialisierung entstandenen Berufe wurden hauptsächlich von Männern bekleidet. Frauen galten als zu empfindlich und zu schwach für die public Sphere,[22] eine Welt, in der sich der Mann für den Erfolg verausgaben musste. Frauen sollten diesem materialistischen Wandel nicht unterzogen werden, sondern in der ihnen durch den Mann zugeordneten Private Sphere[23] ein Ideal aufrecht-erhalten, das eng an religiöse Werte anknüpfte.

Der tiefgründige soziale Wandel in der Zeit zwischen 1800 und 1860 veränderte das Bild der Frauen entscheidend. Einen besonders guten Eindruck von den damals vorherr-schenden Weiblichkeitsidealen, die für eine amerikanische Mittelklassefamilie der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts maßgebend waren, liefert ein Aufsatz von Barbara Welter.[24] In diesem Aufsatz stellt Welter die These auf, dass eine Frau grundsätzlich vier Tugenden zu erfüllen habe, um eine wahre Frau – a true Woman – zu sein: Frömmigkeit, Reinheit, Unterwürfigkeit und Häuslichkeit.[25] Ohne eine dieser Tugenden sei soziale Anerkennung nicht möglich gewesen.

2.3.1 Erste Tugend: Piety

Die Frömmigkeit galt dabei als die maßgeblichste aller Tugenden. Die tief religiös verankerte Moral der Amerikaner stand im Widerspruch zu vielen Praktiken der kapita-listischen Ellenbogengesellschaft des 19. Jahrhunderts. Das schlechte Gewissen vieler Amerikaner und ihr Schuldbewusstsein mündeten in diesem Ideal von Weiblichkeit. Frauen sollten von diesen Praktiken ausgeschlossen bleiben und das Bild einer intakten Welt, die mit der Religion in Einklang steht, aufrechterhalten. Dabei seien Frauen im Gegensatz zu Männern besonders empfänglich für Religion. Dieser Umstand mache sie zu einer Art modernen Eva, die die Welt vor Aufruhr und Sünde beschütze.[26] Des Weiteren müsse sich die Frau trotz ihrer Religiosität auf ihre häuslichen Aufgaben konzentrieren. Die Religion wirke dabei beruhigend auf das Gemüt einer Frau, die mit den Sehnsüchten einer modernen Welt konfrontiert wird.[27]

2.3.2 Zweite Tugend: Purity

Eine ähnlich große Bedeutung schenkt Welter dem Ideal der weiblichen Reinheit.[28] Ohne diese Reinheit sei die Frau unnatürlich und nicht weiblich, eine Art niedere Form der wahren Frau, welche der männlichen Gesellschaft unwürdig sei.[29] Der Verlust der Jungfräulichkeit in der Hochzeitsnacht bilde dabei den Höhepunkt ihres Daseins. Ihre gesamte rechtliche und emotionale Existenz sei danach an ihren Ehemann übergeben worden.[30] Deshalb sei es von großer Wichtigkeit, diese Tugend, trotz aller Versuche des Mannes, der Frau schon vor der Ehe ihrer Jungfräulichkeit zu nehmen, wie einen Schatz bis zur Hochzeitsnacht zu bewahren, um rein und keusch zu bleiben. Falls eine Frau dieses nicht berücksichtigen sollte, wären die Konsequenzen furchtbar und könnten in manchen Fällen sogar tödlich sein. Falls eine Frau es jedoch schaffe, den männlichen Versuchen, sie von ihrer Jungfräulichkeit zu berauben, zu widerstehen, so demonstriere sie ihre Macht und ihre weibliche Überlegenheit gegenüber dem männ-lichen Geschlecht.[31]

2.3.3 Dritte Tugend: Submissiveness

Die dritte grundlegende Tugend, die eine ideale Frau des 19. Jahrhunderts nach Welters Ausführungen haben sollte, sei die Unterwürfigkeit. Wie schon angesprochen, be-gannen viele verschiedene soziale Gruppen zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den USA ein neues Selbstverständnis und großes Seltbstbewusstsein zu entwickeln. Der durch die Industrialisierung eingeleitete ökonomische Aufschwung erreichte jetzt die Massen. Aus diesem Grund begannen auch die Frauen ihren rechtmäßigen Platz in der Gesell-schaft einzufordern.

Die Frau des 19. Jahrhunderts verlor nach der Heirat die von der männlich dominierten Gesellschaft eingeforderte Tugend der Reinheit. Diesen Verlust solle die Frau nicht hinterfragen, sondern lediglich akzeptieren und ihre Rolle in der Gesellschaft so hin-nehmen, wie sie von der männlich dominierten Gesellschaft diktiert wurde. Deshalb sei eine bedingungslose Unterwürfigkeit[32] der Frau unumgänglich, da das damalige soziale System, mit dem Mann an der Spitze, sonst nicht mehr tragbar gewesen wäre. Männer seien die Akteure in diesem System, die keine Zeit für Religiosität hätten, da sie zu sehr damit beschäftigt seien, Geld zu verdienen. Frauen dagegen seien in diesem patriar-chalischen System nicht aktive Subjekte, sondern passive und unterwürfige Objekte.

Diese dogmatische Form des Dialogs sei fest beschlossen und durch göttliche Anord-nung legitimiert. Die Beziehung zwischen Mann und Frau sei gottgegeben und Frauen, die an dieser Ordnung zweifelten, zweifelten auch an der Ordnung des gesamten Universums. Diese wahre Ordnung verstünden nur die Frauen, die sich selbst als True Woman sähen.[33]

Nach Welter sei im 19. Jahrhundert die Meinung vertreten worden, dass eine ver-nünftige Frau sich ihrer Unterlegenheit bewusst sei, ihre Abhängigkeit fühle und deshalb für jede Unterstützung des männlichen Geschlechts dankbar sei. Dr. Meigs, ein damaliger Mediziner, behauptete ferner, dass die Unterlegenheit der Frau sogar ana-tomisch festzustellen sei. Er verglich die Schädel von Frauen und Männern und kam zu der Behauptung, dass Frauen deshalb so unterlegen seien, weil ihre Schädel im Gegen-satz zu dem Schädel eines Mannes so klein wären. Der weibliche Schädel sei nach Meigs’ Auffassung gerade einmal groß genug für Liebe.

Eine wahre und anständige Frau sei nach damaliger Auffassung dazu geboren, ihren Mann aufrichtig zu lieben und ihm dankbar dafür zu sein, dass er sie auserwählt hat. Des Weiteren sei es wichtig, dass eine wahre Frau ihrem Mann nicht widerspreche, immer ihre eigenen Fehler zugebe, nie unnachsichtig mit ihrem Mann ins Gericht gehe und nie ihren eigenen Standpunkt ausdrücke. Ob ihre Position richtig oder falsch ist, sei dabei irrelevant. Wichtig sei lediglich, dass eine Frau sich stets unterwürfig zeige.[34]

Eine Frau solle sich nur mit häuslichen Angelegenheiten beschäftigen, die gesamte Geschäftswelt sollte eine männliche Domäne bleiben. Eine Frau sollte niemals ihren Ratschlag geben, außer wenn sie danach gefragt würde. Diese durch Gott zugeteilte Rolle solle die Frau lautlos annehmen, ohne sich zu beklagen.[35]

2.3.4 Vierte Tugend: Domesticity

Ob Tochter, Ehefrau, Mutter oder Schwester: der beste Ort, die Unterlegenheit und Unterwürfigkeit auszuleben, sei das eigene Heim. Die vierte Tugend, die eine Frau des 19. Jahrhunderts zu einer wahren Frau mache, sei deshalb die Häuslichkeit. Im eigenen Heim könne sie am besten den ihr zugeteilten sozialen und familiären Pflichten nachkommen.

Zu den gesellschaftlichen Aufgaben innerhalb der Familie gehörte nach damaliger Auf-fassung auch die Verbreitung von guter Laune. Damit die Söhne und Ehemänner nicht in Versuchung kämen, sich an anderen Orten zu vergnügen, sei es eine der wichtigsten häuslichen Aufgaben der Frau, ihre Männer gut zu unterhalten.

Eine weitere wichtige häusliche Aufgabe einer True Woman der damaligen Zeit sei ihre Rolle als Pflegerin der Kranken. Im 19. Jahrhundert gab es viele Krankheiten, die damals als unheilbar galten und viele Teile der Bevölkerung ergriffen.[36] Frauen konnten demnach ihre Rolle als Pflegerin der Kranken in der Praxis mit äußerstem Pflicht-bewusstsein nachkommen, eine Rolle, in der die Frau ihre weiblichen Qualitäten ausspielen könne: Geduld, Sanftmut und Liebenswürdigkeit. Außerdem könne eine Frau in dieser Rolle ihre beiden Grundfunktionen erfüllen: Schönheit und Nützlichkeit.[37]

Weitere nützliche häusliche Funktionen einer idealen Frau des 19. Jahrhunderts seien in der Hausarbeit zu finden, wie z.B. Betten machen, Kochen oder Nähen. In ihrer Freizeit solle sie sich möglichst mit künstlerischer Handarbeit beschäftigen, wie Basteln oder Stricken. Es sei zudem von einer Frau zu erwarten, dass sie eine Affinität zu Blumen habe. Auch das Schreiben von Briefen sei eine durchweg feminine Beschäftigung, da eine Frau in einem Brief ihre Gefühle besser ausdrücken könne, als es einem Mann jemals möglich sein werde.[38]

Außerdem könne sich eine Frau in ihrer Freizeit mit Malen und Zeichnen beschäftigen oder ein Instrument spielen. Sie dürfe sogar lesen, solange es keine Literatur sei, die ihr zartes Gemüt betrübe oder ihre Religiosität in Frage stellte. Romane galten vorzugs-weise bei Frauen als beliebt. Teilweise galten diese jedoch als moralisch inakzeptabel. Unmoralisch handelnde Männer, die unschuldigen Frauen aufregende und gefährliche Bücher gaben, um sie zu verführen, seien zahlreich gewesen. Deshalb ist eine Liste von Romanen aufgestellt worden, welche den Bedürfnissen und Ansprüchen von Frauen genügen sollte und die moralisch akzeptabel sei.[39]

Religiöse Zeitschriften und Magazine, die speziell auf weibliche Bedürfnisse zuge-schnitten waren, waren gefüllt mit häuslichen Tragödien, in denen Frauen das gesamte häusliche System aus dem Gleichgewicht brachten, da sie ihrer weiblichen Rolle nicht entsprachen. Dabei richteten sich die darin zu findenden Ratschläge an verheiratete Frauen, weil die Ehe als angemessene Art einer Beziehung von Mann und Frau erachtet wurde. In der Rolle als Ehefrau könne die Frau am besten als Ratgeberin und Freundin des Ehemannes auftreten, die ihm die Sorgen nimmt, seine Leiden lindert oder ihn vor etwaigen Gefahren warnt. Durch die Ehe könne eine Frau ihre Autorität steigern und ihre weibliche Position verbessern. Dabei solle sie darauf achten, dass sie nicht aus materialistischen Gründen den Bund der Ehe eingeht, sondern nur aus Liebe zu ihrem Ehemann. Durch die Ehe werde eine Frau nicht nur zur Ehefrau, sondern ebenso zur Mutter, der weiblichen Rolle, die damals das höchste Prestige genossen habe und eine Frau noch fester an das eigene Heim gebunden hätte.[40] Der Mutter kam vorwiegend die wichtige Aufgabe zu, ihre Kinder zu guten Christen zu erziehen, eine Aufgabe, die in einer konsumorientierten und kapitalistisch geprägten Umwelt nicht leicht gewesen sein dürfte.

2.3.5 Gesamtbild einer True Woman

Frauen, die diesem Weiblichkeitsideal nicht entsprachen und sich mit der ihr angeblich gottgegebenen Rolle nicht abfanden, galten nicht als wahre Frauen, wurden vom weib-lichen Geschlecht ausgeschlossen und wurden nicht als Frauen angesehen. Nach Welter hätte die amerikanische Frau des 19. Jahrhunderts die Wahl, sich entweder an dieses Weiblichkeitsideal anzupassen, das damals in Magazinen, Journalen und Zeitschriften gepriesen wurde, oder sich diesem Weiblichkeitsideal zu widersetzen, indem sie die häusliche Sphäre verlässt, um zu arbeiten und so den Konventionen der patriar-chalischen Gesellschaft zu trotzen.[41] Die Veränderungen, die die USA im 19. Jahr-hundert prägten, wie die Migration in den Westen, die Industrialisierung oder der Bürgerkrieg zwischen den Nord – und den Südstaaten, verlangten jedoch eine andere Reaktion der Frauen als das passive Dasein einer True Woman, die sich mit ihrem Matriarchat innerhalb der häuslichen Sphäre zufrieden gibt. Viele Frauen hätten ver-sucht, den Ansprüchen einer True Woman zu genügen, aber gleichzeitig versucht, den Anforderungen des 19. Jahrhunderts gerecht zu werden. Aus dieser Kombination sei ein neuer Stereotyp von Weiblichkeit entstanden: die New Woman. Viele Magazine und Zeitschriften von damals hätten vor dieser neuen Art von Frau gewarnt, die die Werte einer wahren Frau durcheinander bringe und wodurch sich die angemessene Rolle einer True Woman verwische.

3. Literatur als Gegenkultur: Der Geist der Erneuerung

3.1 Transzendentalismus

Die politische und ökonomische Konstellation trug zu der Herausbildung einer Gruppe von Intellektuellen bei, die sich als oppositionelle Gegenbewegung zur damaligen ge-sellschaftlichen Entwicklung sahen und sich um die damaligen gesellschaftlichen Zu-stände sorgten. Den innovativen Charakter der amerikanischen Literatur bildete nicht die Mainstream-Literatur[42], sondern die Literatur der Transzendentalisten. Der Begriff transzendental ist von Immanuel Kants Transzendentalphilosophie abgeleitet. Nach dem Verständnis der Transzendentalisten waltete Gott in Mensch und Materie. Da die Transzendentalisten biografisch dicht miteinander verbunden waren und sich Gemein-samkeiten in ihrem Denken herstellen lassen, werden sie als Gruppe wahrgenommen. Sie lehnten den allgemein vorherrschenden Profitgeist ihrer Zeitgenossen ab und stellten diesem ein selbstloseres Ideal gegenüber. Eine breite Gefolgschaft blieb ihnen versagt und ihr Intellektualismus hatte nur wenig Anziehungskraft für die meisten Amerikaner, weil ihrem pantheistischen Glauben, der von der natürlichen Güte des Menschen überzeugt war, tägliche Erfahrungen mit Kapitalismus, Egoismus und Bos-heit gegenüberstanden.[43]

Transzendentalismus ist eine äußerst vage Bezeichnung für eine durchaus heterogene Gruppe von Intellektuellen und Schriftstellern, die in Opposition zu den vor-herrschenden religiösen, philosophischen, politischen und literarischen Auffassungen ihrer Zeit standen. Der Begriff wird nicht als eine literarische Epocheneinteilung gesehen, sondern als loser Begriff, der die Tendenz zur Überschreitung einer bestehenden Grenze oder eines bestehenden Denkmusters meint.[44] Der Transzendentalismus bildete sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts heraus und wirkte bis zur Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur auf Literatur, sondern auch auf die Religion, die Kultur und die Philosophie Nordamerikas.

Die europäische Romantik hatte einen großen Einfluss auf die Schriften der Transzen-dentalisten , aber auch die Aufklärung, der östliche Mystizismus, sowie der Puritanismus wirkten inspirierend auf die Transzendentalisten . Zu den Hauptvertretern gehörten vor allem Ralph Waldo Emerson, Margaret Fuller und Henry David Thoreau. Ohne den innovativen und intellektuellen Einfluss der Transzendentalisten wäre Poe nicht zu verstehen. Das Zentrum der Transzendentalisten formierte sich in Concord, Massachusetts, in der Nähe von Boston. Die Transzendentalisten bildeten einen radikalen Gegenpol zu der damals tonangebenden kulturellen Klasse. Sie setzten auf Kritik und Veränderung, weil sie die politische Emanzipation der USA auch auf kultureller und geistiger Ebene erreichen wollten. Durch diese Überschreitung wollten die Transzendentalisten alternative Möglichkeiten des Denkens, Schreiben und Lebens entwickeln.

[...]


[1] Den Anfang der psychoanalytischen Lesarten der Kurzgeschichten und Gedichte Poes machte Marie Bonaparte. Sie insistierte, dass Poe in Ligeia unterbewusst sein sadomasochistisches Verlangen nach seiner leiblichen Mutter Elizabeth Arnold Poe darstellt. Marie Bonaparte, Edgar Poe Étude Psychanalytique (Wien: Internationaler Psychoanalytischer Verlag, 1934) 224-236. Weitere bekannte Vertreter dieser Lesart sind: David Herbert Lawrence, Studies in Classic American Literature (London: Mercury Books, 1965), John Gerald Kennedy, „Poe, Ligeia and the Problem of the dying Women”, in: Kenneth Silverman (ed.), New Essays on Poe’s Major Tales (Cambridge: Cambridge University Press, 1993), Kenneth Silvermann (ed.), “Introduction”, in: Kenneth Silverman (ed.), New Essays on Poe’s Major Tales (Cambridge: Cambridge UP, 1993).

[2] In Annabel Lee ist die Todesursache der geliebten Annabel Lee eine Wolke, die aus dem Himmel kommt und die naive Annabel Lee erkranken lässt. Eine Assoziation zu Tuberkulose ließe sich in diesem Zusammenhang durchaus diskutieren.

[3] Die Motive, die Poe in vielen seiner Erzählungen verwendete, wie lebendig begraben zu werden oder die Rückkehr Verstorbener, belegen dies.

[4] Vgl. Hubert Zapf (Hrsg.), Amerikanische Literaturgeschichte (Stuttgart: Metzler, 2004)112.

[5] Die Themen, die Poe beschreibt, können je nach Interpretation variieren. In Ligeia beschreibt Poe den Erzähler als Opiumsüchtigen, weshalb eine Interpretationsmöglichkeit hier den Ausschluss des Übernatürlichen erlauben könnte. Die Schilderung des Erzählers, dem der Leser in diesem Fall nicht trauen dürfte, könnte demnach als Halluzination gedeutet werden. Für diese Deutung spricht sich vor allem John Lauber aus. John Lauber, „’Ligeia’ and its Critics: A Plea for Literalism“, Sudies in Short Fiction 4 (1966) 28-32.

[6] Ich weise darauf hin, dass der von Matthiessen geprägte Begriff der American Renaissance kritisch zu verwenden ist, weil Matthiessen Edgar Allan Poe, weibliche Schriftstellerinnen und afroamerikanische Schriftsteller ausschließt. Siehe dazu: Francis Otto Matthiessen, American Renaissance: Art and Expression in the Age of Emerson and Whitma n (London: Oxford University Press, 1941).

[7] Zapf, 2004, 85ff.

[8] In Hawthornes The Scarlet Letter wird diese Kritik besonders durch das Portrait der puritanischen Gesellschaft deutlich.

[9] Poes Kritik der amerikanischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts wird besonders durch den Umgang mit Weiblichkeit deutlich, wie in dieser Arbeit zu sehen sein wird.

[10] Auch Poe reagierte auf die ökonomischen Veränderungen während dieser Zeit. Die Marktbedingungen forderten die Schriftsteller dazu heraus, ihre Produkte an den Markt anzupassen. Das rapide expandierende Zeitschriftenwesen verlangte nach einer entsprechenden Kurzform, die große Akzeptanz bei den Lesern hatte. Poe reagierte mit einer bis dahin neuen Kurzform der Literatur, der Kurzgeschichte.

[11] Der Begriff Manifest Destiny wurde 1845 von einem New Yorker Journalisten namens John O’Sullivan geprägt und steht in engem Zusammenhang mit der puritanischen Gewissheit für die Besiedlung des nordamerikanischen Kontinents auserwählt zu sein, die den Siedlern seit den Tagen der Mayflower Selbstvertrauen und Optimismus gegeben hatte.

[12] Zapf, 2004, 89.

[13] Ich beziehe mich hier auf die europäischstämmigen Frauen der USA. Das Problem der afroamerikanischen Frau wie auch das Problem der Sklaverei stellen eine spezielle Problematik dar, die in diesem Zusammenhang nicht diskutiert wird.

[14] Der 19. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten, der den Frauen das Wahlrecht garantierte, wurde 1920 vom US-Kongress beschlossen. Siehe dazu: Udo Sautter, Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika (Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, 1998) 295.

[15] Sautter, 1998, 176f.

[16] Das Problem der gesellschaftlichen und politischen Lage der Frauen wurde oft mit dem Problem der Sklaverei in einem Atemzug genannt. Aus diesem Grund lässt sich die fast ebenso große Anzahl der Männer erklären, die an der Frauenkonferenz teilnahmen. Während männliche Afroamerikaner das Wahlrecht bereits nach Ende des Sezessionskrieges (1861-1865) erlangten, mussten sich Frauen weiterhin mit ihrer unbedeutenden politischen Lage abfinden.

[17] Vgl. Zapf, 2004, 522.

[18] „The Declaration of Independence: A Transcription”, 17.06.2008, http://www.archives.gov/exhibits/charters/declaration_transcript.html.

[19] Sautter, 1998 , 166.

[20] Ibid.

[21] Die US-Amerikanische Historikerin Barbara Welter untersuchte in einem Aufsatz verschiedene Medien der nordamerikanischen Populärkultur auf Aspekte, in denen Weiblichkeitsideale konstruiert und manifestiert werden. Sie prägte dadurch den Begriff True Womanhood und porträtiert sehr detailliert das Idealbild der nordamerikanischen Frau.

[22] Barbara Welter verwendet den Begriff public Sphere, um die Welt außerhalb der Familie zu beschreiben. Die public Sphere schließt die Öffentlichkeit sowie die Arbeitswelt mit ein.

[23] Mit private Sphere meint Welter die Welt innerhalb der Familie.

[24] Barbara Welter, „The Cult of True Womanhood: 1820-1860”, in: Welter, Dimity Convictions (Athens: Ohio University Press 1976) 21-41.

[25] Im englischen Original benutzt Welter die Begriffe Piety, Purity, Submissiveness und Domesticity. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit werde ich die obigen Übersetzungen verwenden.

[26] Welter, 21.

[27] Ibid, 22.

[28] Man könnte den Begriff Purity in diesem Kontext auch mit Keuschheit übersetzen, damit die sexuelle Dimension deutlich wird, die in dieser Tugend ihren Ausdruck findet. Ich übersetze Purity dennoch mit Reinheit, weil diese Übersetzung über eine rein sexuelle Dimension hinausgeht und eine moralische Dimension hinzufügt.

[29] Welter benutzt hier den Begriff fallen Woman.

[30] Welter, 24.

[31] Ibid, 25.

[32] Welter fügt hinzu, dass Unterwürfigkeit die höchste aller femininen Tugenden sei, die von Frauen des 19. Jahrhunderts erwartet wurde.

[33] Welter, 28.

[34] Ibid, 30f.

[35] Auch Welter spricht den Tod einer schönen Frau in der Literatur an. Sie schreibt, dass Frauen in der Literatur ebenfalls als unschuldige Opfer portraitiert werden, die zu rein und gut, aber auch zu passiv und schwach für die grausame Welt und den bösen Kräften nicht gewachsen seien. Deshalb, so die logische Konsequenz in der Literatur, sei das Zuhause die beste Zuflucht für solch eine zarte Kreatur, Vgl. Welter, 31.

[36] Tuberkulose war damals besonders gefürchtet und nahm vielen Menschen das Leben. Auch Poes leibliche Mutter und seine Ehefrau Virginia Clemm Poe erstarben an Tuberkulose, ein Thema, das oft in Poes Kurzgeschichten thematisiert wird. Wie zu sehen sein wird, dreht Poe das Verhältnis von Mann und Frau in dieser Hinsicht zum Teil um. In manchen Kurzgeschichten erkranken die Frauen und werden von ihren Ehemännern gepflegt.

[37] Welter, 32.

[38] Ibid, 33.

[39] Bücher, in denen die traditionelle Position der Frau kritisiert wurde, galten damals ebenfalls als gefährlich und unmoralisch.

[40] Welter, 38.

[41] Ibid, 40.

[42] Hier sind z.B. die Romane der Lederstrumpf-Serie James Fenimore Coopers zu nennen, in denen häufig die Frontier thematisiert wird. Cooper vermittelt darin ein Bild des amerikanischen Lebens im indianischen Grenzgebiet.

[43] Sautter, 1998, 161.

[44] Zapf, 2004, 99.

Ende der Leseprobe aus 72 Seiten

Details

Titel
Inszenierung von Weiblichkeit in ausgewählten Kurzgeschichten von Edgar Allan Poes 'Tales of the Grotesque and Arabesque'
Hochschule
Universität Hamburg  (Anglistik und Amerikanistik)
Note
1
Autor
Jahr
2008
Seiten
72
Katalognummer
V189703
ISBN (eBook)
9783656140313
ISBN (Buch)
9783656140504
Dateigröße
871 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Poe, Transzendentalismus, American Renaissance, Weiblichkeit im 19. Jahrhundert, Romantik, Horror
Arbeit zitieren
Benjamin Türksoy (Autor:in), 2008, Inszenierung von Weiblichkeit in ausgewählten Kurzgeschichten von Edgar Allan Poes 'Tales of the Grotesque and Arabesque', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/189703

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