Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Gemälde „Hl. Johannes der Täufer“ von Pierre Mignard (1612-1695)
3. Die Gemäldeschenkung der „Mesdames de France“
3.1. Die Töchter des französischen Königs Louis XV
3.2. Der Baron d’Uberherrn und seine Verdienste als „Médecin Consultant du Roi“
4. Das weitere Schicksal des Gemäldes
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das Überherrner Schloss wurde in den Wirren der Französischen Revolution zerstört[1]. Einzelne Steine der ehemaligen Schlossmauern fanden eine neue Verwendung beim Bau der angrenzenden Häuser der „Schlossstraße“[2]. Vom Verbleib des Mobiliars und etwaiger Kunstgegenstände aus dem Überherrner Schloss ist lediglich überliefert, dass der zweite Baron d‘Uberherrn, Jean Baptiste Helène Richard „seine kostbarsten Mobilien … in Saarbrücken hinterlegte“ und unter anderem deshalb im Verdacht stand, in den Zeiten des revolutionären Aufstands aus Überherrn zu fliehen.[3] Doch die Spur des Mobiliars nach Saarbrücken verliert sich und es scheint, als ob weder Mobiliar noch Kunstgegenstände aus dem Überherrner Schloss die Zeit der Baronie überstanden haben. Offenbar erlitt die Inneneinrichtung des Überherrner Schlosses ein ähnliches Schicksal wie das sie umgebende Gemäuer. Umso erstaunlicher ist es daher, dass ein Gemälde aus dem ehemaligen Besitz und Eigentum des Baron d‘Uberherrn im Auktionshaus „Sotheby’s“ im Juni 2011 in Paris versteigert worden ist.[4]
In diesem Beitrag soll dieses Gemälde vorgestellt und sodann die Umstände seines Erwerbs durch den Baron d‘Uberherrn einer interessierten Leserschaft unterbreitet werden. Der Verfasser erhofft sich, einen bei der Geschichtsschreibung zur Baronie Überherrn bisher nicht untersuchten Aspekt zur deutsch-französischen Kunstgeschichte des 18. Jahrhunderts zu beleuchten.
2. Das Gemälde „Hl. Johannes der Täufer“ (1688) von Pierre Mignard (1612-1695)
Der französische Maler Pierre Mignard („Mignard le Romain“) wurde in Troyes (Region Champagne-Ardenne) am 17. November 1612 geboren. Pierre Mignard gilt als ein Vertreter des klassizistischen Barock und ist vor allem für seine Madonnenbilder (sog. Mignardes), sowie seine mythologischen und allegorischen Werke bekannt.[5] Mignard verbrachte einen Großteil seines Lebens in Rom und stieg zum favorisierten Porträtisten von Papst Urban VIII. auf. Den Auftrag für sein Hauptwerk, die Ausmalung der Kuppel der Kirche „Val-de-Grâce“ („Gnadental“), erhielt er nach seiner Rückkehr nach Paris im Jahre 1663 von der Gattin Louis XIII., Anna von Österreich. Im Jahre 1690 berief ihn Louis XIV zum „Premier Peintre du Roi“ und Direktor der „Académie et des Manufactures Royales“. Mignard starb am 30. Mai 1695.
Unser Interesse gilt nun seinem Gemälde „Hl. Johannes der Täufer“ (1688), das als Kataloglos 28 Gegenstand der oben erwähnten Auktion war[6]. Das Ölbild auf Leinwand zeigt als zentrale Figur den Heiligen als Knaben. Dieser ist mit einem roten Tierfell bekleidet und sitzt angelehnt auf einem Felsvorsprung. In seiner rechten Hand hält er einen Stab, an dessen oberem Ende der Verweis auf Christus „Ecce Agnus Dei“ (Das ist das Lamm Gottes) angebracht ist. Das Lamm am rechten unteren Bildrand symbolisiert Christus, Gottes Lamm. Am linken unteren Bildrand erkennt man einen Wasserlauf als Sinnbild des Jordans mit dessen Wasser Johannes den Heiland zu taufen verheißt. Den Hintergrund bildet eine überwiegend in Brauntönen gehaltene Kunstlandschaft.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Danach gehörte das Gemälde zur ehemaligen Sammlung des französischen Königshauses und war Gegenstand einer Zuwendung der „Mesdames de France“ an einen ihrer Ärzte, Dr. François Marie Claude Richard, Baron d’Uberherrn.[9] Wer waren diese „Damen Frankreichs“ und was wissen wir über den Grund der Zuwendung an Dr. Richard, dem Baron d’Uberherrn?
3. Die Gemäldeschenkung der „Mesdames de France“
Im Gegensatz zu unverheirateten Töchtern des französischen Adels, die als „Demoiselles“ geboren wurden, erhielten die Töchter des französischen Königs („Filles de France“, d. h. „Töchter Frankreichs“) von Geburt an den Rang und Titel „Damen“ und damit ihre Anrede „Mesdames“.[10] Wir wollen im Folgenden unser Augenmerk zunächst auf die Königstöchter richten, die als Schenkerinnen von Pierre Mignards „Hl. Johannes dem Täufer“ auftraten und unsere Aufmerksamkeit sodann dem Baron d’Uberherrn als Bedachtem widmen.
3.1. Die Töchter des französischen Königs Louis XV
Die Bezeichnung „Mesdames de France“ gilt aus historischen, genealogischen und politisch strategischen Gründen in besonderer Weise den acht Töchtern des französischen Königs Louis XV (geboren am 15. Februar 1710 in Versailles, gestorben am 10. Mai 1774 ebenda) und seiner Gattin Maria Leszczyńska, Tochter des polnischen Königs und der Prinzessin Opolinska.[11] Zwei der Damen starben bereits im Kindesalter; den übrigen sechs „Mesdames“ war es gegönnt, die Pracht am Hofe von Versailles in den letzten Jahrzehnten der französischen Monarchie zu erleben.[12] Nach Ausbruch der Französischen Revolution flohen die beiden einzigen noch lebenden Schwestern, Madame Victoire und Madame Marie-Adelaïde, im Jahre 1791 nach Triest, Italien, wo sie gegen Ende des 18. Jahrhunderts kurz nacheinander verstarben. Die „Mesdames de France“ waren im Einzelnen:
- Louise-Élisabeth de France (1727-1759),
genannt „Madame“ in ihrer Eigenschaft als die Erstgeborene, später „Madame-Infante“ nach ihrer Heirat mit dem Herzog von Parma im Jahre 1739,
- Anne-Henriette de France (1727-1752),
die Zwillingsschwester von Louise-Élisabeth, genannt „Madame Seconde“, nach der Heirat ihrer Zwillingsschwester nur noch „Madame“ genannt,
- Marie-Louise de France (1728-1733),
genannt „Madame Troisième“, später „Madame Louise“,
- Marie-Adélaïde de France (1732-1800),
genannt „Madame Quatrième“, später „Madame Troisième“, dann „Madame Adélaïde“ und schließlich „Madame“ nach dem Tode von „Madame Henriette“ (1752),
- Victoire de France (1733-1799),
genannt „Madame Quatrième“, später „Madame Victoire“,
- Sophie de France (1734-1782),
genannt „Madame Cinquième“, später „Madame Sophie“,
- Thérèse-Félicité de France (1736-1744),
genannt „Madame Sixième“, später „Madame Thérèse“,
- Louise de France (1737-1787),
genannt „Madame Septième“ oder „Madame Dernière“, später „Madame Louise“.
Gemäß der Herkunftsbeschreibung des Auktionshauses „Sotheby’s“ traten jene „Mesdames de France“ als Schenkerinnen von Pierre Mignards „Hl. Johannes der Täufer“ gegenüber einem ihrer Ärzte, Dr. Richard, dem „Baron d’Uberherrn“ in Erscheinung.[13] Da bei der Geburt von Louise de France im Jahre 1737 ihre Schwester Marie-Louise de France bereits verstorben war (1733), kann diese Schenkung nur auf eine Teilgruppe der oben erwähnten „Mesdames de France“ zurückgehen. Doch um welche „Damen Frankreichs“ handelt es sich genau? Können wir möglicherweise den Zeitraum der Schenkung eingrenzen und zudem etwas über den Anlass der Zuwendung aussagen? Leider sind weder das Jahr noch der Grund für das Kunstgeschenk an den Baron d’Uberherrn dokumentiert. In der Literatur über die Herausgeber journalistischer Werke und Publikationen („Dictionnaire des Journalistes“)[14] findet sich jedoch eine Vermutung, die zwar nicht das Gemälde von Pierre Mignard für unsere Fragestellung berührt[15], die aber einen Hinweis auf den von uns erforschten Grund der Schenkung durch die „Mesdames de France“ bieten könnte. Der Anlass der Zuwendung würde danach in der erfolgreichen Variolation[16] des jungen Königs Louis XVI und seiner Brüder in Marly vom 18. Juni 1774 liegen. Diesen Kontext zwischen medizinischer Behandlung und „Belohnung“ durch das französische Königshaus stellt Robert Favre in o. a. Dictionnaire her, wenn er mutmaßt, Dr. Richard sei mit der Herrschaft über die Baronie Überherrn aufgrund des Erfolgs der Impfung von Louis XVI und seiner Brüder bedacht worden:
„C’est R. (Dr. Richard, MF) qui est chargé d'inoculer le jeune roi Louis XVI et ses frères à Marly le 18 juin 1774. Peut-être la baronnie allait-elle récompenser la réussite de l'opération, (...).“[17]
Diesen Hinweis auf eine mögliche Anerkennung Dr. Richards für seine medizinischen Verdienste gegenüber dem Königshaus wollen wir gerne aufgreifen und ihn im folgenden Abschnitt einer näheren Untersuchung unterziehen.
[...]
[1] H. P. Buchleitner: Die Baronie Überherrn, Ein Beitrag zur Geschichte des Warndts und des Kreises Saarlouis, Saarbrücken 1953, S. 18 und S. 67.
[2] H. P. Buchleitner, ebd., S. 66 und J. Lafontaine: Heimatbuch Überherrn, Band 3, Überherrn 1986, S. 83, der die schweren Sandsteine des Schlosses als Fundamente „im ganzen Ort“ verteilt wissen will.
[3] H. P. Buchleitner, ebd. und J. Lafontaine, ebd., S. 81.
[4] S. hierzu Sotheby’s, Paris 23.06.2011, online abrufbar unter http://www.sothebys.com/en/ecat.pdf.PF1109.html/f/28/PF1109-28.pdf.
Letzter Seitenaufruf am 25.02.2012.
[5] „Pierre Mignard”, Encyclopædia Britannica. Encyclopædia Britannica Online. Encyclopædia Britannica Inc., 2012.
Letzter Seitenaufruf am 25.02.2012.
[6] Es handelt sich hierbei um eine zweite Version des im Museo del Prado, Madrid, aufbewahrten Gemäldes mit dem gleichen Bildtitel „Saint Jean Baptiste“ in vergleichbarem Ausmaß, s. Sotheby’s, ebd.
[7] Zum Leben und der Botschaft des Heiligen s. Josef Ernst: Johannes der Täufer, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Band 5, S. 871.
[8] Weitere Einzelheiten zum Lebenslauf und zur Maltechnik Mignards s. „Pierre Mignard”, Encyclopædia Britannica Online, ebd.
[9] Sotheby’s, ebd. Das Auktionshaus beschreibt die Herkunft des Gemäldes wie folgt: „Ancienne collection royale, d'après la tradition familiale; Donné par Mesdames de France à l'un de leurs médecins le Baron d'Uberherrn (...).”
[10] Bruno Cortequisse: Mesdames de France, Les filles de Louis XV, Paris 1990, S. 1 ff.
[11] Édouard de Barthélémy: Mesdames de France - Filles de Louis XV, Paris, 1870, S. III und S. 2 ff.
[12] Bruno Cortequisse, ebd.
[13] Sotheby’s, ebd.
[14] Robert Favre: François Richard de Hautesierck (1713-1789), in: Dictionnaire des Journalistes (1600-1789), online abrufbar unter
http://dictionnaire-journalistes.gazettes18e.fr/dictionnaires-presse-classique-mise-en-ligne. Letzter Seitenaufruf am 23.02.2012.
[15] Diese Fragestellung wird nach Auffassung des Verfassers dieses Beitrages hierin zum ersten Male thematisiert.
[16] Mit „Variolation“ (veraltet Inoculierung) wird die Impfung von Kindern mit dem Pocken-Pustelinhalt bezeichnet, um sie der Pocken-ansteckung auszusetzen und sie dadurch dauerhaft zu immunisieren, vgl. Otto Dornblüth, Klinisches Wörterbuch, 13. und 14. Auflage, Berlin 1927.
[17] Robert Favre, ebd., zu Deutsch: „Es ist R. (Dr. Richard, MF) der damit beauftragt ist, den jungen König Louis XVI. und seine Brüder in Marly am 18. Juni 1774 zu impfen. Womöglich würde die Baronie den Erfolg der Operation belohnen, (…).“ (MF).