Die Philosophie, in der griechischen Antike wörtlich als Liebe zur Weisheit verstanden, unterlag schon zu Zeiten Sokrates‘ gewissen Zweifeln bezüglich ihrer Nützlichkeit. Vornehmlich erfährt sie Anfechtungen seitens der Rhetoriker, die in der Abstraktion philosophischen Denkens keine praktischen Erträge sahen. So entbrach einmal mehr in Athen eine öffentliche Debatte, die das Problem der Legitimation aufs Neue entflammte und eine mitunter Orientierungslosigkeit in der Bevölkerung auslöste. Diesmal schaltete sich Aristoteles mit seinem um 350 v. u. Z. entstandenen Protreptikos, einer Mahn- und Werbeschrift, in die Diskussion ein. Diese Werbeschrift sollte nun auf rhetorisch ansprechende Weise und gleichzeitig mit schlüssigen Argumenten vor allem ein junges gebildetes Publikum zum philosophischen Denken bewegen.
Inhaltsverzeichnis
- Die Philosophie, in der griechischen Antike wörtlich als Liebe zur Weisheit verstanden, unterlag schon zu Zeiten Sokrates' gewissen Zweifeln bezüglich ihrer Nützlichkeit.
- Vornehmlich erfährt sie Anfechtungen seitens der Rhetoriker, die in der Abstraktion philosophischen Denkens keine praktischen Erträge sahen.
- So entbrach einmal mehr in Athen eine öffentliche Debatte, die das Problem der Legitimation aufs Neue entflammte und eine mitunter Orientierungslosigkeit in der Bevölkerung auslöste.
- Diesmal schaltete sich Aristoteles mit seinem um 350 v. u. Z. entstandenen Protreptikos, einer Mahn- und Werbeschrift, in die Diskussion ein.
- Diese Werbeschrift sollte nun auf rhetorisch ansprechende Weise und gleichzeitig mit schlüssigen Argumenten vor allem ein junges gebildetes Publikum zum philosophischen Denken bewegen.
- Den Autor Aristoteles braucht man kaum mehr vorzustellen, so wenig haben seine Schriften bis in die Gegenwart an Aktualität verloren und sein Einfluss übersteigt den Rahmen der heutigen philosophischen Fachschaft bei Weitem.
- Eine beständige Rezeption über die Jahrhunderte sicherte ihm einen festen Platz in der Geschichte des Denkens.
- Er begründete und beeinflusste zahlreiche Disziplinen, wie die Wissenschaftstheorie, Logik, Biologie, Physik, Ethik, Theologie, Dichtungs- und Staatstheorie.
- Der Protreptikos selbst, der auch unter dem Titel „Mahnrede an Themison“ Bekanntheit errungen hat, soll hier in Bezug auf das Wesen, die Nützlichkeit und die Aufgabe der Philosophie untersucht werden.
- Er ist allerdings nur fragmentarisch überliefert und über die Jahrhunderte verfälscht worden.
- Zudem dient eine deutsche Übersetzung, nachträglich zusammengefügter Bruchstücke, dem Essay als Grundlage.
- Man kann also davon ausgehen, dass diese Rekonstruktion und ihre Umstände nur eine wahrscheinliche Nähe zum Original ermöglichen.
- Der oben erwähnte Themison war ein zyprischer Fürst, der, unabhängig von seiner Bedeutung als Einzelner, am Beginn des Protreptikos als direkt angesprochener Adressat fungiert.
- Dieser Modus ermöglicht einen eindringlichen und intimeren Einstieg in die Problematik als etwa ein Sachtext.
- Nachdem damit das Interesse geweckt sein sollte, da der Text eine allgemeine Betroffenheit suggeriert, werden im weiteren Verlauf verschiedene Argumentationen und Perspektiven zur und auf die Philosophie ausgeführt.
- Das Philosophieren ist eine Tätigkeit, die verknappt als Aneignung und Anwendung von Weisheit beschrieben wird.
- Man gelangt mit der philosophischen Einsicht in und über die Dinge zu einem Wissen, das erst dazu befähigt Potentiale zu befördern und Können richtig einzusetzen.
- Je klarer das Verständnis über die Dinge ist und je mehr Einsichten man gewonnen hat, umso besser bzw. trefflicher kann man handeln.
- Diese zentralen Gedanken werden veranschaulicht durch die dualistische Betrachtungsweise von Leib und Seele.
- Hierbei ist die Seele der herrschende und der Leib der beherrschte Teil.
- Damit die Seele auf treffliche Weise regieren kann, benötigt sie das Wissen und die Erkenntnis.
- Wie einige Gedanken des Protreptikos ist auch dieser dualistische Ansatz maßgeblich von Platon beeinflusst, bei dem das Leib-Seele-Axiom häufig auftaucht.
- Interessant zu sehen ist auch, dass diese Idee von Leib und Seele in der europäischen Geistesgeschichte fundamental geworden ist.
- Mit der im Text einhergehenden Hierarchisierung dieser ideellen Bausteine zeichnet sich eine deutliche anthropologische Haltung ab, die dann auch im Weiteren zu dem folgerichtigen Schluss führt, dass die Geisteskraft die größte und mächtigste der Kräfte darstellt.
- Dieser Hebung und Glorifizierung kann man durchaus eine Überschätzung des Intellekts unterstellen, die sich im Text zwar dadurch relativiert, dass die Befähigung zur Geisteskraft durchaus einer Begabung und anderen Umständen geschuldet ist, aber fast im gleichem Atemzug wird diese Befähigung zum Gipfel des Lebens gekrönt.
- Dem kann man entweder eine gewisse Intoleranz vorwerfen oder es dem rhetorischen Überredungsmodus des Textes zuschreiben.
- In jedem Fall zeichnet sich dadurch eine subtile innere Spannung ab, da auch die logische Struktur der Gedanken des Öfteren einbricht.
- Ein zur Geisteskraft befähigter Mensch ist damit für die Philosophie prädestiniert, doch im eigentlichen sollte jeder philosophieren, da das Erkennen und Denken wesentlich für den Menschen ist.
- Zumindest ist das Philosophieren theoretisch von allergrößtem Nutzen.
- Den Schatten dieser durchaus klaren Gedanken wirft dann die Vorstellung, dass das philosophische Leben das wahre Leben darstelle, alles andere erscheine sogar töricht.
- Die Philosophie selbst verhält sich zum richtigen, intensiven Leben, ähnlich wie die Medizin zur medizinischen Praxis, mit dem Unterschied, dass die Philosophie in erster Linie nicht nützlich, sondern gut ist.
- Gleichzeitig bringt sie aber den größtmöglichen Nutzen hervor.
- Dieser Gedanke kritisiert die damals weitverbreitete Haltung, Dinge für nützlich zu halten, wenn sie gewinnbringend und vorteilhaft waren.
- Gewinn schildert die weitverbreitete Vorstellung des Vermehrens von Reichtum, die in ökonomischen Gesellschaftsordnungen vorherrschend ist und daher auch heute noch zutrifft.
- Doch diese Maxime weisen, dem Text nach, schon auf eine Art beschränkten Horizonts hin.
- Versteht man die Philosophie und das Philosophieren also als gut, dann ergibt sich daraus die größte Nützlichkeit für das praktische Leben.
- Damit löst sich der begriffliche Widerspruch von Kritik am Nützlichkeitsdenken und maximalem Nutzen der Philosophie auf.
- Der Vorwurf, die Philosophie abstrahiere und theoretisiere, ohne, dass dies irgendeinen Gewinn verspräche, wird hier entkräftet.
- Es verkehrt sich sogar ins Gegenteil und versteht das Philosophieren als die einzig richtige Einheit von Erkenntnis und Lebensführung.
- Die philosophische Erkenntnis wird im Text näher beschrieben und ausdifferenziert.
- Das Erkennen zeichnet sich in der Praxis durch den Fortschritt in den verschiedensten Bereichen aus.
- Die aus der Beobachtung resultierende Unbedingtheit des Erkennens gereicht zum Argument, dass Erkennen auch Voraussetzung eines menschenwürdigen Lebens darstellt.
- Auch hier lässt der Gedanke erahnen, dass er, wenn man ihn vollendet, bedeutet, dass der Philosoph der Menschenwürdigste ist.
- Denn gemessen an dieser Idee, lebt er am intensivsten.
- Die Einsicht in die Prinzipien wird als besonders wichtig erachtet, um verstehen und erkennen zu können.
- Prinzip meint, dem damaligen Verständnis nach, Urgrund aber auch Ziel.
- Damit sind sie für die Erkenntnis unabdingbar, da alles aus ihnen besteht, entsteht oder verstanden wird.
- Diese Prinzipien und damit wahrscheinlich auch der Grund, warum sie für Aristoteles so wichtig waren, beschreiben den elementarsten Teil der Denkbewegungen selbst und befähigen also dazu einen Gedanken formal zu durchschauen, bis hin zu ganzen Denksystemen, aber natürlich auch alles andere, außerhalb Befindliche.
- Daher scheint es logisch, wenn im Text dazu aufgerufen wird, dass man das Natürliche beobachten und begreifen soll um dem Wesenhaften, dem Beständigen näher zu kommen.
- Indirekt kritisiert das auch die Unmündigkeit, die entstehen kann, wenn man keine eigene Einsicht in die Dinge hat.
- Man wird dann lenkbar, was sich die Rhetorik wiederum zu Nutze macht - wer nicht denkt, der wird gedacht.
- Ausgegangen vom Zeitgeist ebnet sich im Text ein Weg zu einem recht konkreten philosophischen Weltverständnis.
- Schon zu Anfang des Textes wird das Streben nach Geld und Reichtümern eigentlich dem Irrtum geschuldet, darin das Lebensglück zu sehen.
- An diese Stelle tritt hier nun aber die Philosophie.
- Damit konstruiert sich im Text ein Zusammenhang von Bildung und Glück.
- Das scheint durchaus problematisch zu sein.
- Denn der unmittelbare Zusammenhang von Bildung, konkret der Philosophie als höchste Ausformung dieser, und Glück ist natürlich trügerisch, da auch hier der Geist in seiner Macht überschätzt wurde und äußere wichtige Umstände zur Möglichkeit der Geistesbildung nur beiläufige Erwähnung finden.
- Das scheint dann irrelevant, wenn man das bevorzugte Publikum in Betracht zieht, welches diese Voraussetzungen ohnehin genießt.
- Um den Gedanken des Textes gerecht zu werden, sollte man nicht vergessen, dass, in voller Zustimmung der Argumentation, eine Einsicht in den Begriff des Glücks erst durch Philosophieren möglich wird.
- Es scheint also kein Weg daran vorbeizuführen.
- Zudem ist es ein außerordentlicher Kunstgriff, da man zunächst, mit dem eigenen Erkenntnisstand, das alltägliche Verständnis von Glück in den Text einfließen lässt und sich, insofern man sich auf ihn einlässt, zur Philosophie überredet fühlt.
- Gleichzeitig erkennt man auch hier wieder den Systemcharakter der Begriffe, denn der Text ist am schlüssigsten, wenn man den Glücksbegriff von Aristoteles heranzieht, der ohnehin textimmanent ist.
- Inhaltlich zusammengefasst stellt die Philosophie sowohl eine Wissensform, also eine theoretische, als auch eine Lebensform, also eine praktische, dar.
- Die Vereinigung dieser Formen findet sich im Philosophen, welcher sich zum wahren Glück des freien Lebens befähigt ergo dem Höchstmaß an Autonomie der Seele und damit das intensivste Leben, das vorstellbar ist.
- Diese Punkte beschreiben weitgehend das Wesen und die Nützlichkeit der Philosophie.
- Ihre Aufgabe liegt nun also in der Ausübung des Erkannten, die sich keineswegs auf eine Privatheit beschränkt, sondern auch in der Öffentlichkeit agiert.
- Wo bei Platon der Weiseste zum Herrschen bestimmt war, findet man bei Aristoteles den Philosoph doch in anderer Stellung wieder.
- Zwar befähigt erst die Philosophie zum richtigen Umgang mit Macht, wie eigentlich zu jeder Tätigkeit, doch eine Privatunion von Philosophie und Politik wird bei Aristoteles eher abgelehnt.
- Beides gehört zwar notwendig zueinander, aber die Staatsgeschäfte stehen der freien Entfaltung von Erkenntnis im Wege.
- Um also diesen schlechten Kompromiss nicht eingehen zu müssen, scheint eine Beraterfunktion naheliegend.
- Er selbst war Lehrer Alexander des Großen.
- Die Intention des Textes, die junge Bildungsschicht Athens für die Philosophie zu gewinnen, ist hier auf eindrucksvolle Weise, zwischen Rhetorik und Informationsgehalt umgesetzt worden.
- Am Überzeugungspotential sollte die Entscheidung also nicht scheitern.
- Der Erfolg des Protreptikos war in der damaligen öffentlichen Debatte tatsächlich einschlägig, doch die langfristige Entwicklung dessen Themenschwerpunkts, die Philosophie, genoss diesen Ruhm nicht, obgleich der des Aristoteles unumstritten gilt.
- Den Status in der Öffentlichkeit hat sich die Philosophie lediglich unter einzelnen bewahrt und ihre Disziplinen speisen sich heute aus allen möglichen Bereichen, aber kaum noch aus ihr selbst.
- Moral vermitteln die Medien und die traditionellen Fragen werden von den verschiedenen Wissenschaftsbereichen allenthalben befallen und vermeintlich gelöst.
- In jedem Fall scheint die Philosophie ein Privatvergnügen geworden zu sein, wenn man von der akademischen absieht, die ohnehin nur einen Anreiz zum Philosophieren leisten kann.
- Als Privatvergnügen wäre es ja auch nicht zu verachten, doch es ist förmlich darauf beschränkt, dazu degradiert.
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Protreptikos von Aristoteles ist eine Mahn- und Werbeschrift, die das junge, gebildete Publikum Athens zum philosophischen Denken bewegen soll. Aristoteles will die Nützlichkeit und Bedeutung der Philosophie in einer Zeit des Zweifels und der Kritik an ihrer Praxis verteidigen. Er argumentiert, dass die Philosophie nicht nur theoretisches Wissen liefert, sondern auch ein Leben in Weisheit und Glück ermöglicht.
- Das Wesen der Philosophie und ihre Rolle im menschlichen Leben.
- Die Nützlichkeit der Philosophie für das praktische Leben.
- Der Zusammenhang von Philosophie, Erkenntnis und Glück.
- Die Aufgabe des Philosophen in der Gesellschaft.
- Die Kritik an der damals weitverbreiteten Verachtung der Philosophie.
Zusammenfassung der Kapitel
Der Protreptikos beginnt mit einer direkten Ansprache an den zyprischen Fürsten Themison, die ein persönliches und eindringliches Interesse an der Thematik wecken soll. Im weiteren Verlauf werden verschiedene Argumente und Perspektiven zur und auf die Philosophie ausgeführt. Aristoteles beschreibt die Philosophie als eine Tätigkeit, die zum Erkennen und Verstehen der Welt sowie zu einem sinnvollen und erfüllten Leben führt. Dabei spielt die Erkenntnis von Prinzipien und die Beobachtung der Natur eine wichtige Rolle.
Der Text betont die Verbindung von Bildung und Glück, wobei die Philosophie als höchste Form der Bildung eine Schlüsselrolle einnimmt. Aristoteles kritisiert das Streben nach Reichtum und zeigt auf, dass wahres Glück durch die Philosophie, durch die Erkenntnis und das Leben in Weisheit, erreicht werden kann.
Im Protreptikos wird auch die Aufgabe des Philosophen in der Gesellschaft behandelt. Während bei Platon der Weiseste zum Herrschen bestimmt war, sieht Aristoteles den Philosophen in einer eher beratenden Rolle. Die Philosophie soll zwar zum richtigen Umgang mit Macht befähigen, aber eine direkte Verbindung von Philosophie und Politik lehnt Aristoteles ab.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter des Protreptikos sind Philosophie, Erkenntnis, Glück, Prinzipien, Leben, Geist, Rhetorik, Nützlichkeit, Aufgabe, Gesellschaft, Bildung, Politik, Themison.
- Citation du texte
- Eric Jänicke (Auteur), 2010, Aristoteles über das Wesen der Philosophie, über ihre Nützlichkeit und ihre Aufgabe, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/190414