In seiner Abhandlung über „junge jüdische Literatur“ schreibt Thomas Nolden:
Die Spannungen zwischen Ich und Gesellschaft werden oft in Formen ausgetragen, die an epistolaren Modellen [...] orientiert sind, da sich derart das Erleben und die Reflexion über Konflikte aus der privaten Innenperspektive vermitteln läßt. Barbara Honigmanns „Roman von einem Kind“ [sic!] beispielsweise bedient sich der Briefform, die es dem epistolaren Ich erlaubt, einen intimen Bericht über ihre eigene Befindlichkeit zu formulieren, ohne den Forderungen nach mehrfacher Brechung und Rechtfertigung gerecht werden zu müssen, die polyperspektivische Erzählformen mit sich bringen [...] Ähnlich wie in Honigmanns Eine Liebe aus nichts wird hier ein Genre und ein vorgefundener Text gleichsam fort-, ja zu Ende geschrieben: die Ästhetik gegenwärtigen jüdischen Schreibens versteht sich hier als ungebrochene Verlängerung tradierter Formen, die sich als ausreichend flexibel und tragfähig erweisen, um auch den Erfahrungen der jungen Nachkriegsgeneration gerecht werden zu können. Es wird der Versuch unternommen, an die Biographien und das Leben der Vorfahren erzählerisch anzuknüpfen, ja diese gewissermaßen weiterzuerzählen. Der Logik konzentrischen Schreibens gemäß bleiben diese Versuche allesamt narrative Gesten, die den Abstand zu ihren Modellen nicht aufheben können. In keinem Fall wird der Wunsch des Weiterschreibens in ein Werk umgesetzt, das sich tatsächlich als literarische Erweiterung eines gegebenen Modells begreifen ließe. Das Begehren nach einer Fortsetzung ästhetischer Tradition ist als psychologisches Motiv und als stilistische Vorgabe zu erkennen; es trifft an eine Grenze, wo seine Realisierung in Gefahr gerät, nur Kopien zu produzieren.
Ob Herr Nolden damit Recht hat, mag dahingestellt sein, in jedem Fall berührt er nicht die unsäglich vielfältigen und interessanten Möglichkeiten, die die epistolare Form bietet. Aus einer gewissen Liebe zum Brief heraus soll in vorliegender Arbeit die Aufmerksamkeit auf jene Textsorte gelenkt werden, die Pedro Salinas einmal „eine mindestens ebenso wertvolle Entdeckung [...] im Lauf des Menschheitslebens wie das Rad“ genannt hat. Und zwar geht es nicht nur um den Brief im Allgemeinen, sondern um den Brief im Werk Barbara Honigmanns. Warum verwendet sie so häufig epistolare Formen, welchen Zweck verfolgt die Autorin damit und welche Wirkungen bringt sie dadurch hervor?
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Brieftheorie
- Was ist ein Brief?
- Literarische Verwendung des Briefes
- Nähe und Distanz
- Briefe im Werk Barbara Honigmanns
- ,„Roman von einem Kinde❝
- ,„Eine Liebe aus nichts“
- ,„Damals, dann und danach❝
- ,„Alles, alles Liebe!“
- Schluß
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Verwendung epistolarer Formen in der Prosa Barbara Honigmanns. Sie analysiert die Funktion von Briefen in Honigmanns Werken und beleuchtet die kommunikativen und ästhetischen Aspekte dieser Textsorte. Das Ziel ist es, die Bedeutung von Briefen in Honigmanns Literatur aufzuzeigen und deren Auswirkungen auf die narrative Gestaltung ihrer Werke zu erforschen.
- Die literarische Verwendung des Briefes
- Nähe und Distanz in Briefbeziehungen
- Die Funktion von Briefen in Honigmanns Werken
- Der Einfluss von Briefen auf die narrative Struktur
- Die ästhetischen und kommunikativen Aspekte des Briefes
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Einleitung stellt den Ausgangspunkt für die Arbeit dar und skizziert die Relevanz des Themas epistolarer Formen in der Prosa Barbara Honigmanns. Die Arbeit greift die Erkenntnisse von Thomas Nolden über „junge jüdische Literatur“ auf, die die Bedeutung epistolarer Modelle für die Vermittlung von persönlichen Erfahrungen und Reflexionen über Konflikte hervorhebt.
Brieftheorie
Dieses Kapitel widmet sich der theoretischen Grundlage des Briefes. Es beleuchtet die Definition des Briefes als Kommunikationsakt und seine literarische Verwendung. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die kommunikativen Aspekte des Briefes gelegt und die Bedeutung von Nähe und Distanz in Briefbeziehungen analysiert.
Briefe im Werk Barbara Honigmanns
Dieser Abschnitt widmet sich der konkreten Analyse von Briefen in den Werken Barbara Honigmanns. Es werden verschiedene Romane und Erzählungen der Autorin behandelt, darunter „Roman von einem Kinde“, „Eine Liebe aus nichts“, „Damals, dann und danach“ und „Alles, alles Liebe!“.
Schlüsselwörter
Epistolare Formen, Brief, Barbara Honigmann, Nähe und Distanz, Kommunikation, Literatur, Prosa, Narrative Gestaltung, ästhetische Aspekte, kommunikative Aspekte, „Roman von einem Kinde“, „Eine Liebe aus nichts“, „Damals, dann und danach“, „Alles, alles Liebe!“
- Arbeit zitieren
- Mirjam Krapoth (Autor:in), 2001, Nähe und Distanz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19084