Nähe und Distanz


Trabajo de Seminario, 2001

21 Páginas, Calificación: 2,3


Extracto


Inhalt

1. Einleitung

2. Brieftheorie
2.1. Was ist ein Brief?
2.2. Literarische Verwendung des Briefes
2.3. Nähe und Distanz

3. Briefe im Werk Barbara Honigmanns
3.1. „Roman von einem Kinde“
3.2. „Eine Liebe aus nichts“
3.3. „Damals, dann und danach“
3.4. „Alles, alles Liebe!“

4. Schluß

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In seiner Abhandlung über „junge jüdische Literatur“ schreibt Thomas Nolden:

Die Spannungen zwischen Ich und Gesellschaft werden oft in Formen ausgetragen, die an epistolaren Modellen [...] orientiert sind, da sich derart das Erleben und die Reflexion über Konflikte aus der privaten Innenperspektive vermitteln läßt. Barbara Honigmanns „Roman von einem Kind“ [sic!] beispielsweise bedient sich der Briefform, die es dem epistolaren Ich erlaubt, einen intimen Bericht über ihre eigene Befindlichkeit zu formulieren, ohne den Forderungen nach mehrfacher Brechung und Rechtfertigung gerecht werden zu müssen, die polyperspektivische Erzählformen mit sich bringen [...] Ähnlich wie in Honigmanns Eine Liebe aus nichts wird hier ein Genre und ein vorgefundener Text gleichsam fort-, ja zu Ende geschrieben: die Ästhetik gegenwärtigen jüdischen Schreibens versteht sich hier als ungebrochene Verlängerung tradierter Formen, die sich als ausreichend flexibel und tragfähig erweisen, um auch den Erfahrungen der jungen Nachkriegsgeneration gerecht werden zu können. Es wird der Versuch unternommen, an die Biographien und das Leben der Vorfahren erzählerisch anzuknüpfen, ja diese gewissermaßen weiterzuerzählen. Der Logik konzentrischen Schreibens gemäß bleiben diese Versuche allesamt narrative Gesten, die den Abstand zu ihren Modellen nicht aufheben können. In keinem Fall wird der Wunsch des Weiterschreibens in ein Werk umgesetzt, das sich tatsächlich als literarische Erweiterung eines gegebenen Modells begreifen ließe. Das Begehren nach einer Fortsetzung ästhetischer Tradition ist als psychologisches Motiv und als stilistische Vorgabe zu erkennen; es trifft an eine Grenze, wo seine Realisierung in Gefahr gerät, nur Kopien zu produzieren.[i]

Ob Herr Nolden damit Recht hat, mag dahingestellt sein, in jedem Fall berührt er nicht die unsäglich vielfältigen und interessanten Möglichkeiten, die die epistolare Form bietet. Aus einer gewissen Liebe zum Brief heraus soll in vorliegender Arbeit die Aufmerksamkeit auf jene Textsorte gelenkt werden, die Pedro Salinas einmal „eine mindestens ebenso wertvolle Entdeckung [...] im Lauf des Menschheitslebens wie das Rad“[ii] genannt hat. Und zwar geht es nicht nur um den Brief im Allgemeinen, sondern um den Brief im Werk Barbara Honigmanns. Warum verwendet sie so häufig epistolare Formen, welchen Zweck verfolgt die Autorin damit und welche Wirkungen bringt sie dadurch hervor? Der erste Teil, der eine kurze einführende Theorie des Briefes bietet, wird sich vor allem auf eine Abfassung von

Reinhard M.G. Nickisch stützen, der zweite interpretatorische Teil wird hauptsächlich textimmanent arbeiten.

2. Brieftheorie

In diesem Kapitel soll die theoretische Grundlage bereitgestellt werden, auf der dann im weiteren Verlauf die Beschreibung und Interpretation des Phänomens „Brief“ im Werk Barbara Honigmanns aufbaut. Nach der Frage der Definition stehen hier vor allem die literarische Verwendung und kommunikative Aspekte im Vordergrund.

2.1. Was ist ein Brief?

„Was ist ein Brief?“ – diese auf den ersten Blick so banale Frage läßt sich gar nicht so leicht beantworten. Handelt es sich wirklich um den schriftlichen Ersatz eines mündlichen Gesprächs oder nicht vielmehr durch die Schriftlichkeit um ein ganz anderes, einzigartiges Phänomen? „Der geistige Inhalt, einmal niedergeschrieben, hat damit eine objektive Form erhalten, eine prinzipielle Zeitlosigkeit seines Da-Seins, einer Unbeschränktheit – im Nacheinander wie Nebeneinander – von Reproduktionen in subjektiven Bewußtseinen zugängig, ohne aber seine Bedeutung und Gültigkeit, da sie fixiert ist, von dem Kommen oder Ausbleiben dieser seelischen Realisierungen durch Individuen abhängig zu machen“, [iii] so der Soziologe Georg Simmel über den schriftlichen Verkehr.

Der Brief ruht gleichsam auf zwei Säulen: Zum einen ist er ein kommunikativer Akt, zum anderen ist er Ersatz für ein unmittelbares Gespräch. Zunächst einmal braucht der Brief einen Emittenten und einen Rezipienten, die – und das ist entscheidend – räumlich voneinander getrennt sind. Diese treten miteinander in einen kommunikativen Vorgang, der schriftlich fixiert wird. Die Briefbeförderung bringt es mit sich, daß immer ein gewisser Phasenverzug eintritt, „weil Briefe [...] in keinem Heute mehr ankommen werden“.[iv] Das hat Vorteile wie Nachteile: zum einen kann man den Verzug bewußt nutzen „in allen solchen Fällen, in denen eine spontane Reaktion des Kommunikationspartners nicht wichtig oder – dies vor allem – nicht erwünscht ist“. [v] Zum anderen muß man „immer in Kauf nehmen, daß das, was sich zwischen Absenden und Empfangen des Brieftextes ereignet und was somit den durch den Emittenten initiierten Kommunikationsakt in unvorhersehbarer Weise verändern kann, weder vom Sender noch vom Empfänger zu beeinflussen ist“.[vi] Der Inhalt des Briefes unterliegt einem formalen Aufbau: Briefeingang, Briefinhalt und Briefschluß, und enthält formelhafte Wendungen wie die Anrede, die Grußformel und die Unterschrift.

Die Funktionen, die der Brief erfüllen kann, sind die der Sprache überhaupt: Er kann „Träger von Mitteilungen jeglicher Art sein“,[vii] er kann appellieren oder Mittel der „Selbstbekundung“,„Selbstdarstellung“, „Selbstbetrachtung“ und „Selbstdeutung“[viii] sein. Meist treten diese Funktionen in Mischformen auf, dennoch herrscht auch dann normalerweise eine von ihnen vor.

2.2. Literarische Verwendung des Briefes

Nickisch unterscheidet in seinem Buch zwischen „‘eigentlicher‘ (primärer)“ und „‘uneigentlicher‘ (sekundärer)“[ix] Verwendung von Briefen. Die uneigentliche Verwendung liegt dann vor, wenn der Brief „in den Dienst nicht-pragmatischer oder ersichtlich literarisch-künstlerischer Intentionen gestellt [wird] – zwecks Konstitution einer fingierten oder fiktionalen Wirklichkeit“.[x] Er nennt dabei folgende „Grundarten der Fingierung“[xi]: der Absender, der Empfänger, der Anlaß, der Gegenstand oder mehrere dieser Elemente sind nicht real. Im äußersten Falle wird die „Briefsituation insgesamt Fiktion “. [xii] Hier stellt sich die Frage, ob denn der Brief als Textsorte nicht überhaupt Literatur bzw. eine literarische Gattung sei. Nickisch meint, Briefe gehörten insoweit zur Literatur, als sie „Elemente und Momente ästhetisch wirksamer Formung [...] enthalten“[xiii] und „ästhetisch-rhetorische [r] Wirkung(en) bei mehr als einer Person“[xiv] intendieren. Er lehnt es aber ab, dem Brief einen „gattungsmäßig geschlossenen Charakter“[xv] zuzusprechen.

Die Formen literarischer Verwendung von Briefen sind vielfältig. Sie reichen vom literarischen Privatbrief, über Reisebriefsammlungen, essayistische Brieffolgen, bis hin zu Briefen als Einlagen in erzählender und dramatischer Literatur, epistolarer Lyrik, Briefromanen und Brieferzählungen. Im Folgenden soll unter den vielen Verbindungen, die zwischen Brief und Literatur entstehen können, der Briefroman im besonderen herausgenommen werden. Die Briefsituation ist hier in höchstem Maße fiktional, da weder der Absender, noch der Empfänger, noch die Situation real sind. Dennoch bewirkt die Verwendung von – obgleich fingierten – Briefen den Anschein der Authentizität. Ein Brief eignet sich besonders gut, um aus der Ich-Perspektive zu erzählen und macht eine direkte Gefühlsaussprache möglich. So hat der Briefroman eigentlich keine Erzählinstanz, vielmehr wird das Geschehen sehr unmittelbar wie im Drama zum Ausdruck gebracht. Es steht hier nicht das Geschehen im Vordergrund, sondern die Reflexion darüber.

Grundsätzlich gibt es zwei Formen des Briefromans: im einen Fall werden die Briefe eines Schreibers präsentiert, ohne daß dem Leser die Antworten etwaiger Korrespondenten geboten würden; im anderen Fall besteht der Briefroman aus dem Briefwechsel zweier oder mehrerer Personen, so daß das Geschehen aus verschiedenen Perspektiven dargestellt und reflektiert wird.

2.3. Nähe und Distanz

Der Brief ist ein Rollenspiel. Zunächst ist es der Briefschreiber, der seine eigene Rolle konstituiert. „Er, der Brief, richtet sich zuerst an uns.“[xvi] „Die erste Wohltat, die erste Klarheit, die ein Brief vermittelt, wird dem Schreibenden zuteil; er erfährt als erster, was er sagen will, weil er auch der erste ist, dem er dies sagt.“[xvii] „Jeder, der schreibt, sollte, ein unwissentlicher Narziß, sich über eine Fläche gebeugt sehen, auf der er vor allem sich selber erblickt.“[xviii] „Schreiben heißt: sich seiner selbst bewußt werden.“[xix] Das Verfassen eines Briefes bedeutet also Selbstreflexion, und diese Funktion allein kann schon ausreichend sein, so daß ein Brief gar nicht erst abgeschickt wird (bzw. so daß Absender und Empfänger identisch sind oder werden). Der Schreiber entwirft sich aber auch immer im Hinblick auf den anderen, den beabsichtigten Rezipienten. Dabei gibt es unterschiedliche Grade der Offenheit, immer aber ist der Schreiber „Person“, also ein Schauspieler, der seine Masken entsprechend den Rollen, die er spielt, wechselt. Es liegt bei beiden, Emittent wie Rezipient, wie viel vom wahren Gesicht hinter der Maske hervorschauen darf. Nickisch formuliert, „daß selbst der subjektivste Brief Grenzen hat, die festgelegt sind von der Rücksicht auf den Briefpartner. Diesem kann man auch als Selbst-Äußerung letztlich nur das zumuten, was mit der Rolle verträglich ist, die man in dessen Augen spielt“.[xx]

Damit sind wir beim Empfänger angelangt. Auch dieser wird nämlich vom Briefschreiber entworfen. Der Verfasser hat beim Schreiben des Briefes ein Bild von dessen Adressaten im Geist und nach diesem Bild wird sich sowohl die Form als auch der Inhalt richten. Folglich weist also der Schreiber dem Empfänger eine Rolle zu, umgekehrt nimmt er aber auch selber entsprechend der Rolle, die er dem anderen zuweist, eine bestimmte Pose ein.

[...]


[i] Thomas Nolden: Junge jüdische Literatur. Würzburg 1995, S. 95f.

[ii] Pedro Salinas: Verteidigung des Briefes. Frankfurt/Main 1983, S. 15. (Im Folgenden zitiert als Salinas)

[iii] Georg Simmel: Soziologie. Berlin 51968, S. 287.

[iv] Bachmann, Ingeborg: Malina. Frankfurt am Main 1971, S. 9.

[v] Reinhard M.G. Nickisch: Brief. Stuttgart 1991, S. 12. (Im Folgenden zitiert als Nickisch)

[vi] ebd.

[vii] Nickisch, S. 13.

[viii] Nickisch, S. 14.

[ix] Nickisch, S. 19.

[x] ebd.

[xi] Nickisch, S. 21.

[xii] Nickisch, S. 22.

[xiii] Nickisch, S. 96.

[xiv] ebd.

[xv] Nickisch, S. 99.

[xvi] Salinas, S. 25.

[xvii] ebd., S. 24 f.

[xviii] ebd., S. 25.

[xix] ebd.

[xx] Nickisch, S. 19.

Final del extracto de 21 páginas

Detalles

Título
Nähe und Distanz
Universidad
University of Paderborn  (Fachbereich 3)
Curso
Erinnerte Kindheit. Die Prosa Barbara Honigmanns
Calificación
2,3
Autor
Año
2001
Páginas
21
No. de catálogo
V19084
ISBN (Ebook)
9783638232968
Tamaño de fichero
501 KB
Idioma
Alemán
Notas
Briefbeziehungen bei Barbara Honigmann
Palabras clave
Nähe, Distanz, Erinnerte, Kindheit, Prosa, Barbara, Honigmanns
Citar trabajo
Mirjam Krapoth (Autor), 2001, Nähe und Distanz, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19084

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