Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Corporate Identity und Untemehmensmission
2.1. Unternehmensidentität als „Wir-Bewusstsein“
2.2. Öffentlicher Auftrag beim Nonprofit-Unternehmen
3. Kommunikationspolitik und Schnittstellen-Management am Theater Lübeck
3.1. Theater Lübeck: Struktureller, politischer, wirtschaftlicher Hintergrund
3.2. Mission und strategische Ausrichtung der Kommunikationspolitik
3.3. Aspekte der internen Kommunikation am Beispiel der Aufführung von “Kasimir und Karolíne” am Theater Lübeck
3.4. Zwischen Kunst und Betrieb: Der Dramaturg als Schnittstellen-Manager imTheater
3.5. Aspekte der externen Kommunikation am Beispiel der Aufführung von „Kasimir und Karoline“ am Theater Lübeck
3.5.1. Beispiele für externe Kommunikationsinstrumente (Öffentlichkeitsarbeit, Werbung, Verkaufsförderung, Beschwerdemanagement)
4. Schlussbemerkung
5. Verzeichnis der verwendeten Literatur
1. Einleitung
Deutsche Stadt- oder Staatstheaterbetriebe sind heutzutage in der Regel markt- und kundenorientierte Non-Profit-Organisationen, deren Öffentlichkeits-, Werbe- und Vertriebsabteilungen mit allen seriösen Mitteln der Kommunikationspolitik im Interesse der Kundengewinnung und -bindung für Produkte werben, die nicht marktförmig produziert sind. Man kann von einer Vernunftehe zwischen Kunst und Non-Profit-Marketing sprechen, die auf der Basis vollständig voneinander getrennter Arbeitsbereiche stattfindet und von der ökonomischen Einsicht geleitet ist, dass die Legitimität des öffentlich subventionierten Theaterwesens in Zeiten defizitärer Haushalte der Städte und Länder nicht mehr ausschließlich durch die Erfüllung eines kulturellen Auftrags gewährleistet ist, sondern auch aufgrund mindestens hinreichend großer Besucherzahlen. Diese Entwicklung war lange Zeit nicht absehbar: Noch 1999, so Armin Klein, berichtete die Stuttgarter Zeitung über eine Theater-Tagung, auf der renommierte Theaterleiter das Marketing zum „Reizwort der Branche“ deklarierten.[1]Den Grund dafür sieht Klein in der „prinzipiell notwendige(n)) vorrangige(n) Produktorientierung“[2] auf Seiten der Theater im Gegensatz zur Absatzmarktorientierung bei der Herstellung von Produkten in kommerziellen Unternehmen, welche sich substantiell auf die Gestaltung der Produkte im Sinne der Orientierung an Nachfragerbedürfnissen auswirkt.
Ich möchte in dieser Arbeit zum Einen die These entwickeln, dass Theaterunternehmen sich heute trotz oder gerade aufgrund ihrer Produktorientierung strategisch marktorientiert verhalten, da sie die Chance entdeckt haben, für ihre nicht marktförmig produzierten Produkte die in der Reichweite des Unternehmens vorhandenen Teilöffentlichkeiten bzw. Zielgruppen interessieren und mobilisieren zu können, zumal es sich kein Stadttheater leisten kann, auf Dauer weitgehend am Markt vorbei zu produzieren, ohne dass seine Legitimation öffentlich in Frage gestellt wird. Die notwendige Produktorientierung im künstlerischen Bereich kann dabei gesichert werden, weil die Gesamtstrategie des Unternehmens, die Elemente der Corporate Identity und saisonal der Gesamtspielplan einen hinreichenden Erfolg und Identifikation beijenem (breiten) Spektrum an Teilöffentlichkeiten generieren, auf die sich das Unternehmen in seiner Kommunikationspolitik ausrichtet.
Innerhalb dieser Misch-Kalkulationen benötigt jedes Produkt eine spezifische Aktivierung der Kommunikationsinstrumente, die dabei helfen soll, die an seinen Produkteigenschaften wahrscheinlich interessierten Zuschauergruppen zu finden. Bei Produkten, die in ihren inhaltlichen und ästhetischen Wahrnehmungskonzepten und Darstellungsformen so radikal gestaltet sind, dass anzunehmen ist oder sich herausstellt, dass bei einem Teil der Kunden negative Reaktionen oder mögliche negative Einstellungen gegenüber dem Theater hervorgerufen werden können, ist ein weitaus höheres Maß an kommunikativer Vermittlung - intern wie extern - notwendig, auch und gerade, wenn die Erfüllung des kulturellen Auftrags an ihrem Beispiel besonders signifikant ist. Im praktischen Teil dieser Thesis wähle ich daher eine in der Spielzeit 2007/08 am Theater Lübeck besonders kontrovers auf Kundenseite rezipierte Aufführung, um ihren Stellenwert innerhalb der strategischen Kommunikationspolitik des Theaters - als Teil eines Gesamtspielplans - zu beschreiben und Strategien der internen und externen Kommunikation darzustellen, welche die Eigenschaften des Produktes auf der Grundlage der Unternehmensphilosophie vermitteln.
In den Abschnitten 3.4 bis 3.5.1. geht es mir zudem darum, den Widerspruch zwischen Kunst und Marketing aufzuzeigen, der sich im Alltag manifestiert, sobald die Grenzen des Schutzraumes, in dem sich die künstlerische Produktion entfaltet, übertreten werden. Hier untersuche ich einige Beispiele kommunikationspolitischer Maßnahmen an den Schnittstellen zum und unter Einbeziehung des künstlerischen Produktionsbereichs bzw. Personals, welche das Potential für Kommunikationskonflikte und -defizite aufzeigen sollen. Dabei wähle ich als Perspektive der Darstellung den Aufgabenbereich der Dramaturgie als SchnittstellenManagement zwischen künstlerischen und betrieblichen Interessen im Arbeitsalltag.
2. Corporate Identity und Unternehmensmission
2.1. Unternehmensidentität als „Wir-Bewusstsein“
Die Problematik ,Kunst im (produktiven) Spannungsfeld von gesellschaftlicher Relevanz bzw. kritischer Funktion und Marketing macht eine Beschäftigung mit der Basis jedes Betriebes, der Unternehmensidentität oder Corporate Identity, notwendig. Darunter ist nach Manfred Bruhn die zentrale Selbstdarstellung des Unternehmens nach innen und außen zu verstehen, welche dessen einheitliche Wahrnehmung erzeugt und identifikatorische Prozesse auf Seiten der inner- und außerbetrieblichen Teilöffentlichkeiten auslöst.
„Im Rahmen der Corporate Identity steht primär die Gestaltung und Vermittlung einer Eigenart und Einmaligkeit der Nonprofit-Organisation im Vordergrund, die es den Anspruchsgruppen ermöglicht, die Persönlichkeit der NonprofitOrganisation zu erkennen. Bei Corporate-Identity-Konzeptionen geht es somit stärker um die Intensivierung von Identifikationspotenzialen mit der Organisation und die Schaffung eines ,Wir-Bewusstseins‘.“[3]
Das Herz oder Gehirn dieses Unternehmenskörpers ist die Mission, das Leitbild bzw. die Unternehmensphilosophie, welche in den Erscheinungs-, Verhaltens- und Kommunikationsformen des Unternehmens und seiner Mitarbeiter Gestalt annimmt. Die Instrumente dieser Gestaltung der Corporate Identity sind das Corporate Design, das Corporate Behavior und die Corporate Communications. Erst die Abstimmung dieser Bereiche der visuellen Erscheinung, des Verhaltens und der Kommunikationsaktivitäten ermöglicht eine einheitliche Wahrnehmung des Unternehmens.[4]
Da ich mich in dieser Thesis auf die internen und externen Kommunikationsmaßnahmen an einem konkreten Fallbeispiel einer Nonprofit-Organisation konzentriere, erfolgen z.B. Hinweise auf das Corporate Design und das Corporate Behavior beispielhaft an späterer Stelle. Zentral soll die Frage nach dem Zusammenhang von Unternehmensphilosophie und Corporate Communications gestellt werden, da die Vermittlung kritischer, mitunter Kundenerwartungen verstörender Kunst über die interne und externe Kommunikation geregelt werden muss. Dabei ist das von Manfred Bruhn akzentuierte „Wir-Bewusstsein“ von großer Bedeutung, das sich idealerweise sowohl in den Kreisen der Mitarbeiter als auch in den Bereichen aller externen Zielgruppen des Nonprofit-Unternehmens herausbilden sollte.
Es sind grundsätzlich sehr verschiedene Verlaufsformen denkbar, die zur Herausbildung eines „Wir-Bewusstseins“ führen und der internen wie externen Kommunikation bedürfen. In der Vorbereitungsphase oder zu Beginn einer Leitung eines Theaters mit einem langjährig beschäftigtem Personal z.B. in den künstlerischen Ensembles oder den Bereichen Verwaltung, Vertrieb und Technik wird das neue „Wir-Bewusstsein“, das innerhalb des neuen Teams, das die Betriebsleitung verpflichtet hat, ausgebildet ist, intern auf ein bestehendes „Wir-Bewusstsein“ treffen. Inwieweit innerbetrieblich Neugier, Offenheit bzw. skeptische Zurückhaltung oder gar Ablehnung besteht, ist dabei auch abhängig z.B. von der Gesamtsituation des Betriebes - insbesondere sein Stellenwert auf dem Finanzmarkt und dem Absatzmarkt sowie im Wettbewerb - und den Informationen, die über die neue Leitung kursieren und Erwartungshaltungen im Stakeholder-Beziehungsgefüge des Unternehmens prägen (z.B. Bekanntheitsgrad, Erfolge). Ein umfangreiches Stamm- und Abonnenten-Publikum in den Altersgruppen der über 50-Jährigen wird eine neue Intendanz eines Theaters in der Provinz bei der Implementierung eines wirkungsvollen künstlerischen Konzepts und der Kommunikation eines „Wir-Bewusstseins“ vor andere Herausforderungen stellen als dies bei einem Theaterbetrieb im großstädtischen Raum der Fall ist, in welchem eine flexiblere Zielgruppenorientierung möglich ist. Insbesondere mit Blick auf das künstlerische Personal kann ein Theater ein hohes internes „Wir-Bewusstsein“ erzeugen, aber „am Markt vorbei“ produzieren, wie es - umgekehrt - durch eine gefällige Kundenorientierung die interne Wertschätzung der eigenen Arbeit schwächen kann.
2.2. Mission und öffentlicher Auftrag beim Nonprofit-Unternehmen
Die Unternehmensphilosophie einer Nonprofit-Organisation wie eines Stadttheaters unterscheidet sich in einem Punkt wesentlich von der eines kommerziellen Unternehmens: Da das zentrale Ziel nicht in der Gewinnmaximierung besteht, wird die Entwicklung der Produkte nicht durch die Nachfrage modelliert, sondern - umgekehrt - das Kulturprodukt, das in einem vor substantiell prägenden Nachfragerbedürfnissen geschützten Raum durch selbstverwirklichende Energien der Künstler produziert wird, soll über kommunikative Wege jene Zielgruppen erreichen, bei denen Interesse am Produkt besteht oder vermutet werden kann, beispielsweise weil unterstellt werden kann, dass das Thema, die Darstellungsformen oder der spezifische Erlebnischarakter einer bestimmten Theaterinszenierung jene potentiellen Kundenkreise erreichen kann, weil es diese „anspricht“ oder „betrifft“.[5] Anders gesagt: Nicht der ökonomische Güter- oder Dienstleistungstransfer steht im Vordergrund, sondern ein künstlerisches Produkt, das über interpretierbare Zeichen, Handlungen und Zusammenhänge in einem ästhetischen Raum Wirkungen auf den Zuschauer erzielen will und mit ihm zu kommunizieren beabsichtigt. Armin Klein hat das Zielsystem staatlich subventionierter Kulturbetriebe wie folgt beschrieben:
„Im Vordergrund der Arbeit öffentlich getragener (...) Kulturbetriebe steht also immer die möglichst optimale Realisierung ihrerjeweiligen künstlerischen, kulturellen, ästhetischen, bildungspolitischen usw. Zielsetzung. Denn nur aus ihr heraus sind sie kulturpolitisch legitimiert und somit von dem Zwang befreit, gewinnorientiert arbeiten zu müssen. Damit ist der Grad der inhaltlichen bzw. ästhetischen Zielerreichung das entscheidende (wenn häufig auch nicht leicht zu fassende) Unterscheidungskriterium zwischen kommerziellem und nicht-kommerziellem Kulturbetrieb.“[6]
Auch wenn die kulturell-ästhetische Zielsetzung bei einem Stadttheaterbetrieb die Mission erfüllt und die staatlichen Subventionen legitimiert, ist der kulturelle Auftrag erst erfolgreich umgesetzt, wenn der Spielbetrieb des Theaters vor einem hinreichend großen Publikum stattfindet. Dies resultiert zum einen aus der Notwendigkeit der Erwirtschaftung eines pro Geschäftsjahr anvisierten Eigenanteils am Gesamtetat des Unternehmens, vor allem aber aus dem Kultur- oder Bildungsauftrag selbst, der ohne gemäß Zielvorgaben ausreichend für den Theaterbesuch interessiertes bzw. mobilisiertes Publikum nicht erfüllt wäre. Im Falle des Wegfalls von größeren Publikumsteilen bei einem Stadttheater würde insofern die Legitimation staatlicher Förderung in Frage gestellt und der Bestand des Unternehmens gefährdet, insbesondere in Zeiten hoch schuldenbelasteter öffentlicher Haushalte.
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[1] S. Klein, Armin: „Das Theaterund seine Besucher“, S.11. Im Internetunter: http://www.theater- portal.de/ portal/downloads/Theatermarketing_April_04_Prof_Klein.pdf.
[2] Ebd., S.10.
[3] M. Bruhn (2005), S. 417.
[4] Ebd.
[5] Vgl. Armin Klein (2003), S. 21f.
[6] Ebd. S. 22.