Betriebliche und gesellschaftliche Ursachen für die Krise des dualen Systems. Handungsperspektiven am Beispiel der Umlagefinanzierung


Mémoire de Maîtrise, 2011

78 Pages, Note: 1,3


Extrait


1. Einleitung „Eine gute Ausbildung macht fit für die Zukunft“ heißt es aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (http://www.bmbf.de/de/544.php, eingesehen am 23.11.2010). Die deutsche duale Berufsausbildung, international als vorbildlich geschätzt, hat in der Tat unverkennbare Vorteile. Die Verzahnung praktischer und theoretischer Inhalte schafft beste Voraussetzungen für einen stabilen Bestand ausgebildeter Fachkräfte - eine wichtige Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg (Bosch et al 2010: S. 35). Doch nicht nur die Ökonomie profitiert von Ausbildung. Erwerbstätigkeit und Beruflichkeit sind von grundsätzlicher Bedeutung für den sozialen Frieden und sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft. Das duale Bildungssystem trägt zur Herausarbeitung beruflicher Handlungskompetenz sowie individueller Mündigkeit und gesellschaftlicher Teilhabe bei. Der Prozess der Auswahl bis zur Einstellung und Ausbildung erfolgt dabei durch die Betriebe selbst, auch der Umfang der Plätze ist freigestellt. Entstanden ist die heutige Organisation der dualen Berufsausbildung in Zeiten der Industrialisierung. An dem oben beschriebenen Prinzip wird seither festgehalten, daran gerüttelt wurde jedoch schon häufiger. Schon 1969 wurden anlässlich des neuen Berufsbildungsgesetzes folgende Handlungsbedarfe in der Berufsbildungspolitik identifiziert, darunter:

- Ein höheres Maß an Ausbildungsverpflichtung bei den Betrieben abzusichern.
- Zukunftsorientierte Qualifikationsprofile entwickeln und durchzusetzen (Hilbert et al 1990: S. 31).

Eine gesetzesbasierte Lösung ist für die damals identifizierten Probleme nicht durchgesetzt worden. Mitte der Siebziger stieg dann die Zahl der Jugendlichen ohne Ausbildungsvertrag aufan die 100.000. Die Bundesregierung aus SPD und FDP verabschiedete 1976 in Folge dessen ein Ausbildungsplatzförderungsgesetz, indem wenig- und nichtausbildende Betriebe erstmalig mit einer Abgabe belangt werden sollen. Von den Arbeitgeberorganisationen stark bekämpft, wurde die Reform zu Fall gebracht. 2004 gab es einen erneuten Versuch, der es bis in den Bundestag schaffte und doch wieder unter dem Druck der Arbeitgeber in der Schublade verschwand.

Gelobt wird heute nur noch selten und ob gelobt wird, bleibt zuletzt eine Frage der Perspektive. Arbeitgeberverbände geben sich optimistisch und stehen damit mittlerweile fast allein. Tausende Jugendliche ohne Ausbildungsstelle stellen die Integrationskraft des dualen Systems in Frage. Insbesondere Jugendliche mit schwierigen Bildungsverläufen, die den Stabilisierungseffekt der Ausbildung am dringendsten brauchen können, bleiben immer häufigerausgeschlossen. Gleichzeitig rückte vor Allem der drohende Fachkräftemangel in der Wirtschaft zuletzt immer stärker in den Fokus öffentlicher Diskussionen. Was wie ein Widerspruch scheint, ist das Symptom einer veränderten Ausbildungslandschaft. Die Ausbildung ist ein Geschäft, das die Betriebe Geld kostet, mehr denn je, und die Anforderungen an die Bewerber sind gestiegen. Das System steckt in der Krise.

Nachdem das duale Ausbildungsprinzip eine Vielzahl politischer Initiativen, Beschlüsse und Experimente durchlaufen hat, ist 2004 das bisher wohl populärste und langfristigste Bündnis zwischen Politik und Wirtschaft entstanden - der Nationale Pakt für Ausbildung und Fachkräfte­nachwuchs. Dieses aufVertrauen und Versprechungen aufgebaute Bündnis hat zu zyklischen Reduktionen der Zahl unversorgter Jugendlicher geführt - das Problem zu vieler fehlender Plätze bleibt bis heutejedoch ungelöst.

Dabei stellte der Pakt ursprünglich eine Ausweichlösung dar, geschaffen wegen des Widerstandes gegen die Umlagefinanzierung. Falls der Pakt gelänge und sich die statistische Lücke von Angebot und Nachfrage deutlich verkleinere, solle das Gesetz für Ausbildungsfinanzierung fallen gelassen werden.

2010 ist der Pakt erneut um vier Jahre verlängert worden.

Die 1969 benannten Handlungsbedarfe im dualen Ausbildungssystem existieren noch heute. Der DGB fordert eine Rückkehr zur Umlagefinanzierung und beruft sich auf die prekäre Lebenslage vieler Menschen, die sich aus der Krise des dualen Systems ergibt. Die dazu initiierte Initiative „Ausbildung für Alle“ zielt darauf ab, die Umlage gesetzlich zu verankern und damit jedem Bewerber eine betriebliche Ausbildung zu ermöglichen. Die Arbeitgeberseite sieht sich selbst die Hände gebunden und beruft sich hingegen auf die schlechten Qualifikation eines Großteils der Bewerber, die eine Ausbildung nicht zulasse.

Hypothese und Fragestellung

Die verwendete Hypothese speist sich aus der Forderung der Initiative „Ausbildung für alle“:

Als Hypothese gilt: „Durch die Einführung einer gesetzlichen Ausbildungsumlagefinanzierung kann die Situation herbeigeführt werden, dassjeder Jugendliche eine duale Ausbildung aufnehmen kann“

Als zentrale Fragestellung befasst sich die Arbeit daher damit, ob die Umlagefinanzierung vor dem Hintergrund wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Tatsachen geeignet ist, die Lehrstellenkrise zu lösen.

Thematisch betrachtet werden die soziale Institution „Betrieb“ und die soziale Gruppe der Ausbildungsplatzbewerber. Um die Forschungsfrage beantworten zu können, muss zum einen herausgefunden werden, welche wirtschaftlichen (methodisch teils auf die Mesoebene „Branche“ und die Mikroebene „Betrieb“ herabgestuften) Triebfedern für Ausbildung existieren. Auf gesellschaftlicher Ebene (Bewerber) sind ebenfalls Gründe zu ermitteln, die sich negativ auf eine gesunde Angebot-Nachfrage­Relation auswirken. Daran soll erarbeitet werden können, ob die Umlagefinanzierung schlussendlich an den richtigen Stellen andockt und somit ein geeignetes politisches Mittel zur Lösung des Problems darstellt.

Ausschluss / Eingrenzung: Untersuchungsfeld ist der deutsche duale Ausbildungsmarkt. Andere Ausbildungsformen wie schulische Vollzeitausbildung und duales Studium fallen nicht in die inhaltliche Betrachtung. Es werden nur die Betriebe und Unternehmen berücksichtigt, die ausbildungsberechtigt sind. Die Zielgruppe der DGB Jugend-Initiative und dieser Arbeit sind grundsätzlich Ausbildungsplatzbewerberjeglicher Schulbildung, die auf der Suche nach einem dualen Ausbildungsplatz sind. Die Gruppe sich bereits in Ausbildung befindlicher Personen, sowie Themen zu Übergängen vom Ausbildungs- ins Arbeitsverhältnis sollen ausgeklammert werden. Auf demografische Aspekte wird kein Schwerpunkt gelegt, da demografiebedingte Entwicklungen auf dem Ausbildungsmarkt ein eigenständiges und umfangreiches Themengebiet darstellen. Um eine Sprengung des Themas zu vermeiden ist dieser Punkt daher vernachlässigt worden. Auch sind aus diesem Grund auf besondere Ausführungen zu Migrations- und Genderfragen im Bildungssystem verzichtet worden.

Um vorab eine Definition und Übersicht über die Lehrstellenkrise zu bekommen, werden in Kapitel 2 die zentralen Bestimmungsfaktoren identifiziert, die das duale System derzeit in seiner Zweckmäßigkeit behindern. Des Weiteren werden mittels aktueller Statistiken die zahlenbasierten Ausmaße dieser Faktoren dargestellt. An Hand der Darstellungen kommen zudem erste (verbands-)politische Einfärbungen zu Tage, die einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Entwicklung von Lösungskonzepten auf politischer Ebene haben.

Das Konzept der Umlagefinanzierung ist allgemein gehalten und soll auf die gesamte Wirtschaft anwendbar sein. Daher ist zu klären, welche Ausbildungsmotivation Betriebe leitet und welchen Stellenwert das Kosten-Nutzen-Kalkül tatsächlich besitzt. Weiterhin soll herausgearbeitet werden, ob die Kostenbelastung der Betriebe ein gesamtwirtschaftliches Bild liefert, das heißt als homogen einzustufen ist. Verschiedene Positionen und empirische Ergebnisse aus wissenschaftlicher und sozialpartnerschaftlicher Perspektive werden dazu in den Unterkapiteln 2.2. und 2.3 erläutert.

Da die Qualifikation von Ausbildungsplatzbewerbern in der Diskussion eine bedeutende Rolle spielt und von der Arbeitgeberseite überdies als zentrales Argument herangezogen wird, erfolgt in Kapitel 3 eine ausführliche Definition des Begriffes der Ausbildungsreife. Eine anschließende Untersuchung über den Einfluss organisatorischen und wissensbasierten Wandels auf die Qualifikationsprofile zukünftiger Fachkräfte soll Aufschluss darüber geben, welche realen Entwicklungen zur Formung des Ausbildungsreifeanspruches beitragen.

Ein Vergleich von ausgesetzten und novellierten Ausbildungs(rahmen)plänen soll zudem Transparenz über konkrete Veränderungen in Qualifikationsanforderungen am anschaulichen Beispiel des direkten Ausbildungsplatzes liefern.

In Kapitel 4 werden die Erkenntnisse aus Kapitel 3 auf den gesamten Ausbildungsmarkt projiziert. An Hand des Phänomens unbesetzter Lehrstellen trotz Lehrstellenmangel soll per empirischen Studien schlussendlich vergleichend die Relevanz von Kosten-Nutzen und Ausbildungsreife für die betriebliche Entscheidung zur Besetzung von Ausbildungsplätzen herausgestellt werden. Abschließend werden zusätzlich kritische wissenschaftliche und verbandspolitische Ansichten überdie Ausbildungsreifediskussion zurVervollständigung des Gesamteindrucks ergänzend hinzugefügt.

In Kapitel 5 wird die Initiative „Ausbildung für Alle“ vorgestellt und das Konzept der Umlagefinanzierung in seiner Zielsetzung erklärt und die Lösungstauglichkeit der Umlage in Hinblick auf die Problemlage rechnerisch geprüft.

Im Fazit in Kapitel 6 werden die Erkenntnisse zu Ausbildungsmotivation und Qualifikationstrends aus den vorangegangenen Kapiteln aufgearbeitet. Des weiteren werden offene Fragen benannt und Ausblicke zu verwandten Themen gegeben.

2. Quantitative und qualitative Merkmale des sozioökonomischen Wandels in der dualen Ausbildung

Als „Spannungsfeld veränderter Rahmenbedingungen“ und „sozioökonomischen Strukturwandel“ bezeichnet der erste Bildungsbericht von 2006 die aktuellen Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft - verändert hat sich bei den Strukturen des dualen Systems vor Allem eines: zum ersten Mal wird das sogenannte Übergangssystem als autonomer Teil des Bildungssystems bei der Auswertung von Ausbildungsmarktzahlen aufgeführt und statistisch berücksichtigt.

Prager und Wieland formulieren eine in der Wissenschaft gängige Grundtendenz, die die derzeitigen Rahmenbedingungen des dualen Systems so beschreibt: „Beim Blick auf das duale Ausbildungssystem hierzulande ist oft von einer strukturellen Krise die Rede, die sich in Form schwindender Ausbildungskapazitäten und eines wachsenden Anteils des sogenannten Übergangssystems niederschlägt“ (Prager, Wieland 2007: S. 17; vgl. auch BMBF 2006: S. 80). Auf der einen Seite besteht also eine quantitative Problemlage, dargestellt durch das zahlenmäßige Missverhältnis von Angebot und Nachfrage. Auf der anderen Seite steht neben der quantitativen Problemstruktur die qualitativ geprägte Fehlentwicklung eines wachsenden Übergangssystems. Die Zielgruppe dieses Subsystems ist gekennzeichnet von benachteiligten Jugendlichen, die unterschiedliche Maßnahmen der Berufsvorbereitung vermittelt bekommen, innerhalb des Systems jedoch keine qualifizierte Berufsbildung erfahren. Bojanowski, Eckardt und Ratschinski liefern eine Definition des Begriffs der Benachteiligung. Demnach handle es dabei um „Jugendliche mit besonderem Förderbedarf“ oder auch „Jugendlichen mit erschwerten Startchancen“ (Bojanowski, Eckardt und Ratschinski 2005). Gemeint sind also Fördermaßnahmen, die sich in der Regel auf eine Gruppe Jugendlicher beziehen, die mit individuellen Problemen (z.B. Lernprobleme und Verhaltensauffälligkeiten) oderwegen ungünstiger sozialer Lebensverhältnisse (z.B. Arbeitslosigkeit infolge erfolgloser Ausbildungsplatzsuche) belastet sind. Lern- und Verhaltensgewohnheiten gelten als Teil der Selbstkompetenz, die sich unmittelbar in der Qualität der Ausbildungsplatznachfrage niederschlagen.

2.1. Zahlen und Strukturen der Angebot-Nachfrage-Relation

Der Diskussion um die Situation am Ausbildungsmarkt und den daraus vermeintlich effektivsten Steuerungsmöglichkeiten für die Bildungspolitik geht die jährliche Statistik der Bundesagentur für Arbeit zuvor. Als Basisdaten sollen die Zahlen Orientierung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber in beruflichen und wirtschaftlichen Entscheidungen liefern und unterliegen der Kontrolle des Ministers für Arbeit und Soziales. Zusammen mit dem unter der Schirmherrschaft des BMBF zweijährig erscheinenden Bildungsberichtes liefern diese beiden Quellen die grundlegenden Zahlen für die Lage am Ausbildungsmarkt.

Der Bildungsbericht zieht insbesondere Strukturentwicklungen des Ausbildungssystems in den Mittelpunkt, während die statistischen Daten der BA vor Allem als Diskussionsgrundlage für Angebot-Nachfrage­Relationen herhalten. Die Strukturveränderung des Ausbildungssektors, veranschaulicht an Hand der Ausdehnung des Übergangssystems im Vergleich zur dualen Ausbildung, ist wie folgt durch den Bildungsbericht dargestellt:

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Abb.1: Verteilung der Neuzugänge aufdas duale System und das Übergangssystem1995 und 2000 bis 2004.

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Quelle: Vgl.: BMBF 2006: S 80. (Daten nach 2004 sind nicht verfügbar).

Wie zu sehen ist, handelt es sich bei den Eingängen ins duale System und den ausbildungsvorbereitenden Maßnahmen, dem Übergangssystem, von 1995 bis 2004 um einen zahlenmäßigen Angleichungsprozess, 2003 wurden die Neuzugänge in duale Ausbildung sogar von denen ins Übergangssystem übertroffen. Die Verschiebungen bis 2004 lässt die Autoren des Bildungsberichtes den Rückschluss ziehen, dass sich die zurückgehende Bedeutung des bis dato ausbildungsstarken Industriesektors in der Gesamtwirtschaft auf die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze niederschlage, ohne dass diese Entwicklung von dem stark wachsenden Dienstleistungsbereich ausgeglichen wird. Der tertiäre Sektor der Dienstleistungen gewinne außerdem zum Großteil durch berufsschulische Neuzugänge oder sonstiges Personal Zulauf, nicht jedoch durch duale Ausbildung.

Als besonders problematisch gilt derverhältnismäßig große Anteil an Neuzugängen im Übergangssystem. Die Steigerung um 43% verdeutlicht die Hürde von Schule in Ausbildung, die für immer mehr Jugendliche und junge Erwachsene offensichtlich nicht überwunden wird. Bei der Entwicklung ausbildungsvorbereitender Maßnahmen hin zum expandierenden institutionalisierten „Bildungsweg“ handelt es sich den jahresübergreifenden Vergleichen nach um eine Strukturveränderung des Ausbildungssystems.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Doch wie sieht es mit den schwindenden Ausbildungskapazitäten als zweites Merkmal sozioökonomischen Strukturwandels aus? Die Bundesagenturfür Arbeit liefert dazu den Überblick über die öffentlichen Zahlen. Die untere Darstellung zeigt die Entwicklung der Angebots­Nachfrage-Relation von 1992 bis 2009 nach klassischer Definition der Nachfrageseite. Der klassischen Definition liegt eine starke Eingrenzung der Bewerbergruppe in den Statistiken durch die BAzu Grunde. Das heißt, dass Bewerber, die sich zu der Zeit in alternativen Tätigkeiten befinden (Praktikum, Job, berufsvorbereitende/ ausbildungsvorbereitende Maßnahme), zahlenmäßig nicht erfasst werden und formal gesehen nicht mehr als unversorgt gelten. Dies trifft jedoch nicht zu, sofern ein weiterer Vermittlungswunsch besteht.

Das statistische Angebot erstellt sich aus der Summe bereits besetzter Ausbildungsstellen und den bei der Bundesagentur noch als offen gemeldete Stellen zum 30.09. des jeweiligen Jahres. Zu sehen ist eine relativ starke Abnahme der Zahlen neu abgeschlossener Ausbildungsverträge von 1992 bis 2009, was nebst Schwankungen Angebot und Nachfrage gleichermaßen betrifft, bei der Angebotsseite allerdings besonders stark ins Auge fällt. Das Bundesinstitut für Bildungsforschung vermerkt, dass die östlichen Bundesländer mit einem Rückgang von 13% bei den abgeschlossenen Ausbildungsverträgen eine deutlich stärkere Abwärtstendenz aufweisen als die westlichen mit 7,1%. Trotz Kapazitätenreduktionen auf beiden Seiten ist das Ungleichgewicht in Angebot und Nachfrage noch immer nicht überwunden, auch wenn die Kurven sich doch schon fast auf gleicher Höhe bewegen.

Für die schlechte Lage auf der Angebotsseite wird laut BAdie Finanz- und Wirtschaftskrise verantwortlich gemacht, wogegen sich die Nachfragebestände bedingt durch demographischen Wandel verringert hätten.

Seit 2008 wurde die defizitäre statistische Erfassung in der Form korrigiert, als dass die BA gesonderte Angaben über die in Tätigkeit befindlichen Ausbildungsbewerber in ihren Zahlen ausweist. In der erweiterten Definition der Nachfrageseite wird deutlich, dass es sich um Gruppen erheblichen Umfanges handelt. Völlig aus der Erfassung fallen diejenigen Bewerber, die zum Stichtag des 30.09. nicht bei der BA gemeldet, indes trotzdem auf Ausbildungssuche sind. Wovon bei der Definition der Angebotsseite auszugehen ist, ist dass nichtjede freie Lehrstelle der Bundesagentur gemeldet wird sondern sich Arbeitgeber und Auszubildende in einigen Fällen ohne institutionelle Hilfe zusammenfinden, was bezogen auf die Bedeutsamkeit rechnerischer Lücken jedoch und der realen Marktbeschreibung zu vernachlässigen ist. Zudem sind kaum effektive Mittel verfügbar, das latente Angebot der Unternehmen zu erfassen.

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Abb. 3: Angebot und Nachfrage am Ausbildungsstellenmarkt (erweiterte Definition).

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Quelle: http://www.bibb.de/dokumente/pdf/AB0204.pdf, eingesehen am 01.09.10

Die Abbildung der erweiterten Nachfragedefinition zeigt das eigentliche Ausmaß der Relation. In Zusammenarbeit mit dem BIBB wird im Sommer die Größenordnung der Ausbildungsplatzbewerber aus der Summe gemeldeter Bewerber innerhalb der zuständigen Behörden ermittelt. Für das Berichtsjahr 2008/09 sind bei Arbeitsagenturen, ARGEn und zugelassenen kommunalen Trägern für Berufsausbildung 102.503 Bewerber aus dem Vorjahr gemeldet, 16.439 gelten als unversorgt, die Gesamtsumme der nicht vermittelten Ausbildungsplatzbewerber bemisst sich somit auf 118.942 Personen. Anzumerken ist, dass der statistische Bruch im Jahr 2007 der Einführung eines neuen rechnerischen Verfahren („VerBIS“) geschuldet ist, welches zu dem Zeitpunkt erstmalig die Erfassung alternativ Verbliebener mit Vermittlungswunsch nahezu uneingeschränkt möglich machte. Wegen Einsatzes des alten Verfahrens der BA sind daher bis 2006 noch immer nicht alle Gruppen der Nachfrageseite erfasst ( http://www.bibb.de/dokumente/pdf/AB0204.pdf, eingesehen am 01.09.10). Anzumerken bleibt, dass die beiden abgebildeten „Interpretationen“ der Ausbildungsmarktdaten mittlerweile nicht mehr auf der Internetpräsenz der BA zur Verfügung stehen. Stattdessen präsentiert sich dem Besucher eine neue Statistik derselben Zeitreihe, die weder der einen noch der anderen vorhergegangenen ähnlich sieht. Ob man damit einen Mittelweg schaffen wollte, sei dahingestellt.

Was bleibt also an Zahlen? Insgesamt beläuft sich die Bilanz nach Angaben des Bildungsberichtes auf 39,5% Neuzugänge im Übergangssystem nach letztem Stand in 2004. In eine duale Ausbildung haben es vergleichsweise 43,3% geschafft. Die Angebot-Nachfrage­Relation der BA stellt die Gruppe der 455.166 als ausbildungssuchend gemeldeten Personen in 2010 die Summe von 381.605 offen gemeldete Stellen gegenüber. Von dem vom Autorenteam des Bildungsberichtes ermittelten Lehrstellendefizits von 10% in 2009 ausgehend handelt es sich hierbei um eine Steigerung des Defizits auf 17% für das Jahr 2010.

Die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit stellen eine wichtige Grundlage für etliche Diskussionen rund um den Ausbildungsmarkt dar. Aufgrund der verschiedenen Werte und Darstellungen ist es auf den ersten Blick sehr schwierig, sich ein konkretes Bild von der derzeitigen Lehrstellensituation zu verschaffen. Unterschiedliche Bemessungen der Ausbildungsmarktstatistiken treten, wenn nicht durch die BA selbst, am auffälligsten zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberparteien auf und halten als Argumentationsgrundlage für etwaige Erfolge und vermeintliches Scheitern bildungspolitischer Strategien, wie beispielsweise des Ausbildungspaktes, her. Insbesondere die Darstellung der Angebot­Nachfrage-Relation und die daraus resultierenden Interpretationen über die Lage am Ausbildungsmarkt sind je nach Quelle von interessengeleiteter Einfärbung geprägt. Offensichtlich wird dies, wenn man die Aussagen der Arbeitgeber/Arbeitnehmer-Vertreterschaften heranzieht. In einer Pressemitteilung vom 13.0ktober 2009 ziehen die Paktpartner zusammen mit der BAeine durchweg positive Bilanz für das Jahr2009. Es sei gelungen „jedem ausbildungswilligen und -fähigen Jugendlichen ein Ausbildungsangebot zu machen“ (Bund der Arbeitgeber et al 2009: S.1). Deutlich wird betont, dass es in diesem Jahr mehr unbesetzte Ausbildungsstellen als unversorgte Bewerber gegeben hätte und das Angebot die Nachfrage um ein deutliches überstiegen habe. Gewerkschaften hingegen kritisieren die Erhebungsmethoden und machen die „Dunkelziffer“ unversorgter Bewerber, die in der klassischen Statistik nicht auftauchen, zum Thema. Die klassische Nachfragedefinition sorgte wegen ihrer Ungenauigkeit bei den Arbeitnehmervertretungen jedes Jahrfür Aufsehen (Füttereret al 2008: S. 18f).

Ein der Arbeitnehmerfraktion ähnliches Bild zeichnet der Bildungsbericht 2010 in seinem Rückblickaufdie Ausbildungsbilanzvon 2009. Dort lässt sich nachlesen, dass es keinen ausgeglichenen Ausbildungsmarkt oder gar einen Überschuss gegeben habe. Des Weiteren ist von einem Ausbildungsplatzdefizit von 60.000 Stellen die Rede (KMK/ BMBF 2010, S.101f). Der größte Anteil an Bewerbern stellt hiernach die Gruppe der sogenannten Altbewerber - denjenigen, die bereits mindestens im zweiten Jahr auf erfolgloser Ausbildungsplatzsuche sind. Für das Jahr 2008 wurde ihrstatistischer Anteil auf 52% bemessen (KMK/ BMBF 2010, S.97). Für diese Gruppe werde der Zugang in Ausbildung mit der Anzahl an verstrichenen Jahren immer schwieriger - vor Allem untere Bildungsabschlüsse und sogar Absolventen mittlere Reife haben es schwer, von ihnen schaffen es nur ca. 50% in Ausbildung, wodurch immer eine erhebliche Zahl von Altbewerbern den Bewerberpool der Folgejahre als „Bugwelle“ mitbestimme (KMK/ BMBF 2010, S.101f).

Im Gegenzug zu den BA-Statistiken werden die Daten des Bildungsberichtes zum Übergangssystem wenigerverbandspolitisch instrumentalisiert. Unterschiede in der Anerkennung deren Richtigkeit gibt es scheinbar trotzdem. Wissenschaftliche Quellen, der DGB, sowie das Bundesinstitut für Berufsforschung, nutzen allgemein die Daten des Bildungsberichtes für Darstellungen des Übergangssystems (vgl.: BIBB 2010: S.9; Baetghe, Solga, Wieck 2007: S.22; Fütterer etal 2008: S. 21f), auch die Regierungsseite bürgt, betrachtet an der offiziellen Unterstützung des Bildungsberichtes, fürdie Authentizität der Daten. Lediglich die Arbeitgeberseite legt, ähnlich wie bereits bei den Angebot-Nachfrage­Relationen, die Daten anders aus und greift in Publikationen unter anderem auf eigene Berechnungen und Schätzungen zurück oder kombiniert diese teilweise mit BA-Daten. Die genaue Herleitung bleibt dem Leser allerdings verschlossen. (BDA2009: S. 13).

Die Statistiken der BA und den Bildungsbericht vergleichend suchte man während der zweigeteilten Statistik bei der BAauf personeller Ebene vergebens nach Verantwortlichen und Mitwirkenden, die an der Erstellungen der umfangreichen Übersichten beteiligt sind. Anders verhält es sich bei dem mit dem BMBF in Verbindung stehenden Bildungsbericht. Die Autorengemeinschaft des Bildungsberichtes zeichnet sich dadurch aus, dass sich die einzelnen Personen keiner verbandspolitischen Zugehörigkeit angeschlossen zeigen. „Sie hat den Bericht unter Wahrung ihrerwissenschaftlichen Unabhängigkeit in Abstimmung mit einer Steuerungsgruppe erarbeitet“ (Autorengruppe Bildungsbericht 2010: S.7). Auch die Personen der erwähnten Steuerungsgruppe sind mit Namen und Institutionszugehörigkeit vermerkt.

Von der mutmaßlichen Parteilichkeit her lässt sich feststellen, dass die Arbeitgeberseite Bilanzen der BA als Erfolg ausweist, was auf die klassische Nachfragedefinition zurückzuführen ist. Statt den als objektiv anerkannten Daten zum Übergangssystem des Bildungsberichtes werden dagegen eigene Berechnungen und Schätzungen bevorzugt. Der Staat, in diesem Falle repräsentiert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, sowie wissenschaftliche Quellen stehen in ihren Positionen gegenüber Daten tendenziell eher im Schulterschluss mit der Arbeitnehmerseite.

2.2. Wissenschaftliche Positionen zur Ursache schwindender Ausbildungskapazitäten

Vor dem Hintergrund rückläufiger betrieblicher Ausbildungsleistung stellen sich Forscher, Institutionen und Sozialpartner die Frage nach den zentralen Triebfedern in der Entscheidung von Betrieben, Ausbildungsplätze anzubieten. Auch für die Politik ist die Beantwortung dieser Frage nicht uninteressant, sollte Sie der gewerkschaftlichen Forderung nach einem Finanzierungsinstrument nachkommen.

Im Folgenden werden wissenschaftliche Positionen von Neubäumer, Richter und dem BIBB erläutert, die der Frage nachgehen, welchen Antrieb Unternehmen haben, auszubilden. Die ökonomische Sichtweise von Betrieben wird hierbei oftmals durch die Qualifikation der Auszubildenden beeinflusst und in der Wissenschaft als Sonderpunkt behandelt.

Neubäumer versteht sich selbst als Wissenschaftlerin ohne politische Einfärbung in ihren Arbeiten der Arbeitsmarkttheorie und -politik sowie der Bildungsökonomie. Ausgangspunkt Neubäumers theoretischer und empirischer Analyse des Ausbildungsverhaltens und der sich nach Abschluss der Lehre vollziehenden Mobilitätsprozesse ist die Beobachtung, dass in einer Reihe von Berufen die Zahl der Ausgebildeten die Zahl der dort später Beschäftigten deutlich übersteigt und umgekehrt in anderen Berufen in Relation zum Fachkräftebedarfzu wenig ausgebildet wird. Der Zwei-Sektoren-Ansatz dient als theoretisches Modell zu dieser Beobachtung und dient dazu, das Phänomen der Über- und Unterbedarfausbildung zu erklären und mögliches Kalkül der Betriebe zu identifizieren.

Bezüglich der Bewerberqualifikation verweist Neubäumer auf die Relevanz der schulischen Vorbildung als Selektionskriterium für bestimmte Ausbildungsberufe. Einen Auszubildenden einzustellen, bedeutet für Betriebe eine Investition in dessen Humankapital. Kosten und Erlöse der Humankapitalinvestition würden insbesondere durch die bessere „Trainability“ höherer Schulabschlussabsolventen höher ausfallen.

Richter, Professorin der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre ohne verbandspolitische Einordnung, zieht ebenfalls ein Modell zur Bestimmung betrieblichen Ausbildungsverhaltens heran. Ausgangspunkt der Studie Richters ist auch hier, warum Betriebe in Aktivitäten der Berufsausbildung investieren. Die Autorin vereint in ihrem Modell ein Bündel sekundärer Determinanten aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft in einer primären Determinante, dem Kosten-Nutzen-Prinzip. Die Verschiedenheit der sekundären Bestimmungsgründe stellt nach Richter die Heterogenität des Ausbildungsmarktes dar und ermöglicht so eine umfassende Perspektive auf das Problem des Lehrstellenmangels, der sich je nach Betriebsbelastung in manchen Berufen stärker darstellt als in anderen. Zunächst wird eine empirische Analyse der Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt gegeben, in der unter anderem betriebsgrößenspezifische, regionale und sektorale Aspekte beachtet werden. Dort schließt sich eine Untersuchung der Determinanten des betrieblichen Ausbildungsverhaltens an.

Der gesellschaftlichen Nachfrage nach Ausbildungsstellen kommt bei Richter eine eigene Determinante zu. Die Autorin stellt mittels ausgewählter Test- und Forschungsergebnisse aus Wirtschaft und Forschung dar, inwiefern die Bewerberqualität Einfluss auf das gesamtwirtschaftliche Ausbildungsstellenangebot ausübt.

Das Bundesinstitut für Bildungsforschung (BIBB) stellt im Rahmen des BIBB-Reports 2007 Kosten-Nutzen-Bedingungen als zentrales Ausbildungskriterium heraus. An Hand eigener empirischer Studien werden in dieser Studie Differenzen in den einzelnen Ausbildungskosten mittels praktischer Beispiele dargestellt. Das BIBB führt bereits seit vielen Jahren in regelmäßigen Abständen Untersuchungen zu Kosten und Nutzen der dualen Berufsausbildung für Betriebe durch. Die daraus hervorgehenden Forschungsergebnis-se sind die erste Wahl wissenschaftlicher Abhandlungen und daher sehr häufig anzutreffen. Ausführungen anderer Institutionen und Institute bestätigen die Ergebnisse, jedoch nach bisherigem Stand immer mit Rückbezug auf das BIBB bzw. seine Mitarbeiter (Vgl. z.B.: IAB 2004, S. 27; ifo 2004, S. 4).

Die Betrachtung Neubäumers in zwei Sektoren, hier genannt A und B, polarisiert zwar bewusst da sich die Wirtschaft real so nicht einteilen lässt - für die Darstellung der spezifischen Einflussfaktoren, die das Maß an Ausbildung bestimmen, ist dieses Modell jedoch hilfreich. Es dient dem Zweck, die Individualität von Branchen und Betrieben zu beschreiben und als Ursache für typisches Ausbildungsverhalten zu ergründen (Neubäumer 1999: S. 71).

Die Sektoren A und B stehen demnach exemplarisch für zwei Ausbildungsberufe oder Wirtschaftsbereiche, wobei in A über Bedarf und in B unter Bedarf ausgebildet wird. Mit Bedarf sei hier die Menge an Lehrstellen gemeint, die nötig wäre um die Nachfrage in den jeweiligen Ausbildungsberufen zu befriedigen. Grundlage dieser Überlegungen ist, dass von dauerhaft sektorspezifischen Unterschieden bei Kosten und Erlösen ausgegangen wird. So wird in der empirischen Untersuchung Neubäumers im Wirtschaftsbereich „Reparaturvon Kraftfahrzeugen“ stark über Bedarf ausgebildet - von 16.000 Lehrlingen sind 5.000 in eine anschließende Beschäftigung eingemündet. Dieser Ausbildungsberuf steht exemplarisch für den Sektor A (Neubäumer 1999: S.334).

Unter Sektor A fallen nach der Theorie hauptsächlich Betriebe, die von stark schwankendem Personalbedarf betroffen und deren Arbeitsplätze wenig wettbewerbsfähig sind, weswegen dort hauptsächlich geringer qualifizierte Lehrstellenanwärter zu finden seien. Unternehmen in diesem Bereich seien dadurch gekennzeichnet, dass vor Allem dann ausgebildet werde, wenn der Betrieb keine damit zusammenhängenden Kosten zu befürchten habe. Ein solcher Fall tritt dann ein, wenn die Ausbildungskosten komplett durch die Produktivbeiträge des Auszubildenden gedeckt werden. Auszubildende würden nach Neubäumer daher manchmal vom Betrieb als kostengünstige Arbeitskräfte genutzt, um Lohnkosten für festangestelltes Personal zu sparen.

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Résumé des informations

Titre
Betriebliche und gesellschaftliche Ursachen für die Krise des dualen Systems. Handungsperspektiven am Beispiel der Umlagefinanzierung
Université
Technical University of Braunschweig
Note
1,3
Auteur
Année
2011
Pages
78
N° de catalogue
V191119
ISBN (ebook)
9783668738829
ISBN (Livre)
9783668738836
Taille d'un fichier
1018 KB
Langue
allemand
Mots clés
Bildungspolitik, Arbeitsmarktförderung, Integrationspolitik, Soziologie, Politologie
Citation du texte
M.A. Katharina Richter (Auteur), 2011, Betriebliche und gesellschaftliche Ursachen für die Krise des dualen Systems. Handungsperspektiven am Beispiel der Umlagefinanzierung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/191119

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